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16. April 2011, KTP, Polentswa > Sizatswe Pan

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Eine ruhige, weitestgehend trockene Nacht liegt hinter uns und, als wir frühmorgens aus den Zelten krabbeln, empfängt uns ein strahlend klarer Tag. Wie frisch gewaschen spannt sich ein gläsern blauer Himmel über die in den ersten Sonnenstrahlen leuchtende Grasebene, auf der sich wieder einige Hartebeests tummeln. Aus dem Baum, unter dem unser Zelt steht, tropft es allerdings immer noch aus dem Geäst und alle Planen nebst sonstigem Equipment sind patschnass vom Gewitterguss des vergangenen Abends. Wir nutzen die Gunst der Stunde und verfrachten das nasse Zeug auf die Sonnenseite unseres Camphügels, damit es durchtrocknen kann, bis wir mit dem Frühstück fertig sind. Als wir gerade die Bodenplane unserer Behausung in die Sonne zerren wollen, bewegt sich etwas im Sand. Ein Skorpion? Nein, diesmal hat sich etwas anderes dort eingenistet, etwas Winziges, das uns in helles Entzücken versetzt: es ist ein noch sehr junger, gerade mal fünf Zentimeter großer Bellgecko. Mei, ist der putzig mit seinem wilden Fleckenmuster, den kleinen, bekrallten Grabebeinchen, dem verhältnismäßig kurzen Schwanz und seinem übergroßen Kopf, der aussieht, als hätte sich eine Kröte mit einem kurzschnäuzigen Krokodil gepaart. Wir sind hin und weg von dem Winzling; vor allen Dingen ich, denn nie hätte ich geglaubt, eines dieser unterirdisch lebenden Reptilien, die des Abends so stimmungsvolle Konzerte geben, jemals zu Gesicht zu bekommen. Nachdem wir den Nachwuchs-Kicherer eine ganze Weile begeistert bestaunt haben, tragen wir ihn schließlich schweren Herzens aus der Gefahrenzone unserer Füße, setzen ihn, fernab unseres Camps, behutsam in den Sand und widmen uns danach dem Frühstück, das wir gemütlich ausdehnen, um unseren Sachen genügend Zeit zum Trocknen zu geben.

Ptenopus garrulus ssp. garrulus
Striga gesnerioides
Solanum linnaeanum










Gegen zehn Uhr dann ist alles so weit getrocknet, gepackt und wir verlassen Polentswa Richtung Norden, wo wir im Swartpan-Gebiet für heute Nacht an der Sizatswe Pan einen Platz reserviert haben. Rund 150 Kilometer liegen nun vor uns und wir sind sehr gespannt, was die Strecke für uns bereit hält. Nun ja, viel ist es zunächst mal nicht. Das Gelände präsentiert sich zwar wesentlich übersichtlicher als gestern, dafür aber ist umso weniger los. Ab und zu ein paar Hartebeests und ferne Springböcke, ein kreisender Greifvogel, das war’s. Das erste erwähnenswerte Lebewesen, das wir nach langen Kilometern erblicken, in greifbarer Nähe, ist ein Mensch – ein recht ausladender noch dazu. Es handelt sich um einen ziemlich voluminösen Südafrikaner, der da am Wegesrand in seinem Auto sitzt. Die gewaltige Wampe hinter das Steuer gezwängt, ein noch gewaltigeres Objektiv vor Augen, starrt er angestrengt auf einen Baum, in dem ein paar Siedelweber umherhüpfen. Als wir grüßend neben ihm anhalten, dreht er sich mühevoll stöhnend zu uns herum, brabbelt etwas Unverständliches in seinen Bart, quält sich zurück in Beobachtungsposition und starrt erneut Richtung Baum. Hui, das ist ja mal eine wortreiche, interessante und aufschlussreiche Begegnung! Und da der umfangreiche Hobby-Ornithologe offenbar nicht geneigt ist, mit uns zu konversieren, verabschieden wir uns freundlich grüßend von dem Mann, der keine weitere Reaktion zeigt und setzen unseren Weg fort. Allerdings ohne herausgefunden zu haben, was genau den gewichtigen Typen so sehr in seinen Bann gezogen hatte. Egal – wir scheinen nichts versäumt zu haben. Wenig später durchqueren wir einen kleinen, trockenen Flusslauf und erspähen erstmals ein paar Pflanzen, die uns betrachtenswert erscheinen. Es sind kleine, niedrige Inseln rötlich-grüner Stängel, die von violetten Blütchen geschmückt werden und uns irgendwie bekannt vorkommen. Na klar, ich erinnere mich: vor zwei Jahren schon hatten wir diese Gewächse gesehen, damals allerdings waren sie blütenlos, vertrocknet und pechschwarz. Bloublom werden sie auf Afrikaans genannt, Striga gesnerioides ist ihr wissenschaftlicher Name und sie sind, trotz ihres harmlosen Aussehens, reine Parasiten, die sich an die Wurzeln anderer Pflanzen andocken und komplett auf deren Kosten ernähren. Es ist interessant, sie mal in blühendem Zustand zu sehen, noch viel interessanter aber ist die Bandbreite der Blütenfarben, die, wie auch im Pflanzenführer beschrieben, von blass bläulich bis dunkelviolett reicht. Doch auch ganz weiße Exemplare sind dabei. Ob das wohl vom jeweiligen Wirt abhängt? Ein paar der weißen Strigas jedenfalls leben ganz offensichtlich von Bitterapfelsträuchern – Nachtschattengewächsen, die nicht ganz ungiftig sind. Leider ist im Pflanzenbuch zu diesem Thema nichts zu finden. Doch es ist, sollten wir noch mehr Strigas auf unserem Wege finden, durchaus etwas, was sich im Auge zu behalten lohnt.

Solanum linnaeanum
Striga gesnerioides
Solanum linnaeanum
Striga gesnerioides















Bei unserer nächsten Sichtung jedoch handelt es sich zunächst um etwas Tierisches; einen stattlichen Fleckenuhu, der bewegungslos am Straßenrand sitzt und uns aus großen gelben Augen entgegenblinzelt. Als wir den Wagen vorsichtig ausrollen lassen und neben dem Vogel zum Halten kommen, ergreift dieser allerdings die Flucht und erhebt sich auf großen Schwingen fast lautlos in die Lüfte. Ach, schade, er war so hübsch und wir hätten ihn gerne länger beobachtet. Enttäuscht fahren wir weiter, werden aber bald von einem Landschafts- und Vegetationswechsel überrascht, der uns mit seinem Blumen- und Insektenreichtum voll und ganz für den entschwundenen Uhu entschädigt. Wir befinden uns in einer dieser typischen, tiefsandigen Senken der Kalahari, die ein ebenso typisches Blühpflanzensortiment beherbergt. Da sind im Wind wippende Hermbstaedtias, die wie rosa Katzenschwänzchen aussehen, violette Erlangeas, magentafarbene Sesamblüten mit burgunderrotem Schlund, wilde Senna, deren Blüten wie eine Ansammlung kleiner gelber Schmetterlinge wirken – um nur einige zu nennen – und auch wieder die parasitären Strigas in allen Farbstellungen. Obwohl es hier weit und breit keine Bitteräpfel gibt, finden wir an vielen Stellen erneut weiße Exemplare. Okay, die Blütenfarbe scheint also nicht in Zusammenhang mit der Wirtspflanze zu stehen, ebenso wenig mit der jeweiligen Bodenbeschaffenheit beziehungsweise dem pH-Wert – wie man es beispielsweise von Hortensien kennt. Das zeigen einträchtig nebeneinander wachsende blau- und weißblütige Pflanzen. Dieser wenig wissenschaftliche Beweis genügt uns im Moment aber vollauf, das Rätsel um die Blütenfarbe der Strigas ad acta zu legen und wenden uns nun zufrieden, auf allen Vieren kriechend, der reichen Insektenwelt zu. Neben flinken Laufkäfern und zahlreichen Blattwanzen entdecken wir einen großen, braunglänzenden Käfer, der sich schwerfällig durch den Sand schleppt. Heinz greift ihm sogleich hilfreich unter die „Arme“, setzt ihn auf seine Hand und nimmt dem Insekt ein Stück seines beschwerlichen Weges ab, indem er ihn aus der Fahrspur trägt. Keine ganz uneigennützige Tat übrigens, denn er möchte den Käfer schlicht und einfach eingehender begutachten. Prinzipiell verstehe ich das gut, neige ich ja auch dazu, alles gerne mit den Fingern zu erfassen, doch bei Insekten hört mein manueller Forscherdrang definitiv auf. Wah, allein die Vorstellung hakenbesetzter Chitinbeine, die sich hartnäckig an meiner Haut festkrallen, genügt, um mir Schauer über den Rücken zu jagen!

Schreckenpaarung
Schreckenpaarung
Tarsocnodes tarsalis










Doch Heinz’ gruselfreier Befingerungsdrang hat seine Vorteile: ich habe nämlich zwei ziemlich große, sich paarende Schrecken entdeckt, denen ich nun mit meiner Kamera auf den Panzer rücke. Entzückt von den beiden miteinander beschäftigten Insekten – so können sie mich wenigstens nicht anspringen – bringe ich mein Objektiv in Position, doch die Turteltäubchen flüchten zielstrebig ins hohe Gras. Verdammt, so wird das nix mit den Erotik-Fotos! Aber da kommt Heinz ins Spiel: flugs greift er sich das Pärchen, setzt es auf seine Hand und ich habe so nicht nur Gelegenheit, ein paar Bilder zu schießen, sondern auch, ganz genau hinzusehen. Pardon, es ist sicher etwas indiskret, aber umso interessanter, vor allen Dingen, weil Romeo und Julia Schreck ja von stattlicher Größe sind. Und da sieht man eben besonders deutlich. Typisch für Kurzfühlerschrecken, sitzt das kleinere Männchen auf der Dame und dockt ein großes Samenpaket (Spermatophore) an deren Geschlechtsöffnung. Das Paket ist von einer gallertartigen Substanz umgeben, welche später vom Weibchen verzehrt wird, um anschließend die ausgepackte Spermatophore in ihren Samenbehältern zu versenken. Dort findet dann auch die Befruchtung der Eier statt. Und wir sind nun gerade Zeugen dieses Samentransfers, der mehrere Stunden dauern kann. Natürlich bekommen wir die Spermatophore nicht zu Gesicht, dafür aber die beiden Genitaldornen, mit denen das Weibchen den Hinterleib des Begatters in Position hält. Eine bombenfeste Verbindung – zumindest für die Dauer der Übergabe – so fest, dass sie sogar heftigeren Sprüngen standhält. Im Moment sind allerdings keine Hüpfereien vonnöten, denn offenbar fühlen sich die Zwei auf Heinz’ Hand ganz wohl und halten brav still, bis ich ihre Kopulation zu meiner Zufriedenheit abgelichtet habe. Danach setzt Schneck die innig Verbundenen sanft ins Gras und wie lassen sie bei ihrem intimen Tun ab sofort diskret alleine.

Indigofera alternans
Erlangea misera
Tribulus zeyheri










Hellauf begeistert von dieser Beobachtung, würde ich gerne noch viel länger in der vor Leben überquellenden Kalaharisenke bleiben, doch ein Blick auf die Uhr zeigt deutlich, dass es wohl besser ist, uns mal wieder auf die Socken zu machen. So also verlassen wir Klein-Eden, tauchen alsbald erneut in eine völlig andere Landschaft ein und schrubben Kilometer. Und es sind hart erarbeitete, ziemlich eintönige Kilometer: auf tiefsandiger Pad wühlen wir uns durch struppiges Buschland, das wie ausgestorben wirkt und auch sonst kaum Reizvolles zu bieten hat. Mann, diese Strecke zieht sich vielleicht! Sogar Heinz, sonst ein Ausbund an Geduld und Ausgeglichenheit, bekommt allmählich schlechte Laune von der endlosen, drögen Fahrerei und auch ich muss feststellen, dass ich diesem Teil meines geliebten KTP wenig abgewinnen kann.

Sizatswe Pan
Oder doch Thupapedi Pan?
Sonnenuntergang










Dann endlich, gen Spätnachmittag, erreichen wir gut durchgerüttelt und schwer gelangweilt Sizatswe Pan – zumindest gehen wir davon aus, dass sie es ist. Ganz sicher sind wir uns allerdings nicht, denn in dieser Gegend wimmelt es vor Pfannen; wie Perlen auf einer Schnur reihen sie sich aneinander und ähneln sich wie ein Ei dem anderen. Und die von uns angesteuerte Campsite, erkennbar an der gemauerten Feuerstelle, ist, entgegen der sonstigen botswanischen Nationalpark-Gepflogenheiten, nicht beschildert. Kein SIZ-01 prangt an dem großen Baum, der das sandige Areal überschattet, das GPS hat keinen Saft mehr und wir keine Lust, noch länger in der Pampa herumzukurven. Und da uns seit dem dicken Hobby-Ornithologen in dieser entlegenen Gegend ohnehin kein weiterer Mensch begegnet ist, gehen wir davon aus, niemandem einen Stellplatz zu klauen. Also errichten wir ohne jede weitere Diskussion unser Lager und lassen uns danach mit letzter Kraft in unsere Stühle sinken. Mhm, mit einem kühlen Bier in der Hand, einer stationären, nicht schaukelnden Sitzgelegenheit unter dem Hintern und einer ansehnlichen Pfanne vor Augen, bessert sich unsere Stimmung schlagartig. So sehr, dass wir sogar noch die Energie aufbringen, einen kleinen Abendausflug zu machen, der uns zur benachbarten Pfanne führt. Diese ist zwar ein bisschen größer, ansonsten aber der unsrigen sehr ähnlich – hübsch anzusehen und wie ausgestorben. Lediglich ein paar, aus dieser Entfernung stecknadelkopfgroße Erdmännchen, tummeln sich in der Pfannenmitte. Aufmerksam sehen die kleinen Wüstenbanditen zu uns herüber, widmen sich jedoch gleich wieder beruhigt ihren Tollereien. Sie scheinen genau zu wissen, dass wir keine Chance haben, näher an sie heranzukommen. Und wir wissen das leider auch… Bedauernd wenden wir den Wagen und begeben uns auf den Rückweg, den wir nur kurz unterbrechen, um von einer kleinen Anhöhe aus der Abendsonne bei ihrem verhältnismäßig flauen Untergang beizuwohnen. Ach ja, konstatieren wir seufzend, man kann eben nicht jeden Tag volles Input-Programm haben, so schön das auch wäre. Und ein bisschen was haben wir ja heute doch gesehen, wenngleich es nicht im Mindesten gegen die Sichtungen der vergangenen Wochen anstinken kann. Unwillkürlich muss ich an Sven und seinen legendären Ausspruch denken, den er auf unserer Reise vor zwei Jahren vom Stapel ließ. Wir wechselten damals von Chobe und Moremi über die Zentralkalahari in den KTP. Als wir über Mabuasehube und den Wilderness Trail in die Tiefen dieser ganz speziellen Wüste eintauchten – und bei jeder für uns interessanten Pflanze anhielten – seufzte der Genervte aus tiefster Seele: er hätte sich ja schon gedacht, dass jetzt der langweilige Teil der Reise begänne. Gut, Sven relativierte sein Vorurteil, indem er gestand, doch das ein oder andere Blümelein ganz interessant zu finden, nichtsdestotrotz hielt sich sein Enthusiasmus auch weiterhin in Grenzen. Und das kann ich ihm im Moment recht gut nachempfinden…




Weitere Impressionen des Tages:

Da fliegt er hin, der Uhu
Xerus inauris
Agama aculeata
Botanikstopp
Coridius sp.
Abendwolken Sizatswe
Schrecke ohne Partner
Ausblick auf Sizatswe
Noch sitzt er...



17. April, KTP, Sizatswe Pan > KD1, Masetleng Pan

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Holla, was für eine Nacht! Im Zelt war es ungewöhnlich hell, denn wir hatten Vollmond, dessen von keiner Wolke getrübter Schein, potenziert durch die Reflexion der Pfanne, munter durch den schweren Baumwollstoff und die Mückengaze leuchtete. Doch damit nicht genug. Stundenlang durften wir zudem der Unterhaltung dreier Uhus lauschen, die sich, ganz in unserer Nähe und in jammervollem Tonfall, extrem viel zu sagen hatten. Bububu. Buuuhbubuuuh. Bubuuuhbu. Immer schön im Wechsel; erst der mit der tiefen Stimme, dann der mit der etwas helleren und zuletzt der Kamerad mit den geschädigten Stimmbändern, dessen Jammerarien sehr heiser und angestrengt klangen. Als die Drei dann endlich ihr sorgenvolles Gespräch beendet hatten, kurzfristig friedvolle Ruhe einkehrte und wir gerade wieder am Einschlafen waren, gesellte sich erneut ein geräuschvolles Wesen zu uns. Schnüffel, schnauf, prust, röchel, schnupper! Unser Zelt schien immens interessant zu sein, leider aber nur auf den Seiten, durch die wir nicht hinaussehen konnten. Jetzt geht langsam die Sonne auf, der Schnüffler ist, ohne dass wir ihn hätten identifizieren können, bereits in den Tiefen der Kalahari verschwunden, und wir robben im ersten Morgenlicht aus dem Zelt, um nach Spuren des nächtlichen Atmers zu suchen. Gehört haben wir ihn ja überdeutlich, zu sehen aber ist nichts. Kein verräterischer Fußabdruck, kein Häufchen – absolut nichts. Schade! Denn gerne hätten wir gewusst, wer uns da so überaus interessiert mit seiner inhalativen Gegenwart beehrt hatte.


Bockkäfer
Der nächtliche Atmer?
Oryxherde mit Kindergarten










Doch das werden wir wohl nie erfahren. Trotzdem lassen wir uns das Frühstück schmecken, brechen wohlgelaunt das Lager ab und machen uns, mit großer Hoffnung auf einen abwechslungsreichen Tag, auf den Weg zu unserem nächsten Etappenziel, der Masetleng Pan. Kaum kurven wir aus unserem Camp heraus, blockiert auch schon ein Schakal die Pad. Der Atmer? Wie angewurzelt steht er da und starrt uns an. Dann geht ein Ruck durch seinen Körper, er dreht sich um und schnürt bestimmt einen halben Kilometer leichtpfotig vor uns her, bis er schließlich doch im dichten Gebüsch verschwindet. Kurz darauf stoßen wir auf eine kleine Oryxherde, die einen Kindergarten mit sich führt. Aus großen braunen Augen werden wir gemustert, als ungefährlich eingestuft und danach einfach nicht mehr beachtet. Wir erfreuen uns an der Unscheuheit der großen Antilopen mit der markanten Gesichtszeichnung und deren fluffigem Nachwuchs, in dessen Fell man auch schon deutlich die dunklen Streifen erkennen kann. Hah, denken wir, dieser Tag fängt ja ganz hervorragend an; so darf es weitergehen! Doch unsere Freude währt nicht lange. Das Gerumpel, das uns bereits gestern so ermüdet hatte, geht nämlich erneut los. Wieder holpern wir Kilometer um Kilometer durch dichtes, scheinbar unbelebtes Buschland, Meile um Meile zerrt die ereignislose Fahrerei mehr an unserer Konzentration und Geduld. Besonders Heinz ist ziemlich genervt – er kann wegen des Geholpers nicht schlafen und sich nicht, wenigstens per Traum, in die Zauberwelt der vergangenen Tage flüchten. Und auch ich fühle eine gewisse Teilnahmslosigkeit in mir aufsteigen. Doch bevor die lauernde Lethargie Gelegenheit bekommt, von uns allen Besitz zu ergreifen, erreichen wir Kaa Gate, den nördlichen Ausgang des KTP. Wir erledigen die Auscheck-Formalitäten und sind fast dankbar für diese Abwechslung, die uns der Papierkram bietet. Allzu rasch allerdings ist das Nötige erledigt und erneut finden wir uns auf der Piste wieder.



Kaa Gate
Brandschneise
Hinweisschild KD1










Und jetzt, da wir den Nationalpark verlassen haben, verändert sich auch die Landschaft. Natürlich hauptsächlich deswegen, weil hier Menschenhand im Spiel ist. Schnurgerade zieht sich eine breite Schneise durch das Gelände, eine gerodete Trasse bar jeglichen Buschwerks, die im Falle eines Brandes das Überspringen der Flammen von einer Seite auf die andere verhindern soll. Die Betonung liegt auf soll. Ob das im Moment allerdings auch in der Praxis funktionieren würde, können und wollen wir so nicht unterschreiben. Denn rechts und links der sandigen Piste, die wie ein Rückgrat durch die Mitte der Trasse führt, steht – dicht und hoch – knochentrockenes Gras. Das würde brennen wie Zunder. Aber es brennt ja gerade nicht. Nur das von uns so geliebte Gras ist leider erneut omnipräsent, behindert unsere Sicht und, mit Verlaub, ödet uns wirklich an. Stoisch, ja gelangweilt, juckeln wir dahin, machen hin und wieder eine kleine Pause, steigen aus, sehen nichts, steigen wieder ein, fahren weiter. Lange schon haben wir das KD1, eine Wildlife Management Area erreicht, als sich endlich wieder ein wenig Leben vor uns zeigt. Es ist eine Straußenfamilie, die durch das Gras der Schneise schreitet. Mama, Papa und fünf Kinder. Die kleine Familie fühlt sich durch unser herannahendes Auto bedroht und tut nun etwas, was jeglicher (menschlichen) Logik entbehrt: auf der Flucht vor uns und unserem Blechungetüm sausen die Laufvögel auf die hindernisfreie Fahrspur – in der verständlichen, aber völlig widersinnigen Hoffnung, sich dort möglichst schnell vor uns in Sicherheit bringen zu können. Natürlich geht der Plan nicht auf. Panisch rennen die Tiere vor uns her. Fahren wir langsamer, entspannen sie sich ein wenig, geben wir Gas, werden auch sie schneller, halten wir an, bleiben sie ebenfalls stehen. Gerne würden wir sie dazu animieren, die Fahrspur zu verlassen, bleiben den Vögeln deshalb auf den Fersen, aber sie weichen nicht einen Meter zur Seite. Wir sind ratlos. Irgendetwas muss passieren, zumal das kleinste der Straußenkinder immer weiter zurückbleibt, mehrmals strauchelt und, der weit geöffnete Schnabel zeigt es deutlich, bereits völlig außer Puste ist. Wir drosseln gerade unser Tempo, um dem Nesthäkchen Gelegenheit zum Aufschließen zu geben, als das Muttertier plötzlich nach rechts ausbricht und in den Büschen verschwindet. Papa Strauß folgt ihr kurz darauf, während die Jungen kopflos weiterrennen. Wir stoppen, die Kleinen kommen zur Besinnung, orientieren sich kurz und folgen schließlich ihren flüchtigen Eltern in den Schutz des Gestrüpps.


Das keuchende Nesthäkchen
Mama und Papa sausen
Papa macht die Biege










Erst als auch der letzte Jungvogel, der keuchende Winzling, sich wieder im sicheren Schoße seiner Familie befindet, setzen auch wir beruhigt und erleichtert unseren Weg fort. Gefühlte Stunden später, nach weiterem end- und ereignislosem Gerumpel, geht die Sandpiste der Feuertrasse urplötzlich zu Ende und mündet in eine staubige Schotterstraße, die uns nun weiter Richtung Nordwesten lenkt. Heissa, was für ein Gefühl! Das elende Wellblech, das uns so lange durchgerüttelt hatte, weicht hier einem fast asphaltähnlichen, feinen Kiesbelag und wie beflügelt brettern wir einige Kilometer auf dieser Himmelspiste so dahin. Bald aber verebbt die anfängliche Begeisterung, denn diese Pad ist eben auch nur schnurgerade und ereignislos. Zeit, mal eine Pause einzulegen. Doch sogar die bringt wenig Abwechslung, sodass wir uns bald erneut in unseren fahrbaren Untersatz schlichten und weiterdüsen. Eine gewisse Vorfreude jedoch erfüllt mich trotzdem, denn, laut Karte, werden wir bald die Western Woodlands erreichen. Das ist ein Landstrich inmitten der Kalahari, der mich im Jahre 2007 mit seiner landschaftlichen Andersartigkeit völlig in seinen Bann gezogen hatte. Eine weite, goldgrasige Ebene, bestanden mit relativ hochstämmigen, unterwuchsfreien Bäumen, unterbricht hier das struppige Buschland und verzauberte mich damals mit seiner fast feenländischen Ausstrahlung.


Hübscher Wegelagerer
Stichst du?
Der Zauberwald ohne Zauber










Nicht lange, und wir sind tatsächlich da. Doch meine erwartete Verzückung will sich nicht einstellen. Hier hat sich nichts zwar verändert, es sieht genau so aus wie vor vier Jahren, dennoch ergreift es mich diesmal nicht, der Zauber bleibt aus. Auch Heinz, dem ich in höchsten Tönen von diesem Märchenwald vorgeschwärmt hatte, empfängt den Funken nicht. Fragend sieht er mich an. Ich zucke enttäuscht die Schultern, weiß es nicht zu erklären. Im Nachhinein aber scheint es klar. Schon im Deutschunterricht lernt man, was ein Spannungsbogen ist und wie er sich aufbaut: These, Antithese, retardierendes Moment, Klimax, Synthese. Nach diesen Kriterien sollte man auch eine Reiseroute planen. Langsam einsteigen, Kontrapunkte setzen, verweilen, den Höhepunkt ansteuern und gleich danach – heimfliegen. Doch daran haben wir uns heuer nicht wirklich gehalten und uns leider das retardierende Moment für den Schluss der Reise aufgehoben. Und jetzt haben wir, wie der Bayer sagt, den Dreck im Schachterl. Sprich, wir sind fast am Ende unserer Tour und der Höhepunkt liegt bereits eine Weile hinter uns, weshalb uns die arme Kalahari nun etwas langweilt. Dabei kann sie ja gar nichts dafür. Doch wie dem auch sein, wir müssen da durch und einfach das Beste daraus machen.

Die Gravelroad nach Ngwatle

Empfangskommittee
Ngwatle City










Also, Kopf hoch, Augen geradeaus und das Wenige, das sich uns darbietet, aufsaugen. Leicht gesagt, mühevoll getan. Wenig später, wir sind schon wieder ins übliche Buschland abgetaucht, erreichen wir Ngwatle. Ein winziges Dorf in den unendlichen Weiten der Kalahari und eine der insgesamt drei Communities, die das KD1 managen. Hier kommen recht selten Touristen vorbei und so ist es kein Wunder, dass uns sogleich ganze Heerscharen nackter Kinder entgegengesprungen kommen. Kreischend und lachend geleiten sie uns durch das Dorf, wo wir das Gebäude suchen, in dem wir unsere Übernachtungsgebühr entrichten können. Und obwohl kein Schild das gesuchte Office, das eigentlich ein Wohnhaus ist, kennzeichnet, so finden wir es beinahe sofort: es ist das einzige ziegelgemauerte Bauwerk weit und breit. Wie auch bei uns, ist hier die Stellung der jeweiligen Bewohner innerhalb der Siedlungshierarchie sofort zu erkennen. Die uns bekannten Immobilientypen Hochhaus, Reihenhaus, Einfamilienhaus, Villa (grob vereinfacht), sehen hier zwar deutlich anders aus, tun aber ebenso offensichtlich kund, wer Geld und was zu sagen hat und wer nicht – vielleicht sogar noch deutlicher, als das in unserer Heimat ersichtlich ist. Runde Lehmhütten, mit Brettern verstärkte eckige Lehmhütten, Wellblechschuppen; so ist die Staffelung in Ngwatle. Der Ziegelbau entspricht in diesem Falle der Villa; dort sollten, nach Adam Riese, wichtige, tonangebende Menschen wohnen. Und richtig! Sofort schreitet uns die Dame des Hauses entgegen – die Kinder halten respektvollen Abstand – und kassiert uns ab, bevor wir, begleitet von freundlichen Wünschen und quiekenden Kindern, erneut ins unbewohnte Buschland entlassen werden.


Eckiges Lehmhaus
Sogar mit Anbau!
Runde Hütte










Ein paar hundert Meter weiter, die Richtung haben das GPS, unsere Erinnerung und die Fahrspur vorgegeben, stehen wir plötzlich vor einer riesigen Blechtenne, an der mehrere junge Männer eifrig bauen. Der Weg allerdings ist hier zu Ende. Wir fragen uns bei den Baumeistern durch und filtern aus dem typisch afrikanischen Fächer unterschiedlicher Informationen heraus, wie wir zur Masetleng Pan kommen: zirka dreissig Meter zurück, am Schild rechts, um den Schuppen herum und dann immer der Fahrspur nach. Aha. Den Anweisungen folgend, kehren wir um, sehen tatsächlich ein Schild. Masetlheng, 18 Kilometer, steht darauf geschrieben, völlig verwittert, kaum noch lesbar. Doch wenn man weiß, was draufsteht, fügt es das Gehirn schon zu einigermaßen leserlichen Buchstaben zusammen. Deutlich anders sieht es da mit der angekündigten Fahrspur aus. Sie ist gekennzeichnet durch hohes Gras, das in ansatzweise ahnbarem Reifenabstand eben dort etwas kürzer ist, wenn auch nur unwesentlich. Jetzt, in dieser Situation, wäre ein schnurgerader Streckenverlauf mal echt hilfreich, aber natürlich zieht sich die Graspiste in sich windenden Kurven durch unübersichtlichen Busch. Mit nicht viel mehr als fünf bis zehn Stundenkilometern tasten wir uns tapfer durch den dichten Bewuchs, holpern über gefährlich tiefe, große Erdlöcher hinweg, bevor wir am späten Nachmittag wirklich und wahrhaftig da landen, wo wir hin wollten. Masetleng Pan liegt vor uns! Eine wunderschöne, weitläufige Salzpfanne, im Zentrum vegetationslos, dafür aber bevölkert von hunderten von Springböcken.


"Ganz wichtiges" Haus
Kaum noch lesbar
"Wichtiges" Haus











Erleichtert über unsere Ankunft und angetan von dem, was wir sehen, halten wir an, springen aus dem Auto und atmen erst mal tief durch. Die Springböcke blicken derweil aufmerksam zu uns herüber. Ganz willkommen sind wir ihnen wohl nicht, denn der größte Teil der Tiere zeigt deutliche Absentierungstendenzen. Nein, es ist keine wilde Flucht, sie verfallen nicht in panischen Galopp, sondern gestalten ihre Distanzgewinnung durchaus unauffällig: wie angelegentlich schlendern sie langsam ans andere Ende der Pfanne, nehmen hier und da noch einen Grashalm-Snack, lassen uns dabei aber nie aus den Augen. Irgendwann erscheint ihnen der erreichte Abstand zu uns groß genug und sie bleiben wieder entspannt zum Grasen stehen. Wie weiß-braune Stecknadelköpfe dekorieren sie nun den südlichen Pfannenrand, sind kaum noch als einzelne Individuen zu erkennen. Annette und Jochen bedauern das sehr, Heinz und ich hingegen haben uns lange schon anderen, ebenfalls winzigen Kleinodien der Kalahari zugewandt und fotografieren eifrig die Flora der flachen Pfannenränder. Aufgrund der schwierigen und äußerst speziellen Bodenverhältnisse im äußeren Vegetationsgürtel von Salzpfannen überleben hier nur sehr zähe, extrem tolerante Pflanzen, die mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen haushalten müssen. Oft bilden sie deshalb, quasi als Sparmaßnahme, nur kleine Blüten aus. Doch auch diese sind, bei näherem Hinsehen, wunderschön! Kleine weiße Heliotropium-Sternchen, fragile Xenostegia-Kelche, blau-weiß gestreifte Aptosimumblütchen, zartrosa Ipomoeas, gelbe, fünfpetalige Sebaeas, magentafarbene Gisekias und, und, und. Toll! Diese Flora ist, im wahrsten Sinne des Wortes, eine winzige Entschädigung für einen weitestgehend drögen Fahrtag und versöhnt uns wieder ein bisschen mit der armen, unschuldigen Kalahari.

Gisekia africana
Xenostegia tridentata
Exochaenium grande












Doch, so schön unser Standort gerade auch ist, langsam sollten wir uns wieder auf den Weg machen und einen Lagerplatz für heute Nacht suchen. Es soll hier ja eine Campsite geben – die haben wir zwar schon vor vier Jahren vergeblich gesucht und stattdessen unsere Zelte am südlichen Pfannenrand aufgeschlagen, da, wo jetzt die Springböcke stehen. Heuer allerdings ist die Vegetation sehr viel dichter und unser ehemaliges Nachtquartier von strotzend grünen Pflanzenpolstern bewachsen, die wir auf keinen Fall beschädigen möchten. Also machen wir uns erneut auf die Suche nach der ominösen Campsite. Doch wie auch damals schon umkurven wir wieder die nördliche Seite der Pan, stoßen auf einer kleinen Anhöhe abermals auf das verwitterte Camp-Hinweisschild – und landen, déjà-vu-mäßig, im dichtgrasigen Nichts. Verdammt, das Schild zeigte eindeutig in diese Richtung, genau hierher, aber die Fahrspur endet im Nichts und es ist beim besten Willen keine Campsite zu erkennen. Trotzdem fahren weiter durch den Dschungel der Halme, so lange, bis zwei große Bäume unserem Fortkommen ein abruptes Ende setzen. Na gut, dann schlagen wir eben hier unser Nachtlager auf! Das jedoch ist schneller gesagt als getan: wenn nämlich unsere Zelte einigermaßen gut stehen sollen und wir nicht die ganze Pfanne abfackeln wollen, müssen wir zuerst das trockene Gras großflächig eliminieren. Seufzend roden wir also zunächst zwei kleinere Areale für die Zelte und ein sehr ausgedehntes fürs Lagerfeuer, bevor wir uns wohnlich einrichten. Während Heinz im Anschluss noch zwei En-suite-Klolöcher direkt neben den Zelten gräbt, bauen Annette und ich das Küchenequipment auf und Jochen macht sich auf die Suche nach Brennholz. Mit ein paar armdicken Baumteilen kehrt er wieder – dennoch erkennbar unzufrieden – erspäht dann aber den mächtigen, dürren Ast, der in gut zweieinhalb Metern Höhe genau die Stelle überragt, unter der wir Frauen am Tisch sitzen und Vorbereitungen für das Abendessen treffen. Mit offenen Mündern beobachten wir ungläubig, wie sich Jochen mit der Axt auf den Baum schwingt und an besagtem Ast zu schaffen macht und Heinz, voller guter Absichten, sich als Gewicht daran hängt, mit den Beinen fast über unserem Essplatz baumelnd. „Aber sonst ist alles okay mit euch, ja?!?“ „Wir brauchen Holz!“, keucht Jochen und hackt unverdrossen auf den Ast ein. Kopfschüttelnd versetzen Annette und ich den Tisch ein paar Meter nach hinten, um das Tun unserer Männer fernab der Gefahrenzone skeptisch weiter beobachten zu können. Der Ast jedoch ist widerspenstig, die Axt stumpf und Heinz definitiv zu leicht, um die Demontage des Brennmaterials entscheidend voranzutreiben. Als sich nach einer Viertelstunde immer noch nichts bewegen will, klettert Jochen schließlich entnervt vom Baum. „Schweres Gerät muss her!“, schnaubt er und hechtet zum Auto, um die Abschleppschlinge hervorzuholen. „Nein, halt, hallo, ihr spinnt wohl!“, intervenieren wir, „Wir brauchen doch keinen Scheiterhaufen, um unsere vier Steaks zu braten! Schluss jetzt!“ Unser Machtwort zeigt erstaunlicherweise tatsächlich Wirkung, Jochen lässt von seinem Vorhaben ab – wenn auch nicht gerne, so doch wenigstens einsichtig –, Heinz hüpft mit zerschundenen Händen auf den Boden und Minuten später lodert ein gemütliches Feuer durchaus akzeptabler Größe in der dafür vorgesehenen Sandkuhle.

Dieser "Weg" führt zum Ziel
Masetleng Pan
Springbockherde










Wohlig wärmen wir uns an dessen Flammen, lauschen den Geräuschen der Nacht, beobachten den sich immer mehr bedeckenden Sternenhimmel und das Entstehen eines recht befriedigenden Haufens glühender Holzkohle, dem wir schließlich unser Fleisch nebst diverser Maiskolben anvertrauen. Ein Dinner voller Aromen rundet diesen, für unser Empfinden doch recht geschmacksneutralen, Tag versöhnlich ab. Weniger versöhnlich hingegen geleitet uns bald danach ein kühler Nieselregen in die Zelte. Mhm, da aber ist es richtig kuschelig und trocken. Leise hauchen die kleinen Tropfen ihren Schall in die wolkenverhangene Dunkelheit, ein letztes Mal für diesen Urlaub – das wird uns erst jetzt richtig bewusst – umfängt uns die tröstende Abgeschiedenheit, die wohltuende Wildnis, das warm pochende Herz Afrikas in seiner reinsten, menschenleeren Form. Eng kuscheln wir uns aneinander, um noch einmal diesen Zauber in uns aufzusaugen; bald aber lullt uns die heimelige Geräuschkulisse derart ein, dass wir rasch in Morpheus ausgebreitete Arme sinken und einschlafen.


Weitere Sichtungen des Tages: 
 

Tribulus zeyheri
Blattwanze

 Aufbau des Essensplatzes


Masetleng Pan
Ferne Springböcke
Lageridylle


Schneck gräbt unser Klo
Blick auf die Pfanne

























Xenostegia tridentata
Heliotropium sp.
Senna italica
Aptosimum albomarginatum





















18. April, Masetleng Pan, Botswana > Zelda Guestfarm, Namibia

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Kühl und feucht ist es, als wir frühmorgens aus unseren Zelten krabbeln, das Wetter bedeckt, die Pfanne wie ausgestorben. Irgendwie passt das alles recht gut zu unserer momentanen Abschiedsstimmung – ein Gefühl zwischen schmerzlicher Wehmut, nie zu stillender Sehnsucht und einem Quäntchen der Erleichterung, dass die ewige Fahrerei nun bald ein Ende haben wird. Bald, denn innerhalb der nächsten zwei Tage müssen wir ja noch Windhoek erreichen – das sind rund 460 Kilometer, von denen zwar 70 Prozent geteert sind, aber dennoch… Naja, auch das werden wir noch tapfer meistern! Zunächst aber frühstücken wir rasch, packen unser klammes Equipment ins Auto, säubern sorgfältig den Lagerplatz, dann erst nehmen wir die erste Etappe Richtung Namibia in Angriff. Dazu müssen wir jedoch erst mal wieder die elenden 18 Kilometer nach Ngwatle zurücklegen, was uns verständlicherweise nicht sonderlich erfreut. Doch halt, vor vier Jahren sind wir doch über eine Route weiter nördlich gekommen – wir haben diese als weniger verbuscht und deutlich übersichtlicher in Erinnerung und beschließen deshalb, es jetzt mal so herum zu versuchen. Das erste Problem hierbei aber ist bereits, besagte Ausfahrt aus der Masetleng Pan zu finden. Nach langem Gekurve endlich entdecken wir etwas Fahrspurähnliches im hüfthohen Gras, biegen vertrauensvoll ab und holpern, mehr schlecht als recht, durch die regenschweren Halme. Dann jedoch gehen die Probleme richtig los: der Weg verliert sich immer öfter im dichter werdenden Gebüsch, mehrmals müssen wir riesige Erdlöcher umfahren, umgestürzte Bäume versperren die ehemalige Pad. Schließlich sehen wir uns sogar genötigt, das Fahrzeug zu verlassen und Jochen per pedes durch den unübersichtlichen Irrgarten zu lotsen. 

Noch sieht man die Spur
Regen, Weg weg...
...gute Miene zum grasigen Spiel










Und das macht wahrlich keinen Spaß, denn mittlerweile nieselt es wieder, der Sand klebt schwer an unseren Schuhen, vollgesogene Ähren klatschen gegen unsere Oberschenkel, wir sind über und über mit Spelzen bedeckt, fedrige Pergularia-Samen kleben auf der Haut, Ranken haften an unseren Beinen und wir kommen nur im Zeitlupentempo voran. Jochen befindet sich am Rande seiner Contenance – uns geht es nicht besser. Als wir nach zirka zwei Kilometern des Durch-den-Busch-Tastens plötzlich vor einem unüberwindlichen, meterbreiten Loch stehen, verlässt uns der Optimismus, die Geduld folgt ihrem flüchtenden Kollegen auf dem Fuße und völlig entnervt geben wir auf. Nichts wie zurück! Vorsichtig, mit respektvollem Abstand zum Monsterloch, wendet Jochen den Wagen, wir klettern wieder an Bord und eiern die ganze Strecke retour. Nur gut, dass unsere Spuren noch einwandfrei zu erkennen sind. Endlich erreichen wir erneut unseren Ausgangspunkt an der Pfanne und sind total frustriert – erst recht, als wir einen Blick auf die Uhr werfen: dieses fruchtlose Abenteuer hat uns mehr als zwei Stunden gekostet! Verdammt! Und weitere zwei Stunden liegen nun vor uns, um wenigstens wieder auf den Hauptweg zu kommen. Heilig’s Blechle, ist das eine zähe Angelegenheit. Immerhin lässt sich unsere Anfahrtsroute von gestern, mit viel Phantasie, gerade noch so erahnen, sodass wir nicht abermals durch den Busch irren müssen. Aufgrund dieser Tatsache können wir bereits nach unerwartet kurzen eineinhalb Stunden, man glaubt es kaum, unsere Reifen auf die Hauptpiste setzen. Nun aber nix wie weg von hier!

Auf dem "Weg" aus der Pfanne
Pergularia daemia: Schote
Pergularia daemia: Samen










Gut durchgenudelt, aber auch schwer erleichtert, rattern wir nun auf der recht angenehmen Pad dahin, halten kurz mal hier für eine Schildkröte, mal da, um hinter einen Busch zu pinkeln, ansonsten treibt es uns in erster Linie nur vorwärts, vorwärts, vorwärts. Doch obwohl wir ziemlich zügig vorankommen, zieht sich die Strecke bis zur Grenze wie Kaugummi. Die Landschaft ist verbuscht, das trübe Licht, das durch die graue Wolkendecke sickert, schluckt alle Farben – aber wenigstens regnet es nicht. Noch nicht. Gen Spätnachmittag erreichen wir endlich die Grenze, verlassen Botswana, entern Namibia und biegen 25 Kilometer weiter westlich, nach einem kleinen Pfützenslalom auf der gut ausgebauten Teerstraße, rechts ab, um auf der Gästefarm Zelda einzuschecken. Die Zufahrt dorthin ist ein einziges Lachenmeer, der Parkplatz vor der Rezeption gleicht einer nacheiszeitlichen Seenplatte und wir werden, obwohl der Himmel gerade dichthält, von einer Tropfenflut empfangen, die aus den im kalten Wind schwankenden Laubbäumen auf uns herniederprasselt. Bah, ist das ungemütlich! Fröstelnd melden wir uns an, erfahren, dass seit Januar bereits 1100 mm Wasser auf diese trockene Gegend herabgeregnet sind – fast das Dreifache des üblichen Jahresdurchschnittes – und bekommen zu allem Überfluss auch noch eine völlig ungeschützte Campsite zugewiesen. Und das, obwohl der ganze Platz menschenleer ist. Danke für die Gastfreundschaft!

Öde Pad durch öden Busch
Nette Abwechslung!
Hier will keiner wohnen!










Ziemlich genervt kurven wir auf dem Camping-Areal umher, entdecken einen lauschigen Gartenpavillon und beschließen kurzerhand, uns über die Platz-„Empfehlung“ des Campmanagers hinwegzusetzen. Hier ist kein Schwein, also dürfen wir uns ja wohl bitte hinstellen, wo wir wollen! Gesagt, getan. Als unser Lager aufgebaut ist, sehen wir uns ein wenig auf dem Gelände um und müssen feststellen, dass es sehr wohl doch ein Schwein gibt: ein Stachelschwein. Die arme Sau wohnt, ganz in unserer Nähe und sicherlich nicht freiwillig, in einem eingezäunten Gehege. Dieses Inhaftierten-Schicksal teilt sich der Großnager zudem mit zahlreichen weiteren zwei- und vierbeinigen Leidensgenossen, unter anderem auch vier Geparden und einem Leoparden. An der Fütterung der Raubkatzen darf der geneigte Gast gerne täglich teilhaben, so besagt ein Schild vor den, unter Strom stehenden, Zwangsrevieren. Mindestens ebenso gerne verzichten wir auf diese Einladung, die uns doch, preisinklusive, endlich das Erlebnis vermitteln würde, die afrikanische Tierwelt wahrhaftig und hautnah kennenzulernen, statt nur schimpfend durch unbelebtes Buschland zu holpern. Doch nein! Widerspenstig, wie wir sind, ignorieren wir diese touristische Pseudo-Natur-Offerte und geben uns stattdessen lieber der Vorbereitung unseres Abendessens hin. Wir sitzen noch nicht lange in unserem heimeligen Pavillon, als auch unser Widerborst bezüglich der Platzwahl fürstlich belohnt wird: es beginnt wie aus Kannen zu regnen…

Heinz freut sich über Schildi
Oh mei, oh mei!
Die arme Sau










Doch wir sind ja fein raus, hocken im Trockenen und können so unser Dinner unverwässert genießen. Nach dem Abwasch, den heute prima der Himmel für uns hätte erledigen können, beschließen wir – als wäre es noch nicht genug des Wassers – das Waschhaus aufzusuchen und uns eine Dusche zu gönnen. Rasch huschen wir, mit Hygiene-Artikeln bewaffnet, durch den Regen und delektieren uns am warmen Nass, das uns den Staub und Schweiß der vergangenen Tage von der Haut spült. Weniger erbaulich hingegen ist das Sanitärgebäude selbst: es ist zwar zweckmäßig und sauber, hat aber eher den Charme eines Schlachthauses, das mit merkwürdig altbackenen, deplatzierten Accessoires wie Häkeldeckchen, Kunstblumen und rosa Badeteppichen dekoriert ist. In großzügigem Radius umrunde ich die grauenhaften pinken Fußpilzmatten und hülle mich dann, gut abgetrocknet und duftend, erneut in meine nicht minder ekligen Müffelklamotten. Herrschaft, wie gerne würde ich jetzt etwas Frisches anziehen! Leider aber ist nichts Sauberes mehr übrig; lediglich eine Tüte mit der Heimflugmontur schlummert noch in den Tiefen meiner Reisetasche – die jedoch werde ich erst überwerfen, bevor wir zum Flughafen fahren. Schnell noch was waschen, das wäre eine Option, dann hätte ich wenigstens für morgen was Sauberes. Tja, doch in Anbetracht der herrschenden Wetterverhältnisse ist das wohl ein wenig erfolgversprechendes Vorhaben. Seufzend füge ich mich meinem olfaktorischen Schicksal und spurte, drunter hui, drüber pfui, zurück zum schützenden Pavillon, wo ich mein Handy hervorkrame, um meine Mama anzurufen. Die nämlich hat heute Geburtstag. Und sie ist sofort am Telefon, weiß ganz genau, wo wir uns gerade befinden (ich hatte meinen Eltern vor dem Urlaub einen Tourplan nebst Landkarte übergeben) und freut sich sehr, dass ich an ihrem Ehrentag Netz habe und durchklingeln konnte. Auch ich freue mich tierisch, ihre Stimme zu hören, zu erfahren, dass zuhause alles gut ist, alle wohlauf sind und sich keine Katastrophen ereignet haben. Im Gegenteil: bei unserem kurzen Gratulations-Ratsch kommen wir natürlich auch aufs Wetter zu sprechen – und das ist in Deutschland definitiv besser als hier. Verheissungsvolle Aussichten, die uns die Abreise nochmal ein Stückchen leichter machen! Herzlich drücke ich meine Mama, verbal, durchs Telefon hindurch und verspreche ihr, auch die letzten Kilometer und den Flug noch heil zu überstehen, um sie in drei Tagen persönlich drücken zu können. Dann schalte ich meinen Kommunikationsknochen wieder aus, kappe die Verbindung zur frühlingshaften Heimat und wende mich erneut der regnerischen Realität zu. Frisch geduscht, aber etwas unbehaglich sitzen wir alle unter dem Dach unseres Pavillons, hätten uns eigentlich gerne noch einen gemütlichen Abend gemacht, doch es ist so feucht und kühl, dass wir bald in unsere trockenen Zelte schlüpfen und stattdessen dort diesen ermüdenden Tag ausklingen lassen.



Dieser Tag hatte doch noch ein paar weitere Impressionen:


Gut, dass wir ein schnelleres
Gefährt haben!
Sicher auch nicht besser da...
Leeres Versprechen











Netter Wohnort
Die Entscheidung fällt "schwer"
Wir nähern uns der Grenze







Der Baum ist scho schee!
Zelda in der Regenpause
Betthupferl











Schwammerl in
Afrika –  Hilfe!

19. April, Zelda Guestfarm > Windhoek, Monteiro Camp

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Der neue Morgen empfängt uns schon wieder mit Nieselregen, das Dach unseres Gartenhäuschens leckt mittlerweile und die Sitzpolster der campeigenen Stühle sind so durchnässt, dass wir uns genötigt sehen, das Frühstück anderswo einzunehmen. Mit allem Nötigen bepackt, ziehen wir unter den Vorbau des Sanitärgebäudes, wo es leidlich regengeschützt ist. Dort verzehren wir rasch unser Morgenmahl, bevor wir uns an die unangenehme Aufgabe machen, die vollgesogenen Zelte abzubauen. Schwer nur wollen sie in ihre Packsäcke rutschen, wiegen gefühlte Zentner und sind deshalb auch nur mit Mühe aufs Autodach zu hieven. Doch schließlich ist alles verstaut und wir treten unsere letzte Etappe Richtung Windhoek an. Wechselvolles Wetter begleitet uns, doch je weiter wir nach Süden vordringen, desto sonniger wird es. Zwar dräuen hier und da noch dunkle Wolken, aber sie regnen nicht ab – zumindest nicht direkt über uns. Gen Mittag bereits erreichen wir trockenen Reifens Namibias Hauptstadt und steuern nach deren Durchquerung direkten Weges sofort den Schnitzermarkt beim Eros Airport an. Dort hatte ich vor zwei Jahren mein 10-Kilogramm-Lieblings-Nilpferd Jacob erworben. Nun hoffe ich natürlich erneut auf „fette“ Souvenir-Beute – nicht nur, weil ich ja noch Heinz’ Geschenkversprechen offen habe, sondern auch aufgrund unerklärlicher, urzeitlicher Jäger- und Sammlertriebe. Kein Urlaub ohne Andenken. Das schaffe ich einfach nicht.

Doch bereits als der Markt in unser Sichtfeld rückt, schwinden meine Hoffnungen: nur ganz wenige Verkaufsstände haben geöffnet, die meisten hingegen sind mit Kunststoffplanen abgedeckt, in deren Vertiefungen riesige Pfützen stehen. Hier hat es offenbar recht ausgiebig geregnet und man hat die Schnitzereien so gegen die Nässe geschützt. Mhm, das sieht nun nicht gerade nach dem ultimativen Souvenir-Shoppingvergnügen aus. Denke ich zunächst. Als wir aber unser Auto auf dem Markt parken, schießen plötzlich aus allen Ecken und Winkeln begeisterte Verkäufer hervor, decken bereitwillig ihre Kostbarkeiten für uns auf und wir schlendern genussvoll, begleitet von lauten Grüßen und einzigartigen Preisversprechen, zwischen den Verkaufsständen umher.

Hololo…
und seine Gattin Fauziah
Heinz’ Szepter
Schakalmann















Bereits beim ersten Rundgang entdecken wir einige hölzerne Zuckerl, die durchaus Chancen hätten, eine neue Heimat in unseren deutschen Wohnzimmern zu finden. Doch natürlich lassen wir uns unser Interesse nicht anmerken, sondern verschaffen uns zunächst einen Gesamt-Überblick, nehmen das ein oder andere, auch nicht so verlockende Stück in die Hand, winken ab, spazieren weiter. Nach der zweiten Runde jedoch haben wir unsere Entscheidungen getroffen und steigen gut vorbereitet in den Ring der Preisverhandlungen. Heinz hat es auf zwei Masken und ein Szepter abgesehen, mein Begehr gilt einem roh geschnitzten Elefanten und einem liegenden Löwen, der gewisse Ähnlichkeit mit seinen Kollegen im bayerischen Staatswappen hat – nach genetischer Verschmelzung mit einer Sphinx. Sofort preist mein Verkäufer seine Stücke in den höchsten Tönen an. Ach, nein, meine ich und heuchle Desinteresse, der Löwe sei ja wohl etwas dünn geraten und der Elefant sähe leider von hinten besser aus, als von vorne. Dass mir aber genau diese beiden „Minus-Punkte“ positiv ins Auge stechen, verschweige ich tunlichst und bekomme deshalb zahlreiche andere Viecher, dickere Löwen und „hübschere“ Elefanten, präsentiert. Mhm, nee, danke. „But I make you good price, Madam!“ Ich lasse mir pro forma den Preis für zwei stattliche, hochglanzpolierte (in meinen Augen hässliche) Tiere nennen, winke dann aber dankend ab – es wäre zu teuer – und spaziere zu Heinz und seinen Masken hinüber. Auch Schneck plagt sich mit überhöhten Preisen ab. Da komme ich gerade recht: als gestrenge Gattin, die keine Geldverschwendung duldet. Voll des Mitgefühls für den armen, unterdrückten Heinz, geht sein Händler gleich um zwanzig Prozent runter, doch ich, der Zerberus, schüttle weiter hartnäckig den Kopf. Mittlerweile ist mir jedoch mein Schnitzer mit seinen Werken, die ich gar nicht haben will, gefolgt und macht ein erheblich reduziertes Angebot. Ich tue, als geriete ich in Versuchung, doch diesmal spielt Heinz die dominante Sparnase und lehnt empört ab. Mein Verkäufer dreht enttäuscht um, wir folgen ihm, lassen Masken und Szepter links liegen und ich zeige Schneck die Stücke, die ich wirklich erwerben möchte. Sofort wird mir, meinen Blicken folgend, ein Preis genannt, natürlich erneut viel zu teuer. Doch ich führe jetzt einfach meine, im vorangegangenen Strategiespiel erworbenen Argumente ins Feld: es könne doch nicht sein, dass die abgemagerte Katze kaum weniger kosten würde als die eben angepriesene Stattlich-Wohlgenährte und der Preis des roh geschnitzten, hässlichen Dickhäuters beinahe dem des hochglanzpolierten hübschen Exemplars entspräche. Nach kurzem Nachdenken muss sich mein Souvenir-Dealer dieser überaus logischen Gedankenkette leider ergeben und senkt den Preis deutlich. Noch ein bisschen Tauziehen, ein bisschen Hin, ein wenig Her, und wir einigen uns auf einem höchst akzeptablen Niveau. Ein besiegelnder Handschlag, der Deal ist perfekt, wir grinsen und alle Beteiligten sind zufrieden. Alle – bis auf Heinz und seinen Verkäufer. Doch Letzteren nehmen wir nun nach dem selben Prinzip in die Zange und eine Viertelstunde später ist auch er so weit: für einen Bruchteil der ursprünglich geforderten Summe wechseln drei Schnitzwerke den Besitzer; niemand fühlt sich über den Tisch gezogen, niemand übervorteilt oder gar abgezockt. So soll es sein!

Popo Morijo
Löwe mit Sphinx-Allüren
Klein Lurchi














Herzlich verabschieden wir uns nach den erfolgreichen Transaktionen von unseren Andenken-Providern, stapeln die Beute beseelt lächelnd ins Auto und fahren Richtung Süden, wo wir unser Lager, wie auch schon am Beginn der Tour, in Monteiro aufschlagen. Dann machen wir uns fein, soweit das mit den staubigen Miefeklamotten eben möglich ist, klettern erneut in das leergeräumte Auto, um abermals zurück nach Windhoek City zu düsen. Dort stellen wir den Wagen auf einem bewachten Parkplatz in der Independence Ave ab und schlendern danach gemütlich über die angrenzende Post Street Mall. Viel Zeit zum Bummeln bleibt uns allerdings nicht, denn diesbezüglich ist Windhoek ein Dorf, in dem die Bürgersteige früh hochgeklappt werden und die Geschäfte ebenso zeitig schließen. Doch es reicht noch, um ein paar vermeintlich stylishe Kleidungsstücke in einem Modehaus anzuprobieren, die sich aber als seltsam geschnitten und sehr unvorteilhaft erweisen. Es reicht sogar noch, um einige Souvenir-Etablissements abzuklappern, dann aber, um 18 Uhr, ist Schicht im Schacht, alle Läden machen zu. So also spazieren wir Richtung „The Gourmet“, der ehemaligen Kaiserkrone, unserem Lieblings-Fresstempel, wo wir unser Abschiedsdinner einzunehmen gedenken. Doch neben dem Eingang zum Restaurant bleiben wir kleben – hier nämlich befindet sich ein Antiquariat und es hat noch geöffnet. Herrlich! Ein winziger Laden, bis unter die Decke vollgestopft mit unzähligen Büchern; Prosa, Poesie, Bildbände, Fachliteratur über alle möglichen Themen, in allen möglichen Sprachen – ein wahres Paradies! Und ein deutschsprachiger Buchhändler steht uns obendrein mit Rat und Tat zur Seite. Klar, dass sich unsere Essensaufnahme in diesem Falle hintenan stellen muss. Nach einer vergnüglichen, sehr informativen Stunde jedoch, möchte dann auch der Bücheronkel in seinen wohlverdienten Feierabend gehen und komplimentiert uns freundlich, aber bestimmt hinaus.

Vor Windhoek
Der "China"-Zaun
Sprachgemisch











Schwer bepackt verlassen wir das göttliche Ladenlokal, um zehn Meter weiter das Esslokal zu stürmen. Nach einem prüfenden Blick gen Himmel lassen wir uns beruhigt auf der überdachten Terrasse des Gourmet nieder – der letzte Abend sollte schon standesgemäß „open air“ zelebriert werden, meinen wir – und ordern aus dem reichhaltigen Angebot ein paar mundwässernde Köstlichkeiten. Doch plötzlich, das Straußencarpaccio steht noch nicht auf dem Tisch, umwehen uns heftige Böen, das letzte Abendlicht weicht nachtfinsterer Dunkelheit, keine zwei Minuten später sitzen wir alleine auf der Terrasse und Sekunden danach bricht ein ohrenbetäubendes Gewitter los. Holla die Waldfee! Die besorgte Bedienung, die gerade unsere Vorspeisen servieren wollte, legt uns einen Sitzplatz im Inneren des Restaurants ans Herz, doch als wir diesen verschmähen, bringt sie uns zusätzlich zum Carpaccio eben noch vier Wolldecken, die uns vor der unter das Vordach stiebenden Regengischt schützen und gleichzeitig wärmen sollen – die Aussentemperatur nämlich ist schlagartig rapide gesunken. Wie die armen Sünder in unsere Decken eingemümmelt, genießen wir dennoch in vollen Zügen unser exquisites Entrée; als die Hauptgerichte folgen, ist das Schlimmste vorüber und wir können, mit locker übergeworfenen Plaids, die Grillteller wohlig degouttieren, den Abend trocken und kuschelig ausklingen lassen. Mit vollen Bäuchen, glücklich und zufrieden, begleichen wir schließlich gegen 22 Uhr unsere Zeche, sausen durch den immer noch strömenden Regen zum Parkplatz, entlohnen den mittlerweile nur noch auf unseren Wagen aufpassenden Parkwächter und machen uns auf den Weg nach Monteiro. Diese etwa fünfzehn Kilometer sind in der Regel problemlos zu fahren, doch bei solchen Witterungsverhältnissen kommt der sogenannte Defender-Faktor etwas erschwerend hinzu – Lüftung, Scheibenwischer, all der Schlechtwetter-Komfort ist bei diesem Fahrzeugtyp deutlich unterentwickelt, sodass wir uns mehr schlecht als recht, mehr tastend als sehend, mehr schwimmend als fahrend Richtung Auas-Berge bewegen, mit immer noch beschlagenen Scheiben auf unseren abschüssigen Stellplatz hinabmanövrieren und endlich dankbar und müde in unsere (noch) trockenen Zelte sinken.

20./21. April, Heimreise

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Blipp, blipp, blipp! Ein nervtötendes Geräusch dringt in mein schlafumnebeltes Bewusstsein und unangenehme Nässe spritzt im gleichen Takt auf mein Gesicht. Unwillig wische ich mir mit dem Schlafsack über die Wangen, doch sofort werden sie erneut betropft, das Geblippe wird schneller, ja geradezu hektisch. Wie von der Tarantel gestochen (obwohl diese ja beisst), fahre ich hoch und stelle entsetzt fest, dass der seit gestern Abend munter plätschernde Regen mittlerweile Zugang zu unserer Schlafhöhle gefunden hat. Er bahnt sich seinen Weg durch eine vollgesogene Stelle im Zeltdach, rinnt in beständigen Bächlein zwischen den beiden Therm-A-Rests hindurch und sammelt sich betulich am Fußende unserer Schlafsäcke. Na toll! Ich erwache aus meiner Schlaflethargie, schnappe mir die stets griffbereite Klorolle und beginne zu wischen. Phchrsch, phchrsch, phchrsch, nächstes Zellstoffknäuel, phchrsch. Heinz grunzt und zieht sich seinen Schlafsack über den Kopf, unter dessen Daunen plötzlich ebenfalls ein stetiges „Phchrsch“ ertönt. Uih, Heinz wischt auch – braver Schneck, denke ich erfreut, als mir im selben Moment ein winziger, sehr damenhafter Pups entfleucht. Bfffrrt, echot es unter Heinz’ Decke hervor. Habe ich da gerade richtig gehört? Scheint so, denn als ich erneut zu wischen beginne, ertönt abermals eine gelungene Nachahmung meiner Trocknungsgeräusche – und ich sehe Heinz’ Hand, wie er mit den Fingernägeln über seine Therm-A-Rest schabt. Na warte, Pursche! Liegt da genervt neben mir und äfft mich auch noch nach! Etwas gekränkt tupfe ich leise die letzte Nässe auf, platziere die Klorolle unter dem Leck und hülle mich grummelnd wieder in meinen Schlafsack. Das allerdings hätte ich mir sparen können. Ich bin noch nicht mal ansatzweise wieder eingeschlafen, als allmählich Tageslicht ins Zelt sickert und Annette und Jochen zu rascheln und mit Geschirr zu klappern beginnen. Heinz hingegen schnarcht friedlich neben mir.

Betrübliche Aussichten…
in alle Richtungen
Überall steht das Wasser










Boshaft grinsend ziehe ich genüsslich meine Nägel über seine Schlafmatte – direkt neben seinem Ohr – so lange, bis er unwillig die Augen aufschlägt. „Guten Morgen, mein Schneck, soll ich für dich noch kleines Aufwach-Pupsi lassen?“ „Du bist so gemein!“, quengelt mein Liebster, rollt sich zu mir herüber und legt seine Arme um mich. „So gemein! Und das Wetter ist auch gemein! Plitsch, platsch, mäh. Noch a bissi kuscheln, ja?!“, brabbelt er und schmiegt sich an mich. Schnell hat er mich überzeugt, denn bei diesem Regen ist Aufstehen wirklich alles andere als verlockend und seine Nachahmerei habe ich im ohnehin schon verziehen. Nach einer wohligen, das Schreckliche aufschiebenden halben Stunde dann aber raffen wir uns doch endlich schweren Herzens hoch und krabbeln hinaus in den strömenden Regen. Ach nee, ist das ätzend: es ist kalt, dichter Nebel hängt in den Bergen, schlammige Bäche wälzen sich den Hang herab, überall steht Wasser – im Klohaus sogar knöcheltief. Unter diesen Umständen können wir eine gepflegte Abschieds-Dusche wohl vergessen, doch das ist jetzt auch schon egal. Größere Sorgen hingegen bereitet mir die bevorstehende Packaktion. Wie, in Teufels Namen, sollen wir bei diesem Pisswetter nur unser Zeug einigermaßen trocken im Gepäck verstauen? Frierend, in unsere wärmsten Jacken gehüllt, versammeln wir uns unter unserem Wellblechdächlein zu einem feucht-kühlen Frühstück und starren sorgenvoll-deprimiert hinaus in den Schnürlregen. Moment mal! Wird der etwa weniger? Tatsächlich! Als wir unser Morgenmahl beendet haben, versiegt der Himmelsquell und der Sonne gelingt es sogar, ein paar wärmende Strahlen durch die dichte Wolkendecke zu zwängen. Rasch springen wir auf und nutzen die Gunst dieses niederschlagsfreien Zeitfensters, um unser umfangreiches Equipment transporttauglich zu verpacken. Gerade stopfe ich meine letzten Besitztümer in meine bereits gut gefüllte Tasche, als eine wohlbekannte Quäkstimme mein Trommelfell penetriert: oh nein, das ist Einschieh! „Na, aber hallo, so sieht man sich wieder, was!? Da habt ihr euch aber ein Wetter ausgesucht, haha! Ich beneide mich ja richtig um mein Wohnmobil in solchen Momenten, hähä! Müsst ihr denn schon abreisen? Also ich, ich fahre jetzt dann hoch nach Etosha. Wart ihr schon mal in Etosha? Das muss man gesehen haben…“ Brabrabra, laber, schwall. Wie kann man derart penetrant so viel selbstgefälliges Gesabbel von sich geben? Das ertrage ich nicht länger! Entnervt greife ich mir die Tüte mit meinen gehüteten Heimflug-Klamotten, hechte ins überflutete Waschhaus und springe auf den Klodeckel, um mich trockener Füße umziehen zu können. Dort harre ich dann aus, bis dieses unsägliche Weib mitsamt ihrer ohrenschmerzenden Besserwisser-Stimme endlich nicht mehr zu hören ist. Mit hochgekrempelten Hosenbeinen wate ich dann durch den Schlamm im Sanitärgebäude, luge vorsichtig ums Eck, um mich zu vergewissern, dass Einschieh tatsächlich fort ist.

Wolken bis zum Zelt
Der Berg kommt runter
und verschwindet im Abgrund
Lichtet sich da was?













 Ja, ja, ja, sie ist weg! Mit meinem total verdreckten Handtuch säubere ich nun meine Zehen, ziehe Socken und Schuhe an, verstaue die abgelegte Kleidung und das Handtuch noch in der Tasche, dann ziehe ich den Reissverschluss zu, schließe das Schloss und – fertig! „Können wir fahren?“ „Wir warten nur auf dich!“ „Na, aber hallo, ich bin doch da!“, echoe ich und imitiere Einschiehs quäkende Blechstimme. „Müssen wir denn wirklich schon abreisen? Da beneide ich mich ja richtig um meinen trockenen Sitzplatz im Flieger. Seid ihr denn schon mal geflogen? Also, das muss man mal gemacht haben…!“ Lachend steigen wir ins Auto und brausen vom Platz, gerade rechtzeitig, als es wieder zu regnen beginnt. Tja, so schließen sich gleich mehrere Kreise. Der vorurlaubliche Regen hat uns eine wunderschöne, grüne Reise beschert, uns persönlich aber weitestgehend verschont – jetzt ist er wieder da. Einschieh beglückte uns auch am Anfang unserer Tour und trat an deren Ende ebenfalls erneut in Erscheinung. Auf diesen Kreisschluss allerdings hätten wir gut und gerne verzichten können. Das Positive daran: man begegnet sich immer zweimal im Leben; das also hätten wir immerhin hinter uns! Ich seufze erleichtert, lehne mich entspannt zurück, als uns Einschiehs Rache doch noch ereilt. Genauer gesagt, mich. Der heftige Regen sammelt sich als Riesensee im hinteren Textilverdeck unserer Safariluke, das Wasser sucht sich einen Weg – und landet zielgenau auf meinem Oberschenkel. Danke Einschieh! Etwas durchfeuchtet, ich, die anderen ja nicht, kommen wir am Flughafen an, laden Heinz’ und mein Gepäck aus (Annette und Jochen bleiben noch eine Woche) und entern zu Viert das Terminal. In einem recht sterilen Snack-Schuppen setzen wir uns zu einem letzten gemeinsamen Mittagsmahl an einen Tisch, dann aber wird es Zeit für den endgültigen Abschied. Annette und Jochen müssen weiter – sie wollen heute noch nach Botswana – und Heinz und ich sollten allmählich mal einchecken. Wir drücken uns innig, dann gehen wir unserer Wege. Unsere Freunde hinaus in den Regen,

Das Wasser versickert langsam
Dieses Chaos muss gepackt werden
Regenpause = Jetzt schnell packen!










Heinz und ich hingegen treten die weite Rückreise nach München an, die, und da habe ich erneut Einschieh im Verdacht, verdammt anstrengend werden soll: am Check-In stehen wir natürlich wieder in der langsamsten Schlange, die schwarze Airline-Lady mit den schweren, schläfrigen Lidern ist ein echtes Retard-Modell… Als wir endlich drankommen, lege ich unsere Papiere auf den Tresen, die mit quälender Langsamkeit umsortiert werden. Erst als die Schnecke die Hand zur Tastatur bewegt und im Adler-Such-System die ersten drei Tasten angeschlagen hat, tue ich meinen Wunsch nach einem Gangplatz kund. Im Zeitlupentempo hebt sie den Kopf, sieht mich behäbig an und meint: „Too late, Madam, I already booked you.“ Was? Wie? Und vor allen Dingen, wann? Scheiße, da hat uns die Trantüte völlig unbemerkt und in Lichtgeschwindigkeit für alle zwei Flüge in die Mitte einer Viererreihe gesetzt! Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu! Doch das hilft jetzt alles nichts mehr, wir müssen da durch. Der Flug Windhoek-Johannesburg geht noch, er dauert ja nicht lange, dann aber wird es wirklich grottig. Man könnte es auch als sitznachbarlichen Super-GAU des Langstreckenfluges bezeichnen. Neben mir sitzt ein Typ Frau, den ich allein aufgrund der schieren Optik sofort in eine bestimmte Schublade stecke. Zu recht, wie sich sehr bald herausstellt. Die „Dame“ hat gefärbte, rabenschwarze, strähnige Haare, ein Ansatz undefinierbarer Farbe zeigt sich zentimeterbreit am Scheitel, ihre Gesichtshaut ist, wahrscheinlich wegen eines dauerhaften Überangebotes an freier Zeit, sonnengegerbt und ähnelt einem Lederapfel im Frühling, lässt sie aussehen wie Mitte vierzig, obwohl sie sicher erst um die dreißig ist. Sie trägt eine schwarze Lederjacke, die nicht nur gebraucht aussieht, sondern auch so riecht. In unseren Gefilden treiben sich derlei Frauen gerne in Parks oder an Endhaltestellen herum, führen zumeist struppige Köter mit sich, die rotweiße Tücher als Halsband tragen, während sich Frauchen um zehn Uhr morgens schon die erste Flasche Augustiner Hell einpfeift und sich mit einem ungepflegten Charly lauthals streitet. Und tatsächlich: wir sind noch nicht gestartet, als von weiter hinten so ein Charly antanzt und von der raustimmigen Lady unfreundlich gebeten wird, ihr doch bei der Saftschubse endlich einen Whisky zu organisieren; oder besser gleich mehrere. Bingo!

Heinz hat es nicht besser getroffen: seine Sitznachbarin ist eine pikiert wirkende, aufgedonnerte Trulla Mitte dreißig, die einen Hausanzug aus Nicky-Stoff und hellblauen Lidschatten trägt und in einer Wanne schwersten Parfums gebadet haben muss. Ihre strassverzierten Kunstkrallen und der protzige Goldschmuck lassen bei mir die nächste Schublade aufgehen. Russin, Goldener Arsch. Letzteres bezeichnet in unserem Sprachgebrauch eine zweite Ehefrau, zu deren Gunsten die erste, langgediente entsorgt wird. Meist ist der Goldene Arsch um vieles jünger als die alte Alte, stammt, der anhaftenden Exotik und vermeintlichen Anspruchslosigkeit wegen, aus einem anderen Kulturkreis, wird nach Strich und Faden verwöhnt und entwickelt sich in der Folge immer mehr zur fordernden Zicke. Und schon wieder bingo! In der Reihe vor uns sitzt ein glatzköpfiger, schmerbäuchiger Sechziger, der offenbar zu Heinz’ Nachbarin gehört. Als die Anschnallzeichen erlöschen, ordert er reichlich Wodka für die Tusnelda, holt ihre Handtasche aus dem Gepäckfach, wartet, bis sie fünf Tabletten mit dem Alkohol hinuntergespült hat, verstaut das Täschchen wieder und deckt dann die Holde mit einem mitgebrachten Flauschedeckchen zu. „Schlaf gut, Schatzi!“, flüstert der Gatte zärtlich. „Weißt du, dass iccccch niccccht schlafän kann in Flugzeig!“, ranzt Schatzi zurück. Spricht’s und fällt augenblicklich in tiefen Tabletten-Wodka-Schlaf, während meine Sitznachbarin bereits süße Whisky-Träume träumt und vernehmlich schnarcht. Wie festgetackert verbringen Heinz und ich die nächsten neun Stunden, gefangen von zwei Schnapsdrosseln. Ich schwöre mir, nie, nie wieder in Urlaub zu fliegen…

Afrika 2013

Reiseroute März/April 2013

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Südafrika

11.3.2013 - Ankunft in Kapstadt; Oatlands Holiday Ressort
12.3.2013 - Kapstadt: Chapman’s Peak Drive; Tafelberg; Pinguine
13.3.2013 - Kapstadt > Tankwa Karoo NP; Skaapwagterspos
14.3.2013 - Kapstadt > Tankwa Karoo NP; Skaapwagterspos
15.3.2013 - Tankwa Karoo NP > Vanrhynsdorp; Sukkulentengärtnerei
16.3.2013 - Vanrynsdorp > Knersvlakte
17.3.2013 - Vanrhynsdorp > Namaqua National Park, Koringkorrel
18.3.2013 - Namaqua National Park, Koringkorrel > Skilpad Rest Camp
19.3.2013 - Namaqua National Park > Richtersveld National Park, Potjiespram
20.3.2013 - Richtersveld National Park, Potjiespram > Kokerboomkloof
21.3.2013 - Richtersveld National Park, Kokerboomkloof, Rundfahrt Park

Südafrika > Namibia

22.3.2013 - Richtersveld National Park, Kokerboomkloof > Namuskluft Rest Camp
23.3.2013 - Namuskluft Rest Camp > Tiras Conservancy, Tiras Gästefarm
24.3.2013 - Ruhetag auf Tiras
25.3.2013 - Tiras Gästefarm > Namib Naukluft National Park, Naukluft Campsite
26.3.2013 - Namib Naukluft National Park, Wandertag
27.3.2013 - Namib Naukluft National Park > Windhoek, Urban Camp; Shopping


Namibia > Botswana

28.3.2013 - Windhoek > Ghanzi, Thakadu Camp
29.3.2013 - Ghanzi > Central Kalahari Game Reserve, Motopi Pan
30.3.2013 - CKGR, Motopi Pan > CKGR, Sunday Pan
31.3.2013 - CKGR, Sunday Pan, Ruhetag
1.4.2013   - CKGR, Sunday Pan > Gweta, Planet Baobab
2.4.2013   - Gweta > Kasane, Senyati Safari Camp
3.4.2013   - Kasane > Victoria Falls, Victoria Falls Rest Camp; Shopping, High Tea


Botswana > Zimbabwe

4.4.2013   - Victoria Falls; Besuch der Fälle > Hwange National Park, Sinamatela Camp
5.4.2013   - Hwange National Park, Sinamatela Camp > Hwange National Park, Shumba Camp
6.4.2013   - Hwange NP, Shumba Camp > Hwange National Park, Main Camp
7.4.2013   - Hwange National Park, Main Camp > Musina, Elephant Inn

Zimbabwe > Südafrika

8.4.2013   - Musina > Johannesburg, Heimflug


7.900 Kilometer durch vier Länder

April 1967–März 2013, Vorbereitungen

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Jeder Mensch muss seinen Weg gehen, ob er will oder nicht. Wo dieser Weg endet, das wissen wir alle, welch verschlungene Routen er bis dorthin allerdings nimmt, ist nicht vorherzusehen. Oft aber werden schon in frühester Kindheit Grundsteine für den groben Streckenverlauf gelegt – ein Verlauf, der zwar stets variabel bleibt, die Lebenstour in gewisser Weise jedoch positiv beeinflussen, mannigfaltig fächern, bereichern und, im Idealfall, sogar mehrspurig machen kann. Meine Eltern haben genau dieses Kunststück geschafft und mir mit ihrer Erziehung und Liebe unzählige Perspektiven und „Fahrspuren“ eröffnet. So düse ich heute mit guter Bodenhaftung auf meiner Haupt-Pad dahin, Stoßdämpfer mildern so manche Unebenheit des Lebens, ein inneres Navi manövriert mich aus hinterhältigen Sackgassen, es gibt eine Panoramastraße, Parkplätze, Tankstellen, attraktive Umwege und – ganz wichtig – eine Erholspur. Diese wurde mir praktisch in die Wiege gelegt: die extreme Naturverbundenheit meiner Eltern, ihre Detail- und Erklärungsfreude und, nicht zuletzt, ihre reichhaltige Bibliothek, prägten mich von Anfang an. Ich konnte noch nicht lesen, da steckte ich schon mit der Nase tief in Tier- und Pflanzenbüchern, in Grzimeks „Serengeti darf nicht sterben“ und „Kein Platz für wilde Tiere“, fuhr mit meinen Kleinkinderfingern begeistert auf der Weltkarte umher. Sehr früh schon reifte so in mir der Traum von Afrika, das mir bereits damals als Garten Eden dessen erschien, was ich so sehr liebte: Tiere und Pflanzen.

Der Traum blieb allerdings noch lange Zeit ein solcher, denn vor dreißig, vierzig Jahren zählte eine Afrikareise durchaus nicht zum Standardprogramm eines Durchschnittstouristen – es war fern, fremd, gefährlich, unerschwinglich. Dann endlich aber, mit fünfundzwanzig, erfüllte sich meine tiefe Sehnsucht – auf einer dreiwöchigen Südafrika-Tour mit meinem damaligen Freund, mit Zelt, Schlafsack und einem gemieteten, hellblauen City-Golf. Ich stieg in Johannesburg aus dem Flugzeug, atmete tief durch und wußte, meine Ahnung hatte mich nicht getrogen: ich war zuhause, in meiner zweiten Heimat, ich war angekommen. Dieses Gefühl von Geborgenheit umfängt mich nun jedes Mal, wenn ich afrikanischen Boden betrete, jedes einzelne Mal – und das seit über zwei Jahrzehnten. Und so wird es auch heuer sein, auf meiner zwanzigsten Afrika-Reise, einer Vier-Wochen-Jubiläums-Tour, die – mal wieder – eine ganz besondere sein wird und wie maßgeschneidert zu den speziellen Vorlieben passt, die sich in den letzten Jahren bei mir herauskristallisiert haben. Mit meinem Schneck Heinz und unseren beiden Freunden Annette und Jochen werde ich also die nächsten 28 Tage auf meiner ganz persönlichen Erholspur unterwegs sein: im Zickzack zu den Hotspots der Sukkulenten-Karoo, gipfelnd im Richtersveld, hinauf in die wundervolle Landschaft der Tirasberge, hinüber in die nahezu unendlichen Weiten der Zentralkalahari, weiter ostwärts zu den monumentalen Viktoriafällen und schließlich, in einem großen Bogen über den sympathischen Hwange Nationalpark, wieder hinunter, nach Johannesburg.

Allerdings wäre ich nicht das Kind meiner Eltern und Produkt ihrer detailverbundenen Erziehung, träte ich diese Tour einfach nur selig grinsend und voller Vorfreude an. Nein, so etwas bereite ich natürlich gründlich auf die mir eigene Art und Weise vor – eine Art und Weise, die meinen Reisegenossen so manches Schmunzeln entlockt… Unser Schwerpunkt liegt ja diesmal eindeutig auf der überbordenden Pflanzenwelt der Sukkulenten-Karoo, wozu Heinz und ich tonnenweise Fachliteratur besitzen. Leider sind die Bücher fast allesamt unhandlich, extrem gewichtig und sauteuer, somit also recht reiseuntauglich. Der eigentliche Hund jedoch liegt anderswo begraben: derartige Literatur ist meist nur in englischer Sprache erhältlich, englischer Fachsprache wohlgemerkt, und an der beiße ich mir regelmäßig die Zähne aus. Passagen wie die folgenden treiben mich immer wieder in den kapitulierenden Wahnsinn: „… cortex usually with, rarely without additional vascular bundles, bladder cells usually mesomorphic, rarely somewhat xeromorphic, mostly distinct…“ oder „Flowers in dense terminal dichasia, corolla urceolate…“ oder „The glabrous leaves have hydathodes scattered over the entire surface. Compare peculiaris: Leaves petiolate, ovate to elliptic, hirsute…“ Was genau heißt jetzt das, wie muss man sich das in der Praxis vorstellen? Doch es gibt, Larry Page sei Dank, beinahe nichts, wofür man im Internet nicht eine probate Lösung finden würde, nun ja, zumindest eine semi-probate. Nach langer Recherche fische ich tatsächlich eine ellenlange Liste aus dem hintersten Winkel des Web: botanische Fachbegriffe und deren Erklärungen – alles auf englisch. Meine Freude währt allerdings nur kurz, denn diese explanativen Ausführungen stellen mich vor das nächste, altbekannte Problem; auch sie ergießen sich mit angelsächsischem Fachchinesisch in mein sperriges Hirn und ich verstehe nach wie vor nur Bahnhof. Kurzerhand kaufe ich mir deshalb einen 1.600 Seiten starken „Bio“-Langenscheidt, bereite die englische Liste tabellarisch auf und verbringe die nächsten Wochen damit, zwei leere, extra zu diesem Behufe angelegte Spalten zu befüllen: deutscher Fachbegriff, deutsche, verständliche Erklärung. Zur weiteren Verdeutlichung erstelle ich einen Anhang mit zweisprachig beschrifteten Abbildungen aller erdenklichen Blattformen, Kelchquerschnitte, Blütendiagramme, Taxonomiebäume, Blütenanordnungsformen… Es folgen weiterhin 24 Seiten Speziesliste Knersvlakte, 38 Seiten Speziesliste Namaqualand/West Coast Nationalpark, Detailkarten verschiedener Vegetationszonen, hilfreiche Kontaktadressen für all unsere Reisestationen und – last but not least – ein Paar Knieschützer zum gepflegten Umherrobben nebst einer kleinen Sprühflasche, mit der ich die hygrochastischen Eigenschaften der Samenkapseln von Aizoaceen erforschen will, ohne meine kostbare Spucke vergeuden zu müssen. Heinz bleibt die Spucke ob dieses Präparationswahnsinns schon im Vorfeld beinahe weg, aber ich finde es klasse und packe meine Spezial-Mappe mit gutem Gefühl und zwei ausgewählten, handlichen Fachbüchern ins Handgepäck. Können wir jetzt endlich fahren?


Was man halt so braucht: Literatur, Kartenmaterial, Knieschoner, Sprühflasche

und was ICH so brauche...  ;-)


10./11. März 2013, München > Kapstadt

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Können wir! An einem regnerisch-kalten Sonntag machen wir uns auf den Weg zum Münchner Flughafen, wo unser Turkish Airlines Flug zunächst nach Istanbul und von dort aus nach Kapstadt abgeht. Wie immer entern wir natürlich erst mal das falsche Terminal und müssen, bei einsetzendem Regen, den riesigen Innenhof überqueren. Justament in diesem Augenblick fährt eine gewaltige Windböe unter das den Hof überspannende Dach und bläst uns einige schwere Werbeschilder um die Ohren. Hurtig flüchten wir uns in das andere Terminalgebäude, bevor unser Urlaub ein gewaltsames Ende findet, kaum dass er begonnen hat. Heil an Leib und Seele angekommen, bestätigt uns ein Blick auf die Uhr, dass wir noch genügend Zeit haben, Heinz’ Rucksack einschweißen zu lassen und einen Holiday Starter in Form eines Bieres zu uns zu nehmen. Danach schlendern wir gemütlich zum Check In, wo wir angesichts der sich dort stauenden Menschenmengen fast vom Glauben abfallen. Was geht denn hier ab? Nichts – so offenbaren uns die fünf Counter, die allesamt unbesetzt sind. Mhm, ich hatte ja schon bei der Buchung gewisse Ressentiments gegen die osmanische Fluglinie, sah vor meinem geistigen Auge mit zerfledderten Kartons vollgestopfte Gepäckfächer und von Ziegen und Hühnern bevölkerte Gänge… Gut, landwirtschaftliches Nutzvieh hat hier niemand dabei, Kartons hingegen sehe ich en masse, leider aber kein Personal. Das ändert sich erst nach 45 Minuten, in denen wir uns die Beine in den Bauch stehen, während die Schlange hinter uns immer noch länger wird. Zehn Minuten vor Gateschluss geht endlich der erste Ruck durch die stetig nervöser werdende Passagierschar und langsam, ganz langsam nähern wir uns den Countern. Noch zwei Schleifen, noch eine, und wir sind dran! Mit Bordkarten bestückt eilen wir erleichtert zum Gate, wo wir jedoch erneut warten müssen – auf den Rest der Fluggäste und das Check-In-Personal, das uns durch die Schleuse ins Flugzeug lassen soll. Mit einer Stunde Verspätung schließlich sitzen wir doch im Flieger, nach weiteren zwanzig Minuten findet sich ein freier Slot und wir heben ab, Richtung Istanbul.

Mit Argusaugen beobachte ich nun das Treiben an Bord. Die Dame im Reisebüro nämlich überzeugte mich letztendlich mit dem Argument, die Turkish Airlines sei zum dritten Mal in Folge zur besten Fluglinie Europas gewählt worden und ich glaubte ihr nur zu gerne, denn dieser Gabelflug bot bei weitem die besten Konditionen – finanziell und verbindungstechnisch. Was ich nun aber erlebe, ist allenfalls als durchschnittlich zu bezeichnen; mit negativer Tendenz, denn der Service ist recht schleppend, das Bordprogramm reichlich einfallslos und der Sitzabstand, selbst für mich Zwerg, ziemlich eng. Doch ich will mal nicht so sein – immerhin sind keine Hühner und Ziegen im Flieger – kuschle mich an Heinz, der sich, durch das Abflugsbier leicht beschwingt, königlich über das türkischsprachige Bordmagazin mit der hohen Ü-Dichte amüsiert, und freue mich auf unseren Urlaub, auf unsere Tour, die morgen in Kapstadt beginnen wird. Morgen. Denn erst mal liegen noch ein Umstieg und eine Langstrecke über Johannesburg vor uns.

Ein akzeptables Essen und einen langweiligen Film später landen wir in der türkischen Metropole, deren Lichtermeer richtig einladend wirkt. Rasch durchqueren wir den quirligen Transitbereich und statten den Toiletten einen Besuch ab, die leider nicht so einladend sind, denn man sieht ihnen die „Quirligkeit“ deutlich an. Vor allen Dingen dem Herrenklo… Heinz ist wirklich kein Etepetete-Typ, aber er ist sichtlich angeekelt von den klebrigen Flecken rund um die Pissoirs, die höchst unzweideutiger Herkunft sind, wie ihm ein Mit-Pisser anschaulich demonstriert: der einheimisch wirkende Herr versprüht sein Zielwasser in großzügigem Radius um die Porzellanschüssel herum und frönt zudem noch einer orientalischen Unsitte. Beim Verstauen seines besten Stücks nämlich zieht er beherzt Schleim aus den untersten Winkeln seiner Lungenflügel und speit das Produkt in weitem Bogen neben seine Schuhspitze, bevor er, ohne sich die Hände zu waschen, das gastliche Örtchen pfeifend wieder verlässt. Na, Prost Mahlzeit! Doch dieser Flughafen hat noch mehr Leckerbissen zu bieten. Ganz besonders erwähnt sei dabei der Raucherbereich, der sich, extrem gut versteckt, hinter einer noblen Bar auf einer „Dachterrasse“ befindet. Freiluft, super! Denkste! Dieser Suchtpferch spottet jeglicher Beschreibung: ein etwa fünfundzwanzig Quadratmeter großer, heruntergekommener, völlig überfüllter Außenbereich, eingezäunt mit verrostetem Kaninchengitter und zerfledderten Stoffstücken – ein Ort, an dem man bei uns aus Tierschutzgründen wahrscheinlich nicht mal Tauben halten dürfte – wird dem nach Nikotin gierenden Homo fumificus offeriert. Selbst rauchen muss man hier aber gar nicht, denn bereits ein Atemzug unter der, aus unerfindlichen Gründen nicht abziehenden Dunstglocke genügt, um ausreichend Gift für die nächsten Stunden zu inhalieren. Heinz und ich nehmen deshalb schnellstmöglich Reißaus und markten stattdessen lieber noch ein paar Flaschen Selbstversorger-Wasser für den kommenden Flug ein, bevor wir, gen ein Uhr nachts, an Bord unseres gebuchten Interkontinental-Vogels gelassen werden.

Knapp zehn Stunden liegen nun vor uns, zehn Stunden, die zwar meinen persönlichen Eindruck von der Airline nicht verbessern, im Gegenteil, zehn Stunden, die wir aber immerhin einigermaßen bequem verpennen können, denn der Flieger ist, gerade in den hinteren Reihen, wo wir platziert sind, nicht voll besetzt. So ergattern Heinz und ich je zwei Plätze, auf denen wir uns nach dem Essen zusammenrollen und bis Sonnenaufgang durchschlummern. Generös, weil erholt und ausgeschlafen, verbuchen wir das nun servierte Frühstück unter der Kategorie gewöhnungsbedürftig, aber essbar, und beobachten nach unserer anschließenden Landung in Johannesburg, wie sich das Flugzeug leert. Wir hingegen dürfen sitzen bleiben. Neben dem Kosten- und Anschlusszeiten-Faktor war dies der dritte ausschlaggebende Grund für die Buchung des Turkish-Airlines-Pakets: unser Gepäck wird, ebenso wie wir, nicht ausgeladen und kommt somit auch nicht mit den Langfingern des johannesburg’schen Transitverladebereichs in Berührung. Das war uns die lumpige Stunde Wartezeit an Bord allemal wert, zumal uns ein Umsteigen, bei dem wir uns zwar die Füße hätten vertreten können, eine noch wesentlich längere Phase des ungeduldig-gelangweilten Herumlungerns beschert hätte. So aber heben wir nach 60 Minuten wieder ab und landen gut zwei Stunden später in Kapstadt, unserem endgültigen Ziel. Rasch sind die Einreiseformalitäten erledigt, das Gepäck (unversehrt und vollzählig) vom Band gepflückt und wir können uns auf die Suche nach der Wechselstube mit dem günstigsten Kurs machen. Schnell ist diese gefunden und wir werden von einem freundlich lächelnden Angestellten empfangen, der gerne unsere Barschaften entgegennimmt. Während er hinter seinem verglasten Tresen die für die Transaktion erforderlichen Daten in den Computer hackt, beginnt er ganz nebenbei einen kleinen Smalltalk: woher, wohin, zum ersten Mal in Afrika, etc.? Stolz berichte ich ihm von meinem Jubiläum und der geplanten Route, was er seinerseits ebenfalls mit Stolz auf sein gerne bereistes Land zur Kenntnis nimmt. Dann fällt ihm etwas Wichtiges ein: seit einiger Zeit gäbe es neue Randscheine, die sich durch das Konterfei Mandelas auszeichneten, und wenn wir, wie erwähnt, auch noch Namibia und Botswana bereisen wollten, bräuchten wir genau diese. Die alten Noten nämlich würden in den Nachbarländern nicht mehr akzeptiert. Das ist neu für uns. Umso dankbarer für diesen Hinweis nicken wir zustimmend und lassen uns die „Papier-Ränder“ auszahlen. Mit flinken Fingern zählt der Wechsler die Scheine vor unseren Augen ab; so flink, dass wir gerade noch mitaddieren können, nicht aber sehen, ob es sich dabei tatsächlich ausschließlich um neue Noten handelt. Doch wieso sollte er uns alte geben, hatten wir doch soeben ausführlich darüber gesprochen…? Flugs verstaut er den Stapel in einem Zip-Beutel, wir unterschreiben vielmals dankend und begeben uns dann in den Gastrobereich des Flughafens, wo wir auf die Ankunft unserer beiden Freunde Annette und Jochen warten wollen. Wir begutachten das reichhaltige Getränkeangebot und entscheiden uns für einen Laden mit halbgefrorenen Obst-Shakes, in dessen Sitzbereich wir uns erst mal gemütlich niederlassen. Die Auswahl ist wirklich riesengroß und macht es uns nicht leicht – Mango-Papaya-Red Berries oder doch lieber Apple-Pineapple-Coconut oder vielleicht eher Guave-Zitrone? Nach einer schwierigen Entscheidungsfindung hieve ich mich vorfreudig aus meinem Drahtsessel, um zur Bestellung zu schreiten – hier nämlich gibt es keinen Kellner, der von Tisch zu Tisch eilt, das Gewünschte notiert und auch serviert; hier ist Self-Service angesagt. Ich krame kurz in der Geldtüte, die ich in meinem Rucksack verstaut habe, ziehe einen passenden Schein hervor und gehe Richtung Bar, während Heinz beim Gepäck bleibt. Unterwegs drehe ich die Rand-Note hin und her – auf der Suche nach Mandelas Konterfei. Doch es ist nicht zu finden! Stattdessen blickt mich finster ein dunkelblauer Büffel an. Verflixt, das ist ein alter Schein! Okay, hier in Südafrika ist das ja kein Problem, in den Nachbarstaaten jedoch sehr wohl. Und hatten wir nicht vor einer Viertelstunde exakt dieses Thema mit dem Wechselknaben erörtert, jenem Experten, der uns höchstselbst genau auf diesen Umstand hingewiesen hatte???

Angenervt kehre ich mit unseren Getränken zum Tisch zurück und sehe mir gleich, im Schutze meiner Reisetaschenklappe, unsere frisch gewechselten Scheine an: Rhinos, Elefanten, Löwen, Büffel, Leoparden – ein wahrer Zoo tummelt sich da in unserem Beutel, die Mandelas hingegen sind in der Minderzahl; 70 Prozent alte Noten zu 30 Prozent neuen. Herrschaft, sprechen wir denn chinesisch? Seufzend genießen wir dennoch unsere köstlich erfrischenden Drinks in aller Ruhe, bevor wir erneut zur Wechselstube traben, hinter deren Glasscheibe uns schon erstaunt der Angestellte von vorhin entgegenblinzelt. Ist was nicht in Ordnung? Geduldig repetiere ich seine Informationen. Er nickt bestätigend. Noch geduldiger frage ich nun seine Erinnerungen bezüglich unserer Reiseroute ab, die er fast lückenlos wiedergibt, während er uns weiterhin ratlos ansieht. Erst als ich ihm unser Geldpaket aufgefächert in die Durchreichemulde lege und fragend auf den Tierpark deute, macht es Klick. Mit der flachen Hand schlägt er sich an die Stirn, entschuldigt sich und deckt uns anstandslos mit ersatzweisen Mandelas ein. Wir hätten doch nur was sagen müssen, murmelt er, sich irgendwie selbst widersprechend. Kein Problem, unser Fehler, strahle ich ihn an und meine das tatsächlich ernst, zumindest teilweise. Jetzt nämlich atme ich nicht nur afrikanische Luft, sondern weiß auch, dass ich wirklich da bin. Tja, ich habe meine Jubiläumstour wohl gleich mit einem saftigen Anfängerfehler begonnen. Und jeder, der schon mal in Afrika war, weiß, was ich meine: stelle erstens niemals eine Suggestivfrage, wenn du eine neutrale Antwort brauchst, fasse zweitens alles Besprochene nochmals zusammen, lasse es dir bestätigen und, drittens, kontrolliere das Ergebnis sofort. Bei Punkt zwei und drei habe ich gerade deutlich abgeloost – mit der entsprechenden Konsequenz. Aber schön, dass es Dinge gibt, die sich offenbar nie ändern…

Die alten und die neuen Scheine.










Nun sind wir aber wirklich ausreichend mit Mandelas bestückt, bedanken uns abermals herzlich und verlassen, hoffentlich zum letzten Mal, den freundlichen Wechsler, um kurz darauf in der Ankunftshalle nach Annette und Jochen Ausschau zu halten. Niemand da! Sicherheitshalber schicke ich eine SMS an Annette und erhalte postwendend Antwort: Wir sind schon hier! Augenblicke später sprinten die beiden eine Rolltreppe herab und wir fallen uns freudestrahlend in die Arme. Schwatzend und erzählend transportieren wir anschließend unser Gepäck zum Parkhaus, wo der Land Rover unserer Freunde steht, verstauen alles und stürzen uns wohlgemut in das Verkehrsgetümmel der Großstadt am Kap. Doch wie wollen wir fahren? Die östliche Südroute über die Küste oder lieber die westliche über den Ou Kaapse Weg? Uih, ja! Ich bin sofort Feuer und Flamme für Route zwei, denn hier kommen wir durch das Silvermine Nature Reserve, das ich in schönster Erinnerung habe – Fynbos vom Feinsten! Und wir werden nicht enttäuscht: nachdem wir den Settlers Drive mitsamt seinem dichten Feierabendverkehr hinter uns gelassen haben, tauchen wir ein in eine Welt voller kaptypischer Pflanzen. Dicke Proteenknospen trotzen nickend dem strammen Wind, mannshohe Erikasträucher leuchten in der Sonne, weiße Berzeliendolden setzen blendende Akzente inmitten eines wogenden Meeres elfenbeinfarbener Metalasiablüten und zwischen den Hügeln der Kaphalbinsel blitzt hin und wieder der blaugrüne Ozean hervor. Was für ein wunderschöner Anblick! Hingerissen lassen wir die einzigartige Landschaft an uns vorübergleiten und bedauern dabei ein wenig, heute keine Zeit mehr zu haben, uns hier näher umzusehen. Aber aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben – schließlich sind wir morgen auch noch da.

Noch ist es sonnig und warm
Aber die Wolken schieben schon
Straßenverkäufer mit Flamingos







Vorfreudig schrauben wir uns den alten Kapweg in südwestlicher Richtung wieder hinunter, durchqueren den windgeschützten Ferienort Sunnydale, biegen auf der Kommetjie Road nach Fish Hoek ab, wenden uns an der Küste nach rechts und erreichen bald darauf das lauschige Militärhafen-Städtchen Simon’s Town, wo wir heute übernachten werden. Hach, das ist wie Heimkommen, erst recht, weil dieser Ort vor über zwanzig Jahren Ausgangspunkt meiner allerersten Afrikareise war. Mein letzter Besuch des Küstenorts liegt nun sicher fünfzehn Jahre zurück, aber es ist, als wäre die Zeit hier stehengeblieben. Nur wenig hat sich verändert, zumindest auf den ersten Blick. Mit glänzenden Augen schmiege ich mich an Heinz und drücke ihm mein überbordendes Zuhause-Gefühl aufs Ohr: kuck mal, den Buchladen gibt es immer noch und dort ist die Metzgerei, in der ich mein erstes Straußenfilet gekauft habe, da drüben, das ist der Laden von Herrn Patel, dessen Sortiment mich aus der Gepäckverlust-Misere gerettet hat, links runter, da geht es zu den Pinguinen und jetzt kommt gleich der Golfplatz mit den windverkrüppelten Bäumen. Heinz, für den hier alles neu ist, der meine Erzählungen aber hinreichend kennt, freut sich liebevoll lächelnd mit mir, während Annette und Jochen staunen, an wie viele Dinge ich mich noch erinnern kann. Auch den Ort, den wir kurz darauf erreichen, habe ich natürlich nicht vergessen; es ist das Oatlands Holiday Ressort, auf dessen terrassenartig angelegten Campsites wir in unseren anfänglichen Afrika-Jahren stets die erste Nacht verbracht hatten. Heute jedoch müssen wir nicht zelten, denn Annette und Jochen haben, des wankelmütigen Kapwetters wegen, einen Bungalow angemietet. Eine gute Entscheidung, so zeigt sich jetzt, in der gerade einsetzenden Abenddämmerung: über die Tafelberge hinter uns schieben sich dichte graue Wolken, die Temperatur sinkt schlagartig und der allgegenwärtige Wind frischt ungemütlich-böig auf. Rasch nutzen wir das noch verbleibende Tageslicht, transportieren unser Gepäck in den Bungalow und richten uns dort häuslich ein. Das allerdings ist leichter gesagt als getan: unser Auto nämlich mussten wir unterhalb der kleinen Wohneinheit abstellen – eine Treppe fehlt – und nun das ganze schwere Zeug über einen hüfthohen Absatz und ein Holzgeländer hieven, was gesamtlogistisch wenig prickelnd ist. Als noch unprickelnder allerdings stellt sich der Bungalow selbst heraus, dessen heruntergekommener Zustand mich leicht schockiert. Abgewohnte Pressspan-Möbel verunzieren die beiden winzigen Schlafzimmer, eine ungepflegte, schlecht ausgestattete Küche verströmt wenig Wohlfühl-Atmosphäre und ein extrem zweckmäßiges Bad heißt uns verschämt mit tropfenden Armaturen willkommen. Gut, wir bezahlen zu Viert nur achzig Euro pro Nacht, was für eine feste Behausung direkt am Kap vergleichsweise günstig ist, doch mehr möchte man für die Bruchbude auch beileibe nicht ausgeben. Dennoch sind wir heilfroh, nicht im Zelt nächtigen zu müssen, denn jetzt, da es vollends dunkel ist, fegt ein eiskalter Wind über uns hinweg, der so heftig ist, dass wir unser geplantes Grillfeuer trotz eines Windschutzes nicht entfachen können. Ersatzweise braten wir deshalb unsere Steaks in einer klebrigen, verbeulten Pfanne und machen es uns am inhäusigen Küchentisch so gemütlich wie eben möglich. Das wiederum funktioniert sogar ganz gut, denn die Beleuchtung ist eher unterdimensioniert und schmeichelt somit dem Inneren des Chalets…

Metalasia-Büsche am Straßenrand
Erste Sicht aufs Meer
Empfangsbierchen







Nach dem Essen wagt sich Jochen zum Rauchen vor die Tür und wird Zeuge einer befremdlichen Aktion. „Kommt, das müsst ihr euch ansehen!“ Gespannt folgen wir ihm auf die Terrasse und kommen in den „Genuss“ eines ganz besonderen Schauspiels: ungefähr acht Bungalows weiter hat ein notorischer Grill-Pyromane den Kampf mit dem stürmischen Wind aufgenommen und ein loderndes Feuer entzündet. Hektisch fauchend züngeln die Flammen aus der spiritusgetränkten Holzkohle, allerdings nicht in die Höhe, sondern in die Waagerechte, und kommen dabei immer wieder der Holzbalustrade gefährlich nahe. Und jedes Mal, wenn eine besonders heftige Böe in die Glut fährt, fliegt ein Regen glühender Funken auf das benachbarte Reetdach. Man kann es echt übertreiben! Schaudernd ob der ungemütlichen Kälte und der südafrikanischen Braaiomanie ziehen wir uns wieder in unser Chalet zurück, wo wir nur noch das Nötigste aus dem Gepäck hervorkramen und uns anschließend in die bedenklich knarrenden Betten zur Nacht zurückziehen. Möge es bitte kein Großfeuer geben…
















12. März 2013, Kapstadt: Chapman’s Peak Drive, Tafelberg (Teil 1)

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Glück gehabt, das Ressort steht noch! Allerdings rüttelte der Wind die ganze Nacht am Bungalow und pfiff durch dessen leicht undichte Fenster. Diese fast anheimelnde Geräuschkulisse wurde jedoch durch eine weitaus imposantere, immens störende überboten: Heinz und ich hielten uns gegenseitig durch dezibelstarkes Geschnarche wach, dem wahrscheinlich auch noch der letzte Baum der Kaphalbinsel zum Opfer gefallen ist… Dementsprechend zerknittert und unausgeschlafen krabbeln wir jetzt, am frühen Morgen, aus unseren quietschenden Betten, lassen uns den Tag aber nicht vermiesen, sondern inspizieren erwartungsvoll das Wetter: blauer Himmel, die Sonne scheint freundlich, doch der kalte Wind hat leider nur wenig von seiner Vehemenz verloren und treibt uns schnell ins Chalet zurück. Bei einem ausgiebigen Frühstück beraten wir anschließend über unser Tagesprogramm, das zahlreiche Optionen bietet, die jedoch allesamt recht wetter- bzw. windabhängig sind. Das macht die Sache ein wenig schwierig. Doch nicht nur das heftige Geblase erschwert die Entscheidungsfindung, auch die Unentschlossenheit meiner Reisegenossen trägt nicht gerade zu einer raschen, wetterfesten Planung bei. Annette äußert als einzige einen Wunsch, nämlich den, die Pinguine zu besuchen, Heinz und Jochen hingegen halten sich vornehm raus und so bin ich, als vermeintlicher Kap-Experte, ganz schnell in der „Sag-doch-du-mal-Position“. Nun gut.

Sandstrand von Kommetjie
Blick auf Hout Bay
Aussicht Chapman's Peak Drive










Unter Berücksichtigung der Wunschäußerung zimmere ich einen Vorschlag, den ich meinen Freunden sogleich unterbreite: „Wir könnten erst den Chapman’s Peak Drive fahren, da hat man bei diesem klaren Wetter sagenhafte Ausblicke auf Noordhoek und Hout Bay. Dann sind wir eh schon auf halbem Weg zum Tafelberg und, wenn der Wind sich bis dahin gelegt hat, böte sich eine Fahrt mit der Seilbahn an. Das würde ich wirklich gerne machen, denn ich war noch nie da oben. Und nach der positiven Erfahrung mit meinem persönlichen Horrorziel Sossusvlei fühle ich mich sogar diesem touristischen Highlight samt Menschenansturm gewachsen! Wenn die Bahn nicht fährt, könnten wir um den Berg rumkurven und stattdessen den Kirstenbosch Botanical Garden besuchen. Der liegt relativ windgeschützt und ist sehr sehenswert. Oder wir wandern ein Stück Richtung Tafelberg rauf, um wenigstens einen kleinen Blick auf die dortige Flora werfen zu können. Danach nehmen wir den Ou Kaapse Weg zurück nach Simon’s Town und gehen dort Pinguine kucken. Danach müsste ich unbedingt noch schnell in einen ganz bestimmten Laden. Der nämlich führt Hooligan Kids-Klamotten und da wollte ich ein paar Sachen für meine Patentochter besorgen. Ja, und dann ist der Tage sowieso schon wieder vorbei. Was meint ihr?“ Ein einstimmiges Ja schallt mir entgegen – geht doch!

Gleich sind wir da!
Kurz vor der Talstation
Übersichtliche Besuchermenge










So also packen wir ein paar Kleinigkeiten zusammen und werfen uns voller Vorfreude ins Auto, das uns zügig Richtung Noordhoek bringt. Dort startet der bekannte Chapman’s Peak Drive, eine fast zehn Kilometer lange, sehr kurvenreiche Küstenstraße, deren spektakuläre Ausblicke schon die Kulisse für so manchen Werbespot stellte. Nicht weniger bemerkenswert ist die Entstehungsgeschichte dieser in den steilen Felsen gehauenen Panoramastraße, die sich in 114 Kurven hoch über dem Meer nach Hout Bay schlängelt: Anfang 1900 wurde der De Waal Drive auf der Ostseite des Kaps fertiggestellt, der Kapstadt City endlich bequem mit den südlichen Vorstädten verband. Diese Strecke fand so großen Anklang, dass man überlegte, ein Pendant auf der westlichen Seite der Kaphalbinsel zu bauen; die Idee für den Chapman’s Peak Drive war geboren. Geologen suchten sogleich nach einer geeigneten Strecke und wurden fündig. Der Steilküste zwischen Noordhoek und Hout Bay, die vorwiegend aus 630 Millionen Jahre altem, extrem hartem Granit besteht, liegt nämlich eine weichere Sedimentschicht auf, die eine relativ gute Bearbeitbarkeit versprach. Relativ, denn die Arbeitsbedingungen hoch über dem Ozean waren nichtsdestotrotz schwierig bis lebensgefährlich. Praktisch, dass man jede Menge Straf- und Kriegsgefangene für diese riskante Tätigkeit zum Einsatz bringen konnte… Und sie machten ihre Arbeit gut – nach siebenjähriger Bauzeit, im Jahre 1922, konnte die Westtangente endlich eröffnet werden und wurde sofort mit Begeisterung genutzt. Allerdings gab es immer wieder Bergrutsche und Buschbrände, die kurzfristige Sperrungen erforderlich machten, der Straße aber nicht nachhaltig schadeten. Ende 1999 jedoch kam ein Bergrutsch herab, der den Drive zum Großteil verschüttete und zerstörte. Und diesmal wurde die Strecke gezwungenermaßen bis auf weiteres gesperrt, denn sie war unbefahrbar und lange konnten keine ausreichenden Mittel für die kostenintensive Instandsetzung aufgetrieben werden. Zwei Jahre später dann fand sich doch ein Privatinvestor, der 150 Millionen Rand in die Sanierung der Straße und den Ausbau weiterer Sicherungsmaßnahmen steckte. So wurden zum Beispiel ein 155 Meter langer Lawinen-Halbtunnel errichtet, vier Kilometer stählerne Steinfangnetze verbaut, zehn Tonnen Asphalt verwurstet und der brüchige Fels fachgerecht stabilisiert. Ziemlich genau vier Jahre nach dem verheerenden Bergrutsch konnte der Chapman’s Peak Drive schließlich in neuem Glanze wiedereröffnet werden – diesmal allerdings als Mautstraße; irgendwie muss die investierte Kohle ja wieder reinkommen. Und kaum haben wir Noordhoek verlassen, stoßen wir auch schon auf das Kassenhäuschen, wo man uns 33 Rand abknöpft – vergleichsweise wenig, finde ich, wenn man den Sanierungs- und Instandhaltungsaufwand dagegenhält. Doch uns soll es recht sein.

Heinz in freudiger Erwartung
Da geht es rauf!
Blick nach unten










Gespannt durchfahren wir die hochgeklappte Schranke und steuern erwartungsfroh der Küste entgegen. Die Ausblicke, die sich uns nun auf den folgenden Kilometern bieten, sind jeden einzelnen Rand wert: das Meer liegt ruhig wie ein dunkelblaues Samttuch unter uns, Kommetjie schmiegt sich an einen endlos langen, weißen Sandstrand, jede Kurve ändert die Sicht auf die hufeisenförmige Bucht von Hout Bay und zu unserer Rechten sprießen immer wieder interessante Pflanzen aus engen Felsritzen. Genussvolle Minuten später erreichen wir Hout Bay, durchqueren den Ort in westlicher Richtung, schlängeln uns weiter an der dicht besiedelten Küste entlang und schrauben uns zu guter Letzt hinter Camps Bay rechts den Berg nach oben, der Talstation der Seilbahn entgegen. Ich wollte ja unbedingt hier her, dennoch ziehe ich jetzt instinktiv, in banger Erwartung riesiger Touristenscharen, den Kopf ein. Das aber ist völlig unnötig, denn wir fahren und fahren und können bald darauf unser Auto, ganz bequem, beinahe in Sichtweite der Talstation parken. Oh weia, hier ist so wenig los, dass ich schon fast vermute, die Seilbahn sei aufgrund des Windes nicht in Betrieb. Doch schon wieder habe ich mir umsonst Sorgen gemacht, denn die beiden Gondeln verkehren munter, die Sonne strahlt und der Wind hat sich völlig gelegt. Absolutes Kaiserwetter!

Obligates "Droben-Foto"
Viel ist echt nicht los!
Chironia baccifera










Während Heinz und ich nun mit in die Nacken gelegten Köpfen fasziniert nach oben starren und Jochen noch im Auto kramt, saust Annette schon mal los, um Tickets zu besorgen. Zehn Minuten später ist sie wieder da und teilt die Billets freudestrahlend aus. „Super, ich musste fast nicht warten! Heinz, deines, Barbara, für dich und… Oh, Mist, jetzt habe ich doch tatsächlich nur drei gekauft!“ Rohrspatzend trabt sie erneut zum Kassenhäuschen. „Ich hab’ halt die letzten Wochen immer nur für drei Leute eingekauft. Jetzt muss ich mich wieder umstellen…“ Wie gut, dass heute Besucherflaute herrscht! So können wir eine Viertelstunde später alle zusammen, jeder mit einem Ticket bestückt, zu den Treppen marschieren, die zum Gondeleinstieg führen. Kurzes Stocken, dann geht es weiter und bei der nächsten Abfertigung dürfen auch wir mit einsteigen.

Notobubon galbanum
Penaea mucronata
Crassula coccinea










Ich weiß nicht genau, wie viele Passagiere es sind, die sich jetzt in die Gondel drängen (angeblich passen 65 Menschen hier rein), aber es ist wie überall, wo Menschen aufeinandertreffen: jeder sucht nach seinem Vorteil. So auch in dieser Situation. Wie die Geier hechten die meisten zum Rand der Kabine, dahin, wo die Fenster sind und von wo aus sie sich die beste Sicht versprechen. Was sie allerdings nicht zu wissen scheinen ist, dass diese Gondel eine sogenannte Rotair-Gondel ist, eine, wie es sie nur dreimal auf dieser Welt gibt. Das besondere an diesem Wunderding ist eine integrierte Plattform, die sich auf der fünfminütigen Fahrt einmal um 360 Grad dreht, sodass jeder Passagier die Gelegenheit hat, den Rundumblick in vollen Zügen zu genießen. Und aufgrund der sich drehenden Aussichtsscheibe ist es auch nicht erwünscht, direkt an den Fenstern zu kleben und an der Reling zu lümmeln. Da schau’n sie dumm, die Vorteilsgeier, als sie zurückgepfiffen werden! Als nun endlich alle Passagiere zur Zufriedenheit der Gondelführerin platziert sind, erhebt sich die Konstruktion in die Lüfte und schwebt mit einer erstaunlichen Geschwindigkeit von bis zu 10 Metern pro Sekunde der Gipfelstation entgegen. Nach fünf Minuten sind über 700 Höhenmeter, die wirkliche spektakuläre Ausblicke boten, überwunden und wir dürfen auf einer Höhe von 1067 Metern über dem Meer wieder aussteigen. Bei der Fahrt nach oben hatte ich übrigens stets die Hänge der Tafelbergs im Blick, denn ich wollte sehen, was da so wächst – die Ausbeute allerdings war leider recht ernüchternd. Nun aber, da wir die ersten Meter über das Plateau schreiten, ändert sich dieser Eindruck schlagartig: wir befinden uns hier in einem ganz eigenen Reich von Pflanzen, dem Cape Floral Kingdom, das mit einer Anzahl von 8200 Spezies das artenreichste der Welt ist und im Jahre 2004 zum Weltnaturerbe erklärt wurde. Das Plateau des Tafelbergs ist Teil dieses Pflanzenreiches und mit 1460 floralen Spezies, die dort oben unter recht widrigen Wetterbedingungen gedeihen, eine echte Schatzkiste der Natur.

Lasallia rubiginosa
Erica ericoides
Notobubon galbanum










Bereits nach wenigen Schritten, die uns von der gepflasterten Aussichtsterrasse Richtung Südosten führen, gehen uns die Augen und die Herzen über! Erikas in zig Variationen, Crassulas, Orchideen, Flechten, Proteen und andere phantastische Gewächse erfreuen unsere Sinne und versetzen uns in Staunen. Unglaublich, was hier alles gedeiht! Und wie gut alles organisiert und beschildert ist. Nein, damit meine ich nicht die Pflanzen, sondern die Wege, die die Besucherströme von der empfindlichen Vegetation fernhalten (sollen) und sie ihnen trotzdem sehr nahe bringen. Doch apropos Besucherströme: es stehen drei Rundgangsvarianten zur Verfügung, wovon wir natürlich die längste wählen, die aber mit ihrer ehrfurchtgebietenden Zeitangabe von sage und schreibe 45 Minuten offenbar die meisten Besucher abschreckt, so dass wir letztendlich relativ alleine unterwegs sind. Nun ja, nicht ganz alleine, aber es ist wirklich erträglich und ich bin, wie vor zwei Jahren in Sossusvlei, mal wieder positiv überrascht. Langsamen Schrittes bewegen wir uns staunend voran, von einer grünenden, blühenden Schönheit zur anderen, von denen die meisten endemisch sind, viele von ihnen sogar nur hier auf dem Plateau des Tafelbergs vorkommen. Leider hatte ich mich im Vorfeld noch nie wirklich eingehend mit Fynbos beschäftigt, wusste zwar, dass diese Vegetationsform sehr artenreich ist, dass sie aber so viel zu bieten hat, und das, obwohl wir außerhalb der Hauptblütezeit vor Ort sind, haut mich völlig von den Socken – und treibt mir den „Angstschweiß“ auf die Stirne. Holla die Waldfee, das wird harte Bestimmungsarbeit! Jetzt jedoch sind wir erst mal da und ich kann das Bestimmen ja noch vier Wochen vor mir herschieben. Außerdem, und das freut mich besonders, können wir das meiste zumindest schon mal mittelgrob zuordnen: Erikagewächse, die wir von heimischen Moor- und Heidelandschaften hinreichend kennen, existieren im Fynbos in einer fantastischen Farben-, Formen- und Größenvielfalt. Da sind kleine, unscheinbare Pölsterchen mit feinen marzipanweißen Glöckchen, geschmückt von satt magentafarbenen Staubgefäßen, etwas größere Pölsterchen, die sich in engen Felsritzen drängen und leuchtend pinkfarbene Blüten haben, aber auch hochgestielte Exemplare, deren feuerrote Blütenkelche wie lange Glocken anmutig nach unten hängen. Wir entdecken außerdem Crassulas, deren extrem symmetrischer Aufbau etwas unendlich Faszinierendes an sich hat, crassulaähnliche Pflanzen, die ebenso symmetrisch sind, aber einer ganz anderen Familie angehören und sogar Erikas, die crassuloide Wuchsformen zeigen. Ich krabble gerade fasziniert auf allen Vieren am Weg herum, womit ich erstaunte Blicke anderer Besucher auf mich ziehe, und fotografiere meine Symmetrieschätzchen, als Heinz begeistert aufquiekt und mich aufgeregt herbeiwinkt. „Eine Disa, kuck mal, eine Disa!“, schmettert er mir hocherfreut entgegen. Und tatsächlich: vor uns, direkt neben dem Weg, steht ein blaublütiges Prachtexemplar dieser Orchideenart. Sie ist wunderschön, selbst wenn man ihr nur einen flüchtigen Blick gönnt, betrachtet man sie aber aus der Nähe, offenbart sie ihre wahre Schönheit: drei zart violette Blütenblätter, ein schirmartiges oben und zwei flügelförmige unten, bilden den Rahmen ein für purpur-weiß gestreiftes Labellum, dessen Zentrum von zwei verschmelzenden, pistazienfarbenen Flecken übergekrönt wird. Wir sind hingerissen und fotografieren die floralen Schmetterlinge bewundernd von allen Seiten.

Disa graminifolia
Disa ferruginea
Edmonida sesamoides










Unser Tun scheint jedoch die Aufmerksamkeit diverser anderer Besucher zu erregen, die bis dato offenbar recht blind durch die Gegend gesteuert sind; allen voran eine asiatische Familie mit zwei kleineren Kindern. Mehr oder weniger unauffällig folgen sie uns und fotografieren alles, was auch wir der Bildermacherei für wert befinden. Bei manchem „Gestrüpp“ scheinen die Vier zwar komplett ratlos, was genau und warum wir da so angetan knipsen, das meiste aber ist so augenfällig und spektakulär, dass sie uns die nächste Viertelstunde quasi als Detektoren benutzen… Wir entdecken eine zartrosafarbene Gladiole und schwupp, schon sind sie da, Heinz findet eine hübsche Strohblume, zack, sind unsere schlitzäugigen Freunde ebenfalls zur Stelle. Immer drängender und dreister werden sie bei ihrer Verfolgung; sie fragen nicht, was da wächst, sie sprechen nicht mit uns, nein, sie folgen uns einfach nur in inzwischen höchst aufdringlicher Art und Weise. Als wir eine rote Orchideenart abseits des Weges aus dem Bewuchs leuchten sehen und Heinz dort hindeutet, hält sie schließlich nichts mehr. Wie der Blitz springen die Vier, bar jeglicher asiatischen Höflichkeit, vom Weg und trampeln durch die Botanik, um nur ja vor uns bei der grellfarbenen Blume zu sein. Jetzt reicht es aber! Wir rufen den Herrschaften hinterher, sie dürften die Wege nicht verlassen und sollten sofort zurückkommen. Doch wir ernten nur einen kurzen, verschreckt-irritierten Blick, dann hasten sie weiter. In ihrer Blindheit aber haben sie die meterweit leuchtende Blume aus den Augen verloren, wuseln hektisch in Greifweite an ihr vorbei, tauchen hinter einer Kuppe ab und verschwinden auf Nimmerwiedersehen.

Penaea mucronata
Leucadendron strobilinum
Proteen-Blätter










Meine Güte, was für ein unruhiges Gschwerl! Da spricht man immer von asistischer Zurückhaltung und Höflichkeit, das aber trifft ganz offensichtlich nicht auf alle Angehörigen dieser Volksgruppe zu. Wir für unseren Teil auf jeden Fall sind sehr froh, diese aufdringlichen Verfolger abgeschüttelt zu haben und wieder in aller Ruhe unsere Gewächse entdecken zu können. Und das tun wir ausgiebig. Doch nicht nur die Vegetation auf dem Tafelberg hat einiges zu bieten, wie wir immer wieder feststellen dürfen, auch die Tierwelt ist vielfältig und hochinteressant. Tiefschwarze Gürtelschweife sonnen sich auf den warmen Felsen und verrenken ihre kleinen Körper, um möglichst viel Wärme einzufangen. Immer wieder sind zudem wesentlich größere Felsagamen zu sehen, deren Körper hervorragend getarnt sind, die leuchtend türkisblauen Köpfe jedoch verraten sie auf schönste Art und Weise. Ebenfalls gut getarnt beziehungsweise prächtig gefärbt präsentieren sich zahlreiche Vögel, die jedoch allesamt recht scheu und, bevor man sie richtig sieht oder gar abdrücken kann, wieder verschwunden sind. Eines jedoch verschwindet nicht – die Aussicht! Je weiter die Zeit fortschreitet, je höher die Sonne steigt, desto klarer wird die Luft und, als wir die Hälfte des Weges hinter uns haben, breitet sich Kapstadt in voller Pracht zu unseren Füssen aus: die Table Bay liegt wie ein Bilderbuchausschnitt vor uns, zeigt uns ganz unverhüllt die Gipfel von Lion’s Head und Signal Hill, die ineinanderschmelzenden Orte der Bucht, den Hafen, das neue Fussballstadion, sogar Robben Island lässt sich erahnen! Was für ein Tag, was für ein Wetter und das, obwohl wir heute Morgen noch nicht allzu viel Grund zur Zuversicht hatten!

Rundblick über die ganze Bucht










Dass das Wetter eine unerwartet positive Entwicklung genommen hat, merken wir aber leider nicht nur an der phantastischen Aussicht, sondern auch an der zunehmend größer werdenden Besuchermenge. Besucher, die tatsächlich den „langen“ Weg auf sich genommen haben, aber ebenfalls größtenteils von asiatischer Unruhe besessen scheinen! Was da nicht alles umherwuselt: recht betagte Herrschaften, die sich ohne Gehstöcke kaum noch auf den Beinen halten können, Herrengruppen mit mottobedruckten Vereins-T-Shirts, Familien mit gelangweilten Kindern, wie wahnsinnig knipsende Hobbyfotografen und eine Vielzahl von kaltblütigen Sehenswürdigkeiten-Abhakern. Kaum einer dieser Menschen scheint sich jedoch für das zu interessieren, was, in unseren Augen, eines besonders ausgiebigen Blickes würdig wäre – nämlich die einzigartige Tier- und Pflanzenwelt hier oben. Das ist zwar extrem bedauerlich und tut mir fast persönlich weh, könnte uns aber eigentlich weitestgehend egal sein, wenn da nicht eine Sache wäre: die Touris sind so im Tafelberg-Wahn, dass sie uns permanent Vögel und Eidechsen verscheuchen, ohne es überhaupt zu bemerken und, noch schlimmer, in einer Tour von den Wegen abweichen und somit auf den wundervollen Pflanzen herumtrampeln. An einem Ort wie diesem jedoch ist das wohl leider der Normalzustand, der sich heute sicher noch in abgeschwächter Form präsentiert. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie das in der Hochsaison ist… Doch nein, ich bin schon wieder undankbar! Wir sind hier auf dem Tafelberg, DEM Besucherziel Kapstadts, und dürfen uns alleine dafür glücklich schätzen, ganz besonders aber auch für unsere relativ einsame Zeit hier oben. So also entfurche ich meine Stirne, die sich gerade vor Unmut über die Anwesenheit eines vorübertrampelnden, schwedischen Kegelclubs in albernen Vereins-Leibchen in tiefe Falten legen will und verinnerliche stattdessen das bisher Gesehene. Om! So fühle ich mich gleich relaxter und kann das nun Folgende weiter genießen: die Sonne steht schon recht hoch und wir machen uns auf den Weg zurück zur Gipfelstation, wo jetzt recht reges Treiben herrscht.

Agama atra
Cordylus niger
Onychognathus morio, m.










Trotzdem oder eben gerade deswegen gibt es auch da einiges zu beobachten: Vögel, die genau wissen, dass der Tisch hier immer gut gedeckt ist und entsprechend zutraulich sind, Klippschliefer, die sich völlig unbeeindruckt unterhalb der Terrassenmauer rekeln, Touristen, die total verschreckt von der so nahen Präsenz der Tiere kreischend die Flucht ergreifen und ein festliches Buffet, das bereits bei unserer morgendlichen Ankunft fertig aufgebaut in der prallen Sonne stand. Sage und schreibe drei Stunden später sind wir jetzt wieder hier, aber die opulent gedeckten Platten schmoren noch immer in der Hitze. Rosa Räucherlachs, bunte Meeresfrüchte, ehemals frisches Obst, vormals appetitlicher Aufschnitt und in geschmolzenem Eis steckende Sektflaschen brüten, heizen bei über dreißig Grad ungeschützt vor sich hin. Eine Serviceangestellte zieht gerade schwarze(!) Plastikfolien über die kostbaren Lebensmittel, die sicher für die Gäste einer Hochzeit oder eines runden Geburtstages bereitgestellt wurden. Die feierliche Gesellschaft jedoch ist leider nicht in Sicht. Sie sollten sich mal beeilen, denn das Essen wird bei dieser Behandlung nicht besser... Vielleicht aber weniger, denn auffallend viele geflügelte und bepelzte Lebewesen interessieren sich für die nahezu unbeaufsichtigten Lebensmittel. Und diese Momente sind ein erneutes Geschenk für uns: schamlos und völlig furchtfrei hoppelt ein Dassie am Buffet entlang, stürzen sich Glanzstare testhalber auf die noch ungeschützten Platten, stolziert eine Guineataube demonstrativ uninteressiert am Rande der das Buffet eingrenzenden Steinmauer entlang. All diese tierischen Besucher sind so menschengewöhnt, so zutraulich, so auf Futter fixiert, dass sie das menschliche Gewusel um sich herum scheinbar nicht zur Kenntnis nehmen. Scheinbar.

Monticola rupestris
Onychognathus morio,w.
Columba guinea










Denn in Wirklichkeit registrieren sie jede Bewegung, jedes zu Boden fallende Krümelchen, jede Sekunde der Unaufmerksamkeit. Voller Unschuld schleicht sich zum Beispiel der Klippschliefer an das Buffet heran (könnte er pfeifen, würde er das wahrscheinlich tun), witscht nahe an den Beinen einer dicklichen Touristin vorbei, die vor Schreck fast ihre Stulle fallen lässt, und sucht wachsam nach einer passenden Gelegenheit, unter die Frischhaltefolie zu schlüpfen. Drei Serviererinnen haben alle Hände voll zu tun, das zu verhindern... Ein paar Meter weiter sitzt ein älterer Herr auf der Terrassenmauer, hält einen Keksriegel in der Hand und blickt gedankenverloren in die Ferne. Ein vorwitziger Glanzstar nutzt die Gunst der Stunde und pickt eifrig an der Süssigkeit. Als der Mann das endlich bemerkt, zuckt er heftig zusammen und wirft anschließend die vom Vogelschnabel besudelte Leckerei in hohem Bogen von sich. Sehr zur Freude des Übeltäters und seiner Kumpanen, die nun im Sturzflug herbeibrausen und so manchen weiteren Touristen in Angst und Schrecken versetzen. Bei diesem vergnüglichen Treiben könnte ich wirklich stundenlang zusehen, doch ein Blick auf die Uhr legt uns ein Verlassen des Tafelbergs nahe, wollen wir unser heutiges Programm noch voll durchziehen. Und das möchten wir natürlich.



Weitere Impressionen des Tages:

Procavia capensis
Heinz genießt die Sicht
Protea cynaroides - Blätter











Procavia capenis
Aussicht in alle...
...Richtungen











Proteen-Blätter
Penaea mucronata
Penaea mucronata










Die Table Bay
Lion's Head
Am floralen Objekt










Nectarinia violacea, w.
Nectarinia violacea,m.
Helichrysum grandiflorum










Fahrt nach unten
Wehmütiger Blick zurück
Erica ericoides








Onychognathus morio,w.
Procavia capensis
Protea cynaroides
Erica abietina













Gladiolus brevifolius
Disa ferruginea
Erica plukenetii
Elegia sp,












Crassula coccinea
Annette und Heinz
Edmondia sesamoides
Penaea mucronata












Tafelberg von unten
Notobubon galbanum
Ich sehe was, was du...

12. März 2013, Kapstadt: Ou Kaapse Weg, Pinguine, Shoppen (Teil 2)

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Also nehmen wir schweren Herzens Abschied von diesem wunderbaren, unterhaltsamen Ausflugsziel, quetschen uns in die nächste abfahrende Gondel und genießen die Talfahrt, bevor wir das nächste Ziel ansteuern. Wir umrunden den Bergstock in nordwestlicher Richtung und biegen auf den Ou Kaapse Weg ein, der uns ohne rollenden Berufsverkehr heute endlich die ersehnte Chance bietet, hier mal anzuhalten. Bei einem besonders üppigen Metalasia-Busch stoppen wir, steigen aus, stürzen uns ins Gestrüpp und saugen die würzige Luft, die ganz typisch für die Fynbos-Vegetation ist, in unsere Lungen. Meine Güte, ist das schön hier! Leise wogen die weißen Blüten der Astern-Gewächse im sanften Wind, Insekten summen geschäftig umher und in der Ferne glitzert das Meer. Eigentlich wollten wir ja nun das Gelände etwas genauer erkunden, müssen aber feststellen, dass die Vegetation so dicht, der Bodenbewuchs so unübersichtlich ist, dass wir davon ablassen und einfach nur die Luft und den einzigartigen Ausblick genießen. Und Fynbos hatten wir heute ja schon im Überfluss - obwohl man davon nie genug bekommen kann. 

Stopp auf den Ou Kaapse Weg
Metalasia muricata
Metalasia muricata







So also klettern wir nach einer halben Stunde wieder ins Auto und kurven weiter, den Pinguinen entgegen, auf die sich Annette ganz besonders gefreut hatte. Ich hingegen stehe diesem Tagespunkt etwas zwiespältig gegenüber. Einerseits freue auch ich mich darauf, die befrackten Vögel nach fast zwanzig Jahren wieder mal besuchen zu dürfen, andererseits kann ich mich noch gut an damals erinnern. Da gab es noch keine Zäune, keine Holzstege, keine Aussichtsplattformen, die Pinguine bevölkerten den Strand und man konnte sich ohne Einschränkung zwischen ihnen bewegen. Wir saßen im Sand, stundenlang, und genossen die Gegenwart der putzigen Tiere, die uns bald nicht mehr beachteten. Heute, so habe ich gelesen, ist das alles ganz anders. Der geneigte Besucher darf Eintritt bezahlen, sich aber im Gegenzug nur auf extra dafür errichteten Holzstegen bewegen, fernab der Pinguine und der von mir erlebten Zweisamkeit mit den Tieren. Natürlich habe ich vollstes Verständnis für derartige Maßnahmen, die bei den heutigen Besucheranstürmen allein dem Schutz der Vögel gelten, dennoch kann ich mich noch immer nicht ganz damit befreunden, mein geliebtes Kap so verändert vorzufinden, so überlaufen, so touristisch.

Andrang am Strand
Andrang auf der Plattform
Tja, willkommen in Boulders!







Doch das ist der Lauf der Dinge und ich tröste mich damit, es anders, einsamer gesehen haben zu dürfen. Also werfe ich diese Gedanken an früher von mir und erfreue mich stattdessen an den strahlenden Gesichtern Annettes und Heinz’, als wir am recht vollen Parkplatz das Auto verlassen, den Weg zum Strand entlanggehen und, bald nach Durchschreiten des Kassenbereichs, die ersten Frackträger sehen. Nun ja, das mit dem Strahlen, das ist ab diesem Zeitpunkt nicht mehr ganz so einfach, denn, als wir den Schutz des Strandgestrüpps verlassen, weht uns eine derart stramme Brise entgegen, dass wir uns nach Sekunden bereits wie sandgestrahlt fühlen und heftig blinzeln müssen. Das sieht zwar nun wahrscheinlich ziemlich pessimistisch und verkniffen aus, entspricht aber nicht unserem wahren Empfinden. Auch meinem nicht! Die Pinguine nämlich sind so putzig, dass nicht mal der Zaun, die volle Besucherplattform meinem Genuss, sie wiederzusehen, einen Abbruch tun kann. Gottle, wie unbeholfen sie da rumwatscheln, wie gewandt sie sich hingegen im Wasser bewegen, wie die Nässe an ihren Federn abperlt, wie sie sich aufpumpen, um anschließend ihre kakophonischen Eselstrompeter ertönen zu lassen, wie unwiderstehlich plüschig ihre Sprösslinge aussehen! Ein bisschen gewöhnungsbedürftig allerdings ist der Umgang der erwachsenen Pinguine mit genau diesen flauschigen Jungtieren: sobald sie im Entdeckerdrang ihr elterliches Nest verlassen und ihren erwachsenen Nachbarn in die Quere kommen, gehen diese gnadenlos auf die Jungen los. Sie zwicken, sie kneifen, sie hacken, sie piesacken, so lange, bis das Fremdkind den eigenen Dunstkreis verlassen hat. Ohne Rücksicht auf Verluste, ohne Rücksicht auf eventuell entstehende Verletzungen.

Auch hier bläst der Wind!
Zärtliches Schnäbeln
Nachbarschaftsgekeife







Annettes Mutterherz ist zutiefst empört über diese Kindsmisshandlungen, Heinz und ich hingegen sehen das Ganze etwas gelassener, pragmatischer - schließlich kommt keiner der kleinen Wuschels wirklich ernsthaft zu Schaden und ein bisschen Erziehung hat auch noch keinem geschadet; vor allen Dingen, wenn einem eine Zukunft in einer dicht besiedelten Kolonie bevorsteht... Und dicht gedrängt leben die Tiere in Boulders, diesem einen, kleinen Strandabschnitt. Um die dreitausend sollen es sein, Nachkommen eines einzigen, einsamen Pinguin-Pärchens, das man erstmals 1983 hier vorfand. Ganz glauben kann ich das jedoch nicht, das mit dem einzelnen Vogelpaar, denn in diesem Falle hätte der zur Verfügung stehende Minimal-Genpool wohl bald zum Niedergang der Boulders-Familie geführt. Doch wie dem auch sei, wie auch immer diese Kolonie entstanden sein mag, unter offensichtlichen Erbkrankheiten oder Behinderungen, Merkmal der Inzucht, leiden die hier ansässigen Vögel sicher nicht. Auch benehmen sie sich ganz normal, soweit wir Laien das beurteilen können, und gehen lebhaft ihren täglichen Aufgaben und Pflichten nach. Diese bestehen unter anderem aus Futtersuche, Brutpflege, Reviergrenzenbehauptung, Nestverteidigung, lautstarker Partnersuche und natürlich dem Erhalt des Fortbestandes. 

Gewandt im Wasser
Unbeholfen an Land
Balance ist alles!







Und besonders den beiden letztgenannten Tätigkeiten gehen sie mit besonderer Inbrunst nach, wie wir auf unserem Rundgang immer wieder amüsiert feststellen dürfen... Es ist echt herzig, wie sich die etwa 60-70 Zentimeter großen Pinguine in Positur werfen, zu pumpen beginnen, ihren Kopf in den Nacken legen und dann markerschütternde, recht eselsartige Schreie vom Stapel lassen. Noch putziger jedoch ist ihre Paarung: zwei rundliche Körper, die sich nur mit Mühe aufeinander halten können und dabei angestrengt ihre kurzschwänzigen Popöchen gegeneinander pressen. Das sieht so sehr nach schweißtreibender Schwerstarbeit, nach kaum zu bewältigendem Balanceakt aus, dass man fast helfen möchte. Aber natürlich schaffen die Tiere es gut ohne unsere Hilfe, so, wie sie es seit Jahrtausenden ohne den Menschen geschafft haben.

Produkte des Balanceakts
Mein Haus...
... mein Auto!







Der Mensch hingegen, und das erleben wir auf dem Rückweg zum Parkplatz, wird mit der Gegenwart der Pinguine nicht in allen Fällen ohne Hilfe fertig: die Unterstützung einer extra ins Leben gerufenen Pinguin-Sheriff-Truppe wird von den Anwohnern von Boulders Beach zunehmend in Anspruch genommen, um aus dem Strandreservat ausgebüchste Tiere wieder einzufangen. Diese nämlich gehen gerne mal im Ort auf Wanderschaft, graben sich unter Zäunen und Hecken durch, besuchen offenstehende Häuser, stören die Ruhe mit ihrem durchdringenden Geschrei, verschandeln die gepflegten Straßen des Strandörtchens mit ihren Fäkalien und fühlen sich im Kanalsystem besonders wohl. Ob dieses Verhaltens werden sie mittlerweile von so manchem menschlichen Einwohner als Plage angesehen, eine Plage, der man gerne gründlich Herr werden würde. Doch die vom Aussterben bedrohten Pinguine stehen unter strengem Artenschutz und mehr, als die Vögel aus Häusern und Gärten zu vertreiben oder, eben in letzter Not, die Sheriffs zu rufen, ist den armen, geplagten Boulderanern deshalb nicht gestattet. Und das ist gut so, wenngleich ich die hier ansässigen Menschen auch ein bisschen verstehen kann. Für uns hingegen ist der Anblick watschelnder Frackträger, die aus Kanalrohren kommen, auf die Straße kacken, unter Autos verschwinden und Hecken mit ihren Buddelarbeiten zum Wackeln bringen, allenfalls etwas seltsam, grotesk und befremdlich. Allerdings sind derlei Konflikte zwischen Mensch und Natur auch bei uns zuhause nicht unbekannt, obschon weniger exotisch, doch meist ziehen da die Tiere den Kürzeren... Hier jedoch kümmert man sich hingebungsvoll um die befiederten Störenfriede und die Sheriffs haben an manchen Tagen alle Hände voll zu tun, die Ausreißer in Tragekartons wieder in ihr Reservat zurück zu bringen.

Blick auf Boulders "City"
Lycium ferocissimum
Sterna bergii







Und wir, nachdem wir uns hier ausgiebig umgesehen haben, sollten jetzt auch mal den Rückweg zu unserem Domizil antreten, natürlich nicht ohne den von mir gewünschten Schlenker in die Klamotten-Boutique gemacht zu haben. Zurück am Parkplatz, der sich übrigens mittlerweile beträchtlich geleert hat (auch die zahlreichen Andenkenverkäufer haben schon gepackt), zücke ich einen Stadtplan von Simon's Town und lotse uns zum Geschäft. Fünf Minuten später sind wir auch schon da, im Waterfront Centre, stürmen das Enkosi Africa und werden von einer freundlichen Dame, die den Laden gerade schließen wollte, trotzdem herzlich begrüßt. Ob sie uns helfen könne, fragt sie und ist ganz gerührt, als ich ihr von meinem Anliegen erzähle: wir seien aus Deutschland, berichte ich ihr, ich hätte ihr Geschäft im Internet ausfindig gemacht, und, weil sie die Einzige auf unserer ganzen Route sei, die Hooligan Kids führe, seien wir jetzt hier. Sofort zeigt die Lady mir den Ständer mit den Kinderklamotten, bedauert jedoch wortreich, dass dies nur noch Reste der Sommerkollektion wären; die Wintersachen seien noch nicht eingetroffen. Nicht wirklich schlimm, denn ich finde trotzdem ein süßes Kleidchen und ein lustiges T-Shirt für meine kleine Patentochter und bin ganz glücklich. Während ich anschließend, mit meiner Beute in den Armen, den Rest des Ladens inspiziere, kommen die Ladeninhaberin und ich ins Gespräch. Sie interessiert sich sehr für unsere Route, geht aber offenbar davon aus, dass wir uns ausschließlich in der näheren Umgebung Kapstadts herumtreiben wollen. Na ja, die Garden Route und den Krüger Nationalpark hat sie, um korrekt zu sein, auch noch im Programm. Umso größer werden ihre Augen, als ich ihr unsere geplante Strecke schildere. Knersvlakte? Skilpad Flower Reserve? Richtersveld? Nie gehört, wo ist denn das? Bei Botswana und Zimbabwe steigt sie dann endgültig aus und schüttelt nur noch ungläubig den Kopf. Die genannten Orte seien ihr zum größten Teil gänzlich unbekannt, gesteht sie mir, und ruft nun bei mir ungläubiges Kopfschütteln hervor. Wie kann man nur in einer solch wundervollen Gegend, einem so phantastischen Land wohnen und so gut wie nichts davon gesehen haben?! Gut, auch ich habe in Europa viele Orte noch nie besucht, doch wenigstens habe ich schon mal davon gehört und eine gewisse Vorstellung, wo das ist und wie es dort aussieht. Die freundliche Dame hingegen ist noch nie so richtig im eigenen Land herumgekommen, so bekennt sie etwas verschämt, und hätte sich auch nie besonders dafür interessiert. Meine Schwärmereien allerdings haben sie jetzt doch neugierig gemacht. „Vielleicht sollte ich doch mal ein wenig umherreisen!“, meint sie, schränkt aber sofort ein: „Heuer nicht mehr, denn nun kommt der schreckliche Herbst, dann der fürchterliche Winter und da ist es so kalt, dass ich am liebsten zuhause bleibe!“. Mhm, ich glaube ja fast, ihre bis dato nicht vorhandene Reiselust ist nicht wirklich jahreszeitenabhängig, sondern hat eher andere Gründe. Die jedoch gehen mich nun beileibe nichts an und es muss ja auch nicht jeder viel, gerne und oft in der Welt umherfahren…

Während ich shoppe...
... genießen die anderen...
... den Yachthafen







Ich hingegen habe, dank meiner Reiselust, in rund drei Wochen den High Tea in Vic Falls bestem Hotel vor mir, bin aber klamottentechnisch ziemlich unpassend ausgerüstet. Rasch frage ich deshalb die sesshafte Lady um Rat und werde sofort liebevoll beraten. Zehn Minuten später verlasse ich die Boutique, um ein paar Kinderklamotten, einen Batik-Kaftan und eine neue Bekannte reicher. „Barbara, bis nächstes Jahr! Dann erzähle ich dir, ob ich es tatsächlich geschafft habe, mir etwas von unserem schönen Land anzusehen. Es war toll, dich kennengelernt zu haben!“ Mal schauen, ob die Dame dann etwas zu berichten hat und – ob sie sich überhaupt an mich erinnert. Egal! Es war auf jeden Fall ein sehr nettes Einkaufserlebnis und ich bin hoch beglückt über die schnuffigen Kindersachen. Ob ich den Kaftan allerdings wirklich noch in Afrika tragen werde, entscheide ich besser erst, wenn es so weit ist. Ich stehe nämlich nicht so sehr auf Touristen, die sich in vermeintlich landestypische Kleidungsstücke werfen, genauso wenig, wie ich Norddeutsche in Dirndl und Lederhosen amüsant finde… Das jedoch ist wieder ein anderes Thema.

Nach einer herzlichen Verabschiedung verlasse ich also nun, mit zwei Plastiktüten beladen, das Geschäft und steuere flinken Schrittes auf den Parkplatz, wo meine Freunde schon ungeduldig auf mich warten und endlich, hungrig wie sie sind, zu unserem Bungalow zurückkehren wollen. Da kommen wir dann auch an, eine Viertelstunde später, klettern wieder über die Holzbalustrade, hadern erneut mit dem mittlerweile strammen Abendwind und beschließen den heutigen Abend genau wie den gestrigen: im leidlich warmen Inneren unserer Behausung, ohne Grillerfolge und mit frühem Zubettgehen.


 Weitere Impressionen des Tages:

Larus dominicanus
Sandgestrahlte Idylle
Anlanden und aufstehen





Hübsches Kerlchen
Vor der Wohnungstür
Postkoitale Zweisamkeit





Unter der Gartenhecke
Grabwespe
Metalasia muricata




Gefiederpflege
In seinem Element
Kleiner Flauschi
Großer Schnuffi

13. März 2013, Kapstadt > Tankwa Karoo NP, Skaapwagterspos

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Ausgeschlafen krabbeln wir am frühen Morgen aus unseren Betten, frühstücken, packen rasch unsere Sachen und machen uns vom Acker. Eine relativ lange Strecke liegt jetzt vor uns, rund 320 Kilometer, hinaus aus Kapstadt, rauf auf die N1, und dann weiter über Schotterstraßen Richtung Norden, Richtung Tankwa Karoo Nationalpark, dem ersten Ziel unserer Sukkulentengürtel-Reise, auf das wir alle schon sehr gespannt sind. Bevor wir unseren heutigen Übernachtungsort jedoch zu Gesicht bekommen, müssen wir noch allerlei Dinge erledigen und viele unbekannte Orte hinter uns bringen. Wohlgemut beginnen wir das Tagwerk mit einem Lebensmitteleinkauf in Fish Hoek, dann verlassen wir das Kap über die Küste, über Muizenberg – die malerisch bunten Strandhäuschen nämlich wollte ich Heinz unbedingt noch zeigen, sind sie doch eines bekanntesten Postkartenmotive Südafrikas. Leider aber lenken uns zahlreiche Baustellen bereits weit vor dem besten Aussichtspunkt in die Tiefen des Küstenorts, sodass wir lediglich einen abgespeckten, leicht verstellten Blick auf die farbenfrohen Holzhüttchen erhaschen. Dieser bedauerlicherweise nur kurze Blick kostet uns allerdings eine ganze Stunde, die wir an Ampeln verwarten, im Stau stehen und nur meterweise voran kommen.

Wolken über den Bergen
Mitten in Kapstadt City
Skyline von Kapstadt










Dann endlich landen wir doch in Kapstadt City, sehen, wie sich dichte Wolken über den Tafelberg schieben, freuen uns, gestern bei klarer Sicht dort oben gewesen zu sein, verfahren uns in der Stadt, finden wieder raus und haben schließlich die gesuchte Abfahrt zur N1 gefunden. Erleichtert atmen wir durch und fliegen auf der Autobahn dahin, bis wir, nach Passieren der letzten Industriegebiete, ein große Tankstelle erreichen. Sehr gut! Wir müssen ohnehin noch dringend tanken und erledigen das gleich hier. Aufgabe Eins, abgehakt. Annette will danach noch schnell aufs Klo und zum Geldautomaten, also verfrachten wir den Landy von der Zapfsäule auf den beschatteten Parkplatz nebenan und schichten in der Zwischenzeit das hastig ins Auto geworfene Gepäck ein bisschen sinnvoller um. Aufgabe Zwei steht nun an: Wassertank befüllen. Mit dem dafür nötigen Umparken des Autos aber wollen wir warten, bis Annette zurück ist. Minuten später kommt sie herbeigesaust, murmelt etwas in ihren nicht vorhandenen Bart, schnappt sich unseren Alu-Teekessel und verschwindet wieder. Wir sind leicht irritiert, erst recht, als sie nach fünf Minuten erneut auftaucht, den Inhalt des Kessels in unseren Wassertank gießt und abermals verschwindet. Was macht die Frau da? Ne, nä!? Wasser tanken! Mit dem Teekessel! Da stehen wir ja morgen noch hier!

An der Tanke
Liebhaberkutsche wird kutschiert
Außerhalb Kapstadts










Als Annette mit der zweiten Kesselfüllung zurückkehrt, fragen wir vorsichtig an, wie sie sich das vorstellt und warum wir nicht einfach um die Tanke herum fahren und den dortigen Wasseranschluss nebst Gartenschlauch benutzen. Weil da ein Angestellter sitzt und sich sein Glas mit Wasser füllt, erklärt sie uns. Na ja, das ist ein Grund, aber doch kein Hindernis! Kurzentschlossen bugsieren wir Annette in den Wagen, werfen den Motor an und tuckern die dreihundert Meter zum Wasserhahn. Der erwähnte Angestellte sitzt zwar tatsächlich immer noch daneben, aber was soll er schon dagegen haben, wenn wir hier ein bisschen zapfen. Ich grüße ihn freundlich, frage, ob wir den Schlauch haben dürften, er nickt und schon gluckert in Minutenschnelle das frische Nass in unseren Tank. Kurz darauf ist so auch Aufgabe Zwei erledigt und wir können weiter. Gegen elf Uhr haben wir dann endlich Kapstadt und die ausufernden Vorstädte hinter uns gelassen, erfreuen uns an der zunehmend bergiger werdenden Landschaft, überwinden einen Pass, passieren einen ellenlangen Mauttunnel und staunen, wie sehr sich die Umgebung innerhalb dieser wenigen Kilometer verändert hat.

Vor dem Tunnel: Berge
Nachd dem Tunnel: Weinbau
Arbeitersiedlung High-Tech










Vor dem Tunnel noch ragten überall steile Berge auf, doch jetzt, da uns das Tageslicht wieder hat, erstreckt sich eine weite, hügelgesäumte Ebene vor uns, deren dominantes Merkmal Weinplantagen sind. Weinstöcke in allen Größen ranken an v-förmigen Gestellen, riesige, fahrbare Bewässerungsanlagen überschatten die Pflanzungen und hübsche Farmhäuser und Padstalle zieren die Gegend mit kolonialem Charme. Was aber so gar nicht zu diesem gefälligen Ambiente passen will, das sind unzählige Containersiedlungen, die allesamt von hohen Elektrozäunen umgeben sind und direkt an der Straße stehen, wohingegen die Farmgebäude, lauschig eingebettet in grüne Bauminseln, fernab des Verkehrslärms erbaut wurden. Im Gegensatz dazu präsentieren sich die Wohncontainer geradezu steril, unpersönlich und kalt. Lediglich zum Trocknen aufgehängte Wäschestücke und kabelreich montierte Sat-Schüsseln verraten, dass tatsächlich auch hier Menschen wohnen. Wohnen müssen. Die Zeiten der Apartheid sind ja nun schon lange vorüber, offiziell zumindest, wenn man aber derartige Siedlungen sieht, fühlt man sich deutlich an vergangene Polit- und Gesellschaftsstrukturen erinnert. Gut, vielleicht hausen heutzutage auch weiße Arbeiter hier, vielleicht, das aber können wir im Vorbeifahren natürlich nicht überprüfen. Eines ist jedoch sicher: schöner wohnen sieht anders aus...

Arbeitersiedlung Wellblech
Verkeerdevlei Dam
Noch ist die Straße geteert










Viel einladender sind da schon die traditionellen Padstalle, Straßengeschäfte, in denen Farmen ihre Produkte anbieten – ansatzweise vergleichbar mit unseren Hofläden. Da gibt es kleine Häuschen, in denen Wein, Honig und Saisonfrüchte feilgeboten werden, aber auch große Gebäude mit Restaurationsbetrieb und liebevoll dekorierten Regalen im Inneren, in denen man alles erwerben kann, was die Gegend zu bieten hat. Wir sind jetzt schon geraume Zeit unterwegs, unsere Beine sehnen sich nach einer Bewegungspause, und unsere Münder nach einem kühlen Getränk, weswegen wir bei einem kleinen Ort namens De Doorns anhalten und einen dieser sogenannten Padstalle aufsuchen. „Die Veldskoen“ nennt sich der Hofladen, der uns, als wir ihn betreten, in eine völlig andere Welt versetzt. Kolonialambiente, rustikal verspielt, britisch-blumig, kalligrafierte Etiketten in Großmutters Handschrift, Dekoration, die nur hier so unkitschig-romantisch wirkt und eine Produktpalette, die uns in einen Kaufrausch versetzt, der sich gewaschen hat! Hier ein paar Aprikosenröllchen, dort getrocknete Mischfrüchte, da handgedrechselte Bonbons, ein Regal weiter fußgeblasene Gummibärchen und im Kühlraum nebenan, der nicht aussieht wie ein Kühlraum: mundverlesene Rebensäfte und Schaumweine. Es ist fürchterlich! Wir kaufen ein, als wäre es die letzte Gelegenheit – na ja, ist es für längere Zeit wohl auch. Heinz marktet Trockenfrüchte und anderen Süßkram ein, Annette verfällt dem T-Shirt-Sortiment und ich vergreife mich hemmungslos an Fruchtrollen und Sekt zum standesgemäßen Feiern meines Afrika-Jubiläums im Busch. Nur Jochen entzieht sich dem Konsumtaumel, indem er tapfer auf dem Parkplatz auf uns wartet. Und auf das versprochene Kaltgetränk, das wir in unserer Erwerbstrunkenheit tatsächlich beinahe vergessen hätten...

Beim Bezahlen unserer Beute, inklusive der doch noch erinnerten Limonade, fällt uns an der Kasse eine kleine Box mit gelb-schwarzen Aufklebern auf: Stop fracking! Eine aufgedruckte Telefonnummer verspricht die Weiterleitung von je dreißig Rand pro SMS an eine Umweltinitiative. Sofort befragen wir die Kassiererin, was genau es mit diesem Aufruf auf sich hat. Wo soll hier gefrackt werden? Überall, wo es vielversprechend ist, antwortet die schwarze Kassendame bitter, und vielversprechend sei es in der Tat fast überall, besonders aber in der Karoo und der Kalahari. „Sie wissen, was Fracking ist, was das bedeutet, ja?“, fragt die Verkäuferin. Mhm, das wissen wir, nur zu gut, denn auch in Deutschland ist diese Art der Ressourcengewinnung bedauerlicherweise ein stetiges Thema. Fracking ist eine ganz besonders perfide Methode, dem Boden seine Gasreserven zu entlocken: Chemikalien werden mit hohem Druck in das Erdreich gepresst, um die Gase zu lösen – vereinfacht ausgedrückt. Niemand aber kann zum heutigen Zeitpunkt die Langzeitfolgen dieser Förderungsart abschätzen; der gesunde Menschenverstand allerdings legt einige Antworten nahe, die man nur als katastrophal bezeichnen kann. Wir sind entsetzt, dass nun auch hier, in so sensiblen und einzigartigen Ökosystemen wie der Karoo und Kalahari gefrackt werden soll. Klar, diese Methode verursacht an jedem Ort dieser Welt ein ökologisches Desaster, doch gerade in bis dato nahezu unberührten Gegenden mit unwiederbringlichen Naturschätzen floraler und tierischer Art ist es ganz besonders unverantwortlich. Natürlich ist es ungleich einfacher, ein derartiges Projekt in menschenleeren Landstrichen zum Laufen zu bringen, als anderswo, wo Energiekonzerne aufgrund der Bevölkerungsdichte praktisch kein freies Fleckchen mehr finden, auf dem sie vermeintlich unbemerkt ihren üblen Machenschaften nachgehen können. In umweltsensiblen Ländern, nein, besser gesagt, in Ländern mit umweltsensibler Bevölkerung und dichter Besiedelung, wie zum Beispiel Deutschland, ist das schon wesentlicher schwieriger. Dennoch frackt man auch bei uns. Das wiederum erstaunt jetzt die Kassiererin, die gedacht hatte, das sei mal wieder ein rein afrikanisches Problem. Nein, das Problem haben wir alle, weil WIR das Problem sind! Herzlich verabschieden wir uns nach einer für beide Seiten interessanten Diskussion von der netten Lady und nehmen unsere neuen Informationen mit hinaus auf den Parkplatz, nebst einem der Aufkleber, den wir sofort auf der Heckscheibe anbringen. Jochen ist schon halb verdurstet und sehr dankbar, als wir ihm eine kühle Limonade in die Hand drücken.

Über die Sache mit dem Fracking allerdings ist er genauso entsetzt wie wir und wir merken, als wir vom Parkplatz zurück auf die Straße fahren, dass wir eine neue, veränderte Sicht auf die Landschaft haben, die vielleicht bald nicht mehr die sein wird, die wir jetzt sehen. Und das ist wirklich tragisch, denn schon jetzt, direkt neben der N1, entdecken Heinz und ich Pflanzen, die wir hier noch gar nicht erwartet hätten. Wie sieht es dann wohl erst im Tankwa Karoo Nationalpark aus? Wir werden immer gespannter, müssen unsere Ungeduld jedoch noch eine ganze Weile zügeln, denn noch liegen rund 200 Kilometer vor uns. Schlappe fünfunddreißig Kilometer später verlassen wir schließlich die N1 Richtung Hottentotskloof, passieren den Verkeerdevlei Dam, der wie ein türkises Auge zu Füßen einer wunderschönen, in unterschiedlichen Farbabstufungen geschichteten Bergkette liegt, durchqueren den Kloof (Schlucht), der seinen Namen kaum verdient und verlassen kurz darauf den Teerbelag. Genau genommen: er verläßt uns. Denn nun entern wir ein Gebiet, wie es menschenleerer fast nicht sein könnte; und bei der damit einhergehenden Verkehrsdichte lohnt natürlich ein Teerbelag nicht mehr. Fast hundert Kilometer sind die Ortschaften hier im „Outback“ auseinander – und Ortschaft ist beinahe schon zu viel gesagt. Aber genau in diese Abgelegenheit wollten wir ja, genau diese Menschenleere hatten wir gesucht. Glücklich und voller Vorfreude rattern wir auf der Staubstraße weiter dahin und genießen es, keinem Menschen und keinem anderen Auto mehr zu begegnen. Dass sich hier aber dennoch, zumindest ab und zu, Menschen herumtreiben, merken wir mal wieder überdeutlich, als wir für eine kurze Pause auf einem staubigen Parkplatz anhalten.

Rast auf dem Parkplatz
Psilocaulon junceum
Malephora crassa










Ja, auch so etwas gibt es hier, auf dieser entlegenen Strecke und ja, es liegt, wie überall auf Parkplätzen, jede Menge Müll herum. Überreichlich sogar! Vorsichtig umschlängeln wir die scharfen, unvermeidlichen Glasscherben, sammeln Dosen, Chipstüten und Flaschen zusammen und ziehen uns dann erst Mal ins trockene, klopapiergespickte Gebüsch auf eine gepflegte Blasenerleichterung zurück (wir nehmen unseren eigenen, benutzten Kulturfilm natürlich wieder mit), bevor wir uns einen kleinen Mittagssnack gönnen. Doch auf unserer Bedürfnis-Exkursion sind Heinz und ich, inmitten der Klopapierinseln, auf so interessante Pflanzen gestoßen, dass wir uns, die Stulle in der Hand, gleich wieder ins Gebüsch aufmachen und kauend den Boden abscannen, jeglichen Abfall und alle Fäkalienreste ausblendend: und es ist geradezu rührend, was sich hier, an diesem verdreckten Ort, strotzend und auch blühend aus dem Abfall kämpft! Psilocaulons mit winzigen, unscheinbaren Blüten, Malephoras, deren dottergelbe Blütensterne alles zu sonnigem Strahlen bringen und jede Menge mittagsblumentypischer Samenkapseln, deren besondere Eigenschaften ich ja eigentlich stilvoll mit meiner Sprühflasche erkunden wollte. Die aber ruht noch, momentan unerreichbar, in den Tiefen meiner Reisetasche. So also muss wohl doch erst Mal Spucke herhalten... Während Heinz die Pflanzen anderweitig näher untersucht, pflücke ich vorsichtig zwei der holzigen Knöpfchen von einer Psilocaulon-Pflanze und speichle eines davon probehalber ein. Innerhalb einer Minute öffnen sich die eng geschlossenen Flügelchen und klappen sich sternförmig nach außen. Genial! Wieder und wieder repetiere ich dieses kleine Experiment, sicherheitshalber, weil ich es kaum glauben kann, und bin völlig fasziniert, dass es tatsächlich jedes einzelne Mal erneut perfekt und ähnlich schnell funktioniert. Das ist eine so komplett neue und fesselnde Erfahrung für mich – die ich ja erst vor zwei Jahren tiefer in „Medias succulentes“ eingestiegen bin – dass ich das dringende Bedürfnis verspüre, dieses unglaubliche Wunder auch meinen Reisegenossen nahezubringen. Und ja! Meine Freunde, mampfend und an ihren Broten kauend, beugen sich neugierig über meine völlig unprofessionelle Versuchsanordnung, sehen mir gespannt beim Spucke-Verteilen über die Schulter und sind von der prompten Reaktion der so leblos wirkenden Samenkapseln ebenso angetan wie ich. Spuck, klapp, spuck, klapp.

Psilocaulon junceum
Musterkapsel: trocken - nass
Jochen und Heinz










Es dauert nicht lange und die Drei machen mit großem Engagement ihre eigenen Versuche. Wie die Lamas, spuckend und speichelnd, stehen wir nun auf diesem entlegenen Parkplatz und freuen uns wie die kleinen Kinder. Dabei hätte das Ganze ja eigentlich einen durchaus streng wissenschaftlichen Hintergrund, den zu erklären ich weiter ausholen muss: es gibt eine unendliche Anzahl sukkulenter Pflanzen auf dieser Welt, ganz besonders gesegnet jedoch ist das südliche Afrika. Nun gehören aber Sukkulenten nicht einer einzigen, gemeinsamen Pflanzenfamilie an, sondern sie verteilen sich auf ganzer Bandbreite – sozusagen quer durch Gottes Gemüsebeet. Die größte Sukkulenten-Gruppe des südlichen Afrikas sind die Aizoaceen, zu deutsch Mittagsblumengewächse, also diejenigen, die uns auch jetzt gerade unsere Spucke abtrotzen. Mit 136 Gattungen und rund 2000 Spezies stellen sie stolze 63 Prozent der hiesigen Sukkulenten-Flora, zehn Prozent der Gesamtflora – eine Vielfalt, die sogar den ausgemachten Experten mit deutlichen Bestimmungsproblemen konfrontiert. Ihr äußeres Erscheinungsbild nämlich ist teilweise verflucht uneindeutig, besonders dann, wenn die Pflanzen blütenlos sind oder sich in der Ruhephase befinden. Und da wären wir bei der Samenkapsel angelangt, weil dieses kleine Konstruktionswunder wichtige Hinweise liefert, um welche Spezies es sich genau handelt: ein winziger Teil von Aizoaceen trägt xerochastische Samenkapseln, die sich nur bei absoluter Trockenheit öffnen. Das Gros der Früchte hingegen ist hygrochastisch, geht also bei Kontakt mit Feuchtigkeit oder Nässe auf. Die hygrochastischen Kapseln wiederum teilen sich ebenfalls in zwei Gruppen: diejenigen, die sich wieder schließen und andere, die offen bleiben. Die Kapseln, egal, ob sie nun Trocken- oder Nassöffner sind, sich wieder schließen oder offen bleiben, können aus drei oder deutlich mehr Kammern bestehen, je nach Spezies, womit wir einen weiteren Bestimmungshinweis erhalten. Leider gibt es, wie sollte es anders sein, unwägbare Abweichungen und viele Überschneidungen bezüglich der Kammernanzahl innerhalb dieser großen Pflanzengruppe. Jeden Rest von Zweifel jedoch beseitigen, im Gegensatz zu diesen recht schwammigen Anhaltspunkten, bestimmte Konstruktions-Details, die sich dem Kenner wie ein offenes Buch darbieten, sobald die Kapseln ihre Deckelchen aufklappen. Von derartigem Spezialistentum indes bin ich noch meilenweit entfernt. Leider oder Gott sei Dank? Ich glaube, Letzteres trifft eher zu, denn meine Unkenntnis lässt mir den nötigen Spielraum, das Mechanikwunder gebührend und relativ unbedarft zu genießen, gleichzeitig aber stachelt es auch meinen Entdecker- und Lerndrang an. Und das ist die Kombination, die auf mich den größten Reiz ausübt. Ich wüßte gar nicht, in was ich mich sonst reinknien wollte, würde die Welt keine Natur-Rätsel mehr für mich bereithalten. Vielleicht Fußball-Experte werden? Oder gar ein Börsen-Ass oder eine Steuerrechts-Koryphäe? Nein, da speichle ich lieber bis an mein Lebensende kleine, holzige Knöpfchen ein und zerbreche mir den Kopf, warum es mir nicht gelingen will, schlappe 2000 Spezies allein im Vorbeigehen zu unterscheiden, geschweige denn, deren wissenschaftliche Namen zu behalten... Doch das Leben hält immer wieder kleine Triumphe bereit: wir verlassen den Parkplatz, ich nehme das Gesehene in meinem Herzen mit – und recherchiere im Nachhinein – zumindest zum Teil – erfolgreich, was genau wir da bespuckt haben. Psilocaulon junceum und Malephora crassa; nur so am Rande bemerkt.

Über weites Land
Wir nähern uns dem Park
Kurz vor dem Gate










Aber das ist lediglich ein bescheidenes Freudenstück – die großen warten erst noch auf uns. Zum Beispiel im Tankwa Karoo Nationalpark, den wir nun bald entern werden. Bald, denn erst mal müssen wir den Eingang finden, was sich als unerwartet schwierig entpuppt. Wir kommen von unserem besagten Parkplatz, die Karte heißt uns rechts abbiegen, auf eine weitere Schotterpiste, doch plötzlich haben wir wieder Teer unter den Reifen. So alt ist die Karte aber noch nicht. Mhm, man kann sich doch hier nicht allen Ernstes verfahren!? Nein, das haben wir auch nicht, allein der geänderte Straßenbelag wurde in der Karte noch nicht aktualisiert. Gestern Staub, heute Teer, so einfach ist das. Und wir bekommen sogar noch die dafür verantwortlichen Straßenarbeiter zu Gesicht, die sich bei nahezu 40 Grad einen abschwitzen und uns mit Freude über den Besuch ihres neu gemachten Makadams strahlend durchwinken. Wenige Kilometer später führt uns dann tatsächlich eine recht unscheinbare Einfahrt nach links, in den Nationalpark hinein. Langsam schaukeln wir nun durch eine Landschaft, wie sie karger nicht sein könnte. Staubig, trocken, ja fast trostlos ist es hier und wir alle sind etwas enttäuscht, denn ganz so „arid“ hatten wir uns den Tankwa dann doch nicht vorgestellt. Über viele Kilometer will sich dieser Eindruck auch nicht bessern, im Gegenteil: an manchen Stellen nämlich sieht es fast aus, als hätte vor Kurzem eine Baugesellschaft das karge Erdreich umgeschichtet. Insgeheim fragen wir uns gerade, ob der Tankwa wirklich das geeignete Ziel für unsere kostbaren Urlaubstage ist, als wir ganz plötzlich um eine ausladende Kurve kommen und, die seltsamen Bauhügel hinter uns lassend, in einer Umgebung landen, die unseren Wunschvorstellungen schon wesenlich näher kommt. Zwar ist es immer noch grau in grau und staubtrocken, aber zwischen den überall umherliegenden Felsbrocken wachsen unzählige Hoodias.

Hoodia gordonii
Man könnte es, wären die Pflanzen etwas höher, beinahe einen Wald nennen. Sofort halten wir an und beginnen, die stacheligen, kakteenähnlichen Würste in Augenschein zu nehmen. Tja, der Eindruck absoluter Trockenheit scheint nicht getrogen zu haben, denn die Aasblumengewächse sehen allesamt recht schrumpelig aus. Und natürlich zeigt sich in diesem Zustand auch keine einzige Blüte. Das aber tut unserer Freude keinen Abbruch. So viele Hoodias auf einen Haufen haben wir noch nie gesehen und es ist, nach dem etwas verhaltenen Einstieg in die Tiefen des Tankwa Karoo NPs, nun doch ein erstes grandioses Erlebnis, das durchaus nicht ohne Verheißung ist. Und ja, nachdem wir nach gründlicher Inspektion dieser Hoodia-Plantage wieder ins Auto geklettert sind und weiterfahren, wird es mit jedem Kilometer besser. Schon eine ganze Weile, bevor wir das Park Office erreichen, eröffnet sich uns ein Blick auf eine Bergkette, die ganz eindeutig üppig bewachsen ist und die verschiedenen Grüntöne lassen auf eine Vielzahl unterschiedlicher Euphorbien schließen. Mann, wann sind wir denn endlich beim Büro? 35 Kilometer nach der Gatedurchfahrt ist es endlich soweit; wir sehen das Verwaltungsgebäude, stellen unseren Wagen auf dem Parkplatz ab und entern das Office. Das heißt, Annette, Jochen und Heinz gehen hinein, ich hingegen bleibe bei zwei Beeten, die den Eingang flankieren, kleben. Und auch, wenn diese Sichtungen nicht „gelten“ – weil angepflanzt – so bin ich dennoch überaus angetan von den Pflanzen, die einen kleinen Querschnitt der Parkflora repräsentieren. Von Augeas über Zygophyllums ist hier einiges zu finden; und wenn wir nur die Hälfte davon „in echt“ zu Gesicht bekommen, bin ich schon mehr als zufrieden. Beruhigt und voller Vorfreude auf unseren zweitägigen Aufenthalt im Park betrete nun auch ich das Büro, wo ich sogleich herzlich von einer Rangerin begrüßt werde. Ob ich kaltes Wasser trinken und etwas ins Gästebuch schreiben wolle? Hier gäbe es weiterhin einige Prospekte, dort ein Buch mit den Wetterdaten der vergangen Monate. Ich bin leicht überfordert von der überbordenden Freundlichkeit und der Angebotspalette, die mir hier unterbreitet wird, entschließe mich aber, ebenso herzlich dankend, eines nach dem anderen zu tun. Erst kaltes Wasser, dann das Gästebuch. Hui! Kein Wunder, dass die Dame so mitteilungsbedürftig ist; hier steppt besuchertechnisch nicht gerade der Bär – seit fast einer Woche hat sich hier schon keiner mehr eingetragen! Das verspricht absolute Einsamkeit! Und durchaus heftige Temperaturen, wie mir der nächste Blick, nun in das Wetterdatenbuch, offenbart: gestern hatte es satte 38,4 Grad (heute dürfte es gar etwas mehr sein) und der letzte Regen fiel vor sieben Tagen. Nun ja, Regen ist etwas übertrieben: genau 0,1 mm war es, also ein Fingerhut auf einen heißen Stein.

Einfahrt in unser Tal
Zygophyllum retrofractum
Schmutzkäfer (Eurychora sp.)










Doch das wussten wir ja schon im Vorfeld. Der März ist nicht wirklich die Reisezeit üppigen Wachstums und der Blütenmeere. Ich persönlich finde das nicht so schlimm, denn, so sagte ich halb im Spaß, halb im Ernst zu Heinz, wenn die ganzen Sukkulenten blühen, kann man die wundervollen Blätter gar nicht mehr sehen. Diese Bemerkung stieß nun nicht auf vollstes Verständnis bei Heinz. Und er hat natürlich recht. Sicher wäre es ein Wahnsinns-Erlebnis, die unscheinbaren Pflanzen in ihrer unglaublichen Blütenpracht zu erleben, doch wir sind eben jetzt, ein halbes Jahr vor der Hauptblütezeit hier und müssen das beste draus machen. Und das haben wir auch vor. Heinz hat sogar, was das „Unternehmen Tankwa“ noch zusätzlich bereichern könnte, ein Buch über die Pflanzenwelt der Gegend in der Verkaufsvitrine des Büros entdeckt und sofort erworben. „Siehste, da sieht man auch nur Blüten und keine Blätter!“, sage ich augenzwinkernd, als er das Buch vor meinen Augen durchblättert. Die Abbildungen werden in der Tat von wunderschönen, farbenprächtigen Blütensternen dominiert, was zugegebenermaßen einen echten Augenschmaus darstellt, dass ich mit meiner „Beschwerde“ aber doch nicht ganz daneben liege, das wiederum werden die folgenden Wochen zeigen. Denn wir bekommen zum größten Teil blütenlose Sukkulenten zu sehen – der fehlende Vergleich mit charakteristischen Abbildungen nur der Blätter erschwert uns deshalb so manche Bestimmung. Das aber ist Jammern auf hohem Niveau... Mit interessanten Informationen, neuer Literatur und den freundlichen Wünschen der Rangerin ausgestattet, verlassen wir nun das Office und begeben uns auf den Weg zu unserem Camp, das uns die nächsten zwei Nächte beherbergen wird. Skaapwagterspos heißt der Ort, der mit keinerlei Einrichtungen ausgestattet ist – kein Wasser, kein Plumpsklo, nichts. Dafür aber scheint er, was wir nach ein paar Kilometern der Fahrt bereits erahnen können, in einem lauschigen Tal zu liegen, umgeben von sanften Hügeln. Volltreffer! Als wir von der Hauptstraße in unser Übernachtungs-Tal abbiegen, begeistert uns jedoch zunächst eine ganze Palette frischer Grüntöne, die von den frischen Triebspitzen diverser Beseneuphorbien und den kleinen Blättern zahlreicher Tylecodon-Arten stammen. Limettengrün, rotgrün, tannengrün, dazwischen rötliches Gestein – all das leuchtet in der warmen Nachmittagssonne wie die Mischpalette eines Landschaftsmalers. Und es scheint beinahe, als seien die Minimalregenfälle genau hier heruntergekommen, so saft- und kraftvoll, so frisch das Grün. Ganz anders, jedoch nicht minder schön, präsentiert sich schließlich die unmittelbare Umgebung unserer Campsite: hier dominieren starrige Zygophyllumbüsche, die nur winzige Blättchen tragen, aus ein paar Metern Entfernung aber wie einladende, kissenförmige Polster wirken und in allen erdenklichen Farbtönen von rostrot über grüngrau bis hin zu fliederviolett erstrahlen. Hah, hier lässt es sich aushalten!

Blick vom Camp aus
Camp Skaapwgterspos
Das schattenspendende Gazebo










Sofort nehmen wir unseren Lageraufbau in Angriff, eine recht schweißtreibende Angelegenheit bei fast vierzig Grad im Schatten. Schatten aber spenden hier nur einige größere Bäume, die am Rande der Campsite stehen und somit nicht direkt hilfreich sind. Doch wir sind ja perfekt ausgerüstet. Heuer nämlich kommt erstmals ein Gazebo, ein Sonnensegel, das von Zeltstangen gehalten wird, zum Einsatz. Wohlgemut leeren wir also das nötige Zubehör aus dem Packsack, der den ganzen Tag zuoberst auf unserem Wagendach ruhte, aus und wollen die Stangen ineinanderstecken. Aua! Verflucht, sind die heiß! Erst, als wir uns mit dicken Arbeitshandschuhen vor den glühenden Rohren schützen, können wir das Sonnensegel aufbauen und den wohlverdienten Schatten genießen. Schnell noch installieren wir den Gaskocher, setzen Teewasser auf, dann aber ist die Idylle perfekt: wir in unserem einsamen Tal, fernab jeglicher mitmenschlichen Präsenz, ein Tässchen Darjeeling in der Hand, den Blick in der Runde, Insekten summen im Baum, ab und zu überfliegt ein Vogel das Camp. Ansonsten: Stille! Und so verbringen wir den restlichen Nachmittag mit süßem Nichtstun. Erst, als sich die Sonne dem Horizont nähert, kommt wieder Leben in uns Faulpelze. Ein Kloloch muss gegraben werden, ein Sundowner getrunken und das Abendessen zubereitet. Outdoorstress pur... Nach dem Dinner fallen wir erneut in unsere Campingstühle, gruppieren uns ums Lagerfeuer und bewundern den einzigartigen Sternenhimmel, der sich wie eine samtblaue Domkuppel, gespickt mit unzähligen Lichtlein, über uns aufwölbt. Stundenlang könnte man so sitzen, doch ab und zu schadet auch ein prüfender Blick auf den Boden nicht. In diesem Falle wird er von Heinz geworfen, der auch sogleich, zu seinem maßlosen Entsetzen, etwas "Größeres, Sauschnelles" aus dem Augenwinkel davonhuschen sieht. Das sah aus wie eine Spinne, meint er schaudernd, war aber viel, viel, vieeel schneller. Eine Solifuge, mutmaße ich. Eine was? Minuten später bestätigt sich mein Verdacht, allerdings nur in kleinerem Maßstab: zahlreiche, blitzschnelle Walzenspinnen flitzen über den sandigen Boden zu unseren Füßen und sind auf der Jagd nach anderem Kleingetier. „Iiiiih, pfui deife, sind die greißlig!“, stößt Heinz mit tiefster Inbrunst hervor. Und ja, keinem von uns sind die kleinen Arachniden, die für ihre Schnelligkeit und Unerschrockenheit bekannt sind, wirklich geheuer. Sicherheitshalber lagern wir deshalb unsere Beine außerhalb der Reichweite der flitzenden Nachtjäger, etwas erhöht, und versuchen uns weiter auf den Sternenhimmel zu konzentrieren. Die Betonung liegt auf „versuchen“. Denn richtig relaxed sind wir nun nicht mehr. Außerdem übermannt uns allmählich eine bleierne Müdigkeit, der wir alsbald dankbar nachgeben und uns in unsere Zelte zurückziehen, akribisch darauf achtend, keine Solifuge mit in die Schlafsäcke zu nehmen...



Weitere Impressionen des Tages:


N1: Blick aus dem Auto
Berge am Rande der N1
Kulturlandschaft










Kapstadt City
Hafenbereich Kapstadt
Des Teufels Tischtuch










Rawsonville, Goudini
Weinbaugebiet
Wellblechsiedlung










Verkeerdevlei Dam
Malephora crassa
Samenstand Hoodia gordonii



14. März 2013, Erkundungstag im Tankwa Karoo NP

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Heinz und ich erwachen am frühen Morgen vom Rumoren unserer Freunde, robben aus unserem Zelt und werden mit heißem Wasser und gedecktem Tisch in Empfang genommen. Relativ wortlos – was in unser aller Sinne ist, denn keiner von uns ist ein Freund großer Reden, so direkt nach dem Aufstehen. Und es ist immer wieder ein besonderes Erlebnis: bei Sonnenaufgang schweigend ein Frühstück zu genießen – frühstücken tu ich zuhause nur am Wochenende, gemeinsam mit meinem Schneck, aber sicher nicht bei Sonnenaufgang, eher deutlich später – und noch dazu mit zwei anderen, mir lieben Menschen – das hab ich zuhause auch selten – und das mitten im Busch – hab ich das ganze Jahr über nicht im Programm. Wenn dieser ganze erwachende Naturmorgen stillschweigend auf einen einwirken kann, mit all dem Insektengesumme, dem Nichtgerede, der erstaunlich schnell aus der Kühle des Morgens entstehenden Hitze – dann ist das reines, ungefiltertes Wohlgefühl, purer Genuss. Erst recht, da die nachtaktiven, angsteinflößenden Solifugen jetzt allesamt verschwunden sind und lieblicheren Geschöpfen Platz gemacht haben. In den Bäumen am Rande unserer Campsite tummeln sich laut schnatternd einige Webervögel, auf den sich aufheizenden Felsen flitzen zahlreiche Echsen umher und hin und wieder flappt ein bunter Schmetterling vorüber, obwohl weit und breit keine nennenswerte Blüte sichtbar ist. Ohne jegliche Eile genießen wir das Frühstück – einer der Vorzüge von Tagen, an denen wir keinen Campwechsel vornehmen müssen. Dann, als alle satt sind und wir unser Equipment gespült und sicher verstaut haben, machen wir uns langsam auf unsere geplante Erkundungstour im Park. Wir hätten es allerdings noch gut eine ganze Weile auch im Camp ausgehalten, wäre da nicht recht spezieller Besuch erschienen. Ein riesiger Schwarm winziger Bienen fiel schon bei den Frühstücksvorbereitungen über uns und unsere Lebensmittel her und es gestaltete sich etwas schwierig, einen Bissen oder die Tasse bienenfrei zum Munde zu führen. Die kleinen Insekten schienen zwar nicht stechen zu können (oder zu wollen), aber lästig waren sie auf Dauer trotzdem. Beim Abspülen jedoch kennt ihre Begeisterung dann erst recht keine Grenzen mehr: Wasser im Überfluss! In Trauben umsummen sie unsere nassen Hände, das gespülte Geschirr und schließlich auch das geleerte, aber noch feuchte Spülbecken. Freunde, vergnügt euch gerne mit der Restfeuchtigkeit, wir fahren dann mal, ja?! Gesagt, getan. Die kleinen, emsigen Immen hinter uns lassend, kurven wir aus unserem Tal Richtung Südwesten, schrecken einen langbeinigen Sekretär auf, der hektisch flatternd vor uns flieht, umrunden einen felsigen Hügel und durchfahren eine Art kleines Trockenflusstal. Hier sieht es aus, als könnte es sich lohnen, mal auszusteigen!

Die Morgensonne tut allen gut
Flüchtender Sekretär
Salsola sp.










Dieses Sichtreibenlassen und das Anhaltenkönnen, wann immer uns danach gelüstet, ist ein weiterer Vorteil eines Tages ohne Campwechsel, wäre aber auch nur halb so entspannend, würden wir nicht alle Vier am selben Interessenstrang ziehen. Und das tun wir, denn kaum ruft einer „Stopp“, wie jetzt gerade, halten wir an und gehen auf Erkundungstour. Jochen und Annette klettern das sandig-steinige Flussbett hinauf, während Heinz und ich eher felsigeren Gefilden zustreben, denn sie sind die idealen Standorte für unsere kleinen Lieblinge. Schon auf den ersten Metern werden wir fündig: eine riesige Hoodia reckt ihre stacheligen Triebe gen Himmel und präsentiert uns einige sehr hübsche, sichelförmige Samenstände, die sich allesamt schon in die Umgebung entleert haben. Während mein Schneck sich nun auf die Suche nach jungen Hoodias macht – die man erstaunlicherweise sehr selten findet, klettere ich weiter und stoße auf viele, recht verschiedenartige Sukkulentenpölsterchen, an deren Samenkapseln ich nun endlich meinen extra mitgebrachten Pumpzerstäuber ausprobieren kann. Die Klappmechanismen der Wunderknöpfchen funktionieren, wie auch gestern schon, allesamt tadellos und prompt. Meine größte Freude aber habe ich an dem extrem differenten Innenleben der Kapseln: sie unterscheiden sich nämlich nicht nur in der äußerlichen Größe und der Kammernanzahl, sondern auch in ihrer inneren Konstruktion. Da gibt es, nun auch für mich deutlich sichtbar, eklatante Unterschiede in der Gesamtkonstruktion der für die Kapselöffnung relevanten Teile.

Drosanthemum sp.
Hoodia-Hügel
Euphorbia ramiglans










Eifrig besprühe, begutachte und fotografiere ich die Zauberknöpfchen und bin begeistert. Vielleicht finde ich so ja doch noch den Einstieg in die tieferen Weihen der Aizoaceen-Bestimmung. Das aber ist eine Sache, die ich mir für zuhause, für lange, dunkle Winterabende aufheben will, denn jetzt habe ich weder die richtige Literatur hierfür zur Hand noch die rechte Muse. Es gibt viel zu viel zu sehen! So also kraxle ich voller Tatendrang weiter, stoppe hier, knipse da und sprühe dort. Plötzlich stolpere ich beinahe über ein höchst interessantes Gebilde: eine stachelige Wurst mit diversen kleineren Seitentrieben auf halber Höhe. Das ist keine Hoodia, das muss eine Euphorbie sein, wie wir sie noch nie gesehen haben. Schneck, wo bist du?!? Minuten später kommt Heinz tatsächlich den Hügel herab und sieht sich meinen Fund an. „Mhm, ja“, sagt er, „das ist eine Euphorbie. So eine hatte ich weiter oben auch. Hab sie erst gar nicht gesehen, erst, als ich sie beinahe niedergepieselt hätte... Aber welche das genau ist, weiß ich leider auch nicht!“ Egal, wir werden es herausfinden, auch wenn die Pflanze aufgrund der heftigen Trockenheit schon etwas ramponiert aussieht. Beglückt über unseren Fund und den erfolgreichen Zwischenstopp, wandern wir langsam wieder nach unten, wo wir auf Annette stoßen, die sich gerade ein tierisches, schon recht trockenes, aber formschönes Häufchen näher besieht und rätselt, welches Wesen das wohl hinterlassen haben könnte. Sieht ja fast nach Katze aus, ein Caracal vielleicht? Pfotenabdrücke finden wir leider nicht. Dafür aber besprühe ich die Wurst kurzerhand mit meinem Zerstäuber, um sie wenigstens geruchlich wieder zum Leben zu erwecken. Puh, das war keine gute Idee! Eine streng riechende Wolke fährt in unsere Nasen und wir nehmen lieber etwas Abstand. Nun aber wissen wir wenigstens eines ganz sicher: es ist eindeutig Fleischfresserkot!

Mesemb-Kapseltypen: nur schematisch, trotzdem aber wunderschön!










Wir freuen uns wie die Kinder über die reanimierte Kackwurst und steuern nun, heftig kichernd, weiter hügelabwärts, wo uns Jochen bereits erwartet. Er schüttelt väterlich den Kopf über unsere Albernheit, kann sich ein kleines Grinsen jedoch auch nicht ganz verkneifen. Ach, es ist schön, so entspannt herumzualbern und sich zu amüsieren, sei es auch nur über irgendeinen Scheiß – im wahrsten Sinne des Wortes.

Kackwurst vor der Reanimation
Einsame Oryx
Drosanthemum sp.










Jetzt aber wenden wir uns wieder ernsteren Dingen zu, klettern ins Auto uns fahren weiter westwärts. Die Landschaft wird hier wieder flacher und bedeutend vegetationsärmer. Das ist zwar schade, doch auf diese Weise machen wir wenigstens mal wieder ein paar Kilometer und lernen auch andere Teile des Parks kennen. Und sehen ein paar Tiere; einige Hörnchen, diverse Vögel, eine Oryx. Das war’s dann aber auch schon. Zudem sind die Tiere allesamt recht scheu, sodass wir ihren Anblick nicht mal ausgiebig genießen können. Jetzt dürfte allmählich mal wieder was passieren, denken wir uns gerade, als wir, nach vielen, recht ereignislosen Kilometern, unversehens an der nördlichen Parkgrenze ankommen. Von dort führt ein 4x4-Track Richtung Westen. Den will sich Jochen, der passionierte Geländefahrer, natürlich nicht entgehen lassen und biegt entschlossen ab. Zuerst ist die Strecke noch recht harmlos und Jochen beginnt bereits leicht ungeduldig zu werden; erst recht, als Heinz und ich ihn erneut um einen Stopp bitten. Wir passieren nämlich gerade den Fuß eines ausladenden, sehr felsigen Hügels, der von wundervollen Sukkulenten bewachsen ist. Riesige Euphorbienbüsche, knubbelige Tylecodons mit goldgelben, sich schälenden Stämmen und ausladende Sarcocaulon-Pflanzen, die zartgrüne Blättchen treiben.

Der erste Schatz-Hügel
Euphorbia decussata
Euphorbia hamata










Mann, wenn man bedenkt, wie langsam solche Pflanzen wachsen, dann wird man richtig ehrfürchtig angesichts derartiger Prachtexemplare. Die müssen alle schon viele, viele Jahre auf dem Buckel haben! Bewundernd klettern wir durch die glühend heißen Felsen und wünschen uns im Geiste einen solchen Hügel im Garten zuhause, natürlich mit dem entsprechenden Klima... Das aber wird wohl allein beim Wunsch bleiben. Tja, wenn ich da an meine Schätzchen auf der Fensterbank denke, wird mir ganz wehmütig ums Herz: einerseits liebe ich ja unser Klima und den Wechsel der Jahreszeiten, andererseits dauern mich meine heimischen Exoten, wenn sie den Wachstumsrhythmus ihrer Heimat beibehalten. Beibehalten müssen, denn er ist in ihren Genen verankert. Ist hier Sommer, frostet bei uns zuhause der Winter. Egal, da wird in der südafrikanischen Heimat gewachsen, so also auch bei uns. Ein schwieriges Unterfangen jedoch, wenn lediglich die wenig kraftvolle Wintersonne ihren Dienst tut. Doch mehr als ein Südfenster kann ich meinen Lieblingen halt leider nicht bieten, freue mich aber umso mehr über jeden Zuwachs-Millimeter, den sich die Pflanzen fern der Heimat unter meiner Fürsorge erkämpfen. Deswegen ist es auch etwas ganz Besonderes, diese zähen Kämpfer in ihrer natürlichen Umgebung, in ihrem ursprünglichen Habitat, so strotzen zu sehen!

Was man nicht alles findet:
Flechten aller Farben
und auch totes Material










Nur schweren Herzens verabschieden Heinz und ich uns schließlich von diesem Wundergarten und schlichten uns wieder ins Auto, wo Jochen bereits hufescharrend auf uns wartet. Er will endlich richtigen 4x4-Spaß haben und den soll er natürlich bekommen. Dass dieses Vergnügen sich allerdings als recht speziell entpuppen soll, ahnen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Der Fahrweg wird nun allmählich immer steiler und unwegsamer, Jochen strahlt und der Landy frisst sich tapfer durch das spannende Gelände. Plötzlich teilt sich die Piste – ein Pfeil deutet in Fahrtrichtung nach rechts, einer entgegen der Fahrtrichtung nach links – was in etwa eine Offroad-Einbahnstraße andeutet. Nein, nicht nur andeutet – das ist zweifellos auch so gemeint. Jochen aber hat im Moment eher einen Linksdrall und setzt sich über die Pfeilschilder hinweg. „Was soll schon sein? Wir sind ohnehin alleine hier und sollte Gegenverkehr kommen, fahr ich halt rückwärts wieder runter, no problem!“, meint er sorglos. OK, wenn er unbedingt will – wir haben nichts dagegen, wissen, dass er ein sauguter Fahrer ist und wollen ihm den Spaß nicht verderben. Also fahren wir links. Bald geht es durch eine tiefe Ablaufrinne, die uns fast den Auspuff kostet. Aber gut, das wäre in der entgegengesetzten Richtung auch nicht anders gewesen. Anschließend führt die Spur steil bergauf, steiler, immer noch steiler, der Schotter spritzt unter unseren Reifen, der Wagen kämpft und Jochen strahlt noch mehr. Mit Müh und Not schaffen wir schließlich die letzten Meter auf den lange schon sichtbaren Hügelkamm, gerade noch, bevor wir nach hinten wegrutschen. Jochen drückt kräftig, aber auch sehr feinfühlig auf die Tube, der Landy steht wieder waagerecht. Als wir aber in den Abgrund vor unseren Reifen blicken, wissen wir endlich, warum das hier als Einbahnstraße deklariert wurde. Ein bisschen zu viel Gas und man poltert auf der anderen Bergseite senkrecht wieder runter...

Noch sind wir ganz unten
Ganz oben auf dem Leeubberg
Panoramasicht










Das hätte also echt in die Hose gehen können. Entsprechend blass um die Nase ist Annette, die immer in großer Sorge ums Auto und dessen Insassen ist. Jochen, der von ihr ob seines Leichtsinns sogleich heftig ausgescholten wird, quittiert ihre Predigt jedoch nur mit einem beseelten Lächeln. „Was willst du, Mausi, wir stehen doch gut hier oben!“ Und wo er recht hat, hat er recht. Nichtsdestotrotz: sollten wir nochmal hierher kommen, dann werden wir die Einbahnstraße wohl besser in richtiger Richtung befahren; sicher ist sicher.

Weiter Blick in den Park
Es geht überall runter...
... oder eben rauf










Sicher ist auch, dass die Aussicht von hier oben gigantisch ist. Leider, und das stelle ich im Nachhinein beim Sichten der Fotos fest, lässt sich das Ganze bildtechnisch nur unzureichend festhalten. Auch die Steigung der letzten Meter, die in etwa dreißig Grad betragen haben dürfte, flacht sich auf den Fotos deutlich ab. Komisch, es sind immer die abenteuerlichsten Passagen, die man so oder sogar in etwas übertriebener Weise im Gedächtnis behält, den Daheimgebliebenen jedoch nie in auch nur annähernder Form nahebringen kann. Tja, deswegen reist man wohl – um das alles hautnah erleben zu können. Mit zwei greif- und spürbaren Abgründen neben uns stehen wir nun also hier oben, genießen die Aussicht, lassen uns den Wind um die Nase wehen, recht viel mehr jedoch ist nicht zu tun, denn wir sind schon wieder in einer ziemlich vegetationsarmen Zone gelandet. Lediglich ein recht großer Codon, bereits reichlich mitgenommen durch die Trockenheit und seinen ausgesetzten Standort direkt an der schmalen Bergkante, präsentiert uns willig einige seiner stachelbewehrten Blätter und ein paar Samenkapseln, die ich so deutlich noch nie gesehen habe: wie hölzerne Tropfen thronen die Nüsschen inmitten einer perfekten Krallenfassung aus Kelchblättern. Ein Schmuckstück der Natur, das zu entdecken man schon sehr genau hinsehen muss. Genau hinsehen müssen wir übrigens auch, als wir wieder ins Auto gestiegen sind und uns auf den Weg hinab in die Ebene machen. Puh, ist das ein Gefälle! Manchmal sehen wir nur den Himmel durch die Windschutzscheibe, während sich die Vorderreifen bereits an der nächsten Abstiegskante befinden. Annette krallt sich vor Aufregung am Armaturenbrett fest, aber Jochen steuert den Landy sicher hinunter ins Tal.

Codon-Kapseln
Steile Abfahrt
Annette lotst besorgt










Toll war es dort oben, auf dem Leeuberg! Dennoch sind wir alle froh, wieder heil unten angekommen zu sein und ebenen Boden unter den Reifen zu haben. Dort schließlich, am Fuße des Bergs, macht die Pad dann einen weiten Schlenker nach Südosten und wir können unsere Bergroute nochmal von unten betrachten: mhm, da oben waren wir. Sooo steil sieht das gar nicht aus... Während wir noch ungläubig unsere Auf- und Ab-Strecke vom Flachen aus begutachten, öffnet sich zu unserer Rechten eine Ebene, wie sie interessanter nicht sein könnte. Sie ist extrem trocken, heiß, steinig und wird von sehr dunklen, teilweise schieferartig aufgefächerten, scharfkantigen Steinen dominiert. Zwischen dem aufgeheizten Geröll – das sehen wir schon aus dem fahrenden Auto heraus – sprießen allerlei Sukkulenten. Stopp!!! Jochen bremst brav, Heinz und ich stürmen aus dem Wagen – und befinden uns erneut im Paradies! Noch keine drei Meter sind wir vorsichtig über die Geröllebene getapst, als Heinz auch schon entzückt aufquiekt: „Eine Tanquana, eine Tanquana, Schneck, ich hab eine Tanquana gefunden!“ Eine Tanquana! Diese Erregung kann wahrscheinlich nur jemand verstehen, der sich näher mit Sukkulenten beschäftigt – eine Tanquana, das ist, vom Stellenwert her, so was ähnliches wie ein freilebender Balistar für einen Ornithologen. Naja, nicht ganz so selten, aber trotzdem hoch endemisch; Tanquanas wachsen nur auf Dwyka- und Ecca-Schieferfeldern in einem kleinen Gebiet zwischen der Großen, der Kleinen und der Tankwa Karoo. Welch ein toller Fund also!

Tanquana prismatica
Tanquana prismatica
Tanquana prismatica










Mit Fotoapparat, Pumpzerstäuber und einer gehörigen Portion Andacht fallen wir vor der Pflanze auf die Knie. Mann, ist die schön! Ein paar horstartig angeordnete, im Querschnitt dreieckige, hochsukkulente Blätter, teilweise rosa angehaucht, anmutig in Paaren hornförmig nach oben gebogen, ragen nur wenige Zentimeter aus dem Boden. Zwischen den strotzenden Blättern sitzen gar allerliebste Samenkapseln mit 10 tortenstückartigen Deckelchen, die mir förmlich entgegenschreien: „Mach mich nass, bitte, mach mich nass!“ Wie ferngesteuert folge ich dieser Bitte, die wohl nur ich allein vernehme. Pfhht, pfhht, pfhht – und schon ist eine Kapsel befeuchtet. Folgsam tut sie, wofür sie bestimmt ist – sie öffnet sich. Formvollendet recken sich die spitzen Kreissegmente nach oben, wölben sich nach außen und umkränzen innerhalb einer guten Minute, Sternzacken gleich, die vormals recht unscheinbare Kapsel. Und wieder mal bin ich hingerissen, kann kaum glauben, dass es erneut funktioniert hat, fühle mich unsäglich klein angesichts dieses Mechanik- und Symmetriewunders. Fasziniert robbe ich um die Pflanze herum, versuche sie in ihrer Schönheit einzufangen. Dabei brennt mir die Mittagssonne heiß auf den Kopf und plötzlich nehme ich die Tropfen wahr, die ich mit meinem Pumpzerstäuber auch in den Blattachseln der Tanquana hinterlassen habe. Nein, das ist nicht gut, das schadet der Pflanze, denn diese Wasseransammlungen wirken wie ein Brennglas – sie bündeln die Sonnenstrahlen, lenken sie auf die empfindliche Epidermis und zerstören diese. Vorsichtig tupfe ich deshalb mit einem Zellstofftuch alles wieder trocken, achte sorgsam darauf, nichts zu zerstören, keine Nässe stehen zu lassen – und ernte schon wieder fragende Blicke meiner Mitreisenden…

Offene Tanquana-Kapseln
Cephalophyllum sp.
Typisches Gesteinsbild










Nur nicht von Heinz. Der nämlich weiß genau, was ich da mache und auch warum. Glücklich lächelnd, so einen Partner zu haben und hoch zufrieden über das Ergebnis meiner Trocknungsaktion, packe ich den Pumpzerstäuber schließlich weg. Prädikat ungeeignet! So werde ich den Rest dieses Urlaubs – und der hat ja gerade erst begonnen – wohl lieber wieder Spucke verwenden. Für den nächsten Urlaub aber kommt eine Pipettenflasche ins Gepäck; allein schon wegen der unschönen Spuckebläschen auf den Fotos... Mit diesem beruhigenden Gedanken im Hinterkopf streife ich weiter über die Schieferebene und entdecke noch diverse andere Pflanzen, die ebenso schön wie bizarr sind, mir aber „erkennungsdienstlich“ sicher noch einiges abverlangen werden. Auch Heinz, der sofort sein neu erworbenes Buch gezückt hat, ist weitestgehend ratlos. Egal. Diese Geröllfläche ist auf jeden Fall eine botanische Fundgrube, wie sie schöner nicht sein könnte. Schön ist sie aber nicht nur, weil sie ein kleines Universum an Sukkulenten beherbergt, sondern auch wegen der auffälligen Steine, die geologisch hochinteressant sind: wir befinden uns hier auf einer Fläche, auf der sich zwei der ältesten Gesteine der Karoo-Gruppe gar pittoresk und sukkulentenfreundlich verteilt haben. Es mischen sich blau-grünliche Tonsteine und harte, dunkle Sandsteine der Ecca-Gruppe (290–260 Millionen Jahre) mit blaugrauem Tillit und schieferigem Siltstein der Dwyka-Gruppe (300–290 Millionen Jahre) und schaffen somit ideale Bedingungen – zum Beispiel für die Tanquana, die ausschließlich auf derartigen Böden gedeiht.

Malephora crassa - Detail
Malephora crassa
Malephora crassa - Kapseln










Über die geologische Herkunft der die Fläche bedeckenden Steine allerdings machen wir uns im Moment nur am Rande Gedanken, denn die felsigen Bruchstücke haben eine ganz besonders unangenehme, gemeinsame Eigenschaft, Geologie hin oder her: sie sind überwiegend von sehr dunkler Farbe, speichern somit extrem wirksam die Hitze der frühen Nachmittagssonne und geben diese in geballter Form wieder ab – an uns. Wir schwitzen wie die Schweine und fühlen uns beinahe wie Grillhähnchen – kurz vor der letzten Garstufe. Bevor wir also noch knusprig werden, verabschieden wir uns von der Füllhorn-Ebene und tuckern weiter. Ein kurzer Schlenker führt uns zunächst nach Varschfontein, wo ein in der Karte verzeichnetes Wasserloch tierische Abwechslung verheißt. Verheißung jedoch ist kein Versprechen, wie wir deutlich erkennen dürfen, als wir dort ankommen. Nichts los, aber so gar nix. Keine Antilope, kein Vogel und nein, nicht mal eine einzige interessante Pflanze. Recht schnell also verlassen wir den trügerischen Ort an der nördlichen Grenze des Nationalparks und machen uns wieder auf den Weg, zurück zum Camp.

Drosanthemum sp. (?)
Leipoldtia sp.
Leipoldtia sp. - Kapseln










Die Route führt uns nun in westlicher Richtung über schier endlose Ebenen, die zu dieser Jahreszeit allesamt, naja, sagen wir mal, recht eintönig sind. Gut, es wachsen überall Pflanzen – die üblichen Verdächtigen wie Augeas – aber sonst... Es staubt, es ist heiß und die landschaftliche Schönheit der uns umgebenden Hügel leidet zudem ein wenig unter dem harten Licht der Sonne. Nach vielen Kilometern endlich, es ist bereits später Nachmittag, erreichen wir Abrahamsknie'e, ein weiteres Wasserloch, nicht weit von Skaapwagterspos, unserer Campsite. Und jetzt sieht die Szenerie schon deutlich plastischer aus: die Sonne neigt sich gen Horizont, taucht jede auch noch so kleine Erhebung in warmes, zeichnendes Licht, die Farben beginnen zu glühen, zu leuchten, und selbst die allgegenwärtigen Augeas werfen Schatten, die die Umrisse der proper-blättrigen Jochblattgewächse im milde wehenden Wind wie riesige, bebende Bäume erscheinen lassen. Lange treiben wir uns hier herum und jeder genießt etwas anderes. Jochen beispielsweise hatte das Wasserloch vor allen Dingen wegen der zu erwartenden Vögel angesteuert. Es sind auch einige da, leider aber lassen sie sich schlecht beobachten, denn der Trog, den sie zum Trinken und Baden nutzen, ist völlig freistehend und erschwert somit das unauffällige Anpirschen. Dennoch lässt sich Jochen nicht abschrecken, schleicht sich in großem Bogen an die Vögel heran und steckt mit seinem Tun auch Annette und Heinz an. Ich hingegen delektiere mich in der Zwischenzeit an den warmen Farbfacetten der Berge, die ihr Aussehen in der flach stehenden Sonne minütlich ändern und kann mich kaum sattsehen. Es ist einer der Momente, in denen ich mich von der Ewigkeit eingeholt und umfangen fühle, in denen irgendwie alles zeitlos erscheint. In diesem Zustand faszinierter Loslösung bemerke ich beinahe nicht, dass es immer kälter wird: die Sonne steht schon sehr tief, die Hitze des Tages bäumt sich in heftigen Thermikböen auf und ich bekomme Gänsehaut. Doch erst, als ich meinen Kopf unbewußt in einen ganz bestimmten Winkel zum Wind drehe, fällt mir die Temperaturänderung richtig auf: der stetige Luftstrom bläst an meinem Kopf vorbei und bringt meine kleinen Kreolen zum Pfeifen. Wie ein Tinnitus hört sich das an! Und der bringt mich wieder ins Hier und Jetzt, mitsamt der Gänsehaut, der Antwort meines Körpers auf die gesunkenen Temperaturen. Mit verschränkten Armen tauche ich deshalb schnell wieder bei meinen Reisegenossen auf, denen auch kalt ist. Wollen wir ins Camp fahren? Ja, das wollen und machen wir auch. Schließlich beginnt es schon zu dämmern - die Bienchen also dürften bereits in den Stock zurückgekehrt sein - dafür aber freuen wir uns auf die Sterne, auf ein ordentliches Abendessen und, ein klitzekleines bisschen sogar auf die zu erwartenden Solifugen...

Einfach...
...nur...
...schön!










Und was soll ich sagen?! Kaum sind wir, eine halbe Stunde nach Verlassen des frösteligen Wasserlochs, im windgeschützten Lager angekommen, erfüllen sich all unsere Erwartungen; die eine früher, die andere etwas später - und es gesellt sich sogar noch etwas dazu, mit dem wir nicht gerechnet hätten. Aber eins nach dem anderen: 17.45 Uhr, Ankunft Skaapwagterspos, Bienen absent, Sundowner zum Trinken bereit, Windstille, Vorbereitungen fürs Abendessen, gemütlich. Soweit alles planmäßig. Auch die Sterne erscheinen bald, ebenso die Solifugen, jedoch nur die winzigen. Dann aber, als wir gerade erlebnissatt unser Abendessen einzunehmen beginnen, fängt der Busch zu leben an. Im kleinen Stil, aufregend und schön jedoch ist es trotzdem: Annette und ich sind soeben servierbereit in den Startlöchern, als sich ein winziger Nachtfalter auf meinem Bauch - in Nabelhöhe - niederläßt. Ich wedle kurz mit der Hand, aber das Tier will nicht weichen. Also gut, kommt es eben mit zu Tisch. Nur der Platz ist ungünstig, denn gleich werde ich mich hinsetzen, meine Plauze in Nabelhöhe beugen und dann den armen Falter zerquetschen. Also versuche ich, das kleine Insekt von einem anderen Sitzplatz zu überzeugen, pflücke es vorsichtig, seine Flügel greifend, von meinem T-Shirt und verfrachte es auf die Plane unseres Gazebos. Denkste! Keine drei Sekunden später sitzt das Vieh wieder auf mir, diesmal knapp oberhalb des Nabels. Falterle, so geht das ned! Erneut arbeite ich daran, das anhängliche Teil aus der Gefahrenzone zu bringen - jedoch vergebens. Hier will es sitzen und basta! Also gut. Ich nehme mein Abendessen rücksichtsvoll mit extrem geradem Oberkörper ein, um nur ja nicht den Falter zu quetschen, der wie festgetackert auf meinem Bauch sitzt. Doch keine Handbewegung, kein Schattenwurf, kein Sonstwas bringt ihn aus der Ruhe. Er ist sehr klein, unscheinbar braungrau gemustert, starrt mir aber die ganze Zeit unverhohlen ins Gesicht, so lange, bis ich mich schließlich derart beobachtet fühle, dass ich mein Besteck niederlege, meine Kurzsichtbrille absetze und ihn ebenfalls ins Visier nehme. Rache ist süß! Aber, meine Güte, der Falter auch - und zwar so was von...!

Lichtstimmungen...
...am späten Nachmittag
Karg, aber faszinierend










Der Winzling nämlich hat riesengroße Knopfaugen, stumpelige, aber sehr fedrige Fühler, ein behaartes Näschen und ein Schnütchen, wie es putziger nicht sein könnte. Entzückt – und auf den ersten Blick heftig verliebt – lege ich mein Besteck beiseite. Schneck, kannst du mir mal meine Kamera holen? Ich muss dieses Schnuffelgesichtchen unbedingt fotografieren! Heinz bringt mir den Fotoapparat und ich beginne, den Falter zu knipsen. Shit, der ist zu nah vor der Linse! Mit der Hand unter meinem Shirt, versuche ich, das Gesichtchen des Mini-Insekts in den Brennweitenbereich meines Objektivs zu bringen. Geht aber nicht, denn sooo dehnbar ist der Stoff nun auch wieder nicht. Schneeeeeck, mach du doch mal, bitte! Schneck macht. Macht gerne, erst recht, als er sieht, was mich da so begeistert. Annette und Jochen lachen sich derweil tot über unsere Fotografier-Verrenkungen. Als sie jedoch das erste, brauchbare Bild auf dem Display meiner Kamera zu sehen bekommen, sind auch sie sofort unrettbar verloren, verliebt, hingerissen. Solange, bis Heinz mal wieder was aus dem Augenwinkel wahrnimmt: was Sauschnelles, was ziemlich Großes...

Altes Hirtenhaus
Pteronia sp.
Augea capensis










Und diesmal kriegen wir es auch zu Gesicht. Es. Es ist eine stattliche Solifuge, voll ausgewachsen, mit riesigen Chelizeren, superflink unterwegs und kein Tier, das ich gerne auf meinem T-Shirt sitzen hätte. Frrrrtzzzz, rrrrhhzzzzz, brrrrrtzzzz, so rennt das Spinnentier in einem Affenzahn auf dem sandigen Boden zu unseren Füßen herum. Unsere Köpfe zucken im Stakkato hin und her und wir wissen gar nicht, was wir jetzt zuerst tun sollen: fertig essen, aufstehen und der Muster-Solifuge fotografisch hinterherjagen oder einfach nur die Füße hochlegen und zusehen. Der Zeitraffer-Zickzackkurs der Walzenspinne allerdings ist so fesselnd, dass wir wie gebannt in unseren Stühlen kleben bleiben, die Füße auf dem Tisch, die Teller auf dem Schoß. Buschkino, Blockbuster! Als jedoch nach kurzer Zeit ein weiterer Protagonist, ein Skorpion, auf der Bildfläche erscheint, hält uns schließlich nichts mehr in unseren Kinositzen. Arachnophobia, Teil 27 1/2; Daddy Fattail versus Speedy Eightleg - und das live! Das muss man einfach fotografieren! Nun ja, die zwei Protagonisten folgen zwar ihrem eigenen Drehbuch, werfen sich nicht mordlüstern aufeinander, und tun auch sonst nichts wirklich Spektakuläres, aber spannend ist es trotzdem. Besonders wir, Zuschauer und Kameramänner zugleich, sind gefordert. Es ist eine durchaus anspruchsvolle Aufgabe, die beiden Spinnentiere im Fokus zu behalten, vor allen Dingen in dieser Dunkelheit, sie einigermaßen scharf auf den Chip zu bannen und nebenbei das Gesamtschauspiel nicht aus den Augen zu verlieren.

Meine neue Liebe:
Das Schnuffelgesicht
Ist der süß!










Dem kleinen Schnuffelgesichts-Falter, obwohl ich mich bemühe, rücksichtsvoll zu agieren, wird die Action bald zu viel und er verläßt in einem unbemerkten Moment den ungemütlich gewordenen Sitzplatz auf meinem Bauch. Tschüß Knuffi, ich werde dich nicht vergessen. Und dein herzerfrischendes Konterfei wird mir, als Bildschirmschoner, die drögen Arbeitstage der folgenden Monate deutlich versüßen. In diese Liga werden es die Fotos der Blockbuster-Hauptdarsteller zwar sicher nicht schaffen, dennoch freuen wir uns, ein paar gute Schüsse dieser flinken Nachtjäger zustande gebracht zu haben, bevor sie beide, ziemlich gleichzeitig, in der Dunkelheit verschwinden. Schade! Aber doch nicht richtig unangenehm, denn die direkte Präsenz der zwei schönen, jedoch wenig knuddeligen Tiere, schränkte unseren Bewegungsradius schon ein bisschen ein. Klar, sie können jederzeit wieder auftauchen. Dennoch nutzen wir ihre mehr oder weniger temporäre Absenz dankbar für die noch zu erledigenden Haushaltsaufgaben. Tisch abräumen, Essensreste verbrennen, Geschirrspülen und alles nachtsicher verstauen.

Skorpion
Solifuge
Spaß beim Fototermin










Es ist nicht unsere tägliche oder gar geschlechtertypische Aufteilung, aber heute spült eben Annette, ich trockne und unsere Männer sitzen am nahen Lagerfeuer und behalten im Gegenzug den Boden zu unseren Füßen im Auge. Und Heinz und Jochen nehmen ihre Aufgaben als Beobachter sehr ernst: „Macht ihr das auch schön? Huhu, hier steht noch ein Teller! Der Grillrost wäre jetzt auch zur Reinigung bereit!“, frotzeln sie. Als wir Frauen fast alles erledigt haben und uns gerne bald zu unseren Aufpassern ans Lagerfeuer gesellen würden, ruft Jochen warnend: „Achtung, Annette, da ist grad wieder eine Solifuge hinter dir.“ „Was sagst du?“, fragt Annette, dreht sich um hundertachtzig Grad und macht dabei mit ihrem linken Fuß den angekündigten Aggressor völlig unabsichtlich, aber umso zielsicherer platt. „Nichts, nichts, alles gut!“, japst Jochen und biegt sich vor Lachen. Annette ist etwas verwirrt, erst recht, als Heinz ebenfalls zu lachen beginnt und ich schließlich auch noch einfalle. Wir krümmen uns, wir heulen, weinen, wiehern, kichern, ersticken fast, haben Bauchweh, werfen uns weg. Je ratloser Annette wird, desto schlimmer plagen uns die Lachattacken. Es ist der Klassiker der nicht erklärbaren Situationskomik, der die Lachmuskeln der Beobachter bis aufs Äußerste strapaziert, den unfreiwilligen Komiker im Dunklen tappen läßt, bis er schließlich abwinkend oder gar beleidigt auf Erklärungsversuche verzichtet, und den man, sobald das Lachen einigermaßen abgeklungen ist, niemandem nachvollziehbar schildern kann. Und schon gar nicht, ohne erneut in tränenförderndes, zwerchfellstrapazierendes Gelächter auszubrechen. Ach, wie geil, wie gut das tut! Jetzt setzt wohl wirklich die absolute Entspannung ein. Selten genug erleben wir derartige Augenblicke im angespannten, termingetriebenen Alltag – und wenn, dann eher als entladend-hysterische Reaktion auf äußersten Stress. Davon sind wir heute jedoch weit entfernt; unser Lachen ist einfach nur von innen raus, höchst befreiend, tierisch albern und zudem nicht zu stoppen. Die arme Annette, der wir zwischen zumindest unseren Grundefür den Lachflash darlegen konnten, ist immer noch etwas irritiert, lacht aber inzwischen aus vollem Herzen mit, weil unser Gekicher derart ansteckend ist, dass man einfach nicht widerstehen kann. Und so beenden wir schließlich diesen Abend: mit den Füßen auf dem Tisch – solifugensicher –, den Sternenhimmel beobachtend, unsere Erlebnisse revue passieren lassend – und immer wieder loskichernd…


Weitere Impressionen des Tages:


Unser Camptal
Euphorbia ramiglans
Beim Kapsel-Besprühen









Euphorbia hamata
Cephalophyllum sp.
Euphorbia mauretanica










Zeitlose Landschaft
Brownanthus-Ebene
Sukkulenten-Hügel










Prachtexemplar E. hamata
Flechte
Warten auf uns  Zwei










Alles voller Sukkulenten!
Blick vom Leeuberg nach Süden
Blick vom Leeuberg nach Norden










Codon royenii
Panorama im Tankwa
Tylecodon wallichii










Tanquana prismatica
langblättrige Form
Tanquana prismatica
kurzblättrige Form
Pteronia sp.










Typisches Gestein...
...in der...
...Tankwana-Ebene










Berge mit Brownanthus-Ebene
Berge mit Euphorbien-Ebene
Augea capensis










Hoodia gordonii
Euphorbia ramiglans
Leipoldtia sp.
Brownanthus vaginatus
















Leeuberg
Annette
Annette und Jochen
Heinz
















Sarcocaulon sp.
Tylecodon wallichii
Tylecodon wallichii
Euphorbia mauretanica















Augea capensis
Wegweiser im Park





























































































15. März 2013, Tankwa Karoo NP > Vanrhynsdorp

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Ein neuer Morgen bricht an und wir stehen auf, all unsere tierischen Freunde von gestern wieder antreffend – wie alte Bekannte. Auch die kleinen Bienchen begrüßen uns erneut und sind ebenso lästig bei der Sache wie am vergangenen Morgen. Heute aber können wir ihnen die Zeit nicht zugestehen, unser Spülbecken zu trocknen, unseren Abfallbeutel nachhaltig zu bevölkern und in unseren Mund- und Augenwinkeln nach verwertbarem Nektar zu suchen. Heute nämlich ist wieder ein Ortswechsel geplant und wir möchten uns nicht vertrödeln. Die Bienen jedoch haben dafür wenig Verständnis, wollen einfach nicht weichen. Mit viel Mühe und Überredungskunst gelingt es uns schließlich doch, unser Equipment und den Müllbeutel weitestgehend immenfrei ins Auto zu verfrachten. Gut, ein paar besonders hartnäckige Bienen müssen leider dran glauben und uns nach Vanrhynsdorp begleiten, einige glücklichere Exemplare dürfen hingegen am Office schon wieder aussteigen; hier nämlich geben wir unseren Abfall ab und checken ordnungsgemäß aus. Dann treten wir den Weg aus dem Park heraus an.

Frühstück in der Sonne
Schwuppdiwupp, alles gepackt!
Abschied von der Traum-Hoodia










Er führt uns zunächst Richtung Norden, danach geht es ostwärts – aber nur sehr langsam. Denn wieder mal gibt es unendlich viel zu sehen. Unser erster Stopp erfolgt bereits nach einer knappen halben Stunde der Fahrt und schuld daran ist ein ganzer Wald von Tylecodons. Wie knubbelige Skulpturen stehen die großen caudiciformen Dickblattgewächse mit der goldgelben, pergamentartigen Rinde in der Morgensonne und leuchten uns verführerisch an. Natürlich müssen wir sofort aussteigen und die Schönheiten betrachten, befühlen und ihren Wuchs und die Größe auf uns wirken lassen. Es sind unfassbar kompakte Exemplare, eines schöner als das andere, die hier auffällig dicht nebeneinander stehen. Heinz springt von einem Bäumchen zum nächsten, kann sich nicht festlegen, welches das Eindrucksvollste, das Schönste von ihnen ist. Und wieder flackert das Bild vom heimischen Garten vor unseren Augen auf. Wäre es bei uns nur heißer, gäbe es keinen Winter, würde das Ausgraben und Exportieren von Pflanzen nicht verboten sein und könnte man so einen Muster-Tylecodon problemlos als Handgepäck mit ins Flugzeug nehmen, würden wir wohl auch schon den Spaten zücken… Doch nein. Es sind nicht nur zu viele Konjunktive, die unserem Verlangen im Wege stehen. Es ist eben schlichtweg eine kleine Träumerei, die uns Freude macht – und zudem völlig legal ist und den Pflanzen keinen Schaden zufügt. Trotzdem fällt es uns schwer, die imposanten Knubbel-Gestalten wieder zu verlassen, ohne sie allesamt nicht doch noch aufs Autodach zu packen. Aber Spaß beiseite. Wir verabschieden uns von diesem einzigartigen Tylecodon-Wald, indem wir ihn stattdessen lediglich in unser Gedächtnis packen. Das ist besser für alle Beteiligten, hält das Transportgewicht im Rahmen und, am allerwichtigsten, kann uns von niemandem genommen werden.

Zwischenstopp
Das Tylecodon-Tal
Tylecodon paniculatus










Dann schlichten wir uns erneut in den Wagen, um unseren Weg fortzusetzen. Bald steigt die Straße an, zuerst nur leicht, bald aber immer steiler und windet sich in engen Serpentinen über mehrere hundert Höhenmeter nach oben. Wir erklimmen den Gannaga Pass und sehen die ganz Zeit wie gebannt aus den Autofenstern: zu unserer Linken türmen sich mächtige Felsen, deren brüchige Strukturen zahlreichen Pflanzen ein sicheres und nährstoffreiches Zuhause bieten, zu unserer Rechten eröffnet sich ein Tal, an dessen Ende man weit in den Nationalpark hineinblicken kann. Und schon wieder müssen wir anhalten, um diesen spektakulären Ausblick ausgiebig zu genießen. Allerdings merkt man deutlich, dass wir ganz schön hoch oben sind, denn der vormals heiße Wind, der uns im Tal noch zum Schwitzen brachte, ist hier droben eine mehr als erfrischende Brise, die uns Gänsepickel auf die Haut zaubert. Es tut zwar gut, ein wenig Abkühlung zu bekommen, doch allzu lange halten wir es trotzdem nicht aus und hüpfen dankbar zurück ins warme Auto, um bald darauf eine windverblasene Hochebene zu überqueren. Hier befindet sich die Gannaga Lodge, die zu den wenigen festen Unterkünften im Park zählt. Besonders einladend jedoch wirkt das Ressort nicht auf mich. Ich kann nicht sagen, was genau es ist, das mich sofort an den Film „Shining“ denken läßt. Wahrscheinlich aber sind es mehrere Signale, die gleichzeitig ein Unwohlsein in mir erzeugen. Eine grasbewachsene, windgepeitschte Ebene, öde, vegetationsarm; ein Gebäudekomplex, der unbelebt wirkt und überdimensioniert erscheint; Fenster, die mich wie tote Augen anstarren und eine spürbare Kälte – temperaturbedingt und zusätzlich verstärkt durch den Odem der Örtlichkeit. Ein seltsamer Ort mit befremdlicher Ausstrahlung, der sicher nicht auf der Wunschliste zukünftiger Urlaube stehen wird.

Am Fuße des Passes
Ganz oben auf dem...
... Gannaga Pass










Ich bin richtig erleichtert, als wir die Lodge endlich hinter uns lassen, das nördliche Parkgate durchfahren und unseren Weg Richtung Middelpos und Calvinia fortsetzen – der Knersvlakte entgegen. Doch bis dorthin sind es noch viele, viele Kilometer, die uns weiter auf relativ großer Höhe dahinführen. Komisch. Mein inneres Gefühl nämlich erwartet irgendwie einen baldigen Abstieg, doch der will und will nicht kommen. Stattdessen halten wir das Höhenniveau, klettern sogar noch ein wenig nach oben. Auf der Landkarte kann man es deutlich sehen, meine Erwartungshaltung jedoch weigert sich weiterhin standhaft, das normal zu finden. Was ist nur los mit mir? Hat mich die Geister-Lodge so aus dem Gleichgewicht gebracht, dass mich meine topografischen Sinne nun total im Stich lassen? Naja, egal, es wird sich schon wieder einkalibrieren. Und das tut es tatsächlich. Und zwar genau zu dem Zeitpunkt, als die Landschaft wieder ansprechender wird. Mit einem Mal nämlich tauchen große, ovale Zeugenberge auf, deren flache, rostbraune Plateaus sich gegen den blauen Himmel abzeichnen und mich von einer Sekunde auf die andere von „Shining“ in einen Cowboyfilm transferieren. Wenn ich nicht genau wüßte, wo ich bin, würde ich mich jetzt glatt in Amerika, mitten in Colorado, wähnen und gleich müsste der Marlboro-Man mit seinem schnaubenden Hengst unseren Weg kreuzen. Mhm, irgendwas ist da bei der Kalibrierung schiefgelaufen…

Welcome to Cowboy Country
Zeugenberg mit Mütze
Flache Zeugenberge










Doch immerhin fühle ich mich jetzt wieder ein wenig wohler und steige gerne aus dem Auto, als wir eine kleine Pause machen. Der rauchende Cowboy besucht uns dabei natürlich nicht, dafür aber entdecken wir, immerhin, erneut einige interessante Pflanzen, die eindeutig sukkulent sind. Oder sollte ich besser sagen: waren. Denn sukkulent bedeutet ja saftreich, eine Eigenschaft, die man unseren Funden jedoch im Moment eindeutig nicht zuerkennen kann. Nichtsdestotrotz werde ich herausfinden, was hier vor sich hinvegetiert, denke ich mir entschlossen, während ich einen wirklich saftreichen Apfel verzehre. Als wir alle einen kleinen Snack zu uns genommen und unsere Blasen erleichtert haben, geht es weiter durch Marlboro Country. Und weiterhin zeigt mein innerer Höhenmesser abwärts. Doch es dauert noch sehr lange, bis er und die tatsächliche Höhe wieder eine gemeinsame Diskussionsgrundlage finden. Kurz vor Calvinia endlich ist so weit. Wir verlieren an Höhe, die Roggeveldberge verschwinden endgültig im Rückspiegel und machen den Hantamberge Platz. Die Täler sind wieder weiter geworden, die Ebenen flacher, großzügiger, und ich fühle mich jetzt richtig befreit, kann wieder tief durchatmen. Ach, das war es also! Als Bayerin bin ich zwar ein Kind der Berge, fühle mich jedoch sofort eingeengt, sobald da was um mich herum aufragt, mir die Sonne nimmt und mich bequetscht. Dass mich ein Hochplateau, dessen Ränder ich nicht sehen kann, in vergleichbare Bedrängnis versetzt, war mir bis dato zwar neu, erklärt aber, für mich total nachvollziehbar, was mich in den letzten Stunden so aus den Gleichgewicht gebracht hat.

Octopoma nanum
Pelargonium sp. (?)
Gomphocarpus fruticosus










Allmählich aber pendelt sich mein topografisches Gefühlsleben wieder ein, vor allen Dingen, weil auch die Karte mir bestätigt, dass es nun tatsächlich bald abwärts gehen wird. Zunächst jedoch müssen wir noch einen kurzen Tankstopp in Calvinia einlegen und wollen bei der Gelegenheit auch gleich noch unsere Vorräte auffüllen. Die Tankstelle liegt direkt an der Hauptstraße und wir hegen die Hoffnung, hier auch einen Supermarkt vorzufinden, sodass wir nicht in den Ort hinein müssen. Leider aber müssen wir doch, so eröffnet uns der freundliche Tankwart. Nun gut, wat mutt, dat mutt. Ohne große Begeisterung kurven wir durch die wenig einladenden Straßen Calvinias, bis wir endlich fündig werden und unser Auto direkt vor einem mittelgroßen Geschäft abstellen. Ein Blick die Straße runter, ein Blick die Straße rauf: es ist wohl besser, wenn Heinz und ich beim Wagen bleiben, während Annette und Jochen einkaufen gehen. Nun ist es nicht so, als wären wir hier in einem total heruntergekommenen Viertel gelandet, nein, aber es treiben sich doch eine erstaunliche Anzahl recht abgerissen wirkender Gestalten herum, deren Fokus auf den Kunden des Supermarktes liegt. Jeder, der mit Tüten bepackt oder einen Einkaufswagen schiebend, den Laden verläßt, wird sofort belagert und angebettelt. Und der extra abgestellte Sicherheitsmann des Geschäfts geht seinen Pflichten deutlich gelangweilt und lückenhaft nach. Obwohl wir stets darauf achten, unser Equipment möglichst so im Laderaum zu verstauen, dass es keine Begehrlichkeiten weckt, so ist es doch offensichtlich, dass wir bis unters Dach voll sind. Verständlicherweise möchten wir niemandem die Gelegenheit geben, mal nachzusehen, ob da nicht doch was Brauchbares zu holen ist. Und so, wie sich die Bettler hier geben, können die alles brauchen. Also bleiben Heinz und ich bei unserem Hausstand und halten später, als unsere Freunde den Einkauf in den Landy packen, die aufdringlichen Herrschaften von unaufgefordertem Zupacken ab. Solche Situationen vor Supermärkten, Tankstellen oder Getränkeläden sind übrigens nicht unüblich, aber, mit derartiger Vehemenz, auch nicht alltäglich, das sei der Ordnung halber gesagt. Dennoch sind wir immer ganz froh, uns nicht allzu lange in einer größeren Ansiedlung aufhalten zu müssen. Auch jetzt, nachdem wir alles „zivilisatorische“ erledigt haben, machen wir uns schnellstmöglich wieder auf den weg, hinaus aus Calvinia, hinaus auf die R27, die uns an weitem, eingezäuntem Weideland vorbeiführt. Wir wären nicht wir, würden wir nicht auch hier, auf diesen botanisch recht uninteressanten Flächen doch bald etwas entdecken, das uns erneut zum Anhalten nötigt: seit geraumer Zeit schon begleiten uns am Straßenrand frischgrüne, im Wind wogende Sträucher, die seltsam stachelige Früchte tragen. Und das müssen wir uns näher betrachten!. Bei der nächstbesten Gelegenheit stoppen wir den Landy auf dem Bankett und statten den auffälligen Pflanzen einen Besuch ab. „Papsthoden, das sind Papsthoden!“, freue ich mich und ernte ratlose Blicke meiner Freunde. Nein, die Dinger heißen sicher anders, aber der schwule Florist, bei dem ich immer Sträuße für besondere Gelegenheiten bestelle, lässt es sich nicht nehmen, mir jedesmal ein paar dieser Stachelteile in das Bukett zu binden und mich, ebenfalls jedes Mal, freudig strahlend zu fragen, ob ich gewusst hätte, dass dies die Hoden des Papstes seien… Nun ja, es gibt schönere Vorstellungen als die, die Kronjuwelen seiner Heiligkeit zu verschenken, aber in Wirklichkeit handelt es sich ohnehin um etwas anderes: es ist ein Gomphocarpus, ein Seidenpflanzengewächs, das unscheinbare, aber wunderschöne Blüten und eben diese luftgefüllten, bestachelten Samenstände trägt. Wir freuen uns über diese Entdeckung und ich, für meinen Teil, freue mich auf den nächsten Besuch bei meinem Floristen…

Oberhalb des Passes
... und unterhalb...
Gomphocarpus "papsthodiensis"










Nun aber wird es Zeit, wieder ein paar Kilometer gut zu machen, was uns tatsächlich ohne weitere Unterbrechung gelingt. 90 Kilometer nach Calvinia dann, ich hatte schon gar nicht mehr daran gedacht, geht es endlich richtig bergab – der Vanrhynspass lässt uns auf engen Serpentinen beträchtlich an Höhe verlieren. Doch nicht nur topografisch gesehen geht es bergab, auch das Wetter ändert sich plötzlich schlagartig. Der vormals strahlend blaue Himmel nebst der vereinzelten Schäfchenwolken zieht sich immer mehr zu, finster dräut dunkelgraues Gewölk und platziert so manchen Regentropfen auf unserer Windschutzscheibe. Hallo, wir wollen morgen in die Knersvlakte, wir können jetzt keinen Regen gebrauchen! Es wäre wirklich eine mittlere Katastrophe, würde hier und jetzt ein Tief anrücken, denn der Besuch der, unter Botanikern weltberühmten, Quarzflächen ist einer meiner lange gehegten Wünsche, für dessen Erfüllung jedoch niederschlagsfreies Wetter unabdingbar ist. Aber es ist ja erst morgen so weit und bis dahin kann sich noch einiges tun. Hoffnungsfroh kurven wir den Pass runter und erreichen zirka einer Stunde später das Örtchen Vanrhynsdorp, Ausgangspunkt unserer geplanten Exkursion in die „Ebene der knirschenden Steine“. Und ausnahmsweise sind wir diesmal ziemlich unvorbereitet: weder wissen wir, wo wir übernachten sollen, noch, wo genau sich die Quarzebenen befinden. Das jedoch hoffen wir rasch im Ort herausfinden zu können. Annette hatte für die Übernachtung vor Antritt unserer Tour per Mail zwar noch bei einem Community Trust angefragt, bis zum heutigen Tage aber keine Antwort erhalten. Telefonnummer hat sie keine und Internet ist momentan natürlich auch keine Option. Aber da gibt es ja noch meine Kontaktadressenliste, auf der alle relevanten Nummern verzeichnet sind. Mal sehen, ob das Ding was taugt! Wir wählen also die Nummer des Griekwa Ratelgat Community Trusts und bekommen in der Tat sofort Verbindung. Eine Dame ist dran.„Ah, Reservierung, soso“, murmelt sie, „da muss ich erst mal in den Mails nachsehen. Ja, da ist letzte Woche was gekommen, aber das hat noch niemand bearbeitet.“, eröffnet sie uns. „Und außerdem haben wir ohnehin geschlossen!“ Spricht’s und legt auf.

Empfangs-Komitee...
... des Caravan-Parks
Belagertes Lager










Mhm, das fängt ja gut an! Aber in meiner Liste habe ich noch ein zweites Etablissement notiert, das hier Übernachtungsmöglichkeiten offeriert. Vielleicht haben wir da mehr Glück. Vanrhynsdorp Caravan Park nennt sich das Ressort, das wir auch, nach einiger Suche, endlich am Ortsrand ausfindig machen. Schwungvoll kurven wir durch das Einfahrtstor, halten vor der Rezeption und kämpfen uns zwischen vier uns begrüßenden Hunden zum Office vor. Dort jedoch fällt der Willkommensgruß deutlich verhaltener aus. Eine junge Dame hängt sichtlich gelangweilt vor der Glotze und empfängt uns zwar einigermaßen freundlich, aber ein leichter Unmut über unsere Dreistigkeit, mitten am Nachmittag zu stören, ist nicht zu übersehen. Nach demonstrativ gequältem Seufzen und Stöhnen, bei dem immer wieder ein wenig Alkoholdunst in unsere Nasen zieht, bequemt sie sich endlich doch, uns einen Stellplatz zuzugestehen. Aber nicht hinten, auf dem Caravangelände, tut sie uns kund, sondern vorne, neben dem Sanitärgebäude. Etwas anderes könne sie uns nicht anbieten. Begründung nennt sie uns allerdings keine. Nach kurzer Inspektion des zugewiesenen Stückchen Rasens und des verlotterten Waschhauses entscheiden wir uns zum Bleiben; was sollen wir auch machen, wir brauchen einen Übernachtungsplatz. Gelangweilt nimmt die Lady unseren Entschluss zu Kenntnis, zeigt aber erstmalig eine erkennbare Regung, als wir nach der Knersvlakte fragen. Eine Augenbraue wandert nach oben, der schläfrige Gesichtsausdruck wandelt sich in einen ratlosen. „Knersvlakte? Was soll das sein?“ Wir erklären. „Nie gehört!“, ist der abschließende Kommentar der Frau, die in gerade mal 20 Kilometern Entfernung dieses botanischen Hotspots wohnt! „Aber versuchen Sie es doch mal bei der Gärtnerei, die könnten das wissen.“, meint sie und macht eine vage Handbewegung Richtung Ortschaft. Vielen Dank für den netten Empfang und die tatkräftige Unterstützung, Fräulein Schnarchnase, und entschuldigen Sie nochmals die Störung!

Kopfschüttelnd setzen wir uns wieder in den Wagen und machen uns auf die Suche nach besagter Gärtnerei, die ich, dem Himmel sei Dank, auch in meine Liste aufgenommen hatte. Kokerboom Kwekery, Voortrekkerstraat. Hah, an der Voortrekker sind wir vorhin vorbei gekommen. Mit dieser Orientierungshilfe ist auch die Gärtnerei rasch gefunden und wir haben sagenhaftes Glück: es ist Samstag Nachmittag, 16 Uhr, die Angestellten der Gärtnerei machen gerade Feierabend und wir kommen, buchstäblich in letzter Minute, noch auf das Betriebsgelände. Und obwohl man hier gerade die Schotten fürs Wochenende dicht machen will, werden wir äußerst freundlich empfangen, erhalten alle gewünschten Informationen und dürfen uns sogar noch in aller Ruhe in den Gewächshäusern umsehen! Und die, beziehungsweise das, was sie beherbergen, treibt uns fast die Tränen der Begeisterung in die Augen: Sukkulenten, soweit man blickt! Fein säuberlich beschriftet und nach Altersgruppen geordnet, ist hier alles zu finden, was unsere Herzen begehren. Alles und noch mehr, sogar richtige Raritäten. All diese Schätze könnte man natürlich käuflich erwerben. Könnte, wenn man sie anschließend auch mit in die Heimat bringen dürfte. Das aber ist uns leider nicht gestattet und so begnügen wir uns, mit glänzenden Augen und großem Bedauern, das Paradies eben nur optisch in uns aufzusaugen. Ach, wenn das Wörtchen wenn nicht wär! Leider aber können wir seine Existenz nicht ignorieren und auch nicht, dass die Gärtnerei eigentlich schon geschlossen hat.

Um nun die Geduld der freundlichen Gärtnersdame und auch unsere Leidensfähigkeit nicht über Gebühr zu strapazieren, verabschieden wir uns recht bald – wenn auch schweren Herzens. Doch wir wissen nun immerhin, wo genau die Knersvlakte ist, haben die Telefonnummer des Herrn, der uns reinlassen wird und unsere Übernachtung ist ebenfalls gesichert. Was also wollen wir mehr?! Froh über unseren erfolgreichen Besuch in der Sukkulenten-Gärtnerei kehren wir schließlich zum Caravan Park zurück, um endlich, mit Hilfe der uns schwanzwedelnd begrüßenden Hunde, unser Lager zu errichten und den Abend einzuläuten. Dieser wird auch, wider Erwarten, doch noch ganz gemütlich. Zwar hält uns, unter anderem, ein dickes Haarbüschel im Abfluss der Dusche von ausgiebigerer Körperpflege ab, aber gegen die aufkommende, fast beißende Nachtkälte schützt uns entsprechende Kleidung (und eine Katze auf dem Schoß), und gegen eventuelles Ungemach seitens der nicht eben vertrauenerweckenden Nachbarschaft, von der uns nur ein windiger Zaun trennt, die tröstliche Präsenz der Hunde. Sie weichen den ganzen Abend, die ganze Nacht nicht von unserer Seite und sind nur zu uns so freundlich…


Weitere Impressionen des Tages:

Schnell noch ein Abschiedsfoto
Was hier alles wächst!
Im Tylecodon-„Wald“











Auf dem Gannaga Pass
Prächtiger Tylecodon
Packaktion











Unscheinbar aus der Entfernung,
wunderschön im Detail:
Zygophyllum retrofractum











T. paniculatus - Samenstände
T. paniculatus - Stamm
Ausschwärmen für Details










Vegetation auf dem Gannagas
Tylecodon wallichii - Detail
Octopoma nanum











Tylecodon paniculatus
Gefährt und Gefährte
Feldstudien











Gannaga Pass
Blick zurück in den Tankwa
Landschaft unterwegs











Unsere Lagerwachen
Katzenbesuch
Hund, schau halt her!











Tylecodon orbiculatus
Tylecodon-Samenstände

16. März 2013, Erkundungstag in der Knersvlakte

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Als Heinz und ich aus dem Zelt kriechen, landen unsere Füße gleich in einer Wasserpfütze, die auf unserer Zeltplane steht. Nein, die Hunde waren das nicht – heute Nacht hat es wohl doch noch geregnet. Auch jetzt, gegen sieben Uhr Morgens, zeigt sich das Wetter nicht gerade von seiner schönsten Seite. Es ist kalt, leicht windig, dichter Nebel wabert ums Camp und die Sonne ist nicht mal ansatzweise zu sehen. Mist! Enttäuscht und nicht eben gut gelaunt versammeln wir uns zum Frühstück unter dem Gazebo, rutschen fröstelnd auf den klammen Campingstühlen umher. Die Hunde tun ihr Bestes, unsere Laune zu heben, und wir honorieren ihre Bemühungen mit einem kleinen Lächeln, ordentlich Streicheleinheiten und etwas Essen, das hin und wieder aus Versehen vom Tisch „fällt“. Erst, als wir bereits am Abspülen sind und missmutig gen Himmel blicken, werden wir plötzlich leicht geblendet und verspüren auch etwas Wärme. Das wird doch nicht!? Doch! Wie von Geisterhand geschoben, verzieht sich bald der Nebel, die Sonne blitzt warm auf uns hernieder und wir sehen unseren Tag gerettet. Juhu! Nun steht einem gelungenen Besuch der Quarzfelder nichts mehr im Weg!

Erster Blick auf das Gelände
So heißt die private Farm
Einfahrt zu Herrn Wieses Anwesen










Sogleich packen wir alles Nötige zusammen, stecken etwas Proviant und genügend Wasser in unsere Rucksäcke und begeben uns hinaus auf die N1, an deren Rand, nur etwa 20 Kilometer von hier, sich die Knersvlakte erstreckt. Eine halbe Stunde später sind wir auch schon da, bei einem Haus, in dem, laut Aussage der Gärtnerin, Herr Wiese lebt. Und der soll uns nun einlassen in sein Sukkulenten-Paradies. Wir parken unser Auto im Hof der „Knersvlakte Spens“ und machen uns auf die Suche nach dem Mann. Hallo, Herr Wiese, hallo? Alles verschlossen, keiner antwortet. Aber wir hören doch Musik! Entschlossen umrunde ich das Haus, wenn auch mit leicht schlechtem Gewissen, denn hier sieht es schon sehr nach Privatgrund aus. Herr Wiese?! Nix. Die Musik dudelt, aber Herr Wiese scheint nicht da zu sein. Irgendwie komisch. Oder wir sind einfach zu penetrant. Gedanken machen wir uns trotzdem. Nicht, dass wir den guten Mann am heiligen Sonntag bei irgendwelchen unheiligen Tätigkeiten des Wohlbefindens stören… Wir hätten doch besser schon gestern anrufen sollen! Das holen wir jetzt, in der letztmöglichen Penetranzstufe, mit unwohlem Gefühl, nach. Gut, immerhin bimmelt im Haus kein Telefon! Also ist der Wächter der Knersvlakte tatsächlich nicht zuhause – Glück gehabt. Als aber nach kurzem Anläuten auch noch jemand abhebt und sich mit „Hello, Wiese!“ meldet, ist unser Glück gut aufgestellt. Richtig perfekt wird es allerdings erst, als Herr Wiese uns kundtut, er sei nur gerade in der Stadt gewesen und bereits auf dem Rückweg. „Ten minutes, and I’ll be at home!“ Das klingt doch gut!

Zu Boden, Schatz...
Ich stehe noch, aber nicht mehr lange
Crassula columnaris










Und tatsächlich: kurz darauf kurvt ein verbeulter Pick-Up von der Straße in den Hof, ein zerzauselter Mann samt struppigem Hund klettert aus dem Gefährt und begrüßt uns herzlich. Wir entschuldigen uns für die Störung, erzählen ihm, wir hätten das Radio gehört, seien ums Haus gegangen und hätten gerufen, wollten aber nicht am Sonntag… Typisch deutsch halt. Herr Wiese hingegen tut das alles als selbstverständlich ab und bittet uns erst mal rein. Er freue sich immer über Besuch, besonders aber in der Nebensaison – so wie jetzt. Und gleich entschuldigt er sich: Nebensaison, da ist nichts los, da sei er ab und zu nicht erreichbar, ach ja, und Broschüren hätte er auch keine mehr, Kaffee müsse er erst kochen – aber die kleine Sukkulenten-Gärtnerei könnten wir derweil gerne ansehen. Typisch südafrikanisch eben. Wir, die wir ja schon ausgiebig gefrühstückt haben, verzichten dankend auf Kaffee und strapazieren die Freundlichkeit Herrn Wieses lieber, indem wir uns bei den Pflanzen umsehen und uns darauf freuen, ein paar Informationen vom Experten zu erhalten. Doch weit gefehlt; er muss immer auf die Schildchen in den Pflanztöpfen sehen, bevor er das bestätigt, was wir schon lange identifiziert haben. Als ich ihn dann frage, wie das eigentlich mit den Deckelchen der Kapseln sei – hat eine zehnkammerige nun auch genau zehn oder aber elf oder gar nur neun Tortenstücke – steigt er aus und outet sich. Sein Vater sei der Experte gewesen, von ihm hätte er alles geerbt, er erhalte es bereitwillig und leidenschaftlich – aber Ahnung „von dem Zeug“ hätte er nicht wirklich. Interessant!

Dimelaena sp. (?)
Psora sp.
Caloplaca sp. (?)










Ich kapiere das alles hier ohnehin nicht so richtig; bis heute nicht. Ein Erklärungsversuch, was ich nicht so recht verstehe: Die Knersvlakte ist ein einzigartiger Biodiversitäts-Hotspot im Zentrum der Sukkulenten-Karoo. Das knapp 50.000 Hektar große Gebiet beherbergt rund 1.300 Pflanzenspezies, von denen beinahe dreihundert in dieser Vegetationszone endemisch sind, darunter um die hundertdreißig bedrohte Arten. Und darin enthalten sind auch ganze drei Gattungen, die nur hier, in der Knersvlakte, unter bestimmten Ortskonditionen vorkommen. Super-Endemiker also. Zwar wurde der Titel Naturschutzgebiet der Knersvlakte offenbar bereits zugeteilt, die Einteilung als Biosphärenreservat durch den WWF angestoßen. Trotzdem - ich will ja niemandem Unrecht tun, aber WARUM ist ein derartiges Stück Natur in Privatbesitz? Es soll ja nicht heißen, ein Privatmann könne sich nicht leidenschaftlich und hervorragend um ein so sensibles Gebiet kümmern, aber die Sache mit den finanziellen Mitteln dürfte recht eingeschränkt sein. Ich kapiere die Zusammenhänge und Modalitäten einfach nicht. Aber nächstes Jahr planen wir ja wieder einen Besuch der Knersvlakte, da muss ich Herrn Wiese unbedingt fragen und meine Ungereimtheiten ins Klärungslot bringen!

Phyllobolus sp.
Crassula muscosa
Man muss genau hinsehen!










Jetzt aber müssen wir nur eines: hier weg und rein in die Knersvlakte. Das dürfen wir sogar, ohne Eintritt zu bezahlen, denn es ist ja Nebensaison und, laut Herrn Wiese, ist da nicht viel zu sehen… Das überprüfen wir jetzt aber sofort! Wir überqueren die N7, fahren gegenüber der Spens über einen Sandweg Richtung Osten und kommen nach zwei Kilometern an ein Tor, wo wir das Auto abstellen. Sukkulente Schätzchen, wir kommen! Rasch setzen wir unsere Hüte auf, cremen uns ein und ich schnalle mir meine Knieschützer um. Die Teile, die ich mir extra angeschafft hatte, um beim Fotografieren von Kleinstsukkulenten bequem knien zu können, sorgen seit ihrem Kauf, ach was sage ich, seit ihrer Erwähnung immer wieder für Lacher. Auch jetzt grinsen meine Reisegenossen recht süffisant. Das jedoch vergeht ihnen bald und sie beneiden mich regelrecht um meine Komfortpolster. Denn die Pflanzen, die wir schon auf den ersten Metern zwischen den weißen Quarzkieseln vorfinden, sind wirklich extrem klein und man muss ganz tief runter, um sie in voller Pracht zu sehen: Heinz erspäht ein winziges Knöpfchen, kugelförmig, farblich hervorragend getarnt, mit mikroskopisch kleinen Zähnchen an den Blatträndern – das ganze Ding in etwa so groß wie ein Daumennagel. Eine Crassula, wie sie symmetrischer, perfekter, schöner, winziger nicht sein könnte. Ich bin hin und weg und falle erstmals in der Knersvlakte auf die Knie. Die anderen tun es mir gleich, doch für sie ist es um einiges schmerzhafter, zumal es nicht der letzte Kniefall bleiben wird.

Crassula columnaris
Argyroderma delaetii
Brownanthus sp.










Mensch, Mensch, Mensch, ist das ein abgefahrener Ort! Praktisch im Minutentakt entdecken wir Neues, Bizarres, Wunderschönes, Phantastisches. Da sind zum Beispiel Argyrodermas, die zu den absoluten Knersvlakte-Endemiten zählen. Der Name Argyroderma kommt aus dem Griechischen, bedeutet „silbernhäutig“, aber silbern ist hier nix. Die ersten Argyrodermas, die wir zu Gesicht bekommen, befinden sich in der Ruhephase, schließen mit dem Boden ab und sind von hellem Apricot. Mit ihrem hochsukkulenten Blätterpaar, das nur durch einen schmalen Schlitz voneinander getrennt ist, und der hautähnlichen Farbe, gleichen sie kleinen Popöchen, die ihre Backen aus den Quarzkieseln recken. Meine Assoziation; die unserer Männer hingegen weicht ein wenig davon ab, bewegt sich aber ebenfalls im körperlichen Bereich… Aber es darf jeder darin sehen, was er will, Hauptsache er genießt den Anblick der kleinen Kunstwerke so wie ich!

Oophytum nanum mit Argyrod.
Drosanthemum diversifolium
Conophytum subfenestratum










Und ich genieße an mehreren Fronten: erstens bin ich ein sehr grafisch sehender Mensch und diese Symmetrie, diese scheinbare Simplizität des Aufbaus der Pflanzen, ihre Farbspiele, die subtilen Verläufe und winzigen Schmuck-Details entzücken mich zutiefst. Zweitens bin ich ein Ergründer, ein hobby-wissenschaftlicher Wadlbeißer, der erst Ruhe gibt, wenn er die Zusammenhänge erkennt, Überlebensstrategien begreift und die bezaubernde Optik, losgelöst von ihrer Schönheit, einer bestimmten Funktionalität zuordnen kann. Das ist bisweilen etwas anstrengend – nicht nur für meine Begleiter – aber dennoch entspannt es mich zutiefst. Als relativer Neueinsteiger in das Sukkulenten-Thema lese ich natürlich, meiner Art entsprechend, immer wieder diverse Fachartikel. Dabei bin ich, vor längerer Zeit schon, auf das Thema CAM gestoßen. Crassulacean Acid Metabolism, zu deutsch Crassulaceen-Säurestoffwechsel. Klingt vielleicht uninteressant und pupstrocken, ist es aber nicht. Es ist die faszinierende, wissenschaftliche Erklärung einer einzigartigen Überlebensstrategie von Pflanzen, die unter solch harschen Konditionen ihr Dasein erfolgreich meistern, indem sie sich genau diesen Bedingungen angepasst haben und das Beste rausholen. Und es hat nichts mit Sukkulenz zu tun, zumindest nicht ausschließlich. Natürlich betreiben viele sukkulente Pflanzen CAM, weil sie in klimatischen Regionen wachsen, in denen es sehr trocken und heiß ist. Aber Sukkulenz ist lediglich die Bevorratung eines Mangelguts, nämlich Wasser, CAM hingegen ist das temporäre Separieren der lebensnotwendigen Energieaufnahme und -verwertung, sodass jeder dieser beiden Prozesse getrennt zur jeweils geeigneten Zeit stattfindet, obwohl er bei den meisten anderen Gewächsen gleichzeitig abläuft. Jetzt wird es kryptisch, oder? Keine Angst, es ist ganz einfach! „Normale“ Pflanzen, das haben wir bereits im Biologie-Unterricht gelernt, betreiben Photosynthese. Die Sonne scheint, UV-Strahlung wird aufgefangen und zusammen mit CO2 und Wasser vom Blattgrün in Energie umgewandelt. Was aber machen, wenn die Sonnenglut der Pflanze ihre ganze gespeicherte Feuchtigkeit nimmt, während sie mit geöffneten Stomata die lebensnotwendige Photosynthese betreibt. Dann ist der ganze Aufwand vergebens. Jetzt aber kommt CAM ins Spiel – vom Grundprinzip her ein bisschen wie ein Nachtspeichergerät. Ist Energie zu einer bestimmten Tageszeit zu teuer, wird sie eben dann gespeichert, wenn sie zu einem günstigeren Tarif verfügbar ist. Für die Pflanze heißt das übersetzt: das für die Photosynthese benötigte CO2 wird einfach nachts, wenn es kühler ist, aufgenommen, in Apfelsäure umgewandelt und in den Vakuolen der Zellen gebunkert. Wenn dann die Sonne erneut vom Himmel brennt, schließen sich die Spaltöffnungen, die Apfelsäure gibt das CO2 wieder frei und die Photosynthese kann beginnen – sozusagen bei geschlossenen Jalousien. Genial, oder?!

Monilaria pisiformis
Argyroderma fissum
Drosanthemum schoenlandianum










Na ja, eigentlich ist es „nur“ Natur, die aber bringt so viele Mechanismen und Dinge hervor, über die man sich normalerweise keine Gedanken macht. Auch der Mensch ist, rein funktions- und konstruktionstechnisch gesehen, ein absolutes Wunderwerk, nur leider ist er auf einer Entwicklungsstufe stehengeblieben, die ihn im Vergleich zu allen anderen Lebewesen nicht wirklich gut dastehen lässt. Die sogenannte Intelligenz ist diesbezüglich nämlich ein wenig zu egozentrisch geraten: die humanoide Hirnkapazität, die vielgerühmte und -gelobte, hat dann doch diverse, sehr deutliche Synapsenbruchstellen, sobald es um Gemeinwohl und Selbstlosigkeit geht. Klar, auch Pflanzen und Tiere sind rücksichtslos, was ihr ureigenstes Wesen anbelangt - wie wir eben auch. Aber nur wir alleine gestehen uns zu, das auch zu erkennen und als unser Recht zu beanspruchen, was die Nummer gleich ganz anders dastehen lässt...

Geschützte Knie - Glück wie nie!
Tylecodon reticulatus
Tylecodon pearsonii











Ich nehme mich da natürlich beileibe nicht aus - bin ja auch nur ein Mennsch - doch um so mehr genieße ich diese egozonenfreien Überlebensstrategien, die sich allüberall gar trefflich beobachten lassen - besonders hier, in der wundersamen Welt der Knersvlakte. Hier ist der Lebensraum vergleichsweise riesig, die Ressourcen jedoch sind knapp und jede Pflanze muss ihre Nische erobern und effektiv nutzen. Offensichtliche Konkurrenzkämpfe, wie im wuchernden Dschungel, sind in diesen Quarzebenen völlig ausgeschlossen; die Lebensbedingungen sind viel zu harsch, um wuchern zu können. Dennoch tut jede Pflanze, was sie kann - und das ist viel! Staunend knirschen wir durch die sanfte Hügellandschaft, mal vorsichtig, auf Zehenspitzen, um nichts zu zerstören, mal weit ausschreitend, um möglichst viel zu sehen. Meist jedoch sind wir dabei ohnehin auf allen Vieren unterwegs, weil die Pflanzen in der Knersvlakte dazu tendieren, recht niedrig zu wachsen. Und wir kriegen so viele von ihnen zu Gesicht, dass wir es gar nicht fassen können. Ja, es ist Ruhezeit, kaum eine Sukkulente strotzt oder blüht, aber wir überrobben keinen einzigen Quadratmeter, auf dem wir nicht etwas Neues entdecken würden, auch wenn es sich zumeist bescheiden präsentiert.

Mesembryanthemum crystallinum
M. crystallinum - Kapseln
Sarcocornia xerophila










Einige auffällige Ausreißer aber gibt es immer, so auch hier: Da sind Argyrodermas, die tatsächlich grüne Blätter haben und fast wie eine Cheiridopsis aussehen, niedrig-krauchende Salsolas, die wir dieserorts so gar nicht erwartet hätten, Oophytums, die sich in tiefem Schlafe befinden, strotzende Sarcocornias, winzige Tylecodons, holzige Monilarias und immer wieder Crassulas, meine absoluten Lieblinge. Eigentlich. Denn mittlerweile bin ich von den anderen Sukkulenten mindestens ebenso fasziniert. Hier ist jede Pflanze so bizarr in Wuchs und Form, so eigen in ihrer Farbe, so hinreissend in ihrer Winzigkeit, so fesselnd in ihrer ureigenen Schönheit, dass ich sie alle am liebsten küssen möchte. Es ist wirklich fast unmöglich, meine Gefühle angesichts dieser kleinen Juwelen in Worte zu fassen, aber versuchen werde ich es trotzdem. Es ist eine Kombination aus Bewunderung für die Zähigkeit der Pflanzen, die eine fast mütterliche Zuneigung in mir hervorruft und das ehrfürchtige Staunen, das die Perfektion der Formen und Farben provoziert, das hat etwas beinahe Erotisches - im weitesten Sinne.

Oophytum nanum
Zygophyllum teretifolium
Conophytum minutum










In diesem Zusammenhang fällt mir eine Anekdote aus meiner frühen Berufszeit ein: ich habe Grafik-Design studiert, zuvor jedoch eine Lehre als Schriftsetzer durchlaufen, die ich sehr erfüllend fand. Besonders die Schönheit mancher Schriften hatte es mir angetan, der gelungene Schwung, die Kurven einiger Buchstaben, das gesamte Schriftbild, das bereits, ohne den textlichen Inhalt zu lesen, einen sehr aussagekräftigen Charakter präsentiert. Wer kann schon dem kleinen „e“ einer Tiepolo widerstehen, wer dem großen „Q“ einer Garamond? Ich jedenfalls nicht - Erotik der Formen in Reinkultur! Nun hatten wir damals einen Auszubildenen, dessen Begeisterung sich in Grenzen hielt, ebenso sein Lernwille und sein Engagement. Mein damaliger Chef setzte mich deshalb auf den unwilligen Lehrling an, um dem widerspenstigen Knaben typografisches Gefühl einzuhauchen. Ein schwieriges Unterfangen, das erst Erfolg zeigte, als ich den pubertierenden Jüngling auf die Erotik der Schrift hinwies. Von da an hielt er mich für völlig bekloppt, für leicht pervers - aber er hörte endlich zu und begann, ein bisschen zu begreifen und Gespür zu entwickeln. Das mit der Erotik jedoch musste er seinem Vater erzählt haben, der eines Tages besorgt bei meinem Chef anrief und sich erkundigte, ob die Ausbildung seines Sohnes nicht doch etwas aus den gewünschten Bahnen gerate. Der Vater wurde sofort beruhigt, als auch mein über jeden Zweifel erhabene Chef die von mir gewählten Worte beinahe uneingeschränkt und mit Begeisterung bestätigte. Nun ja, Erotik hätte sie in diesem Zusammenhang vielleicht nicht erwähnen müssen, aber sie hat trotzdem völlig recht, beruhigte er den Vater. Mir gegenüber sagte er nur: "Machen Sie so weiter - plastisch muss es sein, hinfassen muss er wollen!" Tja, und genau so geht es mir jetzt mit den Pflanzen. Ich will sie anfassen, weil sie mich dazu verleiten, ich will sie spüren, weil sie sich so angenehm samtig und vergleichsweise kühl anfühlen, ich will sie unentwegt betrachten, weil sie einfach wunderschön sind. Wenn das mal nicht Erotik ist!

Das Schattendach in Sicht
Argyroderma delaetii
Salsola sp.










So also robbe ich auf allen Vieren weiter über die kantigen Quarzkiesel, wohl geschützt durch meine Kniepolster. Nächstes Mal allerdings, so merke ich im Urlaubslappen meines Kleinhirns vor, brauche ich auch noch Ellbogenschützer... Heute jedoch muss es ohne diese Bequemlichkeit gehen - was es auch tut, denn die Flut der Eindrücke lenkt von allem anderen Ungemach ab. Auch die Hitze spüren wir nicht wirklich. Wir sind zwar nun schon über vier Stunden bei erbarmungslosem Sonnenschein und Temperaturen um die 35 Grad unterwegs, dennoch fühlen wir uns frisch und aufs Trefflichste unterhalten. Nur die Viskosität der Spucke leidet ein wenig unter unserer Dehydrierung - das bemerke ich schließlich recht deutlich beim Befeuchten der diversen Samenkapseln... Doch da hinten, vielleicht in einem halben Kilometer Entfernung, kann man eine Art Schattendach erkennen, und das steuere ich nun an, um dort Wasser nachzutanken und ein wenig Schatten zu finden. Langsam nämlich spüre ich die Wirkung der Sonne ordentlich auf meiner blassen, europäischen Winterhaut. Mein Gesicht brennt, wenn ich mir den Schweiß von der Stirne wische und meine Fußriste leuchten in ungesundem Rot. Eine kurze Schattenpause später aber, frisch gecremt und mit einem halben Liter Wasser intus, geht es munter weiter. Und, als ich den kleinen Rastplatz verlasse, kriege ich endlich auch meine Freunde wieder zu Gesicht. Wir hatten uns weit verstreut, jetzt aber, da wir wieder Sichtkontakt haben, verständigen wir uns auf eine allmähliche Rückkehr zum parkenden Wagen. Wird auch Zeit, denn wir sind recht weit gegangen - zwar im Zickzack, die Luftlinie ist wesentlich kürzer - aber weiter als nur ein Steinwurf war es trotzdem.

Zwei Blattformen...
...an einer Pflanze
Psilocaulon dinteri










Und es gibt immer noch so viel zu sehen. Heinz und ich entdecken zum Beispiel ein strauchiges Mittagsblumengewächs, das, neben den normalen, charakteristischen Blättern auch seltsam symmetrische, rosa überhauchte Blattrosetten an den Zweigspitzen trägt. Was ist das denn? Die Blattform, die Struktur der Rosetten passt in keinster Weise zur Trägerpflanze, dennoch sind sie eindeutig vorhanden. Zur Sicherheit überzeugen wir uns nochmals, dass hier nicht zwei Pflanzen ineinander gewachsen sind. Nein, es ist ein und das selbe Gewächs, auf dem hier normale Blätter und eben diese atypischen Rosetten gedeihen. Eine weitere Rechercheaufgabe erwartet mich... Und ich finde es tatsächlich heraus, allerdings erst eine ganze Weile später, als unser Urlaub schon lange vorüber ist: es handelt sich hierbei um eine Blattwucherung, die durch Gallwespen verursacht wurde. Doch auch die mir im Internet zur Seite stehenden Experten vermuten das nur und fragen mich, ob ich eine Sektion der Rosette vorgenommen hätte. Dann erst könne man ganz sicher sein. Nachurlaublich im zuständigen Kleinhirnlappen vermerkt: Skalpell mitführen und alles aufschneiden, was befremdlich aussieht! Für die nächste Tour reduzieren sich die Wechselklamotten auf ein bedrohliches Minimum, fürchte ich. Pipettenflasche, Ellbogenschützer, Skalpell. Was kommt da noch alles an unabdingbarem Equipment dazu??? Es gibt sicherlich noch einiges, was uns Freude machen und unseren Forscherdrang erleichtern würde... Zwei Selbstschusskameras haben wir ja schon, die wir immer mitschleppen, aber da sind auch noch Nachtsichtgeräte, Infrarot-Wärmesuchgeräte, USB-Mikroskope und derlei Schnickschnack mehr, mit dem wir immer wieder liebäugeln. Irgendwann jedoch wäre dann die Kapazität unseres Urlaubsgepäcks doch erschöpft und vor lauter technischem Gerät, das permanent in Bedienung ist, käme sicher auch das reine Sehen und Genießen ins Hintertreffen. Lieber also machen wir die Augen auf und freuen uns an dem, was wir zu sehen bekommen, ohne es sofort zu sezieren, zu mikroskopieren oder anderweitig zu traktieren. Und viele Schätze am Wegesrand würden es uns zudem sicher verübeln, rückten wir ihnen mit derlei Equipment auf die Pelle.

Tarnung in Perfektion
Je nach Untergrund!
Centipede auf der Flucht










Wie zum Beispiel die kleinen Schrecken, die sich farblich perfekt an den rot-weiß-braunen Untergrund angepasst haben. Solange sie still dasitzen, sind sie praktisch unsichtbar, aber auch, nachdem sie sich durch einen beherzten Satz vor unseren Füßen zu retten versuchten, finden wir sie nur äußerst schwer wieder. Umso größer also unsere Freude, wenn wir einen der kleinen Hüpfer tatsächlich ausfindig machen und ihn von nahem betrachten können. Wunderschön sind sie und jeder sieht ein wenig anders aus: da gibt es bräunliche Exemplare mit rötlich-weißer Maserung, braungrundige mit weißem Muster, aber auch fast weiße, die aussehen, als wären sie aus semitransparentem Milchglas. Desweiteren wuseln zahlreiche Ameisen mit weiß bepelzten Hinterleibern über die Kiesel und Heinz erspäht sogar einen Skolopender mit rotem Körper und schwarzen Enden, der seine hundert Füßchen unter die Arme nimmt, um uns zu entfliehen. Mit solchen Beobachtungen versüßen wir uns den Rückweg, der doch wieder länger als geplant dauert, weil wir erneut im Zickzack über die Knersvlakte mäandern. Schließlich aber kommen auch Heinz und ich beim Wagen an, wo unsere Freunde schon auf uns warten. Mensch, sechs Stunden waren wir hier unterwegs, die Zeit allerdings verging wie im Fluge! Doch für heute reicht es - zumindest unser Sonnenkontingent ist voll ausgeschöpft, wie die genervte Haut mancher Körperstellen vermeldet. Also setzen wir uns wehmütig, aber einsichtig ins Auto und machen uns auf, zurück Richtung Camp.

Mesembryanthemum crystallinum
Malephora crocea-purpurea
Sutherlandia frutescens










Halt, stopp! Wir sind noch keine dreihundert Meter gefahren, als wir schon wieder was entdecken, was uns beim Reinkommen gar nicht aufgefallen ist: zu unserer Linken blüht üppig eine Mittagsblume, die uns förmlich anleuchtet. Es ist eine Malephora, wie wir sie schon auf dem Parkplatz vor dem Tankwa Karoo gesehen hatten; diesmal jedoch keine gelbblütige „crassa“, sondern eine orangefarbene „crocea“ und eine rötliche „crocea-purpurea“ mit violetten Blütenunterseite. Und zur Rechten lockt ein Busch mit roten Blüten in filigraner Schmetterlingsoptik - eine Sutherlandia. Uih, und da hinten funkelt ein besonders schönes Mesembryanthemum-crystallinum-Exemplar, dessen Blasenzellen wie winzige Glas-Kügelchen in der Abensonne glitzern - eingebildeter Himbeer-Waldmeister-Geschmack auf der Zunge inklusive... Heinz und ich können uns einfach nicht losreißen, ein Blick auf die Uhr und die ungeduldigen Gesichter unserer Freunde jedoch verpasst uns den nötigen Ruck. Seufzend, aber bis zu den Ohren strahlend, klettern wir ein weiteres, ein letztes Mal für heute, ins Auto und kurven zurück auf unsere Campsite. Dort werden wir schon sehnsüchtig von Hund und Katz erwartet, die sich auf einen gemütlichen Abend nebst diverser Streicheleinheiten freuen. Das bekommen sie auch, und noch mehr: natürlich fällt wieder das eine oder andere Stückchen Fleisch für sie ab und heute dürfen sie ihre Köpfe sogar auf frisch gewaschenen Menschen-Schenkeln ablegen, nachdem wir uns überwinden konnten, die assligen Duschen zu benutzen. Für diese unsere Dienstleistungen erhalten wir erneut ihre beruhigende Wachsamkeit und ihren Schutz für unsere letzte Nacht im Vanrhynsdorp Caravan Park.



Weitere Impressionen des Tages:

Conophytum congregatum
Conophytum minutum
Conophytum calculus











Crassula muscosa
Drosanthemum pulverulentum
Argyroderma sp.











Euphorbia muricata
Argyroderma delaetii
Argyroderma delaetii











Augea capensis
Phyllobolus sp. (?)
Antimima solida











Crassula columnaris
Gazania lichtensteinii
Mesembryanthemum crystallinum











Flinke Echse
Psilocaulon dinteri
Lygaeidae (Seed bug)










Tylecodon pearsonii
Camponotus sp.


























Blick zurück in die Knersvlakte
Zurück nach Vanrhynsdorp











Didelta carnosa
Tylecodon reticulatus
Mensch im Glück
Sarcocornia xerophila
















Crassula muscosa
Argyrod. fissum
Conoph. subfenestratum
Tylecodon pygmaeus
















Sarcocaulon crassicaule
Tylecodon pearsonii
Dipcadi sp.
Hoplophyllum spinosum
















Euphorbia muricata
Crassula capitella
Salsola sp.



































Cephalophyllum: das Wunder einer Kapselöffnung

17. März 2013, Vanrhynsdorp > Namaqua NP, Koringkorrel Baai

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Ein neuer Morgen dämmert herauf und wir sind froh, dass er sich etwas sonniger präsentiert als der gestrige: heute haben wir zwar nur einen gemäßigten Fahrtag vor uns, der aber führt uns ans Meer, in den Namaqua NP. Unser dortiges Camp liegt direkt an der Küste und, da das Wetter in Ozeannähe recht wankelmütig ist, bedeutet es durchaus einen großen Pluspunkt, wenigstens mit trockenen Zelten dort anzureisen – klamm und schwer werden sie, wenn wir Pech haben, ganz schnell von selbst. Doch jetzt warten wir mal ab. Nach einem ausgiebigen Frühstück verstauen wir unser Equipment unter den traurigen Blicken der Hunde im Auto und machen uns vom Acker. Zuvor jedoch sollten wir noch unseren Wassertank auffüllen. Auf dem Caravan Park war das, mangels Wasserschlauch, leider nicht möglich, doch auf dem Weg hinaus zur N7 kommen wir an einer großen Tankstelle vorbei, wo wir unser Vorhaben sicher problemlos in die Tat umsetzen können. Jochen hingegen steuert zielstrebig an der Tanke vorbei und brummt, er habe keine Lust, schon wieder anzuhalten, es wäre ja noch genug Zeit, das anderswo nachzuholen. Nun, das bezweifle ich, wenn ich einen Blick auf die Karte werfe: der einzig nennenswerte Ort, den wir auf unserer Strecke passieren werden, ist Bitterfontein und das klingt wahrlich nicht nach süß sprudelndem Wasser. Wenn Jochen aber im Ich-will-fahren-Modus ist und sein Lassen-wir-es-drauf-ankommen-Gen aktiviert hat, will er derlei Einwände nicht hören und so verlassen wir Vanrhynsdorp eben ohne abermaliges Auftanken. Gut achzig Kilometer später erreichen wir besagtes Bitterfontein, ein winziges Kaff, das außer einer Tankstelle kaum etwas zu bieten hat. Diese steuert Jochen nun mit triumphierendem Glitzern in den Augen an, das jedoch bald erlischt: es gibt Diesel, es gibt Benzin, es gibt Snacks, nur eines gibt es nicht – Wasser. Tja…

Abschied von der Knersvlakte
Orbea im Beet
Malephora crocea











Fast trockenen Wassertanks also ziehen wir unverrichteter Dinge weiter Richtung Norden, bevor wir einige Kilometer vor Garies schließlich nach Westen abbiegen. Die staubige Pad führt nun über noch staubigeres Farmland, das sich, bis auf die zweimalige Überquerung des Tals des Groen Riviers, recht eintönig präsentiert. Es ist wenig verlockend, hier anzuhalten. Einmal aber tun wir es doch, denn es ist Zeit für eine Pinkelpause. Heinz seilt sich sogleich in den Straßengraben ab, aus dem er kurz darauf aufgeregt wieder auftaucht. Eine Schlange, eine Schlange! Sie war nicht groß, bleistiftdünn, flitzeschnell und in dem Busch sei sie verschwunden; er deutet auf ein sparrig-trockenes Etwas, dessen dürre Zweige einen hervorragenden Sichtschutz für das Reptil darstellen. Gespannt umzingeln wir das Gestrüpp und lauern. Bald darauf zeigt sich tatsächlich für den Bruchteil einer Sekunde ein schmaler, graubrauner Natternkopf, der jedoch sofort wieder verschwindet und trotz großer Geduld unsererseits auch nicht mehr auftauchen will. Na, was soll’s, fahren wir eben wieder. Nach einer weiteren Stunde des öden Geschaukels ändert sich plötzlich die Kulisse: das Meer taucht vor uns auf und sein würzig-salziger Duft umweht unsere Nasen. Jetzt kann es nicht mehr weit sein!

Kaum im Park...
...geht es wieder auf die Knie
Küstenvegetation











In der Tat sind es nur noch wenige Kilometer und wir stehen am südlichen Gate des Namaqua Nationalparks, wo wir von einer freundlichen Rangerin in Empfang genommen werden. Während wir nun die üblichen Formalitäten erledigen, erfreut uns die Dame mit Nachrichten und Geschichten aus dem Alltag einer Parkangestellten – in Wort und Bild. Ganz besonders angetan sind wir hierbei von den Fotos eines kleinen, flauschigen Kapfuchses, den sie mit der Hand aufgezogen hat und der sie heute, da er schon fast erwachsen ist, immer noch täglich besucht. Leider käme er gewöhnlich erst in den Abendstunden, teilt sie uns bedauernd mit. Der Genuss, einen zahmen Kapfuchs zu treffen, wird uns also versagt bleiben, dafür aber, so tröstet sie uns, als sie unsere langen Gesichter sieht, hätten wir sagenhaftes Glück mit dem Wetter. Die ganze letzte Woche hätte es gestürmt und geregnet und viele Camper seien deshalb vorzeitig abgereist. Na, wenn das mal keine Entschädigung für das entgangene Kapfüchslein ist: Sonnenschein, wolkenloser Himmel, eine positive Wetterprognose und ein fast leerer Park!

Hoch erfreut verabschieden wir uns von der netten Rangerin und wollen gerade losfahren, als uns unser leerer Wassertank wieder einfällt. Klar könnten wir hier auftanken, erlaubt uns die Parklady, kein Problem – das Wasser allerdings schmecke nicht besonders gut, es sei recht salzig und nicht zum Kaffeekochen geeignet. Eine Tatsache, die Jochen stillschweigend überhört und die auch wir tunlichst nicht kommentieren. Während nun das alkalische Nass in den Tank gluckert, nutzen Heinz und ich die Verzögerung, die „Blumenrabatte“ vor dem Office in Augenschein zu nehmen. Dieser liebevoll bepflanzte Quadratmeter hat wenig gemein mit Zierbeeten, wie man sie bei uns kennt. Statt schnöder Tulpen oder Tagetes nämlich gedeihen hier mal wieder die wundervollsten Sukkulenten und neben zierlichen Crassulas und Mittagsblumen blüht sogar eine Orbea, eine Aasblume, die durch besonders große Blüten hervorsticht. Die Rangerin freut sich über unser Interesse, zeigt sich aber etwas verwundert, als wir ihr erzählen, genau wegen solcher Pflanzen hierher gekommen zu sein. Ach so? Jaja, so Zeug wachse schon überall, aber die meisten Leute kämen eher zum Angeln, wegen der Seebären oder einfach so, und sie selbst kenne sich mit Pflanzen überhaupt nicht aus. Das ist ein Phänomen, dem wir schon öfter begegnet sind – und es wird nicht das letzte Mal gewesen sein: Menschen, die im Dienste der Natur tätig sind, sich aber mit den pfanzlichen Schätzen ihrer unmittelbaren Umgebung nicht befassen und auch kein großes Interesse daran zeigen. Bei normalen Touristen ist das verständlich, kommen die meisten doch wegen der spektakulären Wildsichtungen, die eine klassische Safari verspricht; da bewegt sich was, da ist Abwechslung und im Idealfall auch Action. Klar, dass Pflanzen, vor allen Dingen die kleinen, die nicht blühenden, die unscheinbaren, nicht so groß rauskommen und ein Schattendasein im touristischen Fokus führen. Dass aber viele professionelle Hüter der Natur, die ja auch alle Pflanzen mit einschließt, derart uninformiert sind, schockiert uns immer wieder. Nicht, weil wir so verbohrt sind zu glauben, alle Welt müsse sich, im gleichen Maße wie wir, für unser Steckenpferd interessieren, sondern weil es auf fehlende Wertschätzung, verursacht durch Nicht-Wissen, hinweist. Denn nur wer das große Ganze, die Zusammenhänge begreift, wird sich zum Schutze aller beteiligen Faktoren, sprich Lebensformen, bereit sehen und in der Lage sein, das fragile Gleichgewicht sachkundig zu erhalten. Vielleicht aber ist unsere Erwartung auch etwas übertrieben, schließlich ist die Lady zwar Parkangestellte, tut ihren Dienst jedoch im Büro und nicht im Felde.

Die Killerflechte

Pteronia sp.











Egal. Wir für unseren Teil jedenfalls können es kaum noch erwarten, uns in die hiesige Vegetation zu stürzen und zu sehen, welch „Zeug“ entlang der etwa 180 Kilometer langen Caracal Eco Route wohl wächst. Als der Wassertank endlich bis zum Rande gefüllt ist, verabschieden wir uns also abermals und tuckern langsam los. Langsam, weil wir heute nur noch einen kleinen Teil der Eco Route fahren werden und langsam, weil es schon wieder so viel zu sehen gibt. Die Fahrspur führt mehr oder weniger in Sichtweite des Atlantiks über diverse Dünenkämme und präsentiert uns, neben spektakulären Ausblicken auf den tiefblauen Ozean, auch eine ganz eigene Vegetation. Es ist eine Mischung aus aridophilem Fynbos und maritimer Sukkulenz; eine Kombination, die sehr spezielle, recht ungewohnte Pflanzenlandschaften entstehen lässt. Besonders auffallend, auf den ersten Blick, sind ausgedehnte Flechten-„Plantagen“, die das Gesträuch der küstenferneren Sandhügel beinahe zu ersticken scheinen. In grellem Orange wuchern diese symbiotischen Gemeinschaften aus Pilz und Alge, die für eher sparsames Wachstum bekannt sind, wie signalfarbene Todesboten über alles hinweg, was auch nur einen Ansatz von Halt für das Mycel bietet.

Es ist wirklich eine farbenfrohe Angelegenheit; dieses Orange, das Türkis des Meeres, das Blau des Himmels, schön fürs Auge – weniger schön aber für die befallenen Pflanzen. Denn, als wir so ein Flechtenfeld näher inspizieren, stellen wir fest, dass der erste Eindruck nicht getrogen hat und die orangefarbenen Schönheiten alles Leben unter sich ersticken: sobald die Flechten mehr als zirka siebzig Prozent der Wirtspflanze bedecken, gibt diese den Geist auf. Leider ist in einschlägiger Fachliteratur nur sehr wenig über den farbenfrohen Killer zu finden, lediglich den Namen können wir eruieren – Xanthoria flammea aus der Familie der Teloschistoidae. Ist nicht gerade viel der Information, aber besser als nix… Doch aufgrund des einnehmenden Wesens der guten Xanthoria ist hier auch nichts anderes zu bestaunen, weswegen wir rasch weiterfahren und auf noch lebende Pflanzen hoffen. Bald werden wir tatsächlich belohnt: wie von Zauberhand abgeschnitten, endet plötzlich das Hoheitsgebiet der Killerflechte und die Vegetation zeigt ihr wahres, lebendiges Gesicht. Ein Unterschied wie Tag und Nacht! Kaum sind wir wieder aus dem Auto geklettert, hört man uns nur noch entzückt quieken. Hach, was hier schon wieder alles gedeiht!

Pteronia sp.
Crassula barklyi
Pelargonium sp.












Am augenfälligsten sind kugelförmige, strauchige Kissen, die ihre Blütezeit schon deutlich hinter sich haben, dafür aber unglaublich flauschige Samenstände tragen – beinahe wie Pusteblumen, nur viel dichter und wesentlich beständiger. Ich stehe ja total auf derart Plüschiges und umarme im Überschwang meiner Kuschelgelüste einen dieser einladenden Büsche, werde aber herb enttäuscht, denn die Puschel sehen weicher aus, als sie tatsächlich sind. Während ich nun gerade, dem Gepiekse zum Trotz, noch meinen Tuchfühlungsbedürfnissen nachgehe, widmet sich Heinz bereits den wirklich wichtigen Dingen; und die wachsen mal wieder, winzig klein und gut getarnt, direkt in äußerster Bodennähe. Das kennen wir ja bereits aus der Knersvlakte, aber das Gewächs, das Heinz entdeckt hat, kennen wir von dort noch nicht. Es ist eine Crassula, rötlich, mit kleinen Tüpfchen, die Blätter eng aneinander gedrängt, winzige Knöpfchen formend; die etwas älteren Pflanzen recken sich wie kleine, dicke Kinderfinger aus dem Sand. Crassula barklyi ist der wissenschaftliche Name dieser Sukkulente, ihr afrikaanser jedoch ist viel anschaulicher. Der nämlich greift die Fingerform auf, die aufgrund der engstehenden Blätter wie bandagiert wirkt – Verbandvinger – mit Verband umwickelter Finger. Generell bin ich durchaus Fan wissenschaftlicher Namen, denn sie sind eindeutig und schließen jede Verwechslung aus, wenn aber Trivialnamen so treffend sind wie dieser, dann finde ich das toll. Doch Trivialnamen bergen oft auch so viel Historisches in sich, sodass ihr Gebrauch mit Vorsicht zu genießen ist – zumindest, wenn man politisch korrekt sein möchte.

Antimima sp.
Psilocaulon sp.
Adromischus marianiae










Erst vor einem halben Jahr wurde ich gebeten, eine Liste aller Vögel des südlichen Afrika, mit ihren wissenschaftlichen, englischen und deutschen Namen auf Vollständigkeit und Korrektheit zu überprüfen. Tja, was tut man dann mit Bezeichnungen wie „Mohrenmeise“, „Reichsvogel“ oder gar „Kaffernadler“? Auch sie geben nur das wieder, was der Betrachter sieht: eine Meise mit maximalpigmentiertem Gefieder, ein Vogel mit einem Federkleid in den Farben einer politischen Ära, deren man sich in Deutschland heutzutage schämt, ein schwarzer, stolzer Adler, der mit einem Schimpfwort bedacht wird, um seine Farbe zu beschreiben. Was ist falsch, was ist richtig? Zugegeben – wir Deutschen sind aufgrund unserer Vergangenheit schon besonders sensibel, doch auch in anderen Ländern reagiert man auf politisch unkorrekte Namen. Beispiel hierfür ist die Ceraria namaquensis, die jahrzehntelang als Hotnootsriem (Hottentottenriemen) bezeichnet wurde; heute ist, ersatzweise für die diskriminierende Bezeichnung, der Trivialname „Wolftoon“ (Wolfszehe) in Gebrauch. Mei, mir ist das weitestgehend egal, ich sehe das nicht so eng, komme damit aber auch nicht in Kalamitäten, denn ich bevorzuge aus mehreren Gründen wissenschaftliche Bezeichnungen. Allerdings, so musste ich interessanterweise erfahren, sollte ich wohl auch in Privatunterhaltungen auf das Lateinisch-Griechische umsteigen oder zumindest auf meinen bayrischen Dialekt verzichten: vor vielen, vielen Jahren waren mein damaliger Freund und ich im De-Klerkschen, gerade von der Apartheid befreiten Südafrika unterwegs, eilten in einem Geschäft an einem Regal vorbei, das Waren enthielt, die wir ebenfalls auf unserem Einkaufszettel hatten, zuerst aber andere dringender benötigten. Ich platzierte deshalb ein geistiges Post-it bei meinem Freund, indem ich sagte: „Des miassma nacha a no kaffa!“, dann sausten wir weiter. Als wir schließlich an der Kasse standen, um alles zu bezahlen – auch das „Miassma-kaffa“ – wies mich der indische Ladenbesitzer flüsternd auf meinen vermeintlichen Fauxpas hin: „Madam, it’s not allowed to say „kaffa“ any longer. You might be punished if somebody hears you say this word!“ Tja, er hatte „Kaffer“ verstanden. Genau so aber entstehen eben Missverständnisse in den Ohren und Köpfen anderer; dabei sagte ich nur „Das müssen wir später auch noch kaufen!“. Natürlich versuchte ich, den Irrtum zu klären, zu erklären, wurde auch, leicht ungläubig, wahrscheinlich eher höflichkeitshalber, verstanden, dennoch wäre ein sattes „Debemus emere“ (oder so ähnlich) bestimmt weniger zweideutig gewesen.

Auf dem Weg zum Camp
Koringkorrel Baai
Erkunden der Umgebung











Nach diesem kleinen, gedanklichen Ausflug in die missverständliche Welt der Trivialnamen und des Dialekts wenden wir uns wieder der Wirklichkeit zu, die uns hier in aller Pracht zu Füßen liegt. Allerdings, so sehe ich, gedeiht in dieser Dünenlandschaft auch so einiges, was mir mal wieder gänzlich unbekannt ist und den Berg an kommender Recherchearbeit erneut deutlich anwachsen lässt – aber auch die Vorfreude darauf; denn einen vergangenen Urlaub nach der Rückkehr nochmal intensiv aufzuarbeiten, ist fast wie ein abermaliger Urlaub… Was ich allerdings ebenfalls sehe, ist eine gewisse Ungeduld in Annettes und Jochens Gesichtern. Sie möchten zu gerne endlich unsere Campsite erreichen und somit auch die unmittelbare Küste. Na gut, packen wir’s; ein bisschen was wird dort wohl hoffentlich auch gedeihen und unser Botanik-Auge erfreuen können. Ohne weitere Stopps sind wir tatsächlich eine Stunde später an unserem heutigen Zielort angekommen – der Koringkorrel Baai Campsite. Und sie liegt wirklich nur wenige Schritte vom Ozean entfernt und bietet, von der kleinen Anhöhe herab, auf der sie platziert ist, eine phantastische Aussicht auf die dunkelblauen Weiten des Meeres, die beruhigenden Geräusche von Wellenschlag und Möwengeschrei inklusive. Wunderschön! Doch nun können wir uns lebhaft vorstellen, warum so viele Camper in der vergangenen Schlechtwetter-Woche vorzeitig abgereist sind. Wenn hier Wind, Wellen und Regen toben, dann ist dieser Ort wohl nur noch als extrem ungemütlich zu bezeichnen, trotz der kleinen Steinmauern, die überall als Windschutz errichtet wurden.

Milde Brandung
Unser Camp-Kino
Blick Richtung Süden











Uns jedoch ist Petrus sehr gewogen, lässt er doch die Sonne mit voller Kraft von einem blauen, fast wolkenlosen Himmel scheinen, den Wind nur als erfrischend-würzige Brise unsere Nasen umschmeicheln und die Wellen beinahe gischtfrei an die Felsen der Campsite klatschen. Unter solchen Weichspül-Bedingungen ist dieser Platz ein echter Traum, den wir, dank der vorherigen Regenperiode, nun auch noch ganz für uns alleine haben. Rasch errichten wir unser Lager und inspizieren dann, voller Ungeduld und Freude, unsere neue Umgebung. Annette und Jochen zieht es sogleich auf die Felsen direkt am Wasser, wo sie sich die Sonne aufs Gesicht scheinen lassen und den Wellenschlag beobachten. Auch Heinz und mich führen unsere Schritte in die Felsen, allerdings in entgegengesetzte Richtung, denn hier leuchtet allenthalben etwas Pinkfarbenes aus diversen Ritzen: es sind Conophyten, winzige, sukkulente Knöpfchen, die sich kissenförmig aneinander drängen und gerade in Blüte stehen. Ein unglaublicher Anblick! Manche dieser Kissen sind über und über mit Blüten bedeckt, so dicht, dass man die darunterliegenden Blattpaar-Gnubbel nicht mehr sehen kann. Manche jedoch tragen nur vereinzelte Blüten, was das Größenverhältnis zwischen Pflanzenkörper und Blüte auf anrührende Weise deutlich werden lässt: es ist, als hätte ein kleiner, graugrüner Seeigel eine große magentafarbene Seeanemone geboren… Begeistert krabbeln wir über die sonnenwarmen Steine und entdecken in jeder Ritze neue Conophyten – aber auch andere Gewächse, die uns durch ihre Winzigkeit entzücken. Wir fühlen uns wie Gulliver in Lilliput, wie Riesen in einem Bonsai-Garten. Doch kein Wunder, dass hier alles nur im Miniaturformat gedeiht: das Klima ist sehr harsch, die Luft salzig und die Winde heftig – da würden auch wir jede schützende Nische nutzen und unsere Köpfe nicht so weit herausrecken!

Crassula elegans mit Conophytum
Conophytum minutum
Zygophyllum sp.











Nachdem wir nun alle, auf unsere Weise, die ersten Eindrücke genossen haben, finden wir uns hinter unserem Windschutz auf ein Teepäuschen zusammen, um bald darauf wieder loszuziehen, diesmal Richtung Strand, der sich zu unserer Rechten wie ein endloses weißes Band an den Rand des tiefblauen Atlantiks schmiegt. Annette und Jochen entledigen sich sogleich ihrer Schuhe, planschen mit den Füßen im eiskalten Wasser und verbringen dann den Nachmittag wie veritable Strandurlauber – mit Handtuch, Buch, viel Faullenzen und ein wenig Muschelsammeln. Heinz und mich aber zieht es wieder fort; wir wandern einige Kilometer den Strand entlang, mäandern zwischen Wasserkante und Uferböschung hin und her und entdecken auch hier ständig etwas Neues. Die Brandung hat zum Beispiel lange Kelpstängel angespült, Stängel, die zur größten Braunalge der Welt gehören – der Macrocystis pyrifera. Diese riesigen Algen werden auch Unterwasser-Bambus genannt, da sie in einer Saison bis zu 45 Meter wachsen können. Sie bevorzugen kaltes und nicht zu tiefes Wasser, weshalb man ihre Blätter bei Ebbe oft wie überdimensionale, gammelige Spinat-Tagliatelle an der Oberfläche wogen sieht. Um den heftigen Strömungen und dem rauen Wellengang standhalten zu können, klammern sie sich mit vergleichsweise kleinen, aber sehr starken Wurzeln am Meeresboden fest. Diesen Wurzeln wiederum entspringt ein handgelenksdicker Stängel, dessen styroporartiges Inneres von einem zähen, ledrigen Mantel umgeben ist. Aus dem Stängel sprießen, einem Farnwedel ähnlich, die ebenfalls lederartigen Blätter, an deren unterem Ende jeweils seine gasgefüllte Beule sitzt, um der Bandnudel-Alge den nötigen Auftrieb zu verleihen. Hin und wieder jedoch fallen auch die stärksten Algen dem Gezerre der Strömungen zum Opfer und werden dann, mit all ihren Untermietern, an Land gespült – kiloweise hängen Miesmuscheln und Seepocken an den Blättern. Uns tun die Muscheln von Herzen leid, aber es sind viel zu viele, um sie abzumachen und wieder ins Wasser zu werfen. Tja, mitgehangen, mitgefangen…

Strandgut-Begutachtung
Biene auf Mesembryanthemum
Mesembryanthemum sp.











Nach einer gründlichen Inspektion der Kelp-Überreste in allen Trocknungs- und Geruchsstadien wenden wir uns dann landeinwärts, denn auch an der Uferböschung gedeiht allerlei Interessantes: wir beobachten eine Biene, die die weißen Blütensterne zahlreicher Mesembryanthemum-Pflanzen besucht und sich redlich abmüht, an deren Nektar zu kommen, wir entdecken sedumartige Hebenstrethias, die uns mit völlig symmetrischen Blattwirbeln und winzigen orchideenähnlichen Blütchen entzücken und erspähen, weit oberhalb der Böschung, weitere Gewächse, die verdächtig nach Euphorbien aussehen. Zu unserem größten Bedauern aber werden wir die nähere Begutachtung dieser stacheligen Gesellen auf morgen verschieben müssen, denn die sandige Böschung ist definitiv zu steil, um sie von hier aus zu erklimmen. Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben, denken wir uns mit einem letzten sehnsüchtigen Blick hoch zu den Euphorbien, und machen uns auf den Rückweg, für den es allmählich ohnehin Zeit wird. Annette und Jochen nämlich sind nur noch als kleine Punkte am Ende des Strandes zu erkennen und die Sonne neigt sich in deutlichem Bogen bereits wieder gen Horizont.

Noch 'ne Leiche
Gegenlicht mit Reiz
Muscheleintopf











Nach gut einer Stunde des Marsches schließlich sind wir wieder bei unseren Freunden angelangt und genießen gemeinsam die letzten wärmenden Sonnenstrahlen im warmen Sand des Strandes, bevor wir zum Camp hochstapfen. Dort öffnen wir uns jeder ein kühles Bier und nehmen in unserer Steinloge Platz, um standesgemäß und windgeschützt der letzten Phase des Tages beizuwohnen. Allein Jochen hat keine Augen für den rotglühenden Ball der untergehenden Sonne. Immer wieder springt er auf und rührt eifrig in unserem Potjie, das auf dem Gaskocher leise vor sich hinsimmert – eine Überraschung als Hors d’Œuvre, wie Jochen geheimnisvoll verkündet. Was das wohl sein mag? Im letzten Dämmerlicht dann serviert er schließlich stolz seine Vorspeisen-Surprise. Es sind jene Miesmuscheln, die auch uns schon aufgefallen sind, die Jochen jedoch nicht bedauert, sondern kurzerhand von den frisch angespülten Kelpstängeln gepflückt und mit Salz, Pfeffer und Chili zubereitet hat. Und sie schmecken wirklich unglaublich gut. Noch nie habe ich derart leckere Muscheln gegessen, noch nicht mal anno dunnemals in einem hoch gelobten Seafood-Tempel in Hout Bay. Allerdings auch noch nie so sandige… In seiner Jäger-und-Sammler-Euphorie nämlich hatte Jochen naturburschengemäß auf eine ausreichende Wässerung der Meeresfrüchte verzichtet und nun schmälert das Knirschen im Munde den Gaumenschmaus leider ein wenig. Doch wollen wir weder den Koch brüskieren noch als Weicheier dastehen, und spülen deshalb das körnige Beiwerk tapfer mit kühlem Castle hinunter. Danach machen wir uns an die Zubereitung des Hauptgangs und lassen den Abend bei Wellenrauschen gemütlich am Lagerfeuer ausklingen, bevor wir in unsere leise im Wind flatternden Zelte kriechen.



Weitere Impressionen des Tages:

Das Zelt steht!
Annette und Jochen warten
Weg durch die Dünen











Ausblick von der Campsite
Mesembryanthemum sp.
Conophytum minutum











Mesembryanthemum sp.
Rhynchopsidium pumilum
Crassula sp.











Es gibt Mitbewohner!
Cordylus sp.
Käfer auf Amphibolia











Blüte einer Crassula
Mesembryanthemum sp.
Pelargonium sp. (links)











Campsite
Schön ist es hier!
Conophytum minutum











Crassula elegans m. Conophytum
Amphibolia sp.
Noch ein Mitbewohner











Heinz und ich "verewigt"
Warten auf den Sonnenuntergang
Da ist er!











Crassula capitella
Pteronia sp.
Crassula barklyi
Pelargonium sp.
















Crassula deceptor (?)
Crassula deceptor (?)
Tapinanthus oleifolius
Hebenstrethia cordata
















Hebenstrethia cordata
KALT!!!!
Ja, stimmt!!!!
Kelp-Schwänzchen

18. März 2013, Koringkorrel Baai > Skilpad

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Eine angenehme Nacht liegt hinter uns: es war erfrischend kühl, aber nicht kalt, der Wind wehte leise und das Brandungsrauschen in seiner Regelmäßigkeit war sehr schlaffördernd. Trotzdem sind wir schon früh aufgestanden, denn wir wollen nichts verpassen. Nein, nicht dass hier die Mega-Action wäre, das nun nicht, aber es ist einfach schön, dem erwachenden Morgen am Meer zuzusehen. Heinz macht noch vor dem Frühstück einen Ausflug in die Felsen, um zu sehen, ob die Conophyten die Nacht gut überstanden haben… Dabei klettert er immer höher, bis er schließlich auf einem rundlichen Felsbrocken steht, von dem aus er Rundumsicht hat und ihm der Wind würzig um die Nase weht. Das löst in ihm anscheinend ein besonderes Gefühl von Wohlsein und Freiheit aus, denn, als ich ein undefinierbares, aber glücklich klingendes „Uuuuaaaaiiihhhaaa!“ vernehme und zu ihm hochblicke, steht er mit weit ausgebreiteten Armen dort oben und dreht sich mehrmals um die eigene Achse. So muss Urlaub sein! Während Heinz seine ganz persönlichen, luftigen Glücksmomente genießt, stöbert Jochen am Strand umher und wir beiden Frauen bereiten das Frühstück vor. Wenig später ist Heinz wieder von dem Felsen herabgeklettert, gerade rechtzeitig zum Essen, und nimmt mit uns am Tisch Platz, Jochen hingegen lässt etwas auf sich warten. Dann aber kommt auch er – mit einer Plastiktüte, prall gefüllt mit frischen Muscheln. Die gibt es heute Abend als Vorspeise! Ich freue mich, denn sie haben wirklich einmalig gut geschmeckt, noch mehr aber freue ich mich, dass sie heute den ganzen Tag Zeit zum Wässern haben.

Luftige Freiheit!
Conophytum minutum
Conophytum minutum











Doch als ich nach dem Frühstück mit einem Behältnis frischen Wassers vom Meer zurückkomme, hat Jochen die Schalentiere bereits wieder im Potjie versenkt und schmeckt soeben mit verzücktem Blick den Sud ab. Meine Verzückung hingegen hält sich in Grenzen – zu deutlich noch spüre ich den Sand von gestern Abend zwischen meinen Zähnen. Auch Annette wirft ein vorsichtiges „Wässern hätte aber nicht geschadet“ in die Runde, aber Jochen hält eine Entsandung für unnötig – wofür es jetzt ohnehin zu spät ist. Da wird sich vor allem Heinz sehr freuen, denn er hatte besonders schwer am Sand geschluckt! Momentan jedoch er kann kein Statement dazu abgeben, denn er ist schon wieder in den Felsen verschwunden und sucht nach Pflanzen. Seufzend mache ich mich derweil an den Abbau unseres Zeltes und verstaue anschließend mit Annette unseren Kram in den Kisten, während unsere Männer fröhlich ihren Leidenschaften frönen. Zum Aufladen jedoch sind alle wieder versammelt, rasch sind auch die letzten Dinge in den Wagen gepackt und wir fahren los.

Euphorbia caput-medusae
Euphorbia caput-medusae
Othonna sedifolia











Weit kommen wir aber nicht, denn wir müssen ja das Euphorbienfeld, das wir gestern während des Strandspaziergangs entdeckt hatten, unter die Lupe nehmen – und das war nicht weiter als drei Kilometer vom Camp entfernt. Und ja, da ist es! Ein großes Areal, flach, sandig, mit Gesträuch bewachsen – und dazwischen schmiegen sich die Wolfsmilchgewächse auf den Boden. Es sind Medusenhäupter! Ihre Wuchsform – ein zentraler „Stamm“, dem zahlreiche Triebe kreisförmig, wie kleine Schlangen, entspringen – brachte ihnen diesen Namen ein: nach Medusa, einer der Gorgonen, einem Ungeheuer der griechischen Sagenwelt, deren Haupt von Dutzenden von Schlangen umstanden war. Die Namensgebung ist tatsächlich äußerst nachvollziehbar, ungeheuerlich jedoch ist allenfalls, wie viele Medusenhäupter es hier gibt. Heinz und ich laufen in unserer Begeisterung von einer Pflanze zur anderen und entdecken dabei natürlich auch noch weitere interessante Gewächse. Stammsukkulente Pelargonien, deren dicke Gnubbelstöcke zwar blattlose Zweige, dafür aber weiße Blütchen tragen, dicke Kissen von hochsukkulenten Aizoaceen, strauchige Crassulaceen und eine nahe Verwandte der gestrigen Killerflechte. Auch sie ist von grell orangener Farbe, wächst aber auf dem Boden und tut niemandem etwas zu Leide. Und schön ist sie noch dazu: einem zarten Gespinst orangefarbener Zweiglein entspringen kleine, rote Schüsselchen, die von langen Stielen getragen werden – fast wie im Zirkus, wo Jongleure Teller auf Stangen hoch über dem Kopf balancieren.

Teloschistes capenis
Toktokkie
Euphorbia caput-medusae











Bestimmt eine halbe Stunde streifen wir durch die Dünenlandschaft und delektieren uns an der äußerst vielfältigen Flora. Doch wir sollten bald mal weiter fahren, denn es liegt eine recht lange Strecke vor uns, bis hinauf in den Nordosten, nach Skilpad. Und die verspricht interessant zu werden; am Gate hatten wir ein kleines Heftchen erhalten, in dem die sehenswertesten Stationen vermerkt sind und alleine, wenn wir ein paar von denen abklappern, sind wir schon gut beschäftigt. Ganz zu schweigen von den Dingen, die wir selbst noch zu entdecken hoffen. Also, nix wie rein ins Auto und weiter!

Tylecodon wallichii
Antimima sp.
Haemanthus coccineus











So die Theorie, die Praxis hingegen stellt sich, wie befürchtet und gleichzeitig ersehnt, deutlich anders dar. Ich sehe nicht auf den Meilenzähler, könnte aber meine Hand dafür ins Feuer legen, dass wir keine fünf Kilometer am Stück durchfahren, ohne wieder etwas Anhaltenswertes zu erspähen. Hier lockt ein Feld von Tylecodons, dort eine besonders schöne Aussicht, wenig später leuchtet uns der Blütenball eines Haemanthus, einer Blutblume, an, danach folgt eine Kolonie von roten Aloen mit hübschen weißen Tupfen, schließlich noch eine Ansammlung von Webernestern im strandnahen Schilf. Meine Güte! Es ist bereits Mittag, als wir endlich eine Station erreichen, die zwar ebenfalls nicht im Heftchen vermerkt ist, uns aber von der Rangerin ans Herz gelegt wurde: eine Seebärenkolonie.

Arctocephalus pusillus
Tiefschlaf
An Mamas Bauch











Wir sind zuerst nicht ganz sicher, ob wir die richtige Abzweigung genommen haben, bald aber sagt uns ein recht intensiver Geruch, dass wir durchaus nicht falsch liegen. Ein paar Kurven noch und unsere Augen erhalten ebenfalls die Bestätigung: in einer kleinen Bucht tummeln sich Hunderte der pelzigen Tiere, Alte, Junge, Badende und sich Sonnende. Und der Wind meint es gut mit uns, zumindest, was unsere eigene Witterung anbelangt: bis auf wenige Meter können wir uns den Tieren nähern, ohne dass sie uns bemerken. Das ist der Preis für das wenig gefällige Odeur, das uns vom auflandigen Wind nun förmlich in die Nasen gepresst wird, doch der Gestank ist rasch verdrängt, denn es ist ein unvergessliches Erlebnis, hier mitten unter den Tieren zu sitzen. Ein paar Meter vor uns zum Beispiel liegt eine wohlig dösende Mutter, deren Junges so gerne einen Schluck Milch hätte. Doch Mama fühlt sich durch die fordernd stoßende Schnauze des Nachwuchses empfindlich in ihrem Sonnenbad gestört und verweigert standhaft den Zugang zu ihren Zitzen. Der Sprössling aber gibt keine Ruhe, drängelt, quengelt, zwickt, stupst, quäkt. Schließlich gibt Mutti nach, dreht sich ein wenig zur Seite und gibt die Milchbar frei. Und so liegen kurz darauf beide Tiere in inniger Umarmung in der Sonne: Mama hat ihre Flosse schützend über das Kleine gebreitet und schlummert weiter, das Junge saugt schmatzend, mit wonniglich zum Rechteck gebogener Schnauze an den Zitzen und schließt dabei ebenfalls die Augen. Und weiter unten, in den zu flachen Pools geformten Felsen, vergnügt sich fröhlich planschend ein ganzer Kindergarten, unter scharfer, aber wohlwollender Beobachtung zahlreicher Erwachsener.

Hallo, Milchbar, aufmachen!
Körperpflege nach dem Bad
Mama und Kind











Ein bisschen fühlen wir uns hier wie illegale Eindringlinge, da wir aber offenbar für die Tiere nicht existent sind und sie somit auch nicht stören, verdrängen wir dieses Gefühl erfolgreich. Bis zu dem Zeitpunkt, als einen halben Meter neben mir, aus einer schwer einsehbaren Mulde, ein klagendes Grunzen ertönt: erschrocken beuge ich mich vorsichtig über den überhängenden Felsen, auf dem ich sitze, und blicke direkt in die verklebten Augen eines noch sehr jungen Seebären, der hier mutterseelenalleine in der glühenden Sonne liegt und sich schnaufend und stöhnend in seiner Kuhle windet. Der Kleine sieht nicht wirklich gesund aus und die Tatsache, dass er ganz alleine ist, weckt die Befürchtung in mir, dass er am Sterben, zumindest aber sehr krank ist. Jetzt fühle ich mich wirklich wie ein Voyeur! Rasch ziehe ich meinen Kopf zurück; wohl zu rasch, denn der Miniseebär erschrickt, grunzt unwillig und macht sich anschließend erstaunlich hurtig aus dem Staub – hinab zur Mama, die ihn liebevoll in Empfang nimmt. Mhm, hab ich jetzt ein krankes Tier aufgescheucht oder ein gesundes aus seinen Träumen gerissen? Wie dem auch sei; es tut mir von Herzen leid.

Erschöpfter Kindertrupp
Stille Beobachter
Laute Beobachterin











Durch dieses Erlebnis sensibilisiert, klettern wir eine halbe Stunde später, leise und äußerst aufmerksam, wieder hinauf zum Auto, wobei wir große Bögen um mehrere Jungtiere schlagen, die alleine in der Hitze liegen. Einige davon scheinen tatsächlich tot zu sein – auch das Fernglas offenbart keinerlei Brustkorbbewegungen – andere wiederum atmen offensichtlich, sind aber ansonsten wenig agil. Schwer zu sagen, welches Tier hier in welchem Zustand ist, doch zahlreiche Kadaver in unterschiedlichen Zersetzungsstadien, gerade in den oberen Regionen der Bucht, sprechen Bände. Im Prinzip ist ja der Tod nichts Schlimmes, er ist Bestandteil des Lebens, er ereilt jeden, den einen früher, den anderen später. Dennoch empfinde ich das Sterben als etwas ganz Intimes, bei Mensch und Tier gleichermaßen – und möchte deshalb nicht uneingeladenerweise als Zuschauer fungieren. In Gedanken entschuldige ich mich deshalb bei den kleinen Seebären, besonders bei dem einen, dem ersten, und bin ganz froh, diesen Ort wieder verlassen zu können. Doch trotz dieser Empfindungen war es ein magischer Platz: wir, ganz alleine mit den Tieren, weitestgehend unbemerkt. Wir durften sie beim Planschen, beim Säugen, beim Sonnenbaden beobachten und auch, wie sie miteinander umgehen. Und aufgrund der amphitheater-artigen Architektur dieser kleinen Bucht, der Überschaubarkeit der Kolonie und ihrer relativen Abgelegenheit war das sicher ein wesentlich intensiveres Erlebnis, als zum Beispiel ein Besuch von Cape Cross, der bekanntesten und größten Ansammlung dieser Tiere. Und auch der Gestank war vergleichsweise gering…

Weiter nach Norden!
Spoeg River Mouth
Sarcocornia natalensis











Als dankbare Gäste verabschieden wir uns und nehmen nun die nächste, die erste „offizielle“ Station ins Visier: „das malerische Spoeg-River-Estuary ist ein hervorragender Platz zur Vogelbeobachtung, insbesondere von Watvögeln. Die Höhle selbst stellt zudem einen historisch und kulturell bedeutenden Ort dar, an dem man über zweitausend Jahre alte Zeugnisse der frühen Schafhaltung sicherstellen konnte.“ Sagt das Heftchen. Naja, schaun wir halt mal. Über sandige Pfade kurven wir hinab zu dieser Flussmündung. Halt, halt, stopp! Was? Da steckte eine aufgespießte Maus in einem Busch! Echt?!? Ok, die Stelle merken wir uns für den Rückweg, es fährt sich so schlecht rückwärts auf diesem tiefsandigen Weg. Heinz und ich versuchen verzweifelt, uns die herausragenden Marker dieser bestimmten Stelle einzuprägen. 72, oder waren es 76 Kurven später – die Maus ist kurzfristig fast vergessen – nehmen wir erneut, nach einem größeren Bogen über Land, Kurs auf die Küste. Und die präsentiert sich hier so ganz anders als gewohnt. Es ist keine felsige Bucht mit Brandung, es ist kein Sandstrand, es ist keine Steilküste – nein, es ist das Delta des kleinen Flusses Spoeg. Der Spoeg River bildet ein flaches Schwemmtal, mehrarmig, natürlich nicht vergleichbar mit dem Delta einer Donau oder Wolga. Dennoch ist der Anblick einzigartig: ein Flusskegel, wasserführend und von tiefem Blau, ergießt sich in einen türkisfarbenen Streifen am Rande des Atlantischen Ozeans und seine Gestade sind gesäumt von tiefroten, fahlroten, braunen und grünen Streifen farbenfroher Vegetation. Wie das Werk eines phantasiereichen Malers liegt diese Flussmündung vor uns. Es ist unglaublich! Je näher wir der Mündung allerdings kommen, desto mehr verschmelzen die einzelnen Farben, desto diffuser wird das Landschaftsgemälde. Dafür aber kann man endlich auch erkennen, welche Pflanzen für diese tiefe, intensive Rotzeichnung verantwortlich sind: Sarcocornias. So etwas hatten wir bereits in der Knersvlakte gesehen, winzig – hier jedoch sind die außergewöhnlichen Pflanzen mächtig, strotzend, groß, zahlreich und wahnsinnig dominant.

Die Höhle von aussen
Heinz schaut rein
Ja, Gusti, bist auch schön!











Ein Grund, sich näher damit zu beschäftigen, nehme ich mir vor, doch meine Recherchen fallen nicht sonderlich fruchtreich aus: Amaranthgewächse, weltweit verbreitet, halophytisch (also salztolerant), Taxonomie unklar. Schade, da hätte ich mir mehr erhofft und kann es gar nicht fassen, dass über diese farbenfrohen, auffälligen Pflanzen so wenig bekannt ist. Andererseits würde ich wohl eine neue Baustelle eröffnen müssen, um auch noch zur Sarcocornia-Kundigen zu werden, wären diese besser erforscht. Deshalb bin ich recht dankbar und genieße lediglich Form und Farben, ohne gleich wieder tiefer einzusteigen. Einsteigen tun wir jetzt aber trotzdem, und zwar in die angekündigte Höhle, die von außen aussieht, als blicke man in die Nasenlöcher einen schlafenden Riesen. Von innen hingegen ist sie wenig spektakulär – eine recht große, zweigeteilte Kammer, gut ausgeleuchtet durch das durch die Nasenlöcher dringende Tageslicht – und beherbergt nur zahlreiche alte Schwalbennester, ein paar Touristenschmiereien an den Wänden, ein bisschen Müll. Das war's. Na ja, immerhin haben wir, die wir ja recht einseitig interessiert sind, heute unseren kulturellen Teil abgeleistet; das kommt selten genug vor und kann ja mal nicht schaden…

Nur schließen, nicht klauen!
Drosanthemum sp.
Malephora crocea











Allerdings reicht das für diesen Tag, schließlich wartet noch die aufgespießte Maus auf uns, die Quarzflächen bei Riethuis und sicher noch einiges mehr. Also machen wir uns auf den Rückweg, zählen Kurven, renken uns die Hälse aus, können die Maus jedoch nicht mehr ausfindig machen. Annette und Jochen bedauern das sehr, denn sie hätten unsere Sichtung gerne mit eigenen Augen gesehen. „Da habt ihr euch sicher verkuckt! Wer oder was soll denn eine Maus aufspießen – und warum?“„Das ist typisch für Würger. Die größeren unter diesen Vögeln fressen nicht nur Insekten, sondern vergreifen sich auch an kleineren Singvögeln und Wirbeltieren. Was von der Mahlzeit dann übrig bleibt, wird aufgespießt oder eingeklemmt. Solche Depots kann man sogar bei uns zuhause hin uns wieder entdecken – dafür ist der sogenannte Neuntöter verantwortlich.“, doziert Heinz. Unsere Freunde lauschen ungläubig, können es kaum glauben – und wir können fast nicht glauben, dass die beiden noch nie davon gehört haben. Deshalb ist es besonders schade, dass wir die arme Maus nicht mehr finden, wäre sie doch ein ideales Anschauungsobjekt gewesen. Was wir noch nicht ahnen: in ein paar Tagen werden wir nicht nur ein Würger-Opfer finden, sondern sogar live dabei sein, während ein Fiskalwürger Beute macht. Ein ganz besonderes Erlebnis!

Riethuis-Gebiet
Die alte Farm
Raubfliege











Doch auch der Namaqua Nationalpark hält noch das ein oder andere für uns bereit. Auf unserem Weg nach Riethuis zum Beispiel treffen wir völlig unvermittelt auf einen Zaun nebst dazugehörigem Gatter, das wir höflich nach Durchfahrt zu schließen gebeten werden, statt es zu stehlen. Die schriftliche Bitte, handgepinselt auf einem Blechschild, ist ja schon kurios genug, noch verwunderlicher aber ist die Existenz eines Zauns und eines Gatters – mitten im Nationalpark! Doch unser Heftchen gibt Auskunft: im Jahre 1998 wurde der Park gegründet und umfasste damals 900 Hektar im Gebiet von Skilpad. Heute ist das Schutzgebiet bereits auf 150.000 Hektar angewachsen, und schließt nun auch Küstenregionen, Wetlands, Flüsse und Dünen mit ein. Doch das Ziel sind 620.000 Hektar bis 2014. Nun, das scheint etwas utopisch. Nichtdestotrotz mussten auch für das jetzige Nationalparkgebiet bereits diverse Farmer weichen, deren Kaufverträge jedoch einigen eine Übergangsphase bis zur endgültigen Aufgabe der landwirtschaftlichen Betriebe einräumten. Das Gate, durch das wir gerade gefahren sind (ohne es zu entwenden), gehört also zu einer der noch bewirtschafteten Farmen auf Nationalparkgebiet.

Sarcocaulon ciliatum
Malephora crocea












Das ist eine Thematik, über die man sich in der Regel wenig Gedanken macht – ein Nationalpark war vor seiner Gründung nicht zwingend unbewohnt, im Gegenteil. Natürlich weiß der geneigte Tourist von einigen Umsiedlungsmaßnahmen, von Restriktionen, die den ehemaligen Bewohnern solcher Gebiete aufoktruiert wurden. Man nehme die Massai, oder, wesentlich tragischer, die San, die dem CKGR zum Opfer gefallen sind. Das sind bekannte Fälle. Doch hier und heute durch privates Farmland zu kurven, das bald keines mehr sein wird, bringt mich in sehr unmittelbarer Weise zum Nachdenken. Wie fühlt sich solch ein Betroffener? Wieviel Entschädigung steht ihm zu, was kann er sich davon kaufen, findet er adäquates Ersatzland, sattelt er beruflich um, nimmt er wehmütig Abschied vom Familienbesitz oder begrüßt er die Zwangs-Chance? Klar, bei einem Besitz wie diesem, den wir gerade durchfahren, können wir von einem weißen Farmer ausgehen, der sicher nicht in the Middle of Nowhere rechtelos weiterleben wird – dennoch. Auch weiße Großgrundbesitzer haben Gefühle…

Crassula elegans
Crassula muscosa
Salsola sp.











Während ich derartigen Gedanken nachhänge, erreichen wir bereits ein weiteres Farmhaus, das allerdings schon vor längerer Zeit aufgegeben wurde. Unter ähnlichen Umständen? Ich weiß es nicht. Was ich aber weiß, weil das Heftchen es kurz beschreibt: hier müssen wir uns links halten, um „das Kernland des sogenannten Riethuis Quarz“ zu erreichen, das eine einmalige, seltene Flora sukkulenter, quarzaffiner Pflanzen beherbergt. Musik in unseren Ohren!

Unser Quarzparadies
Crassula alstonii
Aloe krapohliana











Im Prinzip reicht schon alleine der Begriff „Quarzfläche“ völlig aus, um unseren Puls zu beschleunigen und ein leichtes Rot der Vorfreude auf unsere Wangen zu zaubern. Diese Gebiete nämlich sind ganz besondere Standorte für ganz besondere Sukkulenten. Während das Umfeld solcher Flächen eher von strauchigen, aufrecht wachsenden Sukkulenten, Gräsern oder nichtsukkulenten Sträuchern bevorzugt wird, dominieren auf Quarzflächen die kompakten, bodennahen Blattsukkulenten. Studien haben ergeben, dass das unter anderem an ganz speziellen klimatischen Gegebenheiten liegt, deren Ursache in der Farbe der Quarzsteine begründet liegt. Die weißlichen Grusstücke nämlich beeinflussen die Temperaturentwicklung der bodennahen Luft und der Bodenoberflächen - somit also auch die Temperatur der Pflanzen selbst. Die reflektierenden Eigenschaften des Quarzes halten die bodennahe Luft um bis zu fünf Grad kühler als die angrenzender, nicht von Grus bedeckter Flächen. Die unmittelbare Bodentemperatur hingegen weicht im Vergleich dazu nur an heißen Sommertagen um ein paar Grad nach unten ab - im Winter jedoch ist sie um bis zu sechs Grad höher als auf quarzfreien Flächen. Zudem wirkt sich der Quarzbelag durch Herabsetzung der Evaporation und die Vergrößerung der Kondensationsfläche positiv auf den Wasserhaushalt des Oberbodens aus, sodass besonders Zwergpflanzen mit oberflächennahen Wurzeln von diesen Gegebenheiten profitieren. Eine Mini-Klimaanlage also, die ideale Wachstumsvoraussetzungen für die von uns so geliebten, gedrungen wachsenden Winzlinge - viele Endemiten inklusive - schafft.

Conophytum bilobum
Crassula columnaris
Crassula elegans











Das Gebiet, das wir jetzt besuchen werden, ist, selbst unter Pflanzenliebhabern, zwar noch weniger bekannt als die Knersvlakte, stellt aber eines der lediglich sechs Phytochorien (Pflanzenreiche) der Quarzflächenflora des südlichen Afrika dar. Diese umfassen die Knersvlakte, die Kleine Karoo, das nördliche und südliche Richtersveld-Gebiet, das Buschmannland-Warmbad-Areal und eben das Riethuis-Wallekraal-Gebiet, in dessen Herzen wir gerade unseren Wagen abstellen und freudigen Schrittes losstürmen. Und wieder mal werden wir nicht enttäuscht! Langsam schrauben wir uns einen steilen Hügel nach oben, verlieren uns immer wieder aus den Augen, können uns jedoch jederzeit problemlos akustisch orten: im Minutentakt erklingen entzückte Quietscher, erfreute Schreie und begeisterte Rufe hinter den Felsen hervor, im Minutentakt entdecken wir Neues, Altbekanntes und Unbekanntes gleichermaßen. Hier eine besonders kompakte, blühende Crassula, dort ein Conophytum, da eine kleine Zwiebelpflanze, dort drüben eine Aloe und, und, und... Sagenhaft! Heinz und ich vergessen Zeit, Raum – und irgendwie auch unsere Freunde. Vor lauter Entzücken haben wir nicht mitbekommen, dass diese, nach einer guten Stunde unseres Umherkrabbelns, anscheinend bereits den Rückweg angetreten haben und schon eine ganze Weile beim Auto auf uns warten. Als ich mich aber, zum Zwecke der Blasenentleerung, kurz um einen Felsen herumschwinge, entdecke ich drunten im Tal zwei sich bewegende Punkte, die verdächtig nach Annette und Jochen aussehen. Mhm, vielleicht sollten auch wir beide uns allmählich mal wieder nach unten bewegen, ehe die Geduld unserer Reisegenossen am Ende ist, bevor unsere botanischen Leidenschaften so richtig ausbrechen... Schließlich liegt da noch das Richtersveld vor uns - und das ist florale Extrem-Hardcore-Area!

Kleine Schatten-Pause
Einsame Oryx
Weiter geht’s!











Das Riethuis-Gebiet steht zwar dem Richtersveld, wie wir sehen konnten, eigentlich in nichts nach, leidet aber etwas unter unserem Zeitdruck. Der schränkt unseren Bewegungsradius bedauerlicherweise so ein, dass wir eben nur diesen einen Hügel erkunden konnten. Wer weiß, was da noch alles auf und hinter den anderen Erhebungen verborgen liegt... Doch nächstes Jahr werden wir wohl wieder hier sein und dann planen wir es so, dass wir hier etwas mehr Zeit zum Rumstromern haben. Jetzt streichen wir halt zwangsweise die Segel, ein wenig wehmütig zwar, jedoch durchaus einsichtig. Unsere Freunde danken es uns, begrüßen uns freudig und verfrachten uns ins Auto, das zur Weiterfahrt bereit steht. Tja, welchen Weg nehmen wir jetzt? Den langen über den nördlichen Teil des Parks oder die östliche Abkürzung über Soebatsfontein, außerhalb der Parkgrenzen? Ein Blick auf die Uhr enthebt uns jeglicher Entscheidung: es ist schon relativ spät und gerne möchten wir vor Einbruch der Dunkelheit in unserem heutigen Quartier ankommen. So also nehmen wir an der nächsten Gabelung die östliche Tangente, verlassen den Park und kurven zügig über privates Farmland. Landschaftlich verändert sich hierbei wenig, dennoch ist es unglaublich, wie sehr die Flora ganz offensichtlich unter der Bewirtschaftung leidet: wir sehen keine Rinder, keine Ziegen oder sonstiges Getier, das dem Farmer Geld einbrächte, trotzdem aber ist die Vegetation „platt“. Gut, wir steigen nicht aus und haben keine Gelegenheit, das zu verifizieren, doch alleine der Blick aus den Autofenstern ist recht aufschlussreich: Felsen, Sand, Sträucher. Da blitzt nichts Verlockendes auf, nichts, gar nichts.

Wir nähern uns...
...Skilpad
Aussicht vom Chalet











Der Ort Soebatsfontein selbst setzt dem Ganzen dann die Krone auf. Hier möchte ich nicht mal tot über dem Zaun hängen! Gut, es ist ein entlegenes Kaff, zudem umarmt von einem Nationalpark, das Klima ist harsch bis unfruchtbar - es ist also ein extrem strukturschwaches Gebiet. Trotzdem! Eine Strafe Gottes, hier wohnen zu müssen. Wir müssen das Gott sei Dank nicht - nein - wir dürfen heute wieder rein in den Nationalpark und unsere beiden gebuchten Bungalows in Skilpad, dem Hauptcamp, beziehen. Zwar wissen wir noch nicht, was uns da erwartet, doch es wird wohl besser sein, als das elende Kaff, das wir gerade hinter uns bringen! Ja, und so ist es. Kaum haben wir den Park erneut geentert, werden wir von einer Schar Erdmännchen begrüßt, die uns aus der Ferne, dennoch deutlich sichtbar, willkommen heissen. Hallo, ihr wuseligen Gesellen, schön, euch zu sehen! Rasch flitzt der Trupp weiter - wie auch wir. Kurz vor 17.00 Uhr treffen wir, nach einer kleinen Pass-Straße, dann endlich in Skilpad ein, erledigen die nötigen Formalitäten und nehmen anschließend sofort Kurs auf unsere gebuchten Chalets. Und diese rauben uns beinahe den Atem: da liegen vier dieser Häuschen auf einer Anhöhe, die einen weiten Blick in die bergige Landschaft dieses Parkteils ermöglicht. Die Sonne schickt sich soeben zu ihrem allabendlichen Untergang an und wir sind wie gefesselt: Hügelkette um Hügelkette staffelt sich hintereinander, schichtet sich in unglaublichen Farbabstufungen schwarzer, blauer und rötlicher Töne gen Horizont, sanft wogen lanzettblättrige Büsche wie Scherenschnitte vor dieser phantastischen Kulisse, eine Wolke formiert sich zu ständig wechselnder, immer unglaublicherer Gestalt. Irre!














Wir verteilen uns rasch auf zwei der Chalets, haben jedoch kaum einen Blick für deren Interieur - was wir aber sehen, ist Luxus pur - und treffen uns anschließend erneut, bei Annette und Jochen, um diesen Moment bei einem gemeinsamen Abendessen zu zelebrieren. Das allerdings müssen wir selbst kochen – trotz des uns umgebenden Luxus’. Zwar gibt es hier auch ein Restaurant - das jedoch hat, wie wir schon bei unserer Ankunft feststellen durften, wegen Renovierung geschlossen. Doch als geübte Selbstversorger haben wir natürlich genügend Verpflegung dabei – sogar so (angeblich) urdeutsches Gemüse wie Weißkohl. Ein ganzer Kopf davon schaukelt seit einigen Tagen in unserem Laderaum herum und möchte allmählich seiner Bestimmung zugeführt werden. Was aber machen wir daraus? Heinz steckt seinen Kopf prüfend in den Kühlschrank im Auto und zieht triumphierend ein Päckchen Schinkenspeck hervor. Wir kreieren lauwarmen Krautsalat! Eifrig machen Heinz und ich uns ans Schnibbeln und Zubereiten, während Jochen schon mal den Indoor-Grill anheizt: ein mehrrostiger Feuerplatz, mitten im Wohnzimmer, eingelassen im Kamin - Beleuchtung inklusive! Diese Chalets sind wirklich vom Feinsten: die Küche hervorragend ausgestattet, die Möblierung geschmackvoll-gemütlich, der Sanitärbereich gepflegt und großzügig, ihre Lage ideal; das Beste aber ist definitiv eine dem Sonnenuntergang zugewandte, voll verglaste Terrasse, deren Fenster und Türen sich komplett zur Seite schieben lassen. Auf diesem Panorama-Freisitz decken wir nun liebevoll den Tisch und genießen in aller Ruhe das Farbenspiel des verglühenden Tages; der lecker duftende Krautsalat kühlt indessen gemächlich ab, das Feuer im Kamin brennt zur Bilderbuch-Grillglut herunter und wir knipsen uns derweil die Finger wund... Als der letzte Schein des Sonnenballs schließlich am Horizont verloschen ist, hält die Kühle der Nacht Einzug, die wir aber kurzerhand durch das Verschließen der Terrassenverglasung aussperren und so ein königliches Dinner in kuschelig-warmem Ambiente zu uns nehmen können. Ein perfekter Ausklang für einen ereignisreichen, nicht weniger perfekten Tag!


Weitere Impressionen des Tages:


Cephalophyllum sp. (?)
Crassula barklyi
Käfer, bleib stehen!











Conophytum minutum
Othonna sedifolia
Haemanthus coccineus











Euphorbia caput-medusae

Cephalophyllum sp.







































Crassula elegans
Crassula elegans












Tylecodon reticulatus
Aloe melanacantha
Erdmännchen-Horde












C. brevifolia (links)
C. grisea vs. C. brevifolia

























Skilpad Küche
Skilpad Kamin
Skilpad Schlafzimmer

























H. coccineus
O. sedifolia
A. arenicola
A. arenicola

















T. wallichii
C. elegans
S. natalensis
C. alstonii

















Bulbine sp.
C. muscosa
C. bilobum

19. März 2013, Skilpad > Richtersveld Nationalpark, Potjiespram

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Ein letztes Sahnehäubchen hatten wir dem gestrigen Tag noch aufgesetzt: Heinz und ich haben uns sehr bald nach dem Abendessen in unser eigenes Chalet zurückgezogen, um in aller Ausgiebigkeit den Luxus einer en-suite-Dusche und eines flauschig-weichen Bettes zu genießen, das wir nicht selbst aufbauen mussten. Die kleinen Freuden eines ansonsten fast ausschließlichen Zelturlaubs, die sogar wir, als eingefleischte Camper durchaus zu schätzen wissen! Und derartige Zuckerl entschädigen uns quasi vorab – für heute: diesen 19. März nämlich haben wir in unserem Urlaubsplan rot markiert - als zähen, langen, aber leider unvermeidlichen Fahrtag. Nach dem Frühstück stellen wir uns ergeben unserem bevorstehenden Schicksal und klettern ins Auto, nicht ohne noch einen letzten, sehnsuchtsvollen Blick auf die hinter der Kurve schwindenden Chalets geworfen zu haben.

Noch auf Nationalparkgebiet
Farmland
Die N7 hat uns wieder











Dann geht sie los, die Tor-Tour; rund 400 Kilometer liegen nun vor uns, lange, öde, gleichförmige vierhundert Kilometer, die dankbarerweise größtenteils über Teer führen. Allerdings sind solche Teerstrecken ein recht zweischneidiges Schwert, denn einerseits geht es auf glattem, kurvenarmem Untergrund logischerweise rasch voran, andererseits aber sind solche Pads einfach nur schnarchlangweilig und erfordern höchste Konzentration vom Fahrer. Doch auch wir Mitfahrer können uns nur mühevoll wachhalten: die Landschaft fliegt an uns vorbei, an und für sich schöne Farben und Formen verschmelzen zu einem uninteressanten Sichtbrei, während uns uns nach wie vor die Zeit im Nacken sitzt. Wir möchten, wir wollen, wir müssen heute noch den Richtersveld Nationalpark erreichen, wo wir einen Platz am De Hoop-Camp gebucht haben: da aber müssen wir erst mal hinkommen...

Zur Abwechslung: Ortschaft
Steinkopf City
Fußballplatz in Steinkopf











Kaum haben wir also den Namaqua Nationalpark verlassen und einige wenige Staubkurven hinter uns gebracht, erreichen wir die N7, das Teerband, das Kapstadt mit Namibia verbindet. Mann, wie oft war ich hier schon unterwegs – jedoch immer nur auf der Durchreise. Mal um Mal hatte ich mir aufs Neue geschworen, auf dieser Strecke demnächst innezuhalten, mich umzuschauen, denn es ist, botanisch gesehen, eine höchst interessante Gegend. Doch wie der Teufel eben will, heizen wir auch heute durch, stoppen erstmals in Springbok, einem vergleichsweise kleinen Kaff - für deutsche Verhältnisse. Im nördlichen Namaqualand jedoch rangiert Springbok unter den Großstädten, ist einer der wenigen Dreh- und Angelpunkte der Zivilisation. Hier gibt es Tankstellen (diverse), Supermärkte (mehrere), viel Verkehr, noch mehr Menschen und all das vereint sich zu einem betriebsamen Gewusel, das ich ganz schrecklich finde - besonders jetzt, nach den Tagen der Menschenleere und Abschiedenheit. Aber es geht nicht anders: wir müssen hier unsere Vorräte aufstocken, schließlich sind wir die nächsten Tage fernab jeglicher Versorgungsmöglichkeiten und da muss an alles gedacht werden. Annette zückt unsere Liste, ein ständig wachsendes Dokument, das wir nun abermals durchgehen und hier und da ergänzen, bevor wir unser Auto auf dem brechend vollen Parkplatz eines Spar-Marktes abstellen. Meine Güte, in den Laden müssen wir nun rein, mit unserer Liste, die mir ellenlang erscheint: vier Tage Richtersveld erfordern einiges an unabdingbarer Grundversorgung wie Fleisch, Käse, Brot, Gemüse und Wasser. Allein von Letzterem benötigen wir drei Liter pro Person und Tag – was in der Summe schon mal 48 Liter ausmacht, Minimum. Dann kommen noch Leckerlis wie Wurst, Bier, Saft, Wein, Obst und Kekse dazu. Und all das muss nun eingemarktet und anschließend ins Auto gestapelt werden - rüttelsicher, verbrauchslogistisch klug und teilweise auch kühl. Schon zuhause, in meinem gewohnten Stadtumfeld, ist so ein Großeinkauf fürchterlich ätzend für mich: bah, wie ich es hasse, dieses Gestaple in den Einkaufswagen, das Aufs-Band-Räumen, das erneute Geschlichte in ein passendes Beförderungs-Behältnis, den anschließenden Transport ins traute Heim, dem sich ein gnadenloses, abermaliges Geräume anschließt. Hier aber, ohne geräumige Wohnung und spatiösen Kühlschrank, ist Einkaufen in solchen Dimensionen der wahre Horror - zumindest für mich.

Frustriert trotte ich mit meinen Freunden in den Supermarkt und bereite mich innerlich auf die kommende Seelenqual vor. Wir schnappen uns einen Einkaufswagen (reicht der?) und beginnen unseren Weg der Listenabarbeitung. Gemüse hier, Nudeln da, Brot dort. Mitten im laufenden Besorgungsvorgang bleibe ich an einem Regal mit Haushaltswaren kleben, das seltsamerweise eine magische Anziehungskraft und zugleich eine beruhigende Wirkung auf mich ausübt. Langsam schlendere an den bunten Plastikbehältern, den Stahlschüsseln, den Küchengeräten und schließlich den Putzmitteln vorüber und male mir im Geiste aus, wozu wir mindestens die Hälfte dieser Gegenstände gar trefflich auf unserer weiteren Reise gebrauchen könnten. Einen Edelstahlbräter als Vogeltränke, einen Fensterwischer zum Autoscheibenputzen, den Hightech-Dosenöffner als Ersatz für unseren altgedienten, der schon deutlich Sand im Getriebe hat, für jeden eine eigene kleine Salatschüssel und auch noch ein Windlicht, eine Kerze, ein Kartoffelstampfer…

Ha, da würden meine Freunde aber Augen machen! Allerdings nicht vor Begeisterung, sondern eher vor Besorgnis über meinen geistigen Zustand, fürchte ich. Denn unser Stauraum im Wagen ist ohnehin schon sehr knapp bemessen - würde ich jetzt auch noch mit dem ganzen Krempel anrücken, hätten wir ein echtes Problem. Das ist mir natürlich völlig klar, dennoch verspüre ich gerade eine Art von unwiderstehlichem Kaufzwang, der befriedigt werden will. Es wird sich doch, Herrschaft nochmal, irgendetwas finden; etwas Kleines, Nützliches, Hübsches, Buntes... Vor meinem inneren Auge lasse ich einen unserer üblichen Tagesabläufe vorbeiziehen: aufstehen, frühstücken, abspülen, packen, eincremen, losfahren. Weiter muss ich nun gar nicht mehr denken, denn auf Anhieb fallen mir zwei Dinge ein, auf die ich in Zukunft unter keinen Umständen mehr verzichten werde können: seit Jahren schon nervt mich zum Beispiel, dass ich meinen morgendlichen Tee oder Kaffee vor dem Spülen getrunken haben sollte. Dabei wäre es so gemütlich, nach dem Packen noch eine weitere Tasse zu genießen. Geht aber nicht, denn dann vergisst man früher oder später, die Tasse einzupacken oder sie geht unterwegs verschütt. Zudem schwappt beim anschließenden Fahren auf holperiger Piste das heiße Gebräu unkontrolliert über Hände, Oberschenkel und Autositze. Ein geräumiger, eigener, selbst bezahlter Thermobecher mit Schraubdeckel und Trinköffnung muss also her. Gesucht, gefunden! Dass es ein deutsches Fabrikat ist, das ich locker von zuhause hätte mitbringen können - und sicher auch wesentlich preiswerter - stört mich nicht im Geringsten. Der zweite Gegenstand, ein Microfasertuch zum Reinigen meiner Brillengläser, ist ebenfalls rasch ausfindig gemacht. Das Tuch ist zwar so groß, dass es zum Putzen eines ganzen Badezimmers ausreichen würde, aber auch das trübt mein Shopping-Glück in keinster Weise. Strahlend mäandere ich mit meiner Beute nun durch die Regalfluchten, um wieder zu meinen Freunden aufzuschließen und wenigstens bei den weiteren Besorgungen behilflich zu sein.

Vom Anenous Pass...
... über Land ...
... Richtung Ozean











Allerdings, so stelle ich mit schlechtem Gewissen fest, stehen Annette und Jochen bereits an der Kasse und packen die Einkäufe aufs Band. Hinter ihnen warten auch schon andere, gut beladene Kunden, sodass ich gerne darauf verzichte, mich hier durchzudrängeln und alibimäßig Beistand zu leisten. Stattdessen steuere ich lieber eine „Wenig-items-Kasse“ an, zahle rasch meine persönlichen Errungenschaften und helfe anschließend beim logistisch klugen Verstauen unserer neuen Vorräte in vom Supermarkt bereitgestellte Plastiktüten. Puh, Teamgesicht gewahrt... Also, hier die zu kühlenden Sachen, dort die sperrigen, da die haltbaren und zu guter Letzt die Wasserflaschen. Diese werden mir dann plötzlich von Heinz aus den Händen genommen und in den Einkaufswagen zurückgestapelt. Ach ja, Heinz! Wo war der eigentlich die ganze Zeit? Eine Stange Zigaretten und zwei Zeitschriften unter seinem Arm sprechen Bände: er hatte sich ebenfalls ausgeklinkt... Jetzt aber sind wir alle wieder vereint und rollen den schwer beladenen Wagen zum Auto, wo wir, Heinz und ich, schon mal mit dem Verräumen beginnen, während Annette zum Bottle Store eilt, um auch noch die benötigten Sundowner-Alkoholika zu besorgen. Jochen hingegen gönnt sich derweil eine Zigarette und lässt uns in aller Seelenruhe schuften - ausgleichende Gerechtigkeit! Dann kehrt Annette mit den alkoholischen Getränken zurück, die allerdings nur noch mit viel Mühe und Gestopfe untergebracht werden können. Schließlich ist alles im Auto - mehr schlecht als recht, mehr streitend als friedlich, aber immerhin - nix wackelt, nix trudelt, nix wandert. Kann es auch nicht, denn wir sind voll bis unters Dach. Und obwohl wir all das Zeug brauchen, wir uns wie blöd aufs Richtersveld freuen, so stellen wir dennoch mal wieder fest, wie widerwillig wir solche Einkäufe tätigen, wie sehr uns das stresst, wie latent aggressiv uns derartige Vorbereitungs-Aktionen machen. Unumgänglich, aber eben trotzdem tierisch ätzend. Also nichts wie weg von hier, der erneuten Einsamkeit entgegen!

Einfahrt Port Nolloth
Uferpromenade
Rustikales Restaurant











Minuten später sind wir, erleichtert durchatmend, erneut auf Piste, raus aus Springbok, unterwegs nach Steinkopf, das wir rund vierzig Kilometer danach erreichen. Hier geht es nun links, Richtung Westen, über den Anenous Pass, dessen gut ausgebaute Kurven und spektakuläre Aussichten mich, wie auf der letzten Tour bereits, abermals begeistern. Allerdings ist es diesmal erheblich trockener und somit auch karger als vor zwei Jahren um die selbe Zeit. Das hat, neben Heinz' und meiner persönlichen Enttäuschung, die wir bedauernd zur Kenntnis nehmen, dennoch auch einen wirklichen Vorteil: wir preschen durch, ohne anzuhalten, ohne auch nur einmal das Gefühl zu haben, etwas zu verpassen. Stattdessen blättert Heinz interessiert in seinen neu erworbenen Magazinen und vertreibt uns die Zeit auf den nächsten neunzig Kilometern bis Port Nolloth, indem er uns diverse Artikel, den Fahrlärm übertönend, vorliest. Gut informiert über Glanzstare des südlichen Afrika, die umfassende Gattung der Sperlingsvögel und mehr oder weniger effektvolle Schutzmaßnahmen für seltene Federträger der südlichen Hemisphäre, laufen wir schließlich in Port Nolloth ein - und haben Hunger.

Museum in Port Nolloth
"Zwergenschule"
Straßenszene











Es ist bereits früher Nachmittag - ein Zeitpunkt also, der unsere knurrenden Mägen durchaus legitimiert. So suchen wir nach einem Etablissement, das schmackhaftes Essen anbietet. Fastfood allerdings sollte es schon sein, denn eilig haben wir es immer noch. In Blickweite des Meeres werden wir schließlich fündig: eine Fisch-Fritten-Schnell-Ess-Bude, die hauptsächlich Pommes, begleitet von frittierten Tagesfang-Fisch-Filets, anbietet; Fresh fish (catch of the day) and fries to go, so sagt das Schild. Ein Widerspruch in sich, sagt der gesunde Menschenverstand. Egal, wir bestellen das jetzt. Der Menschenverstand, beziehungsweise dessen Vorahnung aber obsiegt. Doch es werden nicht nur unsere leisen Vorahnungen erfüllt, nein, man beglückt uns auch sonst auf ganzer Linie: der Fisch ist geschmacksarme Tiefkühlware aus fernen Gewässern, die Fritten sind weich und fetttriefend. Mit derartigen Kulinaria hatten wir ja teilweise gerechnet, nicht jedoch damit, auf die Fertigstellung der Fast-Food-Bestellung eine geschlagene halbe Stunde warten zu müssen. Als wir diese dann doch endlich in Händen halten und am Strand zum Essen auspacken, müssen wir zu allem Übel auch noch entdecken, dass die Tüte lediglich drei Portionen enthält, obwohl die Rechnung vier davon ausweist und wir diese auch bezahlt haben. Jetzt ist unsere Laune aber wirklich am Tiefpunkt angelangt.

Schulkinder
An der Tanke
Biltong-Laden











Mann, ist das ärgerlich! Aber nochmal zur Frittenbude fahren, eine Portion nachbestellen und wieder ewig warten, ist auch Blödsinn. Also bleibt nur teilen. Annette und Jochen schlagen vor, eine Portion mit Anteilen der ihrigen zwei aufzustocken und die könnten Heinz und ich uns dann teilen; doch genau diese gut gemeinte Offerte stößt Heinz, der gerne seine eigene Tüte hätte, es aber nicht sagt, sauer auf - und er lehnt dankend ab. Ich wundere mich und bin ebenfalls leicht angesäuert, denn ich werde hierbei nicht gefragt. Aber egal, wenn er meint. Also teilen wir beide eine Einzel-Portion, die ich samt Beutel in einer kleinen Felsspalte abstelle, die sich genau zwischen unseren Sitzplätzen befindet. Kaum haben wir uns jedoch gemütlich eingerichtet, tauchen diverse Möwen auf. Die Vögel umrunden uns fordernd und ich erliege sofort ihrem gefräßigen Charme. Immer wieder greife ich in unseren Essensbeutel, schiebe mir ein Stückchen Fisch in den Mund, werfe nebenbei den bettelnden Federtieren eine Fritte hin und freue mich daran, wie geschickt die Tiere die Häppchen auffangen. Dabei entgeht mir jedoch völlig, dass Heinz, immer noch gefangen in seinem unausgesprochen Groll, so gut wie nichts isst. Ich hingegen futtere und füttere fröhlich vor mich hin, total abgelenkt, als Heinz urplötzlich beschließt, auch ein paar Bissen essen zu wollen.

Chroicocephalus hartlaubii
Larus dominicanus
Chroicocephalus cirrocephalus











Doch bis auf wenige labberige Fritten und ein kleines Stückchen Fisch ist nichts mehr im Beutel. „Ja, danke, Hauptsach’ die Möwen hatten genug!“, zischt Heinz mich an. Uih, jetzt ist mein Schneck aber richtig sauer! Ich bin mir zwar irgendwie keiner, gleichzeitig jedoch jeder Schuld bewusst: ich habe alles weggefressen, die Vögel nebenbei noch generös versorgt - aber leider nicht auf Heinz geachtet. Tja, so war es. Verantwortlich für diese angespannte Stimmung aber ist, meiner Meinung nach, der lange Fahrtag, unter dem wir alle leiden. Man wird unaufmerksam, reizbar, störrisch, ist genervt, reagiert empfindlich. Und fallen unter solchen Umständen Begebenheiten zusammen, wie eben jene seit unserer Ankunft in Port Nolloth, dann gibt es Opfer. In diesem Falle bin ich schuld, obwohl auch ich nur ein Opfer der Umstände bin. Das lässt sich jedoch vorerst nicht mehr geradebiegen. Schneck schmollt, ich fühle mich missverstanden, Annette und Jochen sehen sich gänzlich unbeteiligt, spüren die Missstimmung aber dennoch und jeder gibt jemand anderem die Schuld. Mann, wie kompliziert! Lasst uns doch bitte einfach weiterfahren und diesen Tag rumbringen. Bald hat uns der Busch wieder und da ist die Welt hoffentlich in alter, harmonischer Ordnung!

Strand von Port Nolloth
Sieht nur idyllisch aus...
Carpobrotus edulis











Zügig bringen wir also schlechter Laune die Teerstrecke Richtung Alexander Bay hinter uns, biegen dort gen Nordosten ab und erreichen schließlich, leidlich besserer Stimmung, das erste Tor zum Richtersveld Nationalpark - Helskloof Gate. Dort, an diesem vor zwei Jahren noch recht unscheinbaren Ort, hatten wir auf der letzten Tour eingecheckt. Heute präsentiert sich das Gate jedoch ganz anders: Parkplätze, gekennzeichnet durch weiße Steine, rechteckig ausgelegt im roten Sand, dazwischen Beete, die gerade von Heerscharen buddelnder Gärtner mit Richtersveld-typischen Sukkulenten bestückt werden und jede Menge sonstiger Angestellter, die geschäftig umher wuseln. Hier wird richtig aufgerüstet! Allerdings sind wir mitten in der Bauphase angekommen und keiner hat Zeit für uns und unsere Eincheck-Wünsche. Das sei nur in Sendelingsdrif möglich, bekommen wir kurz angebunden zu hören.

Abraumhalden
Oranjeschleife
Helskloof Gate











Okay, okay, wir fahren ja schon wieder. Gegen sechzehn Uhr sind wir dann endlich am Hauptgate angekommen und dürfen dort unsere Formalitäten erledigen. Während Annette die Formulare ausfüllt und bezahlt, werfe ich immer wieder sorgenvolle Blicke auf die Uhr: wir haben De Hoop gebucht und es ist schon verdammt spät. Die Rangerin bestätigt meine Befürchtungen, indem sie uns dringend anrät, nach Potjiespram auszuweichen; De Hoop wäre, mit dreieinhalb Stunden Fahrzeit, nicht mehr bei Tageslicht zu schaffen. Nein, nein, bitte nicht nach Potjiespram! Ich kann dieses verbuschte Wochenend-Ausflügler-Camp am Oranje einfach nicht leiden - Flussnähe hin oder her. Leider aber hat die Rangerin recht: es wäre ziemlich unverantwortlich, heute noch nach De Hoop zu düsen - der Akkedis-Pass bei Dunkelheit ist zu gefährlich. Schweren Herzens, aber halbwegs einsichtig, fügen wir uns unserem Schicksal - warum sollte ein Scheiß-Tag nicht auch einen Scheiß-Abend haben...

Endlich da!
Der Tisch wird gedeckt
Opophytum hypertrophicum











Nun, so schlimm, wie befürchtet, wird es dann doch nicht: zumindest gibt es keine anderen (menschlichen) Gäste und wir können uns somit ungehindert auf den einzigen Platz mit angedeutetem Flussblick stellen. Der ist zwar auch nicht gerade wild-romantisch, aber immerhin recht weitläufig und man kann nach wenigen Schritten den Oranje hinter den Büschen erkennen. Auch Heinz, dessen Stimmung immer noch spürbar gereizt ist, entspannt sich sofort deutlich, als plötzlich eine Schar von Kap-Frankolinen über den sandigen Boden unseres heutigen Nachtquartiers marschiert. Die Hühnervögel mit der kleinen Kinderschar glucksen leise, sind recht zutraulich und egalisieren damit auf der Stelle Schnecks Fahrtag-Grant. Als wir schließlich das Lager fertig aufgebaut haben, das Sundowner-Bier in Händen halten, das Essen auf dem Lagerfeuer fröhlich brutzelt und der Oranje im Hintergrund versöhnlich plätschert, sind wir alle wieder im Lot. Der Busch hat uns wieder! Nach einem Dinner in bester Harmonie kuscheln wir uns todmüde in unsere Schlafsäcke und schlafen einem neuen Tag ohne Zivilisation und stressige Einkäufe zufrieden entgegen. Auch ein Scheiß-Tag kann ein halbwegs gutes Ende finden…


Weitere Impressionen des Tages:

Straßenszene Port Nolloth
Carpobrotus edulis
An der Uferpromenade












Der Weg nach Alexander Bay
... zieht sich ...
... und zieht sich!












Geister-Mine
Der Oranje hat wenig Wasser
Öde Gegend












Noch ödere Gegend
Echte "Traum-Farm"
Auf und ab über Dünen und Halden












Richtersveld in Sicht!!!
Tapinanthus oleifolius
Tapinanthus oleifolius

20. März 2013, Potjiespram Campsite > Kokerboomkloof Campsite

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Gut gelaunt und ausgeschlafen erwachen wir am frühen Morgen, krabbeln freudig aus unseren Zelten und finden uns zum Frühstück zusammen. Doch nicht nur wir freuen uns auf ein gemütliches Beisammensein, begleitet von kulinarischen Leckerbissen: während wir bereits genüsslich Kaffee trinken, bräunen diverse Toastscheiben auf der wieder entfachten Glut des gestrigen Abends appetitlich vor sich hin – und zwar unter den scharfen Blicken einiger Meerkatzen. Die kleinen Äffchen hatten sich leise angeschlichen und im umliegenden Gebüsch postiert, offenbar in der unsinnigen Hoffnung, wir würden sie nicht bemerken. Doch weit gefehlt; wir kennen unsere Pappenheimer sehr gut! Dennoch müssen wir alles an Wachsamkeit aufbieten, um die kleinen Diebe von ihren Beutezügen auf unseren Toast, unser Equipment und den Abfall abzuhalten. Sie sind so schnell, so geschickt, dass man sie nicht aus den Augen lassen darf. Die Meerkatzen begreifen jedoch bald, dass sie keine Chance gegen uns haben und ziehen frustriert schimpfend ab. Aber sicher nicht, ohne sich zu fragen, was sie falsch gemacht haben: mit erstaunt blinzelnden Augen nämlich haben sie durchaus wahrgenommen, dass wir die erneut aufgetauchte Frankolin-Familie großzügig mit Brosamen versorgen. Tja, ihr pelzigen Kleptomanen, dann denkt mal gründlich drüber nach!

Heinz und die Hühnchen
Francolinus capensis
Haariges Diebsvolk











Begleitet vom freundlichen Glucksen der rundlichen Hühnchen beenden wir schließlich, bar jeglicher unfreiwilliger Verluste, unser Frühstück und machen uns ans Aufräumen. In gewohnter Reihenfolge wird alles abgebaut und verstaut – Schlafequipment, Zelte, Stühle, Tisch. Übrig bleibt, wie immer, das Geschirr. Es muss noch gespült werden - und heute bin ich dran. Vorfreudig rühre ich mir einen Vorrats-Kaffee in meiner neu erworbenen Tasse an, stelle diese ins Auto und mache mich gleich darauf mit unserem Spülgut, gesammelt im faltbaren Camping-Becken, auf den Weg zum Waschhaus. Dieser führt durch eine schmale, freigeschlagene Gasse inmitten dichten Gebüschs, in dem nicht nur zahlreiche Vögel zuhause sind, sondern das durchaus auch noch andere Bewohner beherbergen könnte. Natürlich achte ich bei derartigen Gängen ganz besonders auf meine Umgebung, nehme Bewegungen besonders bewusst wahr und schaue genau, was da los ist. Alles okay, alles harmlos! Plötzlich aber tut sich etwas Ungewöhnliches: aufgeregtes, hektisches Flattern, angsterfülltes Fiepsen, grau-weiße Flitze-Blitze, zu Boden sinkende Federn. Ich brauche eine ganze Weile, bis ich voll erfasse, was genau hier geschieht, kann kaum mit den Augen folgen - aber schließlich offenbart sich das seltene Schauspiel! Es ist ein Fiskalwürger, der gerade hinter einem jugendlichen Nektarvogel her ist! Wie erstarrt bleibe ich stehen und rufe meine Reisegenossen herbei: „Schnell, kommt, seht euch das an! Jagd! Shrike gegen Sunbird!!!“ „Was?“, schallt es von hinten. „Kommt schnell!“, flüster-schreie ich.


 

Dokumentation eines unangekündigten Todes



Meine Freunde horchen auf, denn so atemlos quieke ich normalerweise nur, wenn mich ein größeres Insekt mit seinen menschenfressenden Kiefern bedroht. Heinz ist als erster zur Stelle, zunächst sehr besorgt, dann aber genauso fasziniert. Darauf folgen auch Annette und Jochen und sind ebenfalls gefesselt von diesem Anblick - ein Anblick, der einem vielleicht einmal im Leben vergönnt ist: ein juveniler Nektarvogel, braun-grau, mit bereits sichtbar blau-metallischer Federbrust, kämpft um sein Leben. Der Aggressor ist ein weiß-schwarzer Fiskalwürger, kaum größer als das Opfer. Aber der Würger weiß, was er will und lässt sich nicht davon abbringen. Mit unglaublich flinken Flugmanövern jagt er dem flüchtenden Jungvogel hinterher, powert ihn aus und versetzt ihm immer wieder schwächende Hiebe. Kaum lässt sich der Sunbird keuchend und benommen irgendwo nieder, ist der Würger schon zur Stelle, pickt erneut zu, hetzt sein Opfer weiter. Wir fiebern fasziniert mit: ach, der arme Nektarvogel; uih, ist der Würger schnell - wir sind hin und her gerissen. Doch bevor wir in der Lage sind, Partei zu ergreifen, ist es schon passiert: der Jäger war erfolgreich, direkt vor unseren Augen! Atemlos pumpend umfasst er das dünne, zerbrechliche Genick seines Opfers, dessen Kopf bereits schlaff nach unten hängt. Ein kurzes Durschschnaufen, ein schnelles Nachgreifen später, und fort ist der Würger. Mitsamt seiner Beute, die ihn beim Starten sichtlich Kraft kostet. Kaum aber ist er in der Luft, merkt man ihm das Gewicht fast nicht mehr an.

Der Würger war erfolgreich
Schwemmebene
Karge Berge am Oranje











Bitte zwicke uns jemand! War das gerade echt, ist es tatsächlich geschehen? Ja, so belegen unsere Aufnahmen, die jedoch nur einen Bruchteil dessen dokumentieren können, was wir soeben in voller Bandbreite erleben durften. Unfassbar! Aber nach dieser Beobachtung ist nun endlich auch für Annette und Jochen die aufgespießte Maus bei Spoeg River vom Hirngespinst zur glaubhaften Tatsache geworden.

Wie gebannt starren wir noch eine ganze Weile auf den Tatort, in der sinnlosen Erwartung, es könne sich dort Weiteres ereignen. Mit irgendeiner Übersprungsreaktion aber müssen wir das Geschehene, das Gesehene ja erst mal ein bisschen verarbeiten, oder? Schließlich lösen wir uns doch - ich gehe spülen, die anderen packen das Auto voll - aber jeder von uns hat dabei stets die flimmernden Bilder dieses Beutezugs vor Augen. Meine Güte, ein solches Erlebnis in dem von mir so ungeliebten Potjiespram - damit hätte ich nicht gerechnet! Dennoch bin ich froh, als wir, das Geschirr ordentlich gespült und getrocknet, dieses verbuschte Camp verlassen und nun die botanisch spannenden Regionen des Richtersveld Nationalparks ansteuern...

Botanische Öde
Landschaftliche Fülle
Hungrige Nama-Ziegen











Ein paar Kilometer geht es zunächst noch am Oranje entlang, bevor wir die Schwemmebene erreichen, die uns auf der letzten Tour so reichlich mit blühenden Hoodias beschenkt hatte. Heuer jedoch ist es viel trockener und, wie schon befürchtet, sieht man das auch deutlich: bis auf zahlreiche, sehr staubige Stachelwürste tut sich hier nichts. Halt, dass ich nicht lüge! Eine Ziegenherde durchquert gerade gemächlichen Trabs die Ebene und macht sich über alles her, was auch nur ansatzweise grün ist. In diesem Falle sind das zwar lediglich ein paar wenige Bäumchen, die recht niedrig gewachsen sind, ihr dürftiges Laub aber dennoch in einer Höhe tragen, die für die Ziegen fast unerreichbar ist. Fast. Denn man glaubt kaum, zu welchen Verrenkungen ein hungriger Hufträger fähig ist! Auf den Hinterbeinen balancierend, den Hals auf Giraffenlänge streckend, rupfen sie mit gespitzten Lippen das letzte bisschen Grün von den unteren Ästen. Ein besonders gieriges Zicklein versucht gar, den Rücken einer Artgenossin zu Erklimmen, scheitert jedoch an deren Gegenwehr und den eigenen, fehlenden Akrobatikfähigkeiten. Wir amüsieren uns köstlich. Gleichzeitig wird uns aber auch etwas mulmig, denn die Trockenheit ist so offensichtlich, dass wir fürchten, heuer vergeblich ins Richtersveld gekommen zu sein – zumindest, was unsere Pflanzenausbeute betrifft. Doch dieser einzigartige Nationalpark belehrt uns bald eines Besseren: hier gibt es immer etwas zu entdecken – und wenn es nur Gefühle sind...

Ceraria namaquensis
Blütenlose Hoodia
Schneckerl mit Steckerl ;-)











Natürlich hatte uns die letzte Tour mit strotzendem Leben verwöhnt - kurz zuvor fiel ausreichend Regen - und natürlich sind wir gerade ein wenig enttäuscht, da wir logischerweise Vergleiche ziehen: hier hatten die Hoodias geblüht, dort standen die Cerarien in vollem Blattkleid, da drüben die Euphorbien in Blüte. Heute hingegen sieht man nur stachelige Triebe, nackte Zweige und blütenlose, mattgrüne Steckerl. Aber die Pflanzen sind ja nicht weg, sie sehen nur anders aus. Und das ist für uns botanisch Interessierte erst Mal das Wichtigste. Der Aspekt, der mich hierbei jedoch am meisten fasziniert, ist ein schwer beschreibbarer, ein recht persönlicher: es ist wie in einer wachsenden Beziehung, in der sich mit zunehmender Dauer Facetten in der Wahrnehmung der geliebten Person hinzugesellen und ihr Bild somit Schritt für Schritt komplettieren. Die Bindung festigt sich hierbei und irgendwann kennt man den anderen in vielen, durchaus nicht nur schokoladenseitigen Lebenslagen. Liebt man ihn deshalb weniger? Nein! Nicht, wenn es wahre Liebe ist. Und die scheint es bei mir und den sukkulenten Gewächsen zu sein, die hier und heute vor meinen Augen vor sich hin darben. Mir ist, als würde jemand, auf den ich schon vor Jahren ein begehrliches Auge geworfen, den ich jedoch stets in hippen Klamotten und mit seinem Sonntagsgesicht gesehen habe, gerade zum ersten Mal neben mir aufwachen - verstrubbelt, verschlafen und - zu allem Überfluss - auch noch in Socken und einem knitterigen Pyjama. Und ich werde nicht aus dem Bett und der Wohnung geworfen, sondern bekomme einen äußerst liebevollen Kuss, ein tolles Frühstück und ein sehnsüchtiges „Sehen-wir-uns-bald-wieder“ ins Ohr gehaucht! Im übertragenen Sinn haben die Sukkulenten genau das gemacht: ich fühle mich, als hätten die Pflanzen mich soeben vollen Herzens in ihr Leben gelassen. Das klingt sicher höchst befremdlich, doch besser kann ich die Gefühle, die mich angesichts der schrumpeligen Sukkulenten gerade übermannen, nicht erklären.

Crassula deceptor
Brownanthus pseudoschlichtianus
Cheiridopsis robusta











Dass das Richtersveld etwas in mir wachruft, was mein Innerstes nach außen kehrt, kenne ich ja bereits. Das liegt ganz sicher, neben den Pflanzen, auch an der Landschaft, die so einzigartig ist, dass es mir die Schuhe auszieht - salopp gesagt. Wenn man allerdings auf eine Kombination aus landschaftlicher Schönheit und pflanzlicher Vielfalt trifft, dann müssen auch die Socken dran glauben - und aus diesen haut es mich jedes Mal, wenn wir im Richtersveld über Pässe fahren. Enge, felsige, steile Fahrwege schlängeln sich kurvenreich durch hoch aufragende, schroffe, abweisend wirkende Felsen, die, je nach Tageszeit und Sonneneinfall, reizvolle Strukturen und Farbspiele präsentieren. Grau, Blau, Rot und Schwarz in allen Abstufungen und Intensitäten schmiegen sich aneinander, zeichnen unwirkliche Bilder, abgefahrene Gemälde, abstrakte Kunstwerke. Das allein ist schon überwältigend genug. Wagt man sich dann aber, bei fast unerträglichen Temperaturen, hinauf auf diese glühenden Felsen, wird man zusätzlich mit einer Pflanzenvielfalt belohnt, die ihresgleichen sucht. Auch wenn sie sich heute nicht von ihrer Schokoladenseite zeigt...

Trachylepis sp.
Brownanthus nucifer
Euphorbia hamata











Aber sie ist da, man muss eben nur genau hinsehen. Unser erster Pass, der Swartpoort, ist kaum als solcher erkennbar, da wir aber nun schon etwas mit der Gegend vertraut sind, wissen wir genau, worauf wir achten müssen: es sind die Cerarien, die heute ihrem afrikaansen Namen alle Ehre machen und sich als blattlose, peitschenförmige Hotnotsrieme (Hottentottenriemen) zeigen - geduckte Büsche mit biegsamen Zweigen, absolut unspektakulär, nicht besonders hübsch, aber eben absolut faszinierend als hoch endemische Überlebenskünstler. Ein paar Kilometer weiter, wir gewinnen stetig an Höhe, erreichen wir den Halfmens Pass, benannt nach den ebenfalls endemischen Namaquanum-Pachypodien, die trotz der Trockenheit tapfer ihre kleinen Blattkränzchen in den blauen Himmel recken. Wir erweisen den markigen Gewächsen unsere Ehre und klettern zu ihnen in die heißen Felsen, begrüßen sie wie alte Freunde und freuen uns, dass sie immer noch da sind - die Sagengestalten aus der uralten Nama-Legende: sehnsüchtige, heimatvertriebene Menschen, die es der Gnade der Götter zu verdanken haben, für den Rest ihres Lebens in ihr angestammtes Land schauen zu dürfen - als in Pflanzen verwandelte, gen Norden gerichtete Stachelgestalten mit erhobenen Armen und einem Blattkrönchen. Kein Wunder, dass solch bizarre Silhouetten die Phantasie der Betrachter schon immer anregten und auch heute noch deren Vorstellungskraft beflügeln!

Pachypodium namaquanum
Euphorbia dregeana
Namensgeberin "Akkedis"-Pass











Schwitzend und mit roten Gesichtern treibt es uns nach diesem Wiedersehen erneut ins Auto, dem Akkedis Pass entgegen; er war auf unserer letzten Tour der mit Abstand Interessanteste: fahrtechnisch nicht zu unterschätzen und extrem pflanzenreich. Trotzdem oder gerade deswegen hatten wir gestern Abend gut daran getan, ihn nicht mehr zu fahren, denn der „Eidechsen-Pass“ ist in der Tat so steil und engkurvig, dass man Tageslicht braucht, um ihn sicher zu bewältigen und nebenbei auch noch all seine Schätze zu entdecken. Bei unsäglichen Temperaturen nahe der 50-Grad-Marke schrauben wir uns unter damit einhergehender, optimaler Ausleuchtung nun den Akkedis nach oben, der uns, am höchsten Punkt angelangt, mit kaum kühleren Temperaturen empfängt. Oh je, wir haben gerade mal frühen Vormittag, aber die Hitze glüht bereits, als befänden wir uns inmitten eines Backofens. Es ist heisser als auf der letzten Tour, auf der wir hier mit über 40 Grad ins Schwitzen gerieten. Allerdings ist die Luft heute, im Gegensatz zu damals, wesentlich trockener und deshalb sind die paar Grad mehr auch besser zu ertragen. Der Schweiß, der nichtsdestotrotz in Strömen fließt, verdunstet, kaum dass er die Poren verlassen hat, im Nu sammeln sich Salzkrusten auf der Stirn, die Augen brennen und die Nase fühlt sich an wie ausbetoniert. Aber egal. Unverdrossen klettern wir die steilen, den Akkedis Pass überragenden Bergflanken nach oben und treffen all die alten Bekannten, die uns vor zwei Jahren schon so begeistert hatten. Heute wirken sie natürlich nicht ganz so taufrisch, dafür aber präsentieren sie sich in einer Form, die dem interessierten Botaniker eine neue Welt eröffnet: wie sieht eine Pflanze in ihrer angestammten Heimat aus, wenn sie in der Ruhephase ist, wenn sie ihren Stoffwechsel auf ein Minimum herunterfährt? Jeder, der zuhause solch exotische Pflanzen kultiviert, wird wissen, was ich meine. Daheim erfreut man sich am Wachstum und der Blüte solcher Gewächse, versucht, die natürlichen Bedingungen so gut wie eben möglich nachzustellen, wird dabei jedoch nie den typischen Wuchs einer „In-Habitat-Pflanze“ herbeiführen können. Und das, was einem in einschlägigen Bestimmungsbüchern präsentiert wird, ist ebenfalls in den seltensten Fällen das Standortfoto eines Gewächses in der Ruhephase.

Eberlanzia schneideriana
Cheiridopsis sp.
Crassula deceptor











So also ist es schon schwierig genug, eine Pflanze am Naturstandort zu identifizieren, indem man sie mit Fotos von strotzenden (Kultivar)-Exemplaren abgleicht. Befindet man sich allerdings „in situ“ - so wie wir heute - und hat vermeintlich ein wenig Gefühl für die unter natürlichen Bedingungen wachsenden Sukkulenten erworben, wird man erneut beginnen, zu lernen. Und genau das tun wir gerade. Eine schrumpelige Schwantesia bildet Blattzipfelchen aus, die beinahe denen eines Mitrophyllums würdig wären; eine Crassula deceptor, in Stresssituationen normalerweise orangefarben, ist vor lauter Wassermangel erblasst; eine Kissenia capensis präsentiert pergamentene Kronblätter, die man ansonsten, verdeckt durch weiße Blütenblätter, nie zu Gesicht bekommt. Eine selten lehrreiche Situation ist das, in der wir uns hier befinden! Doch Lehrjahre sind bekanntermaßen keine Herrenjahre - und mir wird gerade klar, dass ich mich immer noch ganz am Anfang meiner (Selbst-)Ausbildung befinde. In den vergangenen 24 Monaten hatte ich mich intensiv in das für mich neue Fachgebiet „Sukkulenten“ eingearbeitet, große Fortschritte gemacht und fühlte mich zu Beginn dieser neuen Tour schon relativ sattelfest. Doch weit gefehlt! Denn jetzt, da mir die Sukkulenten ein völlig neues Gesicht zeigen, merke ich deutlich, dass ich noch immer ganz am Beginn meiner Lehrzeit stehe. Obwohl: ein paar Mosaiksteine des Wissens sind trotzdem kleben geblieben, die sich in der jetzigen Situation als äußerst hilfreich erweisen. Heinz entdeckt zum Beispiel eine Brownanthus-Pflanze am Fuße eines Felsens. „Was für einer ist das genau, Schneck?“, fragt er mich. Hui, allein diese Frage geht schon runter wie Öl - ER, der Sukkulentenkenner, fragt MICH! Ich bücke mich, werfe einen fachmännischen Blick auf das Gewächs und meine mit gewichtiger Kennermiene: „Pseudoschlichtianus.“ „Bist sicher?“ „Ja, ganz eindeutig. Pseudoschlichtianus hat ganz charakteristische, rechteckige Epidermis-Zellen.“ Heinz starrt mich mit hochgezogenen Augenbrauen an: „Schön langsam wirst mir unheimlich, Schneck!“. Dieses Kompliment geht erst recht runter wie Öl. Insgeheim jedoch bin ich froh, dass nicht noch weitere Fragen folgen, denn da könnte es eng werden...

Brownanthus
nucifer
Brownanthus
pseudoschlichtianus
Cucumis rigidus
Pergularia daemia
ssp. gariepensis
















Ums Herz aber wird mir weit und immer weiter. Mein Gott, was für ein Ort ist dieses Richtersveld! Magisch, zauberhaft, atemberaubend. Atemberaubend, ja, sogar in zweierlei Hinsicht: einerseits, wie ja bereits ausführlich beschrieben und thematisiert, sind es die einzigartige Pflanzenwelt und die malerische Landschaft, andererseits ist da das Klima. Es ist unglaublich harsch, feindselig, unwirtlich: von Schneefall und Frost, was ich hier persönlich noch nie erlebt habe, über Backofentemperaturen, die einen feucht wie ein Dampfbad (letzte Tour) oder aber trocken wie knisterndes Pergament umwabern (heute), kann einem hier alles passieren. Unser kleines Thermometer im Auto zeigt im Moment 48 Grad Celsius an, die Luftfeuchtigkeit liegt bei gefühlten minus 10 Prozent: die trockene Hitze, die im Moment das dominante Klimaelement ist, brennt in den Bronchien, jeder Schritt, besonders bergauf, ist ein Kraftakt, die Hitze dampft einem fast das Hirn weg und jeder Atemzug verstärkt das Gefühl, man sei eine Dörrpflaume. Atemberaubend, egal, wie auch immer man es nimmt! Heinz und ich klettern lange in den Anhöhen des Akkedis-Passes umher, ringen um Luft - vor Begeisterung, vor Hitze, vor Trockenheit, vor Ehrfurcht. Annette und Jochen allerdings geben sich unter diesen Bedingungen etwas weniger leidenschaftlich und harren lieber im dürftigen Schatten des Autos aus, sodass auch wir nach einer Stunde bereits wieder aus den Hängen krabbeln. Na ja, wir haben viel gesehen und mit Sicherheit auch genügend Sonne getankt. Das lauwarme Wasser, das wir uns durstig aus unseren Trinkflaschen in die Kehlen rinnen lassen, schmeckt auf jeden Fall köstlich wie nie zuvor...

Blick nach unten
Kissenia capensis
Cleome foliosa











Nach einem kleinen Mittagssnack, den wir noch an Ort und Stelle zu uns nehmen, geht es dann weiter. Wir halten uns in südlicher Richtung und erreichen, nach einer Fahrt durch das breite, sandige Bett des Kook River den letzten Pass des heutigen Tages: den Domorogh. Hier waren wir noch nie, sind aber gleich sehr angetan von dem, was wir sehen. Der Domorogh Pass ist, im Vergleich zum Akkedis, relativ klein, die Aussicht allerdings, die man von hier auf eine gegenüberliegende Bergkette hat, ist einzigartig - und Sukkulenten gedeihen auch hier in Hülle und Fülle. Die Flora des Domorogh gleicht der aller Richtersveldpässe, die wir bis jetzt gesehen haben, trotzdem hat jeder Pass, jeder einzelne Hügel seine ganz besonderen Schätze und typischen Gewächse. So auch der Domorogh; er wird von Steckerl-Pflanzen aller Couleur dominiert: Kleinia longiflora, Sarcostemma viminale und Euphorbia dregeana recken ihre grünen Zweige in die Luft und sind sich auf den ersten Blick recht ähnlich. Dabei gehören sie völlig unterschiedlichen Familien, ja, sogar Ordnungen an: Kleinia ist ein Korbblütler aus der Ordnung der Asterales, Sarcostemma ein Seidenpflanzengewächs (Gentianales) und Euphorbia ein Wolfsmilchgewächs (Malpighiales). Betrachtet man nun Angehörige dieser Pflanzenordnungen, die in unseren Breiten beheimatet sind, und vergleicht sie mit den hier wachsenden Exemplaren, wird einem diese unglaubliche optische Annäherung unterschiedlichster Pflanzen erst in seinem ganzen Ausmaß bewusst. Sind sich Margerite (Asterales/Asteraceae), Immergrün (Gentianales/Apocynaceae) und Sonnwend-Wolfsmilch (Malpighiales/Euphorbiaceae) in irgendeiner Weise ähnlich? Ich würde deutlich sagen: Nein! Dennoch stehen wir jetzt vor Angehörigen genau dieser drei Ordnungen/Familien und sehen, auf den ersten Blick, drei zumindest optisch nahe Verwandte. Handelt es sich hier etwa um eine Konvergenz?

Sarcostemma viminale
Kleinia longiflora
Euphorbia dregeana (re.)











Nein, in unserem Falle kann davon, streng wissenschaftlich gesehen, nicht die Rede sein, da ein entscheidendes Merkmal fehlt. Um diesen Tatbestand zu erfüllen, müssten nämlich Organe der Pflanzen, die in ihrer Anlage verschieden sind, durch Anpassung an äußere Umstände vergleichbare Formen ausbilden. Bekanntestes Beispiel hierfür ist das Diptychon aus neuweltlichem Kugelkaktus und altweltlicher Kugeleuphorbie: sowohl das mexikanische Astrophytum asterias als auch die südafrikanische Euphorbia obesa haben auf vergleichbare klimaökologische Verhältnisse mit der Ausbildung einer fast zwillingshaften Wuchsform reagiert. Mit einem eklatanten Unterschied – der Kaktus evolutionierte die Form seines Stängels zur optimalen Daseinsform mit maximalem Speichervolumen bei gleichzeitig minimaler Oberfläche; bei der Euphorbie hingegen mussten die Blätter diese Rolle übernehmen. Genau dieses entscheidende Merkmal liegt bei unseren Gesellen nicht vor, trotzdem aber finde ich es höchst faszinierend, wie Angehörige dreier verschiedener Ordnungen sich so weit vom „eigentlich üblichen“ Erscheinungsbild entfernen und einander optisch annähern können, um sich die besten Überlebenschancen in diesem Klima zu sichern.

Domorough Pass
Strukturen durchs Fernglas
Ehrfürchtiges Staunen











Wir genießen die kleine Exkursion in die Flora des Domorogh Passes, bevor wir uns wieder ins Auto schlichten und endlich unserem heutigen Übernachtungsziel zustreben, dem Kokerboomkloof. Auf diesen Ort sind wir schon extrem gespannt, denn er ist als heißestes Camp des Richtersvelds bekannt und soll aufgrund seiner flussfernen Lage am wenigsten frequentiert sein. Unsere Neugier allerdings wird etwas länger auf die Folter gespannt, denn wir müssen zuerst noch um die fünfzig Kilometer zurücklegen, fünfzig lange, trockene, heiße Kilometer - über Berg und Tal, durch die Flussbetten des Gannakouriep und einen seiner Seitenarme. Diese Flusstäler, in denen sich die Hitze besonders staut, sind, was die Vegetation anbelangt, relativ uninteressant. Das kommt einem raschen Vorankommen durchaus entgegen - wir schaffen die weite Strecke tatsächlich in zweieinhalb Stunden, lediglich unterbrochen durch einen einzigen Pinkelstopp. Gegen 13 Uhr sichten wir schließlich die Silhouette des Tatasbergs, wenig später zeichnet sich das felsige Wahrzeichen des Kokerboomkloofs gegen den wolkenlosen Himmel ab: die Toon, die Zehe, ein riesiger Felsbrocken, dessen Umrisse gewisse Ähnlichkeit mit einer molligen Großzehe aufweisen. Und dann ist es so weit! Wir biegen um die letzte Kurve und haben eine erste Aussicht auf die Campsite, auf die ich mich so sehr gefreut hatte.

Die Toon - Die Zehe
Kokerboomkloof
Springbokvlakte











Das, was ich da sehe, enttäuscht mich allerdings ein wenig: es gibt hier zwar einige Köcherbäume, diese jedoch sehen allesamt nicht sehr gesund aus. Klar, es ist schon lange recht trocken – was nicht gerade zum Strotzen der Baumaloen beiträgt; vielen der sukkulenten Bäume aber würden auch üppige Regenfälle nichts mehr nutzen, denn sie sind schlicht und einfach tot und recken ihre dürren Zweige anklagend in die Luft. Das ist in der Tat ein bisschen schade, wäre aber noch zu verschmerzen, verleiht es dem Ort doch einen leicht morbiden Charme, der durchaus anziehend auf mich wirkt. Weniger anziehend und weitaus schwerer zu verschmerzen hingegen ist eine Ansammlung mehrerer Zelte, Fahrzeuge - und Menschen, die offensichtlich soeben ihre Siesta beendet haben und wie wuselnde Ameisen über das Gelände mäandern. Mhm, insgeheim hatte ich gehofft, wir wären alleine hier, das aber war wohl ein Schuss in den Ofen. Okay, ein paar wenige Camper hätte ich wohl noch klaglos hingenommen, doch das hier ist eine ganze Reisegruppe und Gruppen sind in der Regel Garanten für einen erhöhten Lärmpegel. In der Regel. Doch keine Regel ohne Ausnahme!

Leicht ernüchtert kurven wir über das Camp-Areal, nehmen unsere Mitbewohner unauffällig in Augenschein und lassen uns schließlich auf dem letzten von vier freien Stellplätzen nieder. Immerhin - eine schön gelegene Site nur für uns, mehrere hundert Meter entfernt von den Zelten der Gruppe. Bei glühenden Nachmittagstemperaturen errichten wir unser Lager, räumen unsere Kisten in das kleine, zur Campsite gehörende Küchen-Waschhäuschen, das übrigens recht ungepflegt und noch dazu partiell funktionsuntüchtig daherkommt. Dann lassen wir uns schwitzend und ermattet in unsere Faltstühle fallen, die vom Gazebo gnädig beschattet werden. Puh, jetzt erst mal was trinken und ein wenig ausruhen! Während wir nun gemütlich unseren Tee schlürfen und die Umgebung auf uns wirken lassen, zieht eine lange Karawane menschlicher Wesen von den unteren Campsites zu uns nach oben. Es handelt sich durch die Bank um Herrschaften gesetzteren Alters, sie alle tragen Stative und Kameras, grüßen höflich und wandern gemessenen Schrittes an uns vorüber. Eine Dame bleibt gar stehen, heißt uns willkommen und entschuldigt sich prophylaktisch für den Lärm, den die Gruppe morgen, zu früher Stunde, wohl machen wird: die fünfzehn Teilnehmer dieser Foto-Gruppenreise müssten leider bereits vor Sonnenaufgang an unseren Zelten vorbei, hinauf zu den Köcherbäumen, um beim besten Fotolicht bereit zu sein, tut sie uns kund. Wir sind angenehm überrascht von der ausgesuchten Höflichkeit und Rücksichtnahme, die hier praktiziert wird und versichern der Dame, kein Problem mit derart angenehmen Nachbarn zu haben - selbst wenn sie mitten in der Nacht zu einem Moonlight-Shooting aufbrechen wollten. Und das meinen wir auch wirklich so! Die Gesellschaft anderer Menschen ist in der Abgelegenheit der Wildnis nicht immer eine Bereicherung, geschweige denn ein Vergnügen, in diesem Falle aber schon. Was so ein bisschen Rücksichtnahme, ein wenig Einfühlungsvermögen, ein Quäntchen Kommunikation und eine Prise gleicher Interessen alles ausmachen kann!

Gemächlich verdödeln wir nun, eins mit uns selbst und unseren ruheliebenden Nachbarn, den heißen Nachmittag. Doch nicht nur uns ist warm, nicht nur wir haben Durst. Es gibt eine Menge Vögel, die ebenso empfinden und zu ihrem eigenen Vorteil gelernt haben: menschliche Zweibeiner, die einen derart unwirtlichen Ort freiwillig besuchen und sich dort auch noch niederlassen, haben meist ein offenes Herz nebst einer freigiebigen Hand für gefiederte Zweibeiner. Im Zuge dieser Erkenntnis werden wir also von zahlreichen, sehr neugierigen und recht zutraulichen Vögeln belagert, die nur darauf zu warten scheinen, dass etwas für sie abfällt. Ach, hätte ich in Springbok doch nur den Edelstahlbräter gekauft! Annette deutet meine Blicke sofort richtig und kramt aus den Tiefen unserer Kisten eine Pizzabackform hervor. Mit Wasser gefüllt und etwas im Sand versenkt wird die flache Schüssel auch sofort zur Attraktion des Tages. Die lauernden Bokmakieries und Schmätzer verlieren auf der Stelle jegliche Restscheu und bevölkern badend und trinkend das Gefäß. Und wir sitzen unter unserem Schattendach, trinken Tee und genießen das Sein – wenige Meter neben planschenden, trinkenden und leise tschilpenden Vögeln in unserer Pizzaform. Was kann es Schöneres geben?

Plötzlich jedoch wird die Idylle vom hämmernden Rattern eines Dieselmotors durchschnitten. Ein Wartungsfahrzeug des Nationalparks, beladen mit einem riesigen Wassertank, biegt um die Ecke. Zwei Herren steigen aus, machen sich grußlos an der solarbetriebenen Pumpstation unseres Waschhäuschens zu schaffen und würdigen uns dabei keines Blickes. Höflich grüßen wir, machen darauf aufmerksam, dass die Klospülung nicht funktioniert und fragen, ob wir etwas helfen könnten. Mit einer unwirschen Geste wird uns kundgetan: „Hey, ihr Touris, nervt uns nicht, haltet euch da raus, wir tun unsere Arbeit und möchten nicht behelligt werden.“ Sorry, wir wollten doch nur... Offenbar aber sind weder unsere Kommentare noch unsere Mithilfe erwünscht. Okay!?! So bleibt uns folglich nicht anderes, als die halbherzigen Bemühungen der beiden Parkangestellten aus dem Off zu beobachten. Die Zwei brabbeln, schrauben, betanken, testen, zucken die Schulter und ziehen schließlich ebenso grußlos wieder ab. Tschüß und danke! Als die beiden unfreundlichen Parkangestellten hinter den Felsen verschwunden sind, überprüfen wir sofort das Ergebnis ihres Tuns - wir alle müssen dringend strullern. Hui, die stinkende Kackwurst, die bei unserer Ankunft noch in der Schüssel dümpelte, ist tatsächlich weg! Das stimmt zuversichtlich. Wassersparend pinkeln wir alle, einer nach dem anderen, in die Schüssel mit der vermeintlich reparierten Spülung – erst der letzte spült. Besser gesagt: versucht zu spülen. Doch der Spülkasten ist leer und es läuft nach wie vor kein Wasser. Toll! Wir verstehen ohnehin nicht, warum man ausgerechnet an einem trockenen Ort wie diesem vier Toiletten mit Wasserspülung installiert hat, haben wir doch die fantastischen Öko-Plums-Klos im Namaqua NP kennengelernt, aber wenn schon WC, dann sollte es auch funktionieren. Was also tun, wenn einer von uns „groß“ muss? Wohin? Der Boden ist nicht wirklich grabefreundlich, überall lauern Hobbyfotografen auf den Felsen, nirgendwo ist man unbeobachtet. Na ja, es wird sich eine Lösung finden, wenn es so weit ist.

Bis hierher und nicht weiter
Tal von Aussenkehr
Blick nach Namibia











Noch aber drückt uns nichts Derartiges; lediglich die Lust, die Umgebung weiter zu erkunden rührt sich in uns. Der geben wir schließlich gegen sechzehn Uhr vorfreudig nach, füllen vorher natürlich noch die Pizzaform mit frischem Wasser und schieben unsere Kisten ins Küchenhäuschen. Dann kann es losgehen. Unser Weg führt uns zunächst Richtung Springbokvlakte, an der nächsten Wegkreuzung (die auch die einzige ist), biegen wir gen Osten ab und fahren so lange, bis wir auf eine gesperrte Straße stoßen. Diesen Ort kennen wir bereits von unserer letzten Tour - und genau hier wollten wir hin. Man erreicht, umrahmt von Bergen, einen fantastischen Aussichtspunkt und hat eine weite, wundervolle Sicht - hinüber nach Namibia. Auf südafrikanischer Seite, da, wo wir uns befinden, umgibt einen trockene, felsige, ungezähmte Natur. Das Auge schweift hinab zum Oranje, dessen blaues Band die Grenze zwischen den beiden Ländern bildet und dann fängt sich der Blick in den flachen, satt grünen Ebenen des Weinanbaugebiets um Aussenkehr. Es ist ein sehr reizvolles Panorama, ein sehr kontrastreiches - genau so hatten wir es in Erinnerung. Damals allerdings war es recht bedeckt und allein der Kontrast zwischen den kantigen, rötlichen Felsen des Richtersvelds und den samtig grünen Kulturebenen wirkte auf unsere Sinne. Heute hingegen neigt sich ein klarer, sonniger Tag seinem Ende zu und das immer intensiver werdende Licht bringt die Bergketten auf unserer Seite zum Glühen. Minütlich ändern sich die Farben, die unglaublich viele Schattierungen zum Besten geben. Rostrot, Sienabraun, Ocker, Rotviolett, Dunkelblau, Blaugrau, Tiefschwarz - und alle nur vorstellbaren Farbabstufungen, die in unzähligen Facetten dazwischen liegen. Und minütlich werden die Bergkämme plastischer, man hat das Gefühl, sie anfassen zu müssen. Es sind zwei wahrhaft magische Stunden, die wir hier verbringen. Je weiter die Sonne jedoch sinkt, desto mehr tauchen die Hügelflanken hinter uns im Schatten ab - der Startschuss für Heinz und mich, die dortige Vegetation in angenehmer Kühle zu erkunden. Wie erwartet, gedeiht auch auf diesen Hügeln wieder einiges; Pflanzen, die wir bereits kennen, aber auch einige Gewächse, die wir noch nie gesehen haben. Heinz ist eifrig am Klettern, Knipsen und Erforschen, ich hingegen kann kaum meinen Blick von den Bergen wenden. Diese Landschaft, diese Szenerie - es ist wie im Märchen, wie in einem überzeichneten Alpenglühen-Kitschfilm, wie in einem Fantasy-Kinoepos. Ich bin richtig ergriffen - mit Gänsehaut, wohligem Schaudern und einem leichten Schwindelgefühl - das volle Programm. Und ich, die ungläubige Ex-Christin, die an alles mögliche glaubt, nicht jedoch an ein Leben nach dem Tod, verspüre plötzlich ein Gefühl in mir, das sich selten richtig anfühlt: hier könnte ich die ewige Ruhe finden - als Ascheregen, der den Pflanzen als Nahrung dient. Vielleicht ist es mir ja dann, wie den Halbmensch-Pachypodien aus der Nama-Legende, auch vergönnt, weiter auf diese Landschaft zu blicken. Der Gedanke ist wunderschön...














Aber sterben will ich trotz allem nicht, nicht jetzt, nicht heute - zumindest nicht, bevor wir diese Tour bis zum letzten Kilometer gefahren sind und alles in vollen Zügen genossen haben. Dann können wir nochmal drüber reden... Nein, nicht wirklich, denn die Welt ist so groß und es gibt noch so viel zu sehen! Annette und Jochen aber haben erst mal genug vom Sehen, wie ich von meiner erhöhten Position aus erkennen kann: sie liegen faul neben dem Auto, genießen ihren Sundowner und richten sich erst wieder in die Senkrechte, als auch Heinz und ich freudig strahlend erneut von den Hügeln herabgestiegen sind. Verschlafenen Blickes bekommen wir von Annette je ein Bier in die Hand gedrückt. „Schön hier, gell!“, murmelt sie verzaubert-entrückt. Jochen rekelt sich wohlig, wir nicken ergriffen und zusammen schlucken wir andächtig das kühle Bier, während die letzten Sonnenstrahlen ihre Finger zärtlich über die zunehmend schattigen Berge gleiten lassen.

Tylecodon wallichii

Crassula sericea var. sericea











Bevor es nun richtig dunkel wird, lösen wir uns schweren Herzens von diesem zauberhaften Ort und düsen zurück zum Camp. Unsere Scheinwerfer tasten sich schon eine ganze Weile suchend durchs Gelände, als wir müde und erlebnissatt bei unseren Zelten ankommen. Ein Moment, der mit nichts anderem zu vergleichen ist. Dennoch gäbe es noch eine Steigerung: ein Restaurant, in dem man einfach ordert und nach Wunsch bedient wird, während man selbst passiv in den Seilen hängt und den Tag ungestört revue passieren lassen kann, nicht selbst kochen muss. Das jedoch bleibt uns nicht erspart. Aber wir machen es kurz und schmeissen Folienkartoffeln ins Feuer, hauen Steaks auf den Grill und bereiten rasch einen Tomatensalat zu. Nach dem Essen wandert das gebrauchte Geschirr in den Laderaum - morgen ist auch noch ein Tag - und wir genießen den strahlend-funkelnden Sternenhimmel, bevor wir todmüde in unsere Federn sinken und der Stille dieses entlegenen Fleckchens Erde lauschen, bevor uns der Schlaf endgültig übermannt. Unsere Nachbarn sind wohl auch schon im Reich der Träume angekommen, denn wir hören nichts, absolut nichts...


Weitere Impressionen des Tages:

Euphorbia hamata
Eberlanzia schneideriana
Brownanthus pseudoschlichtianus











Euphorbia dregeana
Euphorbia decussata ()
Kleinia longiflora












Nymania capensis
Boscia foetida











Domorogh Pass
Tylecodon sp.
Tylecodon paniculatus











Ozoroa dispar
Ozoroa dispar
Aloe ramosissima



























Euphorbia gariepensis












Crassula sericea
Sundowner

























Ozoroa dispar
T. paniculatus
Halfmens
Ganzer Mensch
















Ozoroa dispar
Cheiridopsis sp.
B. pseudoschlichtianus
T. paniculatus
















Ozoroa dispar
Kissenia capensis
P. daemia
Kleinia longiflora
















Schwantesia sp.
Acanthopsis disperma
Crassula sericea
Phyllobolus
melanospermus

21. März 2013, Erkundungstag im Richtersveld

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Stockfinster ist es noch, als plötzlich ein leises, rhythmisch knirschendes Geräusch in unsere Gehörgänge dringt. Krchrrt, krchrrt – sonst nichts. Das Krchrrt wird immer lauter, scheint ein Echo zu entwickeln, das Echo verschwindet wieder, das Einzelgeräusch wird ebenfalls leiser, dann schwillt es wieder an, bekommt erneut ein Echo und verebbt abermals. Schlaftrunken reiben wir uns die Augen. Was ist das? Ach ja, klar! Es ist die angekündigte Ruhestörung in Form von paarweise an unseren Zelten vorbeimarschierenden Hobbyfotografen. Beruhigt kuschle ich mich wohlig in meinen Schlafsack und dämmere nochmal in meine Traumwelt der Nacht zurück. Doch nicht lange. Denn Annette und Jochen bekommen kein Auge mehr zu und beginnen klappernd und klirrend, den Tag einzuläuten. Heinz und ich rekeln uns grunzend, wollen die gemütlichen Federn nur ungern verlassen, schälen uns aber schließlich doch aus den Betten und dem Zelt und recken uns genüsslich in der Kühle des Morgens.

Warten auf die Sonne
Unser Camp am Kokerboomkloof
Sonne küsst Berge











Wir sitzen bereits gemeinsam beim „Vorab-Kaffee“ in unseren Stühlen, doch immer noch defilieren Mitglieder der Fotografengruppe an uns vorbei. Sie alle grüßen höflich, fast entschuldigend, und versuchen, unsere Campsite so geräuschlos wie möglich zu passieren. Diese Leute sind so unglaublich rücksichtsvoll, dass es uns schon fast peinlich ist. Mensch, Jungs und Mädls, guten Morgen, viel Erfolg bei eurer Fotosafari – und entspannt euch!



Bokmakierie wartet aufs Bad











Langsam überwindet die steigende Morgensonne alle ihr im Weg stehenden Hindernisse und intensiv glühende Strahlen gleiten über die Bergkuppen oberhalb unserer Campsite. Und mit jedem zusätzlichen Zentimeter, den die Sonnenfinger dabei abtasten, wird es wärmer, heisser und noch heisser. Kurz vor sieben Uhr, wir nehmen gerade unser Frühstück ein, besuchen uns bereits wieder die ersten Vögel, die sich auch sogleich durstig und badelustig auf die frisch gefüllte Pizzaform stürzen. Gemeinsam mit dem Federvieh, quasi stereo, laben wir uns und erledigen unsere Morgentoilette. Mit dem nicht ganz unerheblichen Unterschied der Wasserbereitstellung. Wir melken unseren mitgeführten Vorratstank, um eine Katzenwäsche nebst der morgendlichen Zahnpflege durchführen zu können, die Vögel hingegen schwelgen fröhlich planschend im Vollbad. Doch wir gönnen es ihnen aus vollen Herzen; nicht nur, weil es ein absolutes Vergnügen ist, die Vögelchen so nahe, so zutraulich bei uns zu sehen, sondern auch, weil jegliche Hygienemaßnahme unsererseits, angesichts der sich entwickelnden Tagestemperaturen, ohnehin vergebliche Liebesmüh ist. Den Vögeln tun wir trotzdem noch etwas Gutes und füllen ein letztes Mal die Pizzaform mit frischem Wasser randvoll auf, dann machen wir uns erneut auf Erkundungstour ins Richtersveld.

Kleine stellen sich hinten an!
Erst sind die Größeren dran!
Trocknen nach dem Bade











Heute jedoch liegt unser Fokus nicht ausschließlich auf den Pflanzen – der Tag ist hauptsächlich den Interessen Annettes und Jochens gewidmet und die würden gerne eine weitere Campsite am Oranje in Augenschein nehmen – Richtersberg. Es gäbe einen relativ kurzen Weg dorthin, den allerdings umfahren wir großräumig, denn wenn schon, denn schon: wir wollen möglichst viel dieses wundervollen Nationalparks auf der heutigen Erkundungstour kennenlernen. Und es fängt gut an. Bereits beim Verlassen des Kokerboomkloofs, kurz bevor wir in die Springbokvlakte einbiegen, steht ein Klippspringer vor uns in den Felsen. Unruhig zappelt er mit seinen „Langneseohren“, riesigen stranitzenförmigen Horchtüten, die mit ihrem flauschig bepelzten Inneren an ein leckeres Vanilleeis mit Karamellstreifen erinnern. Bald hat diese pseudo-kulinarische Fata Morgana allerdings das Weite gesucht – vielleicht ist das Böckchen ja geschmolzen… Doch kurz darauf erblicken wir bereits Nachschub: eine kleine Herde schokoladenfarbener Kudus, die nahezu atemlos im Schatten eines eierförmigen Felsens verharren. Auch unsere Anwesenheit löst sie nicht aus ihrer deutlich sichtbaren Starre. Grund hierfür muss wohl diese irrsinnige Hitze sein, die auch an uns nicht spurlos vorüber geht. Es ist, wie bereits erwähnt, immer noch recht früh am Morgen, dennoch wabert etwas über uns, um uns herum, was bereits um diese Tageszeit unsere körpereigenen Klimaanlagen zu Höchstleistungen herausfordert. Das kann ja heiter werden…

Klippspringer
Kudufamilie
Hinaus in die Sprinbokvlakte











Wird es auch, denn wir durchfahren, auf unserer langen Route nach Richtersberg, einige mikroklimatische Zonen des Nationalparks, die man in dieser Deutlichkeit nur erspüren kann, wenn man mit einem Fahrzeug ohne Klimaanlage unterwegs ist – oder aber zu Fuß geht. Bei Letzterem vermisst man dann auch noch den leisen Fahrtwind, der immerhin für leichte Kühlung sorgt. Ganz leichte Kühlung – zumindest hat man ein andeutungsweise erfrischendes Gefühl auf der Haut – mehr aber auch nicht. Erschwerend auf unserer heutigen Route kommt noch hinzu, dass wir uns fast ausschließlich in Flusstälern bewegen, in denen sich die Hitze besonders intensiv staut.

Unser erster Streckenabschnitt folgt beispielsweise einem Seitenarm des Gannakouriep – dort hatten wir gestern eine kurze Pause eingelegt – dann geht es durch die Berge, quer über den Hauptlauf des Gannakouriep, Richtung Nordwesten, wo wir schließlich in das Tal des Abiekwa einbiegen. Es ist ein sehr breites, tiefsandiges Bett, das botanisch so gut wie nichts zu bieten hat. Kein Wunder also, dass ich mich, bei einem schnellen Erkundungsstopp, schon freue, überhaupt eine Pflanze zu entdecken: es ist ein Amaranthgewächs, das den wenig poetischen Namen „Grauer Wüstenbusch“ trägt. Reine Poesie hingegen sind die unscheinbaren Blüten des Busches, die ihre Schönheit aber nur offenbaren, wenn man ganz genau hinsieht. Magentafarbene Kunstwerke mit weißflaumigen Püschelchen, die in der Sonne glänzen. Auf diese Weise gewinne ich sogar dem drögen, staubigen Flusstal noch einen gewissen Reiz ab. Heinz hingegen ist sichtlich gelangweilt – und unsere beiden Freunde wollen nur so schnell wie möglich runter zum Fluss. Also gut. Dabei wären wir einem weiteren Pass so nahe – dem Maerpoort. Dort sind wir auf unserer letzten Tour auf wahre Euphorbien-Wälder gestossen; Gariepinas, Hamatas, Gummiferas und die kaktusähnlichen Virosas, die Heinz so gerne wieder besuchen würde. Der Schlenker über den Maerpoort würde uns jedoch direkt nach De Hoop führen, das zwar nur gute 12 Kilometer nördlich von Richtersberg liegt, leider aber ist die Verbindungsstraße nach Richtersberg, direkt entlang des Oranje, seit dem letzten Hochwasser unpassierbar. Somit fällt diese Streckenvariante also leider flach, denn sie würde einen ziemlichen Umweg bedeuten. Und natürlich wollen wir Annette und Jochen mit unseren botanischen Spinnereien nicht von ihrem Vorhaben abhalten, die Richtersberg Campsite in Augenschein zu nehmen. So fügen wir uns also notgedrungen aber willig unserem Flusstal-Schicksal.

Calicorema capitata
Pterocles bicinctus
Camp Richtersberg











Gen Mittag endlich erreichen wir Camp Richtersberg. Unsere Freunde sind sofort angetan von der schönen Lage direkt am Oranje, Heinz und ich hingegen finden es hier vergleichsweise langweilig. Gut, ja, der Oranje gluckert heimelig und hebt sich wie ein blauer Streifen von den sattgrünen Ufern und der dahinterliegenden, trockenen Landschaft ab, große Bäume spenden wohltuenden Schatten, es gibt jede Menge Vögel, die jedoch äußerst scheu sind – ansonsten jedoch tut sich hier wenig. Heinz macht in seiner Verzweiflung Jagd auf einen großen Starentrupp, den man zwar gut hören, aber nicht sehen kann. Nähert man sich dem lauten Gezwitscher und erhofft sich einen Blick auf den Vogelschwarm, so wird man schnell enttäuscht, denn die Lautquelle zieht einfach ein paar Meter weiter – ohne sich zu zeigen. Frustrierend. Wir versuchen die Vögel von zwei Seiten einzukreisen, was aber leider ebenfalls nicht von Erfolg gekrönt ist.

Nama-Lager...
...mit Flussblick
Viscum capense











Immerhin stossen wir bei dieser Wanderung, die uns flussaufwärts führt, auf das Lager eines Nama-Hirten und inspizieren es respektvoll aus der Ferne. Schade, es ist niemand zuhause. Gerne nämlich würde ich mal sehen, wie man hier lebt, überlebt. Ohne die dazugehörigen Bewohner aber müssen wir auf Abstand bleiben und können die für uns unvorstellbaren Lebensbedingungen nur aus gebührlicher Entfernung in Augenschein nehmen. Ein igluförmiges Hüttchen, dessen Grundgerüst aus gebogenen Ästen besteht, gedeckt mit Blechstücken, Ziegenfellen und Kartons, ein paar aufgeschnittene Kanister zum Wasserschöpfen, einige wenige Werkzeuge – das ist alles. Wir versuchen uns in die Lebenslage der hier wohnenden Menschen zu versetzen. Eine Aufgabe, die nur ansatzweise gelingt. Nichtsdestotrotz erscheint dieser Wohnort vergleichsweise angenehm, denn wir haben im Richtersveld auch schon andere gesehen – und die lagen fernab vom Wasser, weit weg von jeglichem Schatten, in der glühenden Hitze der öden, trockenen Flusstäler. Ein Leben, das man sich, so oder so – als im Wohlstand geborener Europäer – nicht wirklich vorstellen kann. Da aber niemand zuhause ist, bleibt es bei dieser unerklärten Vorstellung und Heinz und ich kehren zum Touristencamp zurück.

Nama-Lager
Oenanthe monticola
Heinz muss schwitzen











Dort sitzen unsere Freunde auf dem Betonsockel des Sanitärgebäudes und beobachten wie gebannt diverse Vögel, die sich am überlaufenden Wasser des dortigen Wasserturms gütlich tun. Schmätzer, juvenile und erwachsene Sunbirds baden, trinken und vergnügen sich in den kleinen Kaskaden, die den maroden, lecken Turm herabplätschern. Ein schöner Anblick! Doch leider steht die Sonne gerade so hoch am Himmel, dass wir das metallisch glänzende Federkleid nur erahnen können. Wir schwitzen stattdessen klebrig vor uns hin und sehnen uns nach der trockenen Hitze der Pässe – Heinz und ich. Annette und Jochen hingegen haben echt Sitzfleisch und „quälen“ uns ganze zwei Stunden, bis auch sie bereit sind, den Rückweg anzutreten. Dann endlich fahren wir los. Das ganze Abiekwa-Tal wellblechen wir wieder zurück, vorbei am Gannakouriep, hinauf in das nächste Flusstal. Dort, wie aus dem Nichts, kommt uns plötzlich ein anderes Auto entgegen. Und selbstverständlich hält man in einer derartigen Situation an, spricht miteinander. Es ist ein deutsches Ehepaar, das schon lange in Südafrika wohnt und mal wieder einen Ausflug ins Richtersveld gemacht hat. Wir smalltalken eine Weile mit den beiden, tauschen News und Allgemeinplätze aus, erzählen und bekommen erzählt. Dann verabschieden wir uns wieder und fahren unserer Wege. Eine kurze Begegnung, die nett war. Nicht mehr und nicht weniger. Zwei Informationen jedoch nehmen wir mit: im Gegensatz zu unserem leicht lädierten Analogthermometer hatte das Ehepaar ein funktionierendes Digitales an Bord und bestätigte unsere Temperaturempfindung: knapp über fünfzig Grad Celsius! „Apropos heiß,“, fragen die beiden, „seid ihr auch schon dem bescheuerten Typen aus Alaska begegnet? Der ist nur hier, um seinen Temperaturrekord zu brechen: minus fünfzig versus fünfzig plus. Den hat er heute wohl geschafft.“ Nein, der Typ hat sich uns noch nicht vorgestellt, Gott sei Dank. Wie bekloppt ist das denn! Noch ahnen wir jedoch nicht, dass auch wir diesem Mann noch heute begegnen werden – und zwar unter äusserst unliebsamen Umständen…

Flusstal...
... um Flusstal...
... um Flusstal...











Jetzt aber verabschieden wir uns erst mal von dem Ehepaar, das nach Richtersberg will und düsen weiter zurück, Richtung Kokerboomkloof. An der Abzweigung zum Maerpoort Pass bekommen Heinz und ich doch noch unsere Virosa-Euphorbien: wir machen einen kurzen Schlenker nach Norden und stoppen, sobald wir der ersten Exemplare ansichtig werden. Sofort stürzen Schneck und ich aus dem Auto und klettern rauf in die glühend heißen, steilen Felsen, in denen die markanten Wolfsmilchgewächse ihre stacheligen Arme gen Himmel recken. Heinz ist im Glück und trotzt strahlend den herrschenden Temperaturen, ich hingegen trete bald den Rückzug an und unsere Freunde wagen sich gar nicht erst aus dem schmalen Schatten der Felsen heraus. Ich weiß nicht, wie Heinz das macht, aber seine Begeisterung lässt ihn diesen Höllenofen klaglos aushalten, während wir anderen selbst im Schatten ein gewisses Schwummergefühl empfinden. Dann aber kommt auch Heinz wieder von seinen Felsen herab und wir alle klettern dankbar ins Auto, um uns vom milden Fahrtwind ein wenig kühlen zu lassen. So fahren wir weiter, weiter Richtung Kokerboomkloof, wo wir gen Nachmittag um die „Zehe“ kurven und bald darauf Sicht auf unser Lager haben.

Euphorbia virosa
Euphorbia virosa
Euphorbia virosa











Steht da ein Auto auf unserer Campsite? Aus dieser Entfernung lässt sich die ungute Vermutung noch nicht sicher bestätigen, zehn Minuten später jedoch wird die Ahnung zur Tatsache. Weitere zehn Minuten später werden mit einer Situation konfrontiert, die noch heute meinen Kragen fast zum Platzen bringt: Da sitzen drei Schwarze auf Campingstühlen im Schatten unseres Hausfelsens und grienen uns dümmlich an, während ein weißer Wichtigmacher geschäftig herumräumt und uns kampfeslustig entgegenblickt. Den Vogel aber schießt ab, was die vier Herren in unserer Abwesenheit getan haben: sie bauten einfach unser Gazebo ab, räumten unser Hab und Gut aus dem Waschhäuschen, schoben Jochens und Annettes Zelt beiseite und häuften all die Sachen im Sand neben der Campsite auf. Wir sind sprachlos! Doch selbst, wenn wir Worte hätten, wir würden sie nicht anbringen können. Sobald unser Wagen steht und wir aussteigen, überfällt uns nämlich der Weiße mit einer höchst aggressiven Verbalattacke, die sich gewaschen hat. Ah, da wären wir ja, wir Scheiß-Campsitebesetzer. Und wir sollten nicht so blöd schauen, er hätte nur unser Zeug beiseite geräumt, was ja wohl sein gutes Recht wäre. Schließlich habe er für das Camp bezahlt – im Gegensatz zu uns. Solch Asoziale wie uns kenne er schon von seinen zahlreichen anderen Reisen und mit solchen Leuten müsse man kurzen Prozess machen! Während der hagere Super-Recke uns wüst beschimpft, sitzen seine drei schwarzen Begleiter weiterhin unbeteiligt im Schatten und fressen Steaks in sich rein.

Die Toon
So sah es heute Morgen aus
Das Lager der Fototruppe











Wir sind regelrecht geplättet, finden dann aber trotzdem rasch unsere Sprache wieder. Hallo, einen Moment mal und bitte ein bisschen höflicher, ja! Wir weisen den grauhaarigen, ungepflegt wirkenden Pferdeschwanzträger, der sich derart unsympathisch präsentiert, betont ruhig darauf hin, dass auch wir eine gültige Buchung hätten. Und wenn er schon ein so erfahrener Reisender sei, müsse er auch wissen, dass es nicht der Etikette entspräche, sich an fremden Sachen zu vergreifen; schon gar nicht vor einem klärenden Gespräch mit den Eigentümern. Besserwisserisch winkt der großkotzige Typ ab und fordert uns mit herablassend-herrischen Gesten dazu auf, unsere Berechtigung vorzuweisen. Annette kramt ohnehin gerade danach, das aber geht dem Typen offensichtlich zu langsam. „Da sieht man es wieder! Nicht mal zu Ordnung in den Papieren seid ihr fähig. Aber lasst mal stecken, es ändert ohnehin nichts an der Sachlage. Das ist meine Campsite und damit basta!“ Wir fordern ihn natürlich im Gegenzug auf, seine Bestätigung vorzuzeigen. Das aber hat er nicht nötig, denn, wie erwähnt, sei die Sachlage für ihn klar, und wir hätten jetzt gefälligst unseren Schrott zu packen und Leine zu ziehen. Er sei nicht den weiten Weg aus Alaska hierher gekommen, um sich von dummen Touristen unqualifiziert anreden zu lassen.

Ach, das ist also der Typ, von dem uns das Ehepaar vorhin berichtet hatte! Dem haben wohl die hundert Grad Temperaturunterschied das Hirn verbrannt! Doch selbst das ist keine Entschuldigung für sein absolut inakzeptables Verhalten. Uns schwillt der Kamm. Dennoch versuchen wir nach wie vor, eine für beide Seiten verträgliche Lösung zu finden. Jochen bietet ihm an, sein Lager weiter hinten bei den Felsen aufzuschlagen, aber der widerliche Alaskaner fällt ihm sofort ins Wort: er habe seinen Standpunkt bereits klar gemacht, und damit Punkt. Ich mische mich ein. Da schaut mich der Wurm kalt und mit hochgezogenen Augenbrauen an und meint: „Hey, Frau, jetzt spreche ich. Ich sag dir schon, wenn du dran bist!“ In mir wallen unbeschreibliche Aggressionen hoch. So behandelt mich niemand und schon gar nicht ein dahergelaufener, verlauster Alaska-Ziesel, der glaubt, das Rad und das Reisen erfunden zu haben! Ich koche, ich würde ihn am liebsten mit geballter Faust in seine blöde Fresse schlagen, beherrsche mich aber dennoch und mache meiner unsäglichen Wut auf sarkastisch-verbalem Weg Luft: „Entschuldigung, hoher Herr, dass ich unwürdiges Weib gesprochen habe! Ein unverzeihlicher Fehler! Ich werde fortan natürlich schweigen, bis ihr mir das Wort erteilt!“ Der Alaskaner scheint nicht im Geringsten irritiert, seine schwarzen Begleiter hingegen zeigen zum ersten Mal eine Reaktion: sie feixen hinter dem Rücken ihres arroganten Reisekompagnons. Meine Fassungslosigkeit wächst ins beinahe Unermessliche, erst recht, als der unsägliche Typ tatsächlich zunächst Jochen generös das Wort erteilt, dessen Argumente aber mit einer verächtlichen Handbewegung beiseite wischt und danach den Mann Heinz fragend ansieht. Als der nur den Kopf schüttelt, tut Mr. Alaska-Ziesel kund, dass ich, die Frau, jetzt sprechen dürfe. Annette, das zweite Weib, das keine Ordnung in den Unterlagen hat, ist offenbar schon lange aus dem Rennen.

Aber immerhin darf nun ich – danke auch! „Du erzählst uns hier was von vier Campsites und dass wir jetzt zu gehen haben, nur, weil du da bist. Schon mal was gehört von „wer zuerst da ist, mahlt zuerst“? Schau mal auf meine Finger und rechne mit, sofern du überhaupt zählen kannst: vier Campsites, drei besetzt von einer Gruppe, die vierte von uns. Dann kommst du (ich recke meinen kleinen Finger nach oben) als Fünfter. Schafft das dein Kopf? Du bist dieser kleine Finger, du bist als Letzer gekommen und hast hier gar nix zu melden. Und deshalb verpisst du dich jetzt! Kapiert? Wir könnten diese Campsite auch friedlich alle zusammen nutzen, aber so, wie du dich benimmst, bin ich nicht dazu bereit. Ich möchte nämlich nicht einen der schönsten Orte dieser Welt mit einem rücksichtslosen Typen wie dir teilen. Du schämst dich wirklich für gar nichts – nicht mal deinen Begleitern ersparst du dein peinliches Benehmen. Und jetzt geh endlich!“ Er kuckt mich an, wiehert los und meint: „Ah, ein Blondie, das sprechen kann! Bravo! Hat noch jemand was zu sagen? Nein?! Dann packt jetzt!“ Jochen ergreift erneut das Wort, aber ich habe mein Pulver nun verschossen – mein verbales. Ein Gefühl der Ohnmacht ergreift mich, gepaart mit einer Aggression, wie ich sie noch nie im Leben gefühlt habe. Ich würde diesem arroganten Vollidioten jetzt am liebsten die Fresse polieren, würde ihm so gerne einen Knüppel in die Visage dreschen oder ihn an den Haaren aus dem Camp schleifen. Diese heftigen Gefühlsregungen verunsichern mich derart, dass ich nur noch eine einzige Möglichkeit sehe, einem tätlichen Ausflippen meinerseits entgegenzuwirken: ich muss hier weg! Schwer atmend und zornesbebend verziehe ich mich hinter unser Auto. Hier muss ich dem Elend wenigstens nicht mehr zusehen, hier kann ich auch die weitere Diskussion nicht mehr hören, hier kann ich mich meinen durchaus verlockenden Gewaltphantasien stellen, die auszuleben ich mich kaum noch zurückhalten kann.

Tja, da stehe ich nun hinter einer Blechkarosse und hadere mit meiner Wut, obwohl ich doch eigentlich nur hier sein möchte, friedlich und genussvoll. Der Alaskaner in seiner unsäglich verächtlichen und herablassenden Art aber hat etwas in mir wachgerufen, was ich bis dato noch nicht kannte: das Verlangen nach körperlicher Gewalt! Ich kenne mich als defensiven, harmoniebedürftigen Menschen, der im schlimmsten Falle mit einer Tür knallt oder sich, mit der weitaus besseren Waffe  der Worte, verbal Luft macht. Aber so? Meine Verwunderung über mich selbst, das Verhalten des arschlochigen Alaskaners und meine betrogenen Hoffnungen hinsichtlich der entlegenen Traumcampsite lassen nur eine einzige, kompensierende Reaktion zu: ich heule los, um Druck abzubauen: und tatsächlich – mit jeder einzelnen Träne verflüchtigt sich ein Faustschlag, den ich vor ein paar Minuten noch allzu gerne angebracht hätte. So also stehe ich heulend im Schatten des Autos und weine mir die Wut aus Kopf und Faust, als sich mir plötzlich knirschende Schritte von der unteren Campsite nähern. Da kommt jemand! Ich versuche, meine Fassung wiederzuerlangen, doch die Dame, die uns gestern so freundlich über die bevorstehende Ruhestörung aufgeklärt hatte, ist nicht zu täuschen. „Alles okay? Mensch, warum weinst du?“ Und da bricht alles aus mir raus. Ich kotze der armen Frau alles vor die Füße, was mich gerade so sehr beschäftigt. Und erhalte eine Antwort, die mich für alles entschädigt. Der Alaskaner war, bevor wir zurückkamen, schon bei der Fototruppe und hatte denen die Hölle heiß gemacht. Dann aber hatte ihn, angesichts der zahlentechnischen Übermacht der Reisegruppe der Mut verlassen. Und nun ging er auf uns los. Die Dame entschuldigt sich wortreich, dass ihre Gruppe diesen Menschen ungebremst auf uns gelenkt hätte. Und sie versteht genau, was mich so in Rage bringt. Sie bittet mich um eine klärende Minute, läuft wieder runter zu ihrer Truppe. Bald darauf kommt der „Silberrücken“ der Reisegruppe anmarschiert und knöpft sich unseren herzigen Alaskaner vor. Ich weiß nicht, was er ihm sagt, ich weiß nicht, womit er ihm droht, ich weiß nicht, wie er er schafft, aber zehn Minuten später räumt der arrogante Spacken das Feld. Wortlos und wutentbrannt rafft er seinen Schlafköcher zusammen und zieht von dannen.

Vorher aber blafft er noch seine Begleiter an und die dürfen nun den Rest alleine zusammenpacken, bevor sie ihrem Bwana folgen – wohin auch immer. Wir räumen unsere Habseligkeiten inzwischen wieder da hin, wo sie vor der Attacke aus Nordamerika auch schon standen. Dann machen wir uns Wasser heiß und genießen unseren Nachmittagstee im Schatten unseres wiedererrichteten Gazebos. Die drei Schwarzen, die noch nicht ein Wort von sich gegeben haben, packen hingegen noch immer. Als einer der Drei sich besonders ungeschickt bemüht, einen Campingstuhl in seine Transporthülle zu stopfen, kann ich einfach nicht länger untätig zusehen und biete ihm meine Hilfe an. Der Mann sieht mich mit großen Augen ungläubig an. „Du willst mir helfen? Echt? Und das, nach allem, was passiert ist? Vielen, vielen Dank!“ Gemeinsam bugsieren wir den sperrigen Stuhl in den Stoffbeutel und ich meine lächelnd: „Naja, ihr könnt ja nichts für das Benehmen eures Kunden. Der ist halt ein Arschloch, und wird für ewig eines bleiben. Ich frage mich nur, wie ihr das ertragt. Zahlt er wenigstens gut?“ Der Mann schüttelt den Kopf, lacht freudlos und erzählt mir dann eine schier unglaubliche Geschichte. Der nordamerikanische Volldepp ist kein Tourist, kein Kunde. Er ist Physikprofessor und im Rahmen eines Austauschprogrammes zu Gast an der Kapstädter Uni, genau da, wo auch die drei schwarzen Herren tätig sind. Nein, nicht als Hausmeister, Lakaien, Servanten oder gar bezahlte Guides. Nein, die drei schwarzen Herren sind ebenfalls Physikprofessoren und wurden dazu auserwählt, dem Austauschfuzzi an ein paar freien Tagen etwas vom Land zu zeigen! Gastfreundschaft ist ein hohes Gut in Südafrika, der Gast ist König und wird auch als solcher behandelt – und sei er noch so ungehobelt. Ich lausche ungläubig, bin fassungslos. „Hey, der Typ behandelt euch wie Knechte, euch, die ihr beruflich auf einer Stufe steht, und ihr lasst euch das gefallen?!“ Hilflos wedelt mein Gegenüber mit den Armen und versucht zu erklären. „Wir haben ihm gesagt, dass er eure Sachen nicht wegräumen darf. Aber er, er, immer nur er. Das ist alles, was für ihn zählt. Deshalb haben wir ihn machen lassen. Aber glaub mir – es tut uns unendlich leid. Doch gegen den kommst du nicht an. Er hat immer recht, weiß immer alles besser und setzt das auch durch. Was sollen wir dagegen tun?“ „Weist ihn in seine Schranken! Der hat euch gar nix zu sagen, Gast hin oder her!“ „Nein, ja, du hast ja recht. Wir schämen uns auch für diesen Kollegen, aber er ist Gast und wir müssen uns dem fügen. Wir sind ja nur für vier Tage unterwegs und er wollte unbedingt einen Temperaturrekord brechen. Den hat er jetzt geknackt und morgen geht es zurück nach Kapstadt. Dann sind wir wieder an der Uni und sind ihn los.“ „Das kann doch nicht nur mit Gastfreundschaft zu tun haben“, bohre ich nach, „da gibt es andere Gründe, sei ehrlich!? Hat der Alaskaner was zu sagen oder ist da immer noch die Hautfarbe im Spiel?“ Der schwarze Professor windet sich, ringt nach Worten, verknotet seine Finger. Plötzlich entdeckt er eine Eidechse im Felsen hinter uns, deutet sichtlich erleichtert auf das ablenkende Reptil und fragt mich, ob ich wisse was das sei. Na ja, ’ne Eidechse halt. „Yes, good, Madam, Akkedis, Akkedis! Akkedis is afrikaans word for lizard!“ Manchmal höre ich ja das Gras wachsen, aber diese Antwort ist – in meinen Ohren – mehr als deutlich! Es wird von einer Frage, die sichtliches Unbehagen bereitet, händeringend abgelenkt und gleichzeitig in schwer akzentbehaftetes Rudimentär-Englisch verfallen. Und das von einem Menschen, der noch Sekunden vorher glasklares Kap-Angelsächsisch gesprochen hatte. Ich denke mir meinen Teil, unterlasse aber fortan jegliche Fragereien meinerseits.

In fast trauter Zweisamkeit packen wir den Rest der Sachen und verabschieden uns dann herzlich. Ich wünsche den Dreien viel Glück für die Rückfahrt und eine baldige Entledigung von dem alaskanischen Übel, was mit einem seufzend-bitteren Lächeln quittiert wird. Ups, jetzt fällt mir doch noch eine Frage ein: „Wo übernachtet ihr denn heute eigentlich?“ „Da unten.“, bekomme ich zur Antwort, „Die Fotogruppe hat umgeparkt und eine Site freigemacht!“ „Mann, das ist aber nett von denen!“ „Ne, ne, das passt schon und ist gut so. Macht euch bloß keine Gedanken!“, verabschiedet sich der Professor von uns und klettert in den voll bepackten Wagen, in dem seine zwei Kollegen schon darauf warten, zu ihrem sicher recht wohlgelaunten Gast aufschließen zu dürfen. „Wir gehen besser gleich ins Bett… Euch eine gute Nacht und ein dickes Sorry nochmal!“ Mit diesen Worten verschwinden die Drei in der mittlerweile einsetzenden Dämmerung. Puh, das Kapitel „Alaska“ wäre hiermit, zufriedenstellend für uns, abgeschlossen, dennoch aber beschäftigen mich weiterhin einige Dinge. Vor allem: warum hat die Fototruppe so selbstlos Platz gemacht? Und wie können wir uns dafür gebührlich bedanken?

Jochen fällt in meine Gedanken, indem er den Verdacht äußert, jede Campsite sei für zwei Gruppen konzipiert. „Habt ihr die Feuerstelle da hinten gesehen?“ Ja, haben wir, aber die kann ja auch von einer größeren Gruppe oder einem romantikbesessen Liebespaar mit Absentierungstendenzen stammen. Wir hypothesen vor uns hin, konsultieren unsere Buchungsbestätigung, erhalten aber keine definitive Antwort – bis mir der Prospekt über die ariden Nationalparks des südlichen Afrika wieder einfällt, den ich im Tanqua mitgenommen hatte und der irgendwo in den Tiefen meiner Sitztasche seiner Bestimmung harrt. Und, ja, dort steht es geschrieben: Kokerboomkloof hat vier Campsites – für je zwei Parteien à sechs Personen! Somit sind wir also tatsächlich im Unrecht, hätten den Alaskaner und seine Kollegen tolerieren müssen. Na ja, unter normalen Umständen. Nicht aber bei dem Benehmen, das sicher jenseits jeglicher Toleranzgrenze lag. Jetzt jedoch wissen wir wenigstens, warum die Fototruppe derart bereitwillig ein Plätzchen für die vier Professoren geräumt hatte: die Herrschaften belegen Stellplätze für insgesamt 36 Personen, obwohl sie nur zu sechzehnt sind. Und im Gegensatz zu uns waren sie sich dessen von Anfang an in vollem Umfang bewusst! Irgendwie ist es also nur recht und billig, dass sie ein paar Autos umgestellt haben, um dem unfreundlichen Amerikaner nebst seiner Kollegen Platz für die Nacht zur Verfügung zu stellen. Nichtsdestotrotz sind wir froh und dankbar für die Kompromissbereitschaft unserer Nachbarn, die uns auf diese Weise einen ungestörten Abend verschafft haben. Und den genießen wir nun in vollen Zügen, versuchen, den unliebsamen Zwischenfall zu vergessen.

Einmal aber lodert mein Zorn doch noch auf: die Kühle der Nacht bringt mich zum Frösteln und ich stapfe zu unserem Zelt, um mir eine Jacke zu holen. Ich öffne das Überzelt und starre ungläubig auf unseren Eingang, dessen Reissverschluss sperrangelweit offen steht. „Schneck, hast du das Zelt heute Früh zugemacht?“, frage ich sicherheitshalber, als ich zu meinen Freunden zurückkehre. „Ja klar, ganz sicher, was denkst du denn?“ Fragende Blicke ruhen auf mir. Tja, da hat der angeblich so reiseerfahrene Dreckskerl doch tatsächlich unser Zelt geöffnet, das voll eingerichtete Gemach für zu schwer befunden, um es einfach so wegzuzerren und hat es deshalb in Ruhe gelassen. Aber da wir ja ohnehin nur asoziale Platzbesetzer sind und es wohl nicht anders verdient haben, blieb unser Innenzelt offen – im Gegensatz zum sorgfältig-unauffällig verschlossenen Überzelt. Eine absolute Todsünde! Der Scheißkerl hat eine Grundregel gebrochen, deren Nichteinhaltung uns, im schlimmsten Falle, das Leben hätte kosten können. Was, wenn sich eine Schlange in unser Zelt verirrt hätte? Was heißt „hätte“?! Kann ja immer noch sein, denn ich habe gerade nur vorsichtig und mit spitzen Fingern meine Jacke aus dem Zelt gefischt, ohne genauer nachzusehen. Eine gründliche Inspektion steht uns also noch bevor.

Mann, der Typ ist nicht nur ein herablassenendes Arschloch, sondern gleichzeitig auch noch ein gemeingefährlicher Menschenverächter! Meine Freunde sind ebenso fassungslos wie ich. Als wir gerade kopfschüttelnd über diesen unsäglichen Mann und seine Selbstwahrnehmung rätseln, besucht uns erneut die nette Dame von der Fototruppe, um sich nach unserem Wohlergehen zu erkundigen. Und sie möchte sich gerne für ihre Landsleute entschuldigen: „Dass die drei Guides das Verhalten ihres Gastes euch gegenüber geduldet haben, ist unverzeihlich. Es tut uns von Herzen leid und wir bitten um Entschuldigung im Namen aller Südafrikaner!“ „Warum glaubst du, dass die drei schwarzen Begleiter des Amerikaners seine Guides sind?“, frage ich. „Sind sie nicht?“ Ich kläre die erstaunte Lady auf und jetzt ist sie es, die um Fassung ringt. „Uni Kapstadt, Physikprofessoren? Alle drei? Und der Alaskaner auch? Das wird ein Nachspiel haben! Auch ich habe einen Lehrstuhl an der Capetown University inne und zudem ein gewichtiges Wort mitzureden. Was hier passiert ist, ist unmöglich, unverzeihlich, unfassbar, nicht tolerierbar. Eine Schande für den ganzen Campus! Das hat Konsequenzen, seid euch sicher!“ Wutentbrannt stapft die Dame, uns eine gute Nacht wünschend, wieder zu ihrer Truppe hinunter. Wir bleiben mit deutlichem Unbehagen zurück – denn wenn die Lady ihre Drohung wahrmacht, trifft es sicher die Falschen.

Was für ein beschissener Abend! Uns ist die Laune jetzt endgültig verdorben, weshalb wir uns bald in unsere Zelte zurückziehen. Natürlich nicht ohne uns vorher zu vergewissern, das auch gefahrlos tun zu können…


Weitere Impressionen des Tages:

Wir sind wieder unter uns!
Ausblick von Campsite 1
Libelle am Flusscamp











Das Virosa-Tal
Sarcocaulon sp. (Monsonia)
Aptosimum sp.











Typische RV-Landschaft
Euphorbia virosa
Nama-Lager ohne Flussblick













Euphorbia virosa











Kokerboomkloof
Unser Camp
Es wird Abend













Boscia foetida











Telophorus zeylonus
ssp. thermophilus
Telophorus zeylonus
ssp. thermophilus
Juveniler Nektarvogel











C. capitata
Heinz und Virosa
E. virosa
E. virosa
















Er hat zu gemacht!!!
Camp-Bulldogge



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