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22. März 2013, Richtersveld NP (RSA) > Namuskluft (NAM)

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Der gestrige Abend ist weit weg, als ich die Augen aufschlage, wird aber zunehmend realer, je wacher ich werde. Das kann doch alles nicht wirklich so passiert sein! Ist es aber leider doch. Tja, gerne würde ich nun noch mal den Alaskaner zur Rede stellen, weil er unser Zelt offen stehen ließ, noch wichtiger aber wäre mir eine weitere Klärung hinsichtlich der vermeintlichen Guides. Doch die Gelegenheit ist verstrichen, es ist zu spät: Mr. Alaska hat seine persönlichen Servanten bereits packen lassen und wird soeben vom Platze chauffiert; justament in dem Augenblick, da ich aus dem Zelt krabble. Und auch unsere Fotografen sind im Aufbruch begriffen, räumen gerade ihre letzten Ausrüstungsteile in die bereitstehenden Vans. Es soll also wohl nicht sein, dass ich mir und meinen Gefühlen nochmal Luft mache. Das ist zwar eine ziemlich unbefriedigende Situation für mich, die ich gerne alles ausspreche, alles kläre und nichts mehr hasse als Ungerechtigkeit (und Steuererklärungen), aber es ist in diesem Falle leider nicht zu ändern. Mein einziger Trost ist meine ganz persönliche Überzeugung: alles, was man im Leben tut, wird quittiert, hat Folgen. Alles. Man erhält eine Rechnung für jede einzelne Tat und die ist, irgendwann und in irgendeiner Form, immer gerecht. Ob der Betroffene die Quittung in Beziehung zu seinem eigenen Verhalten und der besagten Tat setzen kann, sei dahingestellt. Erhalten wird er sie dennoch. Und der Alaskaner kann sich dahingehend schon mal warm anziehen…

Trotz dieser tröstenden Gedanken fühle ich erneut den Zorn in mir hochwallen. Nein, Frau Schneider, nein, jetzt ist Schluss! Heute ist unser letzter Tag im Richtersveld und den möchte ich genießen, ohne mich über Vergangenes, was ich ohnehin nicht mehr ändern kann, aufzuregen. Also atme ich tief durch und vertiefe mich ins Frühstück, freue mich über meine tolle Tasse, die badenden Vögel und den bevorstehenden Trip über den Helskloof Pass, den wir heute zum ersten Mal besuchen werden. Und es gelingt – nach dem Frühstück bin ich wieder völlig entspannt und wir gehen unserem allmorgendlichen Tagwerk nach: packen, aufräumen, abspülen, weiterziehen. Bevor wir jedoch ins Auto klettern, vollbringen wir bedauernd eine letzte Tat – wir entführen den Vögeln unsere Pizzaform. Es fällt uns echt schwer, aber wir werden sicher würdige Nachfolger haben, vielleicht schon bald. Winkend verabschieden wir uns nun von unseren gefiederten Freunden und starten los zu unserer heutigen Tagesetappe. Nach wenigen Kilometern aber ist bereits der erste Stopp angesagt: Heinz möchte sich gerne die wenigen, noch lebenden Köcherbäume genauer ansehen, über deren exakte Klassifizierung wir seit unserer Ankunft im Kokerboomkloof rätseln.

Das könnte eine Pillansii sein!
Es gibt drei Spezies von Baum-Aloen hier im Richtersveld: die weitverbreitete „Dichotoma“, die reich verzweigte „Ramosissima“ und die vergleichsweise seltene „Pilansii“. Gerne würden wir natürlich einmal eine echte „Pilansii“ zu Gesicht bekommen, doch auch nach gründlicher Inspektion der Kloof-Aloen sind wir nicht sicher, was wir hier tatsächlich vor uns haben. Die Wuchsform könnte passen. Könnte. Es könnte sich aber auch um sehr schlanke „Dichotomas“ handeln oder aber um Hybriden. Das macht die Bestimmung echt schwer – die drei Aloe-Arten sind nämlich in der Lage, sich gegenseitig fruchtbar zu bestäuben. Die daraus resultierenden Natur-Hybriden zeigen dann Merkmale beider Eltern; mal dominiert die Mama, mal der Papa. Und bei Hybriden aus „Dichotoma“ und „Pilansii“ ist das Resultat gerne mal extrem uneindeutig, weshalb wir auch jetzt zu keinem sicheren Ergebnis kommen. Na ja, egal, fahren wir weiter! Über die Springbokvlakte kurven wir zunächst gen Westen, überqueren dann erneut das trockene Bett des Gannakouriep und durchfahren danach viele uns noch unbekannte Gegenden meines Lieblings-Nationalparks. Und sie alle sind sehr viel reizvoller als die Strecken hinab zum Oranje, so stellen Heinz und ich unisono fest! Das Warum ist ganz einfach zu erklären: auf der Fahrt Richtung Westen dominieren Berge, die breiten, sandigen Flusstäler hingegen verengen sich und verschwinden schließlich ganz. Und das, was sich einem hier darbietet, ist sowohl in botanischer als auch landschaftlicher Hinsicht ein Kleinod – eines nach dem anderen, eines deutlich anders als das vorhergehende.

Köcherbaumrinde
Aloe (dichotoma?)
Detailbetrachtungen
Heinz ist happy














So überqueren wir Bergrücken, die uns sagenhafte Blicke auf die wiederum nächsten Bergketten ermöglichen, wellblechen durch kleine, felsige Täler, die zahlreiche Pflanzenspezies beherbergen und gleichzeitig die Sicht auf unglaublich strukturreiche und farbenfrohe Hügelketten freigeben. Immer wieder müssen wir deshalb stoppen, staunen und auf Erkundungstor gehen. Hier leuchtet uns ein Bergrücken entgegen, der im oberen Drittel völlig vegetationsfrei ist, unterhalb eines querlaufenden Doleritbandes aber zahlreiche Köcherbäume präsentiert. Dort entzückt uns ein breiter, talartiger Absatz, von dem aus man weit gen Osten sehen kann. Ein paar Kilometer weiter landen wir dann erneut in einer völlig anderen Welt: ein kleines, tiefsandiges Halbtal, hoch oben in den Bergen, beschenkt uns mit einem Mikrokosmos pflanzlicher Art. Hier gedeihen Aizoaceen, Zygophyllaceen und anderes sukukkulentes bzw. semisukkulentes Kraut in trauter Eintracht nebeneinander. Klebrige Jamesbrittenias recken uns aus rotverstaubten Blätterkissen ihre winzigen, zweifarbigen Blüten entgegen, farbenfrohe, stressverfärbte Prenias erfreuen uns mit ihren pastellig-bunten Blattrosetten und uns völlig unbekannte Jochblattgewächse in hochgeschossener Strauchform stellen uns vor neue Bestimmungsrätsel. Wenig später landen wir schließlich bei den felsigen Vorboten des Helskloof Passes, der für seine einzigartigen Vorkommen der hochendemischen Aloe pearsonii bekannt ist. Bevor wir diese jedoch zu sehen bekommen, passieren wir zahlreiche Hügel rechts und links der Pad, die Heinz und mich in ihren Bann ziehen. Am liebsten würden wir uns hier für den Rest unseres Urlaubs aussetzen lassen! Es ist atemberaubend, unglaublich, nicht zu fassen. Annette und Jochen hingegen werden mit jedem von uns gewünschten Stopp ungeduldiger, unruhiger. Wir müssen heute noch rüber nach Namibia, mahnen sie uns. Ja, ja, ist ja gut, wissen wir! Trotzdem haben wir doch Zeit!

Jamesbrittenia sp.
Jamesbrittenia maxii
Prenia sladeniana
Monechma mollissimum
Crassula brevifolia
Sarcostemma viminale




















Heinz und ich aber sind unerbittlich, erforschen eine Kuppe nach der anderen: erst den Ramosissima-Hügel, darauf folgt die Crassula-dominierte Anhöhe, kurz danach ein Mikrokosmos aus Crassulas, Asclepien und Asteraceen. Annette stapft anfänglich tapfer mit, begeistert sich wie wir auch, Jochen hingegen bleibt immer öfter gelangweilt beim Wagen und harrt unserer Rückkehr. „Jochen, was ist los mit dir? Warum siehst du dir das nicht auch an. Es ist so wunderschön! Kein Interesse?“, fragt Heinz besorgt.„Ihr klettert ja immer nur rum und erklärt nix!“, brummelt Jochen.„Na, was sollen wir denn erklären? Du musst schon mitkommen und dir die Pflanzen selbst ansehen; dann können wir auch was dazu sagen!“, erwidert Heinz verwundert. Jochen winkt ab. Mhm, wie sollen wir das verstehen? Auf jeden Fall so: Heinz hat unbenommen recht, aber vielleicht sollten wir davon absehen, bei jedem halbwegs grünen Stängel, bei jedem steinigen Hügel auf einen Halt zu drängen. Tja, das wäre wohl ratsam, aber noch sind wir nicht mal direkt am Helskloof Pass angekommen… Heinz und ich beherrschen uns dennoch mit äußerster Kraftanstrengung, was uns für wenige Kilometer tatsächlich so einigermaßen gelingt. Dann aber zeigen sich die ersten Exemplare der hochendemischen Aloe pearsonii. An einer Stelle, an der eine Gruppe der schlanken Aloen besonders gut zugänglich erscheint, brechen wir unseren Vorsatz und erbitten einen erneuten Stopp.

Stapelia similis
Opophytum hypertrophicum
 Aloe ramosissima
Tylecodon wallichii
Drosanthemum sp.
Zygophyllum prismatocarpum




















Unserem Wunsch wird seufzend stattgegeben und Heinz und ich stürzen sofort gespannt zu den Pflanzen, um sie genauer zu inspizieren. Und es ist ein erhebender Moment, persönlich und höchstselbst vor diesen Aloen zu stehen, deren Sichtung der Traum zahlreicher Sukkulenten-Begeisterter ist. Sie kommen nur in einem sehr begrenzten Gebiet entlang des Oranje-Tals vor, was natürlich einen großen Teil des Reizes ausmacht und sind damit, auf die gesamte Vegetation der Erde hin gesehen, so etwas wie ein Diamant. Ein roter noch dazu, ein ziemlich roter sogar! Die Farbe der Aloen ist der zweite Punkt, der sie so spektakulär macht: unter der Belastung der täglichen Sonneneinstrahlung verfärben sich die ursprünglich grünen Blätter der Sukkulenten in ein sattes Rot. Ein Rot, dessen Nuancen zwischen sonnenreifen Tomaten, vollmundigem Burgunder und dem Fruchtfleisch erfrischender Wassermelonen variieren. Die Exemplare, die wir gerade bewundern, schwanken farblich zwischen Melone und Tomate, und sind, als Einzelpflanzen betrachtet, nur bedingt als Schönheiten zu bezeichnen. Lange Stängel, in der unteren Hälfte mit trockenem, unansehnlich braunem Gekröse bestanden – erst darüber zeigen allmählich die saftig-dicken Blätter, die in einer kreuzständigen Rosette, gesäumt von zart elfenbeinfarbenen Zähnchen, ihre Krönung finden. Und ich gebe zu: man muss schon ein ausgesprochenes Faible für derartige Gewächse haben, um ihren Zauber aus dieser Nähe in vollen Zügen empfinden zu können. Aber gerade so kann man auch Details entdecken, die nicht nur den botanisch Interessierten begeistern.

Aloe pearsonii
Schönheit...
...ist relativ
Pearsonii-Blüte














Heinz und ich beenden die Inspektion der roten Aloen mit einem genussvollen Lächeln auf den Lippen, klettern wieder ins Auto und freuen uns, den Sukkulenten so nahe gekommen zu sein. Auf den nächsten Kilometern entfalten die Aloen dann aber ihren wahren Zauber, der auch unsere beiden Freunde voll in ihren Bann zieht. Die kargen, schroffen, bräunlichen Bergketten des unter der Dürre stöhnenden Helskloof Passes liegen nach ein paar weiteren Kurven plötzlich vor uns – und erglühen in allen nur erdenklichen Rottönen. Es sind ganze„Wälder“ der seltenen Pearsonii-Aloen, die dieses solitäre Farbspiel erzeugen; ein Leuchten, das nahezu magisch erscheint. Rote Raritäten unter blauem Himmel – ein einmaliger Anblick! Annette ist so hingerissen, dass sie es ist, die den nächsten Stopp erbittet. Dann stehen wir alle da und saugen dieses Gemälde in uns auf. Und es gibt sogar noch einige blühende Exemplare, deren gelbe Blütendolden einen weiteren Akzent in diesem unfassbaren, betörend schönen Farbenmeer setzen. Annette und Jochen sind begeistert. Heinz und ich nicht minder – spätestens jetzt wissen wir ganz sicher, dass das zwar unser erster, nicht aber unser letzter Besuch hier gewesen sein wird. Und der nächste wird ausführlicher, länger, ohne Zeitdruck – koste es, was es wolle! Helskloof, die Höllenschlucht, sollte besser in„Paradyskloof“ umbenannt werden; und das nicht nur wegen der roten Groß-Endemiten…

Aloe pearsonii
Helskloof Pass
Pearsonii-"Plantagen"











Heinz und ich haben uns im Angeischt der Aloen gerade still in die Hand versprochen, bald wiederzukehren, weswegen uns der Abschied nun nicht mehr ganz so schwer fällt. Dennoch seufzen wir vernehmlich, als unsere Fahrt hinab ins Tal, hinab Richtung Sendelingsdrif, weitergeht. Wir nehmen Abschied von einer Zauberwelt, die weit über die der Aloen hinausführt. Leider hatten wir, mal wieder, zu wenig Zeit, sie in vollem Umfang zu erkunden… Doch das botanische Potential, das hier schlummert, ist enorm. Fesselnder als alles andere, was wir bisher jemals erlebt haben. Trotzdem: bye bye, ihr Richtersveldias, ihr Stapelias, ihr Crassulas und ihr anderer Schönheiten. Bye bye, bis bald! Bye bye, Paradyskloof! Auf Wiedersehen!

Stapelia similis
Gasteria pillansii var. ernesti-ruschii
Richtersveldia columnaris











Während wir nun die steile Pass-Straße nach unten holpern und dabei stets neue, interessante Pflanzen erspähen, genießen wir trotz aller Wehmut auch den fantastischen Ausblick auf die Niederungen des Oranje-Tals, dem wir nordwärts, unvermeidlich, wieder entgegenstreben. Malerische Bergketten begleiten uns hinab auf den Streckenabschnitt, auf dem wir bereits vor vier Tagen, an der Parkgrenze entlang, gen Sendelingsdrif gefahren sind. Damals hatten wir es eilig, waren stimmungsmäßig leicht angeschlagen, heute hingegen sind Heinz und ich völlig entspannt, immer noch im Banne des Helskloof Passes. Für Jochen und Annette aber zählen nach wie vor die Kilometer, der Grenzübertritt nach Namibia - und das, obwohl es noch nicht mal zwölf Uhr mittags ist. Nein, wir verstehen schon: jeder hat so seine Prioritäten und alle wollen gleichgewichtig erfüllt werden. So also treffen wir gegen ein Uhr mittags am Hauptcamp des Richtersveld Nationalparks ein, das gleichzeitig - zu An- und Abmeldung aus dem Park - auch alle Stationen für den Grenzübertritt ins Nachbarland Namibia bereithält.

Auf südafrikanischer Seite
Überfahrt über den Oranje
Und in Namibia wieder runter











Wie es sich gehört, erledigen wir zunächst die erforderlichen Formalitäten, um uns rechtmäßig aus dem grenzübergreifenden Nationalpark abzumelden. Und natürlich fragen wir dabei nach unserem Alaskaner, der uns gedroht hatte, uns so derart anzuschwärzen, dass wir auf ewig Parkverbot erhalten würden. Heute war hier noch niemand, der sich beschwert hätte, sagt die Rangerin. Ach, hat der Typ etwa gekniffen? Wir beschreiben kurz den gestrigen Konflikt und bitten die Parklady, eine eindeutige Kennzeichnung der Campsites vorzumerken, um solche Konflikte in Zukunft zu vermeiden. Ach, seufzt die Dame, das Problem sei bekannt, es gäbe deswegen auch immer wieder Zwistigkeiten, aber sie könne da nichts ändern. Der Zulauf in den Park sei in der letzten Zeit so heftig, dass man mit den administrativen Pflichten nicht nachkäme. Na, Leute, so eine kleine Ergänzung in Form eines winzigen, aber umso deutlicher unterteilenden „As“ und „Bs“ zum toll geschnitzten Site-Schildchen kann doch nicht die Welt kosten, oder? Das stünde nicht in ihrer Macht, sagt die Lady, gibt uns aber recht. „Schließlich krieg ich die ganzen Beschwerden immer ab.“, klagt sie. Aber, gute Frau, alle Touristen müssen hier, in Sendelingsdrif, einchecken - da wäre es doch alternativ eventuell sinnvoll, jeden gebuchten Kokerboomkloofer, zumindest mündlich, genau auf diesen Umstand hinzuweisen, oder??? „Ja, aber dazu bin ich nicht befugt.“ Puh - und da träumt der paragraphengeplagte Europäer immer von Afrika - einem Afrika, in dem alles frei und offen und möglich ist…

Oder aber auch nicht. Der letzte Rest dieses (übrigens völlig unberechtigten) Traumes nämlich vergeht uns, als wir endlich unseren Wagen durch die Zollformalitäten gebürokratet haben: wir wollen nun die Grenze zwischen Südafrika und Namibia hinter uns bringen, steigen gerade wohlgemut ins Auto und wollen losfahren, als uns ein südafrikanischer Grenzer mit herrischem Ton zum Innehalten befehligt - zuerst müsse noch alles durchsucht werden. Seufzend steigen wir wieder aus und lassen den finstergesichtigen Beamten sein Werk beginnen - wir haben ja nichts zu verbergen. Denken wir. Der gute Mann jedoch ist da anderer Meinung. Mit Adleraugen und zwei willigen Gehilfen inspiziert er unser Gefährt, lugt unter die Fußmatten, in die offene Keksschachtel, das apfelbestückte Gepäcknetz, in sämtliche Sonnenbrillenetuis, die Cubbybox und die Sitztaschen. Er findet nichts Verbotenes. Doch je erfolgloser er ist, umso grimmiger und verbissener wird er. Schließlich entspannen sich seine Gesichtszüge doch noch: er hat ein kalkiges Muschel-Stein-Gebilde entdeckt, das Heinz vom Strand im Namaqua Nationalpark mitgenommen hatte und klärt uns nun mit starrer Miene über unser Vergehen auf: „You are not allowed to remove any object from Richtersveld National Park, Ladies and Gents! This is a serious offence to the park rules!“ Mit drohend zusammengekniffenen Augen nimmt er das Corpus delicti in die Hand und präsentiert es seinen Gehilfen mit oberlehrerhaftem Gesichtsausdruck. Die nicken ebenfalls entrüstet – während wir von jedweder Belehrung hinsichtlich des eindeutig maritimen Ursprungs des anstoßerregenden Gegenstandes absehen, auch wenn sie uns ganz vorne auf der Zunge liegt. Stattdessen signalisieren wir deutliche Zerknirschung und sind froh, diesem Zerberus schließlich doch noch ungeschoren entrinnen zu können.

Während wir nun erleichtert das Weite suchen, steckt der gestrenge Beamte den Stein in die Hosentasche seiner Uniform und knöpft sich die nächsten Sünder vor: es sind zwei Damen, die, so entnehmen wir deren lautstarkem Lamento, wohl mehrmals wöchentlich zwischen beiden Ländern pendeln und, nach eigener Aussage, noch nie kontrolliert wurden. „Wir sind Mrs. XY und Mrs. Z., hallo!?! Wir sind geschäftlich unterwegs und man kennt uns hier! Lassen Sie uns gefälligst passieren!“ Das letzte, was wir in unseren staubverhangenen Rückspiegeln sehen, ist die empörte Kapitulation der beiden Ladies, deren Auto nun von unserem kompromisslosen Grenzerfreund auseinandergenommen wird.

Rasch geben wir Gummi, kurven hinunter zur grenzüberschreitenden Fähre und müssen eine ganze Weile warten, bis das kleine Transportboot endlich von der namibischen Seite ablegt und zu uns herüber tuckert. Schließlich legt die Fähre an, wirft ihre Überbrückungsbleche in die betonierten Platten der Uferbank, Jochen steuert den Landy sicher an Bord, die Bleche werden wieder eingeholt, wir alle mit Rettungswesten bestückt, und fahren ein paar Minuten später auf namibischer Seite erneut vom Boot - die Lamento-Damen hingegen sind noch nicht mal ansatzweise in Sicht... Puh, da hatten wir wohl echt Glück! Denn nun sind wir sicher außer Reichweite dieses martialischen Grenzbeamten und haben nur einen minimalen Verlust zu beklagen - alles andere hingegen blieb unentdeckt: eine Raubvogelfeder aus dem Tanqua, diverse hübsche Kiesel von hier und da und noch ein paar andere Dinge, die dem Herrn sicher große Genugtuung bereitet hätten, wäre er fündig geworden. Ist er aber nicht! Diebisch erfreut setzen wir so unseren Weg fort, stauben am westlichen Oranje-Ufer dahin, Richtung Rosh Pinah. Bald haben wir das Kaff erreicht und erblicken, nachdem wir einige starkstromgesicherte Wohnsiedlungen und umtriebige Minengelände passiert haben, die Abzweigung zur Gästefarm Namuskluft, die unser heutiger Übernachtungsort sein wird.

Namuskluft von oben
Uns hält nichts im Lager!
Ein weiteres Paradies











Relativ erwartungsfrei biegen wir auf das Farmgelände ab, durchqueren die ersten Kilometer - und werden immer gespannter: wir sind hier offensichtlich nicht irgendwo auf einem popeligen Gästefarmgelände gelandet, sondern scheinen gerade ein Richtersveld im Miniaturformat zu durchqueren! Mit dem einen Unterschied: wir befinden uns in einer Art von sandigem Tal – Täler, die im Richtersveld beinahe vegetationslos daher kamen. Hier aber protzt die Natur mit unzähligen Sukkulenten - Hoodias, Ruschias, Stoeberias und andere Etceteras wachsen dicht an dicht! Heinz und ich sehen uns vielsagend an und werden, mit Blick auf die uns umgebenden Berge, ganz zappelig. Ungeduldig erwarten wir unsere Ankunft im Restcamp, errichten dort rasch das Lager, gönnen uns noch ein kühles Getränk, dann aber hält uns nichts mehr. Während Annette und Jochen ermattet in ihre Camping-Stühle sinken, sausen wir beide los: hinter dem Camp ist ein kleiner Wanderweg ausgeschildert, der auf einen felsigen Hügel hochführt. Dieser Hügel sieht von unten recht harmlos aus, je höher wir allerdings klimmen, desto schweißtreibender wird die ganze Angelegenheit. Aber wir nehmen die Anstrengung beinahe nicht wahr, denn der Hügel enttäuscht unsere Erwartungen nicht und präsentiert uns einen Mikrokosmos zahlreicher Sukkulenten. Was hier nicht alles wächst! Hoodias, Namaquanum-Pachypodien, Pearsonii-Aloen, Sisyndites, Tylecodons, Crassulaceen - und sogar einige Pflanzen, die wir nicht mal im Richtersveld gesehen hatten! Heinz und ich sind im Glück. Stundenlang klettern wir in diesem steinigen Paradies umher - der ausgeschilderte Wanderweg hat sich schon lange im Meer der sukkulenten Blätter verloren - und genießen unser kleines, üppiges, nachträgliches Mini-Richtersveld in vollen Zügen.

Tylecodon wallichii
Crassula subacaulis
Wie? Schon Abend?!?











Wir merken kaum, dass die trockene Hitze allmählich einer angenehmen Kühle weicht. Erst, als wir immer genauer schauen müssen, wohin wir unsere Füße setzen, fällt uns auf, dass die Sonne schon fast hinter den umliegenden Bergen verschwunden ist. Zeit, ins Lager zurückzukehren! Vorsichtig bahnen wir uns einen Weg durch das steile Gelände nach unten und erreichen im letzten Tageslicht den Fuß unseres Paradieshügels, von wo aus es nur noch knapp zwei Kilometer bis zum Lager sind. Annette und Jochen, die den Nachmittag faul im Schatten eines Baumes verdöst hatten, sind bereits mit den Vorbereitungen zum Abendessen beschäftigt, als wir endlich wiederkehren und kredenzen uns sogleich ein kühles Bier zum Empfang. Genüsslich lassen wir das himmlische Gebräu durch unsere Kehlen rinnen und erzählen nebenbei von unserem spannenden Ausflug. Dann packen wir mit an und bald steht ein herzhaftes Abendessen auf dem Tisch, das wir uns mit großem Appetit schmecken lassen. Danach sitzen wir alle glücklich und zufrieden in unseren Stühlen, lassen den Tag revue passieren und freuen uns auf das noch Kommende. Zwei Tage im Gebiet der Sukkulenten-Karoo liegen ja noch vor uns, auf die wir uns sehr freuen, dann jedoch wird unser Urlaub einen deutlich anderen Charakter annehmen - und auch darauf freuen wir uns schon tierisch...



Weitere Impressionen des Tages:


























































Crassula grisea
Crassula brevifolia
Crassula sp.











Aloe ramosissima
Aloe ramosissima
Aloe ramosissima











Zygophyllum sp.
Monechma mollissimum












Prenia sladeniana
Zygophyllum retrofractum
Blepharis furcata











Euphorbia hamata
Euphorbia dregeana
Euphorbia gummifera











Euphorbia sp.
Zygophyllum retrofractum
Zygophyllum sp.











Opophytum hypertrophicum
Crassula brevifolia
Sarcostemma viminale











Crassula muscosa
Crassula sericea
Cotyledon orbiculatus











Sukkulentes Stilleben
Helskloof Pass
Helskloof Pass











Runter zum Oranje

Warten auf die Fähre











Aloe pearsonii
Namuskluft Camp
Ceraria namaquensis











J. maxii
J. bicolor
Augea capensis
Z. prismatocarpum
















C. robusta
R. columnaris
Cotyledon sp.
T. oleifolius
















S. similis
C. grisea
P. namaquanum
Namuskluft

23. März 2013, Namuskluft Restcamp > Tiras Conservancy, Tiras Gästefarm

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Die vergangenen zwei Wochen waren so spannend, so abwechslungs- und ereignisreich, dass wir heute Morgen ohne große Erwartungen in unseren Tag starten: unser Weg wird uns, nach einem ausgiebigen Frühstück, hinauf nach Norden führen, Richtung Aus und Helmeringhausen, wo wir auf der Farm Tiras unser nächstes Quartier aufschlagen werden. Zwischen hier und dort liegen allerdings einige Kilometer und ein weiterer Einkauf droht ebenfalls. Doch wir sind so erholt, dass ein supermarktbestückter Fahrtag sicher gut zu verkraften sein wird...

Waschhaus mit Dachterrasse
Bungalow
Angekommen!











Und so ist es auch: ganz gemütlich brechen wir unser Lager ab, zockeln los, tuckern ohne Stress und Hektik rauf bis Aus, wo wir dann einen örtlichen Supermarkt heimsuchen. Auch da ist alles ganz entspannt, nicht zu vergleichen mit dem Gewimmel in Springbok. In aller Ruhe schlichten wir die benötigten Lebensmittel in unseren Einkaufswagen, entdecken sogar noch ein Afrikaans-Englisch-Wörterbuch im Sonderangebot, und fahren gut ausgerüstet weiter. Am frühen Mittag bereits trudeln wir auf der Tiras Gästefarm ein und melden unsere Ankunft im Farmhaus der Familie Koch. Auf unser letzten Tour logierten wir übrigens auf Koiimasis, einer Farm, die ebenfalls zur Tiras Conservancy gehört, sich aber viel weiter westlich befindet. Dort war es wunderschön, entlegen und ruhig. Kein Wunder, man fuhr ja erst mal zwanzig Kilometer querfeldein, bevor man das Farmhaus erreichte. Das ist auf Tiras ein bisschen anders: die einzige Hauptstraße der Gegend durchschneidet das Farmgelände; rechterhand und in Sichtweite derer liegt das Farmhaus, linkerhand und noch viel besser sichtbar, der Campingplatz am Fuße eines Hügels. Auf halber Höhe des durchaus pittoresken Steinhaufens thronen die beiden Bungalows - und die haben wir für die kommenden zwei Nächte angemietet. Auf den ersten Blick enttäuscht uns die Lage etwas, gerade im Vergleich zu Koiimasis. Aber jetzt sehen wir uns die Sache einfach mal an.

Blick vom Camphügel
Klippspringer...
...auf Zehenspitzen











Wohlgemut biegen wir den Weg Richtung Farmhaus ab und werden dort zunächst von zwei freundlichen Dackeln begrüßt, die uns schwanzwedelnd umspringen. Die Hunde streichelnd und lobend passieren wir ein Hoftor, die zwei Tiere stets im Schlepptau. Dann, als wir bereits vorsichtig eine sehr privat aussehende Veranda betreten, kommt eine ältere Dame aus dem Haus. Frau Koch. Wir stellen uns vor, werden herzlich-zweckmäßig begrüßt, erhalten die Schlüssel zu unseren Unterkünften und machen eine Uhrzeit aus, zu der uns Frau Koch für die vorgebuchte Sukkulententour heute Nachmittag abholen wird. Quadratisch, praktisch, gut. Ganz anders als auf Koiimasis, wo alles ein wenig „hotelfachschuliger“, begleitet von professionellem Lächeln, ablief. Aber wir mögen Leute, die ihre Ecken und Kanten von Anfang an nicht verbergen. Ohne großes Gelaber nehmen wir die Schlüssel nebst aller zweckdienlichen Instruktionen mit uns und streben unseren Quartieren zu, die auf der anderen Seite der C13 in der Mittagssonne liegen. Auch die Bungalows sind, genau wie deren Betreiberin, ehrlich und zweckmäßig. Kein überflüssiger Luxus, kein Schnickschnack. Rechteckig, funktionell, ordentlich, klein, aber gepflegt und sauber. Wir fühlen uns willkommen, dort oben auf unserem Hügelheim, erst recht, als wir auf unseren Zimmern ausführliche und liebevoll aktuell gehaltene Informationsmappen über die örtliche Vegetation entdecken. Nachdem wir uns häuslich eingerichtet haben, studieren wir das Material und besonders Heinz und ich sind begeistert: hier war nicht nur jemand am Werk, der Liebe zum pflanzlichen Detail zeigt, sondern offenbar auch jemand, der schon viele Gäste hatte, die diese Leidenschaft teilten und ihre Sichtungen der Gastgeberin in Form von Botaniklisten und Fotos zukommen ließen. Eifrig schmökernd lesen wir uns in die hiesige Flora ein und freuen uns immer mehr auf die bevorstehende Sukkulententour, zu der uns Frau Koch in zwei Stunden abholen wird.

Hoffentlich hält das Wetter!
Die Sukkulententour beginnt
Unser Transportmittel











Als ihr historischer, roter Pick-Up dann auf die Minute pünktlich herbeituckert, wagen wir uns aber fast nicht von unserer Festung herab, denn ein Klippspringer turnt gerade auf spitzen Hufen auf unserer Terrassenmauer entlang - direkt vor unseren Augen. Frau Koch winkt von unten rauf, wir winken von oben runter und deuten auf das Böckchen. Alles klar. Das zierliche Tier entschwindet jedoch bald aus unserem Blickfeld und wir setzen uns daraufhin vorfreudig in Bewegung. Als wir endlich alle im Wagen und auf dessen Ladefläche Platz bezogen haben, tuckern wir los. Frau Koch geht die Tour professionell an, indem sie einige Details zur Farm, dem Gelände und deren Pflanzenwelt nennt – freundlich, informativ, leicht distanziert. Dann steigen wir erstmals aus und Frau Koch taut sichtlich auf, als sie unser echtes, ernsthaftes Interesse erkennt. „Sukkulentenmenschen sind immer die ehrlichsten und zuverlässigsten von allen Gästen!“, teilt sie uns zutraulich mit, während sie uns gerade die erste Larrylechia präsentiert. Diese Bemerkung hinterfragen wir natürlich und erfahren im Laufe der nächsten Stunden so manch Interessantes - nicht nur über Pflanzen, sondern auch über das Leben als Farmer in solch einer trockenen Gegend. Unsereiner hat davon ja immer recht romantische Vorstellungen, doch in Wahrheit ist es ein täglicher Existenzkampf. Man benötigt riesige Flächen, um lohnende Weidewirtschaft zu betreiben, ist aber gleichzeitig stets und jedes Jahr aufs Neue von den aktuellen Marktpreisen und dem Wetter abhängig. Und beide Faktoren neigen zum Schlagen wilder Kapriolen.

Hoodia sp.
Larryleachia marlothii
Sansevieria aethiopica











Als dieses Auf und Ab immer heftiger wurde, entschlossen sich fünf Farmer, das Potential ihrer Farmgründe nicht mehr ausschließlich landwirtschaftlich, sondern auch touristisch zu nutzen und gründeten die Tiras Conservancy. Jeder der beteiligten Landwirte schränkte seine beweidete Fläche erheblich ein und verschrieb sich fortan dem Schutz und Gedeihen der übrigen Flächen - im Sinne des Tourismus und der Ursprünglichkeit der Natur. Um eben diese Schönheit der Natur auch den Touristen zugänglich machen zu können, erhielt jeder der fünf Farmer eine Spezialaufgabe zugeteilt. Und Frau Koch kam so, wie sie uns gesteht, wie die Jungfrau zum Kinde: sie war fortan die Flora-Beauftragte und arbeitete sich im Laufe der Jahre in eine Materie ein, die ihr vorher so fremd wie nur irgendwie erschien. Aber sie macht das echt toll und mit einer mittlerweile wahren Leidenschaft und Begeisterung. Deshalb freut sie sich über unser tiefes und ebenso leidenschaftliches Interesse ganz besonders. Sukkulentenmenschen sind die ehrlichsten und zuverlässigsten, sagte sie vorhin. Nach ihren jetzigen Ausführungen ist diese Bemerkung nun sehr verständlich: viele Touristen besuchen die Farmen der Tiras Conservancy, weil es ein landschaftlich einzigartig schönes Gebiet darstellt. Die meisten kommen der Gegend wegen und sind deshalb, genau wie auch wir, zunächst etwas enttäuscht, gerade von der Lage der Tiras Farm. So passiert es also auch hin und wieder, dass gebuchte Gäste über die C13 einschweben, sich in ihren Hoffnungen betrogen sehen und daraufhin sang- und klanglos das Weite suchen, um anderswo ihr Namibia-Landschaftsglück zu suchen. „Nur die Pflanzeninteressierten, die wollen Pflanzen sehen - deshalb buchen sie und kommen und bleiben in der Regel auch.“ sagt Frau Koch mit bitterem Unterton.

Hereroa puttkameriana
Microloma incanum
Cotyledon orbiculata











Diese Reaktion ist zwar – und dessen ist sie sich durchaus bewusst – irgendwie nachvollziehbar, aber - so sehen wir das - dennoch völlig unberechtigt. Denn diese Gästefarm, deren Lage auf den ersten Blick vielleicht nicht ganz den Traumvorstellungen eines Durchschnittstouristen entspricht, hat, wenn man sich darauf einlässt, so unendlich viel zu bieten. Eine wunderschöne Landschaft mit phantastischen Gesteinsformationen, die markante Bergkette des Rooirand, die im Sonnenlicht in allen nur erdenklichen Rottönen leuchtet, eine Betreuung durch eine Gastgeberin, die unglaublich viel zu erzählen und auch zu zeigen hat. Und sie kennt ihr Land wie keine andere! Wie auf Schienen mäandert Frau Koch durch das Gelände ihrer Farm und führt uns zu einer sehenswerten Pflanze nach der anderen. Larryleachia, Microloma, Euphorbia, Lithops, Avonia, Crassula und viele andere mehr. Wir staunen nicht schlecht: gerade Lithopse, Lebende Steine, sind extrem gut getarnt und wachsen gerne gut verborgen in Felsspalten oder unter unscheinbarem Gestrüpp - aber sie findet jeden einzelnen. Vollends begeistert aber sind wir, als die Dame sich plötzlich niederkniet, zielsicher eine Sandschicht von einer völlig unauffälligen Stelle pustet und uns etwas präsentiert, was extrem selten und noch schwerer zu finden ist: eine Crassula mesembrianthemopsis.

Adromischus schuldtianus
Anacampseros karasmontana
Crassula mesembrianthemopsis











Hierbei handelt es sich um ein recht unscheinbares Dickblattgewächs, das aufgrund seiner Seltenheit aber trotzdem zu den Traumsichtungen eines jeden Sukkulentenliebhabers zählt. Wir sind natürlich schwer begeistert. Was diese Sichtung jedoch wirklich bedeutet, wird mir in vollem Ausmaß erst klar, als ich Fotos der Crassula bei ispot hochlade. Auf dieser Internetplattform treffen sich zum Teil hochkarätige Sukkulentenexperten (zu Beispiel Priscilla Burgoyne, Autorin zahlreicher Fachbücher und Herbariums-Kuratorin bei SANBI; Derek Tribble, nach dem sogar ein Tylecodon benannt ist - um nur einige zu nennen), die allesamt in höchste Erregung geraten, als ich diesen Fund präsentiere. Jetzt, da wir vor dieser Pflanze stehen, ahne ich von diesem Begeisterungssturm natürlich noch nichts, tierisch beeindruckt bin ich aber dennoch - vor allen Dingen aber von Frau Kochs Zielsicherheit und Sachkenntnis.

Lithops schwantesii
Crassula muscosa
Crassula sericea











Und ihre Geschichte, die Tatsache, dass sie sich in eine für sie unbekannte Materie derart umfassend einarbeiten konnte, macht mir ebenfalls Mut. Das kann ich also auch schaffen! Während ich still lächelnd davon träume, eines Tages eine Doktorarbeit über den Mechanismus von Aizoaceen-Kapseln zu schreiben oder gar selbst mal eine noch unbekannte Sukkulente zu entdecken und zu beschreiben, führt uns Frau Koch weiter durch ihr kleines Paradies, wo es immer noch mehr Neues zu sehen gibt. Mittlerweile aber senkt sich langsam die Abendsonne über Tiras herab und beleuchtet die sagenhaften Gesteinsformationen des Farmgeländes aufs Schönste. Eierförmige Felsen, die wagemutig aufeinander gestapelt sind und wie von Geisterhand gehalten wirken, die Abbruchkante des Rooirand, die in unglaublichen Farbtönen erglüht, dazwischen weite Ebenen flachsfarbenen Grases und die Silhouetten reich verzweigter, kaktusähnlicher Avasmontana-Euphorbien, die ihre Arme markant in den Himmel recken. Der wiederum ist von dunkelblau dräuenden Gewitterwolken überzogen, die einen phantastischen Kontrast zu den Farben der Gegend bilden, gekrönt von einem Regenbogen, unter dessen Spektralfarben die Felsen in den letzten Sonnenstrahlen warm und intensiv leuchten. Eine unglaubliche Szenerie! Nur langsam und widerwillig reissen wir uns davon los, um den längst überfälligen Heimweg anzutreten. Während wir nun in der einsetzenden Dämmerung zu unserem Lager zurück kurven, gesteht uns Frau Koch, das dies eine der längsten Sukkulententouren gewesen wäre, die sie jemals gemacht hätte - weil sie es so genossen hätte, mit uns unterwegs zu sein. Ein Kompliment, das wir nur zurückgeben können!

Aloe hereroensis
Barleria rigida
Aptosimum sp.











Beglückt und erlebnisschwer treffen wir schließlich am Fuße unseres Camphügels ein, verabschieden uns herzlich von unserer Gastgeberin und stapfen den Weg zu unserer Unterkunft hinauf. Oben angelangt, erliegen wir dem Zauber unserer erhöhten Rundumsicht: überall am Horizont wabern schwarze Gewitterwolken, im Gegenlicht des heftigen Wetterleuchtens sieht man Regenschauer herniedergehen und dumpfes Donnergrollen lullt uns heimelig ein. Wir hingegen bekommen nicht einen Tropfen ab, befeuchten uns nur von innen, und genießen den Abend eines erlebnisreichen Tages bei einem fulminanten Abendessen, umrahmt von einer einzigartigen Kulisse. Allmählich ebbt die Gewitterfront dann ab und macht einem sternenklaren Himmel Platz, der warme Wind, der die Gewitter begleitet hatte, legt sich und Stille kehrt ein über Tiras. Eine Stille, die nur von unserem feucht-fröhlichen, schallenden Gelächter immer wieder durchbrochen wird: wir haben unsere neu erworbenen Wörterbücher nachschlagebereit in der Mitte des Tisches liegen und unterhalten uns ausschließlich auf Afrikaans... Eine Heidengaudi! Während wir uns königlich amüsieren, gesellt sich jedoch ein weiteres Geräusch hinzu. Ein lautes Rascheln, Knacken, Trappeln. Aufgeregt leuchten wir den Hügel hinter unserer Terrasse ab und blicken erstaunt in die schwarzen Knopfaugen einer nicht weniger erstaunten Maus, die auf der eifrigen Suche nach Essbarem ist. Wie erstarrt blinzelt sie in das Licht unserer Taschenlampen, bevor sie doch lieber das Weite sucht und im Gestrüpp verschwindet.

Blick auf den Rooirand
Regenbogen über dem Land
Abendliche Schauer











Hah, eine Maus! Aufgrund unserer bislang recht tierarmen Zeit wirkt sogar dieses kleine Nagetier wie ein Magnet auf uns. Leider aber hat sich das erregende Miniwild verdammt schnell, viel zu schnell, auf Nimmerwiedersehen im Bewuchs des Hügels verdünnisiert. Nun ist sie weg, die Maus, was wir sehr bedauern - allerdings bewirkte sie auch eine Art von Cut: wir beschließen vorerst unseren Abend der afrikaansen Albereien und widmen uns stattdessen pflichtbewusst dem Haushalt. Annette trägt das gebrauchte Abendgeschirr zur Spüle, die sich im Schatten der beiden Wasch-Häuschen, auf der anderen Seite unserer Terrasse befindet. Sie steckt den Stöpsel in das Spülbecken, lässt warmes Wasser einlaufen, wirft die Teller in das Becken und beginnt zu spülen. Der erste Teller ist kaum gereinigt, als wir sie schon entsetzt quieken hören. Sekunden später ist Annette wieder bei uns und berichtet atemlos: „Wiiiieh, da war was ganz Großes, ich hab’s nicht sehen können, aber es war riesig und kam den Hang runter, direkt auf mich zu! Ich trau mich da nicht mehr hin!“ Hui, was war das wohl? Mit Taschenlampen bewaffnet schleichen wir gemeinsam um die Bungalows herum, nähern uns vorsichtig der Spüle - und entdecken die Maus, die, wie auf einer Insel, frech mampfend in einem Tellerstapel inmitten des Spülbeckens sitzt. Das soll das lautstarke Monster sein? Annette kann es kaum glauben. Doch wir leuchten den ganzen Hügel so gut wie eben möglich ab und können nichts Bedrohlicheres als besagte Maus entdecken. Der jedoch wird schließlich das Gefunzle zu viel und sie sucht laut raschelnd das Weite. Die Hügelwand hinter unseren Bungalows allerdings potenziert das Abmarschgeräusch des kleinen Nagers akustisch auf das eines drei Tonnen wiegenden Säbelzahntigers, sodass auch wir erstaunt lauschen und Annettes Schrecken jetzt durchaus nachvollziehen können. Lachend und ein wenig verwundert bringen wir nun den Abwasch rasch gemeinsam hinter uns, verstauen das saubere Geschirr in unseren Kisten, packen unsere Wörterbücher ein und gehen zu Bett. In ein echtes Bett - eines mit Gestell, Matratze, Kissen, Zudecke und festem Dach über dem Kopf. Eines, in dem wir allerdings auch nicht besser oder schlechter schlafen als im Zelt. Nur die Geräusche der Nacht, die so einzigartig und beruhigend sind, die hört man im Bungalow halt leider nicht so wirklich...



Weitere Impressionen des Tages:

Auf der Mauer, auf der Lauer
Blick vom Camphügel
Hungriger Besuch

























Microloma incanum
Verholzte Gallen
Euphorbia avasmontana












Euphorbia avasmontana
Hydnora africana











Es hält!
Aber wie?
Größenrelation











Psammodes sp.
Stenocara gracilipes
Stenocara gracilipes











Gut getarnter Hüpfer
Eurychora sp.












Hereroa puttkameriana
Lithops schwantesii
Cotyledon-"Plantage"




























Ameisenjungfer
Die Besuchs-Maus





































Hoodia sp.
C. orbiculata
Larryleachia marlothii
Avonia albissima
(auch Taubenfüßchen
oder Bird-Shit-Plant
genannt)















Larryleachia marlothii
Hoodia sp.
Webervogelnest mit
Zwergfalken
als Untermieter

24. März 2013, Ruhetag auf Tiras Farm

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Lustig war es gestern Abend, sehr lustig - und auch ein wenig bierselig. Trotzdem hüpfen wir heute mit leichten Köpfen aus unseren Betten und genießen ein entspanntes Frühstück auf der Rundumsicht-Terrasse, bevor wir, gut gestärkt, in einen neuen Tag starten. Große Pläne haben wir nicht, nur ein bisschen rumfahren und schauen; das ist alles. So machen wir uns am frühen Vormittag in aller Ruhe auf, verlassen unseren trauten Hügel, überqueren die C13 und erforschen die Gestade am Fuße des Rooirand. Huh, falsche Seite: außer diverser Kuhfladen und zahlreicher Fliegen ist hier nichts besonders Sehenswertes zu finden. Trotzdem klettern wir ein wenig auf den Felsen der unteren Rooirand-Region umher; vielleicht gibt es ja doch in irgendeiner Felsenritze etwas Interessantes. Nein, leider nicht – der erste Eindruck hatte also nicht getrogen. Naja, ist auch kein Beinbruch! Gemächlich klettern wieder in unser Auto und zockeln Richtung Farm, wo wir gleich nochmal Frau Koch besuchen und unsere Rechnung begleichen wollen. Und die Dame des Hauses freut sich aufrichtig, uns zu sehen. Sogleich werden wir ins Wohnzimmer gebeten und in ein Fachgespräch über Sukkulenten verwickelt. Es ist ein reger Dialog, in dessen Verlauf Frau Koch einen Ordner nach dem anderen, ein Buch nach dem anderen aus dem Regal holt. Einen tollen Fundus an gekaufter und selbst zusammengetragener Literatur hat sie da! Wir staunen nicht schlecht, was für Schätze sich im Laufe vieler Jahre bei der Farmerin angehäuft haben. Neben handsignierten Kleinstausgaben wertvoller Sondereditionen fallen mir besonders die zahlreichen Aktenordner auf, in denen alles gesammelt wurde, was interessierte und hilfsbereite Gäste nach ihrem Besuch auf Tiras bestimmt, zusammengestellt und Frau Koch in Form von Computerausdrucken zukommen ließen. Mein Gott, ein unglaublicher Pool von Informationen über die Flora von Tiras liegt hier vor uns! Trotzdem blutet mir das Herz, mein Grafiker-Herz: hätte ich Zeit und Geld und die Erlaubnis von Frau Koch, so würde ich mich glatt für ein Jahr hier einquartieren und diese riesige Loseblatt-Sammlung, die zwar liebevoll, aber wenig ansprechend und kunterbunt ist, in strukturierte, schön gestaltete Buchform bringen! Das wäre ein wundervolles und echt lohnendes Projekt. Tja, aber da ist er wieder, der alles verhindernde Konjunktiv - hätte, würde, könnte, täte...

Blick auf den Rooirand
Blick vom Fuße des Rooirand
Farm Tiras











Nichtsdestotrotz genießen wir das Gespräch mit der Farmerin, genießen ihre zu Papier gebrachten Juwelen, die sie uns voller Stolz präsentiert und nehmen dabei auch einige neue Informationen mit, besonders die Kleinstausgaben und Sondereditionen betreffend: da gibt es wieder einiges zu tun und zu recherchieren, um selbst in den Besitz solcher Juwelen zu gelangen. Vielleicht gelingt uns ja nach dem Urlaub der ein oder andere Treffer.

Cleome sp.
Hibiscus elliottii
Dyerophytum africanum











Fachsimpelnd, quatschend und uns gegenseitig bereichernd, verbringen wir so zwei unterhaltsame Stunden mit Frau Koch und erfahren nebenbei natürlich auch noch weitere Details über die Schwierigkeiten und Probleme beim Betreiben einer solchen Farm, wobei Frau Koch nun wirklich aus dem Nähkästchen plaudert. Als sie und ihr Mann den Betrieb in den sechziger Jahren vom Vorbesitzer übernahmen, hatten sie erst mal Unmengen von Müll zu entsorgen. Von Autoreifen über verrostete Gerätschaften größeren Ausmaßes bis hin zu ausgemusterten Einrichtungsgegenständen und stillgelegten Fahrzeugen lag hier alles umher - oder war teilweise sogar halbherzig vergraben. Woche um Woche, Monat um Monat trat etwas Neues zutage und trieb die Kochs zur Verzweiflung. Irgendwann war diese Baustelle dann zwar doch endlich abgehakt, aber es dräute bereits neues Ungemach am Horizont. Sinkende Fleischpreise, vermehrte Trockenheit, versiegende Brunnen, Viehkrankheiten; alles, was eben so passieren kann. Doch all das meisterten die beiden, hielten ihren Betrieb aufrecht – wenn auch unter großen Anstrengungen. Nach Jahrzehnten des ungewissen Aufs und Abs musste deswegen ein zweites Standbein geschaffen werden: fünf in der Region ansässige Farmer schlossen sich zusammen und setzten auf die Schönheit ihrer Landschaft, die unberührte Natur und den hoffentlich damit einhergehenden Tourismus. Dieses Unterfangen war allerdings nicht ganz ohne Risiko - Grund hierfür waren unter anderem die namibischen Dimensionen, die in keinster Form mit deutschen Größenordnungen zu vergleichen sind. Zur Verdeutlichung: in Bayern, auf den saftig grünen Weiden des Alpenvorlands, benötigt ein Rind zirka einen Hektar, um das ganze Jahr über satt zu werden. In Namibia hingegen muss hierfür die 40- bis 50-fache Fläche zur Verfügung stehen. Zwackt man nun von einem namibischen Farmgelände die Hälfte ab, um dieses Gebiet der Natur zu überlassen, reduziert sich der mögliche Großviehbesatz natürlich ebenfalls um die Hälfte, die Risiken allerdings verdoppeln sich, denn der geringe Flächenertrag lässt ab einer bestimmten Weidegröße keinen Spielraum mehr zu. Zum zweiten muss diese neue Brachfläche baldmöglichst „touristenattraktiv“ werden. Das jedoch geht extrem langsam vonstatten, anders als bei uns, wo wir wesentlich regenreichere, üppigere Wachstumsperioden gewohnt sind. Und dann ist da noch der dritte Punkt: stellt ein Bauernhof in Bayern auf Tourismus um, so ist bereits eine gewisse gästefreundliche Infrastruktur vorhanden: eine schöne Aussicht auf die Alpen, ein nettes Gewässer in der Nähe, ein paar bereits existierende Wanderwege und zahlreiche kulturelle Attraktionen im Umkreis von höchstens 50 Kilometern. Der bayerische Bauer verkauft seine Rinder, während die des Nachbarn weiterhin gar pittoresk das Panorama schmücken und gleichzeitig den Gast in rustikal-ländliche Stimmung versetzen. Den Erlös steckt er direkt in den Umbau der Stallungen, in denen künftig die Gäste wohnen werden; Wohlfühlambiente pur - Essen, Heizung, fließend Wasser und eventuell auch noch das, was man heute Spa-Bereich nennt, inklusive.

Pilze auf Termitenhügel
Asclepia im Gartenbeet
Asclepia (Cristate-Form)











Der namibische Farmer hingegen muss sich die gesamte Infrastruktur selbst basteln. Die schöne Aussicht ist zwar bereits da, aber mit vorhandenen Attraktionen wie Gewässern, Wanderwegen und naheliegenden Sehenswürdigkeiten sieht es eher schlecht aus, umbaubare Stallungen gibt es in der Regel nicht und fließend Wasser ist ebenfalls ein rares Gut. So muss also etwas geschaffen werden, mit dem man punkten kann. Und sind sind Ruhe, Stille, Abgelegenheit, schöne Unterkünfte, üppige Verpflegung (wenn gewünscht), unberührte, malerische Landschaft, geführte Touren zu Fuß, zu Pferde oder mit dem kommoden Geländewagen, interessante Wildtiere oder, wie in diesem Fall, faszinierende Pflanzen. Das meiste davon muss aber, wie gesagt, erst ins Leben gerufen, gebaut, angesiedelt oder zugekauft werden oder es muss eben von alleine gedeihen - doch das braucht Engagement, viel Geld und noch mehr Zeit. Plus der Zeit, bis sich so etwas bei Touristen herumspricht und es zu florieren beginnt; oder eben auch nicht. Ich will hier nicht den bayrischen, auf Tourismus umsteigenden Landwirt als denjenigen darstellen, dem alles in den Schoß fällt, beileibe nicht, aber im Vergleich zum namibischen Farmer sind dessen Voraussetzungen ungleich günstiger...

Aus Frau Kochs Steinesammlung
Beweideter Farmteil
Blepharis mitrata











Lange Rede, kurzer Sinn: Familie Koch hatte es nicht einfach und Tiras ist, auch nach den langen Jahren der Umstellung, noch immer keine selbstlaufende Goldgrube, zumal immer wieder eine neue Herausforderung hinzukommt. Neulich erst musste zum Beispiel ein neuer Brunnen erschlossen werden, um die Wasserversorgung sicherzustellen: da die Geologen nicht zuverlässig weiterhelfen konnten, zog man altes Wissen heran und engagierte einen kundigen Wünschelroutengänger, der eine lohnende Bohrstelle ausfindig machte. Eine Bohrung erfolgte und man stieß in einer Tiefe von über 140 Metern tatsächlich auf das ersehnte Nass, eine verheissungsvolle Quelle. Ein unvorstellbarer technischer und finanzieller Aufwand für etwas, was in unseren Breiten halt einfach „aus der Leitung“ kommt.

Sieht stechfreudig aus!
Ist sprungfreudig...
Sieht uns mit’m A... nicht an...











Apropos aus der Leitung: in Deutschland flackert ja so manche Auswanderer-Soap über den Fernseh-Bildschirm und ich wundere mich stets über die Unbedarftheit (und das ist gelinde ausgedrückt) einiger Umsiedler. Ohne Sprachkenntnisse, ohne finanzielles Polster begeben sich diese Dünnbrettbohrer in Länder, die sie maximal aus dem Urlaub kennen und wundern sich dann, wenn sie scheitern. Solche Leute sind echt zu dumm für diese Welt! Nun habe ich persönlich zwar noch nie mit dem Gedanken gespielt, mein Heimatland dauerhaft zu verlassen, würde es aber im Falle eines Falles sicherlich anders anpacken. Nach dem heutigen Gespräch erst recht – denn meine zugegebenermaßen durchaus existenten, immer noch leicht romantisierten Vorstellungen vom Leben in der Stille und Abgelegenheit namibischer Farmen wurden hiermit in ein deutlich realistischeres Licht gerückt. Deshalb kann ich jedem potenziellen Auswanderer nur dringend raten, sich gut über sein Traumland zu informieren und, wie wir heute, vorab ein bisschen hinter die Kulissen zu spähen.

Euphorbia namibensis
Euphorbia namibensis - Blüten
E. namibensis - Samenstände











Und auch, wenn diese Hintergrundinformationen meinen weiteren Lebensplan nicht nachhaltig beeinflussen werden, so finde ich die Schilderungen doch mehr als interessant. Stundenlang könnte ich noch zuhören, aber es ist bereits Mittag und wir möchten Familie Koch nun wirklich nicht weiter von ihrem Tagwerk abhalten. Herzlich verabschieden wir uns deshalb nach zwei erquicklichen und informativen Stunden der Plauderei, verlassen das gastfreundliche Ehepaar und schicken uns bereits an, wieder ins Auto zu steigen, als Frau Koch uns nochmal hinterhereilt. „Stopp, stopp, jetzt hätte ich beinahe vergessen, euch etwas zu zeigen.“ Geheimnisvoll zwinkernd schleust sie uns auf eine trockene Wiese hinter dem Haus, bückt sich, hält das Gras beiseite und präsentiert uns eine Euphorbia namibensis - und noch eine und noch eine! Na, das sind aber schöne Abschiedsgeschenke, diese kleinwüchsigen, caudiciformen Wolfsmilchgewächse, die nur in Namibia vorkommen! Und blühen tun sie auch noch. Wir freuen uns unheimlich, sie gezeigt bekommen zu haben und versprechen Frau Koch, die offenbar gar nicht so dringend zu ihren täglichen Aufgaben zurückkehren möchte, morgen nochmal wiederzukommen, bevor wir endgültig weiterziehen. „Ja, das hoffe ich, ihr habt nämlich noch nicht bezahlt!“ Ups, das haben wir vor lauter Unterhaltung jetzt wirklich völlig vergessen! Aber ein guter Grund, den Abschied noch einen halben Tag hinauszuzögern!















Mit dieser Gewissheit ziehen wir nun frohen Herzens von dannen, überqueren erneut die C13 und lassen uns zu einem ausgedehnten Mittagspäuschen auf unserem Camphügel gemütlich nieder. Erst, als die Sonne ein wenig tiefer steht und die Temperaturen etwas angenehmer werden, machen wir uns wieder auf den Weg, um auf eigene Faust den unbewirtschafteten Westteil der Tiras-Farm zu erkunden. Und diesmal hat Jochen das Sagen: er will Schildkröten sehen! Gesagt, getan. Lange kurven wir zwischen malerischen Felsformationen umher, bis wir schließlich eine Gegend vorfinden, die uns vielversprechend erscheint: ein etwa fußballfeldgroßes Areal, eingebettet in wogende Wiesen trockenen, goldgelben Grases, ist übersät mit kleineren Gesteinsbrocken, mal locker gestreut, mal dichter gestapelt. Ideales Gelände für Schildkröten! Erwartungsvoll schwärmen wir aus. Jochen aber ist der einzige, der seinen Plan strikt weiterverfolgt; wir anderen hingegen verlieren uns bereits nach wenigen Minuten im Zauber der Landschaft, der Vielfalt der die Steine bevölkernden Eidechsen und der Aloen, die hier in großer Anzahl üppig gedeihen. Meine Güte, ist das ein paradiesischer Ort! Wir schwelgen und genießen, die Nase mal gen Himmel, mal gen Boden, meist aber in die zauberhafte Weite gerichtet. So lange, bis Jochen tatsächlich eine Schildkröte gefunden hat und dies laut kundtut. Aufgeregt eilen wir herbei und beugen unsere Köpfe unter einen niedrigen Felsvorsprung, unter dem wirklich eine kleine Zeltschildkröte sitzt und vor Schreck über ihr Entdecktwerden den Kopf eingezogen hat. Nur ein dünner Grashalm ragt noch unter dem Panzer hervor und bewegt sich hin und wieder ganz sachte.

Psammobates tentorius
ssp. verroxii
Lucky Luke...
...traut sich heraus!











Jetzt heißt es geduldig sein! Nach langen Minuten des Stillhaltens in bandscheibenquälender Beugehaltung schließlich zahlt sich unsere Bewegungslosigkeit aus - die Schildkröte reckt Millimeter für Millimeter ihren Kopf aus ihrem mobilen Häuschen und blickt sich unsicher um. In ihren Augen - und die können sehr gut sehen - scheint die Luft rein zu sein, denn sie reckt nun mutig alle Extremitäten aus dem Panzer und kaut weiter an ihrem Grashalm. „Die sieht ja aus wie Lucky Luke!“, quiekst Annette, was sich als Fehler erweist, zumindest aus akustischer Sicht, denn, schwupp, schon hat sich der gepanzerte Cowboy wieder in den Schutz seiner Schildpatt-Höhle zurückgezogen. Ja, man traut diesen Reptilien so manches nicht zu, denn sprichwörtlich stehen sie für Langsamkeit und Unbeholfenheit. Doch die kleinen Scheißer sind schneller als man denkt und haben zudem auch noch sehr ausgeprägte Sinne: sehen, hören, riechen - kein Problem; teilweise übertreffen sie sogar uns Menschen, die wir ja die selbst ernannte Krone der Schöpfung sind. Wir vier Schöpfungskronen zollen nun der Schildkröte unseren Respekt, indem wir sie wieder in Frieden lassen und uns weiter auf dem Farmgelände umsehen, wo noch weitere, höchst attraktive Aus- und Einblicke auf uns warten. Goldgelb wogende Wiesen, niedrige, grün belaubte Bäumchen, markante Euphorbien, formschöne Baumaloen, deren Rinde samtig im Sonnenlicht glänzt, kleine Pflanzenpölsterchen, deren stachelige Triebe von hübschen Blüten geschmückt werden und immer wieder - Felsformationen, Felsformationen, Felsformationen. Diese aufeinander getürmten Riesensteine in den aberwitzigsten Formen sind hier wirklich fast überall zu finden. Und man kann sie rational betrachten und über deren Statik, Entstehungsgeschichte oder Zerfallsrate rätseln, man kann sie aber auch einfach genießen, wie sie sind: wunderschön, ungewöhnlich, bizarr, farbenfroh, warm leuchtend - und manche von ihnen haben sogar Gesichter.

Mussolini himself
Mussolini-Gruppe
Euphorbia avasmontana











So auch die fast wahrzeichenhafte „Mussolini“-Gruppe, eine Ansammlung runder, antlitztragender Köpfe, die beinahe körperhaften Steinleibern aufsitzen, einem pittoresken Haufen von Felsen, der einer Gruppe tuschelnder Menschen mit hoch erhobenen Häuptern gleicht. Und sogar die Mimik funktioniert! Die rasch sinkende Abendsonne zaubert Licht- und Schattenreflexe, die so lebendig wirken, dass man fast glaubt, die Gruppe wirklich reden hören zu können. Ach Leute, hier muss man doch bekloppt werden! Doch bevor uns dieses Schicksal ereilt, kommt uns die untergehende Sonne zuhilfe: sie lässt Mussolini und seine Freunde in harten Schattenwürfen mimisch erstarren, mahnt uns gleichzeitig zur Heimkehr und lässt uns, der abendlichen Kühle sei Dank, gepflegt erschaudern. Rasch kehren wir im letzten Sonnenlicht zu unserem Übernachtungshügelchen zurück, lassen uns dort zufrieden und glücklich nieder und genießen unseren letzten Abend auf Tiras, unseren letzten Abend im Herzen der Sukkulentenkaroo. Morgen geht es dann in den Namib-Naukluft Nationalpark und unsere Umgebung, unser Fokus wird sich ändern. Zumindest ein bisschen. Wir freuen uns sehr darauf und beenden, uns und unseren Köpfen zuliebe, den Abend heute etwas früher als gestern, denn schließlich haben wir bald wieder richtig Pad vor uns...




Weitere Impressionen des Tages:

Eidechse mit verheilter Verletzung
Rote Füße, roter Schwanz
Baum mit Webervogelnest












Aloe hereroensis
var. hereroensis
Aloe hereroensis
var. hereroensis
Aloe hereroensis
var. hereroensis
















Aloe hereroensis
var. hereroensis














Aptosimum sp.
Barleria rigida
Argemone ochroleuca












Schildkrötenwatching
















Euphorbia avasmontana




























Aloe dichotoma
Aloe dichotoma











Aloe dichotoma
Aloe dichotoma
Der Mond geht schon auf!












Heinz auf Ansitz
Aloe hereroensis
Argemone ochroleuca
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Aloe dichotoma
Aloe dichotoma
Aloe dichotoma
Aloe dichotoma
















P. tentorius
E. avasmontana

25. März 2013; Tiras Farm > Namib-Naukluft NP

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Im ersten Sonnenlicht bereits krabbeln wir aus unseren Betten und finden uns zum Frühstück zusammen, das wir heute etwas kürzer halten. Trotzdem genießen wir ein letztes Mal die herrliche Rundsicht, bevor wir uns ans Packen machen. Wir sind ja routinierte Camping-Lagerräumer und wundern uns deshalb mal wieder, wie viel Zeug man in einer kleinen, festen Unterkunft so verteilen kann, auch wenn man nur zwei Tage und Nächte dort verweilt. Ist noch was unter den Betten? Ach, der Waschbeutel hängt noch an der Tür! Schneck, hast du dein Kissen eingepackt? Schließlich aber sind wir sicher, nichts vergessen zu haben, tragen unsere Habseligkeiten nach draußen und machen uns an den Abbau der „Küche“ und des mobilen Wohnzimmers. Dann wird alles auf und ins Auto gestapelt, und, nach einem letzten Kontrollblick, sind wir endlich abreisebereit. Schwer beladen rumpeln wir unseren trauten Hügel nach unten und besuchen ein letztes Mal Frau Koch, um die Rechnung zu begleichen. Die finanzielle Transaktion erfolgt schnell und schmerzlos, der Abschied hingegen dauert ein wenig: auf unserer Sukkulententour hatten wir ein paar Pflanzen gesehen und über deren Namen gerätselt; Frau Koch ist deshalb nochmal durch ihre unzähligen Ordner gegangen, ist fündig geworden und hat alles für uns notiert. Dann zeigt sie uns noch ein paar besondere Stücke ihrer Steinesammlung, bittet uns um Fotos der ein oder anderen Pflanze. Fast enttäuscht stellt sie schließlich fest, dass nun alles gesagt, ausgetauscht und besprochen ist - sogar die Namibensis-Euphorbien haben wir gestern schon gesehen. Ja, und nicht nur ihr fällt der Abschied schwer...

Doch so gerne wir auch noch geblieben wären, langsam wird es trotzdem echt Zeit, unsere heutige Fahrstrecke in Angriff zu nehmen, die uns weiter hinauf nach Norden führen wird. Es ist beileibe keine monströse Etappe, im Gegenteil, aber wir würden gerne zeitig in dem malerisch gelegenen Camp am Naukluft-Fluss eintreffen, um den Nachmittag dort gebührlich genießen zu können. Und nach einer herzlichen Umarmung mit Frau Koch ist es so weit: wir tuckern los.

Nach einer halben Stunde allerdings ist bereits der erste Stopp angesagt, da wir, wie sollte es auch anders sein, mal wieder ein paar Besorgungen machen müssen. Nun sind auf unserer heutigen Route Ortschaften nicht gerade reichlich gesät, weswegen wir nicht wählerisch sein dürfen - wir versuchen unser Glück darob zunächst in Helmeringhausen. Dort jedoch suchen wir nicht nur das Glück vergebens, auch ein vernünftiger Laden ist nicht zu finden. Der einzige Gemischtwaren-Shop vor Ort, in dem wir eigentlich Brot erstehen möchten, hat Selbiges zwar in Form von labberigem Toast im Angebot, aber Annette verschmäht die inhaltslosen Weißmehlscheiben, da sie gerne etwas Vollkorniges hätte und zudem das Zahnlosen-Brot für hoffnungslos überteuert befindet. Wo sie recht hat, hat sie recht! So kehren wir dem Kaff Helmeringhausen unverrichteter Dinge den Rücken und hoffen, nach Konsultation der Karte, auf eine größere Ortschaft namens Maltahöhe, die mit einem vertrauenerweckenden mittelgroßen Punkt im Plan eingezeichnet ist. Hier werden wir unsere Einkaufsliste sicher schnell und zufriedenstellend abarbeiten können, so sagt uns unser Gefühl. Tja, so etwas kann man nur fühlen, wenn man noch nie in Maltahöhe gewesen ist. Dazu aber später...

Hoffnungsfroh fahren wir also weiter, durchqueren ein großes, landwirtschaftlich genutztes Gebiet, das kaum Highlights zu bieten hat. Eines jedoch gibt es schon - Schloss Duwisib. Dieses seltsame Kolonialbauwerk, eingebettet in sanfte Hügelketten, nötigt uns zwar einen kleinen Umweg ab, aber wenn wir schon mal in der Nähe sind, wollen wir uns das burgartige Kuriosum eben auch nicht entgehen lassen. Wir verlassen die Hauptstraße Richtung Norden, schwenken gen Westen und stehen, zwanzig Minuten später, tatsächlich vor dem Schloss, das seine Türme trotzig gen Himmel reckt. Einerseits wirkt es irgendwie wie ein Fremdkörper, fügt sich aber andererseits dennoch erstaunlich homogen in seine Umgebung ein. Erstaunlich ist aber nicht nur das Bauwerk selbst, ein im Stile des Historismus gestaltetes Fort aus dunkelroten Backsteinen mit Zinnen, Wehrtürmen und schießschartenartigen Fenstern auf zwei Gebäudeseiten. Seine Entstehungsgeschichte ist noch viel bemerkenswerter: ein sächsischer Artillerieoffizier namens Hansheinrich von Wolf verlor sein Herz an das Land, in dem er während des Hereroaufstandes als Offizier der deutschen Schutztruppen stationiert war und träumte davon, sich nach Beendigung seines Einsatzes hier dauerhaft niederzulassen. Während eines Heimaturlaubs ehelichte er praktischerweise eine vermögende Amerikanerin, deren finanzieller Background diesen Traum in greifbare Nähe rückte: der gute Herr von Wolf erwarb mit dem Geld seiner ihm angetrauten Ehefrau Jayta zunächst lediglich diverse Farmen, unter anderem auch die Farm Duwisib. Dann legte er richtig los: er beauftragte einen damals sehr renommierten Architekten, der sich bereits mit dem Bau der Schwerins-, der Heinitz- und der Sanderburg in Windhoek einen Namen geschaffen hatte, mit dem Bau seines eigenen Traumhauses.

Duwisib Castle
Eine Gedenktafel muss sein!
Waben-Bauherren











Um das Ganze stilgetreu errichten und auch einrichten zu können, ließ er im Folgenden Berge von Baumaterialen und Möbel aus der deutschen Heimat herbeischaffen. Man stelle sich diesen Aufwand mal bildlich vor! Da werden Tonnen von Backsteinen, Holz, Schränken, Betten, Tischen, Stühlen, Bildern, Kronleuchtern und anderem Kram per Schiff von Deutschland nach Namibia transportiert, um anschließend mit Ochsenkarren querfeldein, durch unwegsamstes Gelände, an den Ort des Geschehens verfrachtet zu werden. Ein unvorstellbarer Aufwand, eine unvorstellbare Schinderei! Aber Herr von Wolf verfolgte sein Ziel mit aller Konsequenz und stand schließlich, im Jahre 1908, vor den Früchten seiner Hartnäckigkeit - Schloss Duwisib. Leider ist nicht überliefert, ob wirklich alles seinen Vorstellungen entsprach, ob er die Zeit auf seiner Ritterburg gebührlich genoss und erst recht nicht, was die holde Gattin zu der ganzen Sache sagte. Man weiß nur, dass der Burgherr eine erfolgreiche Pferdezucht auf Duwisib etablierte und sich nicht nur Freunde machte, als er zu deren Ausbau immer noch mehr Land erwerben wollte. Sechs Jahre später allerdings war der Traum vom Leben in Deutsch-Südwest zu Ende: der erste Weltkrieg brach aus, von Wolf wurde während einer Schiffsreise in Südamerika interniert, floh nach Deutschland, meldete sich zum Kriegsdienst und fiel zwei Jahre darauf an der Front in Frankreich. Die amerikanische Witwe, die ihrem Gatten nach Deutschland gefolgt war, kehrte nie nach Duwisib zurück; vielmehr verkaufte sie das gesamte Anwesen, aus welchen Gründen auch immer, und kehrte der alten Welt für alle Zeiten den Rücken. Eine spannende, eine traurige, eine seltsame Geschichte, die ein wenig greifbarer wirkt, wenn man, wie wir jetzt, direkt vor der Burg steht.

Heliotropium sp.
Gomphocarpus fruticosus
Gomphocarpus fruticosus











Heute ist Duwisib in Staatsbesitz, stilgetreu renoviert fungiert es als Museum und kann von jedermann besichtigt werden. Also auch von uns. Trotzdem begnügen wir uns mit der Begutachtung von außen. Unsere Beweggründe allerdings könnten unterschiedlicher nicht sein: Jochen und Annette ist der Eintritt zu teuer – 60 Nam-Dollar für eine tote Immobilie samt antikem Interieur, das muss für die beiden nicht sein. Heinz würde die Gebühr zwar berappen, ist aber ebenfalls nicht sonderlich interessiert. Und ich will nicht rein, weil ich ernsthafte Befürchtungen hege, anschließend hier einziehen zu wollen. Alte Gemäuer und antike Möbel sind ein extrem gefährliches Pflaster für mich - was ich nicht sehe, kann ich also auch nicht begehren... Folglich verzichten wir allesamt auf einen kostenpflichtigen Zutritt zu den heiligen Hallen und lassen stattdessen die historische Stätte von außen auf uns wirken. Und auch da gibt es Interessantes zu sehen. Zum Beispiel die riesigen rotbraunen Wespen, die sich in den Fensterstürzen der Westfenster von Duwisib ihre eigenen Festungen bauen und dabei bedrohlich summen.

Heinz und ich bewundern gerade die filigranen Waben, die die großen Insekten mit höchster Präzision errichten, als auch vom Parkplatz ein bedrohliches Summen, oder sollte ich besser sagen, Geschnatter, erklingt. Oh je, ein Reisebus! Als dieser seinen Inhalt in Form von recht betagten Herrschaften auf das Schlossgelände entleert, ergreifen wir die Flucht. Genug gesehen! Rasch düsen wir zurück auf die Hauptstraße und erreichen eine knappe Stunde später das verheißungsvolle Örtchen Maltahöhe, wo uns bereits am Ortseingang ein fulminanter Empfang bereitet wird: eine Horde maximalpigmentierter Knirpse beiderlei Geschlechts wirft Steine auf unser Auto! Erschrocken drücken wir auf die Tube und entfliehen unbeschadet dem Steinhagel, um gleich darauf auf Maltahöhes Hauptverkehrsader zu stoßen. Diese ist vom Erscheinungsbild eines Prachtboulevards allerdings so weit entfernt, wie der Nord- vom Südpol! Staubig, dreckig, voller Abfall und auf beiden Seiten von herumlungernden Menschen gesäumt, die uns nicht gerade freundlich entgegenblicken. Heiligs Blechle, wo sind wir denn hier gelandet? Aber da müssen wir jetzt wohl durch... Vorsichtig fahren wir, in gebührlichem Abstand zu den Lungerern, immer der Nase nach und scannen dabei beide Straßenseiten nach Geschäften ab. Hah, einen Getränkehändler hätten wir schon mal gefunden, fehlt also nur noch ein Supermarkt! Wir kucken uns die Augen aus dem Kopf, haben aber immer noch nichts Brauchbares gesichtet - auch nicht, als wir bereits das andere Ende von Maltahöhe erreicht haben. Umdrehen, ab zum Drankwinkel, fragen.

Gesagt, getan. Annette jedoch kommt verzweifelter Miene wieder aus dem Bölkstoff-Shop zurück. „Die sprechen da nur Afrikaans, ich hab kein Wort verstanden, nur, dass es einen Supermarkt gibt, aber der hat heute nicht offen.“ Ich kann das fast nicht glauben. So ein großer Ort und kein offener Supermarkt? Ist heute Sonntag? Nein, nicht wirklich... Seufzend bringe ich meinen afrikaansen Wortschatz geistig auf Vordermann und entere beherzt den Getränkeladen, beziehungsweise die angegliederte Fastfood-Bude, in der Annette vorher gescheitert war. Bevor ich nun meinen vorformulierten afrikaansen Fragesatz vom Stapel lasse, grüße ich erst mal auf englisch. „Good afternoon, Lady! What can I do for you?“, schallt es mir auf angelsächsisch entgegen. Verdutzt erkläre ich mein Anliegen, ebenfalls auf englisch, und erhalte eine sehr detaillierte Auskunft bezüglich der Situation vor Ort; nebst des verwunderten Statements, dass er gerade eben genau das einer anderen Dame erklärt hätte! Annette? Egal! Ich habe jetzt die Informationen, die wir brauchen und verlasse, mich herzlich bedankend, die Frittenstube. Also: es gibt einen Supermarkt, der allerdings hat momentan noch geschlossen, öffnet seine Pforten aber in einer halben Stunde und führt, darauf legte der Frittenmensch besondere Betonung, lediglich Waren zur Grundversorgung der nahezu autarken Landwirte aus der näheren und ferneren Umgebung. Vor meinem geistigen Auge sehe ich Zentnersäcke voller Reis, riesige Zuckertüten, schwergewichtige Salzbeutel und kiloschwere Nudelpakete... Annette hingegen ist zuversichtlich bis schwer begeistert und nutzt die Wartezeit, einige Paletten Bier im Getränkemarkt zu kaufen, vor dem wir ja ohnehin schon rumstehen. Dann fällt ihr ein, dass sie ja auch noch Zigaretten braucht. Und was nun folgt, ist eine Geschichte für sich. Man stelle sich ein Tabakwarenregal der selbstgezimmerten, besonders bedienungsfreundlichen Art vor: die Kippenschachteln sind liegend übereinander in vergitterten Schächten angeordnet - man sieht rein, kann aber nur jeweils eine Schachtel von ganz unten entnehmen, worauf der gesamte Stapel nachrutscht. Wird diese Schachtel jedoch nicht gekauft, muss der Chef informiert werden, der dann mit seinem Masterschlüssel das Gitter öffnet, um das Päckchen oben wieder in den Stapel einfügen zu können. Annette will nun ein paar Schachteln Lights erwerben, und tut das kund. Der schwarze Verkäufer versteht nicht. „Light, light, blue box!“, verdeutlicht Annette und deutet auf ihre eigene, fast leergerauchte Schachtel. Der Typ hinter dem ebenfalls vergitterten Tresen stürmt erleichtert zum gitterbewehrten Regal, entnimmt wahllos eine blaue Schachtel und präsentiert sie seiner Kundin. Ja, die Verpackung ist blau, der Inhalt aber alles andere als leicht. Annette läßt die Kippen zurückgehen. „Not light, I need light! Blue box!“, insistiert Annette. Der Verkäufer schleppt erneut eine blaue Schachtel herbei, diesmal aus einem anderen Stapel. Wieder der falsche Griff. So geht nun das Spiel, bis alle blauen Verpackungen, einzeln herbeigetragen, als ungeeignet zurückgewiesen wurden. Der Verkaufsknabe ist verzweifelt, genervt, verunsichert, alles gleichzeitig.

Annette ebenso. Deshalb entscheidet sie sich für eine Sorte, deren Werte sie gerade noch für rauchbar hält und ordert fünf Packungen, die der Verkäufer aufatmend herbeischafft. Als er sie auf den Tresen legt, inspiziert Annette aus der Ferne aber gerade das Regal und entdeckt etwas ihr Bekanntes. „No, I take five of the red ones on the left side, please!“, sagt sie entschlossen. Der arme Verkäufer versteht die Welt nicht mehr. Ungläubig hakt er nach, aber es bleibt bei den roten. Und jetzt verliert er die Contenance: schimpfend und vor sich hinbrabbelnd bringt er die gewünschten Zigaretten und knallt sie auf den Tresen. Annette hingegen ist sich keiner Schuld bewusst, bezahlt, steckt die Kippen ein und geht. Jetzt muss der Verkäufer jedoch seinen Chef bitten, das Regal aufzusperren, damit er das Chaos wieder verräumen kann und davor scheint er ein wenig Angst zu haben. Kein Wunder, denn die Geschichte klingt in Jemandes Ohren, der nicht live dabei gewesen ist, doch ein bisschen unglaubwürdig...

Wir aber lassen den bedauernswerten Knaben mit seinen Sorgen und dem Schachtelchaos mitleidslos zurück, schlichten uns ins Auto und rücken zum einzigen Supermarkt des Ortes vor, der sich rund 500 Meter vom Kippenladen entfernt, auf der anderen Seite der Straße befinden soll. Das Gebäude, das uns beschrieben wurde, steht tatsächlich dort, hat auch gerade seine Pforten geöffnet, sieht jedoch nicht wie ein Supermarkt aus. Hinter dieser grünen Fassade mit verklebten Fenstern würde ich eher eine Niederlassung der BayWa, einen landwirtschaftlichen Bedarfshandel oder einen Landmaschinenhändler vermuten, nicht aber ein Geschäft, in dem man Lebensmittel erwerben kann. Na ja, wir werden sehen. Annette und Jochen stürzen sich in das zu erwartende Abenteuer, während Heinz und ich als Aufpasser beim Auto bleiben - eine Vorsichtsmaßnahme, die in dieser wenig vertrauenerweckenden Ortschaft nicht schaden kann. Nach einer halben Stunde des aufmerksamen Beobachtens unseres Gefährts und der Umgebung, kehren unsere beiden Freunde schließlich mit fast leeren Händen wieder. Ihrer Beschreibung nach entsprachen nämlich meine anfänglichen Visionen von den zentnerschweren Reissäcken tatsächlich der Realität. Wie der Frittenmensch schon angekündigt hatte: ein Markt zur Versorgung der Landwirte, die fast alles selbst herstellen, den Rest aber dann alle zwei Monate im Großpack zukaufen. Tja, Pech gehabt. Nicht mal Brot gab es zu kaufen. Hätten wir doch mal die überteuerten Labberschnitten aus Helmeringhausen mitgenommen! Aber jetzt muss eben Plan B in Kraft treten, der vorsieht, dass wir selbst backen müssen. Das wollten wir zwar vermeiden, weil das Camp am Naukluftfluss zum konsequenten Nichtstun verführt, aber es nützt nichts - wir haben absoluten Brot-Notstand. Um diesen baldmöglichst zu beheben, klettern wir wieder ins Auto und verlassen dieses ungastliche Kaff, um rasch das Camp zu erreichen, Brot zu backen und den Rest des Nachmittags gebührlich und untätig zu genießen.





























Gen 14 Uhr erreichen wir schließlich das Gate zum Naukluft Nationalpark, erledigen rasch alle Formalitäten und freuen uns nun riesig, fast angekommen zu sein. Nur noch wenige Hügel und Kurven trennen uns vom gluckernden Naukluft und dem ersehnten Camp, dessen terrassenartiger Aufbau nebst der Großzügigkeit der Plätze fast immer ein Garant für von etwaigen Nachbarn ungestörten Camperfreuden ist. Fast immer. Diesmal jedoch empfängt uns eine größere Gruppe von Südafrikanern, die sich rund ums Waschgebäude niedergelassen hat und mit gefühlten zehn, sehr lautstarken Kompressoren und Generatoren alles mit Luft befüllt und betreibt, was der campende Südafrikaner eben so an Komfortutensilien benötigt. Ach, nööö! Zitronig grüßend kurven wir durch das ausufernde Lager der lärmenden Ausrüstungswahnsinnigen und begeben uns hinunter ans Flussufer. Dort sind die Sites zwar etwas kleiner und man muss sage und schreibe zehn Höhenmeter über Treppen nach oben steigen, um die Sanitärgebäude zu erreichen, dafür aber ist es, so direkt am Wasser, umso lauschiger. Und lärmende Nachbarsgruppen muss man dort auch kaum befürchten, denn weder die Platzgrößen noch der unvermeidliche Notdurfts-Aufstieg entsprechen den bequemen Vorstellungen solcher Zeitgenossen. Und unsere Rechnung geht auf. Hier unten ist weit und breit niemand zu sehen. Wir lassen uns sicherheitshalber zusätzlich in größtmöglicher Luftlinienentfernung von unseren Mitcampern nieder und sitzen erst mal eine Stunde gemütlich und untätig am Flussufer herum, bevor wir unser Lager errichten und das Feuer zum Brotbacken anheizen. Bis die Glut so weit ist, dauert es ja noch...

Zwiesprache
Onychgnathus nabouroup
Onychgnathus nabouroup











Und wir genießen weiter. Der Naukluft gluckert heimelig, ausladende Bäume beschatten unsere Häupter und, während wir unsere Seelen in dieser Idylle baumeln lassen, werden wir zudem noch von zahlreichen Vögeln besucht. Neugierig beäugen sie uns aus dem Geäst der Uferböschung, zutraulich umhüpfen sie unser Auto, unsere Ausrüstungsgegenstände und unsere Füße, immer auf der Suche nach etwas Fressbarem. Dahingehend haben wir zwar noch nicht viel zu bieten, weil das Brot ja erst gebacken werden muss, nichtsdestotrotz scheinen wir, beziehungsweise unser Equipment, ungeheuer interessant zu sein. Als besonders neugierig fällt uns hierbei eine Starendame auf, die ohne jegliche Scheu wirklich alles genauestens in Augenschein nimmt und uns dabei immer wieder fordernde Blicke zuwirft. Ihr Gatte hingegen, der etwas schüchtern in einem Busch neben der Campsite sitzt, beobachtet das Tun seines Weibchens recht sorgenvoll und zwitschert dabei verzagt vor sich hin. Aber sie lässt sich davon nicht beeindrucken und landet schließlich sogar beherzt neben meiner Hand, die herrlich untätig auf der Armlehne meines Stuhles liegt. Als ich sie vorsichtig bewege, legt das Starenweibchen ohne Erschrecken seinen Kopf schief, pickt einmal probehalber in meinen Zeigefinger und flattert anschließend enttäuscht davon. Der Starengatte ist zutiefst erleichtert - und wir freuen uns über die Inbrunst, mit der er seine vorwitzige Frau begrüßt. So läßt es sich hier aushalten: einfach dasitzen, die Idylle genießen und sich von solch kleinen Szenen im Bush-TV erheitern lassen!

Naukluft-Berge
Boophane disticha:
trockener Blütenball
Der grüne Saum des Naukluft











Langsam aber kommen auch wir wieder in die Gänge, denn die Glut macht gute Fortschritte und ist bald bereit fürs Brot. So also bereiten wir den Teig zu, decken ihn für die erforderliche Ruhephase vogelsicher ab und und verbringen die restliche Wartezeit mit der Inspektion des dicht bewachsenen Flussufers auf unserer Seite. Üppig gedeiht hier raschelndes Schilf und blühende Wasser-Minze, Libellen gleiten lautlos zwischen den Pflanzen umher, Bienen summen, Käfer brummen und in kleinen, seichten Wasserbecken glitzern winzige Fischlein. Das gegenüberliegende Ufer hingegen ragt steil auf und ist relativ kahl - nur über die obere Kante hängen lange Sarcostemma-Triebe, die in der leichten Brise wie grüne Spaghetti an den roten Felsen baumeln. Und Heinz' scharfe Augen haben noch etwas entdeckt: eine Boophane! Dieses hochgiftige Amaryllis-Gewächs besteht aus einer Bulbe, der außerhalb der Ruhephase ein Schüppel grüner, leicht kräuseliger Blätter in Fächerform entwächst. Natürlich kann die bizarre Pflanze auch blühen - sehr eindrucksvoll sogar - doch dieses Glück ist uns leider nicht beschieden. Heinz aber will die Boophane trotzdem besuchen und überquert deshalb zielstrebig den seichten Naukluft, um anschließend noch zielstrebiger den steilen Flusshang wieder nach oben zu klettern. Etwas besorgt beobachte ich die Aktion: im unteren Hangbereich liegt loses Geröll herum, das bei jedem Schritt nach unten poltert, das Gelände ist sehr steil und die Boophane viel weiter oben, als es von hier aus zunächst ausgesehen hatte. Auch Heinz, der mit luftigen, von der Flussquerung nassen Sandalen unterwegs ist, bewegt sich zunehmend vorsichtiger. Schließlich erreicht er sicher die Pflanze und winkt erleichtert zu mir herüber.

Heinz am Objekt
Boophane disticha
Sorgenvoller Blick zu Heinz











Ich winke nicht weniger erleichtert zurück und beobachte dennoch weiter sorgenvoll seine tastenden Versuche, die beste Foto-Position zu finden. Ohne Unfall kriegt Heinz die Bilder in den Kasten, dann aber steht der Rückweg an. Und der ist, wie meist, deutlich schwieriger zu bewältigen, als der Aufstieg. Wie gebannt verfolge ich jeden seiner Schritte, das davonrutschende Geröll, höre die polternden Steine und wünsche mir schließlich nur noch, dass er endlich heil unten ankommen möge. Was er auch tut - verschwitzt, verstaubt und am Stück - Gott sei Dank. Doch darüber bin nicht nur ich froh, auch Heinz gibt zu, dass dies eine doch etwas gewagte Aktion gewesen war, die er ziemlich unterschätzt hatte. Na, welch Einsicht! Hoffentlich ist die auch nachhaltig, denn Heinz tendiert immer wieder gerne zu derart riskanten Ausflügen, die mir die Haare zu Berge stehen lassen...

Ploceus velatus
Bulbe der Boophane
Blattschopf der Boophane











Aber jetzt ist er ja wieder da und putzt sich den Staub vom nach wie vor unversehrten Körper. Also Schwamm drüber, Brot in die Glut, Abendessen zubereiten und einen idyllischen Abend am Naukluft verbringen – und sonst nichts anderes!

26. März, Naukluft NP, Wanderung

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Ah, war das eine angenehme Nacht: der Naukluft gluckerte leise, die Bäume rauschten leicht im Wind und erfrischend kühle Luft drang in unsere Zelte. Dementsprechend sind wir heute besonders früh munter und erholt auf den Beinen. Und natürlich lockt uns zudem das gestern Abend gebackene Brot, das im Auto zum Auskühlen zwischengelagert wurde und nun knusprig und duftend vor uns liegt. Als wir den Laib gestern aus der Glut holten, waren die neugierigen und hungrigen Vögelchen leider schon zur Ruhe gegangen, dafür aber umlagern sie uns jetzt um so gieriger und es ist fast nicht festzustellen, wer sich mehr auf das appetitliche Backwerk freut - wir Menschen oder unsere gefiederten Freunde. Eines jedoch ist ganz sicher: die vorwitzige Starendame vom Vortag, die natürlich auch heute wieder zur Stelle ist, hat unzähmbare Gelüste und vergisst darüber jegliche Restvorsicht, die sie gestern noch an den Tag legte. Heute setzt sie sich gleich auf die Tischkante oder flitzt aufgeregt am Boden umher und pickt mich fordernd in die nackten Zehen. Na gut, du Süße, da hast du was. Ich will ihr gerade ein paar Krumen hinwerfen, entferne aber vorher noch sorgfältig die Streichwurstreste; sie soll ja schließlich keine Magenbeschwerden bekommen. Doch das dauerte ihr wohl zu lange, denn bevor meine Hand zu einem leichten Wurfschwung ausgeholt hat, bin ich die Krumen auch schon los: Madame hat sie höchstpersönlich meinen Fingern entrissen... Hui, die Lady ist aber echt mutig! Mit dieser charmant-gierigen Art jedoch hat sie mich nun vollends geknackt und so teilen wir uns im Folgenden sehr schwesterlich Stulle für Stulle - ein Bröcklein für sie, ein Bissen für mich. Der Starengatte ist ob dieses zutraulichen Verhaltens erneut in höchster Besorgnis und zwietscht aus einem nahegelegenen Ast seine atemlos-verzagt klingenden Ermahnungensmelodien hervor. Vielleicht aber, und das wäre allmählich naheliegend, ist er auch nur besorgt, dass seine ihm Angetraute bald nicht mehr vom Boden hochkommt, so, wie sie sich das Bäuchlein vollschlägt. Bei aller Gier jedoch, so muss ich erstaunt feststellen, ist sie gleichzeitig sehr schleckig: jegliche Restanhaftungen von Käse, Streichwurst und Margarine sind jederzeit willkommen, Aufschnitt, Honig und Beerenmarmelade hingegen werden konsequent durch sorgfältiges Wenden des Brotbrockens im Sande abgestreift. Madame weiß eben, was sie will…

Von allen Seiten belauert...
Streptopelia senegalensis
Ploceus velatus, w.











Irgendwann aber ist auch das leckerste, das gemütlichste, das reichhaltigste Morgenmahl im wahrsten Sinne des Wortes abgefrühstückt. Unter den enttäuschten Blicken der Stärin beenden wir unser Gelage, räumen die begehrten nebst der verschmähten Lebensmittel in den Kühlschrank, streuen die Krümel vom Schneidbrett generös in die Nähe der anderen Vögel und packen das gebrauchte Geschirr ins Auto. Lady Star beobachtet unser Tun so lange, bis sie wirklich glauben kann, dass der Segen nun ernsthaft ein Ende hat und erhebt sich anschließend - laut schimpfend, aber extrem leichtflügelig - in die Lüfte. Der erleichterte Gatte hechtet ihr hinterher und wir sind, zumindest bis zum Abendessen, vergessen. Gut so, denn schließlich haben wir heute noch etwas anderes vor:



Der Beginn des Trails
Die Feige steht noch immer
Der Fluss lebt











Wir möchten den Waterkloof Trail erwandern, besser gesagt, den am Fluss entlang führenden Teil davon. Das ist nun echt keine streckentechnische Herausforderung, aber wir werden wohl trotzdem den ganzen Tag unterwegs sein, denn am und rund um den Fluss gibt es erfahrungsgemäß immer viel zu entdecken. Bevor wir jedoch losmarschieren können, müssen wir noch unsere Zelte ausräumen und offen zurücklassen. Als wir letztes Mal hier waren, hatte man uns der Paviane wegen dazu geraten. Damals hatten wir zwar keinen einzigen gesehen und hielten das lästige Geräume für weitgehend überflüssig - getan haben wir es trotzdem. Heute hingegen haben wir schon Fußspuren der langfingerigen Affen rund um unsere Zelte entdeckt und hören konnten wir sie auch schon. Also gehen wir abermals auf Nummer sicher und entleeren unsere Stoffhäuschen, bevor wir uns endlich auf den Weg machen. Dieser führt uns zunächst über die Komfortterrasse, auf der die Südafrikaner schon wieder heftig und äußerst geräuschvoll räumen. Die Luft, die sie gestern lärmend in ihre Matratzen gepumpt hatten, saugen sie heute nicht weniger laut wieder ab, die Generatoren laufen volle Pulle und verpesten Luft und Stille und, von all dem Packstress in höchster Anspannung, fallen viele laute, scharfe und keifende Worte... Wir sind richtig erleichtert, dass wir diesem Trubel rasch entfliehen können und die unangenehme Geräuschkulisse nach ein paar hundert Metern dem Plätschern des Flusses anheim fällt. Jetzt umfangen uns wieder die beruhigenden Geräusche des Naukluftufers, die uns letztes Mal schon ungemein wohl getan hatten. Raschelndes Schilf, Insektensummen, leises Wassergluckern, im Wind flüsternde Blätter, das Zirpen der Grillen - und lautes Paviangeschrei! Das ist neu, das hatten wir auf der vorigen Tour nicht zu hören gekriegt. Heuer ist überhaupt einiges neu und anders, wie wir schon auf den ersten Metern feststellen: die Ufervegetation präsentiert sich vergleichsweise spärlich, man sieht kaum Schmetterlinge und der Naukluft führt wenig Wasser. Wo wir auf der letzten Tour noch nasse Füsse bekommen hatten, springen wir heute mühelos von Stein zu Stein und queren so mehrmals trockener Schuhe das Flussbett.

Corythaixoides concolor
Sansevieria aethiopica
Sarcostemma viminale











Aber nicht alles hat sich derart verändert. Die Lebewesen, die direkt am und im Wasser leben, sind in gewohnter Üppigkeit vorhanden - Süßwasserkrabben, Frösche, Kaulquappen, Kreiselkäfer und auch die bunten Libellen fehlen nicht. Langsam schlendern wir am Fluss entlang und saugen alles in uns auf, was wir hier geboten bekommen. Wir lassen uns viel Zeit zum Fotografieren, Staunen, Entdecken und Durchatmen, dennoch erreichen wir viel zu schnell, zumindest für meinen Geschmack, die Stelle, an der sich der Weg für längere Zeit vom Wasser entfernt. Ausladende Bäume beschatten hier tiefe, mit glasklarem Wasser gefüllte Becken, der Naukluft ergießt sich in kleinen Kaskaden über bemooste Steine, steile Felsen ragen rundherum auf, feuchte Stellen am Ufer locken Schmetterlinge an und zahlreiche Libellen bevölkern das Binsengras am Rande der Gumpen. Schon auf unserer letzten Tour hatte mich dieser Ort völlig in seinen Bann gezogen, aber natürlich wollte ich damals auch noch weiter nach oben und sehen, wie es weitergeht. Dieser Gang hatte sich damals durchaus gelohnt, ohne Frage, heuer aber sieht die Situation ob der herrschenden Trockenheit deutlich anders aus, weshalb ich beschließe, hier zu bleiben, während es meine Freunde abermals weiter hinauf zieht. Heinz ist nicht ganz wohl bei der Vorstellung, mich hier alleine zurückzulassen, ich habe damit jedoch kein Problem - im Gegenteil.


Frauenhaarfarn (Adiantum)











Vorfreudig lausche ich also den sich entfernenden Schritten meiner Freunde, lege mich genüsslich am Rande eines der Becken ab und lasse erst mal meine Füße im Wasser und meine Seele in meinem Alleinsein baumeln, was richtig wohltuend und entspannend ist. So entspannend, dass ich in einen halb wachen, halb schlafenden Dämmerzustand falle, in dem sich die Umgebungsgeräusche allmählich zu einem einlullenden Akustikbrei verbinden. Bevor ich nun ganz wegpenne, ziehe ich sicherheitshalber meine Füße aus dem Wasser, lächle beglückt über die Libellen, die sich kitzelnd auf meiner feuchten Haut niederlassen - und nicke erneut weg. Dann aber reisst mich lautes Poltern aus meiner Döserei! Ach nö, ich will jetzt allein sein und niemand soll diese Idylle stören - auch keine fremden Wanderer. Genervt setze ich mich auf und spähe in die Runde. Mhm, niemand zu sehen. Hab ich das etwa geträumt? Nein, denn eine Minute später lugt ein Gesicht, etwa fünf Meter über mir, um einen Felsen, und zwei Augen unter gerunzelten Brauenwülsten starren mich ärgerlich an. Ein großes Pavianmännchen fühlt sich durch meine Anwesenheit gestört, ich hingegen bin froh, dass es keine menschlichen Wanderer sind und warte gespannt ab.

Der Pavian-Boss sichert...
...die Gruppe wartet.
Jungfer (Coenagrionoidea)










Der Affenmann verschwindet wieder, großes Gezeter und Geschrei erklingt, eine Weile ist wieder Ruhe, dann aber kommt die ganze Pavianfamilie um die Felsen gebogen und schlängelt sich oberhalb meines Sitzplatzes auf die andere Seite des kleinen Tals. Dabei werde ich von den meisten Clanmitgliedern misstrauisch im Auge behalten und von einigen auch laut beschimpft. Mensch, ich tu euch schon nix - aber nur, wenn ihr mir auch nichts Böses wollt! Über Letzteres bin ich mir nicht ganz so sicher, denn dieser Trupp ist sicher an Menschen gewöhnt; darauf schließe ich aus der Nähe des Camps. Wenn sich die Tiere da rumtreiben, Zelte auseinandernehmen, Lebensmittel entwenden und alles verschleppen, was nicht niet- und nagelfest ist, dann haben sie dabei bestimmt auch schon negative Erfahrungen gemacht. Negative Erfahrungen mit uns Menschen. Und die vergessen sie nicht. Jetzt treffen sie auf mich, die ich auf ihrer Wanderroute in die Berge herumlungere - und ich bin nicht nur ein Mensch, sondern auch noch eine Frau. Und vor Frauen, auch vor Menschenfrauen, haben Primaten wenig Respekt; das ist wissenschaftlich nachgewiesen – zudem durfte ich diese Erfahrung auch schon selbst machen. Ob dieser Tatsache ist mir nun natürlich etwas mulmig.

Papier-Wespe (Belonogaster sp.)
Töpfer-Wespe (Anterhynchium)
Acraea sp.










Doch alle Mitglieder der großen Paviantruppe passieren mich menschlichen Störfaktor, ohne mir in aggressiver Weise zu nahe zu kommen. Ich werde zwar im Auge behalten, ein wenig angekeift, -geknurrt und -gefletscht, aber sonst ist alles gut. Und so geht unsere Begegnung physisch folgenlos vorüber. Die Affen entschwinden bergan, ich bin wieder alleine an meinem Pool und alles könnte weitergehen wie gehabt, wäre ich durch diese Begegnung nicht wieder aus meiner Traumstarre erwacht. Zwinkernd wische ich mir die wabernde Trägheit aus den Augen, packe mein Zeug, ziehe Schuhe und Socken wieder an und beginne, die Umgebung nun wirklich aktiv zu erforschen. Hierzu klettere ich ein Stückchen weiter nach unten, ins Flussbett hinab, und halte Ausschau nach etwas Interessantem. In einer kleinen Uferausbuchtung mit ruhigem Gewässer werde ich fündig: hier ist eine große Menge von Kreiselkäfern hektisch schwimmend auf der Wasseroberfläche unterwegs. Diese bemerkenswerten Insekten waren uns schon auf der letzten Tour aufgefallen, allerdings hatten wir damals zu wenig Zeit, sie eingehender zu beobachten. Heute jedoch nehme ich mir die Zeit und robbe auf allen Vieren an die wuselnden Wasserkäfer heran, um mich fototechnisch in Position zu bringen und mich ab jetzt möglichst nicht mehr zu bewegen.

Meine dürftige Ausbeute...
...von Bildern...
..der Kreiselkäfer (Dineutus)!










Die Tiere sind nämlich mit zwei Paar extrem scharfen Augen gesegnet; ein Paar scannt die Situation unter Wasser, das andere ist für alles oberhalb des Wasserspiegels zuständig und sobald sich etwas bewegt, egal wo, flitzen die kleinen Insekten noch hektischer umher, als sie es ohnehin schon tun. Eine echte Herausforderung für jeden Fotografen. Und eine Herausforderung für mich, der ich nicht ganz gewachsen bin: spitze Steine bohren sich in mein Fleisch, meine Arme werden vom angestrengten Halten der Kamera allmählich taub - und kaum habe ich ein paar der Wasserderwische im Fokus, bewegt sich mein Zoom. Diese Minibewegung aber genügt: schon wieder stieben die kleinen Hektiker auseinander. Leicht frustriert lege ich den Fotoapparat beiseite, entspanne meine Arme, ignoriere die schmerzenden Bohrsteine und beobachte das Geflitze einfach so. Beruhigend ist das allerdings nicht. Trotzdem harre ich aus, denn ich würde so gerne ein System in dem Gewusel erkennen. Doch auch das gelingt mir nicht wirklich und so gebe ich schließlich auf. Meine kribbelnden Arme reibend und die schmerzenden Glieder streckend, wandere ich weiter im Flussbett umher, mache Jagd auf Libellen, Frösche und Schmetterlinge und luge in jede Aushöhlung am Ufer. Uih, da, ganz hinten, da liegt ein Krallenfrosch am Grund.














Wieder gehe ich zu Boden und bringe mich in Position, doch bevor ich die richtige Lage gefunden habe, poltert es erneut. Hinter mir. Direkt hinter mir! Vorsichtig drehe ich den Kopf und erblicke ein junges Pärchen, das fröhlich stapfend des Weges kommt. Ich sehe die beiden auf mich zusteuern, sie aber sehen mich nicht. Behutsam mache ich mich deshalb bemerkbar, indem ich laut und vernehmlich grüße und mich gleichzeitig hochrapple. Trotz meiner Vorsicht erschrecken die beiden jedoch gehörig, erholen sich aber recht schnell von meinem unerwarteten Auftauchen und wir kommen ins Gepräch. Weiter oben hätten sie einen Mann getroffen, der hätte ihnen erzählt, letztes Jahr hier im Flussbett beinahe mit einer schwarzen Mamba kollidiert zu sein. Ja, das war Heinz! Aufgrund dieser Geschichte hätten sie nun echt Bedenken, den Flusspfad weiter zu gehen, sagen sie. Mei, Schlangen können überall sein, sage ich. Aber macht euch mal keine Sorgen, solche Begegnungen sind echt selten. Die beiden aber sind ziemlich verunsichert. „Dich haben wir ja auch nicht gesehen. Weißt du, das ist unsere erste Afrikareise und alle haben uns gewarnt, wie gefährlich das ist. Wir waren da eher sorglos, aber so ganz ohne ist es wohl doch nicht. Und auch die Entfernungen haben wir unterschätzt. Heute Morgen kamen wir hier an, wollten unbedingt diese Wanderung machen, müssen aber abends in der Sossusvlei Lodge sein, weil das vorgebucht ist. Allmählich stellen wir fest, dass das Programm doch etwas zu straff ist. Wir schaffen das schon, aber eben eher im Vorbeieilen, was schade ist. Übrigens, gehst du jetzt eigentlich auch runter und könntest uns begleiten? Wir müssen nämlich spätestens um 15 Uhr unten sein...!“ Das muss ich, die ich auf Heinz warte, leider verneinen, habe aber größtes Verständnis für die Zeitnöte der beiden - trotz vieler Afrikareisen, trotz vieler Reisen auch in andere Länder, neigen auch wir immer noch dazu, uns etwas zu übernehmen. Man will viel sehen, plant, rechnet, bucht Unterkünfte und stellt dennoch immer wieder fest, dass man zu wenig Zeit eingeplant hat. Während ich nun die beiden dahingehend beruhige und versuche, ihnen die Schlangenbegegnungsangst zu nehmen, stößt Heinz zu uns.



Spinnenjäger-Wespe
(Hemipepsis sp.)
Cyperus sp.










Sogleich befragen ihn die beiden erneut wegen der Mamba-Geschichte, die Heinz natürlich gerne nochmal erzählt - was jedoch nicht zur Beruhigung der beiden beiträgt... Umso erleichterter sind sie aber, als wir ihnen nun unsere Abstiegsabsichten kundtun. Nur zu gerne schließen sie sich an, haben aber wohl schon gemerkt, dass wir nicht die geringste Absicht haben, sie als Schlangendetektoren zu begleiten oder gar um 15 Uhr im Camp zu sein. Wir wollen einfach nur runter, unser Tempo gehen, uns viel Zeit nehmen und den Tag genießen - und die beiden können mit uns gehen, solange ihre Zeit und Geduld das zulassen. Wir setzen uns also in Bewegung und die Zwei folgen unauffällig. Ein paar Stopps und Erkundungsschlenker später allerdings geben sie auf, suchen sich ihren Weg durch das „schlangenverseuchte“ Nauklufttal auf eigene Faust und wir sind wieder alleine. Und sofern keine oberschenkeldicke Python erschienen ist und die zwei jungen Leute einfach so, auf Nimmerwiedersehen, verschlungen hat, scheinen sie wohl auch ohne Problem im Camp angekommen zu sein. Jedenfalls sind auf dem weiteren Weg nach unten keine Sterbenden, keine Leichen, aber auch keine Schlangen zu finden, obwohl wir sehr, sehr, sehr genau auf unsere Umgebung achten. So genau, dass wir nicht mal davor Halt machen, die frisch gekackten Pavianhäufchen unter die Lupe zu nehmen, auf denen sich unzählige, wunderschön bunte Fliegen tummeln…

Schmeissfliege (Calliphoridae)













Ach, ist das herrlich, einen derart entspannten, von der Zeit losgelösten Tag zu verbringen! Herumalbernd, unseren Füßen zwischendrin ein Bad gönnend und die Natur genießend, schrauben wir uns so immer weiter nach unten, bis wir plötzlich vor einem schier unüberwindlichen Gewirr aus Pfahlrohr stehen, das wir auf der letzten Tour auch schon bemerkt hatten - allerdings von der anderen Fluss-Seite aus. Mhm, wie kommen wir da jetzt durch? Müssen wir wieder ein ganzes Stück rauf und anderswo queren? Nein, müssen wir nicht! Bei näherer Inspektion der Pflanzenwand nämlich entdecken wir einen kleinen, aber deutlich vorhandenen Tunnel, gewoben aus den Wurzeln des Pfahlrohrs, der auf die andere Uferseite hinüberführt. Den kannten wir noch nicht, wahrscheinlich, weil er letztes Jahr unter Wasser stand und somit unpassierbar war. Umso erfreuter quetschen wir uns jetzt durch das Wurzelgewirr, ganz wohl ist uns aber trotzdem nicht dabei: man muss leicht gebückt gehen, zahlreiche Spinnennetze durchziehen den Tunnel, diverse lästige Insekten erwachen durch unsere Bewegungen zum Leben - das alles kann man sehen. Und was wir nicht sehen können (und das dürfte einiges sein), wollen wir weder wissen noch aus den Verstecken locken… Nach wenigen Metern jedoch spuckt uns der Tunnel unbeschadet wieder aus und leitet uns sicher auf den Weg auf der anderen Uferseite. Geschafft!

Der Pfahlrohrtunnel
Pytilia melba, m.
Pytilia melba, w.











Fröhlich wandern wir das letzte Stück bis zum Camp unter sonnendurchfluteten Bäumen dahin, als Heinz plötzlich abrupt stehenbleibt und ich, die ich hinter ihm hertrotte, beinahe auflaufe. „Ein Buntastrild, da!“, flüstert er. Uih, ja, da ist er; ein etwa zaunköniggroßer Vogel mit schwarzer, weißgerippelter Brust, roter Gesichtsmaske und olivfarbenen Flügeldecken. Und seine Frau, die wesentlich unscheinbarer ist, hat er auch dabei! Lange beobachten wir die beiden Piepmätze. Man sieht sie häufig in Camps, an aufgestellten Vogeltränken, in der Nähe von Open-air-Bädern, an leckenden Wasserhähnen oder in den Käfigen deutscher Vogelliebhaber - deshalb sind sie also eigentlich nichts Besonderes. In freier Wildbahn jedoch schon, denn hier verhalten sich die Prachtfinken unbeeinflusst von jeglicher menschlichen Präsenz und haben auch ihre natürliche Scheu noch nicht verloren, was die Beobachtung umso spannender macht. Während wir nun total von den beiden Prachtfinken gefesselt sind, nähern sich auch ein paar schwarz-weiß-graue Drosselwürger, die uns wohl gar nicht bemerken. Wir hingegen wissen schön langsam nicht mehr, wohin wir uns zuerst drehen sollen, um nur ja nichts zu verpassen. Tja, man kann auch echten Stress im Busch haben...

Lanitturdus torquatus
Webernester
Das Zeitliche gesegnet...











Dieser „Stress“ löst sich jedoch recht bald in Wohlgefallen auf, als die beiden Buntastrilde pickend ins Gebüsch entschwinden und die Würger die Flucht ergreifen, als sie unserer doch endlich gewahr werden. Beglückt steigen wir die letzten Meter gen Tal, überqueren den seichten Naukluft, bewundern ein formvollendetes Maskenwebernest am Ufer, dessen „Balkon“ eine gelbe Akazienblüte entsprießt und erreichen schließlich unseren Lagerplatz – die Zelte stehen wie eine Eins, kein Pavian ist darauf rumgesprungen und wir sind auch darüber sehr beglückt. Allerdings war der Tag so erlebnisreich, so schön, dass wir das lästige Eingeräume der jungfräulich-leeren Zelte kurzerhand auf später verschieben. Stattdessen holen wir uns jeder, deutliche Prioritäten setzend, ein kühles Bier aus dem Autokühlschrank, schälen unsere Füße aus Socken und Schuhen und genießen vorzeitig sundownernd und fläzend die lichtdurchflutete Einsamkeit unserer Campsite. Danach schaffen wir sogar noch den Zehn-Meter-Aufstieg zu den verwaisten Sanitärgebäuden und waschen uns den Schweiß vom Körper, bevor wir duftend und clean wieder nach unten tappern, wo inzwischen auch Annette und Jochen eingetroffen sind und uns ebenfalls mit einem Bierchen in der Hand empfangen.

Webernest mit Schmuck
Köcherbaum
mit Haftkraft
Cyphostemma sp.

















Gemütlich setzen wir uns zusammen und berichten von unseren großen und kleinen Erlebnissen, die zwar allesamt recht unaufregend waren, dafür aber umso eindringlicher. Und natürlich gesellen sich zu dieser Runde auch all unsere gefiederten Freunde, die wir, in beseelter Geberlaune, erneut mit allerlei Brosamen versorgen, bevor wir uns ans Einräumen der Zelte und die Zubereitung des Abendessens machen. Schnell wird es dunkel, wir dinieren fürstlich, die bettelnden Vögel sind schon lange satt und zufrieden auf ihren Schlafästen, und wir, nicht minder satt und zufrieden, verbringen diesen Abend wohlig schweigend am Lagerfeuer. Alles ist friedlich und still, nur die fernen Geräusche der Nacht, das leise Plätschern des Flusses und das Knistern des Feuers lullen uns samtig ein. Plötzlich aber, zu bereits vorgerückter Stunde, nimmt Heinz aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr: eine Ginsterkatze schleicht in fast greifbarer Nähe um unser Lager! Als sie allerdings bemerkt, dass auch wir sie gesehen haben, verschwindet sie schnell und völlig lautlos in der Dunkelheit. Annette und Jochen, die gerade zu Bett gehen wollten, drehen daraufhin noch eine Runde auf der Uferterrasse, weil sie hoffen, die gefleckte Katze nochmal zu sehen. Die jedoch scheint sich auf Nimmerwiedersehen davon gemacht zu haben. Enttäuscht ziehen sich unsere Freunde in ihr Zelt zurück. Heinz und ich hingegen bleiben noch sitzen - es ist einfach so schön und friedvoll hier, dass wir jeden Moment auskosten wollen, zumindest so lange, bis auch wir müde werden. Noch aber ist es nicht so weit.

Über den Tellerrand sehen...
Ploceus velatus, m.
Kann man DEN Augen
widerstehen?











Entspannt lehnen wir uns also in unseren komfortablen Campingstühlen zurück, schließen die Augen und genießen. Zwischendrin riskieren wir natürlich immer wieder einen Blick, denn nicht alle Geräusche sind sind so eindeutig zuordenbar wie das stetige Wassergluckern, das leise Bäumerauschen, das vielstimmige Froschgequake und das Zirpen der Grillen. Hier knackt ein Ast, dort raschelt das Laub und im Fluss platscht es hin und wieder vernehmlich. All diese Laute haben natürlich einen dazugehörigen Verursacher, den jeweils Betreffenden können wir in der Dunkelheit allerdings meist leider nicht ausmachen. Was wir aber, bei einem unserer gelegentlichen Kontrollblinzler, sehr deutlich sehen können, ist die Ginsterkatze, die sich erneut unbemerkt auf Streichelnähe an uns herangeschlichen hat. Aus einer Entfernung von zirka eineinhalb Metern glänzt uns eine feuchte schwarze Nase an und im Lampenschein leuchtende Augen betrachten uns aufmerksam. So aufmerksam, dass der Katze nicht entgeht, dass wir blinzeln und uns ihrer Gegenwart bewusst sind. Und offenbar fühlt sie sich davon so bedroht, dass sie abermals davonrennt. Diesmal jedoch wählt sie einen Weg nahe des Flussufers, weshalb wir sie noch eine ganze Weile gut sehen können. Immer wieder dreht sie sich um, setzt sich hin und blickt in unsere Richtung.














Und nun erwacht mein Jagdinstinkt: für Menschenverhältnisse leisen Schrittes folge ich der gefleckten Schönheit und bin beinahe stolz, ein paar Meter gutgemacht zu haben, als ich, besser gesagt mein großer Zeh, plötzlich schmerzhafte Bekanntschaft mit einem äußerst harten, feucht-kühlen Gegenstand schließt. Aua! Mir entfährt ein leiser Schmerzensschrei - und die Ginsterkatze ist weg. Dafür tut mein Zeh höllisch weh. Na toll! Fluchend schalte ich meine Stirnlampe ein, um das widerspenstige Hindernis, das wohl schwerlich flüchten wird, in Augenschein zu nehmen. Und nochmal: na toll! Im Zuge meiner Katzenjagd bin ich Menschentrampel tatsächlich über eine gerade mal hühnereigroße Hydnora gestolpert, die sich wohl in den nächsten Tagen zu voller Pracht entfaltet hätte und habe sie dabei ernsthaft beschädigt. Mann! So lange schon wollte eines dieser seltsamen Gewächse sehen, die einem Pilz ähneln, tatsächlich aber zu den Piperales, den pfefferartigen Pflanzen gehören. Und nun habe ich sie kaputt gemacht, ich Trottel! Schimpfend über meine eigene Dummheit und fluchend vor Schmerz humple ich zu Heinz zurück, der gerade seine Selbstschusskamera montiert. Die bringen wir übrigens fast jeden Abend an irgend einem lagernahen Ort an, der uns vielversprechend erscheint, aber noch nie, ich betone NIE, war was drauf! Heute Nacht jedoch sollte es mit dem Teufel zugehen, wenn sie wieder nichts einfängt, oder? Heinz und ich jedenfalls sind uns ganz sicher, diesmal die neugierige Ginsterkatze, die bestimmt zurückkommen wird, in den Kasten zu kriegen. Hoffnungsfroh machen wir also die Kamera scharf, löschen unsere Tischleuchte und gehen müde und zufrieden ins Bett; nun, ich humple eher und bin nicht ganz zufrieden, wohl aber ebenso müde...


Weitere Impressionen des Tages:


Pytilia melba, m.
Traum-Pool
Cyphostemma-Beeren











Junonia hierta, leicht demoliert
Springspinne (Salticidae)
Springspinne (Salticidae)











Trithemis sp.


Trithemis sp.


















Moringa ovalifolia
Hermbstaedtia sp.

27. März, Naukluft Camp > Windhoek, Urban Camp

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Nein, ich will nicht viele Worte über das verlieren, was unsere Wildkamera vergangene Nacht aufgenommen hat, denn einziges reicht völlig aus: NIX! Heinz hakt sowohl das Thema als auch die Kamera achselzuckend vom Baum ab und wir widmen uns erfreulicheren Themen - frühstücken und liebe, gefiederte Gäste bewirten. Wenigstens das klappt reibungslos! Eine genussvolle Stunde später, in deren Verlauf auch mein malträtierter Zeh wie durch Zauberhand seine Schmerzfreiheit und volle Beweglichkeit wiedererlangt, beginnen wir gesättigt mit den Abbauarbeiten an unserem Lager. Die verfressene Starendame ahnt Schreckliches, was tatsächlichzur bitteren Wahrheit für sie wird, als der letzte Teller abgespülterweise in der Geschirrkiste landet. Als dann das satte, endgültig klingende Plöpp der Verriegelungsflügel ertönt, da ist auch sie, die bis zuletzt ausgeharrt hatte, weg. Tja, und wir sind abreisebereit. Nein, halt! Ich muss mir doch noch die zerstörte Hydnora bei Tageslicht ansehen und mich mit einem Schlückchen Wasser bei ihr entschuldigen! Eilig haste ich an der Uferbank entlang und finde das beschädigte Gewächs sofort wieder. Und jetzt, bei vollem Licht, ist der Schaden gut zu sehen: mein Zeh hat in einem Rutsch die harte Außenschicht, die sich bereits zu teilen begann, von der faserigen Innenschicht der Pflanze rasiert. Vorsichtig und entschuldigend setze ich das abgefallene Käppchen wieder auf den verbliebenen Strunk, gieße dem bizarren Wurzelparasiten zur Versöhnung ein paar Schlückchen Wasser hin und hoffe, die Konsistenz der Pflanze möge auf ihre Überlebensfähigkeit schließen lassen. Wer so hart ist, sollte die Attacke eines weichen, deutschen Großzehs doch überstehen können...

Von dieser Hoffnung beseelt, klettere nun auch ich in unser Auto, das bereits mit laufendem Motor neben mir wartet und wir verlassen wehmütig diesen wundervollen Ort. Wehmütig auch deswegen, weil uns heute eine Fahrt in Namibias Hauptstadt Windhoek bevorsteht. Diese Fahrt ist zwar relativ kurz, aber eben auch relativ uninteressant; doch das, was uns am wenigsten kickt, ist die Tatsache, dass wir hier auch die kommende Nacht verbringen müssen, bevor wir nach zwei weiteren, harten Fahrtagen die Zentralkalahari erreichen werden. Lange Fahrtage und Stadtbesuche sind einfach nicht unser Ding, aber beides ist leider nötig, um in drei Tagen erneut wohl ausgestattet in die Einsamkeit der Kalahari eintauchen zu können. Darauf freuen wir uns schon sehr und nehmen deshalb zähneknirschend sogar den Windhoek-Tag in Kauf. Apropos Kauf: genau das ist Heinz’ und mein Plan, um uns den unvermeidlichen Tag in Namibias Hauptstadt so weit wie möglich zu versüßen: Souvenirs kaufen und einschlägige Fachliteratur erwerben. Windhoeks Buchläden sind ja durchaus nicht zu verachten und sie alle haben eine mehr oder weniger große Ecke, wo eine Auswahl landesspezifischer Flora- und Faunawerke angeboten wird. Mit dieser Hoffnung fahren wir in Windhoek ein, lassen uns von Annette und Jochen, die komplett andere Pläne haben, auf der Mandume Ndemufayo absetzen und schreiten los – Richtung Independance Ave. Der erste Weg führt uns dort zur Touristen-Info, wo wir einen Stadtplan organisieren, um zielgerichtet all die Läden abklappern zu können, die wir uns vorgemerkt haben.

Gut, den Stadtplan haben wir! Doch allein die Tatsache, dass wir dieses Ding in der Hand halten, kennzeichnet uns als Touristen - dabei haben wir nicht mal größere Taschen, Rucksäcke oder Kameras dabei. Das alles haben wir aus Sicherheitsgründen in der Obhut unserer Freunde zurückgelassen... Wir verlassen also den Touri-Info-Point, der momentan in einem Baucontainer untergebracht ist, traben ein paar Schritte und sind sofort von einer Heerschar der obligatorischen Nüsschenschnitzer umgeben. Hello, how are you, where are you from, whats your name? So schallt es uns aus allen Richtungen entgegen. Heinz gibt konsequent keinerlei Antworten, nachdem er auf unserer letzen Tour praktisch ahnungslos beinahe in solche eine Falle getappt wäre. Ich hingegen bin heute auf Krawall gebürstet und begrüße deshalb den erstbesten Schnitzfuzzi mit diabolischem Grinsen. „Hello, I'm fine, I'm from Germany and my name, ähm, yes, is a bit long: my name is Barbara-Katharina-Leutheusser-Schnarrenberger. And yours?“ Ungläubiges Schweigen folgt, die zu beschnitzende Makalani-Nuss wird ratlos angestarrt, dann gibt der Schnitzer wortlos auf. Mein Name ringelt sich in seiner Vorstellung wohl mehrfach um die kleine Samenkapsel, scheint aber, auch bei bestem Willen, nicht unterzubringen zu sein. Während der arme Nüsschenmann noch immer mit großen Augen auf den Palmsamen glotzt, ergreifen wir zügig die Flucht. Die anderen Makalanimänner, die stets in Hab-acht-Stellung auf Kunden lauern und diese auch ansprechen, obwohl schon zehn Vorgänger bei den potenziellen Käufern abgeblitzt sind, verhalten sich äußerst zurückhaltend: die Verwirrung unseres ersten Schnitzers signalisiert wohl deutlich genug, dass mit uns was faul ist...

Wir nutzen die Gunst dieser Stunde und machen uns angenehm unbehelligt auf die Suche nach den erwähnten Buchhandlungen. Unser Reiseführer, den wir vorab studiert hatten, nannte drei namhafte Geschäfte, die wir nun besuchen wollen. Bei unserem endlosen Zickzacklauf durch Windhoeks Straßen jedoch zeigt sich, dass leider nur noch eines davon existiert - und an dem sind wir schon vor eineinhalb Stunden vorbeigelatscht, weil wir ja erst die anderen, weniger zentral gelegenen zuerst aufsuchen wollten. Mann, das hätten wir uns echt sparen können! Und unser Nüsschenschnitzer-Verwirrungsbonus ist mittlerweile leider auch schon abgelaufen, sodass der Rückweg zur Windhoeker Buchhandlung auf der Independence beinahe zum Spießroutenlauf ausartet. Aber endlich sind wir da, schlüpfen in den Laden und atmen durch, als wir die von uns ersehnte Bücherecke entdecken. In gekühlter Umgebungsluft durchstöbern wir das Angebot, das zwar reichhaltig, lange aber nicht so üppig ist, wie wir es uns gewünscht hätten. Naja, das mag auch daran liegen, dass die Literatur für unsere bevorzugten Fachgebiete halt nicht wie Belletristik aus dem Boden schießt. Dennoch werden wir fündig - natürlich: Heinz erwirbt einen Vierhundert-Seiten-Schinken über die Mittagsblumen dieser Welt, die zu 99,9% im südlichen Afrika beheimatet sind, und ich erstarre vor Glück, als ich tatsächlich den beinahe druckfrischen zweiten Band von Coleen Mannheimer über die Flora Zentral-Namibias entdecke, an den ich schon gar nicht mehr glauben wollte: vor einigen Jahren bekam ich ihr Pflanzenbestimmungsbuch über die südliche Namib geschenkt und war begeistert, denn es ist einer der besten Pflanzenführer über diese Gegend, die man bekommen kann. Auf dem Buchrücken war, neben Autoren und Titel, eine „1“ vermerkt, was ja durchaus einen zweiten Band nahelegt. Der jedoch war nirgendwo zu finden: keine Andeutung darauf im Vor- oder Nachwort, kein Resultat im Internet, kein sonstiger Hinweis. Doch jetzt liegt die so lange erhoffte Fortsetzung tatsächlich vor mir! „Der ist letzte Woche erst reingekommen,“, sagt der deutschsprachige Buchhändler zu mir, „und wurde von Frau Mannheimer persönlich signiert!“ Naja, die Unterschrift der sehr wertgeschätzten Botanikerin ist mir im Moment relativ wurst, wichtig ist nur, endlich dieses zweite Buch der Reihe, das das zentrale Hochland Namibias botanisch abdeckt, endlich in Händen zu halten! Beglückt bezahlen Heinz und ich unsere Schätze und machen uns entspannt an die weitere Erforschung der Windhoeker Innenstadt, der wir ja auch noch ein paar Souvenirs aus den Rippen leiern möchten - von Makalaninüssen abgesehen...

Zu diesem Behufe marschieren wir jetzt erst mal durch die Post Mall Street, in der wir auf unserer letzten Tour auf ein äußerst verheissungsvolles Geschäft gestossen waren; der kleine, kioskähnliche Laden inmitten dieser touristisch belebten Fussgängerzone stellte sehr ansprechende Souvenirs in seinen knapp bemessenen Schaufenstern aus. Leider waren sie allesamt nicht ausgepreist und das Geschäft hatte damals zudem schon geschlossen. Heute hingegen ist noch geöffnet und alles mit Preisschildern bestückt - nur bei den Gegenständen, die uns wirklich gefallen, müssen wir nachfragen. Und wie sollte es auch anders sein: schier astronomische Preise werden uns daraufhin genannt; Preise, die uns die Kauflust durch ihre Unverschämtheit von Grund auf austreiben. Doch was hatten wir erwartet, hier, in der zentralen Shopping-Meile Windhoeks?! Unverschämte Preise, ja! Nichtsdestotrotz fühlen wir uns ein wenig verarscht und kehren deshalb dem Laden demonstrativ den Rücken, um uns auf die Suche nach attraktiveren Waren zu machen. Zielgerichtet steuern wir hierbei auf ein Geschäft zu, in dem wir letztes Jahr noch wundervolle, antiquarische Bücher erstanden hatten. Den Laden gibt es auch heute noch - physikalisch - doch das Angebot hat deutlich gewechselt: ein Handyshop, was sonst... Tja, das entspricht dem typischen Gang der Ding heutzutage; weg mit dem analogen Kack, her mit den crossmedialen Gesamtvernetzungtools, die uns das Denken und die Phantasie immer mehr abgewöhnen. Heinz und ich sind etwas frustriert, stürzen uns aber dennoch todesmutig in die Höhle des Löwen, sprich in die Smartphonehölle, um nach dem Verbleib des Vormieters zu fragen. Bücherladen? BÜ-CHER-LA-DEN? Es ist, als erkundigten wir uns auf Mandarin nach einem völlig unbekannten, ja fast bedrohlichen Phänomen, von dem nur Eingeweihte jemals etwas gehört haben. BÜ-CHER-LA-DEN??? HIER? Niemals, und wenn, dann muss das schon ewig her sein. Ja, so ziemlich genau zwei Jahre. Der Handyman kuckt uns an, als sprächen wir von zwei Lichtjahren. Nein, da könne er uns nicht weiterhelfen. Na, unter diesen Umständen völlig klar.

Höflich verabschieden wir uns und denken kurz über verlässlichere Auskunftsquellen nach, wovon uns tatsächlich eine recht schnell einfällt: im Innenhof dieses Gebäudes, das auch die ehemalige Kaiserkrone, heute The Gourmet, beherbergt, gibt es schon seit mindestens 25 (Licht-)Jahren ein Juweliergeschäft, in dem man wissen sollte, wo der antiquarische Laden abgeblieben ist. Also steuern wir auf den Juwelenshop zu, den zu betreten uns ein wenig Sorgen bereitet - schließlich sehen wir nicht gerade standesgemäß aus, nicht gerade finanzstark. Doch der Zufall kommt uns zu Hilfe. Ein älterer, sehr distinguiert wirkender Herr schließt soeben das Geschäft von außen ab und gibt uns freundlich und bereitwillig Auskunft: ja, das Antiquariat sei verzogen in die alte Brauerei, drüben bei der Mandume Ndemufayo und es sei so schade, dass sich stattdessen immer mehr nichtssagende, schnelllebige Shops in dieser Mall die Klinke in die Hand gäben. Dem können wir nur vollen Herzens zustimmen, ändern aber können wir es leider nicht. Herzlich danken wir dem hilfsbereiten Juwelier und begeben uns wieder hinaus auf die Mall.

Tja, was nun? Dem Kunstgewerbe-Areal der Alten Brauerei hatten wir schon einen kurzen Besuch abgestattet, als Annette und Jochen uns in der Stadt abgesetzt hatten und es als zu kommerziell befunden. Außerdem müssten wir jetzt den ganzen Weg in die Mandume Ndemufayo zurücklatschen - und dazu haben wir definitiv keine Lust. Also vertagen wir die Sache mit dem Antiquariat auf unseren nächsten Windhoek-Besuch und überqueren stattdessen die Independence, um den Open-air-Souvenirmarkt in Augenschein zu nehmen. Oh, ja, das ist schon mehr nach unserem Geschmack! Natürlich gibt es auch hier den üblichen „Kram“, doch zwischen der touristischen Massenware schlummert durchaus das ein oder andere Stück, das ein wenig aus der Reihe fällt - und sei es nur, weil es in der Proportion etwas missglückt erscheint. Aber genau so was suchen wir. Heinz ist zum Beispiel schon lange auf der Suche nach einem ansprechenden Perlhuhn und erblickt auf diesem Markt so einiges, was ihm gefällt. Allerdings möchte er erst das gesamte Angebot sichten, bevor er zuschlägt. Das aber ist recht zeitaufwändig, denn an jedem der Stände wird man angesprochen, in ein Gespräch verwickelt und aufs Aufdringlichste zum Kauf animiert. Wir sind, wie immer beim Souvenirshopping, ein bisschen genervt, wollen jedoch nicht unhöflich erscheinen und finden deshalb für jeden Verkäufer ein paar verbindliche Worte, bevor wir zum nächsten Stand weiterziehen.

Nach einer dreiviertel Stunde schließlich haben wir alles gesehen und treten den Rückweg an, wobei wir zielgerichtet die Stände besuchen, in denen wir etwas Interessantes erspäht hatten. Hatten. Denn leider haben wir mal wieder die Zeit aus den Augen verloren und dabei auch noch völlig verdrängt, dass wir ja in Windhoek sind - der Stadt, in der die Gehsteige zu dörflichen Zeiten nach oben geklappt werden... Und so müssen wir leider feststellen, dass fast alles, was wir auch nur ansatzweise begehrenswert fanden, mittlerweile in irgendwelchen Kartons verschwunden ist und zum Abtransport bereitsteht. Ein hübsches geschnitztes Hühnchen aber entdecken wir doch noch und Heinz greift kurz entschlossen, nach langen Preisverhandlungen, zu. So, nun ist unserer Einkaufslust, zumindest im Ansatz, Genüge getan und wir könnten uns gemächlich auf den Weg zu unserem Camp machen, wäre da nicht eine besonders sympathische Verkäuferin, die unbedingt eine ihrer Straußeneier-Ketten an meinem Hals sehen möchte. Mit Charme und unglaublichen Schmeicheleien schafft sie es tatsächlich, mir ein derartiges Geschmeide aufzuschwatzen. Als ich bezahlen will und Heinz darauf besteht, mir die Kette zu schenken, bricht sie vor (gespielter) Rührung fast in Tränen aus: so eine große Liebe, so ein schönes Paar, so eine wundervolle Kette! Die Kette ist wirklich schön; aber gut, dass sie kein Sinnbild unserer Liebe ist, denn die kleinen Plättchen aus Straußeneierschale sind so eng auf den Trägerfaden gefädelt, dass sie bei jeder Bewegung meines Halses winzige Hautpartien wie mit einer Beisszange erfassen und mir ein schmerzhaftes Tragegefühl vermitteln. Also packe ich das Geschmeide in meine Tasche und nehme mir vor, zuhause ein paar Plättchen herauszubrechen, um das gute Stück tragbar zu machen. Heinz ist ein wenig enttäuscht, dass sein Geschenk so gemein zu meinem Hals ist, aber als wir beschließen, jetzt sofort noch was essen zu gehen, erleuchtet ein vorfreudiges Grinsen sein Gesicht und die Enttäuschung ist vergessen. Das ist auch verständlich: seit wir nämlich vorhin am The Gourmet vorbei gekommen sind, schwebt uns beiden ein saftiges Straußencarpaccio mit pikant-krümeligen Parmesanspänen und dem erfrischenden Hauch einer Zitronenmarinade vor dem geistigen Auge. Während wir nun hurtigen Schrittes die Independence erneut überqueren, läuft uns schon das Wasser im Munde zusammen – wie dem Esel, dem man eine Karotte vor die Nase gebunden hat...

Und juhu, es ist sogar noch ein hübsches Plätzchen auf der überdachten Terrasse frei, auf dem wir uns ungeduldig und schon fast sabbernd niederlassen und sofort schwelgend in der Speisekarte versinken. Aaaah, Carpaccio, uuuuh, Grillteller, ooooh, Steak, mhhhhm, Pizza! Sollen wir nur eine Vorspeise nehmen oder doch gleich noch „was G’scheids“ dazu? Nicht, dass Annette was gekocht hat und wir keinen Hunger mehr haben. Ach was, egal! Die Auswahl ist so verführerisch, dass wir uns ein volles Menü bestellen und dies, vor Genuss schweigend, über unsere lechzenden Zungen gleiten lassen, verzückt mit den Zähnen zerkleinern, um anschließend jeden Bissen mit Andacht zu schlucken und sorgsam im Magen zu verstauen. Was für eine Gaumenfreude! Satt und mehr als zufrieden lassen wir den letzten Schluck Bier durch unsere Kehlen rinnen, dann bezahlen wir und machen uns endlich auf den Weg zu unserem Camp, das in der Schanzenstraße liegt. Annette hatte heute Morgen noch gesagt, es wäre nicht weit: das Camp hat Hausnummer zwei und das müsse ja dann ziemlich am Anfang der Schanzenstraße liegen. Tja, damit hatte sie durchaus recht; das Camp liegt tatsächlich am Anfang besagter Straße, nur leider steigen die Hausnummern nicht von der Innenstadt weg, wie in Deutschland, sondern zählen von draußen nach drinnen hoch. Somit haben wir nun echt eine richtige Meile vor uns, die wir mit unseren vollen Bäuchen und vom Shoppen geplagten Füßen nur stöhnend und schnaufend bewältigen. Zwischendurch vergewissern wir uns sicherheitshalber nochmal bei einer einheimischen Dame, die wir auf der Straße ansprechen, ob wir auch wirklich auf dem richtigen Weg sind. Ja, sagt sie, und deutet weit, weit in die Ferne... Ohje! Schließlich aber kommen wir doch noch an - gerade rechtzeitig. Denn es wird allmählich ziemlich finster, was jedoch nicht nur an der hereinbrechenden Nacht liegt, sondern auch an einem dräuenden Gewitter, das, kaum haben wir das Camp betreten und unsere Freunde lokalisiert, wie aus Kübeln losplöddert. Mit einem beherzten Hopser retten wir uns unter unser Gazebo, das Annette und Jochen strategisch günstig vor dem überdachten Bereich unserer Campsite aufgebaut haben und lassen uns ermattet in unsere bereitstehenden Campingstühle niedersinken. Puh, für heute reicht’s uns!

Unsere Freunde, die schon vor etlichen Stunden im Urban Camp angekommen sind, haben dankenswerterweise bereits alles aufs Trefflichste eingerichtet, sogar unser Zelt steht schon – und nun empfangen sie uns mit einem Willkommensbier, einem kleinen Sparmenü, vielen Fragen über unseren Tag und ebenso vielen Erzählungen über den ihren. Mich lullen das Gerede und der prasselnde Regen allerdings so tierisch ein, dass jetzt erst richtig merke, wie sehr mich dieser Shoppingtag ausgelaugt hat - stehenden Fußes verabschiede ich mich deshalb und falle in unser Zelt, richte es rasch behaglich her und kuschle mich dann sofort in meinen Schlafsack. Innerhalb von Sekunden bin ich weg. Heinz, der sonst immer derjenige ist, der, z. B. während der längeren Autofahrten, sofort wegdämmert, harrt diesmal wacker aus und isst sogar noch was... Ich hingegen bin jenseits von Eden und schlafe einen kurzen, aber sehr gerechten und noch erholsameren Schlaf der Erschöpften, bevor ich mich wieder hochrapple und doch noch versuche, am abendlichen Campleben teilzunehmen. Verstrubbelt krabble ich aus dem Zelt und geselle mich zu Annette und Jochen, die entspannt am Tisch sitzen. Heinz ist gerade telefonieren, er nutzt den großstädtischen Megaempfang, um daheim anzurufen, sagen mir die beiden. Tja, das könnt ich auch mal tun, denke ich gerade, als Heinz, ebenfalls völlig verstrubbelt, aus dem Gestrüpp hinter unserer Campsite wieder auftaucht. „Huh!“, sagt er, „jetzt hab ich telefoniert und mich dabei eben mal gegen den Zaun gelehnt. Und der hat so was von Strom drauf! Mei, hat mir das eine geschnalzt. Gut, dass ich ned a no meinen Bedürfnissen nachgegeben und dagegengestrullert hab...“

Bei dieser Vorstellung müssen wir laut auflachen; aber wir sind froh, dass der Zaun tatsächlich ordentlich unter Strom steht, denn das verspricht Sicherheit und eine ungestörte Nachtruhe inmitten der Großstadt. Mit diesem Wissen beschließen wir bald den Abend und begeben uns in unsere gut befriedeten Zelte, um möglichst viel Kraft für den morgigen Fahrtag zu tanken.

Afrika 2014

28. März 2013, Windhoek, Urban Camp > Ghanzi, Thakadu Camp, Botswana

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Nur widerwillig krabbeln wir nach einer zwischenfallsfreien Nacht frühmorgens aus unseren Zelten, frühstücken leidenschaftslos, packen zusammen und machen uns anschließend auf den langen Weg nach Ghanzi. Sobald wir aus Windhoek raus sind, fräst sich die Straße beinahe schnurgerade durch eine relativ eintönige Landschaft, die Kilometer ziehen sich und Heinz und ich hängen unseren Gedanken nach. Schwelgende Gedanken über bereits Gesehenes, wehmütige Gedanken über das Verlassen unserer Lieblings-Vegetationszone, aber auch vorfreudige Gedanken an das Kommende. Wenn es denn dann mal kommt... Bis dahin aber müssen wir noch ein bisschen warten, diverse Kaugummi-Kilometer ertragen, einen Einkauf erledigen und einen Grenzübergang meistern. Doch eines nach dem anderen...

Schönheiten...
...am Parkplatz
Commicarpus pentandrus










Die Landschaft also zieht vorüber, doch jeder von uns nimmt sie anders wahr (oder eben auch nicht): Jochen fährt konzentriert, Annette grübelt über der Einkaufsliste, Heinz schläft und ich bohre meinen Blick bedauernd in die zunehmend verbuschte Landschaft, die, bis auf ein paar bunte Blüten-Farbtupfer, recht uninteressant erscheint. Aber nur so lange, bis wir kurz vor Gobabis zu einer Pinkelpause anhalten. Der Parkplatz bietet das gewohnte Bild einer Mini-Müllhalde, auf der wir uns deshalb auch nur kurz die Füße vertreten; Jochen streckt seinen vom Fahren verkrampften Körper, Annette legt zufrieden die Einkaufsliste beiseite, Heinz schüttelt sich den Schlaf aus den Gliedern und ich - ich verschwinde in der Botanik, denn bei näherem Hinsehen zeigen sich auch hier wunderschöne Pflanzen. Es grenzt fast an ein Wunder, was da alles seine Triebe und Blüten aus Glasscherben und Chipstüten reckt! Lange ist mir das Vergnügen einer botanischen Kleinexkursion allerdings nicht gegönnt, denn meine Reisegenossen, frisch gereckt, gestreckt und blasenentleert, drängen auf Weiterfahrt. Und ja, sie haben recht, schließlich haben wir noch einiges zu erledigen. Also klettere ich wieder ins Auto und wir kurven auf das bereits sichtbare Gobabis zu, wo wir, mal wieder, einkaufen müssen. Nach wenigen Minuten erreichen wir das Zentrum der zirka neunzehntausend Einwohner zählenden Stadt und stürzen uns in den dort herrschenden Trubel. Ein Trubel, der angesichts der Größe dieses Städtchens wirklich erstaunlich ist: rushhourartiger Verkehr, wimmelnde Passanten, Gedränge vor vielen Geschäften, Karawanen von schwer schleppenden Frauen, Gehupe, Geschrei, Abgaswolken. Sieht man aber auf die Landkarte, verwundert das rege Treiben nicht; Gobabis ist hier, diesseits der namibisch-botswanischen Grenze, der einzig größere Ort im (halben) Umkreis von 200 Kilometern und somit auch die kommerzielle Drehscheibe der Region Omaheke. Und durch diesen Ameisenhaufen bahnen wir uns nun unseren Weg, um uns schließlich in eine schmale Parklücke in einiger Entfernung des örtlichen Supermarkts zu quetschen – die einzig freie übrigens.

Streetlife Gobabis
Beliebter Personentransporter
Man kennt sich!










Unsere beiden Freunde begeben sich sofort mit der aktualisierten Liste in das gut besuchte Geschäft, während Heinz und ich mal wieder auf unser Auto nebst seiner kostbaren Fracht aufpassen. Diesmal ist der Wachhundjob allerdings ein wahres Vergnügen, denn der Ort verwöhnt uns mit ständig wechselnden Bildern und kleinen Alltagsgeschichten. Eine junge Frau mit Lockenwicklern im Kraushaar überquert die Fahrbahn, ein kleines Mädchen quengelt seine Mutter an, die offenbar etwas Begehrenswertes in der Einkaufstüte mit sich führt, bekommt aber nichts und verfällt daraufhin in trotziges Kreischen. Hererofrauen in bunten, viellagigen Kleidern und steifen Kopftüchern schreiten gemessenen Schrittes die Straße herab und bilden wundervolle Farbkontraste zu den bunt gestrichenen Hausfassaden, ein Pickup transportiert eine Schar fröhlicher Passagiere, die offenbar jeden zweiten Einwohner Gobabis’ kennen und folglich auch grüßen, zwei Frauen geraten sich schreiend in die Haare, weil die eine der anderen mit dem Einkaufswagen in die Hacken gefahren ist. In vollen Zügen genießen Heinz und ich dieses quirlige Streetlife der kleinen afrikanischen Stadt und fühlen uns blendend unterhalten.



















So gut, dass die Zeit wie im Fluge vergeht und wir fast erstaunt sind, als Annette und Jochen mit den Einkäufen wiederkehren - nach über einer Stunde, die sich wie zwanzig Minuten anfühlte. Rasch schlichten wir die neu erworbenen Fressalien und Getränke ins Auto, steigen ein und verlassen Gobabis, um eineinhalb Stunden später den Grenzübergang nach Botswana zu erreichen. Die Grenzformalitäten sind auf beiden Seiten schnell erledigt und wir können den restlichen Streckenabschnitt nach Ghanzi in Angriff nehmen, ein Streckenabschnitt, der uns bald wieder mit seiner Ereignislosigkeit einlullt. Die Kilometer ziehen sich; nicht mal ein kleiner Regenschauer, der mit heftigem Prasseln auf unser Autodach herabpladdert, ist in der Lage, uns aus dieser drögen Fahrlethargie zu reissen. Meine Güte, ist das öde! Dabei haben wir dieses Jahr wirklich gut und großzügig geplant, in möglichst kurze Etappen unterteilt und lange Fahrtage so weit wie irgend möglich vermieden. Doch hin und wieder blieb uns dabei eine größere Strecke eben nicht erspart - Afrika ist halt nicht das Saarland... Doch schließlich haben wir auch diese Monsteretappe endlich hinter uns gebracht und passieren das Thakadu Camp, das etwas außerhalb der Ghanzis liegt. Bedauernd werfen wir im Vorbeifahren einen Blick auf die Einfahrt des Camps, in dem wir heute übernachten werden, raffen uns aber dennoch tapfer zum letzten Akt des Tages auf: rein nach Ghanzi, etwas Bargeld am Automaten ziehen und anschließend noch tanken.

Die Grenze ist nah
und noch näher
Regen zieht auf










Es ist schon früher Abend und Ghanzis Straßen sind dicht gesäumt von Trauben herumsitzender und -stehender Menschen, die offenbar ihr Tagwerk in der Stadt hinter sich gebracht haben und nun auf eine Mitfahrgelegenheit hinaus aufs Land warten. Mit afrikanischer Ruhe harren sie der kleinen Minibusse, die irgendwann des Weges kommen und Passagiere aufnehmen, so lange, bis keiner mehr rein geht. Fahrpläne gibt es natürlich nicht, die Busse sind auch nicht mit Fahrzielen beschriftet und mir ist es nach wie vor ein Rätsel, wie man hier zielgerichtet von A nach B kommt - und das auch noch mit entspannter Geduld und einem Lächeln auf den Lippen. Wenn ich da an München und sein hervorragendes öffentliches Verkehrssystem denke: alles flutscht, alles klappt meist wie am Schnürchen und trotzdem sieht man nur verkniffene Gesichter. Da könnten wir uns mal ein Scheibchen von der Gelassenheit der Afrikaner abschneiden! Vor allen Dingen dann, wenn mal wieder eine Bahn drei oder vier Minuten Verspätung hat...

Ghanzi Streetlife
Warten auf den Bus
Auch hier wird gewartet










Ebenfalls drei oder vier Minuten später erreichen wir dann auch schon den Parkplatz der örtlichen Shopping-Mall, auf deren Gelände es unter anderem einen Bargeld-Automaten gibt, den wir nun dringend melken müssen. Auf dem großen Parkplatz vor der Mall herrscht reges Treiben, aber von Gelassenheit ist hier nichts mehr zu spüren. Es wimmelt, es wuselt, es rangieren die Autos, die Fahrer hupen und schimpfen und man sieht mit einem Male viele verkniffene Gesichter. Umso beherzter steuert Jochen unseren Wagen in das Getümmel und versucht, einen Parkplatz zu ergattern, so nahe am Geldautomaten wie irgend möglich. Ein weises Vorhaben, wie sich sogleich zeigt: denn kaum haben wir angehalten, sind wir auch schon von bettelnden Kindern und Männern umringt, die äußerst aufdringlich sind und nicht mal davor zurückscheuen, unsere Autotüren von außen zu öffnen, um uns ihre Hände fordernd unter die Nasen halten zu können. Normalerweise versuche ich, auf so etwas gelassen und verständnisvoll zu reagieren, indem ich mir meinen relativen Wohlstand vor Augen führe, einen Wohlstand, den ich persönlich im gemäßigten Mittelstand sehe, der für andere aber durchaus als steinreich rüberkommen mag. Natürlich bin alles andere als steinreich, gebe jedoch durchaus gerne mal was ab. Nicht aber, wenn man mich derart bedrängt; Not hin oder her. Es gibt gewisse Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen - und dazu zählt für mich eben auch ein ungefragtes Eindringen in meinen persönlichen Schutzraum. In diesem Falle ist es das Auto, dessen geschlossene Tür von einer mir völlig fremden Person einfach so aufgemacht wird, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. Hallo!? Ich knalle die Türe wieder zu, drücke den Absperrknopf und drehe mich demonstrativ weg. Wie bei einem Carambolage-Spiel beobachte ich nun über eine Spiegelung im Fenster, die sich im rechten Außenspiegel wie ein Film abspult, die rein gestische Verständigung der Bettelnden, die uns nach wie vor umringen: „Hier geht nix, geh du rüber auf die andere Seite, da ist noch offen. Schnell, mach schon! Pah, zu langsam!“ Heinz nämlich hat die Tür mittlerweile auch verriegelt... Und nun folgt etwas, was mir, trotz meines sonstigen Verständnisses, recht gibt: der Typ, der meine Tür geöffnet hatte, dabei gescheitert war und nun seinen Kollegen, trotz deutlicher Aufforderung seinerseits, ebenfalls scheitern sieht, hechtet um das Heck unseres Wagens herum und schlägt den Loser mit der flachen Hand demonstrativ ins Gesicht – uns stets im Auge behaltend - und schreit ihn zusammen. Ah, man setzt also auf unser Mitleid und Schuldgefühl, indem man denjenigen misshandelt, dem wir nichts gegeben haben! Interessant und höchst aufschlussreich! Der Gedemütigte seinerseits jedoch, ein paar Jahre jünger als sein Aggressor und noch nicht ganz spielsicher, steckt die Watsche hinnehmend ein, schüttelt sich und verweist mit einer leichten Kopfdrehung und mit deutlich richtungsweisend hochgezogener Augenbraue auf ein neu hinzugekommenes Auto, in dem offenbar vielversprechendere Opfer sitzen, als wir das sind. Effektiv und durchaus eindrucksvoll, aber darauf falle ich nicht herein!

Denn ähnliche, fast theaterreife Spielfreude kenne ich bereits aus meiner Heimatstadt, die von südlichen Ex-Ostblock-Fordernden überflutet wird - um das mal politisch einigermaßen korrekt auszudrücken. Auch dort konnte ich Vergleichbares beobachten: ein augenscheinlich bemitleidenswerter junger Mann saß Tag für Tag auf dem Kontaktblech der Rolltreppe, die ich fast jeden Morgen zur selben Zeit aus der U-Bahn nach oben komme. Er jammerte mich an, reckte mir seine Beine angelegentlich, aber penetrant fordernd in den Weg, legte es auf eine Konfrontation Aug’ in Aug’ an. Er zwang mich mit seinem Gebrabbel, Gejammer und Gestöhne, ihm direkt in die Augen zu sehen, wich meinem Blick jedoch in demütiger Manier aus, wenn ich den seinen fixierte. Nun dachte ich bis dato immer, der Typ sei halt einfach eine arme Sau, die gehbehindert, mit Krücken einherhumpelt, und keine andere Möglichkeit hat, als andere, Wohlhabendere anzuflehen.

Doch weit gefehlt: eines Tages, ich stand gerade am Zeitungskasten und überflog die Schlagzeilen, kam eine junge, sommerlich-adrett gekleidete Frau des Weges und steuerte winkend auf den Bettler zu. Der starrte sie an, sprang auf und stürzte erbost auf sie zu. Dann schrie er sie an, zwang sie, ihre Flipflops auszuziehen und zerrte sie barfüßig mehrmals durch den Rinnstein. Anschließend riss er ihr T-Shirt aus dem Rockbund, verstrubbelte ihre wohlfrisierten Haare, ging ein paar Schritte zurück und betrachtete zufrieden sein Werk. Die Frau sah ihn fragend an, er nickte, sie reckte den Daumen nach oben und verschwand pfeifend in der nächsten Querstraße, um ihr Tagwerk frisch gestylt andernorts zu beginnen. Der maskenbildnerische Bettler hingegen strebte erneut seinem Kontaktblech zu, bemerkte dabei aber, dass ich die ganze Aktion beobachtet hatte. Nun versuchte er zu retten, was zu retten war, fing augenblicklich wieder an zu hinken und erklärte jammernd: „Tochter! Nix gutt, immer Ärgär!“. Als ich dazu nur den Kopf schüttelte, drohte er mir mit der Faust und beschimpfte mich lautstark…

Und so ähnlich mutet das Gebaren der Bettler hier in Ghanzi auch an: sie schleichen hoffnungslosen Blicks über den Parkplatz, werden aber, sobald sie sich unbeobachtet fühlen, zu agilen Individuen, die ihre Aktionen zielgerichtet abgleichen und nicht davor zurückschrecken, sich gegenseitig zu misshandeln, nur um die Wohlhabenderen erfolgreich abzuzocken. Apropos wohlhabend: mein Münchner Bettler klapperte abends regelmäßig die umliegenden Lokale ab, um sich seinen Tagesverdienst von durchschnittlich hundert Euro (steuerfrei) in Scheine wechseln zu lassen. Danach, so wurde mir aus glaubwürdiger Quelle berichtet, humpelte er mit seinen Krücken außer Sichtweite seines Arbeitsplatzes, klemmte sich die Gehhilfen unter den Arm und eilte lockeren Schrittes zu seinem Auto, das er in unauffälliger Entfernung geparkt hatte. Und ich könnte wetten, dass auf diesem Mall-Parkplatz ein vergleichbar unehrliches Spiel gespielt wird. Wenn nicht gar ein kriminelles. Denn als Annette aus dem Auto steigt und auf den Geldautomaten zugeht, löst sich sofort einer der jungen Männer aus der Gruppe und folgt ihr unauffällig. Doch Jochen signalisiert ihm deutlich, dass diese Aktion nicht unbemerkt blieb und stellt sich abschirmend hinter Annette. Daraufhin dreht der Typ schlendernd ab, wendet sich orientierungssuchend an seine Kumpanen und verfällt, sobald ihm das nächste Opfer zugewiesen wird, wieder in seine Rolle: hängende Schultern, hoffnungsloser, demütiger Blick und schleppender Gang.

Natürlich darf man die Situation im reichen München nicht mit der im afrikanischen Ghanzi vergleichen oder gar gleichsetzen, aber beides hinterlässt einen ähnlich schalen Nachgeschmack. Hier wie da wird einem etwas vorgespielt, gewollt unaufällig, aber dennoch für jeden aufmerksamen Beobachter offensichtlich. Ein Schauspiel, das von organisierten, professionell agierenden Bettlern aufgeführt wird und letztendlich rücksichtslos auf Kosten der wirklich Bedürftigen geht. Vielleicht sehe ich das Ganze zu undifferenziert, trotzdem aber bin ich froh, als wir endlich diesen Parkplatz wieder verlassen und aus Ghanzi City rausfahren können.

Am Stadtrand tanken wir rasch noch, bezahlen mit unseren frisch gezogenen Scheinen und begeben uns dann voller Vorfreude ins Thakadu Camp, wo wir eine Campsite vorgebucht haben. Wir passieren das Eingangsgate, kurven ein paar Kilometer durch dichten Busch und erreichen schließlich das Zentralgebäude der Guest Farm, das die Rezeption, ein Restaurant und einen Shop beherbergt. Schnell haben wir unsere Ankunft kundgetan und dürfen daraufhin auf das Campinggelände fahren, wo wir uns einen Platz nahe eines der Waschgebäude suchen und flugs unser Lager errichten. Erschöpft lassen wir uns dann in unsere Campingstühle sinken und lauschen den Geräuschen der anbrechenden Nacht. Große schwarze Käfer und dicke, haarige Spinnen umwuseln unsere Füße, schlaftrunkene Vögel zwitschern ihr letztes Lied des Tages, Grillen zirpen, wir entspannen uns - und haben Hunger. Annette beginnt im Auto herumzukramen und stellt schließlich die Frage, was wir denn kochen könnten. Kochen? Heute? Hier, wo es ein hervorragendes Restaurant gibt? Für Heinz und mich kommt das überhaupt nicht in Frage, schließlich freuen wir uns schon seit Monaten auf das Aardvark Restaurant auf Thakadu, das exzellente Küche bietet. Selbst kochen? Heute sicher nicht! Annette und Jochen sind zwar generell etwas sparsamer veranlagt als wir, lassen sich aber schnell von unserer Restaurant-Vision überzeugen und so stapfen wir mit unseren Stirnlampen bewaffnet voller Vorfreude durch die Dunkelheit des Camps. Bald leuchtet uns die illuminierte Veranda des Restaurants einladend entgegen, wir tappern die letzten Meter durch die Nacht und lassen uns schließlich an einem der letzten freien Tische des gut besuchten Gastbetriebs nieder. Erstaunlich, was in einem Restaurant mitten im Busch los sein kann! Doch hier ist es so gemütlich und es wird so hervorragend gekocht, dass es so erstaunlich dann doch nicht ist...

Anthia circumscripta
Toilettenbesucher Schrecke
Toilettenbesucher Spinne










Heinz und ich müssen übrigens erst gar nicht in die Karte sehen; wir wissen seit Monaten genau, was wir wollen - Straußencarpaccio als Vorspeise und danach ein medium-rare gebratenes Eland-Steak mit Beilage nach Wahl. Unsere Freunde hingegen brauchen etwas länger - die Auswahl ist einfach zu groß. Schließlich aber haben auch sie sich entschieden, wir bestellen und schwelgen bald darauf in unseren servierten Köstlichkeiten. Baaah, waaaah, mhhhhm, ist das lecker! Zartes Wildfleisch, köstlich zubereitet, freundlich serviert und höchst appetitlich angerichtet, schmackhaft, deliziös, einfach unwiderstehlich! Und was on top noch dazukommt: beim Speisen hat man Blick auf das campeigene, hell erleuchtete Wasserloch, an dem sich, sofern man Glück hat, allerlei Großgetier zum Trinken sammelt. Und wir haben Glück: eine Herde Eland-Antilopen senkt die Köpfe über der Quelle und wir thronen wie die Könige auf unserem Aussichtsbalkon, visuellen und geschmacklichen Höhepunkten erliegend. Oh Mann, geht's uns gut!

Nach diesem wundervollen Mahl - wir fühlen uns ungemein wohl und zugleich zutiefst ermattet - machen wir uns auf den Rückweg zu unserer Campsite. Dabei gehen wir hinter dem Restaurant vorbei und erspähen die kleine Auslage des angegliederten Shops. Natürlich hat dieser um die späte Uhrzeit schon geschlossen, aber das vom Lokal herüberscheinende Dämmerlicht enthüllt einige Kostbarkeiten, die wir uns morgen früh unbedingt nochmal genauer ansehen müssen! Doch jetzt ist erst mal Schlafenszeit, schließlich ist morgen wieder ordentlich Strecke angesagt - und auch, wenn dem nicht so wäre: wir sind soooo müde...


Weitere Impressionen des Tages:

Der müllige Parkplatz
Gobabis
Gobabis










Toilettenbesucher Gottesanbeterin
Perfekte Tarnung
Perfekter Sonnenuntergang










Hermbstaedtia sp.
Wassertrrm
Buntes Gedrängel
Lockenwicklerfrau

29. März 2013, Thakadu Camp, Ghanzi > Motopi Pan, CKGR

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Frühmorgens wecken uns die mittlerweile gewohnten Geräusche des Buschs - obwohl wir ja noch gar nicht wirklich in der Wildnis sind. Ganz unbuschmäßig tragen wir also unser gestriges Geschlemme gepflegt zum naheliegenden Sanitärgebäude, machen uns ein letztes Mal für längere Zeit dental und auch anderweitig frisch und finden uns dann am Frühstückstisch zusammen. Als letzter stößt hierbei Heinz zu uns und er hat von unterwegs etwas mitgebracht: eine riesige, giftgrüne Gottesanbeterin! Nun bin ja ich DIE Insektenschisserin vor dem Herrn, soll aber schrittweise meiner Phobien enthoben werden, indem ich zunehmend größere Krabbeltiere auf meine Hand gesetzt bekomme, die Heinz höchstpersönlich zu diesem Behufe anschleppt. „Schneck, ich hab da was für dich!“, flötet er, als er mit der Monstermantis vom Waschhaus kommt. Huuuh, oh Schreck, ist die groß - und grün! Nun, die Therapie zeigt zwar mittlerweile durchaus Wirkung, aber dieses Insekt ist so riesig, dass ich mich nicht überwinden kann, es auf meine Finger krabbeln zu lassen. Zumal Heinz es auf seinem ebenfalls giftgrünen Reisegeldbeutel herbeigetragen hat - und sich standhaft weigert, selbst in Hautkontakt mit dem Beter-Teil zu treten... Schließlich haben wir beide schon Filmberichte gesehen, in denen Gottesanbeterinnen dieser Größenordnung selbst wohlgenährte, rundliche Großmäuse einfach so dahinmeuchelten. Respektvoll setzt Heinz die grüne Schönheit in unser aller Sinne also auf einen Baumstamm und wir genießen unser Frühstück - unter den wachsamen Facettenblicken des räuberischen Gigainsekts. Unbeschadet überstehen wir – und die Gottesanbeterin - das frühe Mahl und machen uns anschließend alle vom Acker: die Mantis entfleucht unbemerkt in die unendlichen Jagdgründe der dichten Buschumgebung, wir hingegen streben, nach dem Abbau unseres Lagers, der Rezeption zu. Während Annette dort die Bezahlung regelt, büxen Heinz und ich in den benachbarten Andenkenshop aus, der genau die Versprechen hält, die er gestern Abend in diffusem Heimgehlicht verhieß; Souvenirs über Souvenirs - und noch dazu von der Sorte, die unsereiner wirklich gerne erwirbt.

Frühstück auf Thakadu
Mantis vor der Linse
Mantis auf Geldbörse










Annette zahlt also für vergangenes Schlafen, als wir bereits für die stilvolle Zukunft unserer Wohnatmosphäre Erinnerungsdeko einmarkten: ein geschnitztes Erdmännchen, sehr nett, aber eher durchschnittlich. Ein Brautgeschenk aus Mosambik in Form einer in zwei Hälften geteilten Kokosschale - mit Kopf und Armen, mit bunten Glasperlenketten geschmückt, einem gemusterten Kopftüchlein auf dem Haupt. Sehr speziell, sehr zerbrechlich und recht schwierig zu transportieren - aber so schön und geradezu unwiderstehlich. Und dann noch zwei erdferkelförmige Perlenskulpturen, ebenso ungewöhnlich und unwiderstehlich. Heinz und ich haben den Laden soeben von allen wirklich interessanten Souvenirs befreit, als Annette herbeieilt und gerne auch noch was abhätte. Speziell auf eines der beiden Erdferkel hatte sie es abgesehen. Das wußte ich aber nicht und habe ihr nun Minuten zuvor beide vorhandenen Exemplare quasi vor der Nase weggekauft. Jetzt kann sie leider nur noch bedauernd zusehen, wie die Shoplady beide Aardvarks in Zeitungspapier wickelt und mir strahlend überreicht. Ich strahle nicht weniger, auch wenn mir Annette fast ein wenig leid tut. Aber eben nur fast und nur ein klein bisschen - zu sehr bin ich in die beiden Perlentiere verliebt. Und nichts in der Welt könnte mich dazu bewegen, eines davon an Annette abzutreten. Ferkel Eins ist nämlich schon fest gebucht, als Deko in meiner Wohnung zu arbeiten, Ferkel Zwei werde ich in die liebevollen Hände meiner Mutter übergeben, deren Entzücken ich bereits förmlich vor mir sehe - und so bleibt wenigstens alles in der Familie… Jochen hingegen sieht meinen Wegschnappkauf mit gewisser Erleichterung, denn die holde Gattin schleppt, zumindest für seinen Geschmack, ohnehin immer zu viel Tand und Nippes mit nach Hause. Aber so sind wir eben, wir Hüterinnen der behaglichen Wohnlichkeit!

Mein Kokos-Weiblein
Thakadu: Aarvark-Restaurant
Plocepasser mahali










So, nun ist aber genug geshoppt, es wird Zeit, dass wir uns auf den Weg machen, der heute wieder mal ein langer sein wird. Zärtlich bette ich meine Neuerwerbungen ins Auto, wir boarden und fahren los. Nach vielen schnurgeraden und ereignislosen Kilometern erregt plötzlich ein Gegenstand in der Mitte der Fahrbahn unsere Aufmerksamkeit. Das einzig Gute an diesen brettebenen Endlosstraßen ist, dass man Hindernisse der erhabenen Art, und seien sie auch noch so klein, bereits von Weitem sehen und sich folglich langsam nähern kann. Auch wir bremsen nun etwas runter und tasten uns auf das komische Häufchen zu, das beim Näherkommen allmählich ein schwarz-weißes Streifenmuster offenbart. Mhm, das ist wohl kein zerfleddertes Reifenstück und wohl auch kein Schal, denn es flattert nicht, als auf der anderen Straßenseite ein Personenwagen mit hohem Tempo vorbeibrettert. Als wir gerade abseits des Teerbelags unser Auto zum Stehen bringen, quietschen auch die Bremsen des gerade Entgegengekommenen, er wendet und hält schließlich ebenfalls, genau wie wir, auf Höhe des gestreiften Teils, das sich in der Folge als Zebrakobra entpuppt. Vorsichtig nähern wir uns der Schlange. Man kann ja nicht sicher sein, ob sie wirklich tot ist oder sich nur auf dem Teerbelag sonnt. Vor einer Schlange dieser Größe und Giftigkeit sollte man sich auf jeden Fall in Acht nehmen, auch wenn sie benommen oder verletzt ist.

Kein Borussia-Schal...
Road kill: Naja anchietae
Abzweigung zum Tsau Gate










Doch nein, so sehen wir recht schnell, das arme Tier nimmt kein Sonnenbad (mehr) - eine tiefe Verletzung direkt hinter dem Kopf legt den Verdacht nahe, dass es das Leben unter den Reifen eines vorbeikommenden Autos ausgehaucht hat. Überprüfen jedoch können wir das nicht mehr, denn auf der Gegenspur rast soeben ein silberner Mercedes heran, macht auf der Höhe der Schlange einen absichtlichen Schlenker, lässt dabei den gestreiften Roadkill meterhoch durch die Luft wirbeln und uns alle ziemlich erschrocken und fassungslos aus der Wäsche schauen. Was war denn das für ein Idiot? Jedenfalls einer, der offensichtlich tierische Freude daran hatte, uns einen gehörigen Schreck zu versetzen und gleichzeitig den aufregenden Fund zu vermiesen. Auch das Pärchen, das für die Schlange gewendet hatte, hat nur ein ungläubiges Kopfschütteln für den mutwilligen Raser übrig. Doch der ist weg, wie auch die Schlange, fortgeschleudert in das unübersichtliche Gebüsch und hohe Gras am Straßenrand. Und da müssen wir sicher nicht hinterher! Bedauernd und hoffend, dass das Reptil wirklich tot ist, klettern wir also schulterzuckend wieder ins Auto und setzen unsere Fahrt fort.

Auf diesen weiterhin schnurgeraden Kilometern erinnere ich mich plötzlich an einen Namibier namens Richard, den ich auf einer meiner ersten Afrikareisen in Windhoek kennengelernt hatte und der mir eine Geschichte erzählt hatte. Er war Party-Gast auf einer Farm, weit außerhalb der Stadt. Nach feuchtfröhlichen Stunden des Feierns bezog er, zusammen mit anderen Gästen, seinen Schlafplatz in einer gemütlichen Scheune auf dem Farmgelände. Lange lag er wach und versuchte, sein Alkoholkarussell in den Griff zu bekommen, erlag diesem aber schließlich und wankte vor das Scheunentor, um sich dort gründlich auszukotzen. Danach fühlte er sich deutlich besser und kroch wieder in seinen immer noch lauwarmen Schlafsack. Beim Reinkriechen jedoch durchfuhr ihn plötzlich ein heftiger Schmerz an der Hand, er schrie auf, tastete nach dem Schalter seiner Stirnlampe, die er aufbehalten hatte und sah in deren Schein eine schwarz-weiß gestreifte Schlange verschwinden… Eine Zebrakobra hatte ihn soeben in die Hand gebissen! Umgehend wurde er von Freunden ins weit entfernte Krankenhaus gebracht, dort behandelt und er überlebte. Acht Monate war dieser Zwischenfall damals her, als ich Richard kennenlernte, doch er litt noch immer unter den Folgen der Schlangenbegegnung: das injizierte Gift tat, auch Monate danach, noch immer seine Wirkung. Zwar wurde ihm recht bald nach dem Biss  Serum gespritzt, sein Kreislauf erfolgreich stabilisiert und alles schien gut, doch die Ärzte warnten ihn vor den zu erwartenden Folgen des starken Gifts der Schlange. Und diese ließen auch nicht lange auf sich warten. Zum Beweis reckte mir Richard die betroffene Hand entgegen, von der mittlerweile bereits Ring- und Mittelfinger entfernt wurden, wie auch ein großzügiger Gewebekeil aus dem Unterarm, bis zum Ellbogen hinauf. „Und demnächst geht's weiter mit Rausschneiden und Amputieren!“, sagte Richard, als er mir eine pralle blaurote Wurst unter die Nase hielt, die mal sein Zeigefinger war. Die neurotoxische Wirkung des Schlangenbisses also hatte er durch die Erstbehandlung gut überstanden, die gewebezerstörende hingegen war immer noch aktiv – und das auf unabsehbare Zeit. Schauderhaft, grauenvoll und eine deutliche Warnung an alle, die einen Schlangenbiss auf die leichte Schulter nehmen - Serum gespritzt, alles gut; das ist in vielen Fällen ein Trugschluss, eine Augenwischerei. Denn der Begriff „Überleben“ bedient lediglich die Statistik, nicht aber das eventuell leidensvolle Fortbestehen des betroffenen Individuums.

Die Gedanken an Richard und wie es ihm wohl heute gehen mag, beschäftigen mich lange und lassen die langweilige Strecke an mir vorüberziehen. Zumindest so lange, bis uns mitten im Nirgendwo die Abzweigung Richtung Central Kalahari Game Reserve, Richtung Tsau Gate, scharf nach rechts lenkt. Doch die linealförmige Wegführung setzt sich auch nach dem Abbiegen unverändert fort. Einziger Unterschied: wir haben jetzt Sand unter den Reifen und einen Veterinärzaun zu unserer Rechten, in dem wir leider immer wieder Tierleichen entdecken müssen. Springböcke, Oryxantilopen, das sind die am häufigsten zu findenden Kadaver, aber wir sehen auch ein totes Steinböckchen und mehrere kleine, nicht mehr identifizierbare, weil bereits skelettierte Überbleibsel tierischen Lebens, das Selbiges qualvoll im Zaun aushauchen musste. Zäune, die erbaut wurden, um das Weidevieh vor den Erkrankungen der Wildtiere zu schützen. Gerne wird auch mal, je nach Gesprächspartner, das Umgekehrte behauptet - doch jeder, der hier öfter und interessiert unterwegs ist, weiß, dass diese Argumentations-Variante jeglicher praktischen Grundlage entbehrt. Es ist der selbe Quatsch, der beim Aufflackern der Vogelgrippe gerne verbreitet wurde: man hatte dankbarerweise irgendeine arme Wildente ausfindig gemacht, die das Virus nachweislich in sich trug und schon wurde sie zum Epizentrum des Seuchenausbruchs hochstilisiert. Dass sie jedoch, eher naheliegend, auf einem verschissenen Mastgeflügelhof Station gemacht und sich dabei auf dem Misthaufen infiziert hatte, verschweigt man lieber. Der Verbraucher ist ja extrem sensibel. Trotzdem präferiert der geneigte Konsument eher das günstige Fleisch, das er stets „für gut“ verzehrt und macht sich vor, es wäre lückenlos und akribisch kontrolliert. Und der Produzent manipuliert diesen hochkommerziellen Zug, auf den der Fleischkunde so gutgläubig und gerne aufspringt, zu aller Beteiligten Vorteil - angeblich. Im Endeffekt aber sieht es so aus: das Wildtier wird zum Verursacher und Überträger des Übels deklariert, wird getötet, geopfert, der Verbraucher zahlt und wird seinerseits gründlich verarscht, der Tierproduzent hingegen heimst seinen Gewinn auf Kosten der beiden anderen Parteien ein. So ist es auch hier. Riesige Rinderfarmen rund um die Zentralkalahari entlutschen dem kargen, aber geschmackgebenden Boden ein Maximum an Fleischvieh. Um diese Herden und deren Nahrungsgrundlagen zusammenzuhalten, werden Zäune gebaut, kilometerlange, hunderte von Kilometern lange Zäune. Ja, die verhindern die Verbreitung von Seuchen, hin wie her, aber das Wild ist definitiv der haushohe Verlierer dabei. Seiner natürlichen Wanderrouten beraubt, muss es sich mit geringeren Nahrungsressourcen zufrieden geben und die Bestandszahlen passen sich zwangsweise daran an, indem sie sich deutlich verkleinern. Schlimm genug, aber dennoch eine Art der in der heutigen Welt einzig möglichen Anpassung. Richtig schlimm wird es jedoch, wenn Panik bei einem Wildtier aufkommt, wenn es fliehen muss oder wirklich Todesnot leidet - dann stirbt es aufgrund dieses meist unüberwindlichen Hindernisses: es verdurstet, verhungert oder verfängt sich in den gnadenlosen Maschen des angeblich so nutzbringenden Zauns...

Immer an dem Zaun lang
Unbekannt
Dactyloctenium aegyptium










Tja, und diese Opfer des Vet-Zauns müssen nun leider herhalten, uns eine gewisse, wenn auch nicht sehr schöne Abwechslung zu kredenzen. Unser Mitleiden und unsere Empörung aber schaffen es tatsächlich, den langen Weg bis zum Eingangs-Gate in die offizielle Zentralkalahari gefühlsmäßig etwas abzukürzen. Kein Trost, keine Entschädigung für die verendeten Tiere, das ist klar, dennoch verleiht es dem Tod zumindest einen mikroskopisch kleinen, menschentröstlichen Sinn. Man muss es sich halt schönreden, wenn man Zeuge solchen Elends wird und, zu allem Überfluss, auch noch selbst daran beteiligt ist - unsere Schuld als Mensch kann uns halt niemand abnehmen.

Ankunft am Gate
Schrecken am Zaun
Erlangea misera (?)










So also streben wir schuldigen Menschen, die wir nur die Weite unberührter Natur erleben wollen, dem Gate entgegen, erreichen es schließlich auch und reisen ein in unsere ersehnte heile Wunderwelt der zentralen Kalahari. Rasch sind die üblichen Formalitäten erledigt und wir sind drin, im CKGR. Nun könnte man meinen, mit dem Passieren des Gates umfänge einen plötzlich und übergangslos der gewünschte Naturtraum - doch ganz so ist es natürlich nicht. Denn lange Zeit noch begleitet uns der vermaledeite Zaun, diesmal zu unserer Linken. Viel Unterschied macht das zunächst auch faktisch nicht, trotzdem aber empfinden wir eine Art von Hochgefühl, weil wir endlich einen weiteren Ort erreicht haben, der auf unserer Reiseziel-Traumliste stets ganz oben steht. Und so sehen wir uns endlich auch wieder in der Lage, die Schönheiten und Schmankerl dieser Landschaft zu genießen. Eine Vielzahl kalaharitypischer, bunter Blühpflanzen am Wegesrand erfreut unsere Sinne, genau so wie eine schiere Invasion dickbäuchiger Sattelschrecken, die zu Hunderten und Aberhunderten die dünnen Oberdrähte des Zauns bevölkern. Wir fühlen uns wieder angekommen! Und mit einem Male nehmen wir uns deswegen auch wieder Zeit. Zeit, die erforderlich ist, die Einzigartigkeit dieses Landstrichs wirklich entdecken zu können. Obwohl mich dieses rasche Umschalten unsererseits durchaus befremdet, erfreut mich das zu Sehende umso mehr, erst recht, als wir endlich scharf rechts abbiegen müssen und den Zaun hinter uns lassen können. Hier können unsere Augen nun ungehindert schweifen! Wenn sie denn könnten. Denn je weiter wir in den Park vordringen, desto verbuschter präsentiert sich uns die Landschaft - was das Schweifen des Blicks erheblich erschwert. Darauf hatte ich mich zwar seelisch vorbereitet, zumal diese Landschaftsform typisch für weite Gebiete der nördlichen Zentralkalahari ist, dennoch bin ich jetzt etwas enttäuscht. Aber es besteht ja durchaus noch Hoffnung für den ersehnten Abschluss des heutigen Tages, denn unser eigentliches Ziel ist die Motopi Pan. Eine Pan, eine Salzpfanne, zählt zu den weiteren typischen Erscheinungsbildern der Kalahari und verheisst Weite, denn auf den salzhaltigen Böden der Pfannen gedeihen keinerlei Pflanzen. Dafür aber sammelt sich auf diesen vegetationslosen Flächen gerne das Wild und darauf hoffe ich jetzt. Allerdings muss ich mich überraschen lassen, denn wir besuchen Motopi zum ersten Mal und haben keine Ahnung, wie es dort wirklich aussieht, beziehungsweise wo genau unsere gebuchte Campsite liegt.



















Gespannt ötteln wir durch den Busch, aktivieren unser GPS-Gerät, um auch den richtigen Platz zu finden, doch das verbuschte Gelände will nicht weichen. Auch nicht, als unsere aktuellen Koordinaten schon fast mit denen des Ziels übereinstimmen. Zwar staubt es seit geraumer Zeit gipsfein unter unseren Reifen - ein deutliches Indiz, dass wir uns auf Pfannenboden bewegen, doch es buscht und buscht und buscht. Dann endlich, das GPS steht auf Ziel, finden wir die Einfahrt zur heutigen Campsite, die auf normalem Wege kaum zu finden ist, denn sie ist, ohjeh, von dichtem Buschwerk umgeben! Ein paar Meter noch kurven wir die schmale Zufahrt entlang, sind einfach nur noch froh, in wenigen Sekunden den langen Fahrtag beenden zu können, als uns die nächste „freudige“ Überraschung empfängt. Da stehen zwei Autos, zwei Zelte und vier Personen auf unserem gebuchten Platz und blicken uns ohne Begeisterung entgegen. Ach nö! Nicht das auch noch! Höchst genervt steigen wir aus und grüßen die Platzbesetzer, die sich dankbarerweise ihrer Untat bewußt sind. Es ist eine südafrikanische Familie; Eltern mit einer fast erwachsenen Tochter, begleitet vom Freund des Mädls, die sich hier auf gut Glück niedergelassen und nicht damit gerechnet hatten, in dieser entlegenen Gegend doch noch auf rechtmäßige Buchungsgäste zu treffen. Wir sind froh, dass die vier ohne Streitereien das Feld, oder besser gesagt den Busch räumen wollen, doch erst mal müssen wir dazu unser Auto aus der schlauchartigen Zufahrt zurückrangieren, um dann abzuwarten, bis die vier ihren weit ausgebreiteten Ausrüstungswahnsinn in qualvoller Langsamkeit gepackt haben. Endlos werden Wäscheleinen aus den Ästen gepflückt und sorgfältig aufgerollt, Bettzeug wird liebevoll geschüttelt und anschließend in Tragetaschen verpackt, die ausklappbare Trailerküche erst mal grundgepflegt, bevor sie im Anhänger verschwindet, zwei Zelte werden akribisch abgebaut und gerollt, dann folgen weitere Accessoires, die alle ihren Platz finden wollen. Wir hätten unseren Platz ja bereits gefunden, allein er wird nicht frei...

Kudubock
Raphicerus campestris
Da ist ’ne Agame im Busch!










Nach einer Stunde ist es dann doch geschafft, die Südafrikaner räumen zitronigen Gesichts das Feld und wir können uns, wenn auch nur für eine Nacht, endlich häuslich einrichten. Eine Nacht, die übrigens schon am Hereindämmern ist... Gerade noch so schaffen wir unseren Lageraufbau, dann machen wir uns im beginnenden Sonnenuntergang auf die Suche nach der eigentlichen Pfanne. Wir finden sie tatsächlich, doch das weiße Auge liegt wie ausgestorben vor uns. Oh mann, das hatten wir uns anders vorgestellt! Nichtsdestotrotz streckt der stille Zauber der Kalahari seine Finger nach uns aus. Wir werden Zeugen eines zart-pastelligen Sonnenuntergangs, der so unspektakulär ist, dass er uns mit seiner vorsichtigen Kreidigkeit wohlig umfängt, wir sehen müde Vögel in ihre Schlafbäume fliegen, wir hören die Geräusche der beginnenden Nacht und wir werden, zurück auf unserer Campsite, von einem perfekten Vollmond empfangen. Während wir unser Abendessen zubereiten, zieht die blass leuchtende Scheibe des Mondes über uns hinweg und taucht die eigentlich reizlose, verbuschte Umgebung in spannendes Licht. Hier und da raschelt es im Gebüsch, ein Ast knackt, es ist irgendwie heimelig - so heimelig, dass auch wir bald knacken, eingehüllt in unsere kuscheligen Schlafsäcke...


Weitere Impressionen des Tages:

Alien? Buntschrecke!
Zonocerus elegans
Flinke Spinne










Rhinoptilus africanus
Kududame
Mitreisender Käfer










Schöne Landschaft
Tolle Stimmung
Aber nix los...










Quietschgrüne Schrecke
Grünmarmorierte Wanze










Thakadu-Restaurant
Nicht zu nahe ran...
Die Monstermantis
Kurze Pause

30. März 2013, Motopi Pan > Sunday Pan

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Die Schlafsäcke geben uns wieder frei, der Vollmond hat sein magisches Licht im Schein der aufgehenden Sonne bereits ausgehaucht und wir stehen von Neuem inmitten unserer Buschlandschaft. Beim gemeinsamen Frühstück lassen wir unseren kurzen Aufenthalt in der Motopi Pan revue passieren und stellen fest, dass wir diesen Platz von der Liste unserer Traumcamps leider streichen müssen. Nix gegen Motopi, vielleicht waren wir nur zur falschen Zeit am falschen Ort - doch nein, hierher wird uns unser Weg trotzdem nicht nochmal führen. In diesem Bewusstsein nehmen wir das Frühstück ein und freuen uns dabei auf den Umzug zur Sunday Pan, die viel weiter südlich liegt und damit eventuell andere Landschaft verspricht.

Nach diesem resümierenden Morgenmahl folgt dann, wie fast jeden Tag, das Zusammenpacken unserer Habseligkeiten. Wir befinden uns dabei schon in der Schlussphase - die Zelte nebst Inneneinrichtung sind bereits verstaut, die Stühle zusammengefaltet, lediglich der Tisch und die Kisten stehen noch; wir müssen nun nur noch abspülen, um dann auch den Rest verräumen zu können. Und den Spüldienst verrichten heute Heinz und ich. Nun befinden wir uns hier in einem der trockensten Teile der Kalahari, was zur Folge hat, dass jegliche Präsenz von Wasser - und sei es nur Abspülwasser - mindestens ein Lebewesen dürstend, lechzend und gierig aus seiner Deckung lockt. So auch heute Morgen: eine riesige Wegwespe umsurrt, wie aus dem Nichts kommend, unser nasses Geschirr, unseren Schwamm, das feuchte Trockentuch - und unsere nassen Hände. Auch meine - und das mit besonderer Vorliebe! Das gefährlich aussehende Insekt, das eine beeindruckende Körperlänge von sicher sechseinhalb Zentimetern aufweist, beim Fliegen bedrohlich surrt und in wespentypischer Manier seinen Hinterleib beim Fliegen schräg nach unten richtet, hat es, wie offenbar die meisten Insekten, akkurat und fast ausschließlich auf mich abgesehen. Vernehmlich quiekend fliehe ich immer wieder aus der Landezone der Wespe, werfe Schwamm und Geschirr auf den Tisch, doch sie will mich trotzdem nicht in Ruhe lassen. Heinz, ganz begeistert von dem schwarz-blauen Monster, versucht mich zu überzeugen: „Die ist doch ganz lieb und außerdem total schön!“ Ja, sie ist schön, wunderschön sogar - mit ihrem schwarz-blauen Körper, ihren transparenten, ölig schillernden Flügeln, der hübschen Taille und den glänzenden Kieferwerkzeugen, die in der Morgensonne funkeln. Ja, ja, ja, sie ist schön. Aber nur, solange sie mich nicht gezielt anfliegt, sondern stattdessen das von mir extra verkleckerte Spülwasser vom Tisch trinkt. Tut sie aber nicht! Schließlich erbarmt sich Heinz meiner phobischen Anfälle, macht seine eigenen Hände ordentlich nass und lenkt das Vieh von mir ab. So können wir unseren Abwasch zu aller Zufriedenheit abschließen: die Wespe trinkt von Heinz’ Händen, ich beende das Geplätscher, verräume alles Feuchte und beobachte anschließend entspannt, wie mein Liebster von dem Monster ausgiebig benuckelt wird. Die Wespe ist wirklich lieb: sie sticht nicht, sie beisst nicht und sie bleibt mir fern!

Schön ist sie ja,
die Wegwespe!
Aber lieb???










Annette und Jochen amüsieren sich übrigens die ganze Zeit schon über meinen zaghaften Umgang mit dem Surrteil, vor allen Dingen Annette. Als Heinz und ich allerdings alles Feuchte in die Kisten gepackt, unsere Hände getrocknet und uns unauffällig aus der Wespenzone entfernt haben, übernimmt Annette das nasse Geschirrtuch - und ist nun ihrerseits am Quieken und Flüchten. Siehste! Tapferkeit demonstrieren kann man immer - sofern man selbst nicht betroffen ist...

Heinz ist und war ja schon immer der wahre, unerschrockene Insektenheld, Annette hingegen spielt ihre Rolle als Beflogenene gerade nicht besser als ich. Egal. Die Wespe hinter uns lassend - wir haben sie mit dem in den Sand geschütteten Spülwasser erfolgreich abgelenkt - machen wir uns vom Acker, verlassen Motopi. Den Platz inmitten der Zentralkalahari, den wir für die paar Übernachtungs-Stunden hart umkämpfen mussten. Hat es sich gelohnt? Ja, nein, nein, ja? Ja, weil der Platz ruhig und abgelegen ist, weil einen absolute Wildnis umgibt - und der Mond so schön durch das Gesträuch schien. Nein, weil die Gegend total verbuscht ist und ich die Weite der Kalahari hier nicht mal ansatzweise spüren konnte. Also ein klares Nein.

Landschaftsimpressionen:
Die ersehnte Weite
der Kalahari










Doch wir haben noch eine weitere, lange Durststrecke vor uns, bevor uns endlich die Kalahari umgibt, die wir so lieben. Stundenlang ötteln wir durch dichtes Buschland, sehen nichts außer Gestrüpp und können dem Ganzen auch beim besten Willen nicht viel Positives abgewinnen. Aber das dröge Gezockle lohnt sich schließlich doch. Gen Mittag weitet sich die Landschaft, unsere Augen können wieder schweifen und entdecken sogleich auch riesige Ansammlungen von Springböcken, die sich im Schatten weniger Bäume schutzsuchend zusammendrängen. Eine Giraffe stakst über eine goldgrasige Ebene und all das versöhnt uns sofort mit mit unserem „erlittenen“ Schicksal. Unsere Fahrapathie legt sich beinahe augenblicklich und wir sehnen uns nach einer Rast, die uns aus dem Auto heraus, hinein in die Welt der Kalahari bringt. So halten wir an einer besonders schönen Stelle, nehmen uns über eine Stunde Zeit, die Eindrücke in uns aufzusaugen.

Gedränge im Schatten
Springböcke
Giraffe flimmert in der Hitze










Und die sind mannigfaltig: auf den niedrigen Bäumen, die unseren Rastplatz beschatten, tummeln sich viele Vögel, vorwiegend Mahaliweber. Sie ziehen gerade ihre Jungen auf und fliegen dabei emsig umher, um Fressbares für ihren Nachwuchs zu sammeln. Im Zuge dessen müssen natürlich auch wir und unsere Brotzeit auf's Genaueste inspiziert werden. Hingerissen von der unverbildeten Neugier der Vögelchen, vergessen wir beinahe, unseren Mittagssnack zu uns zu nehmen. Außerdem bewundern wir einige strotzende, früchtetragende Misteln, deren Verbreitungsstrategie sich hier überdeutlich demonstriert: die Samen des pflanzlichen Parasiten sind von einem Fruchtfleisch umhüllt, das in appetitlichem Rot leuchtet und somit fast alle Fresswilligen anspricht (uns nicht ausgeschlossen). Sobald aber die rote Beerenhülle durchstoßen wird, gibt sie ein Fruchtfleisch frei, das extrem klebrig ist und auf allem haften bleibt, was da des Weges kommt. Der Vogelschnabel zum Beispiel trägt die Frucht fort, sie fällt herunter, bleibt, mit viel Glück, am nächstbesten Ast kleben und beginnt, mit noch mehr Glück, auszutreiben. Faszinierend! Doch das sind nicht die einzigen Pflanzen, die hier unter extremen Bedingungen erfolgreich gedeihen. Wir, die wir ja frisch aus der Sukkulenten-Karoo kommen, müssen uns erst wieder an diese völlig andere botanische Welt gewöhnen, die nicht minder interessant ist - wenngleich wohl auch nur ich das so empfinde...

Plocepasser mahali:
Spähen und die Lage checken
Nö, hier ist nix zu holen!










Heinz ist halt einfach eher an Sukkulenten interessiert und Annette und Jochen haben ihren Fokus mehr auf Tieren, als auf Pflanzen der weniger spektakulären Art. Doch unspektakulär ist hier gar nichts, zumindest nicht, wenn man sich ein wenig näher damit beschäftigt und die geeignete Fachliteratur zur Hand hat. Die habe ich und bestimme mit Begeisterung, lese nach, woher der wissenschaftliche Name kommt, unter welchen Bedingungen die jeweilige Pflanze gedeiht und, besonders interessant, welch medizinischen Nutzen sie hat. Und wieder mal stelle ich fest, dass die Kalahari jeder gut sortierten Apotheke Konkurrenz machen könnte, wenn man deren Schätze denn nachhaltig nutzen würde. Das Wissen wäre da, allein die verdammte Pharmaindustrie lobbyiert halt mal wieder allzu erfolgreich... Aber das ist ein endloses Thema, von dem ich mich im Moment nicht ärgern lassen möchte. Viel zu schön ist es hier für derart unerfreuliche Gedanken - und lieber genieße ich die Zeit, die mir mein alljährlicher Urlaub beschert, als gedanklich gegen Windmühlen zu kämpfen, gegen deren Flügel ich ohnehin wenig bis keine Chancen habe.

Schlechte Landung
Gute Landung
Landung mit Hoffnung










Ja, wir sind hier; das Leben meint es so gut mit uns, dass wir uns fast jedes Jahr einen derartigen Urlaub leisten können, dass wir Gegenden bereisen dürfen, die andere allenfalls im Fernsehen auf Distanz erfühlen und bewundern können - uns wird dieses Privileg immer wieder zuteil und wir fühlen uns deshalb auch wirklich vom Leben bevorzugt. Zugegeben, das besagte, erhebende Gefühl erleidet so hin und wieder eine kleine Baisse - wie zum Beispiel an der Motopi Pan - doch alles in allem wissen wir das Geschenk unserer Urlaube sehr zu schätzen! Und aus dem kurzfristigen Motopi-Tief sind wir ja auch schon wieder seit einer ganzen Weile aufgetaucht, hier im Passarge Valley, das wir bald nach unserer Pause verlassen, um nach Südosten, Richtung Sunday Pan abzubiegen.

Springbock
Jeder Baum wird genutzt
Wolkenstimmung










Die Landschaft präsentiert sich nach wie vor vielversprechend, als wir dreizehn Kilometer nach dem Abzweig auf das weitere Umfeld der Campsite treffen, die uns für die nächsten zwei Tage beherbergen wird - die Sunday Pan. Bei unserer Buchung hatten wir als Wunschsites die Plätze CKS02 und 03 angegeben, da diese der Pfanne am nächsten liegen. Zufrieden nahmen wir eine Bestätigung für die 02 entgegen, nicht ahnend, dass sich durch die Privatisierung der Siteverwaltung auch eine Umnummerierung vollzogen hatte: eins ist jetzt zwei, zwei ist vier, drei blieb drei und die neue eins ist nun der Einzelplatz an der Leopard Pan. Und das Vorkürzel hat sich ebenfalls geändert. Aus dem ehemaligen CKS wurde CKSUN, was für zusätzliche Verwirrung sorgt, denn demnach haben wir die alte Site 01, ganz im Süden der Sunday Pan und somit nicht den Platz, den wir eigentlich wollten. In der Buchung aber stand noch das alte Kürzel, kombiniert mit der neuen Nummer, also CKS02, doch das Schild „CKSUN02“ besagt dennoch relativ eindeutig, dass wir hier richtig sind, zumal der Platz auch unbesetzt ist. Oder sind wir doch falsch? Bei diesem Chaos kennt sich kein Mensch mehr aus! Entsprechend unsicher und sparsam in der Equipmentverteilung lassen wir uns nun erst mal nieder, immer noch rätselnd, was es mit der ominösen, undurchschaubaren Umnummerierung auf sich haben könnte. Der Platz ist, naja, nicht ganz das, was wir uns vorgestellt hatten, aber schlecht ist er dennoch nicht: leicht erhöht und von dichtem Buschwerk umgeben, liegt er fernab der anderen Campsites - Stille und Ruhe garantiert. Zur Sunday Pan muss man zwar ein paar Kilometer fahren, doch eine unmittelbare Nähe zur Pan ist ja auch lediglich ein Wild-Versprechen, keine Garantie.

Wir haben uns also gerade semi-bequem eingerichtet, als sich bereits eine vermeintliche Bestätigung unserer Zweifel nähert: ein Drei-Auto-Konvoi vollbesetzter südafrikanischer Wagen, bestückt mit Off-road-Trailern, kurvt in unser Idyll! Ein wackerer Bure steigt aus, steuert auf uns zu, die ganze Begleit-Familie folgt hinterher, bis schließlich zirka 20 Menschen um uns herum Stellung bezogen haben. In Gedanken sehen wir bereits einen Umzug vor uns - doch weit gefehlt! Stattdessen werden wir um Hilfe gebeten: „Wir haben die 03 gebucht, da können wir aber nicht hin, weil dort ein Löwenrudel den Platz besetzt. Das Männchen liegt im Sterben, weshalb wir sie auch nicht vertreiben können. Könnten wir im Notfall bei euch unterkommen? Nur im Notfall. Wir schauen jetzt noch weiter, ob hier eine andere Campsite frei ist, dann gehen wir da hin. Ist ja alles recht chaotisch mit der Umbenennung der Plätze...“ Ach, die haben also auch Probleme mit der Nummernänderung?! Auf der einen Seite fühlen wir uns natürlich endlich unseres Platzes bestätigt, andererseits sind die Südafrikaner genau so verwirrt wie wir. Aber Verwirrung hin oder her: man hilft sich gegenseitig, sobald Not am Mann ist. Also sichern wir der südafrikanischen Großmannschaft unsere Unterstützung zu, wenngleich uns dieses Versprechen in die nächsten, sehr eigennützigen Sorgen stürzt. Wer will schon mit rund zwanzig Mannen, Frauen und Kindern einen Platz in der menschenleeren Wildnis teilen, wer will dem Geräusch von Kompressoren lauschen, wenn er Stille erwartet hatte, wer will enger zusammenrücken, nur weil eine Heerschar lärmenverheissender Personen auftaucht, die viel Platz brauchen?! Wir gehorchen trotzdem freundlich und verständnisvoll diesem unausgesprochenen Gesetz der allübergreifenden Hilfeleistung und sagen selbstverständlich unseren Beistand zu. Immer in der letztendlichen Hoffnung, das Problem möge sich von selbst erledigen.

Annette und Jochen jedoch haben gar kein richtiges Ohr für die Bitte der Südafrikaner, verdrängen die auf uns zukommenden Konsequenzen - denn die beiden haben Wort vernommen, das alle anderen Sorgen auszulöschen scheint: LÖWEN! Fünf Buchstaben, die offenbar magische, nahezu unwiderstehliche Anziehungskraft ausüben. L-Ö-W-E-N! „Da müssen wir hin!“ Sagt Annette - und auch Jochen hat leuchtende Augen. Heinz und ich hingegen haben hauptsächlich das Wort „sterbend“ im Hinterkopf und möchten deshalb dieser Veranstaltung nur zu gerne fernbleiben. Doch wir haben leider nur ein Auto, was Heinz und mir gewisse sicherheitsbedingte Daumenschrauben ansetzt; uns ist nämlich noch nicht klar, wie weit die einzelnen Campsites tatsächlich voneinander entfernt sind. Also fahren wir aus einem gewissen Sicherheitsbedürfnis heraus, aber dennoch schweren und zweifelnden Herzens mit. Und, oh Gott - die schlimmsten unserer Befürchtungen übertreffen sich selbst, dort auf der feliden-okkupierten Site 3.

Löwin Eins
Der sterbende Löwe
Löwin Zwei










Wir trudeln also auf dem Platz ein, der uns von den schockierten Südafrikanern als löwenrudel-besetzt gemeldet wurde, und erblicken tatsächlich zwei der Großkatzen. Ein Weibchen liegt ziemlich in der Mitte der Site und hebt ihren Kopf, als wir in ihr Blickfeld kommen. Nur kurz sieht sie uns an, dann sinkt ihr Schädel wieder zu Boden und sie schließt desinteressiert und irgendwie erschöpft die Augen. Auf der rechten Seite, ganz am Rande des Platzes, entdecken wir dann das zweite Mitglied des Rudels - ein Männchen. Bis auf die Knochen abgemagert, kaum noch sichtbar atmend, schwer krank, dem Tode nahe. Sein struppiges Fell liegt wie hingeworfen auf dem Skelett, das man überdeutlich erkennen kann, seine Augen sind verklebt, seine Nase verkrustet und er reagiert auf unser Kommen, indem er mühsam ein Augenlid hebt. Ein Bild des Elends - aber irgendwie ein friedliches. Nur wir stören dabei. So empfinden jedenfalls Heinz und ich, und bitten deshalb unsere Freunde, sofort wieder zu fahren. Die beiden folgen etwas zögerlich, zu zögerlich, unserem Wunsch, aber Jochen wendet tatsächlich gerade das Auto, als eine weitere Löwin auftaucht. Sie hatte im Schatten der Klospirale geruht und will nun wohl nach dem Rechten sehen. Langsam kommt sie aus dem kleinen Holzgebäude heraus, sieht sich um, schüttelt sich und schreitet gemächlichen Schrittes auf ihre liegende Rudelgenossin zu. An deren Seite lässt sie sich dann niederplumsen und schließt ihre Augen. Ihr Brustkorb hebt und senkt sich dabei, als hätte sie soeben eine große Anstrengung hinter sich gebracht. „Bitte, lasst uns endlich fahren!“, flehen Heinz und ich. Denn Leiden und Sterben sind so private, so intime Vorgänge, dass wir da nicht als Zeugen anwesend sein müssen. Das gehört sich einfach nicht!

Heinz und ich fühlen uns im Moment wie Voyeure der übelsten Sorte, denn es ist offensichtlich, dass keines der Mitglieder des sogenannten Rudels wirklich gesund ist. Weg hier, bitte! Lassen wir doch den kranken beziehungsweise sterbenden Tieren ihre Würde. Unsere Freunde bekämpfen erfolgreich ihren Löwensichtungsdrang und geben unseren Bitten schließlich nach. Doch leider zu spät. Denn in dem Moment, als unser Wagen vollständig gewendet und zur Ausfahrt bereit wäre, kommt eine Karawane von sage und schreibe sechs Autos ums Eck gebogen. Zielstrebig drängen sie sensationslüstern auf den Platz, verstopfen die Zufahrt und wir kommen nicht mehr raus. Dafür kurven die anderen, vor lauter Gedrängel und Geschiebe, dem bedauernswerten, sterbenden Katzenmann beinahe über die weggereckten Pfoten, hupen und schimpfen dabei lautstark. Wir sind fassungslos! Schließlich hat sich der Konvoi endlich strategisch günstig auf Platz 3 festgezeckt - strategisch günstig für sie selbst, nicht aber für uns und schon gar nicht für die drei Löwen. In dieser Situation, wo wir alle praktisch Autotür an Autotür hoffnungslos verkeilt sind, bekommen wir natürlich auch hautnahe mit, was da vor sich geht: unsere südafrikanischen Bittsteller sind offenbar, beim Abklappern weiterer Campsites in der Nähe, auf Landsleute gestoßen. Man hat sich nun patriotisch zusammengerottet, um den tierischen Feind, der nicht vom bezahlten Platz weichen will, gemeinsam zur Flucht zu bewegen. Was ja nur rechtens sein dürfte, oder? Oder auch nicht. Denn es hat, so vermuten wir, einfach keiner der anderen Südafrikaner wirklich Bock, Botswanas Wildnis mit den zwanzig Hilfesuchenden zu teilen, die ihrerseits wiederum froh waren, wenigstens Landsleute vorgefunden zu haben, statt den Deutschen (also uns) auf die Pelle rücken zu müssen. Das reimen wir uns allerdings nur zusammen. Was wir jedoch definitiv bezeugen können, ist die Unterhaltung der helfenden Südafrikaner, die, obwohl nur wenige Dezimeter voneinander und von uns entfernt, natürlich ihren On-board-Sprechfunk nutzen. Und das mit einer Aufgeregtheit, als hätten sie akut den dritten Weltkrieg zu verhindern, einmarschierende Taliban und marodierende IS inkludiert. Und es ist, wäre es nicht so pervers und bitter, tatsächlich amüsant - D-max, das echte Männerprogramm, lässt grüßen: „Zwei an eins: wir müssen was tun!“, schreit der eine Fahrer in sein Funkgerät. Der Adressat, direkt neben dem Absender, beide Vorderfenster offen, brüllt zurück: „Verstanden, Zwei! Ja, wir müssen die Löwen verjagen!“ Zwei beugt daraufhin seinen Oberkörper nebst Haupt aus dem Fahrerfenster und verständigt Drei, ebenfalls über Funk, dann Vier, Fünf und Sechs, die offenbar nicht mit Sprechfunk ausgerüstet sind: „Wir jagen die Löwen hier weg, der Platz muss frei werden!“ „Roger, Zwei! Wie wollen wir es anpacken?“ „Ihr packt hier gar nix an!“, mischen wir uns ein. „Ihr könnt doch nicht allen Ernstes auch nur einen Gedanken dran verschwenden, diese Löwen von hier zu vertreiben! Das Männchen ist nur noch Haut und Knochen, liegt im Sterben und wird wohl kaum in der Lage sein, ein paar Meter zu gehen. Außerdem ist das Tierquälerei. Also untersteht euch gefälligst!“ Feindselig starren uns zahlreiche Augenpaare an. Die Bittsteller jedoch machen einen fast erleichterten Eindruck und nicken heftig. Die Einheiten Eins bis Drei sind darob und auch aufgrund unserer Intervention sichtlich irritiert, geraten jedoch tatsächlich ins Nachdenken und beratschlagen nun lautstark. „Das Männchen sieht echt schlecht aus. Vielleicht kann es wirklich nicht mehr gehen. Aber irgendwie muss es ja auch hierhergekommen sein... Moment, ich versuche mal was.“ Fahrer Eins, der dem sterbenden Tier am nächsten steht, beugt sich aus dem Fenster und beginnt, wir fallen fast vom Glauben ab, zu bellen! „Wauwauwuffwau, knurr, wuff!“ Sind wir hier im falschen Film? Offenbar; denn auch Einheit Zwei und Drei schauen peinlich berührt und stoppen den Hilfswauwau. „Lass das, das bringt doch nix! Wir rufen die Ranger, sollen doch die sich drum kümmern. Rangerstation, hallo, hallo! Halloooo?“, brüllt Zwei in sein Funkgerät. Keine Antwort. Er schraubt an der Frequenz. „Hallo, Ranger bitte kommen, Sunday Pan, Platz drei ruft. Hallo, hallo?“ Keine Antwort. Schließlich geben unsere Hobby-Löwenentferner auf, blasen zum Aufbruch und ziehen im Konvoi wieder ab, genau so, wie sie auch gekommen waren.

Wir sitzen mit offenen Mündern in unserem Auto und können immer noch nicht glauben, welcher lächerlichen Posse wir da gerade beiwohnen mussten. Wie bekloppt können Menschen sein!?! Kopfschüttelnd starten wir unseren Wagen und verlassen den Ort des Geschehens, werfen dabei einen letzten Blick auf die Tiere, die die Invasion anscheinend ohne gravierendere Schäden überstanden haben. Bei solchen Idioten kann man ja leider nicht sicher sein, ob nicht doch einer dem Löwen über die Pfoten gekurvt ist. Aber alles ist okay, soweit man in dieser Situation eben von okay sprechen kann. Die Reifenspuren führen zwar im Abstand von wenigen Zentimetern an den abgemagerten Tatzen des Männchens vorbei und der Arme hat sich sicher extrem hilflos und bedroht dabei gefühlt, doch immerhin hat ihm niemand noch mehr Leid zugefügt, als er ohnehin schon auszustehen hat. Und die Nummer mit der Vertreibung dürfte auch gegessen sein. Zur Sicherheit aber habe ich vorhin alle Autokennzeichen (demonstrativ) fotografiert und halte nun auch noch die Reifenspuren fest. Morgen werden wir nochmal kommen und die Lage kontrollieren. Sollten wir dabei auf beweisbare Anzeichen eines weiteren Eingreifens durch die Vertreiber-Einheiten Eins bis Drei stoßen, werden wir das Ganze der zuständigen Behörde melden. Das ist Fakt! Doch trotz dieses kämpferischen Vorsatzes und des relativ glimpflichen Ausgang des lachhaften Possenspiels verlassen wir diesen Platz mit schlechtem Gefühl und einem extrem schalen Nachgeschmack. Gute Nacht, ihr Löwinnen, bewacht euren sterbenden Mann gut und begleitet ihn in einen hoffentlich baldigen Tod.

Abenstimmung
Wundervolles Licht
Malerische Wolken










Mit diesen Wünschen kurven wir vom Platz, umrunden anschließend noch die Sunday Pan, sind aber nicht wirklich bei der Sache und deshalb mehr als froh, endlich wieder auf unserer Site anzukommen. Die südafrikanische Großmannschaft, die wir nach dieser unrühmlichen Aktion nun fast sicher zu sehen erwarten, ist augenscheinlich doch anderswo untergekommen. Wir sind, offen gestanden, alles andere als traurig darüber, traurig macht uns nur das unsägliche Verhalten der Menschen, dem wir vorhin live beiwohnen „durften“. Das lässt uns auch den ganzen weiteren Abend nicht mehr los. Nicht mal die vielen interessanten Insekten, die sich vom hellen Schein unserer Lampe angezogen fühlen, können uns wirklich ablenken, sodass wir bald schlafen gehen, den sterbenden Löwen mit in unsere Träume nehmend.


Weitere Impressionen des Tages:

Noch sitzen sie, die Reiher
Mist, aufgescheucht!
Sie schrauben sich höher...










...und höher...
...und höher.
Numida meleagris










Sieht mich denn keiner?
Mahaliweber-Nester
Mistelbeeren










Ipomoea sp.
Barleria senensis
Zauberhafte Lichtung










Aerva leucura
Leucosphera bainesii
Eriocephalus luederitzianus










Aufmerksame Löwendame
Bewacherinnen des Sterbenden
Die Reifenspuren...










Besuch hinter der Autoreling
Braune Gottesanbeterin
Grüne Gottesanbeterin










Bunte Ameisenjungfer
Ameisenjungfer
Nachtaktive Spinne

31. März 2013, Sunday Pan, Ruhetag

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Unser erster Gedanke beim Aufwachen gilt den Großkatzen, die nicht weit von uns eine hoffentlich friedvolle Nacht hinter sich bringen konnten. Konnten sie? Noch vor dem Frühstück wollen wir das jetzt überprüfen und machen uns deshalb sofort auf den Weg zu Platz Drei. Dort angekommen, fahren wir langsam die kurze Einfahrt hinein, tastend, um sofort umzukehren, sobald wir die Tiere sehen. Doch wir sehen nichts. Keine Löwinnen, kein sterbendes Männchen. Verlassen liegt die Site vor uns, die Sterbekuhle ist deutlich zu erkennen, allein der Todkranke ist nicht mehr da! Was ist hier passiert? Waren die Südafrikaner doch noch mal da? Erzürnt inspizieren wir die aktuellen Reifenspuren. Gerade zücke ich meine Kamera, um vergleichen zu können, als uns deutliche Pfotenabdrücke ins Auge fallen, die die nach wie vor unveränderten Reifenspuren überlagern und eine lebhafte Geschichte erzählen: im Laufe der Nacht hat ein Leopard den Platz besucht und die drei Löwen überrascht. Die beiden Weibchen waren sofort zur Stelle, brachten ihren sterbenden Clanherrn irgendwie auf die Beine und dirigierten ihn auf den Weg zum Nachbarplatz. Dort, zwischen den beiden Sites, verschwinden die schleifenden Spuren des Löwenmannes und seiner Damen in der Nachhut plötzlich im Busch, die Tatzenabdrücke des Leoparden folgen. Was ab da geschehen sein mag, entzieht sich unserer Kenntnis. Alles, was wir noch zu Gesicht bekommen, sind die Pfotenspuren des Leoparden, die zweihundert Meter später erneut kurz die Pad kreuzen, wieder im Dickicht verschwinden - auf Nimmerwiedersehen. Der Ausgang dieses nächtlichen Geschehens wird also auf ewig ein ungelöstes Rätsel für uns bleiben, wir können nur mutmaßen. Was wir nun aber definitiv wissen - und das beruhigt uns ungemein: Menschen waren hier nicht mehr im Spiel, dem Himmel sei Dank! Stattdessen hat es der Leopard geschafft, Bewegung in den sterbenden Löwen zu bringen – auch wenn das kaum vorstellbar ist. Dennoch - die Spuren lügen nicht - ist es geschehen, und wir hoffen nun, dass das Tier nach dieser schier unglaublichen Anstrengung endlich in Frieden sterben darf oder gar schon tot ist. Ein tröstlicher Gedanke!

Hoodia sp.
Und wieder machen wir uns nun, wie gestern Abend auch, auf den Weg rund um die Sunday Pan. Heute sind wir zwar bei der Sache, nicht so abgelenkt und voll konzentriert. Trotzdem ist das Ergebnis unserer morgendlichen Pirschfahrt nahezu das selbe - nämlich NIX. Einziger Unterschied: eine Hoodia am Eingang zur Pfanne. Die hatten wir gestern tatsächlich übersehen... Nö, Leute, lasst uns lieber erst mal frühstücken und dann können wir weiter sehen. Alle sind einverstanden. So kehren wir auf unseren Platz zurück und lassen uns zum Morgenmahl nieder. Offenbar nicht unbemerkt. Plötzlich umringen uns nämlich über dreißig Perlhühner. Ohne jegliche Scheu nähern sich die Hühnervögel, sie betteln aber nicht und sind auch nicht aufdringlich; sie sind einfach nur da und beobachten uns aufmerksam - sechs Erwachsene und dreißig Jungtiere. Heinz und ich sind entzückt über den Besuch der putzigen Vögel mit den getupften Federn und den blau-roten Köpfen. Besonders angetan haben es uns aber die Youngsters, die bereits das Federkleid der Erwachsenen tragen, auf dem bräunlichen Kopf jedoch allesamt noch einen schmalen, sehr kecken Streifen ihrer Kükenfedern haben - wie ein kleiner Irokesen-Kamm. Sind die süß! Jochen hingegen gibt sich völlig unbeeindruckt von den Hühnern, die für ihn, aufgrund ihrer Häufigkeit, wohl zum ornithologischen Standardprogramm zählen. Ungerührt verzehrt er ein Brot und schlürft nebenbei genüsslich seinen Kaffee, ohne die Perlhühner auch nur eines Blickes zu würdigen. Annette jedoch lässt das Federvieh keinen Augenblick aus den Augen, Interesse oder gar Zuneigung spielen dabei allerdings keine Rolle. Im Gegenteil. Annette fühlt sich sichtlich unwohl und versucht immer wieder, die Vögel am Näherkommen zu hindern. „Kusch! Weg! Geht bloß weg!“, ruft sie ein ums andere Mal, wedelt dabei abwehrend mit den Händen. Heinz und ich sehen uns erstaunt an. Unsere Freundin scheint tatsächlich Angst vor den harmlosen Tieren zu haben! So kennen wir sie ja noch gar nicht!

Die Hühnerschar rückt an
Ich bin begeistert!
Heinz nicht weniger










Etwas amüsiert beobachten wir ihre hilflosen Fernhalteversuche, wobei ich fast schon ein schlechtes Gewissen habe. Denn aus eigener Erfahrung weiß ich nur zu gut, wie es ist, eine unerklärliche Furcht vor bestimmten Tieren zu empfinden, die viele andere Menschen so gar nicht nachvollziehen können. Und man selbst kann es auch nicht erklären, wenigstens nicht so richtig plausibel. Nun habe ich aber den Vorteil, dass meine Schreckobjekte, nämlich bestimmte Krabbeltiere, bei vielen Leuten Ängste auslösen, und befinde mich deshalb in verständnisvoller Gesellschaft. Doch Angst vor Federvieh? Da dürfte die Gruppe mitleidender Personen wesentlich kleiner sein. Das ist wohl auch Annette bewusst, denn sie beherrscht sich wacker. Als jedoch eines der Junghühner (ein besonders mutiges mit einer schrägstehenden Feder auf der Brust) zum flatternden Sprung auf unsere Tischplatte ansetzt, ist es um ihre Beherrschung geschehen. Entsetzt springt sie auf, schlägt wild um sich und beschimpft die unschuldige Hühnerschar: „Geht weg! Ihr habt hier nix zu suchen! Ich jag’ euch alle fort, wenn ihr uns nicht endlich in Ruhe lasst. Jochen, mach doch was!“ Jochen zuckt die Schultern, verweigert aber den Heldendienst. Heinz und ich können uns nun leider auch nicht mehr beherrschen. Die Vorstellung, dass Annette schimpfend hinter den Hühnchen her rennt, erheitert uns derart, dass wir vor Lachen fast in Tränen ausbrechen. Annette findet das verständlicherweise weniger erheiternd und verteidigt sich: „Lacht ihr nur! Aber die gehören nicht auf den Tisch! Die verwüsten doch alles. Und habt ihr die Krallen gesehen? Die sind richtig gefährlich!“ Heinz und ich brechen aufgrund dieser Erklärung nun vollends zusammen und auch Jochens Mundwinkel zucken mittlerweile verdächtig. „Ach, ihr versteht das einfach nicht!“, schimpft Annette und räumt beleidigt den Frühstückstisch ab - um unser unkaputtbares Plastikgeschirr aus der Gefahrenzone zu bringen.

Nur langsam beruhigen wir uns alle und beraten dann über den weiteren Tagesplan, umringt von 36 sehr braven Perlhühnern. Die Sonne glüht schon wieder vom Himmel, unsere gefiederten Besucher legen sich im Schatten unseres Autos, des Tisches und der Zelte ab und selbst Annette sieht nun kaum noch Grund zur Flucht. Wir einigen uns deshalb einstimmig auf eine ausgedehnte Ruhephase, die wir gemeinsam im hühnerverseuchten Camp bei Tee, Lektüre und Entspannung verbringen wollen. Am frühen Nachmittag dann, so besprechen wir, könnten wir zu einem ausgedehnten Gamedrive aufbrechen und erkunden, ob es anderswo mehr Wild zu sehen gibt. So machen wir das! Zufrieden und relaxed verteilen wir uns im Schatten und genießen die nun folgenden Musestunden. Annette und Jochen lesen, Heinz und ich hingegen, den wenigen Schatten mit den schlafenden Perlhühnern teilend, erfreuen uns einfach so, ohne Hilfsmittel, beobachten die Vögel, unterhalten uns leise, um nur ja die pennenden Tiere nicht zu stören und fühlen uns dabei so angekommen, so entspannt, wie selten zuvor in diesem Urlaub. „Schneck, ich mag heut’ nimmer auf Gamedrive gehen. Ich finde das so schön hier, mit all den Huhnis!“, flüstere ich. „Ja, genau das find’ ich auch“!, wispert Heinz zurück. „Also bleiben wir!?“„Jaaah!“ Gebongt.

Inmitten der Hühnchen
Schattensuche
Schatten gefunden!










Stunden später, die Hitze hat ihren Höhepunkt erreicht, machen sich unsere Freunde bereit für den geplanten Gamedrive. Heinz und ich müssen uns nun zu unserem Entschluss bekennen. Wir haben ja kein Problem damit, hier zu bleiben, im Gegenteil, befürchten aber, dass uns uns unsere Freunde nicht alleine lassen wollen - schließlich sind noch immer irgendwo Löwen in der Nähe. „Euch ist schon klar, dass ihr dann ohne Auto seid? Und ihr habt die Löwen nicht vergessen, oder?“, folgt prompt der erwartete Einwand. „Klar! Aber die Perlis sind ja da, die passen schon auf uns auf. Und für den Ernstfall gibt es auch noch zwei Zelte.“ „Wie ihr wollt.“ Uih, das ging unerwartet diskussionslos, super!

Also machen sich unsere Freunde alleine zu ihrem Gamedrive auf, entführen uns das Auto, und wir beide bleiben inmitten unserer Hühnerschar zurück, die immer noch entspannt schläft. Der sich entfernende Wagen und der damit flötengegangene Schatten bringt zwar etwas Unruhe unter die Vögel, doch schnell kehrt der stille Friede wieder zurück. „Meinst wirklich, die Hühner warnen uns, wenn Gefahr im Verzug ist?“ „Ne. Die machen eher den Eindruck, sie würden sich, was das betrifft, auf uns verlassen...“ Tja, nun wäre das auch geklärt. Egal! Egal, denn wir sind im Glück - allein auf weiter Flur, umgeben von zutraulichen Perlhühnern, die im Schlaf leise vor sich hin glucksen und ihre Entspanntheit voll und ganz auf uns übertragen.

Ach, bin ich müde!
Sooooo müde...
Seufz...










Die Zeit schreitet voran, die Sonne neigt sich Schritt für Schritt und die Temperatur wird allmählich erträglicher. Das spüren auch die Perlhühner - sie werden langsam etwas munterer – zumindest ein paar von ihnen. Heinz ebenfalls: er schreitet zur Tat, greift sich unsere Axt und beginnt, eine umgestürzte Akazie am Rande des Platzes zu Feuerholz zu verarbeiten. Ich bleibe sitzen und lausche stattdessen der anschwellenden Unterhaltung der Hühner. Bis dato kannte ich die Vögel nur als laut kreischende, blechern trompetende Individuen, deren „Gesang“ echt keine Freude aufkommen lässt. Doch heute findet wirkliche, total entspannte Kommunikation unter den Perlis statt: Didöh, dieeehdööh, diiehhiedö. Da gibt es fragende, feststellende, antwortende, zögerliche, wie aus der Pistole geschossene Didöhs, leise, lautere, bestimmte und unsichere.

Der kleine Frechdachs
Vorbereitung zu Attacke
Ist der nicht süß?!?










Ach Mensch, Heinz ist nicht da, er kann es nicht hören. Und so bekommt er meine persönlichen Highlights auch nicht mit: das neugierige Junghuhn mit der quergestellten Brustfeder ist aus seinem Schlafkoma erwacht und sofort wieder auf Forscherkurs. Ich stehe gerade am Gaskocher und mache neues Teewasser heiss, als das erkundungsfreudige Tier zum Anflug auf meinem Kopf ansetzt. Oh Gott, diese gefährlichen Krallen... Ganz sanft landet das Gichala auf meinem Schädel, krallt sich haltsuchend, aber schmerzfrei in meine Kopfhaut und stellt fest, dass es ihm hier oben zu wackelig ist. „Schneck!“, kiekse ich, „Kuck doch mal!“ Heinz reagiert nicht. Und schon ist das Huhn wieder auf dem Boden. Schade. So gerne hätte ich ein Foto davon gehabt... Na ja, was nicht ist, ist nicht. Zur Entschädigung brühe ich mir einen Tee auf und lasse mich in einen der Campingstühle sinken. Kaum niedergelassen, bin ich erneut im Fokus des vorwitzigen Junghuhns: es baut sich neben mir auf, denkt kurz nach und landet schließlich mit einem gezielten Flatterer auf meinem Schoß. Ah, warm, weich und gemütlich - scheint das Tier zu denken. Es lässt sich nieder, zieht die Nickhaut vor seine Augen und in ermännchenartigem Tempo sinkt sein Schnabel auf meinen rechten Oberschenkel. „Schneck! Schneck? Heheinzzzz!“ Doch wieder bin ich alleine mit meinem einzigartigen Erlebnis, Heinz hört mich nicht. Das Hühnchen aber ist da, auf meinem Schoß und es pennt weg. Sachte streichle ich über sein Gefieder und strahle bis über beide Ohren. Dann fühle ich plötzlich ein Zucken - wie bei Heinz, wenn er am Einschlafen ist - es durchfährt den gesamten Körper meines Gastschläfers – das Gickel erwacht, erschrickt vor seinem eigenen Mut, flüchtet daraufhin laut zeternd von meinem Schoß, landet auf sicherem Boden und sieht mich von dort erstaunt an.

Vom Munde abgespart:
die Füllung der Tränke
Der Chef passt auf










„Na, du kleiner Frechdachs! Jetzt bist erschrocken, gell?“, flöte ich den vorwitzigen Perlhuhn-Youngster an. „Dieeedöh!“, flötet dieser verständiger Miene zurück, pickt sich in einer Übersprungshandlung unter dem Flügel und wackelt leise glucksend zu seinen Altersgenossen. Meine Güte, war das jetzt anrührend! Begeistert eile ich zu Heinz und erzähle ihm von meinen Erlebnissen. „Ach, Mensch, und ich hab’s nicht gesehen!“, bedauert Schneck und wischt sich den Schweiß von der Stirn. „Aber weißt was? Ich mag jetzt nimmer, hab genug Holz gehackt. Jetzt komm ich zu euch und trink erst mal einen Tee. Vielleicht kommt das Huhni ja wieder.“ Gemeinsam ziehen wir unseren Tisch in den Schatten und lassen uns gespannt nieder. Doch der Frechdachs hat wohl alles erforscht, was ihm erforschenswert schien. Er liegt schon wieder im Schatten unseres Zeltes und schläft sich in die nächste Komaphase. Die pennenden Hühner sind übrigens wirklich ein Anblick für Götter! Würde jetzt ein Fremder auf den Platz kommen, würde er sicher denken, wir hätten die meisten der Hühner getötet, so, wie sie hier rumfläzen. So etwas habe ich ehrlich noch nie gesehen; in meiner Vorstellung und bisherigen Erfahrung setzen sich Hühnervögel zum Schlafen auf einen Ast oder scharren sich eine Kuhle, in der sie sich dann niederlassen. Aufrecht sitzend. Unsere Federtiere hingegen lassen sich einfach umfallen, strecken Beine und Flügel von sich, versenken teilweise den Schnabel bis zur Wurzel im Sand und sehen dabei aus wie hingemeuchelt, wie gestorben. Heinz und ich amüsieren uns sehr über die Schar dieser „Hühnerleichen“. Doch plötzlich, einer der Erwachsenen hat offenbar ein Aufbruchs-Didöh geflötet, recken und strecken sich die ehemals schlaffen Körper, die Federn werden kurz in Form geschüttelt und, so schnell können wir fast nicht schauen, sind die Tiere aufgeregt gacksend im Gebüsch verschwunden. Ach meia, schade, es war so nett mit den Perlhühnern! Aber die haben jetzt wohl Wichtigeres zu tun, als uns zu beglücken...

Andere wollen auch trinken,
trauen sich aber nicht.
Nicht mal die Größeren!










Seufzend bleiben wir beide zurück, schleppen das gehackte Holz zur Feuerstelle und vergraben uns anschließend in Lektüre und Kartenmaterial. Noch einen Tee? Ach nee, wir müssen ja mit unserem Wasser etwas haushalten, meinte Annette noch beim Wegfahren. Es ist schon ziemlich knapp, muss aber noch für den ganzen morgigen Tag reichen. Also kein Tee. Aber eine Vogeltränke wird der Tank schon noch hergeben, oder? Klar! Flugs füllen wir die Pizzaform und lassen uns wieder nieder, um die herbeieilenden Klein-Vögel beim Baden und Trinken zu beobachten. Mit Begeisterung wird die Schale genutzt und wir erfreuen uns an dem regen Treiben, als sich plötzlich das hohe Gras hinter dem Vogelbad auffällig bewegt. Scheiße, die Löwen! Doch nein, es ist lediglich der Chefhahn unserer Hühnertruppe, der da gerade durch die Halme späht. Sobald er uns erblickt hat, wackelt er begeistert mit dem Kopf, gackst vernehmlich und bricht mitsamt seiner Großfamilie durchs Gras. Sekunden später sind sie allesamt wieder zu unseren Füßen versammelt, didöhen sich und uns vertraulich an und es ist, als wären sie nie fort gewesen. „Hast du das grade gesehen? Der Hahn hat geschaut, ob wir noch da sind! Und der hat sich richtig gefreut!“ Das ist doch die ein oder andere Wasserspende wert! Flugs füllen wir die Pizzaform. 36 Hühner stürzen sich drauf und innerhalb von Sekunden ist das Wasser weg. Viermal noch wiederholen wir das Spiel, viermal flippen die Perlhühner völlig aus; dann beenden wir den Segen, denn wir müssen ja haushalten... Als der Wassernachschub nun ausbleibt, legen sich die Perlhühner, nach kurzer Wartephase, kurzerhand wieder schlafen. Und eines lässt sich gleich in der Pizzaform umfallen! Heinz und ich brechen völlig ab vor Freude über die Anhänglichkeit der bezaubernden Vögel. Didöh! Sie lassen sich durch nichts aus der Fassung bringen, durch wirklich gar nichts: eine Weile später nämlich, es ist schon gegen halb sechs und wir erwarten die baldige Ankunft unserer Freunde, beschließt Heinz, seinen perfekt errichteten Scheiterhaufen zu entzünden. Es britzelt und knistert vernehmlich, als er ein Streichholz an das Gras und die Rindenreste an dessen Basis hält, Sekunden später züngeln Flammen an den dünneren Ästen nach oben und nach einem plötzlichen „Fump“ brennt kurz darauf der ganze Riesenhaufen. Meterhoch schlagen die Flammen in den Himmel und wir sind ob der Heftigkeit es Feuers zunächst etwas erschrocken. Die Hühner hingegen kümmert das Kleininferno nicht im geringsten. Unglaublich! Unglaublich ist allerdings auch, dass unser zierliches Lagerfeuer sogleich einige Rotschnabeltokos anlockt, die wohl an einen Buschbrand glaubten und hofften, ein paar fliehende Insekten zu erhaschen... Doch sooo schlimm ist es nun auch wieder nicht.

Jetzt ist die Chance da!
Auch für die Kleinen
Heinz macht Brennholz










So kommt es, dass wir, als Jochen und Annette von ihrem Gamedrive zurückkehren, noch immer inmitten unserer Hühnerschar sitzen, ergänzt durch ein paar enttäuschte Tokos. Unsere Freunde sind zwar sichtlich erleichtert, dass wir nicht den Löwen anheim gefallen sind, das lodernde Feuer wird von Jochen allerdings mit einem recht tadelnden Stirnrunzeln zu Kenntnis genommen und Annettes Erleichterung ein wenig von der andauernden Präsenz der Perlhühner überschattet. „Die sind ja immer noch da! Habt ihr die etwa angefüttert?“ Mitnichten! „Die lieben uns einfach nur und fühlen sich sauwohl.“ Aufgeregt erzählen wir von unseren Erlebnissen mit den vertrauensseligen Tieren, merken jedoch deutlich, dass unsere Begeisterung auf wenig Verständnis stößt. Jochen freut sich immerhin über unser Glücksgefühl, aber Annette versteht die Welt nicht mehr, als ich ihr von den Landeanflügen des frechen Vogeljünglings berichte. „Wie konntest du das zulassen? Und dir ist wirklich nichts passiert?“, fragt sie ungläubig. Nein, ich bin völlig unversehrt, doch mir, uns ist dennoch etwas passiert, etwas Einzigartiges widerfahren: Heinz und ich haben heute einen unglaublich zauberhaften Tag verbracht, so zauberhaft, dass wir uns noch in vielen Jahren, mit einem Lächeln auf den Lippen, daran zurück erinnern werden!

Wenn Glück aus den Augen leuchtet
Jochen wird schon nervös
Huhn auf dem Schlafbaum










Der ausgedehnte Gamedrive unserer Freunde hingegen war weniger beglückend: eine ferne Giraffe, ein paar Springböcke, das war's. Ansonsten nur gähnende Leere und bohrende Hitze. Nun senken sich allerdings allmählich wohltuendere Temperaturen auf uns herab, die Dämmerung setzt ein und wir genießen unseren Feierabend bei einem kühlen Bier. Die Perlhühner verschwinden mit einem Male in der untergehenden Sonne - zu Heinz' und meinem Bedauern - und wir nehmen unsere Essenszubereitung in Angriff. Heinz' Scheiterhaufen brennt langsam zur Bilderbuchglut herunter und Jochen pariert deshalb schon mal das Fleisch. Wir anderen putzen und schnibbeln gerade Gemüse und bereiten Salat zu, als es erneut verdächtig im Gras raschelt. Und wieder zucken wir kurz zusammen - es könnten ja die Löwendamen sein. Doch es beehren uns, ein drittes Mal an diesem Tag, die Perlhühner! Schnurstracks steuern sie auf den Baum zu, unter dem wir unseren Tisch platziert haben, nehmen Anlauf, und flattern allesamt zum Schlafen, mit viel Winderzeugung und Lärm, in die Äste des Baums hoch, um sich zur Ruhe zu betten. Heinz und ich grinsen wie Honigkuchenpferde, Annette hingegen zieht den Kopf ein wenig ein und meint nur: „Was habt ihr nur mit denen angestellt? Die lieben ja euch wirklich...“ Scheint so. Denn der erwählte Schlafbaum ist, aufgrund unseres Scheinwerfers und des brutzelnden Feuers, eigentlich wenig einladend. Und es scheint auch nicht das angestammte Übernachtungs-Gehölz zu sein. Die Perlhühner, diesen Eindruck macht es, haben uns also tatsächlich erwählt. Tja, schön für Heinz und mich (sehr schön sogar!), weniger erbauend für Annette. Doch auch Jochen beginnt nun zu rebellieren: ebenfalls unter dem Baum steht nämlich unser nigelnagelneues Gazebo aus feinstem, vollimprägniertem Canvas. Und die Hühner haben auch im Schlafe eine rege Darmtätigkeit zu vermelden, deren Ergebnisse jeweils ein lautes, sattes Pfllltsch erzeugen, sobald sie auf dem straff gespannten Gazebo-Dach landen... „Die blöden Hühner scheißen das ganze Gazebo voll!“, zetert Jochen. „Mei, lass sie doch. Das fällt bei der Trockenheit morgen Früh spurenlos wieder ab!“ Jochen grummelt eine Weile, dann aber kann er es nicht mehr ertragen. Zornig zerrt er das Canvas-Zelt aus der Gefahrenzone, plumpst danach wieder in seinen Stuhl und sieht uns strafend an – quasi, als wären Heinz und ich persönlich für die Anwesenheit der kackenden Hühner verantwortlich.

Ameisenjungfer
Hübsche Mantis
Spinnenbesuch im Baum











Na ja, irgendwie sind wir das wohl auch. Aber selbst, wenn unsere Mittäterschaft uns offensichtlich etwas negativ ausgelegt wird, so ist uns beiden das kackegal - im wahrsten Sinne des Wortes. Denn, das stellen Heinz und ich nach einem gemütlichen Grillabend mit baldigem Zu-Bett-Gehens-Ende unisono fest: DAS war heute der mit Abstand schönste, denkwürdigste und innigste Tag unseres diesjährigen Urlaubs. Fast müsste man sagen: der „einzigartigste“ Tag, sofern Herr Duden diese doppelt gemoppelte Steigerung zulassen würde. Tut er aber nicht - er hat eben noch nie einen entspannten Tag mit zutraulichen Perlhühnern verbracht!


Weitere Impressionen des Tages:

Jugendliches Huhn
Am Trinkschüsselchen
Tot?










Verstorben im Schatten...
Das Warten zerrt an den Federn
Käferbesuch










Schlafendes Huhn
Ameisenjungfer
Ameisenjungfer

1. April 2013, CKGR, Sunday Pan > Gweta, Planet Baobab

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Frühmorgens schälen wir uns aus den Schlafsäcken - wir wollten ja mit den Hühnern aufstehen; leider aber haben diese ihren Schlafbaum schon verlassen und nehmen, ohne einen Abschiedsgruß hinterlassen zu haben, ihr Frühstück in den Weiten des Buschs ein. So lassen auch wir uns an unserem Tisch nieder und stärken uns für die bevorstehende, lange Fahrt nach Gweta, die wir heute noch zu absolvieren haben. Nach dem Morgenmahl packen wir mal wieder unsere Siebensachen und alles geht, wie immer, seinen gewohnten Gang. Nur ein Gang ist neu: zu unserem Erstaunen nämlich entdecken wir unter Heinz’ und meinem Zelt einen Buddelgraben, etwa anderthalbhalb Meter lang, der auf meiner Liegeseite von den Füßen auf ungefähre Pohöhe hochführt. Was das wohl für ein Tier war und, vor allen Dingen, wann hat es dieses Werk geschaffen? Gehört oder gespürt habe ich es jedenfalls nicht. Doch es muss mächtig am Schaufeln gewesen sein, das ominöse Wesen; davon zeugt ein mächtiger Sandwall am Rande unseres Zelts. Und wahrscheinlich war es eher ein nachtaktives Tier. Mal wieder staune ich über meinen Bombenschlaf, und wir alle über das, was so um uns herum passiert, ohne dass wir es bemerken...

Ominöser Gang
Meister Oryx
Bruder Gnu














Die Tiere müssen manchmal offenbar eine bestimmte Größe haben, damit wir Menschen sie sehen. So wie die beiden Giraffen, die wir bald nach Verlassen unseres Camps am pan-eigenen Wasserloch antreffen. Die Langhälse schicken sich gerade zum Trinken an, unterbrechen aber ihr Vorhaben, da sie sich von unserer Ankunft gestört fühlen. Mißtrauisch werden wir beäugt, nach einer Weile jedoch für harmlos befunden und die umständlichen Verrenkungen beginnen von Neuem. Zentimeter für Zentimeter werden hierfür die beiden Vorderbeine immer weiter gespreizt, bis der Hals zum Wasser gebeugt werden kann - permanentes, aufmerksames Sichern ist dabei natürlich oberste Pflicht. Und obwohl wir schon oft trinkende Giraffen sehen konnten, ist solch ein Anblick doch immer wieder schön, zumal ich mir nie eine leise Erleichterung verkneifen kann, wenn ich Zeuge des Erfolgs dieser oft recht zeitraubenden Trinkvorbereitungen bin. Unseren beiden Langhälsen sind allerdings nur wenige, kleine Schlucke vergönnt, denn nebenan geraten sich zwei Oryxböcke in die Haare und schrecken mit ihren Kampfeshandlungen sowohl die zwei Giraffen hoch, als auch ein friedlich im Wasser stehendes Gnu. Sofort gerät Hektik in die vormals so friedliche Szene, die noch verstärkt wird, als zwei weitere Autos an der Tränke eintreffen. Die Giraffen galoppieren in dem für sie typischen, schaukelnden Laufschritt vom Wasserloch weg und verstecken sich hinter ein paar Bäumen, das Gnu flüchtet Hals über Kopf und die beiden Spießböcke sind davon so irritiert, dass sie ihrerseits nun ebenfalls Gas geben.

Friede, Freude, Eierkuchen...
...am Wasserloch
Man will trinken










So bleibt den Neuankömmlingen nur der Blick auf die sich entfernenden Kehrseiten dreier Antilopen und das daraufhin zurückbleibende Kräuseln der verlassenen Wasseroberfläche. Zur Entschädigung jedoch werden sie umgehend von Annette en detail in unser Löwenabenteuer eingeweiht. Ein Verhalten, das unter Safariisten übrigens weit verbreitet ist: nach einer kurzen Begrüßung und einem abtastenden Woher-Wohin werden sofort und gerne die Großwilderlebnisse miteinander geteilt, meist nach dem fast unverhohlen Motto „Meiner ist größer als Deiner!“. In gewisser Weise ähneln Safaritouristen darin Jägern oder Anglern, deren Erlebnis-Berichte vergleichbare Ziele verfolgen und zudem meist noch extensiv ausgeschmückt werden. Allen drei Spezies aber ist eines gemein: es spricht der Stolz aus ihnen und je einzigartiger die Sichtung war, desto neidischer sind die anderen. Der Neid der Neuankömmlinge ist uns in diesem Falle auch gewiss, vor allem, weil die Löwen auf Nimmerwiedersehen von der Campsite verschwunden sind und somit jede Hoffnung auf eine Wiederholung der Sichtung vergebens ist. Heinz und ich halten uns aus dem Gespräch heraus, denn wir sind weder mit Stolz erfüllt, noch können wir den Drang nachvollziehen, sich über Großwilderlebnisse austauschen zu müssen, an deren Interessenspitze stets Großkatzen stehen. Wir könnten zur Abwechslung ja über unseren Perlhuhnnachmittag berichten, meint Heinz grinsend, als wir beide auf allen Vieren durchs Gebüsch krabbeln und einen Rotbrustwürger belauern...

1. Vorschnuppern
2. Grääätschen
3. Trinken










Naja, dass das wohl niemanden so wirklich interessieren dürfte, ist uns durchaus klar und auch, dass wir in dieser Hinsicht etwas untypisch sind. Doch jeder nach seiner Façon, nicht wahr? Nach einem kurzen Pläuschchen verabschieden wir uns wieder, wünschen den anderen noch viel Safariglück und setzen unseren Weg fort, der uns über weite Strecken durch das Gebiet führt, das Annette und Jochen auf ihrem gestrigen Gamedrive bereits recht ergebnislos erkundet hatten. Auch heute sind nur wenige Tiere unterwegs, dafür aber breitet eine stetig wechselnde Vegetation ihr Füllhorn über uns aus, darunter viele Pflanzen, die wir noch nie zuvor gesehen haben. Allzulange jedoch können wir heute nicht botanisieren, denn die Strecke bis Gweta ist noch eine lange. Gen Mittag schließlich erreichen wir, nach ewigem Geöttel durch den Busch, die Gravel Road, die zum östlichen Ausgang des CKGR, Matswere Gate, führt und kommen nun schneller voran - die Pad ist in recht gutem Zustand und links und rechts von hohem Gestrüpp gesäumt, sodass wir nicht mehr ständig von neuen Pflanzensichtungen abgelenkt werden. Nur ein Erlebnis erregt zwischendurch noch unsere Aufmerksamkeit: auf halber Strecke zum Gate steht plötzlich die Fahrspur unter Wasser! Ursache ist eine defekte Wasserleitung, aus der munter sprudelnd das kostbare Nass herausdrückt und nun sinnfrei in der näheren Umgebung versickert. Als wir am Gate ankommen, melden wir das den zuständigen Rangern, ernten jedoch nur ein desinteressiertes Achselzucken. „Kann schon sein...“, meint der Beamte hinter der Theke mit einem müden Augenaufschlag. Auch mit unserer Frage nach den erkrankten Löwen locken wir niemandem hinter dem Ofen hervor. „Jaja, das haben schon mehrere Touristen gemeldet. Aber keine Ahnung, was denen fehlt.“ Von Tuberkulose oder FIV hat der gute Mann offenbar noch nie etwas gehört. „Die sterben halt, wie wir alle auch...“ Leicht irritiert lassen wir das dröge Parkpersonal hinter uns. Das nicht vorhandene Engagement, das wir soeben kennenlernen durften, stimmt nicht eben optimistisch, vielleicht aber hatten wir auch nur mit den falschen Personen zu tun, beruhigen wir uns. Auch bei uns zuhause gibt es bekanntermaßen solche Sesselpupser, die mit blickdichten Scheuklappen ausgestattet sind und sich stets in engen Zuständigkeitsbereichen bewegen, während andere schon lange tatkräftig in Aktion getreten sind. Und engagiertere Leute als die beiden Schlaftabletten am Gate gibt es bestimmt auch hier; das zumindest wünschen wir dem Central Kalahari Game Reserve und allen anderen Parks von Herzen!

Unbekannt
Dipcadi sp.
Heliotropium sp.










Nachdenklich fahren wir weiter, schunkeln durch staubiges, von Fahrspuren zerfressenes Grasland und treffen schließlich bei dem wenig einladenden Örtchen Rakops auf die Teerstraße, die sich an der Westgrenze der Makgadigadi Pans, am Boteti River entlang, nach Norden schlängelt. Nach etwa 100 Kilometern ruhiger Fahrt wenden wir uns bei Motopi nach rechts, durchqueren den Korridor zwischen dem Makgadigadi Pans und dem Nxai Pan Nationalpark und kommen gen Nachmittag endlich in Gweta an. Etwas außerhalb der Ortschaft, ein riesiges Erdferkel aus Beton fungiert als unübersehbarer Wegweiser, biegen wir schließlich abermals rechts ab und checken kurz darauf in unserem heutigen Nachtquartier ein, dem Planet Baobab Camp. Es macht seinem Namen alle Ehre: auf dem gesamten Gelände wachsen zahllose, teilweise sehr stattliche Affenbrotbäume, die zwar in weiten Teilen Botswanas zu finden sind, hier aber in besonders großer Dichte auftreten. Während Annette nun die Formalitäten erledigt, sammeln Heinz und ich sogleich einige der samtigen Baobabschoten, die sich hervorragend als Dekomaterial verwenden lassen und deren Kerne von einem leckeren, säuerlich schmeckenden Pulver umgeben sind. Begeistert lutschend und mit vollen Backen suchen wir uns nach erfolgtem Einchecken eine Campsite, wo wir unser Lager errichten und uns anschließend eine Pause unter dem Schattendach gönnen. Puh, das war heute wieder ein langer und anstrengender Fahrtag! Umso willkommener ist uns natürlich eine erfrischende Dusche, die wir uns alle in dem nett gestalteten Sanitärhäuschen zuteil werden lassen.

Baobab im Camp
Die urige Bar
Ein Castle in Ehren...










Nach vier duschfreien Tagen fühlen wir uns nun wir neugeboren und zu weiteren Schandtaten bereit. Diese jedoch beschränken sich lediglich auf eine entspannte Zubereitung des Abendessens nebst dessen Einnahme und einen anschließenden Gang zur urigen Bar des Camps, wo wir uns in rustikal mit Kuhfell bezogene Loungesessel plumpsen lassen und einen Tagesabschlussdrink zu uns nehmen. Ein Gefühl wohliger Faulheit greift nach uns, die Bar und ihre Gestaltung lädt eigentlich freundlich zum Verweilen ein. Nur leider sind wir so verwöhnt von den vergangenen Wochen der Ruhe und Stille, dass uns die laute Musik bald in die Flucht schlägt. Und nicht nur die: auch die kratzigen Borsten der von vielen Touristenhintern abgenutzten Kuhfelle, die sich recht unangenehm in unsere Oberschenkel bohren, lassen bei uns Vieren nicht die ersehnte Gemütlichkeit aufkommen. So tappern wir nach nur einem Drink zurück zu unserem Lager und genießen die dortige Musikfreiheit - und bald auch unsere kuscheligen Schlafsäcke.


Weitere Impressionen des Tages:

Borstenhörnchen
Oenanthe pileata











Heinz auf der Lauer
Laniarius atrococcineus













Tankstelle bei Gweta










Was schaut die da so?
Was knipst er denn?
Die da!
Radnetzspinne

2. April 2013, Gweta, Planet Baobab > Kasane, Senyati Safari Camp

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„Wakawakawaka, kawakawaka!“, tönt es in aller Frühe in unsere Ohren. Verschlafen krabbeln Heinz und ich aus dem Zelt und erfreuen uns sogleich an den zahlreichen Geräuscherzeugern, die ebenfalls gerade erwacht sind: in den umliegenden Baobabs begrüßen plusterige Gelbschnabeltokos den beginnenden Tag. Unter den neugierigen Blicken der hübschen Hornvögel starten auch wir in den Tag, frühstücken ausgiebig und bauen anschließend unser Lager ab.

Der ist schon hellwach...
...der noch etwas verschlafen
Corythaixoides concolor










Erneuerte Straße
Hier ist noch Baustelle!
Einsamer Elefant am Straßenrand










Dann verlassen wir das Camp voller Vorfreude auf unsere nächste Station, das Senyati Camp, das ganz im Norden Botswanas, an der Grenze zu Sambia und Simbabwe liegt. Die heutige Fahrstrecke ist also überschaubar kurz und führt fast ausschließlich über geteerte Straßen. Nur einige Abschnitte ziehen sich etwas, denn hier wird gebaut. Ein viele Kilometer langer Slalom zwischen riesigen Erdhaufen und der damit einhergehende Kampf mit vom Schwerlastverkehr aufgewirbelten Staubwolken verleiden uns die Fahrt ein wenig, trotzdem aber kommen wir rasch voran und erreichen gen Mittag Senyati, ein Camp, das bekannt ist für seine zahlreichen Elefanten. Als wir dort eintreffen ist zwar von den Dickhäutern nichts zu sehen, dafür aber begrüßt uns Louw, Südafrikaner und Betreiber von Senyati, auf das Herzlichste. Nach ein wenig Small Talk dürfen wir uns dann eine Campsite aussuchen. Ja, wenn das so ist! Lange müssen wir nicht überlegen; wir nehmen natürlich den Platz in erster Reihe mit direktem Blick auf das Wasserloch und lassen uns dort häuslich nieder - wenngleich uns Louw davon abrät. Der Bungalow, der schräg rechts von uns und noch näher am Wasserloch steht, sei derzeit bewohnt und der Mieter lasse die ganze Nacht seine gleißend helle Außenbeleuchtung brennen. Egal, aber dennoch gut zu wissen! Aufgrund dieser Information nämlich errichten Annette und Jochen ihr Zelt hinter einem Baum, während Heinz und ich uns für eine Stelle in einem lichtabschirmenden Dickicht entscheiden. Gesagt, getan. Dann bauen wir Tisch und Stühle auf: zu jeder Campsite gehört ein kleines, offen gemauertes Gebäude mit Strohdach, das links eine Dusche, rechts ein Klo und in der Mitte eine Küchenzeile auf einer Veranda beherbergt. Und diese Veranda mit Schattendach wird nun unser gemütlicher Ansitz.

Anmarsch...
...trinken, planschen, prusten...
...Abmarsch










Lange müssen wir auch nicht warten und die ersten Elefanten erscheinen am Wasserloch. Weithin kann man ihr Prusten und Geplätscher hören, das so einladend klingt, dass man sich am liebsten selbst mit in die Fluten werfen würde. Leider geht das natürlich nicht, ein wenig näher aber kann man ihnen trotzdem noch kommen, nämlich auf der erhöht liegenden Terrasse des Camp-Restaurants, von der aus man direkten und völlig unverstellten Blick auf das gut besucht Wasserloch hat. Wir verlassen also unsere Privat-Veranda und ziehen um. Eine ganze Weile hängen wir über der Holzbalustrade, beobachten das muntere Treiben, das ständige Kommen und Gehen und können uns gar nicht mehr losreißen. Sollten wir aber, denn wir müssen ja noch zum Einkaufen nach Kasane, um uns für die kommenden Tage in Zimbabwe zu rüsten. Doch Annette und Jochen haben Erbarmen mit uns: die beiden übernehmen die Einkaufsfahrt alleine und lassen Heinz und mich im Camp zurück. Wir sind heilfroh, uns nicht ins Supermarktgetümmel stürzen zu müssen, sondern uns stattdessen mit den planschenden Dickhäutern, diversen Giraffen, Warzenschweinen, Tokos und anderen Vögeln vergnügen zu dürfen. Wie im Fluge vergeht die Zeit und unerwartet bald kehren unsere Freunde mit einem voll beladenen Auto zurück. Gemeinsam schichten wir die neu erworbenen Fressalien und Getränke sinnvoll in den Wagen und akkomodieren uns daraufhin erneut auf unserer platzeigenen Terrasse nieder - die Elefanten sind ohnehin schon wieder abgezogen. Gemütlich plaudernd lassen wir einen entspannten Nachmittag ausklingen, bevor wir uns an die Zubereitung unseres Abendessens machen. Und kaum haben wir den letzten Bissen verzehrt, sammeln sich abermals Elefanten um die sprudelnde Kunstquelle. Kurzerhand verschieben wir den Abwasch auf morgen, rücken unsere Stühle in Position und lassen uns vom tierischen Abendprogramm auf’s Unterhaltsamste berieseln.

Manche sind ganz groß...
...andere müssen noch wachsen
Reiherschwarm im Abendlicht










Annette und Jochen werden dabei bald von einer wohligen Müdigkeit ergriffen und ziehen sich in ihr Zelt zurück, während Heinz und ich, immer noch putzmunter, einen weiteren Ausflug auf die Restaurant-Veranda machen. Dort sitzen wir bis spät in die Nacht, beobachten das Treiben am Wasserloch und genießen die gar nicht so stille Stille der späten Stunden, bis auch wir allmählich müde werden. Also klettern wir die hölzerne Treppe des Restaurantgebäudes herab, schleichen leise zu unserem Zelt und machen uns fertig für die Nacht. Heinz sitzt im offenen Zelt und zieht sich um, während ich noch mal zum Klo hinauftappere. Da hat sich doch gerade etwas bewegt! Wie angewurzelt bleibe ich stehen, zwei Meter vor einer olivbraunen, ziemlich imposanten Schlange. Gerade noch rechtzeitig, denn das Reptil schnellt kurz hoch, bevor es sich blitzschnell aus dem Staub macht, geradewegs hinein in unsere Toilette. Heinz, den ich eilig herbeigerufen habe, kann leider nur noch das hintere Viertel der entschwindenden Schlange sehen, doch auch das reicht ihm völlig. Eine Kobra? Könnte sein, vielleicht aber auch was anderes; auf jeden Fall ’ne Schlange, so viel ist sicher. Tja, schon wieder eine! Jahrelang habe ich die unterschiedlichsten afrikanischen Länder bereist, doch nur ganz selten eine zu Gesicht bekommen. Seit sich allerdings Heinz an meiner Seite befindet, häufen sich diese Sichtungen und Heinz festigt seinen Ruf als Snake-Man. Ein in seinen Augen zweifelhafter Ruf, auf den er gerne verzichten würde...

Camphäuschen - Küchenzeile
Bar/Restaurant











Und jetzt? Ich verlege meinen Klogang ins Gebüsch neben dem Zelt, nicht ohne vorher alles mit der Stirnlampe gründlich ausgeleuchtet zu haben, während Heinz auf die Küchenzeile klettert und in das oben offene Toilettenhäuschen späht. „Ich kann nix sehen!“, vermeldet er. „Die muss wohl wieder raus sein.“ Jetzt krabble auch ich nach oben und wir funzeln gemeinsam in alle Ecken. Und tatsächlich: nichts zu sehen. Das kleine Häuschen ist sehr übersichtlich und wir sind uns sicher, dass das Reptil nicht mehr drin ist, trotzdem aber müssen wir unseren Freunden Bescheid sagen. Schnell klettern wir von der Küchenzeile herab, wecken Annette und Jochen und berichten ihnen kurz. Schlaftrunken nehmen die beiden unseren Rapport zur Kenntnis. Na, ob das wirklich durchgedrungen ist? „Ich stelle einen Stuhl vors Klo, damit ihr’s nicht vergesst, wenn ihr in der Nacht mal raus müsst, ja?!“ „Mhmmm.“ Also trage ich noch einen Stuhl nach oben, dann ziehen auch Heinz und ich uns in unsere Schlafsäcke zurück und schließen die Augen. Wie gut, dass wir uns hinter dem Gebüsch verschanzt haben, denken wir, während der gleißende Scheinwerfer des Nachbarbungalows und die sich leise im Wind bewegenden Äste tanzende Schatten auf unsere Lider zaubern; ohne Gebüsch wäre es wirklich unerträglich hell, so aber geht es einigermaßen. Zufrieden kuscheln wir uns ein. Plötzlich jedoch knackt es vernehmlich, das Licht wird von einem Körper verdeckt, Schritte rascheln, der Scheinwerfer erhellt erneut unser Zelt, verschwindet wieder. „Shit, da schleicht doch einer rum!“ Vorsichtig richten wir uns auf und lugen durch die Gaze im oberen Teil des Eingangs, in sicherer Erwartung, einen potenziellen Dieb auf seinem Beutezug zu erblicken. Doch was wir sehen, ist eine graue Wand mit vier stämmigen Beinen und einem tastenden Rüssel, der Blätter von unserem Gebüsch pflückt. Ein Elefant, Gott sei Dank! Leise lachend beobachten wir den grauen Riesen, wie er friedlich kauend an uns vorüberzieht und sich dann den nächsten leckeren Blättern, etwas weiter entfernt, zuwendet. Beruhigt mümmeln wir uns wieder ein und sinken alsbald in tiefen, erholsamen Schlaf, der durch nichts mehr gestört wird. Schade eigentlich...



Weitere Impressionen des Tages:

Ameisenwespe

Radnetzspinne










Gottesanbeterin
Stabheuschrecke
Radnetzspinne











Nächtlicher Krötenbesuch
Actophilornis africanus










Commelina eckloniana








































3. April 2013, Senyati Safari Camp, Kasane, Botswana > Victoria Falls Rest Camp, Zimbabwe

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„Guten Morgen, ihr Zwei! Na, ihr habt ja gestern noch ein Abenteuer erlebt!“, begrüßen uns Annette und Jochen. „Übrigens danke für die Warnung mit dem Stuhl, wir haben das alles nur so halb mitgekriegt. Aber das Klo ist bereits gesichert, alles save!“ Deutlich zu sehende Spuren im Sand vor der Toilette allerdings bezeugen unsere nächtliche Begegnung, lassen sich jedoch leider nicht verfolgen, da sie auf einem Betonvorsprung enden, kurz noch mal auftauchen, um danach endgültig im Gras zu verschwinden. Doch immerhin zeigen die Kriechspuren, dass wir das Ganze nicht geträumt haben! Und die Sache mit dem Elefanten war ebenfalls real. Der nämlich hatte es gestern Nacht noch geschafft, auch Annette und Jochen aus tiefem Schlaf zu reißen, als er sich an dem Baum über ihnen zu schaffen machte. Andenteuer-Camp Senyti, sag’ ich da nur!

Hinter Senyati:
Zauberwald...
...Feenlandschaft










Bevor wir nun abreisen, erzählen wir Louw von dem Dickhäuter – laut dessen Aussage dringt der wohl oft ins Camp vor – das mit der Schlange hingegen verschweigen wir tunlichst, schließlich wollen wir unseren Fehler von Koiimasis nicht unbedingt wiederholen. Mit diesem Erlebnis als ganz persönlichen Schatz im Gepäck, verlassen wir gegen neun Uhr Senyati in nordöstlicher Richtung. Dies ist nicht der offizielle Weg aus dem Camp, sondern eine Art Insider-Abkürzung zur Grenze, wie uns Louw versichert hatte. Und ja, es ist eine deutliche Abkürzung, zumal eine, die durch eine geradezu zauberhafte Gegend führt. Hohe Bäume beschatten unseren Weg, ab und zu passieren wir kleine Tümpel, an denen sich zahlreiche Vögel beim Morgenbad tummeln, bunte Blumen schaukeln im Wind und die Sonne taucht all das in fast magisches Licht. Mensch, davon hätte Louw uns mal früher erzählen sollen! Diese Landschaft wäre wirklich einen Ausflug zum Sonnenuntergang wert gewesen. Doch jetzt ist es zu spät. Stattdessen erreichen wir ungeahnt schnell den Stadtrand von Kasane und bald darauf auch die Grenzstationen, die wir nun hinter uns bringen müssen, um nach Zimbabwe einreisen zu können. Die Ausreise aus Botswana geht erwartungsgemäß recht schnell vonstatten, dann aber, am zimbawischen Grenzposten, wird es zäh. Zu allem Überfluss haben wir auch noch einen Reisebus vor uns, dessen Insassen sich in einer ellenlangen Schlange vor uns aufreihen. Ohje, das kann heiter werden! Immerhin gelingt es Jochen, der sich an der Menschenmenge vorbeidrängelt, ein paar Einreiseformulare aus dem Office zu besorgen, die wir während der Warterei in glühender Hitze ausfüllen und samt der Einreisegebühr in US-Dollar den Pässen beilegen. Doch mehr als zwei Meter ist die Schlange währenddessen nicht vorgerückt. Schwitzend üben wir uns in Geduld. Nach einer halben Stunde und zwei weiteren Metern kommt plötzlich ein Beamter aus dem Office gesprungen und sammelt alle Pässe ein - die der Reisegruppe und auch unsere. Ob das gutgeht? Ändern können wir es jedoch nicht; wir sind nur froh, gerade noch rechtzeitig die Dollarscheine wieder eingesteckt zu haben, bevor diese mitsamt unseren Pässen im Schummerlicht des Grenzgebäudes verschwinden.

Fass ohne Boden -
sehr sinnvoll!
Wir warten und warten und warten. Eine halbe Stunde und zwei weitere Meter später dann kommt plötzlich Bewegung in die Sache. Gut die Hälfte der vor uns Stehenden wird namentlich aufgerufen, mit neuen Formularen versorgt und zur Seite gewunken. Der Rest hingegen, also auch wir, dürfen aufrücken. Ah, offensichtlich haben wir unsere Formulare korrekt ausgefüllt! Und ab jetzt geht die Abfertigung erstaunlich rasch vonstatten: der zuständige Officer mustert den jeweils vor ihm stehenden Einreisewilligen eindringlich, wühlt sich durch einen Stapel von mindestens zwanzig Pässen, vergleicht das Gesicht mit den Fotos, amüsiert sich gelegentlich mit seinen Kollegen über den einen oder anderen Namen und donnert dann, nach Kassieren der Einreisegebühr, generös einen Stempel in den Pass. Wir sind zwar froh, dass es voran geht, aber leider nicht hundertprozentig von der Methode des Beamten und dessen Trefferquote im Foto-Gesichtsabgleich überzeugt. Deshalb beäugen wir aufmerksam jeden bundesdeutschen Pass, der über die Theke wandert, zumal nicht jeder der Abgefertigten einen Blick in das ihm ausgehändigte Dokument wirft. Es wäre eine echte Horrorvorstellung, würde auch nur einer unserer Pässe verwechselt! Im Geiste sehen wir uns schon dem Reisebus hinterher rasen... Doch der Officer beherrscht die Geheimnisse weißer Physiognomie aus dem Effeff und macht nicht einen Fehler. Bravo! Umgekehrt hätten wir da wohl mehr Probleme...

So kommt es, dass wir nach über einer Stunde endlich unsere Stempel in den richtigen Pässen haben und zum nächsten Schalter weiterziehen können, um das Auto korrekt über die Grenze zu bringen. Das ist erstaunlicherweise ohne großes Trara und relativ schnell erledigt. Erleichtert klettern wir in den glühend heißen Wagen, unterziehen uns einer abermaligen, strengen Kontrolle am Schlagbaum, bevor dieser sich hebt und wir hochoffiziell und legal in die Republik Zimbabwe einreisen dürfen. So schnell wie möglich, aber natürlich innerhalb des Tempolimits, bringen wir nun die letzten 70 Kilometer nach Victoria Falls hinter uns, wo wir im Victoria Falls Rest Camp einchecken. Zugegeben, es gibt schönere Camps direkt am Zambezi, aber das Rest Camp liegt sehr zentral und das ist genau der Grund, warum wir uns dafür entschieden haben. Heinz und ich wollen heute nämlich noch ein bisschen Touriprogramm machen, sprich auf den Souvenirmarkt, Annette und Jochen hingegen müssen ein paar behördliche Dinge erledigen, bevor wir uns dann im Victoria Falls Hotel zum High Tea treffen. Und all das möchten wir gerne zu Fuß tun, während das Auto auf dem sicheren Campingplatz stehen bleibt. Doch erst müssen wir uns den Platz natürlich ansehen, bevor wir ihm unser bewegliches Hab und Gut anvertrauen. Aber schon die Anmeldeprozedur macht einen guten Eindruck: unsere Daten werden akribisch notiert und auf unseren Wunsch auf zwei Passierscheine übertragen, die wir am Tor vorzeigen müssen. Das Tor, das Tag und Nacht besetzt ist, sei, so versichert man uns, der einzige Eingang ins Camp. Am nächsten Tag allerdings entdecken wir, dass das nicht ganz den Tatsachen entspricht, zumindest aber ist es die einzige Auto-Zufahrt. Außerdem patroullieren permanent mehrere bewaffnete Wachleute grimmiger Miene am elektrischen Zaun entlang und quer übers Campgelände. Na, dann wollen wir es wagen. Um einen schönen Platz zu finden, kurven wir einmal durch das Areal und entscheiden uns schließlich für ein schattiges Plätzchen in genehmer Entfernung vom Waschhaus und anderen Campern, die übrigens nicht gerade zahlreich vertreten sind. Aber darauf legen wir ohnehin keinen gesteigerten Wert. Schnell ist das Lager errichtet. Wir grüßen während des Aufbaus freundlich alle Security-Männer, um unsere Gesichter bekannt zu machen, gönnen uns noch alle ein entspanntes Ankunftsbier und dann ziehen wir los.

Außer uns die einzigen:
Trompeterhornvögel
Bycanistes bucinator










Heinz und ich steuern sofort zielstrebig Richtung Souvenirmarkt, der auf einem separaten Gelände in der Nähe der Bahngleise liegt. Der Weg dorthin ist nicht allzu lange, aber dennoch schon mal eine gute Vorübung für das, was auf dem Markt gleich hundertfach über uns hereinbrechen wird: hätten wir jedem, der uns auf dem knappen Kilometer bis zum Markt angequatscht hat, auch nur einen einzigen Gegenstand abgekauft, wir könnten es jetzt schon nicht mehr tragen... Erleichtert preschen wir durch das Tor zum Souvenir-Viertel, schnaufen kurz durch und stürzen uns dann todesmutig in die erste Shoppingrunde, die das Straßengequatsche wie erwartet um ein Vielfaches toppt. Aber wir wollten ja unbedingt hierher, also gute Miene, Augen auf und los! „Hello, lookielookie, looking is for free, come in, Madam, see my shop, Sir, cheapest shop here!“, schallt es uns aus allen Richtungen entgegen. Freundlich lächelnd bremsen wir den ersten Enthusiasmus der Verkäufer ein wenig, indem wir ihnen bedeuten, dass wir systematisch vorgehen wollen, also Laden für Laden abklappern und erst mal nur schauen. Das wirkt, wenn auch nur für die Zeit unseres ersten Ladenbesuchs. Kaum treten wir von dort wieder ans Tageslicht, geht das Gepreise von Neuem los. Seufzend verschließen wir unsere Ohren und ziehen weiter, klappern Shop für Shop ab, wobei wir uns geheime Notizen über hübsche Schnitzereien und deren Preise im Hinterkopf ablegen. Dann haben wir die erste Runde geschafft und tatsächlich einiges gesehen, was uns gefallen könnte. Doch wir sind ja noch lange nicht durch! Der Markt ist nämlich in drei Teile untergliedert, die sich präsentations- und preistechnisch deutlich unterscheiden, warentechnisch jedoch alle mehr oder weniger das gleiche bieten. Das erste Segment, das wir soeben erfolgreich durchlaufen haben, besteht aus einer Vielzahl kleiner bis winziger, gemauerter Läden, die sich, Wand an Wand über drei Seiten eines Karrees ziehen. Die Shops sind zumeist bis unter die Decke vollgestopft, stickig, heiß, staubig und bewegen sich in der preislichen Mittelklasse. Geht man von dort aus weiter, steht man nach einer Weile vor einem großen Neubau in gepflegter Afrika-Optik. Auch hier gibt es zahlreiche Läden, die aber allesamt klimatisiert und auf Schau getrimmt sind, was sich sofort auf die Preise niederschlägt. Je kühler die Luft, je weniger Ware, desto teurer... Nö, das ist nix für uns. Wenn schon Souvenirs, dann müssen sie schwitzend und wild handelnd erkämpft werden! Alles andere ist was für Weicheier.

Masochistisch grinsend stürzen Heinz und ich uns in die dritte „Abteilung“, den Freiluftmarkt. Dieser lockt mit günstigen Preisen, ist gleichzeitig aber auch der anstrengendste Teil unserer Shoppingtour mit den aggressivsten, lautesten und aufdringlichsten Verkäufern. Doch er hat einen unschlagbaren Vorteil: frische Luft unter windschiefen Schattendächern, die uns angenehm um die Nase weht und unsere schweißgebadeten Körper etwas kühlt. Allerdings hält die Kühlung nicht lange vor, denn auf dem Freiluftmarkt ist fast keine Kundschaft unterwegs und so konzentrieren sich die Warenlobpreisungen in voller Aufdringlichkeit und Lautstärke auf uns arme Würstchen. Das ist echt anstrengend und eigentlich auch ziemlich uneffektiv. Die Verkäufer sind nämlich so auf uns, die beinahe einzigen Kunden, fixiert, dass wir nirgendwo stehenbleiben können, geschweige denn etwas interessiert betrachten dürfen; jeder Stopp, jeder noch so unauffällige Blick entfesselt beim jeweiligen Standbesitzer eine wild entschlossene Verkaufswut, bei allen benachbarten Verkäufern hingegen regen sich Neid und Eifersucht. Das hat zur Folge, dass wir fast im Laufschritt durch die erste Gasse eilen und so gut wie nichts in Ruhe begutachten können. Aber immerhin funktioniert das interne Meldesystem hervorragend: sehen wir bei Stand A ein Nilpferd an und vermelden, es wäre uns zu glatt poliert, so bekommen wir an allen folgenden Ständen zwar ebenfalls Hippos angeboten, aber nur die roh geschnitzten. Diese Flüsterpost machen wir uns nun zunutze und tun vernehmlich kund, wir wären ausschließlich an Perlentieren interessiert und zudem nur an solchen, die zu unseren Herzen sprächen. Unser Ansinnen löst sofortige Ratlosigkeit bei den Verkäufern aus, denn erstens werden hier kaum Perlentiere angeboten und zweitens weiß keiner so recht, wodurch sich so ein Touristenherz wirklich angesprochen fühlt. Wohltuende Stille senkt sich über den Markt und wir können endlich entspannt von einem Stand zum nächsten schlendern. Zwar flackert hin und wieder die Verkaufswut erneut auf, aber jetzt genügt ein ruhiges „No, sorry, it doesn't speak!“, bei dem wir uns angestrengt lauschend die Hand hinter eine Ohrmuschel halten, und es kehrt wieder Ruhe ein. So macht das Bummeln endlich richtig Spaß!

Nach einer dreiviertel Stunde, wir sind bereits in der hintesten Verkaufsgasse angelangt, ohne etwas „Sprechendes“ gefunden zu haben, entdecken wir doch noch einen Gegenstand, der unser Interesse weckt. Es ist ein etwa ein Meter langes Krokodil aus Blech. Es überzeugt nicht gerade durch handwerkliche Feinstarbeit, aber gerade die aufs Wesentliche reduzierte Form und die roh gebogenen Rückenschuppen machen das Blechreptil so besonders. Hoffnungsfroh kommt der Verkäufer angesprungen. „Es spricht?!?“ Ich halte meine Hand ans Ohr und nicke verhalten. „Ganz leise.“, bestätige ich. „Hundertzwanzig!“, erwidert der Standbesitzer und setzt strahlend hinzu: „Spezialpreis für dich!“ „US-Dollar???“ „US-Dollar!“ Ich sehe ihn an, schüttle ungläubig den Kopf und drehe mich dann abrupt um. „Frau, Frau, was ist?“, quiekt der Typ und läuft mir hinterher. „Nein, aus, vorbei! Du hast uns gerade mit diesem Preis beleidigt.“ Scheinbar schuldbewußt blickt der Verkäufer zu Boden. „Hundert?“ Heinz und ich lachen lauthals und gehen. „Frau, Herr?“ „Du bist eine Schande für diesen Markt, machst anderen mit deiner Unverschämtheit das Geschäft kaputt!“ Betreten zieht sich der Gescholtene zurück; er weiß jetzt, dass er zu hoch gepokert und seine Chance vertan hat.

Ein paar Meter weiter tritt plötzlich ein junger Mann vor uns hin, reckt uns seine Hand entgegen und entschuldigt sich im Namen aller Marktleute. Er hätte mitbekommen, was gerade geschehen sei und wolle uns versichern, dass das eine unverzeihliche Ausnahme gewesen sei. „Manchmal gibt es Verkäufer, die schlagen völlig über die Stränge und bringen den Markt damit in Verruf. Ein derartiges Verhalten können wir nicht tolerieren; es wird Konsequenzen haben.“ Verdutzt nehmen wir seine Entschuldigung an, erwarten nun aber eigentlich, von seiner Seite Ware angepriesen zu bekommen - doch nichts dergleichen geschieht. Stattdessen entwickelt sich ein sehr nettes Gespräch, in dessen Verlauf sich weitere Standbesitzer zu uns gesellen und wir eine Menge über die Struktur und Organisation des Marktes erfahren. Kaum einer der Standbetreiber stellt, zum Beispiel, seine angebotenen Waren selbst her, auch wenn man das die Touristen glauben machen möchte. Schnitzende oder bildhauernde Künstler, die man immer wieder in den Ständen sieht, so bekommen wir erklärt, seien oft nur schmückendes Beiwerk, das den Markt authentischer machen solle. In Wahrheit jedoch werde der Krempel (O-Ton) in ganz Afrika für billigstes Geld zusammengekauft, zentral gebündelt und dann, etwas teurer, an die Standbesitzer weiterverkauft, die nun ihrerseits zusehen müssen, wie sie es möglichst gewinnbringend wieder loswerden. Und selbst die Steinfiguren, die so typisch für das zimbabwische Kunsthandwerk sind, werden oft in anderen Ländern als Auftragsarbeiten gefertigt. In groben Zügen hatten wir das schon geahnt, schließlich ähneln sich die Waren auf afrikanischen Souvenirmärkten oft auf verblüffende Weise, dass aber die Produktion regionstypischer Erzeugnisse aus Kostengründen ebenfalls gerne mal „verlagert“ wird, schockiert uns dann doch ein wenig. Ziemlich lange unterhalten wir uns mit dem jungen Mann über die gängigen Praktiken im Souvenirbusiness und, ergänzt durch persönliche Bemerkungen anderer Standbesitzer, erfahren von deren Sorgen und Nöten, werden nach unserem Leben in Deutschland und unseren Sorgen und Nöten befragt. Schließlich verabschieden wir uns herzlich und gehen alle ein Stückchen schlauer und informierter aus diesem für beide Seiten aufschlussreichen Gespräch hervor, das uns, ganz nebenbei, auch menschlich erheblich näher brachte. Schade, dass so etwas viel zu selten geschieht. Besonders bei unserer Art zu reisen, die sich vorwiegend auf menschenleere Gebiete beschränkt. Doch auch unser „Nationalpark-Hopping“ trägt letztendlich positiv zum Erhalt der Natur und somit auch zum Lebensunterhalt anderer Menschen bei. Ergibt sich bei dieser Reiseart jedoch zudem hin und wieder ein informatives, ehrliches Gespräch, dann ist es umso bereichernder!

Doch apropos: wir müssen jetzt unbedingt noch dazu beitragen, dass die Leute ihren „Krempel“ loswerden... Mit einer etwas anderen Sicht auf die Dinge, aber trotzdem weiterhin im Touristen-Modus (der sei uns zugestanden) gönnen Heinz und ich uns erst ein Kaltgetränk in der Luxus-Abteilung des Marktes, bevor wir im Mittelpreis-Karree endlich zur Tat schreiten wollen. Gluckgluck. Schnell ist die erfrischende Cola getrunken und wir tigern los. Doch plötzlich, wir durchqueren gerade einen Innenhof des Hochpreis-Gebäudes, springt mir etwas ins Auge. Es ist eine etwa siebzig Zentimeter lange, aus grünen Perlen gefertigte Echse, die an einem Drahtgitter an der Decke befestigt ist. Und die spricht so laut zu mir, dass ich sofort stehenbleibe. „Schneck!“, quiekse ich, „Siehst du des? Hörst du des?“ Bevor Heinz genickt hat, bin ich schon im Laden verschwunden. Doch da ist niemand. Nö, oder? Beruhigenderweise funktioniert aber auch hier die Flüsterpost einwandfrei und der vom Nachbarhändler herbeigerufene Ladenbesitzer eilt herbei. Ich habe vor Begeisterung fast Schnappatmung und deute deshalb nur wortlos zur Decke. „Ah, ja, die ist schön, nicht wahr? Ich habe nur die eine, äh, und noch eine in silber. Ich hol’ sie mal runter, ja?“ Ich nicke. Eine Minute später liegen beide Echsen in voller Pracht vor mir und ich streichle andächtig über die ebenmäßigen Perlenreihen. „Wunderschön!“, hauche ich. „Was kostet denn die grüne?“ „Hundert Dollar.“ Das Perlentier ist so schön und so perfekt gearbeitet, dass ich auch diesen Preis zahlen würde, ohne mit der Wimper zu zucken, würde sich nicht gleichzeitig meine Handelslust melden. „Mhm, hundert? Schade, das ist mir zu teuer! „Achtzig?“ „Besser, aber immer noch zu viel. Wissen Sie, ich finde die Arbeit sehr schön, aber ich wollte eigentlich was aus Zimbabwe. Und das kommt doch eher aus...“. Mit abschätzender Miene mustere ich das Stück meines absoluten Begehrens. „...Sambia, oder?“ Der Verkäufer starrt mich fassungslos an. „Sie, äh, Sie kennen sich gut aus. Also fünfzig? Weiter kann ich nicht runtergehen.“ Könnte er wohl, aber das ist mir jetzt egal. „Fünfzig, okay!“ Handschlag, das Geld wechselt den Besitzer, die Perlenechse auch. Lurchi! Lurchi ist mein! Juhuuuu! Freudig strahlend verabschiede ich mich, nehme meinen (Weichei)-Lurchi in den Arm und presse ihn an mich. Heinz strahlt mindestens ebenso wie ich, freut sich tierisch mit mir, doch auch er möchte natürlich noch ein Andenken von hier mit nach Hause nehmen.

Also eilen wir zu dem Shop, in dem er sich eine Steinfigur vorgemerkt hatte. Der Verkäufer ist hoch erfreut, uns wieder zu sehen und hebt gerade zur erneuten Lobpreisung seiner Waren an, als er Lurchi sieht. „Oooh, wo hast du denn den her, der ist ja Wahnsinn! Darf ich mal?“ Bewundernd nimmt er die Perlenechse in die Hände und besieht sie von allen Seiten. „Eine wunderschöne Arbeit! Die ist aber nicht von diesem Markt, oder?“ Als ich ihm sage, wo ich Lurchi erworben habe, will er es fast nicht glauben. „So etwas Schönes sieht man selten! Was hast du dafür bezahlt?“ „Fünfunddreißig.“, schwindle ich, denn alles muss der Knabe auch nicht wissen; schließlich will ich ihm den doch recht stolzen Preis nicht frei Haus als Grundlage seiner eigenen Berechnungen liefern, sollte Heinz hier etwas finden. Der hat die Dauer unseres Gesprächs effektiv genutzt, um sich in Ruhe umzusehen und hat sich tatsächlich für die kleine Steinskulptur entschieden, die er sich bereits am Anfang unserer Shoppingtour ausgekuckt hatte. „Guter Geschmack, guter Geschmack, Sir!, posaunt der Verkäufer und saust zu Heinz. „Das ist von Fanizani! Du kennst Fanizani?“ Heinz schüttelt den Kopf. „Fanizani Akuda ist ein berühmter Bildhauer! Schau!“ Um seine Behauptung zu untermauern, dreht er die Figur um und zeigt uns eine ungelenk in deren Boden gemeisselte Signatur. Faninani steht da zu lesen, mit etwas gutem Willen auch Fanizani. Doch besagter Bildhauer, der es wirklich zu internationaler Bekanntheit gebracht hat, ist leider bereits Anfang 2011 verstorben. Das jedoch wird uns tunlichst verschwiegen. Da uns aber ohnehin klar ist, nichts „Echtes“ angeboten zu bekommen, nehmen auch wir dazu zunächst keine Stellung... Dann starten die Preisverhandlungen - mit der aberwitzigen Forderung von achtzig Dollar. „Nein, das ist viel zu teuer!“ „Aber es ist ein echter Fanizani! Mit Signatur!“ „Schau mal, wir stellen die Figur zuhause doch auf die Füße. Da kann man die Signatur dann ja gar nicht mehr sehen.“, erklären wir und zwinkern dem verdutzten Verkäufer zu, dem wohl allmählich dämmert, dass er so nicht weiterkommt. Er senkt den Preis auf sechzig Dollar. „Nein, das können wir uns nicht leisten. Wir haben eben schon die teure Echse gekauft!“, spiele ich die gestrenge Ehefrau. Das wirkt und der Preis sinkt erneut. Nach einer Viertelstunde weiteren Hin und Hers sind wir runter auf vierzig. Heinz will schon fast einschlagen, doch ich, der Hausdrache, bin immer noch nicht ganz zufrieden. Während der Verhandlungen habe ich nämlich ein paar kleine Blechgeckos entdeckt, die ich gerne, quasi als Entschädigung für das entgangene Krokodil, gekauft hätte. „Vierzig Dollar? Puh! Mhm, na gut, aber nur, wenn du uns die zwei Geckos noch dazu gibst!“, insistiere ich. Der Verkäufer rollt so entsetzt mit den Augen, als hätte ich soeben eines seiner Kinder als Draufgabe verlangt, gibt aber, mit einem mitfühlenden Blick auf Heinz, unerwartet schnell nach. „Okay, okay, Chefin, du hast gewonnen! Also vierzig mit den Geckos.“ Beim Bezahlen raunt er Heinz dann zu: „Strenge Frau, sehr streng!“ Heinz lacht, ich nicke ernst und der Verkäufer grinst - wir alle wissen, dass wir nur ein Spiel gespielt haben, aus dem nun jeder zufrieden hervorgeht. Heinz mit seiner Steinfigur, die aussieht wie ein knuffeliges, verschlafenes Chamäleon mit Katzenbuckel, ich mit meinen Blechgeckos und der Verkäufer mit einem immer noch satten Gewinn. Entsprechend gut gelaunt verabschieden wir uns voneinander und Heinz und ich verlassen den Laden, um unsere Beute zum nächsten Touri-Highlight zu schleppen - dem High Tea im hoch herrschaftlichen Victoria Falls Hotel.

Entertainment-Komplex -
nix für uns
Allee zum Hoteleingang
Der hoteleigene Bahnhof










Im Jahre 2000 war ich zum ersten Mal dort, damals mit meiner Freundin Ute, und es war ein tolles, unvergessliches Erlebnis - Dekadenz vom Feinsten inklusive. Man stelle sich vor: das Vic Falls Hotel, kurz VFH, zählt bereits seit einem Jahrhundert zu den fünf besten Hotels der Welt. Der koloniale Riesen-Bau im edwardianischen Stil liegt inmitten eines noch riesigeren, wie mit der Nagelschere gepflegten Parks, erschlägt plebejische Besucher wie uns mit weitläufigen Räumlichkeiten, prunkvollem, zum Teil noch originalem Interieur, livriertem Personal und einem herrschaftlich-luxuriösem Ambiente, das seinesgleichen sucht. Die Übernachtungspreise sind entsprechend, liegen weit über unserem Budget, schrecken jedoch ein bestimmtes, meist mehr als gediegenes Klientel mitnichten ab. Von der Terrasse des VFH hat man einen umwerfenden Blick auf die Vic Falls Bridge, die Gischt der Fälle, einen Teil der Schlucht und den umliegenden Wald. Das klingt nicht, als hätte unsereiner Zutritt zu den heiligen Hallen, oder? Doch das Gegenteil ist der Fall: auch Gäste, die nicht im Kolonial-Kasten wohnen, sind herzlich willkommen, täglich von morgens bis zum Sonnenuntergang - und das teilweise sogar ohne Reservierung und formelle Kleidung! Absoluter Höhepunkt, der auch uns Fußvolk nicht versagt bleibt, ist hierbei der High Tea. Die Stunden des gepflegten Teeschlürfens beginnen ab halb drei Uhr nachmittags. Dabei sitzt man in bequemen Korbstühlen auf der Terrasse, genießt den Ausblick, wird aufs Zuvorkommenste bedient, spreizt beim Trinken den kleinen Finger ab (oder auch nicht), und greift bei entspanntem Geplauder immer wieder zu den kleinen Köstlichkeiten, die auf einem der drei Teller einer echt-silbernen Etagere vor einem auf dem Tisch stehen. Ich war damals, vor dreizehn Jahren, so positiv geplättet von dem mit wirklicher Gastfreundschaft gepaartem Luxus, dass ich das alles unbedingt auch meinen Freunden und Heinz bei unserer diesjährigen Tour zeigen wollte. Große Überzeugungarbeit musste ich nicht leisten, den High Tea in unser Tourprogramm aufzunehmen und heute, ja, heute ist es endlich so weit.

Skurrile Gestalten
Eingangsbereich
Detail d’interieur










Heinz und ich durchschreiten mit unserem Souvenir-Gepäck also das Tor zum Hotelgelände, werden vom Schrankenwärter respektvoll begrüßt und wandern dann hunderte von Metern eine breite Auffahrtsallee entlang. Zu unserer Rechten liegt dabei, versteckt hinter Bäumen, die Bahnlinie, die direkt vor dem Hotel hält, zu unserer Linken erstrecken sich weite Rasenflächen, die jedem Golfplatz zur Ehre gereichen würden. Sie werden, wie jeden Tag, von sich munter drehenden Sprengern mit reichlich Wasser versorgt. So reichlich, dass auch die Schlaglöcher in der Teerdecke der schon leicht maroden Auffahrt zu tiefen Pfützen mutieren. Heinz und ich befinden uns gerade in nächster Nähe eines dieser Schlaglöcher, als sich eine schwarze Limousine nähert, durch die Lache brettert und uns von oben bis unten mit schlammigem Wasser bespritzt. Na super! Jetzt schauen wir nicht nur wie Nicht-Hotelgäste, sondern auch noch wie dreckige Nicht-Hotelgäste aus! Doch trotz unserer besudelten Kleidung werden wir am Eingang zum Hotel höchst freundlich empfangen. „Good afternoon, Madam, good afternoon, Sir!“, flötet der Empfangsknabe und, mit einem Seitenblick auf Lurchi, „Good afternoon, Lizard! Welcome to Victoria Falls Hotel!“ Na, das ist ein Empfang! Ehrfurchtsvoll schreiten wir durch eine kühle, mit Marmor ausgelegte Empfangshalle, überqueren einen begrünten, sonnendurchfluteten Innenhof und tauchen dann in die Welt kolonialer Räumlichkeiten ein. Über eine holzgetäfelte Halle mit Kronleuchtern, alten Ölgemälden, liebevoll gerahmten Stichen und ausgestopften Großwildköpfen führt der Weg durch Stanley's Room, einem überdimensional großen Wohnsalon, eingerichtet mit einladenden Polstermöbeln, antiken Tischchen, Kandelabern aller Art und mannigfaltigem Wandschmuck. Auf knarrendem Parkett, das leicht nach Bohnerwachs riecht, gelangen wir schließlich auf die spaziöse Terrasse des VFH, wo wir sofort von einem vornehm gekleideten Bediensteten in Empfang genommen werden. „Madam, Sir, herzlich willkommen! Möchten Sie gerne Platz nehmen?“ „Ja, sehr gerne!“ „Ein Tisch für, äh, drei.“ Lurchi wird also wieder nicht vergessen, ist das nett! „Nein, bitte für fünf Personen, wir erwarten noch zwei Freunde.“ „Für Fünf. Selbstverständlich. Bitte folgen Sie mir.“ Wir werden zu einem Tisch auf der unteren Terrasse geleitet, sofort stürzen dort zwei weitere Angestellte herbei und schieben uns hilfsbereit die gepolsterten Korbstühle unter den Allerwertesten. „Es wird sofort jemand kommen und Ihre Bestellung aufnehmen. Einen angenehmen Nachmittag wünschen wir!“

Blick von der Terrasse
Uuuh, ist das alles vornehm!
Sitzt die Frisur?










„Ja, Schneck, jetzt simma da!“, meine ich und sehe Heinz erwartungsvoll an. „Pfffuh!“, entgegnet der und rutscht mit leichtem Unbehagen auf seiner Sitzgelegenheit umher. „Das ist schon sehr vornehm hier - und ich fühl' mich grad echt a bissi krattlig...“ Doch das gibt sich schnell. Bei einem sehr zuvorkommenden Kellner geben zunächst zwei Bier „in Auftrag“; wir sind nämlich zu früh zu unserer Verabredung erschienen und wollen mit der Teebestellung natürlich noch auf unsere Freunde warten. Während wir nun des Überbrückungs-Getränks harren, lassen wir unsere Blicke über die Terrasse schweifen. Sie ist recht gut besucht, doch alle Anwesenden sind ganz offensichtlich Hotelgäste, mehr oder weniger leger gekleidet - wir tanzen also nicht völlig aus der Reihe. Da gibt es zum Beispiel, direkt am Nebentisch, eine Familie mit drei Kindern. Alle, auch die Mutter, tragen Flip-Flops und Khaki-Shorts. Wir beide haben immerhin lange Hosen an, stellen wir befriedigt fest, auch wenn wir nicht aussehen, als wären wir gerade einem Golf-Magazin entstiegen... Drei Tische weiter fläzt eine ebenfalls kurz behoste, schmerbäuchige Herrenrunde in den Sesseln und gießt sich, immer wieder laut wiehernd, ein Bier nach dem anderen in die Kehlen. Wir hingegen gröhlen nicht, als säßen wir seit den Morgenstunden beim feucht-fröhlichen Frühschoppen...

Westflügel
Blick auf die Terrasse
Schon etwas entspannter...










Heinz entspannt sich sichtlich und lässt sich auch nicht mehr von der anderen, der Luxus-Fraktion der Gäste, einschüchtern. Obwohl schräg neben uns gleich zwei Angehörige dieser Spezies sitzen: er – grauer Leinenanzug, graue Hautfarbe, verhärmter Gesichtsausdruck, Siegelring an der knochigen Hand, dicke Goldkette am faltigen Hals – nippt unamüsiert an einem Rotwein. Seine schlauchbootlippige Tusnelda, nicht weniger knochig und schmuckbehangen, dafür aber bestens gelaunt und beseelt quasselnd, gibt sich gerade einen Gin Tonic auf ex. Über uns ein zweites Paar. Sie, Typ Matrone, das graue Haar mit lila Festiger in betonharten Wellen fixiert, angetan mit einer Bluse, die aussieht, als hätte man ihr eine voilantreiche Wohnzimmergardine etwas zu eng auf den fülligen Leib geschneidert, mit mehreren Brillantklunkern an den Wurstfingern, einem funkelnden Collier am Truthahn-Hals, dazu passende Gehänge in den langgezogenen Ohrläppchen, und ebenfalls nicht amüsiert, schaufelt sich Torte in den geschminkten Mund. Der beleibte Gatte steckt schwitzend in einem knitterigen Baumwollanzug und prostet uns erfreut mit seinem Bier zu, als wir das unsere serviert bekommen. Das bringt erst ihm, dann uns, einen äußerst missbilligenden Blick und ein noch missbilligerendes Kopfschütteln seines Ehedrachens ein, bei dem der Truthahn heftig ins Wabbeln gerät. Hach, ist das unterhaltsam hier! Heinz und ich genießen zwar auch die fulminante Aussicht auf die Brücke, die Gischt und den schluchtüberspannenden Regenbogen, können jedoch unsere Blicke nicht ganz von den Hotelgästen lassen, die teilweise so unwirklich und überzogen aussehen, als wären sie einem hochdramatischen Pilcher-Film entsprungen. Und dem Personal ergeht es offenbar ähnlich: immer wieder sehen wir sie belustigt grinsen und sich mit den Ellbogen anstoßen. Natürlich voller Diskretion, das versteht sich von selbst.

Zambezi-Brücke
Aussicht wie gemalt
Blick auf die Gischt










Wir sitzen gerade richtig entspannt in unseren bequemen Korbsesseln, als plötzlich ein weiteres Ehepaar auf die Terrasse kommt, die Dame in T-Shirt und gemustertem Rock, der Herr in Hemd und langer Hose. Hallo, die beiden kennen wir doch! Es sind tatsächlich Annette und Jochen, die sich da so in Schale geworfen haben! Annette kommt sogleich freudig an unseren Tisch gestürmt, Jochen hingegen folgt etwas langsamer und mit zweifelnder Miene. Ihn plagt offensichtlich das selbe Unbehagen, das Heinz zu Anfang verspürt hatte. Aber auch das wird sich bald legen, gell, Jochen! Nachdem die beiden sich auf den freien Sitzgelegenheiten am Tisch akkomodiert haben, kommt schon der Kellner herbei und endlich können wir das Highlight dieses Nachmittags ordern: Tee bitte, und dazu zwei Étagèren! Fünf Minuten später serviert eine Prozession von vier Kellnern das Gewünschte und drapiert es formvollendet vor uns hin. Zwei silberne Teekannen, porzellanerne Tassen, Unterteller und Kuchenteller nebst silbernen Löffelchen und Gäbelchen. Eine Zuckerdose mit zierlichem Entnahme-Zängelein kommt flugs hinzu. Und dann die dreistöckigen Étagèren. Auf der oberen Platte sind liebevoll verzierte Miniatur-Küchlein angerichtet, auf der mittleren verführen englische Teebrötchen mit Butterflocken, Marmelade und Clotted Cream, auf der unteren fördern exakt geschnittene Gurken-Lachssandwiches den vorfreudigen Speichelfluss. „Enjoy your High Tea!“, wünschen die Kellner und lassen uns, sich rückwärts entfernend, mit den Köstlichkeiten alleine.

Luxus-Étagèren
Lachshäppchen mit Kaviar...
...et les Petit Fours










Annette reisst staunend die Augen auf, Jochen schluckt trocken, Heinz strahlt und ich freue mich tierisch, dass die Drei genauso überwältigt sind, wie ich es damals war. Dann greifen wir zu und lassen uns die appetitlichen Häppchen schmecken. Nebenbei plaudern wir über unsere Erlebnisse des Tages und Heinz’ und meine Shoppingerfolge. Als Annette daraufhin neugierig unter den Tisch späht und Lurchis ansichtig wird, muss sie gleich nochmal die Augen aufreissen - diesmal jedoch leicht schockiert. „Oh Gott, der ist ja riesig! Wo sollen wir den denn bitte verstauen?“, stößt sie hervor und verschluckt sich dabei fast an einem Marzipan-Karöttchen. „Ach, da fällt mir schon was ein. Und wenn ich zu Fuß gehen muss, aber den gebe ich nicht mehr her!“, entgegne ich und lasse mir ein Löffelchen Clotted Cream auf der Zunge zergehen. Ehrlich gesagt ist mir dieser leidige Gedanke durchaus auch schon gekommen, eine probate Lösung für das Problem habe ich hingegen noch nicht gefunden. Doch davon will ich mir diesen herrlichen Tag jetzt nicht verderben lassen. Die Echse und mich beruhigend, streichle ich über Lurchis Perlen, schiebe das Transportproblem kurzerhand von mir und einen neuen Bissen backofenwarmen Teebrötchens mit Sahne und Marmelade in meinen Mund.

Annette ist geplättet
Meine Frisur auch...
Auf der Aussichtsterrasse










Nach zwei genussvollen Stunden schließlich haben wir alles weggefuttert und Jochen, der sein leises Unbehagen noch immer nicht ganz ablegen konnte, drängt zum Aufbruch. Annette fühlt sich pudelwohl und würde gerne noch bleiben, gibt aber Jochen zuliebe nach. Heinz’ und meine Liebe zu Jochen hingegen lässt in dieser besonderen Situation ziemlich zu wünschen übrig: wir möchten gerne noch bleiben und all das bis zum Ende auskosten! So kommt es, dass der silberne Luxus vom Tisch geräumt wird, sich unsere beiden Freunde ohne uns auf den Campingplatz verdünnisieren, und wir uns, ein weiteres Bier bestellend, erneut wohlig in die Korbsessel kuscheln. Haltungswahrendes Kuscheln, wohl bemerkt! Doch nicht alle Gäste sind dazu noch in der Lage; Madame Gin-Tonic (Angehörige des British Empire) fällt zum Beispiel gerade aus der Rolle. Mit einer unkoordiniert-volltrunkenen Handbewegung fegt sie ihr leeres, nur noch mit Eiswürfeln gefülltes Glas vom Tisch, kichert höchst belustigt, als die Eisstücke und Scherben klingend quer über die Bodenfliesen schliddern - und ordert direkt ein neues Gesöff. „Tsssinnn Tonnnick, nich so viel Eißßßß, passt mehr rein innnns Glssss!“, weist sie den bestürzten Kellner an und taumelt mit ihren hochhackigen Sandalen gen Garten davon. Bereits auf der ersten Stufenkaskade aber scheitert sie, wirft daraufhin klugerweise ihr behinderndes Schuhwerk von sich, strauchelt barfuß weiter. Während sie nun zwischen anderen Touristen und umhersausenden Warzenschweinen einen gepflegten Slalom zur Aussichtsbalustrade Richtung Fälle torkelt, serviert der indignierte Kellner einen weiteren Tsssinnn Tonnnick. Doch jetzt schreitet der graue, extrem genervte Gatte ein; er weist den Kellner an, das Glas sofort vom Tisch zu entfernen. Ob er denn nicht sähe, dass seine Gattin nicht am Platz sitze. Wir dachten ja eigentlich, er wollte nur die andauernde Alkoholzufuhr blocken, doch weit gefehlt: als die Trunkene nach einer Viertelstunde umkehrt und erneut Richtung Tisch wankt, schnippt der Gatte fürsorglich mit den knochigen Fingern und ordert einen weiteren Gin Tonic. Muss man das verstehen? Zwei Minuten später ist Lady Tonic wieder zurück beim Gatten, vermisst sofort ihren frischen Drink und beginnt lautstark zu zetern, so lange, bis der gestresste Kellner das Bestellte endlich herbeigeschafft hat. Dann ist Ruhe, gin-seelige Ruhe - und wir verstehen. Zumindest ein bisschen...

Annette im Röckchen
Bungee-Jumper-Rückholung
Gestatten: Hotel-Rasenmäher










Meine Güte, hier kann man Sachen erleben! Wir finden es ja echt amüsant, sind aber sehr froh, auf einem Campingplatz übernachten zu dürfen und normale, oder besser noch, keine Menschen um uns zu haben. Und langsam wird es auch Zeit, das Luxus-Hotel zu verlassen, denn die Sonne neigt sich gen Horizont und nach Sonnenuntergang ist formelle Kleidung erwünscht. Etwas, womit wir nicht dienen können. Mein in Kapstadt erworbener Kaftan hätte zwar den geforderten Kriterien entsprochen, zumindest obenrum, doch Outdoor-Sandalen oder gar Turnschuhe werden eben nicht akzeptiert. Aber das macht, wie gesagt, nix, im Gegenteil. Bevor wir allerdings aufbrechen, möchte ich gerne noch das stille Örtchen besuchen. Ich steuere also durch Stanley's Room, hinaus auf den Flur, wo ich die Toilette vermute, kann diese jedoch nicht finden. Deshalb frage ich einen Bediensteten nach den Restrooms (ich kann ja auch vornehm sein). Der Mann stellt sofort sein volles Serviertablett beiseite und bittet mich, ihm zu folgen, geleitet mich dann bis vor die Tür der Damentoilette, bevor er mich wieder alleine lässt. Service pur! Dann tauche ich in die gepflegte Welt des noch gepflegteren Damen-Erleichterungs-Boudoirs ab; gerahmte Stiche an den Wänden, kleine, weiße Frottee-Handtücher zur Einmalnutzung, die nötigsten und unnötigsten Kosmetika zur ersten Notversorgung entgleitender Gesichts- und Atemzüge, heimelige Holztäfelung, edle Marmorwaschtische... Und ich freue mich auf den Campingplatz, ich arme Irre!

Unsere kleine Familie:
Hein, Lurchi und ich...
Abschied vom VFH










Nein, im Ernst, der Luxus ist toll, der Service phantastisch, aber irgendwann ist's gut, ist's genug. Nach einem genussvollen Abschluss-Strull, öhm, Nasepudern, hole ich Heinz von der Terrasse ab und wir verlassen gemeinsam die heiligen Hallen des VFH, an dessen Ausgang noch immer der Empfangsknabe seinen Dienst tut. „Och, schade, Sie gehen schon? Darf ich noch ein Foto von Ihnen machen? Mit der wundervollen Echse im Arm!“ Wir wundern uns: hat der etwa eine Kamera? Nein, hat er nicht. Er will eine der unseren und ein Erinnerungsfoto für UNS damit schießen! Ist das lieb! Gerührt posen wir mit Lurchi vor der mit Goldbuchstaben beschrifteten Eingangshalle und lassen uns für die Ewigkeit ablichten. Dann danken wir dem erfreuten Fotografen, stecken ihm ein kleines Trinkgeld zu und entschwinden schließlich beglückt Richtung Campingplatz. Weit ist es ja nicht, doch selbst auf diesem kurzen Weg werde ich mindestens acht Mal auf Lurchi angesprochen: Wah, ist der schön, wo ist der her, was hat der gekostet, etc. Lurchi ist der Star! Wir hingegen sind nun rechtschaffen erschöpft und sehnen uns nach unseren Campingstühlen, unseren Freunden und der erhofften Abendruhe. Gleich! Einmal biegen wir noch um die Ecke, dann haben wir auch schon den Zaun des Rest Camps erreicht. Die Einfahrt aber ist erst einen weiteren Kilometer westwärts die Straße runter. Verdammt, da muss man doch auch anders reinkommen. Und tatsächlich: nach ein paar Metern entdecken wir eine Open-Air-Bar nebst Disco, deren Hinterausgang geradewegs auf das Campgelände führt. Nicht wirklich vertrauenerweckend, doch im Moment recht willkommen. Auf diese Weise befindet sich nämlich unsere Campsite Minuten später bereits in Sichtweite. Aber hallo? DAS soll unsere Campsite sein? Ja, denn wir sehen Annette und Jochen, identifizieren ohne jeden Zweifel unsere Zelte und das Auto, erkennen das Waschhaus im Hintergrund. Doch abseits oder gar alleine stehen wir nicht mehr: direkt auf dem Nebenplatz, praktisch auf Tuchfühlungsnähe, haben sich, wie sollte es anders sein, Südafrikaner niedergelassen! Zwei Familien, zehn Leute insgesamt, zwei Autos, zwei Trailer, zwei stinkende Generatoren, zwei brummende Kompressoren, ein unüberschaubarer Salat aus kilometerlangen Kabeln, gleißende Flutlichtbeleuchtung, afrikaanse Schlagermusik in Disco-Lautstärke... Ne, das ist jetzt nicht wahr, oder? Leider doch.

Annette und Jochen zucken nur hilflos mit den Schultern, freuen sich über die unerwartete Gesellschaft genau so wenig wie wir. „Die war’n schon da, als wir zurückkamen. Die Blonde mit den Dauerwellen stürzte auf uns zu und laberte uns voll. Unser Auto sei ja so toll bemalt, einer der Jungs hätte sich das gerade angekuckt, als sich eine der Schlangen bewegte und dann doch keine gemalte, sondern eine echte war. Eine Boomslang, eine grüne! Der Junge sei ganz aufgeregt gewesen und sie (die Dauerwellenmutti) habe auch noch gesehen, wie die Schlange hinten vom Auto gekrochen sei. Ach, das sei ja alles so aufregend. So aufregend wie der Urlaub in Vic Falls, in dem sie White Water Rafting gemacht und auch wilde Tiere gesehen hätten, und, und, und...?“ Was? Wie? Wo? „So haben wir auch geschaut, als diese Verbaldiarrhoe auf uns niederging!“, tröstet Annette. „Wir verstehen’s auch nicht. Der ganze Campingplatz ist frei, aber die klemmen sich direkt neben uns und machen Party.“ „Sind wir denn wenigsten eingeladen?“ „Nee, warum auch. Wir werden doch jetzt immerhin kostenlos bespaßt!“ Stimmt! Also lasst uns die Gelegenheit beim Schopf ergreifen und eine südafrikanische Familien-Soap live miterleben. Aufgrund unserer, am Nachmittag reichlich verzehrten Häppchen, sind wir ohnehin nicht mehr hungrig und können uns nun ohne jegliche Verzögerung in Position begeben: wir sinken in unsere Stühle, richten sie entsprechend aus und ziehen uns das dargebotene Programm, den Umständen entsprechend, genüsslich rein. Zwei Ehepaare, völlig von Adrenalinschüben durchdrungen, machen einen auf Halli-Galli, gehen offenbar total in ihren wiedererwachten Jugendgefühlen auf. Vier Jugendliche, denen das Benehmen ihrer Eltern sichtlich peinlich ist, verdünnisieren sich bald in Richtung Disco - der Disco, die Heinz und ich bei unserer Ankunft auch entdeckt hatten. Bleiben noch zwei Kleinkinder, denen bald so langweilig ist, dass sie zu quengeln beginnen. Kurzerhand werden die nölenden Bälger deshalb ins Bett befördert, wo sie jedoch deutlich hörbar weiternölen. Um das zu übertönen, drehen die feiergeilen Eltern einfach die Musik lauter. Nun ist das Kindergeschrei tatsächlich nicht mehr zu hören, eine normale Unterhaltung aber ebenfalls unmöglich. Lange Rede, kurzer Sinn: Die Familiensoap SAFFTWLZB (South African Family Fun Tours Without Limits - Zimbabwean Branch), frei übersetzt: südafrikanische Familien auf ultimativem Spaßurlaub im fernen Simbabwe, wo man sich benehmen kann, wie man es zuhause nie wagen würde, findet ein abruptes Ende, nachdem man die wirklichen Hauptdarsteller in die Dizze ziehen ließ, beziehungsweise ins Bett steckte. Ah, welch Wohltat senkt sich da über unsere Trommelfelle! Die Musik verstummt, die Kleinen schlafen endlich und die Jugendlichen kehren erst wieder, als auch wir schon lange im Morpheus’ Armen liegen. Das Geräusch der fortwährend laufenden Generatoren sang uns alle in den Schlaf...

4. April 2013, Victoria Falls > Hwange NP, Sinamatella Camp

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Ein bisschen ausschlafen? Nee, heute nicht, denn SAFFTWLZB ist bereits bei Sonnenaufgang in voller Aktion. Alle verfügbaren technischen Geräte leisten hierbei lautstarken Dienst, akustisch aufgewertet vom geräuschvollen Geräume ihrer menschlichen Besitzer – der ganze Wahnsinn muss ja schließlich wieder fahrttauglich verstaut werden. Es ist mir ein absolutes Rätsel, wie man für einen einzigen Abend so viel Kram rausräumen kann, nur um ihn am nächsten Morgen wieder zu verpacken. Mir persönlich wäre das ja echt zu blöd! Vielleicht aber ist gerade das der besondere Kick, den der campende Südafrikaner unbedingt braucht. Hatte die Gedauerwellte nicht von einem URLAUB in Vic Falls erzählt? Urlaub umfasst in der Regel mehrere Tage und Vic Falls ist hier. Warum ist die Truppe dann aber erst gestern Abend im Camp angerückt? Na klar, resümiere ich, die fahren heute gar nicht heim, sondern verbringen einen weiteren Tag vor Ort! Und damit der schon gut anfängt, räumen sie jetzt alles zusammen, um es heute Abend erneut aufzubauen, an der selben Stelle! Nö, so bescheuert können nicht mal Südafrikaner sein, oder?

Doch wie dem auch sei, wichtig ist einzig und alleine, dass wir heute weiterfahren und ich meine These nicht persönlich überprüfen werde müssen. Ich würde sie auch kein weiteres Mal ertragen, diese betulich-lärmende G’schaftelei: die Damen putzen, wienern und saugen sich einen Wolf, die Jugendlichen verrichten gewichtige Hilfsdienste, die permanent kommentiert und dirigiert werden, die Kleinkinder stehen plärrend im Weg und die Herren der Schöpfung koordinieren den Irrsinn mit markigen Gesten und kasernenwürdigem Befehlsgeschrei. Abartig! Wir hingegen lassen es gemütlich angehen und genießen die Darbietung unserer Nachbarn wie einen gut gemachten Horrorfilm, bei dem man zwischen Grauen und wohliger Gänsehaut pendelt, sich selbst jedoch in absoluter Sicherheit befindet. Doch jeder Film geht mal zu Ende, so auch dieser. Die Südafrikaner ziehen ab, Ruhe kehrt ein und wir können uns nun endlich um unsere eigenen Belange kümmern.

Eingang zum Nationalpark
Schautafel Fallkante
Warzenschweine
am saftigen Grün











Diese jedoch sind wesentlich schneller und deutlich geräuschärmer erledigt, als das bei unseren entschwundenen Nachbarn der Fall war: rasch ist unser bescheidenes Equipment zu Boden gerungen und im vergleichsweise sparsam ausgestatteten Auto verstaut. Dann klettern wir still in den bepackten Wagen, um diesen gastlichen Ort zu verlassen und Kurs auf den Mosi-Oa-Tunya Nationalpark zu nehmen. Annette und Jochen, die die Fälle schon mehrmals besichtigt haben, wollen sich heute jedoch die gesalze Eintrittsgebühr von 30 US-Dollar ersparen und stattdessen ein paar andere, weniger teure Dinge erledigen. Auch ich war schon diverse Male an den Fällen, berappe diese Summe aber gerne, denn erstens hege eine heimliche Vorliebe für die zimbabwische Seite und zweitens möchte ich natürlich an Heinz' Seite sein, wenn dieser dem „Donnernden Rauch“ seinen Jungfernbesuch abstattet.

Master Livingstone
Wir lassen uns also von unseren Freunden absetzen, löhnen, durchschreiten das Gate und nähern uns dann Schritt für Schritt dem donnernden Tosen des Wasserfalls, das von Anfang an dumpf vibrierend in unseren Ohren dröhnt. Noch aber ist nichts von der Gischt zu spüren, im Gegenteil. Trockene Blätter bedecken die gepflasterten Wege, es ist heiss, die Bäume und Sträucher präsentieren sich in verhaltenem Grün und die bronzene Statue David Livingstones glänzt nur an den Stellen, die von tätschelnden Besucherhänden glattpoliert wurden. Dann aber greift der Sprühnebel nach uns, zuerst noch zaghaft, wenig später jedoch mit der Macht einer voll aufgedrehten Riesendusche. Bereits am ersten Aussichtspunkt auf den Devil's Cataract - wir werden dort nur leicht befeuchtet - können wir schon deutlich ahnen, was in der Folge auf uns zu kommt! Wasser, Wasser, und nochmal Wasser! Besser, wir genießen jetzt den Blick auf diesen kleinen Teil der Fälle gebührlich, bevor uns die Dusche komplett verschluckt...

Devil’s Cataract
Gischt, Gischt...
Noch sitzt die Frisur










... und noch mehr Gischt
Sieht trocken aus -
ist es aber nicht!










Und wir genießen in vollen Zügen diesen kleinen Teil der gigantischen Fälle, der sich tosend und gischtend in eine Tiefe stürzt, die man auch hier nur noch erahnen, nicht aber sehen kann. Eine im Wassernebel verschwindende Abbruchkante, ein weichgezeichnetes Bild der dahinterliegenden Landschaft, das gefilterte Licht der Sonne, Bilder à la Hamilton - und das ohne über das Objektiv gezogenen Nylonstrumpf... Eine ungemein schöne, ganz eigene Stimmung! Heinz ist hingerissen - ich nicht weniger, dennoch aber bin ich etwas traurig: gerne hätte ich ihm einen deutlicheren Blick auf dieses einzigartige Naturschauspiel gegönnt. Doch welche Gedanken mache ich mir da? Die Fälle gibt es eben nur in dem Zustand, den der jeweilige Wasserstand vorgibt und alles hat seine Vor- und Nachteile. Unser heutiger Nachteil besteht lediglich darin, dass wir wenig bis gar nichts sehen, der Vorteil aber ist, dass sich die unbändige Gewalt hautnah spüren lässt. Ein donnerndes Vibrieren, das durch und durch geht, dessen brummend-dumpfe Frequenz den Körper mit jeder Faser erbeben lässt, das den Boden unter den Füßen zum Erzittern bringt und ein pladdernder, warmer Platzregen, der uns Gänsepusteln auf die Haut zaubert - weil er so unglaublich dicht ist und gleichzeitig einen derartigen Luftsog erzeugt, dass wir fröstelnd erschaudern! Und als wir die Kameras weggepackt und wasserdicht verstaut haben, spüren wir diese Urgewalt umso intensiver. Bis auf die Knochen nass, mäandern wir Hand in Hand durch einen triefenden Mikro-Regenwald, baden in undurchdringlicher Gischt und ohrenbetäubendem Getöse, wärmen uns an einzelnen Sonnenstrahlen, die diese Wand durchdringen können, um uns gleich darauf wieder in eine samtig-weiche Land-Unter-Welt zu stürzen. Herrlich!














Die Zeit verschwindet in der Gischt, in dieser Zauberwelt. Wir können deshalb auch nicht sagen, wie viele Sekunden, Minuten oder gar Stunden seit unserer Ankunft am Gate vergangen sind. Und wäre da nicht diese begrenzende Balustrade, die uns am Weitergehen hindert, so würden wir wahrscheinlich noch weitere Sekunden, Minuten, Stunden hier zubringen. Die hölzerne Sperre aber dirigiert uns wieder zurück. Pitschnass und ohne auch nur einen anderen Touristen gesehen zu haben, erreichen wir irgendwann erneut trockenere Gefilde. Mit der zunehmenden Trockenheit gewinnt die Luft am Wärme, der Park füllt sich mehr und mehr mit Menschen. Die meisten sind geschockt von dem Bild zweier getaufter Mäuse, das Heinz und ich abgeben: „Whooo, quite wet out there, isn't it?!“ „Ja, richtig nass, Leute - aber so schön!“ Doch wir können das Erlebnis dieser Mega-Dusche wohl nicht in ausreichendem Maße preisen, denn fast alle Besucher, die uns auf dem vergleichsweise trockenen Rückweg zum Gate begegnen, lassen sich von unserer Durchnässtheit ins Bockshorn jagen und begnügen sich damit, die Fälle gehört zu haben. Zu nass, nö, nö, nö, das brauchen wir nicht - schon sind sie wieder weg. Tja, da hat das Zimbabwean Tourism Board wohl noch einiges zu tun! Das Land ist mit dem größeren Teil der Fälle gesegnet, doch trotzdem gibt es hier keine Regenmäntel zu leihen: der willige Tourist auf zimbabwischer Seite führt also derlei Ausrüstung entweder selbst mit sich oder er erwirbt einen Regenschutz auf dem Souvenirmarkt. Der aber liegt deutlich jenseits des Gates, dort, wo eine derartige Nässe recht unwirklich, ja beinahe unvorstellbar erscheint. Ist man jedoch im Nationalpark erst mal drin, kommt man zwar wieder raus, nicht aber wieder rein - zumindest nicht, ohne erneut den Eintritt zu bezahlen. Das ist, gelinde gesagt, ungeschickt. Gut, wir befinden uns in der Nebensaison, in der ohnehin wenig Touris unterwegs sind und ich bin schon so lange nicht mehr in Zimbabwe gewesen, dass ich meine Hand nicht dafür ins Feuer legen möchte - eventuell gibt es in der Hauptsaison ja doch einen Regenmantelverleih... Doch das, was Heinz und ich auf unserem Rückweg ins Trockene erleben und erst recht das, was uns auf dem Souvenirmarkt widerfährt, gibt meiner Vermutung recht.



















Erfolgreich haben wir beide also, gut durchgeweicht und pitschnass, alle anderen Touristen abgeschreckt. Uns begegnen sogar noch ein paar, mit Regenschirmen ausgestattete Herrschaften, aber auch diese nehmen Abstand vom Besuch der Fälle, als wir ihnen bestätigen, dass ein Regenschirm absolut wirkungslos sei, schließlich käme das Wasser aus allen Richtungen. Ja, sag mal, sind die denn alle aus Zucker? Was ist denn so schlimm daran, bei rund dreißig Grad Außentemperatur eine kühle Dusche abzukriegen? Gut, es gibt Menschen, die sehr empfindlich sind und sofort eine Erkältung oder das Gliederreißen bekommen; die kann ich verstehen. Nicht aber die, die Klimaanlagen ertragen können, ja, sogar noch für absolut nötig erachten; denen kann doch so etwas nichts anhaben! Und Klamotten zum Wechseln hat doch auch jeder dabei. Aber nein, die Zuckersissies verzichten lieber auf ein einzigartiges Erlebnis, als sich nass zu machen. Nun, mir soll’s egal sein.

Jasminum fluminense
Solanum seaforthianum
Urena lobata










Doch apropos Klamotten wechseln: Heinz und ich erreichen den Parkplatz, wo ich mit Freude registriere, dass unsere Freunde bereits eingetroffen sind und das Auto ganz hinten, in der letzten Reihe direkt am Zaun geparkt haben. Ideale Voraussetzungen, unauffällig und ungesehen in trockene Kleidung zu schlüpfen, denke ich, als ich die Umgebung scanne. Vor und links neben uns der Zaun, dahinter dichtes Gebüsch, kein Mensch weit und breit. Vorsichtshalber platziere ich mich noch zwischen zwei geöffneten Türen, dann beginne ich, mir die nassen Sachen vom Leib zu schälen. Das T-Shirt habe ich noch an, untenrum jedoch bin ich bereits splitterfasernackt, als es im Gebüsch raschelt und sieben Schwarze aus dem Gestrüpp brechen, um uns durch den Zaun hindurch ihre Waren anzubieten. Hups! Doch die Herren sind so eifrig um Kundschaft bemüht, dass sie meine Blöße nicht im Geringsten zu bemerken scheinen. Wenn ich jetzt aber beginne, in Slip und Hose zu schlüpfen, dann werden sie wohl wahrnehmen, dass die Touristin vor ihnen sehr unschicklich gekleidet ist - nämlich fast gar nicht. Gerade will ich mich deshalb unauffällig ins Auto hieven, als Heinz mit einem Handtuch herbeieilt und mich damit gentlemanlike vor zudringlichen Blicken abschirmt. Nun kann ich mich zwar in aller Ruhe umziehen, den Verkaufsknaben aber dämmert langsam, wobei sie da gestört haben... Das wiederum hat natürlich lautstarkes Juchzen, anfeuerndes Gröhlen und schrilles Pfeifen zur Folge. Ich komme mir ziemlich blöd vor, und Heinz würde die Jungs gerne vertreiben, kann aber nicht, denn er muss ja das Handtuch festhalten. Also mache ich das Beste draus, werfe mich schnell in trockene Klamotten, trete aus meiner Umkleidekabine und knickse kokett vor den außer Rand und Band geratenen Jungs. Diese Geste normalisiert die seltsame Situation sofort, die Daumen meines Publikums gehen allesamt nach oben und das Gröhlen verstummt. Puh, überstanden! Normalerweise bin ja weniger g’schamig, aber es kommt eben immer auf die jeweilige Sachlage und Gesamtkonstellation an - DIE war gerade sicher nicht für einen unfreiwilligen Striptease geeignet, so viel steht fest.

Radnetzspinne
Asystasia gangetica
Zinnia peruviana










Doch nun bin ich ja wieder gesellschaftsverträglich gewandet und kann mich mit Heinz auf den Souvenirmarkt begeben, wo Annette bereits seit einer geraumen Weile zugange ist. „Hast du was gefunden?“ „Ja, einen Baobab aus Perlen, da mache ich ne Lampe rein. Das sieht bestimmt toll aus!“ Spricht’s, präsentiert uns ihre Beute und verschwindet flugs zwischen den kleinen Holzbuden. Na, dann schauen wir doch auch mal! Langsam bummeln wir über den Markt und bleiben schließlich bei einer Bude kleben, die wunderschöne kleine Perlentiere auf dem Tresen drapiert hat. Die Verkäuferin bemerkt unser Interesse natürlich sofort und preist engagiert ihre Ware. Mitten im Gespräch jedoch greift sie nach einem Stapel bunter Plastik-Regenjacken, flitzt aus der Bude und lässt uns völlig verdutzt zurück. Was war das jetzt? Als wir uns nach der möglichen Ursache dieses ungewöhnlichen Verhaltens umblicken, sehen wir, dass alle Standbesitzer, auch die, die nur eine einzige Regenjacke anzubieten haben, soeben das selbe tun: Jacken zusammenraffen, auf den neu angekommenen Reisebus losstürmen und ihre Ware den entsteigenden Touris anbieten. Beziehungsweise aufdrängen. Heinz und ich, die wir gerade ernsthaft an etwas interessiert waren, stehen nun da wie bestellt und nicht abgeholt. Na, dann halt nicht! Etwas pikiert begeben wir uns zum Parkplatz zurück, bewundern erneut Annettes Baobab und steigen schließlich ein, um uns auf den Weg zum Hwange NP zu machen. Jochen hat gerade den Motor angeworfen, um rückwärts aus der Parklücke zu rangieren, als es plötzlich heftig zu klopfen beginnt: es ist die Verkäuferin, die uns soeben recht rüde hatte stehenlassen. Nun ist sie da, sich zu entschuldigen, mit einem Arm voller Waren (keine Regenjacken) und sich zu erklären: „Es tut mir so leid, aber ich musste sofort reagieren, als der Bus ankam. Regenjacken gibt es nämlich nur hier, auf dem Markt, und das ist ein sehr gutes Geschäft, wenn wir die Kunden erwischen, bevor sie im Nationalpark verschwinden. Entschuldigung, Entschuldigung, tausendmal Entschuldigung, dass ich Sie habe stehen lassen. Doch ich habe jetzt alles dabei, was Sie interessieren könnte…“ Erwartungsvoll sieht sie uns an.

Ach je, das ist ja fast schon rührend, wie sich die Marktfrau um Wiedergutmachung bemüht! Leider aber müssen wir ihre Erwartungen enttäuschen, denn erstens ist Heinz und mir die Kauflust inzwischen vergangen und zweitens ist Jochen schon ein bisschen ungeduldig und möchte endlich fahren. Mit bedauerndem Kopfschütteln teilen wir der eifrigen Verkäuferin unsere Entscheidung mit. Um ihre sichtbare Enttäuschung wenigstens etwas abzumildern, zeige ich ihr Lurchi und rolle verzweifelt mit den Augen - ich dürfe nichts mehr kaufen, denn mit der Perlenechse an Bord sei unser Stauraum nun wirklich völlig ausgeschöpft. Und ein interessierter Blick ins Innere unseres Autos beweist der Marktfrau, dass ich nicht lüge: wie ein armes Sünderlein sitze ich auf meinem Platz auf der Rückbank, Lurchi in den Armen, zugehängt mit nassen Klamotten. Da muss sogar die Verkäuferin lachen! Kichernd rafft sie ihre Ware zusammen und lässt uns mit guten Wünschen für die weitere Reise ziehen.

Tja, gute Wünsche sind genau das, was ich jetzt ehrlich brauchen kann, besser noch – einen guten Rat... Aber der ist im Moment teuer, denn mein gestern so wurstig von mir geschobenes Transportproblem holt mich soeben volle Breitseite ein. Wohin mit Lurchi? Ich kann ihn doch nicht die nächsten Tage über ständig im Arm halten! Er ist zwar recht stabil, aber auch viel zu kostbar, um ihn in den schwer bepackten Laderaum zu stopfen. Für den Fußraum ist er definitiv zu groß, in die Mitte der Rückbank passt er erst recht nicht und hinter uns ist auch kein Platz. Verzweifelt lasse ich meinen Blick durchs Wageninnere schweifen - und bleibe an der canvasbespannten Safariluke über mir hängen. Das könnte gehen! Mit List und Tücke, mit etwas Gedrücke und Gezerre, bekomme ich das stattliche Perlentier tatsächlich dort verstaut, direkt über meinem Kopf, bombenfest! Der Schwanz klemmt nun im hinteren linken Eck, das rechte Vorderfüßchen schräg gegenüber und der Kopf ragt luftig darüber hinaus. Als wären die Luke und Lurchi füreinander gemacht!

Achtung, Elefanten!
Traumhafte Allee
Begrüßungsgiraffe










So, Problem gelöst, es kann weiter gehen: Lurchi schwebt über mir, ich im siebten Himmel und bald schon haben wir die relativ kurze Strecke bis zur nordöstlichen Einfahrt in den Hwange Nationalpark geschafft. Ein völlig unspektakulärer Wegweiser heißt uns plötzlich rechts abbiegen, der Teerbelag verabschiedet sich, die Pad wird staubig - sonst weist nichts darauf hin, dass wir uns tatsächlich bereits auf Nationalparkgebiet befinden. Sind wir echt schon drin? Ja! Nach einiger Zeit des Gezockles durch durchaus ansprechendes Buschgelände werden wir endlich standesgemäß empfangen: eine Giraffe, die quer über die Fahrspur schreitet, begrüßt uns, indem sie uns mißtrauisch beäugt, um gleich darauf Gas zu geben und im gegenüberliegenden Gestrüpp zu verschwinden. Hallo, du Schöne! Das war es aber auch schon mit dem bereitgestellten Empfangskomitee - auf den nun folgenden Kilometern präsentiert sich uns der Hwange eher wie ausgestorben. Unsere aufkeimende Enttäuschung jedoch legt sich schlagartig, als wir das Hochplateau erreichen, auf dem Sinamatella, unser heutiger Übernachtungsort, thront! Wir durchfahren ein unbemanntes Tor, parken unseren Wagen vor einem schäbig aussehenden Gebäude, melden uns bei einem erfreuten Ranger den Erfordernissen entsprechend an und kurven dann hinaus auf die tischebene Fläche des Campgeländes, wo wir uns einen Platz aussuchen dürfen. Ziemlich am Rande nur nehmen wir zur Kenntnis, dass wir die einzigen Gäste sind: das Panorama ist so überwältigend, so fesselnd, es verdrängt alle anderen Eindrücke!

Ankunft in Sinamatella
Das Ranger-Office
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Wir befinden uns auf einem weitläufigen Plateau, das an seinen Rändern steil abfällt - hinab auf eine baumbestandene Ebene, die sich in alle Himmelsrichtungen erstreckt, soweit das Auge reicht. Von hier oben blickt man auf kleine, blinkende Wasserflächen, deutlich sichtbare Tierpfade, eine Fläche, die in unterschiedlichen Grün-, Gelb- und Brauntönen schimmert, wogende Bäume, die markanten Silhouetten riesiger Baumeuphorbien und einen leuchtend blauen Himmel, der durch die umherziehenden Schäfchenwolken noch unendlicher erscheint, als er ohnehin schon ist. Ein geradezu zauberhafter Ort! Wir brauchen eine ganze, eine ziemlich lange Weile, bis wir uns in diesem umwerfenden Panorama eingefunden haben. Dann erst haben wir auch Augen für die anderen Dinge, die uns hier umgeben: schäbige Bungalows, abblätternde Farbe, rostende Gitter, bröckelnder Beton. Überall ist ein deutlicher Verfall zu sehen. Doch trotz aller Schäbigkeit regiert hier gleichzeitig eine sichtlich um Sauberkeit und Behaglichkeit bemühte Hand - jemand, der uns herzlich willkommen heißt und sichtlich um unser touristisches Wohlgefühl bemüht ist. Das kann man ganz deutlich spüren. Nichtsdestotrotz macht sich in uns eine recht seltsame Stimmung breit: diese fast greifbare Herzlichkeit, gepaart mit der maroden Ausstrahlung des Platzes und dem unglaublichen Panorama - das hat etwas immens Anrührendes, etwas sehr Ergreifendes und gleichzeitig Unwirkliches. Wir alle fühlen es, doch keiner von uns kann es richtig in Worte fassen.

Blick vom Plateau
Traumhafte Weite
Idylle pur










In dieser ungewohnten, aber durchaus nicht unangenehmen Atmosphäre errichten wir nun unser Lager, bevor wir uns unter einem Schattendach am Rande des Plateaus niederlassen und erst mal Kaffee und Kekse zu uns nehmen. Während wir unser Kaffeepäuschen genießen und dabei die Blicke ununterbrochen in die Ebene schweifen lassen, erhalten wir Besuch. Es ist Theo, der Attendant des Camps - also der Betreuer des Platzes und seiner Gäste. Zu seinen Aufgaben gehört es, die Touristen mit Feuerholz zu versorgen, die Feuerstellen und sanitären Anlagen sauber zu halten, einmal am Tag (sofern möglich) warmes Duschwasser zu bereiten, den Abfall zu entsorgen, alle Armaturen (sofern noch vorhanden) und sonstigen Einrichtungen in Schuss zu halten und vieles mehr. Der Attendant ist somit Hausmeister, Putzfrau und Mechaniker in einer Person. Jedes der Hwange-Camps hat mindestens einen solchen Attendant, das wußten wir bereits und auch, dass der, laut seiner Jobvorgaben, unauffällig und im Hintergrund agieren sollte. Umso erfreuter sind wir jetzt, unsere „Gute Fee“, die Seele des Platzes, persönlich kennenzulernen. Das ist also der Mann, dessen Wirken uns gleich zu Anfang willkommen geheißen hatte! Wir begrüßen ihn herzlich und laden ihn, als wir seine sehnsüchtigen Blicke bemerken, natürlich sofort ein, mit uns Kaffee zu trinken. Etwas schüchtern steht Theo nun mit seiner Kaffeetasse neben dem Schattendach und nippt andächtig an dem heißen Getränk. Mehrmals bitten wir ihn, sich zu uns zu setzen und bei den Keksen zuzugreifen, doch nur sehr zögerlich kommt er unseren Aufforderungen nach. Dann endlich setzt er sich. Wir merken, dass er viel zu erzählen hat, dass ihm unendlich viel auf der Seele brennt, doch er traut sich nicht so richtig.

Schattendach
Unsere Campsite
Erkundungsgang auf dem Camp










Mit lockerem Small Talk, einer weiteren Tasse Kaffee und drei Sorten Keksen gewinnen wir schließlich doch noch sein Vertrauen. Stockend erzählt er uns: er sei 28 Jahre alt, immer noch unverheiratet, komme aus Hwange, einer Minenstadt am Rande des Nationalparks und sei froh, hier, wo die Luft sauber sei, arbeiten zu können. Wir versichern ihm, dass er seinen Job wirklich toll mache und wir seine fürsorgliche Hand deutlich spüren konnten, als wir hier ankamen. Das freut Theo sehr, er strahlt über das ganze Gesicht, verstummt aber wieder und schlürft wortlos-verlegen seinen Kaffee. Der Damm seiner gestauten Erzählungen bricht erst, als ein Greifvogel über das Plateau schwebt und Jochen, ganz nebenbei, zum Fernglas greift. Dieser Griff zum Feldstecher wirkt wie eine redetechnische Initialzündung bei Theo. Warum, das erfahren wir im Laufe seines Berichts – aber auch, was in dem jungen Mann wirklich vor sich geht und mit welchen Problemen er zu kämpfen hat: Theo ist froh, einen Job als Attendant zu haben, noch froher allerdings wäre er, dafür auch regelmäßig Geld zu erhalten. Tut er aber nicht! Da sitzt der arme Mann für elf Monate (am Stück) in Sinamatella, bemüht sich und rackert sich ab, bekommt jedoch nur hin und wieder seinen Lohn ausbezahlt. Unglaublich? Nö, zimbabwischer Alltag. Einmal im Monat, das aber zuverlässig, kriegt er einen Sack Maismehl geliefert; das ist die einzige Kost, die ihm sein Arbeitgeber zur Verfügung stellt. Kein Wunder also, dass Theo fast in seiner Kaffeetasse badet und sich jeden Keks auf der Zunge zergehen lässt! Schlimm, oder? Doch es kommt noch besser! Theo ist sehr an der Natur interessiert, er möchte beruflich weiter kommen und deshalb Ranger werden. So weit, so gut. Doch um die Rangerausbildung überhaupt beginnen zu können, braucht er den Führerschein. Den aber muss er selbst bezahlen. Mit allem Drum und Dran. Das Drum und Dran schließt jedoch leider auch das Fahrzeug mit ein. Das müsste er sich leihen, mieten, kaufen, was auch immer, um Fahrunterricht nehmen zu können. Wovon soll denn bitte ein junger Mann, der einmal im Jahr für vier Wochen in die Zivilisation kommt, und wenig, beziehungsweise gar kein Gehalt bekommt, ein Auto bezahlen, um damit Fahrstunden machen zu können? Und selbst wenn er das auf die Reihe kriegt, mangelt es ihm einfach an Zeit, den Schein auch wirklich machen zu können.

Euphorbia cooperi
Am Objekt
Euphorbia cooperi










Doch Theo lässt nicht locker. Er leiht sich das Auto seines Bruders und das eines Freundes, um Kosten zu sparen, kann aber deswegen wiederum nur wenige Fahrstunden absolvieren, denn schließlich muss alles koordiniert werden: die Verfügbarkeit der Wagen, des Fahrlehrers und seine eigene, knapp bemessene Zeit in fahrstundenaanbietender Umgebung, sprich in Hwange Town. Genau einmal im Jahr, genau für einen Monat. Das kann nicht funktionieren! Trotzdem versucht Theo es unverdrossen - und das seit drei Jahren. Obwohl er weiß, dass ihn auch das nur bedingt weiterbringt: sollte er jemals den Führerschein erhalten, so hätte er zwar das Dokument in Händen, dennoch aber würde ihm die Praxis mit einem 4x4 im Gelände fehlen. Und die ist ebenfalls Voraussetzung für eine Rangerausbildung! Genau so, wie die nötige Fachliteratur und ein Fernglas, das er mitzubringen hätte, würde es ihm jemals gelingen, die Führerscheinhürde zu knacken!














Die spinnen doch, die Zimbabwer! Fassungslos lauschen wir der Wortflut unseres bildungshungrigen Attendants, der all seine Probleme ohne jegliche Anklage oder gar eine versteckte Forderung an uns vorträgt. Doch wir sehen uns dabei nahezu hilflos, total ratlos. Trotzdem würden wir wir ihm natürlich gerne helfen. Aber wie? Ihm Geld geben, einen Teil unserer Bestimmungsliteratur übereignen, eines unserer Ferngläser schenken? Doch so, wie wir Theo nun kennengelernt haben, möchte er das gar nicht - dennoch bieten wir vorsichtig unsere Hilfe an. Wie erwartet, wehrt der tapfere Theo ab; er kriege das schon alles hin, irgendwie, und das brauche er auch für sein Selbstbewusstsein. Nur, ähm, ob er noch einen Kaffee haben könne... Ach, Theo, klar! Während er nun andächtig eine dritte Tasse trinkt und sich mit Heinz und Jochen weiter unterhält, suchen Annette und ich ein paar Lebensmittel zusammen, die wir gut entbehren können, die seinen eintönigen Speiseplan aber sicher bereichern werden. Als Theo sich verabschiedet, drücken wir ihm das Päckchen in die Hand, die natürlich sofort abwehrend erhoben wird. „Nein, bitte, nimm die Sachen. Wir fliegen bald nach Deutschland zurück und können ohnehin nicht alles mitnehmen. Lass es dir einfach schmecken!“ Sehr verlegen nimmt Theo an - auch das Trinkgeld, das wir ihm noch zustecken - zieht aber anschließend mit sehr glücklichem Gesichtsausdruck von dannen. Mein Gott, ist das alles schwierig! Wir, die wir uns solche Urlaube leisten können, haben im heimischen Umfeld auch diverse Probleme, unseren Lebensunterhalt zu bestreiten, unsere Ziele zu verfolgen und in unserer Welt zu bestehen. Man kann auch einen zimbabwischen Theo in seiner Situation schlecht mit einer deutschen Barbara in der ihrigen vergleichen, aber dennoch blutet einem das Herz, wenn man solche Dinge zu hören bekommt - und man würde gerne helfen. Das Problem ist jedoch immer das gleiche - die Balance zwischen Stolz und Hilfsbereitschaft muss erhalten bleiben.

Mir geht es wirklich gut: ich habe einen Job, der ordentlich bezahlt wird und mir, zumindest meistens, Spaß macht, ich habe eine schöne Wohnung, ein kleines Auto, kann mir nötige und auch unnötige Klamotten kaufen, habe immer zu essen und kann mir nebenbei sogar diverse Freizeitvergnügen leisten. Im Vergleich zu Theo also bin ich stinkreich. Würde ich nun aber auf einen Multi-Millionär treffen, der, ohne zu arbeiten, im Geld erstickt, mehrere Paläste und Penthäuser sein eigen nennt, einen ganzen Fuhrpark von Luxusautos in der Garage stehen hat, ausschließlich Maßanfertigungen und Haute Couture trägt, nur Beluga und Champagner schlürft und die ganze Welt im Privatjet erkundet, stünde ich relativ arm da. Trotzdem möchte ich von diesem Krösus auch nicht bealmost werden - obwohl ich wahrscheinlich nicht rebellieren würde, wäre ich in derartige Verhältnisse hineingeboren worden... Es ist eben alles recht subjektiv und abhängig von den jeweiligen Umständen. Wichtig ist allerdings, dass man seine Ziele nie aus den Augen verliert und auch bereit ist, dafür zu kämpfen. Das macht Theo mit Bravour und wir wünschen ihm von ganzem Herzen, dass er eines Tages Ranger sein wird - mit Stolz, Selbstbewusstsein und Freude!

Gomphrena celosioides
Euphorbia ingens
Cissus sp.










Nun sind wir also wieder alleine und fühlen einen gewissen Unternehmungsgeist. Es ist noch früh am Nachmittag und so beschließen wir, einen kleinen Ausflug zu unternehmen - herunter von dem traumhaften Plateau, hinab in die Ebene, die wir gerne mal von Nahem inspizieren würden. Schnell ist der restliche Kaffee ausgetrunken, das Nötigste ins Auto gepackt und wir können los. Langsam tuckern wir die rund 60 Höhenmeter nach unten und nehmen Kurs auf Mandavu Dam, die nächstgelegene, nennenswerte Wasseransammlung. Dabei durchqueren wir dichtes Buschland, das zwar wenig Sicht auf eventuell vorhandenes Großwild zulässt, dafür aber ziemlich spannend ist, was Pflanzen und kleinere Tiere betrifft. Bereits auf den ersten Kilometern beeindrucken uns große Baumeuphorbien, die ihre grünen, kakteenähnlichen Zweige wie hundertarmige Kandelaber gen Himmel recken. Sie blühen gerade. Das allerdings kann man eher hören als sehen: die Blüten der stattlichen Wolfsmilchgewächse sind so unscheinbar, so winzig und so hoch droben, dass man sie mit bloßem Auge kaum erkennen kann. Dafür aber sind an diesen Nektarquellen zahlreiche Insekten zugange - und die sind unüberhörbar! Heinz, der eine besondere Vorliebe für hochwachsende Sukkulenten hat - seien es Säulenkakteen oder eben solche Riesen - ist ganz verzückt. Ich hingegen erfreue mich mehr an diversen Kleingewächsen am Rande der Botanik. Diese Blüten, Ranken, Blätter! Winzige grüne Greifärmchen, die zielstrebig nach Halt suchen, warzig-drüsiges und haariges Grün contra lackglänzendes Laub, Staubgefäße in der Größe eines Flohpopos, andere aufgefächert wie kitschige, in den Siebzigerjahren so beliebte Glasfaserlampen in Gamsbartform. So viele Farben und Formen, so viel Schönheit, selbst im ganz Kleinen!

Maerua edulis
Maerua edulis
Maerua edulis










Bei vielen bin ich zuordnungstechnisch nicht wirklich sicher, bemerke aber mit gewissem Stolz, dass sich mein Wissen so erweitert hat, dass ich nicht mehr völlig im Dunklen tappe: das ist ein Kaperngewächs, das ein Vertreter der Amaranthaceae, und so weiter. Was man mit einer gewissen Zielstrebigkeit alles erreichen kann! Ja, Eigenlob stinkt, ich weiß... Trotzdem erinnere ich mich staunend an unsere 2011er-Tour, wo wir im Naukluft unterwegs waren und Heinz mir einen Vortrag über den Unterschied der Zugehörigkeit zweier stangerlförmiger, milchender Pflanzen hielt, die für mich mehr oder weniger botanische Zwillinge waren. ...„Sarcostemma gehört zu den Asclepiadaceae, den Schwalbenwurzgewächsen. Das war mal eine eigenständige Pflanzenfamilie, heutzutage aber wird sie als Unterfamilie namens Asclepiadoidae innerhalb der Apocynaceae, also der Hundsgiftgewächse, behandelt. Somit ist Sarcostemma nicht nur mit den Aasblumen verwandt, sondern auch mit Adenium und Pachypodium und sogar mit Oleander und Immergrün. Die Familie der Euphorbiaceae hingegen, also die der Wolfsmilchgewächse, teilt sich in die Gattungen Monadenium, Synadenium, Pedilanthus, Jatropha und Euphorbia. Bekannte Vertreter der Gattung Euphorbia...“, dozierte Heinz auf den Tag genau vor zwei Jahren. Damals ein richtiggehendes Rätsel für mich, heute jedoch habe ich diese spezielle Thematik weitestgehend abgehakt - und nicht nur die! Ein schönes Gefühl: das Wissen, das Erkennen, die Sicherheit innerhalb eines bestimmten Sachgebietes nimmt schrittweise und spürbar zu. Trotzdem aber bleibt vieles offen und rätselhaft, und genau diese Tatsache erhält meine Neugier und Spannung.

Keine Angst, Schildi!
Chersina angulata
Die Schweindln flüchten










So hat halt jeder von uns seine eigenen Vorlieben und Marotten, die sicher alle ihre Berechtigung haben. Heinz ergeht sich also voller Freude in seinen Baumeuphorbien, ich schwelge in bekanntem Unbekanntem - und unsere beiden Freunde warten auf Tiere. Und wenn’s „nur“ Schildkröten sind... Aber auch solche kreuzen unseren Weg! Allseits zufrieden erreichen wir schließlich Mandavu Dam, wo wir, vor der Rückkehr nach Sinamatella, eine ausgiebige Pause einlegen. Ein malerischer Platz tut sich mit Camp Mandavu vor uns auf: eine kleine, aber deutliche Wasserfläche, bethront von einem oberhalb des Staudamms liegenden Camp-Areal, mit einer Aussichtsterrasse direkt am kleinen See. Ein wunderschöner Ort, den wir uns sofort, sollten wir wieder mal in den Hwange NP kommen, als Übernachtungsplatz vormerken. Heute allerdings sind wir nur auf einen Kurzbesuch hier, doch auch den genießen wir in vollen Zügen, denn es gibt viel zu sehen. Am Rande des Stausees tummeln sich Reiher und Kraniche, aus dem Geäst der das Camp beschattenden Bäumen beäugen uns   neugierige Drongos und Glanzstare, Eidechsen huschen über die warmen Felsen der Aussichtsterrasse und zahlreiche Libellen schwirren wie bunte Pfeile dicht über den Boden.

Mandavu: der See
Stille Landschaft
Mandavu: die Aussichtsterrasse










Es ist so schön hier, dass sich unser Kurzbesuch deutlich in die Länge zieht, eine äußerst kurzweilige Länge allerdings. Nach einer guten Stunde erst schaffen wir es, uns von Mandavu loszureißen und den Rückweg nach Sinamatella anzutreten. Doch auch der hat natürlich wieder das eine oder andere Interessante zu bieten, sodass wir es gerade noch rechtzeitig zum beginnenden Sonnenuntergang, den wir um nichts in der Welt verpassen möchten, auf unser Plateau hoch schaffen. Dort drapieren wir uns dann bequem und gemütlich mit einem kühlen Sundowner-Castle unter das Schattendach und pfeifen uns wohlig seufzend die einmalige Rundumsicht samt der warmen Farben der sinkenden Sonne rein. Es ist herrlich!














Leider ist das farbenfrohe Spektakel schneller vorüber, als uns lieb ist - allzu rasch senkt sich die Dunkelheit über Sinamatella. Doch sie wird ihrerseits von den Geräuschen der beginnenden Nacht begleitet und die umfangen uns ebenfalls mit großem Wohlgefühl: Schakalgeheul, klagende Schreie von Nachtschwalben, lautstarkes Geraschel nachtaktiver Kleinstnager und das wehmütige Buhuhu einer fernen Eule. Was wollen wir mehr? Was für eine angenehme Geräuschkulisse, verglichen mit der des gestrigen Abends! Dass es unser vorvorletzter Abend im Busch ist, verdrängen wir erfolgreich und geben uns stattdessen in vollen Zügen unserer Einsamkeit inmitten der Natur hin...


Weitere Impressionen des Tages:


Gischt hinter den Bäumen
Lurchi-Arretierung
Hinweis zum Abbiegen










Dicrurus adsimilis
Lamprotornis mevesii
Polemaetus bellicosus










Chersina angulata
Chersina angulata
Mandavu










Mandavu
Libelle
Libelle










Sinamatella
Bidens pilosa
Bobotie aus dem Potjie










Vernonia sp.
Asystasia gangetica
Euphorbia cooperi
Euphorbia cooperi
















Euphorbia cooperi
Euphorbia ingens
Aussichts-Genießer
Heinz an der Aloe
Unterwegs im Hwange
Euphorbia ingens
Euphorbia ingens
Mandavu

5. April 2013, Sinamatella > Shumba Camp

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Auch heute Morgen weckt uns kein menschliches Geräume, lediglich die ersten, tastenden Strahlen der aufgehenden Sonne zaubern Licht in unsere Zelte und kitzeln uns in der Nase, nötigen uns mit zarten Fingern zum Aufstehen. Wir leisten nur zu gerne Folge und nehmen unser Frühstück in der angenehmen Wärme des beginnenden Tages ein. Allerdings kommen wir kaum dazu, zu essen, denn zahlreiche Tiere springen und krabbeln über die sich aufheizenden Felsen zu unseren Füßen. Neugierige Baumhörnchen lauern auf zu Boden fallende Krümel, Eidechsen mit leuchtend blauen Schwänzen und dickbäuchige Skinks tanken Wärme, genau so wie diverse Minikäfer und winzige, sandfarbene Schrecken. In den Bäumen über uns zwietschen und schmettern einige Vögel ihr Morgenliedchen, die Ebene leuchtet in satten Farben - wir verabschieden uns nur schweren Herzens von Sinamatella und seiner einmaligen Aussicht. Gut und gerne könnten wir es noch ein paar Tage hier aushalten, aber wir wollen und müssen ja weiter. Unser heutiger Weg führt in südöstlicher Richtung durch den Park, zur Shumba Pan, wo wir eine sogenannte „Private Campsite“ gebucht haben. Vorteil dieser privaten Plätze ist, dass man dort alleine ist, nicht mit anderen Leuten teilen muss. Allerdings, so haben wir gelesen, wurde diese eherne Parkregel mittlerweile etwas aufgeweicht und so kann es durchaus passieren, dass man mit anderen Touristen „vergesellschaftet“ wird. Nicht gerade unsere Traumvorstellung. Doch wir werden es ja sehen, spätestens heute Abend...

Trachylepis sp.
Paraxerus cepapi
Trachylepis quinquetaeniata










Jetzt aber ist erst mal gemächliches Fahren durch den Park angesagt: wir kurven also von unserem Plateau herab und nehmen die erste Abzweigung gen Westen - schließlich wollen wir heute einen anderen Weg nehmen als unseren gestrigen zum Mandavu Damm. Kaum sind wir von der nun bereits bekannten Route abgebogen, werden wir auch schon belohnt: auf einem großen Baum, dessen Äste quer über die Fahrspur wachsen, erspähen wir ein auffälliges Vogelnest. Seine massive Konstruktion gibt eindeutige Hinweise auf die Erbauer - Hammerköpfe! Wir stoppen und spähen neugierig in die nach unten zeigende Öffnung: tatsächlich sitzt einer der braunen Vögel mit den kecken Federschöpfchen in dem Bollwerk aus dicht ineinandergesteckten Ästen und Zweigen und starrt uns verschreckt an. Hoho, Brauner, nicht aufregen, wir tun dir nichts! Um das Brutgeschäft des Hammerkopfs nicht nachhaltig zu stören, steigen wir rasch wieder ins Auto und ziehen weiter. Wenig später, wir zwängen unser Fahrzeug gerade durch eine recht verbuschte Passage, machen wir erneut eine Zufallssichtung. In einem abgestorbenen Baumstamm, der innen hohl ist und deutlich in der Waagrechten liegt, bewegte sich etwas. Als wir stoppen, ist natürlich nichts mehr zu sehen, doch wir haben Geduld. Und es dauert auch nicht lange, bis sich die flüchtig wahrgenommene Bewegung wieder materialisiert: ein prächtiger Nilwaran reckt seinen klobigen Schädel aus der Öffnung im Baumstamm und blickt nervös in die Runde. Wir halten mucksmäuschenstill. Der Waran misstraut dem Frieden, erstarrt in seiner Position. Nur sein für uns sichtbares Auge bewegt sich hektisch. Ein Anblick, der aus „Jurassic Park“ stammen könnte! Durch den vom Holz verdeckten, durchaus schlanken und agilen Körper des Warans wirkt dessen massiger Kopf mit den vergleichsweise kleinen Augen wie der eines echten Dinosauriers. Naja, so weit hergeholt ist der Vergleich nicht, schließlich gelten Warane als direkte Nachfahren der Saurier - eine Tatsache, die unser Nildino mit seinem urtümlich wirkenden Quadratschädel eindrucksvoll belegt. Und wahrscheinlich kann man auch nur über so lange Zeit hinweg existieren, wenn man besonders wachsam und vorsichtig ist: als sich nämlich eine Fliege auf meinem Gesicht niederlässt und ich sie im Zeitlupentempo mit der Hand wegzuwedeln versuche, taucht das Reptil im Bruchteil einer Sekunde in den Baumstamm ab und will auch nicht mehr hervor kommen. Also fahren wir weiter und lassen das dichte Gebüsch bald hinter uns. Eine Weile geht es durch grasiges, recht übersichtliches Gelände und wir freuen uns, als wir ein paar Giraffen entdecken. Allerdings sind auch die ziemlich misstrauisch und verdünnisieren sich rasch, nachdem sie uns eine kurze Weile prüfend betrachtet haben.

Hammerkopf im Nest
Nil-Dino
Halcyon albiventris










Viele Tiere haben wir bis jetzt zwar noch nicht gesehen, doch aufgrund ihrer Reaktion ist eines jetzt schon klar: der Hwange hat seine Glanzzeiten als Vorzeigepark deutlich hinter sich gelassen. Das liegt leider nicht nur an den stetig abnehmenden Besucherzahlen, Mugabe und dessen Politik sei Dank, sondern, und das ist viel schlimmer, auch an der nicht in den Griff zu bekommenden Wilderei. Die ist ebenfalls dem guten Robert zuzuschreiben. Das Volk leidet Not. Man holt sich also sein Essen aus dem Busch. Dort ist es kostenlos - das einzige, was man sich leisten kann. Und es ist leicht zu holen, denn wer passt schon drauf auf? Der Ranger, der seit Monaten keinen Lohn erhält, zusammen mit seinen Kollegen, die ebenfalls unbezahlt ausharren? Wohl eher nicht. Leider aber funktioniert Naturschutz in unserer Zeit der Überbevölkerung und Profitgier einzig und allein durch florierenden Tourismus und engagierten Einsatz des Personals. Beides jedoch hat Mugabe mit Bravour in die Knie gezwungen. Umso erstaunlicher ist, dass hier doch noch unglaublich viel Wild lebt, auch wenn man es nicht immer willfährig und zutraulich am Straßenrand stehen sieht. Eine Tatsache, die fast ausschließlich privaten Initiativen zu verdanken ist - und der unerschütterlichen Naturverbundenheit einiger Angestellter des Parks. Vor solchen Leuten ziehe ich meinen Hut, ganz tief, sehr dankbar und überaus ehrfürchtig, denn es ist alles andere als einfach, unter derartigen, nichtendenwollenden, schlechten Bedingungen den Mut nicht zu verlieren.

Bereits in den achziger Jahren fing die Misere unter Robert Mugabe an; staatliches Geld floss zunehmend spärlicher, die Nationalparkbehörden konnten ihre Aufgaben bei der Instandhaltung des Wegesystems und der Wasserpumpen für Tränken nur noch unregelmäßig wahrnehmen, Korruption ließ die Einkünfte aus dem Jagdtourismus auf geheimnisvolle Weise zusätzlich schrumpfen und auch Wilderern konnte man stetig weniger entgegensetzen. Zu wenig Waffen, zu viele kaputte Fahrzeuge, fehlender Treibstoff und schwindende Motivation, das sind die Faktoren, die den zimbabwischen Nationalparks seit über 35 Jahren zusetzen - Tag für Tag ein bisschen stärker. Dennoch funktionierte das kaputte System dank vieler engagierter Menschen weiterhin; nicht perfekt, nicht mal gut, aber zur Erhaltung der Nationalparks reichte es. Zur Jahrtausendwende jedoch weitete sich die stetig schwelende Glut des Geldmangels zum lodernden Steppenbrand aus, Zimbabwes Wirtschaft ging dank der Hirngespinste eines alten, machtgeilen Mannes nun völlig in die Knie. Ein absolutes Desaster für die ohnehin schon angeschlagenen Nationalparks - die Wilderei nahm ungeahnte Ausmaße an, die Buchungssysteme wie auch die Kommunikation zwischen den Camps brachen vollends zusammen, die Parks verbuschten, viele Wasserlöcher trockneten aus und die Motivation der Angestellten sank aufgrund des nur noch sporadisch gezahlten Lohns auf den Nullpunkt. Doch es gab einen Phönix, der sich zur rechten Zeit aus der Asche des tödlichen Finanz-Brandes erhoben hatte: Lodges und Privatpersonen formierten sich zu regierungsunabhängigen Vereinen, trieben Spendengelder auf, setzten alle Hebel in Bewegung, das Leben in den Parks aufrecht zu erhalten. Und es gelang erfolgreich, so erfolgreich, wie man sich es unter derartigen Umständen fast nicht vorstellen kann. Doch ohne den überdurchschnittlichen Einsatz aller Beteiligten hätte das nicht funktioniert; ein Einsatz, der private Mittel, unbezahlt-ehrenamtliche Tätigkeiten und großen zeitlichen sowie logistischen Aufwand mit einschließt. Davor, ich betone es nochmal, ziehe ich meinen Hut. Noch mehr Respekt aber habe ich vor den Parkangestellten, Rangern wie Attendants, den Theos dieser Welt, die einfach das tun, was sie als ihre Aufgabe erwählt haben - Maismehl hin, nicht bezahlter Lohn her.

Das Bächlein im Tale
Farbenfroher Anrainer
Es geht noch greller!










All das macht den Hwange noch sympathischer, als er ohnehin schon ist. Sympathisch, denn der Park bietet eine wunderschöne, abwechslungsreiche Landschaft, präsentiert sich völlig unaufgeregt und ist trotzdem total aufregend! Vor einer Weile, zum Beispiel, sind wir aus dem Dinodickicht in eine grasige Ebene gekommen, wo wir auf die Giraffen stießen. Wenig später tauchen wir jetzt in eine Senke ab, auf deren Sohle ein winziges Bächlein sanft mäandernd leise vor sich hin plätschert. In diesem Mini-Tal präsentiert sich uns nun plötzlich eine völlig andere Flora und Fauna, eine, die gewässertypisch ist. Libellen schwirren umher, ein Eisvogel hält Ansitz auf einem der wenigen höheren Bäume, Wasserkäfer huschen hektisch in den Kehrwassern des Bachs umher und es wachsen Pflanzen, die eben nur in der Nähe von Gewässern gedeihen. Hier stoppen wir und ergehen uns in der sagenhaft idyllischen Ruhe dieses paradiesischen Fleckchens Erde. Wir beobachten Libellen und Blister Beetles, schnuppern an violetten Vernonias, lauschen dem Säuseln des Windes im hohen Gras und dem Murmeln des Baches, planschen mit den Füßen im Wasser - und lassen uns dabei von der Zeit kreuzweise und spiralenförmig gerne haben. Es ist so herrlich, wenn man durch nichts gedrängt wird und sich trotzdem trefflich unterhalten fühlt! Wie oft gibt es solche Situationen? Im Alltag müssen wir uns derartige Momente meist erkämpfen, indem wir vorher oder nachher selbst dafür büßen, und sogar im Urlaub bleibt man von vergleichbarem Stress oft nicht verschont; knappe Zeitkalkulation, unterschätzte Strecken, zu viel sehen wollen in zu kurzer Zeit. Klar, man kann sich zwei Wochen in der Dom-Rep einbuchen, all inclusive, sich an den Strand flätzen und nebenbei fressen und saufen, was der Magen gerade noch so toleriert. Doch selbst da kann Stress ausbrechen: Handtuch, Liegestuhl, Sonnenschirm, Garnelen am Buffet aus, Bacardi alle, Bauchschmerzen, Sonnenbrand. Doch diese Art der angeblichen Stressfreiheit meine ich nicht. Es ist viel mehr die Losgelöstheit aus allen alltäglich-menschlich-zwischenmenschlichen Situationen, in der man nichts erwartet und dennoch so viel bekommt - sofern man eben genau das zu genießen in der Lage ist. Letzeres scheint jedoch bei vielen Menschen DER Knackpunkt zu sein. Wie viele Freunde, Bekannte und Kollegen winken schon gewohnheitsmäßig ab, wenn ich verkünde, wieder in Urlaub zu fliegen: „Afrika, oder?! Da warst du doch schon so oft, was iss'n da so toll dran?“ Argumente, dass Afrika kein Land, sondern ein riesiger Kontinent sei, werden großzügig weggenickt. „Bah, und all das Viehzeug, die Schlangen, die Krabbelteile, und dann auch noch im Zelt schlafen. Nicht mal ein ordentliches Bett. Jeden Tag wo anders, keine tägliche Dusche, Plumpsklos, selber kochen, kein Handynetz, Stromversorgung Fehlanzeige! Schrecklich! Aber du siehst verdammt erholt aus, wie machst du das nur?“

Keine Pflanze...
...auf der nicht...
...irgend ein Insekt sitzt.










Genau so! Ich genieße das, was sich mir bietet und mich in einen Zeittaumel zieht, der einem Drogenrausch nicht unähnlich ist. So, wie der Tankwa Karoo NP und die Knersvlakte ein Highlight für mich waren, das Richtersveld in seiner pflanzenreichen Kargheit, die Sunday Pan mit den Perlhühnern, und viele andere Orte mehr, die ich manchen Freunden, Bekannten und Kollegen gegenüber schon gar nicht mehr erwähne, weil es mir, mhm, irgendwie fast peinlich ist. Ja, ich bin afrikafixiert! Genau so, wie andere glauben, ihr absolutes Wohlgefühl nur in Asien, Australien oder den USA erspüren zu können. Mich aber ereilt dieses intensive Feeling nur auf meinem geliebten Kontinent - ich habe es an vielen anderen Orten dieser Welt, ich schwöre, wirklich vergeblich gesucht, obwohl ich offen und willens gewesen wäre.

Vernonia sp.
Crotolaria sp.
Buchnera sp.










Hier aber muss ich, müssen wir nicht suchen, hier werden wir gefunden! Nach einem extrem entspannten Bummel durch das kleine Bachtal fahren wir weiter, und lassen uns die wechselnden Düfte der vorüberziehenden Vegetation bei offenen Autofenstern um die Nase wehen. Plötzlich zuckt Heinz erschrocken zusammen: mit einem dumpfen Plöck nämlich ist ein riesiger Käfer, dessen Gewicht durch den Fahrtwind zusätzlich verstärkt wurde, auf seinem Oberarm gelandet. So heftig, dass es richtig weh getan hat. Doch sowohl Heinz als auch der Käfer sind unversehrt, sodass wir das große Insekt in all seiner Pracht in Augenschein nehmen können. Lackglänzende, schwarz-gerillte Flügeldecken, kammartige Fühler und weiße, den Hinterleib säumende Haarpüschelchen erinnern an den hierzulande bekannten Maikäfer, doch unser Exemplar ist viel größer und auch rundlicher. Es scheint sich pudelwohl zu fühlen, dort, auf Heinz' grauem T-Shirt-Ärmel, auf den gerade die Sonne scheint, denn als Heinz das Tierchen abpflücken will, um es wieder in die Freiheit zu entlassen, krallt es sich verzweifelt fest. Na gut! Bevor wir dem Käfer noch ein Beinchen abreißen, stoppen wir halt lieber wieder und bugsieren das anhängliche Insekt mit Hilfe eines Zweigleins vom gemütlichen Ärmel. Dieser Rettungsversuch funktioniert, wie erwartet, reibungslos. Während wir dem Käfer beim Davonbrummen nachsehen, entdecken wir allerdings, ebenfalls wie nicht anders zu erwarten, bereits neue Dinge. Spannende Ranken, winzige Blütchen, sternförmige Kelchblätter, bunte Schmetterlinge und - eine Blattwanze, die mir irgendwie verdammt bekannt vorkommt.

Sturzbomber-Käfer
Frau Kurvenbein
Herr Kurvenbein










Es ist eines dieser kurvenbeinigen Insekten, das ich vor zwei Jahren zum ersten Mal gesehen hatte - im Naukluft NP. Lange hatte ich damals recherchiert, um herauszufinden, um was es sich hierbei handelte. Anoplocnemis curvipes lautete das Ergebnis - ein bekannter Ernte-Schädling, über den es erstaunlich wenig Literatur zu finden gab und immer noch gibt. Das, was wir nun vor uns haben, scheint eng verwandt mit der Naukluft-Wanze: akkoladenartig geschwungene Hinterbeine sind das augenfälligste Merkmal. Doch diesmal ist die Wanze mit dem beeindruckend geformten Beinpaar nicht alleine! Ein zweites Tier, dessen Schenkel wesentlich dezenter geschwungen sind, wird von dem Bein-Adonis gerade heftig umworben. Hah, hatte ich damals doch recht mit meiner, von der Literatur unbestätigten Vermutung: die muckibuden-gestählten Oberschenkel gehören zu einem Männchen, das sich damit dem Weibe anpreist! In unserem jetzigen Fall noch nicht richtig erfolgreich, aber das Verhalten und die unterschiedlichen Geschlechter sind eindeutig. Und, hah, ich habe wieder was dazu gelernt, wieder etwas (für mich) Neues entdeckt!

Masuma Dam
Das frisch renovierte Dach
Borstige Raupe - Kopf










So lassen wir uns stundenlang durch den abwechslungsreichen Hwange NP treiben, bis wir schließlich, am frühen Nachmittag, Masuma Dam erreichen. Ähnlich wie Mandavu, liegt hier eine große Campsite direkt am Wasser und eine Aussichtsterrasse gestattet einen weiten Blick über den See und dessen Ufer. Dort tummeln sich viele Kronenkraniche und unterschiedlichste Reiher, ein paar ferne Antilopen sind zu erkennen und zahlreiche, kleine Vögel trinken und baden im seichten Wasser der Uferregion. Während Annette und Jochen die Aussicht genießen, schlendern Heinz und ich über den Platz, in der Hoffnung, auch hier Interessantes zu entdecken. Wir werden nicht enttäuscht! Über uns, in einem schattenspendenden Baum, hüpft aufgeregt ein dottergelber Pirol umher, beäugt uns neugierig, entzieht sich aber immer wieder erfolgreich den Linsen unserer Kameras. Doch es finden sich auch dankbarere Fotoobjekte: eine über und über mit Borstenbüscheln bewachsene Raupe, bei der das vordere und hintere Ende kaum zu unterscheiden sind - nur die Richtung ihrer langsamen Bewegungen zeigt an, wo der Kopf sitzt.

Oriolus auratus
Spinnentunnel
Prächtige Libelle










Etwas flinker ist da schon die Spinne, die Heinz geduldig mit einem Grashalm aus ihrem gewebten Tunnel im Boden zu locken versucht; kurz lässt sie sich vom Zittern des Halmes, das sich auf die Spinnfäden überträgt, hervorlocken, doch als sie die Täuschung bemerkt, zieht sie sich blitzschnell wieder zurück. Neben uns, in einem Gebüch direkt am Wasser, hängt ebenfalls ein Netz, das aber nicht mehr bewohnt ist; hierbei handelt es sich um die tropfenförmige Kinderstube von nesselhaarigen Gespinstraupen, die allesamt bereits die Metamorphose zur Motte vollzogen haben. Das Gespinst ist leer, die ehemaligen Bewohner ausgeflogen. Nun, Heinz und ich sind darüber nicht allzu traurig, gehören diese Raupen doch eher zu den unscheinbareren Lebewesen, die zudem, kommt man mit ihnen in Berührung, heftige Hautreaktionen auslösen können. Da sind uns die vorwitzigen Glanzstare, die unser Tun die ganze Zeit über beobachten, schon wesentlich lieber! Und wir scheinen ungeheuer interessant zu sein, denn die Vögel folgen uns immer noch, als wir in einem großen Bogen wieder auf die Aussichtsterrasse zusteuern. Dort finden wir Annette und Jochen in einem angeregten Gespräch mit den zwei Attendants des Camps vor. Die zwei Männer, die sich um alle Belange der Campsite Masuma und deren Gäste kümmern, scheinen über die Abwechslung, die ihnen die Unterhaltung beschert, sehr froh zu sein. Warum, das erfahren wir von unseren Freunden, als wir wieder im Auto sitzen und uns zur Weiterfahrt anschicken: das strohgedeckte Dach der Aussichtsterrasse hatte seine besten Zeiten hinter sich und musste renoviert werden. Zu diesem Zweck hatte die Parkverwaltung eine Riesenladung Stroh nebst zweier Arbeiter angeliefert, die nun wie selbstverständlich die Hilfe der beiden Attendants in Anspruch nahmen. Die sind zwar in der Regel hart im nehmen und mit einer Vielzahl von handwerklichen Fähigkeiten ausgestattet, aber die Dachrenovierung war ihnen dann doch etwas zu viel des Guten - zu anstrengend und ein wenig unter ihrer Würde, so gestanden sie unseren Freunden. Leider aber blieb nichts anderes, als mit anzupacken, denn die Arbeit musste schnellstmöglich erledigt werden, so der Befehl der Parkverwaltung. Und das schloss die Mithilfe der Caretaker unmissverständlich mit ein. Tja, es es kein leichtes Leben für die Jungs hier im Hwange, zumal die Entlohnung ja dürftig bis unsicher ist. Aber immerhin haben sie einen Job - ein Glück, das vielen anderen Zimbabwern nicht beschieden ist.

Unter den Bäumen: Shumba Camp
Alles ist aufgebaut
Waschhaus und Pavillon










Auch wir haben heute noch einen Job zu erledigen, auch wenn der ungleich leichter und angenehmer ist: wir müssen unser Lager errichten... Das tun wir auch, sobald wir an der Campsite von Shumba angekommen sind, die wir uns übrigens nur mit zwei schüchterenen Attendants teilen müssen. Die beiden kommen sofort angesprungen, als wir vorfahren, und wollen uns beim Entladen und beim Zeltaufbau helfen. Das aber muss nun wirklich nicht sein! Um die sichtliche Enttäuschung der Zwei etwas zu mildern, erlauben wir ihnen, beim Tragen unserer schweren Kisten mit anzupacken und lassen uns dann den Platz zeigen. Und der ist wirklich schön! Es gibt ein Küchenhäuschen, Betontische, zwei offene Unterstände und sogar eine geflieste Dusche, die sehr neu und richtig gepflegt aussieht. Ein riesiger Baum, zu dessen Füßen ein kleines Beet aangelegt wurde, bildet das einladende Zentrum dieses idyllischen Platzes. Annette fühlt sich hier so wohl, dass sie gar nicht mehr weg will. Also fahren Heinz, Jochen und ich alleine zum etwa 400 Meter entfernten Hide - der einzige Nachteil von Shumba gegenüber anderen Plätzen, deren Hides direkt auf dem Campgelände situiert sind. Da wir aber ohnehin nur für eine Nacht bleiben, finden wir das nicht so tragisch und machen uns neugierig auf den Weg.

Landschaft beim Hide
Eingezäunter Hide-Platz
Der Hide himself










Die Gegend um Shumba ist ja eigentlich berühmt für zahlreiche Löwen- und Elefantensichtungen, ein Glück, das uns heute aber leider nicht beschieden ist. Recht einsam und verlassen steht der hölzerne Ansitz inmitten der weiten Landschaft und man hat eine gute Rundsicht, die allerdings wenig Tierisches zutage bringt. Trotzdem klettern Heinz und Jochen in den Hide hinauf und scannen die Umgebung, während ich am Boden bleibe und mich mit ein paar neugierigen Mahaliwebern und Glanzstaren vergnüge. Oder sie sich mit mir? Nach etwa einer Stunde, die Abenddämmerung setzt schon ein, haben wir genug gesehen und machen uns auf den kurzen Rückweg zum Camp, wo uns Annette frisch geduscht und hungrig erwartet. Auch uns knurren schon die Mägen und rufen nach Füllung: Boerewors mit Bratkartoffeln und Salat soll es heute geben! Während wir nun Kartoffel, Zwiebeln und Tomaten schnibbeln, rutschen wir immer näher an das herunterglühende Lagerfeuer, denn mit der beginnenden Nacht halten auch spürbar kühlere Temperaturen Einzug. Als wir mit Essen und Abwasch fertig sind, ziehen wir uns sogar noch dicke Jacken über, um uns warm zu halten.

Der „Gummifrosch“...
...und weitere, winzige...
...Artgenossen












Den einzigen, denen die unangenehme Kälte wenig auszumachen scheint, sind ganze Heerscharen von Fröschen. Zunächst können wir nur ihr lautes Quaken hören, das wie eine schräge Symphonie rund um Shumba erklingt, zu vorgerückter Stunde aber erhalten wir persönlichen Besuch von den Amphibien. Den ersten der Frösche entdeckt Jochen - an der Klotür. Es ist ein zweistreifiger Engmaul- oder Wendehalsfrosch, besser bekannt unter seinem englischen Namen „Banded rubber frog“. Der Gummifrosch, seine gummiartige Haut verhalf ihm zu diesem etwas peinlichen Namen, ist rund sechs Zentimeter groß, schwarz, glatthäutig und wird von zwei rötlichen, die Flanken herablaufenden Streifen geziert. Jochen ist sogleich ganz aufgeregt. „Ein Rubber Frog, Leute, ein Rubber Frog! Der ist giftig!“ Naja, das stimmt: seine Haut sondert bei Berührung hoch konzentrierte Cardiotoxine ab, die jedoch sind nur für andere Kleinamphibien, nicht aber für Menschen gefährlich. Also kein Grund zur Panik. Hübsch ist das kleine Gummitier trotzdem und seine roten Streifen verleihen ihm tatsächlich ein Aussehen, das andere Lebewesen deutlich vor ihm warnt. Wesentlich unscheinbarer sind da schon diverse Gras- und Sandfrösche, die unbekümmert um unsere Füße herumspringen. So unbekümmert, dass ich eine kleine Einsammelaktion starte, um die vorwitzigen Hüpfer aus der Gefahrenzone unserer Schritte und rückenden Campingstühle zu bringen. Mindestens zehn Frösche fange ich ein und setze sie am Rande des Platzes wieder aus. Sie alle lassen sich das klaglos gefallen. Alle, bis auf einen. Es ist ein besonders zierliches Exemplar mit wunderschönen Goldaugen, das sich mit ungeahnter und vehementer Kraft unbedingt zwischen meine Finger quetschen und dort verstecken möchte. Huh, Mann, das kitzelt vielleicht! Kichernd und quiekend trage ich den kleinen Frosch vom Platz - unter den rätselnden und verständnislosen Blicken meiner Freunde... Nur widerwillig lässt sich das Tierchen von meiner Hand bugsieren und im Gras absetzen, aber schließlich ist es geschafft, und jetzt ist mir auch wieder warm. Die wohlige Wärme der Bewegung hält allerdings nicht lange vor und wir beschließen, ins Bett zu gehen, bevor uns die Kälte vollends im Griff hat.


Weitere Impressionen des Tages:

Klo-Gecko
Klo-Spinne
Reste einer Häutung










Schwebfliege
Mr. Curvipes
Hübscher Flattermann










Bläuling - leider nur von oben!
Pieksige Grasähre
Vernonia mit Blister Beetle










Hibiscus sp.
Sida cordifolia
Justicia anagalloides










Hibiscus sp.
Nicht alles...
...hat einen Namen










Asterngewächs
Hibiscus sp.
Bidens sp.










Scheuer Skink
Mewes' Glanzstar
Plocepasser mahali










Bubalornis niger
Ansitz auf dem Shumba Hide
In der Botanik von Shumba
Nilpferde am Damm
Weiterer Froschbesuch
Die Bratkartoffeln werden!










Monechma sp.
Namenloser Ranker
Gespinstmotten-Nest
Schmeckt leider nicht!















Steile Abfahrt
Das Bächlein
Heinz auf Tour
Blister Beetle















Leonotis sp.


6. April, Shumba Pan > Main Camp

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Gut ausgeschlafen erwachen wir am Morgen, der immer noch recht frisch daherkommt. Und so müssen wir unsere beiden eifrigen Attendants leider schon wieder enttäuschen: sie würden uns so gerne mit heißem Duschwasser beglücken, doch bei diesen Frühtemperaturen nehmen wir lieber Abstand. Brrr, schon alleine die Vorstellung, sich ausziehen und nass machen zu müssen! Deutlich bevorzugen wir da stattdessen ein deftiges Frühstück und etwas Aufwärmgymnastik beim anschließenden Lagerabbau. Dann verlassen wir Shumba Pan und nehmen den etwa 85 Kilometer langen Weg zum Main Camp in Angriff.

Morgenidyll in Shumba
Der Elefant mag sich nicht zeigen
Dwarf Goose Wasserloch












Wir sind noch nicht mal eine halbe Stunde gefahren, als wir Elefanten sichten; bei einem recht stattlichen Wasserloch namens Dwarf Goose treiben sich mehrere der grauen Riesen im Gebüsch umher und rupfen, erstaunlicherweise wenig beunruhigt durch unsere Präsenz, an dem üppigen Blattwerk. Das allerdings ist so dicht, dass wir relativ schlechte Sicht haben und deshalb bald weiterfahren. Auf den nun folgenden Kilometern vollzieht sich ein abermaliger Wandel der Landschaft und damit auch der Vegetation. Während die Gegend um Sinamatella von Granitfelsen und Bergzügen umgebenen Ebenen geprägt ist, in der hohe Teakbäume und Baumeuphorbien wachsen, liegt die Shumba Pan an einer Wasserscheide, die von eher niedrigen Mischgehölzen dominiert wird. Das Main Camp hingegen, in dessen Richtung wir gerade fahren, liegt auf einem riesigen Kalahari-Sandbett, beherrscht von mächtigen Guibourtia-Bäumen und viel niedrigerem Combretum-Gebüsch.

Gladiolus dalenii
Soeben haben wir nahe des Fahrwegs noch prächtige, orangefarbene Gladiolen bewundert, Gewächse, die eher feuchteren und humosen Boden bevorzugen, als uns bereits fünfzehn Minuten später etwas Kalaharitypisches zum Stoppen bringt. Eine Teufelskralle! Diese sand- und trockenheitsliebende Pflanze hat nicht nur wunderschöne, kelchförmige Blüten, sondern auch beeindruckende Früchte, denen sie ihren Namen verdankt: die verholzenden Kapseln sind mit martialisch aussehenden, hakenartigen Krallen versehen - Teufelskrallen - die sich hervorragend im Fell vorüberziehender Tiere verhaken oder sich schmerzhaft in deren Hufen versenken. Das brachte der kriechenden Schönheit aus der Familie der Sesamgewächse auch den Beinamen „Trampelklette“ ein. Viel bekannter aber ist sie für einen Wirkstoff, der in ihren Wurzelgebilden sitzt und weltweit in der Medizin Verwendung findet: das Speicherorgan der Teufelskralle enthält nämlich sogenannte Iridoidglykoside; Arzneistoffe, die sich als besonders wirksam bei der Behandlung von entzündlichen Gelenkserkrankungen erwiesen haben. So hat die jahrzehntelange, in großem Stile betriebene „Ernte“ wild wachsender Teufelskralle die Pflanze in ihrem Bestand ernsthaft gefährdet, mittlerweile aber wird sie in ebenso großem Stile kommerziell angebaut und die Bestände konnten sich einigermaßen erholen.

Harpagophytum zeyheri; Blüte
Harpagophytum zeyheri; Frucht
Harpagophytum zeyheri; Frucht












Unser Exemplar hier, das entdecke ich allerdings erst bei ganz genauem Hinsehen, dürfte aber ohnehin nicht in allzu großer Gefahr gewesen sein: die Fruchtkapsel hat zwar auch Haken, diese jedoch sind um einiges kürzer als bei der „echten“ Teufelskralle, Harpagophytum procumbens, sodass es sich hierbei um Harpagophytum zeyheri handeln dürfte, eine nahe Verwandte, die in der seriösen Pharmazie aufgrund ihres niedrigeren Wirkstoffgehaltes keine bis wenig Verwendung findet. Aber Medizin hin oder her - schön ist sie allemal, unsere Trampelkralle, die wir nun verlassen, um wieder mal vorwärts zu kommen. So also schaukeln wir beschaulich durch ansehnliches Buschland, auf einem Weg, der mal besser und mal schlechter ist, und halten noch so manches Mal an. Eine ganze Weile später geht dann ein Pfad rechts ab und wir wollen sehen, was sich dort verbirgt. Ein Abstecher, der sich richtig lohnt: nach nur einem knappen Kilometer öffnet sich der Busch und ein riesiger See, umgeben von weitem, offenem Grasland liegt vor uns. Und am Ufer des Gewässers gibt es endlich wieder Tiere, richtig viele! Ein paar Hippos lungern faul an Land herum, Zebras säumen das Ufer und beobachten, zusammen mit einigen Giraffendamen, den anmutig wirkenden Kampf zweier Giraffenbullen. Diese stehen sich, seitlich etwas versetzt, gegenüber und donnern sich, die langen Hälse mit fließenden Bewegungen verrenkend, ihre Köpfe in die Flanken. Obwohl die Zwei ein handfestes Problem miteinander haben, so ist es für uns Menschen dennoch extrem ästhetisch anzuschauen. Und erstaunlicherweise auch gut zu hören: trotz der relativ großen Entfernung  kann man jeden der Kopfschläge auch akustisch deutlich wahrnehmen. Freudig postieren wir uns am Ufer des Shapi-Wasserlochs und verfolgen das verbissene Hauen und Stechen der Giraffen, das muntere Treiben der anderen Tiere. Besonders Annette und Jochen strahlen übers ganze Gesicht: endlich wieder Großwild!

Giraffenkampf: sich sammeln,
...ausholen,
...zuschlagen!












Die Hippos sind wenig interessiert
"Geisterfrosch"
Trachylepis sp.












Heinz und ich hingegen nehmen die größeren Tiere eher nur genussvoll zur Kenntnis, wenden uns dann aber lieber wieder den kleineren Dingen zu, die es auch hier in Hülle und Fülle zu entdecken gibt. Ein dicker Skink, über dessen Bauch sich eine wulstige Narbe zieht, sonnt sich auf einem Stein, auf die rostige Tür eines heruntergekommenen Klohäuschens hat eine spaßige Seele „Bath Room“ geschrieben, an einer feuchten Stelle hinter dem Örtchen flappen bunte Schmetterlinge herum, glänzend-braune Termiten zerren riesige Grashalme durch ein kleines Loch unter die Erde und - was ist das? Etwas Weißes schmiegt sich in eine trockene, von einem Hufabdruck stammende Lehmkuhle: es ist kein Klopapier, kein altes Taschentuch, keine Hyänenkacke, sondern ein schneeweißer Frosch! Hui, so etwas haben wir noch nie zuvor gesehen! Neugierig umrunden wir das amphibische Wunderding und betrachten es von allen Seiten. Hmh, weiße, leicht warzige Haut, stechend helle Augen, unter den Körper gezogene Beinchen – und das Tier atmet. Sehr seltsam! Bei späteren Recherchen finde ich allerdings heraus, dass der Geisterfrosch so ungewöhnlich gar nicht ist. Es handelt sich um einen Baumfrosch, der üblicherweise in Bäumen zuhause ist und dort, zum Behufe der Vermehrung, auffällige Schaumnester errichtet. Doch um sich vermehren zu können, muss natürlich erst eine Partnerin gefunden werden. Und dazu ist manchmal jedes Mittel recht - auch das der Loslösung vom angestammten Lebensraum. Unser Fröschlein hat sich also auf den Boden begeben, um sich im rechten Licht zu präsentieren. Da aber scheint die Sonne erbarmungslos hin, droht das Tier auszutrocknen, zu verbrennen. Was tut der Frosch? Er zieht seine empfindlichen, fragilen Extremitäten unter seinen schützenden, schattenmachenden Leib und färbt sich weiß. Damit ist er erstens besser gegen die Hitze geschützt und zweitens, ein toller Nebeneffekt, er fällt viel mehr auf. Ein Schachzug der Natur, dessen Logik und Genialität man sich kaum entziehen kann! Heinz und ich freuen uns wie kleine Kinder über diesen Geisterfrosch, Annette und Jochen hingegen verpassen das erstaunliche Amphibium zugunsten der stattlicheren Tiere - aber so hat halt jeder seine Schwerpunkte. Genossen haben wir unseren Halt an diesem Wasserloch auf jeden Fall, alle Vier gleichermaßen, und gehen nun erneut zusammen auf Entdeckungsreise, indem wir weiter Richtung Main Camp fahren.

Schwebfliege
Termite
Schwalbenschwanz












Und es kreuzen noch viele bemerkenswerte Tiere, Pflanzen und Landschaftsformen unseren Weg. Da sind Kronenkraniche, deren güldenes Federdiadem im leichten Wind auf dem Kopf wippt, Zebras, Elefanten und Wasserböcke, wir sehen groß aufragende Guibourtias und eine weitere, kriechwüchsige Verwandte der Teufelskralle. Graswogende Ebenen wechseln sich mit dichtem Buschwerk ab, zwischendurch blitzt eine Wasserfläche auf, gesäumt von Schilf oder bizarr geformten Termitenhügeln. Es ist so vielfältig und abwechslungsreich, dass wir fast erstaunt sind, als wir plötzlich Main Camp erreichen. Oh je, Main Camp! Unsere letzte Station im Hwange, unsere letzte Station in Zimbabwe, unsere letzte Station in der Natur - bevor wir wieder heimfliegen. Nur semi-erfolgreich verdrängen wir diesen so unangenehmen Gedanken, als wir die Schranke durchfahren und uns ein letztes Mal für diese Reise in einem Nationalpark zur Übernachtung melden. Aber Main Camp, der von Touristen am meisten frequentierte Ort des Hwange, gibt uns sein Bestes! Bereits am Parkplatz begrüßen uns eine fröhliche Schar weiß-gefiederter Babbler und viele neugierige Baumhörnchen, das Campingareal ist riesig und nahezu frei von anderen Gästen, die Sonne scheint und wir finden einen wunderschönen Platz am Rande des Camps, wo wir uns nun mit zweischneidigen Gefühlen niederlassen. Der letzte Abend in der „Wildnis“ naht, die letzte Nacht im Zelt steht bevor, morgen liegen viele hundert Kilometer vor uns, wir wollen nicht heim und doch sehnen wir uns nach zuhause, vermissen aber jetzt schon all das, was wir die letzten Wochen so genossen haben! Was für ein Dilemma - jedes Jahr aufs Neue. Doch seien wir mal ehrlich: das Leben unterliegt einer permanenten Veränderung. Abschiede sind an der Tagesordnung, Neues ebenfalls. Das eine bedingt das andere, macht es schmerzvoll, macht es genussvoll, macht es abwechslungsreich. Im Guten und im Bösen, im Schönen und im Hässlichen. Ich bin allerdings leider jemand, der sich ganz schwer von etwas trennt, perverserweise auch von nicht so tollen Zuständen.

Turdoides bicolor
Flusentierchen
Riesenkäfer












Doch über „untolle“ Zustände müssen wir uns hier im Hwange nicht beschweren. Auch nicht im Main Camp, wo wir uns nun für die heißesten Stunden des Tages zwischenparken und einen kleinen Mittagssnack zu uns nehmen. Kaum ist die Stulle drunten, springen Heinz und ich schon wieder auf und erkunden das Gelände, während Annette und Jochen sich voll und ganz der großwildfreien Ruhe hingeben. Leute, wie könnt ihr nur? Es gibt so viel zu sehen! Heinz zum Beispiel entdeckt schon auf den ersten Metern ein sehr skurriles Tierchen und trägt es auf einer Baumschote vorsichtig zum Tisch. Und dieser Alien ist so bizarr und rätselhaft, dass sogar unsere beiden Freunde nochmal aus ihrer Siesta-Lethargie erwachen: es ist etwas Insektuöses, zirka einen Zentimeter groß, nicht allzu agil, dafür aber über und über mit seltsamen, weißen, dreadlock-artigen Fusseln bewachsen. Verdammt, was ist das? Irgendwo habe so etwas zwar schon mal gesehen, kann es aber momentan nicht zuordnen. Als wir das Flusentierchen allerdings vorsichtig auf den Rücken drehen und ich dessen Unterseite sehe, fällt es mir ein: das ist die Larve eines Marienkäfers! Und ich erinnere mich, gelesen zu haben, dass dieser wachsartige Wischmoppbewuchs, der nur bei vereinzelten Marienkäfer-Spezies auftritt, den empfindlichen Körper der Larve zuverlässig vor Ameisenangriffen schützt. Rätsel gelöst! Zufrieden bringen wir den kleinen Flauschi in die Botanik zurück und streunen weiter über das fast unbewohnte Campgelände. Ich delektiere mich dabei an einer sandfarbenen, nahezu unbeweglich sitzenden Stabheuschrecke, einigen Riesenkäfern, die sich so gerne vor mir verbergen würden und diversen Baumhörnchen, die meinen Feldzug über das Campgelände neugierig beobachten.

Gelbschnabeltoko beim Sonnen
Auf Termitenfang
Haps und weg ist die Beute!












Und sogar die recht maroden Sanitäreinrichtungen erfreuen meine Sinne: obwohl hier alles mögliche im Argen liegt - die Wasserhähne wackeln wie ein Kuhschwanz oder fehlen gleich ganz, die Spülungen rauschen ununterbrochen, der Putz bröckelt, die Klobrillen sind kaputt, die Waschbecken gesprungen -, so ist es dennoch sauber und wieder spürt man eine liebevoll-engagierte Hand, die versucht, die offensichtlichen Mängel zu kaschieren und Wohnlichkeit zu verbreiten. In aufgeschnittenen Plastikflaschen und Kanistern, die mit örtlich verfügbarem Erdreich gefüllt wurden, hat jemand verschiedenes Grünzeug gepflanzt. Grünzeug, das trotz des Dämmerlichts im Waschhaus hervorragend gedeiht, regelmäßig gegossen wird und den nüchtern-maroden Räumlichkeiten tatsächlich einen gewaltigen Hauch von Gemütlichkeit verleiht. Richtiggehend ergriffen von diesen sehr persönlichen Bemühungen, begebe ich mich wieder ans Tageslicht und beobachte nun Heinz, der nicht weniger begeistert zugange ist: er hat es auf die zahlreichen Gelbschnabeltokos abgesehen, die sich auf dem Campgelände herumtreiben - allesamt zu Fuß und auf Jagd nach Insekten. Mit unsäglicher Geduld belauert er die putzigen Hornvögel, die mit ebenso unsäglicher Geduld nach Termiten picken.

Trinkende Giraffe
Rappenantilopen
Platalea alba












Coracias naevius
Ellipsenwasserböcke
Zebra












Über diesen aufregenden Beobachtungen scheint Heinz alles zu vergessen. Auch, dass wir eigentlich, sobald es nicht mehr ganz so heiß ist, erneut auf Pirschfahrt gehen wollten - unsere letzte dieses Urlaubs! Nun ist es bereits kurz vor halb vier, die Temperaturen werden erträglicher, Annette und ich wären abfahrtsbereit, allein unsere Männer fehlen. Jochen meldet sich immerhin folgsam aus seiner Döserei und tut kund, kein Interesse an einem weiteren Hwange-Ausflug zu haben, Heinz hingegen ist unauffindbar, verschwunden in den grasigen Tiefen von Main Camp. Schneck?! Keine Antwort, kein Schneck weit und breit. Annette und ich beschließen deshalb einen Alleingang, sollten wir Heinz auf dem Weg aus dem Camp nicht mehr zu Gesicht bekommen und tuckern deshalb betont langsam, aber extra-demonstrativ los. Ach, da ist er ja! Mit einem „Halt, stopp, ich komm doch auch mit, aber da waren doch die Billies...“, springt er atemlos an Bord. Und so machen wir uns doch zu dritt auf den Weg. Kurz nach den Schranken des Camps biegen wir dann auf einen Loop rechterhand ab und passieren dabei ein Wasserloch nach dem anderen. Und überall ist etwas zu sehen! Tshebe: eine trinkende Giraffe. Tshabema: Rappenantilopen. Kaoshe: Kronenkraniche. Garakamwe: Löffler. Mabuya: Wasserböcke. Bembi: Strichelracke. Wir haben unser Safari-Dach geöffnet und lassen uns das alles hautnah ein letztes Mal um die Ohren und Augen wehen. Wehmütig-genussvoll. Dann aber müssen wir zurück zum Lager - die Sonne steht schon sehr tief - und kurven über den Weg zurück, über den wir bereits gekommen waren, machen jedoch noch einen letzten Schlenker über Guvalala, wo es neben einem Wasserloch auch eine große Beobachtungsplattform geben soll. Ja, da ist sie! Ein riesiger Hide, der sich mit hölzernen Planken und einem Dach über mehrere Meter am Rande des Wasserlochs erstreckt. Dort allerdings tut sich wenig Tierisches. Dafür aber haben sich einige Menschen versammelt, die auf der Plattform, mit Ferngläsern und Sundownern ausgerüstet, verharren. Annette macht sich sogleich auf den Weg nach oben und freut sich über die rege Konversation mit anderen Touristen - in Ermangelung größerer Tiere stürzt man sich hier logischerweise auf alles, was Abwechslung verspricht. Heinz und ich hingegen verzichten dankend auf diesen Erfahrungsaustausch, der ohnehin immer im selben, unergiebigen Gesabbel endet und postieren uns stattdessen am Fuße des Hides. Dort nämlich sind einige Glanzstare zugange, mit denen wir nun, nicht weniger freudig, in Kontakt treten.

Neugieriger Jungstar
Einsamer Geier
Waffenkiebitz im Flug












Ein ergiebiger Kontakt übrigens, denn die Vögel sind an Menschen gewöhnt und somit sehr zutraulich. Sie wagen sich ziemlich nahe an uns heran und wir finden es absolut faszinierend, dabei in ihren Augen lesen zu können. In wachen, intelligenten Augen, die uns absolut zielsicher und gekonnt einschätzen, Augen, in denen sich die Klugheit der Vögel widerspiegelt. Gut, den Corviden oder gar den Psittaciformes können sie nicht das Wasser reichen, aber trotzdem sieht man die kleinen Köpfchen förmlich rauchen und kombinieren: da sind zwei Menschen, die uns wahrnehmen, sich uns zuwenden. Sie scheinen freundlich zu sein, füttern uns aber nicht. Mist, betteln bringt auch nichts! Doch immerhin droht keine Gefahr und vielleicht fällt ja trotzdem was für uns ab. Ein Beispiel: Heinz raucht eine Zigarette, ascht ab und einer der jüngeren Stare kommt sofort herbeigehüpft, um das auf den Boden gefallene Häufchen zu prüfen. Uninteressant! Der Jungstar lernt gerade, was seine älteren, erfahreneren Artgenossen schon lange wissen, und deshalb auch nicht reagiert haben. Aber einmal sehen genügt. Als Heinz ein zweites Mal abascht, nimmt der Jüngling das zur Kenntnis, zeigt aber kein Interesse mehr, im Gegenteil: er schaut kurz, dreht uns dann demonstrativ den Rücken zu und schüttelt kurz seinen Kopf. Wir bauen das Experiment aus: Heinz greift in seine Hosentasche und streut Tabakkrümel auf den Boden. Pah, Star lässt sich doch nicht verarschen! Nun pflücke ich eine Grasähre ab und werfe sie den Staren vor die Schnäbel. Die jüngeren legen immerhin den Kopf schief und beäugen das Ährchen, die Erwachsenen hingegen reagieren gar nicht. Dann rascheln wir mit einer Plastikfolie und haben sofort die Aufmerksamkeit aller anwesenden Vögel. Doch das Geraschel klingt offenbar so falsch, die transparente Kunststoffhülle der Papiertaschentücher, die den Inhalt preisgibt, sieht so wenig verheißungsvoll aus, dass wir nun alle Vogelrücken zugewendet bekommen. Veräppelt euch doch bitte selbst, scheinen die Stare uns sagen zu wollen! Und dann verlassen sie uns allesamt.

Heinz und ich sehen uns amüsiert an und wollen gerade zu Annette auf den Hide klettern, als diese uns auf der hölzernen Treppe bereits polternd entgegenkommt: nix los, sagt sie, lasst uns fahren. Gerne! So treten wir unseren Rückweg zum Main Camp an, wo Jochen schon auf uns wartet. Ein letztes Mal grillen wir dann zusammen unter freiem Himmel, ein letztes Mal schlafen wir im Zelt, ein letztes Mal lauschen wir den Geräuschen der Nacht, die nicht von Menschen erzeugt werden - morgen jedoch ist Schluss mit lustig, morgen müssen wir nach Südafrika - und das sind knapp 700 Kilometer, die da vor uns liegen...


Weitere Impressionen des Tages:

Unbekannte Schönheit
Vernonia sp.
Acanthosicyos naudinianus












Cleome sp.
Dicerocaryum eriocarpum
Ipomoea sp.












Hibiscus sp.
Harpagophytum zeyheri
Colotis danae












Ein Wasserloch...
...ist schöner...
...als das andere!












Main Camp Campground
Plectropterus gambensis
Balearica regulorum












Schüchterner Elefant
Balearica regulorum
Turdoides bicolor












Termitenhaufen und Heinz
Gottesanbeterin
Ameise mit Beute












Sumpflandschaft bei Main Camp
Flusentierchen von unten
Arche Noah am Wasserloch












Turdoides bicolor
Wahre Schnarchzapfen
Zebras












Idyll 1
Idyll 2
Unbekannt
Gladiolus dalenii
















"Bath Room"
"Geisterfrosch"
Ardea sp.
Paraxerus cepapi

7. April 2013, Hwange NP, Main Camp (ZIM) > Musina, Elephant Inn (RSA)

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Nein, nein, nein! Die Sonne geht auf, die Vögel beginnen zu zwitschern, die Grillen zirpen und der Bäume Laub wogt leise raschelnd im morgendlichen Wind. Morgen früh werden wir das nicht mehr hören können, in unserem Bungalow mit Bett, Bad und betoniertem Boden. Denn heute liegt eine besonders lange, immens uninteressante, extrem beschissene Strecke vor uns - doppelt rot-markiert im Urlaubs-Kalender! Unsere üblicherweise fließenden und aufeinander abgestimmten Arbeitsabläufe beim Lagerabbau scheinen deshalb etwas zu stocken. Trotzdem aber sind wir irgendwann doch fertig und verlassen extrem schwerer Herzen Main Camp, den Hwange Nationalpark und somit auch das letzte bisschen wirklichen Urlaubs hinter uns. Pah, schon sind wir auf Pad! Kilometer um Kilometer brettern wir dahin, die Landschaft zieht vorüber und, obwohl sie eigentlich schön ist, können wir sie nicht wirklich genießen. Und unsere Ankunft in Bulawayo holt uns dann in die Wirklichkeit, in die Welt der Menschen zurück. Bulawayo! Eine Stadt, die man immer auf den in-flight-Monitoren diverser Airlines sehen kann, die man normalerweise nicht besucht, deren Name aber dennoch einen gewissen Grad der Freude verheißt: erscheint Bulawayo auf dem Monitor, ist man bald da! Wir jedoch sind bald weg – zurück in einer anderen Welt - die zweitgrößte Stadt Zimbabwes macht uns das nachdrücklich klar. 1,5 Millionen Einwohner, aus der Ferne mit beeindruckender Skyline, beim Reinfahren dann doch ein bisschen anders. Rund zehn Prozent der Bevölkerung, gefühlt, sind mit hochglanzpolierten Luxuskarossen, made in Germany, unterwegs, dazwischen ein paar, nicht minder gewienerte Japaner. Die restlichen Einwohner hingegen, ebenfalls gefühlt, lungern auf den Straßen herum. Sie sitzen an Ampeln und lesen Zeitung, unterhalten sich, stillen ihre Kinder, bieten Obst und Gemüse feil - auf Korbsesseln, Obstkisten, ineinandergesteckten Kartons sitzend, aber auch stehend, auf dem Trottoir liegend. Aus dieser Nähe sehen auch die vormals so modern wirkenden Gebäude lange nicht mehr wirklich beeindruckend aus: heruntergekommene Hochhäuser mit verwahrloster Fassade, zweifelhafter Statik und noch zweifelhafterem Erhaltungszustand stehen nun vor uns. Ein Rummelplatz zieht an uns vorüber - Mini-Riesenrad, Karussell, Achterbahn, allesamt lebensgefährlich verrostet... Diese ganze Riesen-Stadt verbreitet ein Flair vergangener Pracht, ein Flair, das man normalerweise nur aus kommunismus-dominierten Staaten kennt. Verwaschene Fassaden, brüchiger Beton, brachliegende Einrichtungen, behelfsmäßige Märkte, mittellose Menschen, Langeweile, Not, Verzweiflung - geboren aus einem allgemeinen Mangel, manifestiert durch spezifische Machtherrschaft.

Frommer Wunsch...
Wir nähern uns Bulawayo
Berufsverkehr










Rostiger Rummel
Treffen der Bauarbeiter
Zeitunglesen an der Ampel










Schrecklich. Besonders schrecklich aber, wenn man diese Angst, diese ohnmächtige Wut, eins zu eins demonstriert bekommt: wir verlassen Bulawayo und folgen dabei einem Pick-Up, dessen Ladefläche, voll besetzt mit Passagieren, über viele Kilometer vor uns her holpert. Die Leute sind allesamt gut gelaunt, feixen, schneiden freundliche Grimassen und winken uns zu. Wir blödeln zurück und alles scheint gut. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich den Fehler begehe, den Pick-Up samt seiner Passagiere zu fotografieren. Sofort schlägt die vormals gute Laune in Aggression um: die Gesichter verfinstern sich schlagartig, man droht uns mit Fäusten und macht andere, sehr eindeutige Gesten. Irrigerweise war ich davon ausgegangen, der vorangegangene Kontakt, wenn auch nur gestisch, hätte mir eine Lizenz zum Fotografieren erteilt - doch weit gefehlt! Irgend etwas habe ich da wohl missverstanden; oder aber die Leute auf der Ladefläche... Natürlich versuche ich nun, mich zu entschuldigen, so gut das eben geht, doch es kommt nicht an, findet keine Gnade. Die Gesten der erbosten Passagiere werden immer bedrohlicher: Gewehr anlegen und abdrücken, Kehle durchschneiden, Faustschläge und ähnliches. Uns wird ganz anders. Was, wenn uns der Pick-Up von der Straße drängt? Wir sind schließlich schon wieder in The Middle Of Nowhere und niemand könnte uns zu Hilfe kommen! Doch das Ganze geht glimpflich aus, die Zornigen biegen, ebenfalls in The Middle Of Nowhere, plötzlich links ab und wir dürfen unbehelligt weiterfahren. Puh, das war eine echt ungute Situation!

Das Kopf-und-Kragen-Foto
Typische Felsformation
Bushaltestelle










Etwas bedröppelt und gleichzeitig zutiefst erleichtert, stellen wir die Fotografiererei auf den nächsten, langen Kilometern sicherheitshalber weitestgehend ein. Was auch nicht schwer fällt, denn es gibt wenig Interessantes zu sehen; allenfalls die markanten Felsformationen, die uns zeigen, dass wir gerade auf Höhe des Matopos Nationalparks dahinbrausen und ein paar Hügelflanken, die von unglaublich dichten Euphorbien-Wäldern bewachsen sind. Mann, so ein Fahrtag geht echt an die Nieren - und die Nerven! Es ist nun schon mehr als High Noon, wir haben zirka die Hälfte der Tagesstrecke hinter uns, als sich ein weiteres Organ meldet: der Magen. Wir haben tierisch Hunger und steuern deshalb das nächstgelegene Kaff, das eine Stillung dieses Bedürfnisses möglich machen könnte, an. Gwanda heißt der Ort der Wahl. Wir müssen nicht mal ins Zentrum fahren, sondern finden, direkt an der Hauptstrasse gelegen, ein Einkaufszentrum inklusive der üblichen Fast-Food-Etablissements, die anscheinend auf der ganzen Welt untrennbar mit Malls verknüpft sind. Wir rangieren also auf den Parkplatz und fühlen uns gleich wieder unwohl: die Geschäfte haben offensichtlich fast alle geschlossen, Jugendliche in abgerissenen Westklamotten lungern zuhauf herum, konsumieren undefinierbare Getränke und seltsam riechende Rauchwaren - und sehen uns neugierig an. Neugierig auf eine Art und Weise, die schwer einschätzbar ist... Deshalb machen wir mal wieder einen auf Arbeitsteilung: Annette sondiert das dürftige Angebot, nimmt unsere Bestellungen entgegen (Pommes mit Burger bzw. Chicken Wings oder Chicken Wings bzw. Burger mit Pommes), dann nimmt sie Jochen als Begleitschutz mit, während Heinz und ich beim Auto bleiben. Ereignislos verstreichen die Minuten, bevor unsere Freunde wiederkehren. Lustlos verzehren wir anschließend das mitgebrachte Essen, machen die Motorhaube zum Stehtisch, bringen es hinter uns. Der vorletzte Schluck Cola rinnt meine Kehle hinab und eigentlich könnten wir uns jetzt wieder auf den Weg machen. Wäre da nicht das leidige Blasenproblem... Und Zimbabwe ist nicht Südafrika oder Namibia, wo man einfach mal unterwegs anhalten und unbehelligt strullern kann. Nein! Hier sind immer und überall Menschen unterwegs. Wie aus dem Nichts tauchen sie selbst da auf, wo man denkt, alleine zu sein. Das wollen wir, zumindest wir Frauen, nicht riskieren.

Entschlossen mache ich mich deshalb auf die Suche nach dem Mall-Klo und werde tatsächlich fündig: zwei Türen nebeneinander, mit Männchen- und Weibchen-Symbol gekennzeichnet, verkünden das erfolgreiche Ende meines kurzen Orientierungsgangs und ich schicke mich gerade an, die Pforte der Erleichterung zu öffnen, als ich merke, dass eben das nicht geht. Verschlossen? Oder eine klemmende Tür? Ich teste das gerade aus, als mich eine weibliche Hand grob am Oberarm packt - es ist eine Security-Dame, die mich gestreng anweist, nicht an dieser Tür zu rütteln! Aber ich muss doch aufs Klo! Das ist dem Sicherheitsdragoner allerdings egal - an dieser Tür wird nicht gerüttelt, komme, was da wolle! Klo, ich brauche ein Klo, bitte! Der Dragoner zeigt sich nachgiebig und deutet mit seinem Schlagstock quer über den Innenhof der Mall: „Try there!“ Zu Befehl, Frau Gummiknüppel! Rasch, sehr rasch, entschwinde ich aus dem Dunstkreis der ungnädigen Amazone und strebe in die von ihrem Gummiknüttel angedeutete Richtung. Tatsächlich, hier gibt es noch ein Klo - und es ist in Betrieb! Ein sehr höflicher Herr bittet mich herein, versichert mir, dass alles frisch gesäubert sei, sperrt mir eine Kabine auf und zieht sich dann rücksichtsvoll zurück. Haaahh, wie gut das tut! Erleichtert komme ich vom Pott zurück, will mich bedanken - als ich zum Bezahlen aufgefordert werde: „500 Zimbabwean Dollars, please!“ Zimbabwean Dollars? Die Währung existiert doch gar nicht mehr! Aber der Klomann besteht darauf, alternativ auf südafrikanischen Rand - der US-Dollar-Schein, den ich ihm stattdessen anbiete, wird rundweg abgewiesen! Hilfe, wo bin ich hier gelandet? Im ganzen Land ist der US-Dollar offizielles Zahlungsmittel (sogar im kleinsten Supermarkt) - aber der Klomann will Zimbabwe-Dollar oder Rand. Diese Logik verstehe ich nicht und die verlangte Währung habe ich leider auch nicht griffbereit. Was nun? Des Klomannes Dienstleistung habe ich nun bereits in Anspruch genommen und kann mein Tun auch nicht mehr rückgängig machen. Hah, Annette muss ja auch noch austreten und sie muss jetzt, wohl oder übel, die Finanzlücke füllen! Ich bringe das mit der nachfolgenden und letztendlich bezahlenden Freundin dem Klomann nahe - und er glaubt mir, er vertraut mir! Folglich lässt er mich ziehen und ich bin heilfroh, denn ich hatte ernste Bedenken, er würde die Dame mit dem Gummiknüppel zuhilfe rufen - auf diese Konfrontation war ich nun nicht scharf! So aber darf ich ungeschoren und in doppeltem Sinne erleichtert von dannen ziehen.

Beim Parkplatz angekommen, instruiere ich Annette über die Lage des Klos und den zu entrichtenden Obulus und sie schreitet zur Verrichtung, während wir anderen weiter das Auto bewachen. Kurz darauf, Annette ist noch nicht zurück, kurvt ein gepflegter Kleinwagen in die freie Parklücke neben uns. Eine junge Frau steigt aus und macht Besorgungen im Fast-Food-Etablissement, der Fahrer hingegen bleibt sitzen und mustert uns und unser Auto neugierig. Dann lässt er das Fenster herunter, lehnt sich lässig aus der Öffnung, rückt seine Sonnenbrille zurecht, schmatzt, einen Anfang suchend, auf seinem Kaugummi herum - und ich denke mir: „Was für ein arroganter Depp!“ Trotzdem grüße ich ihn freundlich, bevor ich mich wieder abwende. Das war der Startschuss: der coole Macker grüßt ebenso freundlich zurück und steigt erst mal mit den üblichen Fragen ein - woher, wohin, gefällt es euch, etcetera. Dabei merken wir, dass wir durchaus auf einer Wellenlänge liegen - ein hoch interessantes, aber auch hoch brisantes Gespräch entwickelt sich. Es geht, natürlich, um die politischen Verhältnisse in Zimbabwe: er ist erstaunt, was ich alles weiß – ich bin erstaunt, was ich alles noch nicht weiß. Immer näher rücken wir zusammen und tuscheln verschwörerisch. Seine mittlerweile zurückgekehrte Freundin findet das nicht so klasse; nicht aber, weil sie eifersüchtig ist, sondern weil sie Angst hat. Als schließlich ein weiteres Auto nahe bei uns einparkt, wird es auch ihm zu gefährlich und wir verabschieden uns mit demonstrativ unverfänglichen Worten und einem Augenzwinkern voneinander. Jetzt erst merke ich, dass mein Herz richtig schnell klopft; vor Aufregung, mal wieder was aus dem zimbabwischen Nähkästchen erfahren zu haben, aber auch vor Anspannung. Die Themen, über die wir uns gerade unterhalten haben, waren durchaus nicht für jedermanns Ohren bestimmt und könnten, hätte jemand mitgehört, durchaus Probleme aufwerfen - für uns beide. Unvorstellbar, wenn man sich das verinnerlicht! Wenn ich in München in der Öffentlichkeit mit irgend jemandem über Angela Merkel nebst den Pros und Contras ihrer Politik quatsche, so ist das völlig legal und hat mit Sicherheit keine restriktiven Konsequenzen. Hier aber ist das anders; über das zimbabwische Staatsoberhaupt sind derlei Gespräche nicht erwünscht und werden, wenn auch unter anderem Namen, einem erfundenen Deckmäntelchen, durchaus geahndet, sollten sie vom Falschen (oder sollte ich besser "Richtigen" sagen), gehört werden. Das haben dieses Land, diese Menschen einfach nicht verdient! Es wird jedoch, auf absehbare Zeit gesehen, nichts Besseres nachkommen, im Gegenteil. Der greise Robert nämlich hat eine bedeutende jüngere, nicht minder machthungrige Gattin namens Grace, die ihre Klauen schon ausgefahren hat. Nomen est omen? Graceland, sage ich da nur...

Kopfschüttelnd, mein Herz ist noch immer in der Adrenalin-Liga zugange, wende ich mich nun wieder unseren Belangen zu und schlürfe den Rest meines Getränks geräuschvoll durch den Strohhalm, als Annette wieder auftaucht. „Na, Klo gefunden und alles bezahlt?“ „Ja, gefunden, aber er wollte kein Geld, weil du so herrlich erleichtert rauskamst und man sich zudem auf dein Wort verlassen kann!“ „Ne, oder?!“ „Doch! Ich musste ihm das Geld förmlich aufdrängen - und soll dir liebe Grüße ausrichten!“ Ach, ihr herzlichen, gequälten Zimbabwer, ihr habt wahrlich Besseres verdient! Soll ich jetzt froh sein, dass wir in diesem Land auf die Schlussgerade gehen oder soll ich darüber traurig sein? Beides! Wir verlassen ein Land voller liebenswerter, freundlicher, offener, hilfsbereiter, engagierter Menschen, aber auch eines, dessen Politik genau diese Menschen bestraft, im Stich lässt, benachteiligt und verarscht - auf dass es den wenigen, die was zu sagen haben, maximal gut geht. Homo homini lupus - der Mensch im Besonderen, aber auch im Allgemeinen, ist meist ein selbstbedachtes Arschloch! Wobei der echte Wolf - ein wirklich soziales Rudeltier - dabei zu Unrecht beschimpft wird. Doch bedauerlicherweise habe ich, genau diesen Menschen-Aspekt betreffend, auch in Kleinen, besonders „wölfische“ Erfahrungen gemacht: je näher sich Menschen, Volksgruppen und Hautfarben gegen Andersartige und Unterdrückende, als Ausgebeutete und Unterdrückte, näherstehen sollten und dies nach außen hin übrigens auch gerne bekunden, desto selektiver und brutaler wird ihr gegenseitiger Umgang miteinander. Hey, brotha, hey sista, dreifach gegebener Handschlag! Wir Schwarzen sind alle Brüder und Schwestern? Gegen die Ausbeutung der Weißen!? Ja? Nein! Die Geschichte hat, zugegeben, grausame Kapriolen geschlagen, doch viele der auch heute noch führenden Schwarzen sind genauso brutale und rücksichtslos gegen ihresgleichen, wie früher die so geächteten Kolonialist. Hey, brotha Mugabe, mach dich mal locker und sei deinen Brüdern ein Bruder - kein Kain - sondern ein wahrer Bruder! Leider, so fürchte ich, werden meine Wünsche nicht fruchten - zumal auch die gierige Gattin Mugabes bereits ihre Klauen nach den verbleibenden Reichtümern des geknechteten Landes ausgestreckt hat...

Sehr zweischneidiger Gefühle setzen nun auch wir unseren Weg fort und streben der Grenze nach Südafrika zu. Es sind noch viele, langweilige Kilometer, aber schließlich erreichen wir am späten Nachmittag doch noch den Grenzübergang, der sich weiaus monströser präsentiert, als ich ihn in Erinnerung hatte: in kilometerlangen Schlangen stauen sich die Trucks, unzählige Autos stehen auf unübersichtlichen Parkplätzen und noch mehr Fußgänger wuseln auf dem Gelände der wohl größten Grenzstation des Landes herum. Genervt suchen wir einen Abstellplatz fürs Auto, checken ein letztes Mal unsere Dokumente und beten, dass alles ohne Probleme über die Bühne gehen möge. Ja, wird schon werden, aber wo müssen wir denn eigentlich hin? Ah, da! Ein riesiges Armeezelt, ein Emigrations-Schild, eine lange Schlange von Leuten. Hier sollten wir richtig sein! Folglich platzieren wir uns am Ende der Warteschlange, bekommen aber sehr bald „Hintermänner“, die sich ebenfalls unsicher sind und uns die gleichen Fragen stellen, wie wir, Sekunden zuvor, den vor uns Stehenden. Jetzt antworten wir, obwohl wir uns noch immer nicht sicher sind... Na, das kann ja heiter werden, wenn hier jeder so überzeugt ist wie wir. Trotzdem vertrauen wir auf unser Bauchgefühl und werden, eine gute Stunde später, tatsächlich belohnt: wir dürfen ausreisen! Obwohl Jochen den ganzen Vorgang beinahe noch gefährdet hätte, indem er sich bei seiner zuständigen Grenzbeamtin leutselig erkundigte, ob dieses Zelt eine Behelfslösung sei. „Behelfslösung??? Das ist ein großer Grenzübergang! Behelfslösung - nicht im Geringsten, was denken Sie!?„ Pass her, Stempel rein und der Nächste bitte! Danach folgt der Zoll fürs Auto, die Einreise nach Südafrika, abermals der Zoll fürs Auto... Wah, was sind wir froh und erleichtert, endlich uns und unser Fahrzeug korrekt aus Zimbabwe raus und in Südafrika drin zu haben!

Nun müssen wir nur noch nach Musina, das Kaff durchqueren und etwas außerhalb unser Nachtquartier finden - das Elephant Inn. Es ist schon dunkel, als wir endlich da sind. Puh, das ist ja lauschig hier! Direkt vor dem Rezeptionsgebäude befindet sich eine riesige, viel frequentierte Tankstelle und die noch mehr frequentierte Hauptstraße führt in zirka 400 Metern Entfernung am Elephant Inn vorbei. Egal! Einchecken, essen, packen, schlafen. So ist unser Plan. Annette springt also mitsamt den Buchungsunterlagen wohlgemut an die Rezeption, während wir das muntere Treiben an der Tanke beobachten. Wir beobachten und beobachten - allein Annette kehrt nicht wieder. Jungs, bleibt ihr da, ich schau mal nach dem Rechten! Ohje! An der Rezeption angekommen, treffe ich auf eine weinende Annette, die mit den Händen rudert und immer wieder auf ihre Ausdrucke von booking.com hämmert. Annette, was ist los? „Die haben unsere Buchung angeblich nicht bekommen. Hier ist nix frei, bezahlt aber hab ich schon! Ich dreh durch!“ „Ruhig, ruhig, wir kriegen das! Ich sag erst mal den Jungs Bescheid, dann komm ich sofort wieder!“ Gesagt, getan - Jochen und Heinz können es nicht fassen - und ich eile wieder zurück. Schließlich erzielen wir tatsächlich eine Einigung: wir bekommen einen Bungalow, wie gebucht, und ein Zimmer, eine Kategorie unter unserer Buchung, aber immerhin!

Ja, immerhin, kann man da nur sagen - besser als gar nichts! Trotz dieser haarscharf glimpflichen Lösung aber ist die Stimmung sehr angespannt: Jochen, der den ganzen Tag am Steuer saß, macht Annette Vorwürfe wegen der Buchung, Annette ist fix und fertig, obwohl doch jetzt alles soweit unter Dach und Fach ist, Heinz und mir graut’s vor der Packerei und wir alle haben die Schnauze voll und - riesigen Hunger. Erst aber müssen wir uns auf die ungleichen Quartiere verteilen; da Heinz und ich morgen abreisen werden und somit noch packen müssen, bekommen wir den großzügiger geschnittenen Bungalow zugestanden, während unsere Freunde, die noch ein paar Tage im Lande bleiben, mit dem kleineren Zimmer vorlieb nehmen. Okay, das wäre geregelt. Rasch laden wir das Nötigste ab und beratschlagen dann über das bevorstehende Dinner. Jochen und Annette, wir fallen schier vom Glauben ab, wollen allen Ernstes etwas Selbstgekochtes auf den Tisch bringen! Hier, mit einem Restaurant vor der Tür, nach einem solchen Fahrtag, an unserem letzten gemeinsamen Abend?!? Heinz und ich streiken - WIR gehen ins Restaurant – kommt ihr mit oder lasst es! Schließlich gehen wir doch alle zusammen ins Lokal: wir platzieren uns auf der Open-Air-Veranda neben der Tankstelle, ordern und lassen es uns anschließend voller Wonne schmecken. Alles wäre jetzt gut, schwelte nicht noch in jedem einzelnen von uns der bekannte Fahrtags-Groll: satt und (noch) zufrieden, wollen wir zahlen. Die Bedienung bringt die Rechnung, wir legen das Geld nebst Trinkgeld auf den Tisch, die Bedienung verschwindet, kommt nicht wieder. Wo ist das Problem? Tja, offenbar haben wir völlig verschiedene Vorstellungen, was ein angemessenes Trinkgeld anbelangt - die Mücken, die uns während der sinnlosen Wartezeit wie wahnsinnig zerbeißen, freuen sich darüber… Heinz allerdings, der immer Geduldige und Verständnisvolle, macht plötzlich, völlig genervt, kurzen Prozess: „Wir gehen jetzt! Ich verzichte auf alles, was ihr mir noch schuldet, aber wir gehen jetzt, JETZT!“, stellt er klar, kratzt sich an den zerstochenen Beinen, erhebt sich und sieht unsere Freunde auffordernd an. Die schauen zwar ziemlich erstaunt, erheben sich aber ohne Widerworte und folgen uns zum Bungalow.

Somit hat sich auch dieses Kapitel erledigt, Gott sei Dank! Aber ein weiteres steht bevor – und das bringt mich jetzt fast zum Ausflippen: wir sind zurück an unserem Bungalow, das Auto parkt mit der Ladeöffnung vom Haus weg, Heinz und ich picken unser persönliches Equipment deshalb im Halbdunkeln aus dem Auto und schleppen es auf völlig unnötigen Umwegen zu unserer Unterkunft, sagen aber nichts, denn die Stimmung ist ohnehin schon ausreichend gereizt. Erst recht, weil Jochen und Annette biertrinkend und rauchend auf unserer Veranda herumfläzen, im Weg umgehen und auch noch lustige Kommentare vom Stapel lassen. Das bringt mich so in Rage, dass ich all meine Sachen auf die Terrasse pfeffere, statt sie gleich reinzutragen - direkt vor die entspannt ausgestreckten Füße unserer Freunde. Kann hier mal jemand helfen oder wenigstens die Schnauze halten? Nur um des lieben Friedens Willen behalte ich meinen Groll für mich und schleppe mit zusammengebissenen Zähnen weiter. Schließlich ist die Veranda voll, das Auto von unseren Habseligkeiten befreit und Annette und Jochen gehen, uns eine gute Nacht wünschend. Ja, ihr mich auch - äh, euch auch! Endlich allein, stehen Heinz und ich vor einem Riesenhaufen abgeladener Gegenstände, die jetzt in unser Gepäck geschlichtet werden müssen. Zuerst aber muss alles von der mückenverseuchten Terrasse in den Bungalow – das betreffend, hatte das Gefläze unserer beiden Freundes wohl doch was Gutes... Um nun die zu erwartende Mozzie-Invasion ins Schlafzimmer zu verhindern, schalten wir sämtliche Lampen aus und transferieren das Zeug bei völliger Dunkelheit nach drinnen. Dann schließen wir die Tür, knipsen die Lichter erleichtert wieder an und pressen anschließend unsere Siebensachen in Rucksack und Reisetasche. Nach einer Stunde, wir schwitzen wie blöd, ist alles weitestgehend verstaut. Schluss für heute? Ja!!! Heinz geht duschen und wäscht sich den Schweiß dieser Packaktion als erster vom Leib, während ich nochmal was aus meiner Reisetasche zerre, was ich morgen brauche und vergessen hatte - es ist, klar, ganz unten! Wah, ich könnte echt ausrasten! Dann endlich bin auch ich fertig, in doppeltem Sinne, und Heinz kommt aus der Dusche – mit bekümmerter Miene: „Schneck, der Abfluss funktioniert ned, da steht die Brühe bis zum Rand.“ Na, auch schon egal! Notdürftig und unter der Verwendung von möglichst wenig Wasser, versuche ich nun, mich in der überschwemmten Dusche einigermaßen reisetauglich zu reinigen, während Heinz die Mücken jagt, die natürlich doch mit ins Zimmer gekommen sind.

Erst hatten wir ja gedacht, wir könnten uns das sparen, aber eine Inspektion der bereitgestellten Moskitonetze überzeugte uns vom Gegenteil: handtellergroße Löcher und notdürftig verklebte Risse sind kein wirklicher Schutz... Als ich dann frisch geduscht aus dem Bad komme, hat Schneck die (hoffentlich) letzte Mücke erledigt - und meine Stimmung ist auch wieder besser. Versöhnt mit dem langen Fahrtag, der nichtsdestotrotz ganz interessant war, versöhnt mit dem nicht sehr gepflegten Elephant Inn und der leidigen Packaktion, setzen wir uns mit einem Gute-Nacht-Bier auf die Terrasse - in langen Hosen mückensicher verpackt - und lauschen dem Verkehrslärm der naheliegenden Straße. Es hat doch alles auch eine gute Seite: so fällt der Abschied wenigsten leichter!


Weitere Impressionen des Tages:

Auf dem Weg nach Bulawayo
Hauptstraße
Wegweiser










Schnell noch eingekauft
Bei Rot über die Ampel
Warten auf Kunden










Alles ist vergittert
Wegweiser
Kleiner Stadtpark










Minishop
Hauptstraße
Familienpicknik










Andenkenmarkt
Da wollen wir nicht hin!
Da auch nicht!










Tankstelle
Pläuschchen an der Tanke
Familienspaziergang










Wir verlassen Bulawayo
Mitfahrgelegenheit?
Handkarren










Suburb von Bulawayo
Suburb von Bulawayo
Suburb von Bulawayo










Industrie
Euphorbienwald

8. April 2013; Elephant Inn, Musina > Johannesburg, Heimflug

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Sehr früh schon stehen wir heute auf und treffen uns zum Frühstück im Restaurant. Der Stress von gestern ist lang schon vergessen, und so können wir das Mahl in trautem Kreis auch richtig genießen. Naja, teilweise. Denn Heinz ist am ganzen Körper zerstochen. Und das waren keine Mücken! Bettwanzen? Flöhe? Es juckt höllisch und hält wochenlang vor, mir hingegen, dem Insektenziel schlechthin, fehlt nichts. Armer Schneck! Trotzdem erfreuen wir uns, teils kratzend, teils wohlig, an würzigem Rührei, krossem Toast, kleinen Würstchen und heißem Filterkaffee. Mit dieser Unterlage packen sich auch die restlichen Sachen heiterer Stimmung ins Gepäck und gut gelaunt verlassen wir schließlich diesen mittelgastlichen Ort, um uns auf den Weg nach Johannesburg zu machen.

Die Fahrt verläuft ereignislos, garniert mit der erwarteten Langeweile, aber das Wissen, dass es die letzte Etappe in diesem Urlaub ist, macht die langen Kilometer erträglich. Und so kommen wir schließlich ganz relaxed und mehr als pünktlich am Flughafen an. Der Abschied von Annette und Jochen fällt, in Ermangelung eines kostenfreien Parkplatzes, entsprechend kurz aus - sie entlassen uns kurz und schmerzlos in der Drop-Off-Zone, wir drücken uns ganz fest zum Abschied - und schon fahren sie wieder ihrer Wege. Heinz und ich entern den Flughafen, suchen unseren Schalter und haben Glück: der Check-In hat soeben eröffnet, wir sind sofort dran, werden unser Gepäck los und können so unbelastet losstarten. Ab ins Einkaufsparadies O. R. Tambo International! Und der Shopping-Bereich hat wirklich wieder einiges zu bieten: wir durchstreifen Klamottenläden, Buchgeschäfte, liebäugeln mit dem Biltongstand und landen schließlich im „Out of Africa“. Heinz fühlt sich souvenirtechnisch immer noch leicht unbefriedigt und stöbert deshalb genüsslich in dieser Fundgrube afrikanischen Kunsthandwerks, ich hingegen bin restlos glücklich und assistiere deshalb nur beratend bei der Auswahl des passenden Andenkens. Mit Lurchi im Arm tappere ich Heinz hinterher und freue mich, als er tatsächlich etwas Schönes findet. Es ist eine minimalistisch-abstrakte Maske aus Holz. Auf einem Plexiglassockel montiert, zwinkert sie uns nahezu unwiderstehlich zu und verzieht dabei ihren Mund zu einem Sternanis-Lächeln. Allein der Preis macht eine leicht trockene Kehle, weshalb Schneck bei einem weiteren Rundgang nochmal in sich gehen muss... Wieder tappere ich ihm hinterher und bemerke dabei, dass Lurchi eine gewisse Unruhe erzeugt. Diverse Touristen, ebenfalls auf der Suche nach einem Andenken, sehen die riesige Perlenechse und gehen offenbar davon aus, ich hätte sie hier im Laden erworben. Hui, da fliegen die Köpfe suchend hin und her, ein Regal nach dem anderen wird abgeflitzt, ab und zu ein Verkäufer befragt und dabei hektisch auf Lurchi gedeutet. Ratloses Schulterzucken und Kopfschütteln ist das Ergebnis, logisch, und sichtliche Enttäuschung macht sich auf so manchem Gesicht breit. Tut mir leid, Leute, aber Lurchi ist einzigartig - und mein! Liebevoll drücke ich das stabile Kerlchen an mich und folge Heinz, der mittlerweile einen Entschluss gefasst hat, zum Maskenregal. Und so erhält unsere Beziehung Zuwachs: Anismund wird uns nach Hause begleiten! Beglückt klemmt sich Heinz die ausdrucksstarke Maske, gut verpackt, unter den Arm und wir machen uns auf den Weg zu einer Lounge, um den Rest der Wartezeit bei einem kühlen Getränk zu verbringen.

Lurchi erregt dabei weiterhin Aufsehen: die Verkäuferin eines Juwelierladens ruft erregt ihre Kollegen vor die Tür, eine vorbeieilende Touristin bremst abrupt und fragt, mit Blick auf die Echse, „From Out of Africa?“, bevor sie enttäuscht weitersaust, der Kellner in der Lounge erkundigt sich augenzwinkernd, ob Lurchi auch was trinken möchte, und, als wir schließlich boarden, kümmert sich die Stewardess rührend um eine sichere Unterbringung der Echse. Lurchi ist wirklich etwas Besonderes! Doch diese fast freundschaftliche Zuwendung ist nicht allen unserer mitreisenden Souvenirs vergönnt: nach einem entspannten Nachtflug erreichen wir Istanbul Airport, schleusen uns durch die Transit-Checks, bis wir schließlich am Röntgen und einem besonders übellaunigen Beamten scheitern. Der Typ mit der unbeweglichen Miene und der schwarzen Haarbürste über der Oberlippe entdeckt die zwei Blechgeckos in Heinz’ Handgepäck und befindet sie als absolutes Sicherheitsrisiko... „Sharp, dangerous, no transport in hand luggage!“, tut er uns kund, indem er seine ebenfalls bürstenartigen Augenbrauen unheilverkündend zusammenzieht. Hallo, wir kommen aus Johannesburg, hatten diese „Waffe“" mit zehn Stunden an Bord, keiner ist zu Schaden gekommen, der Pilot erfreut sich weiterhin seines Lebens und niemand hängt mit durchschnittener Kehle auf der Tragfläche! Dem Beamten jedoch geht das Argument sonstwo vorbei. „Too sharp, too dangerous, absolutely no transport in hand luggage!“, wandelt der Finsterling sein gebetsmühlenartig wiederholtes Sätzchen ab. Ja, ja, verstanden, aber was nun? „Go chief officer“", bedeutet er uns mit einer ruckartigen Kopfbewegung, „He tell you!“ Tja, und der osmanische Chefzollmann, der nicht besser gelaunt ist, verkündet uns Selbiges. Unsere Blechgeckos dürfen nicht mit an Bord, basta! Alternative: einreisen und die Waffen-Tiere ins Fluggepäck umbetten. Genau! Wir sind durchgecheckt, die Zeit ist ohnehin knapp,also besteht auch keine Chance, unsere zimbabwischen Blechandenken durch die Kontrolle zu bringen. Zornig pfeffern wir die zwei Tierchen in den nächstbesten Abfalleimer, machen daraufhin einen neuen Versuch beim Röntgenzöllner - und kommen diesmal tatsächlich ohne Beanstandung durch. Obwohl der Bürstenbart die ganze Zeit auf Lurchi starrt... Untersteh dich, du Arsch! Der Verlust der Blechechsen ist zu verschmerzen, aber Lurchi nimmst du mir nicht weg! Der Arsch untersteht sich. Und wir treten die letzte Etappe einer wunderschönen, erlebnisreichen, erfüllenden Reise an - nach Hause, mit neuen Plänen, Träumen und Wünschen im Kopf. Sternstundentage liegen hinter uns, weitere erwarten uns - nächstes Jahr! Ganz sicher!


Unsere Schätze



16. März 2013, Erkundungstag in der Knersvlakte

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Als Heinz und ich aus dem Zelt kriechen, landen unsere Füße gleich in einer Wasserpfütze, die auf unserer Zeltplane steht. Nein, die Hunde waren das nicht – heute Nacht hat es wohl doch noch geregnet. Auch jetzt, gegen sieben Uhr Morgens, zeigt sich das Wetter nicht gerade von seiner schönsten Seite. Es ist kalt, leicht windig, dichter Nebel wabert ums Camp und die Sonne ist nicht mal ansatzweise zu sehen. Mist! Enttäuscht und nicht eben gut gelaunt versammeln wir uns zum Frühstück unter dem Gazebo, rutschen fröstelnd auf den klammen Campingstühlen umher. Die Hunde tun ihr Bestes, unsere Laune zu heben, und wir honorieren ihre Bemühungen mit einem kleinen Lächeln, ordentlich Streicheleinheiten und etwas Essen, das hin und wieder aus Versehen vom Tisch „fällt“. Erst, als wir bereits am Abspülen sind und missmutig gen Himmel blicken, werden wir plötzlich leicht geblendet und verspüren auch etwas Wärme. Das wird doch nicht!? Doch! Wie von Geisterhand geschoben, verzieht sich bald der Nebel, die Sonne blitzt warm auf uns hernieder und wir sehen unseren Tag gerettet. Juhu! Nun steht einem gelungenen Besuch der Quarzfelder nichts mehr im Weg!

Erster Blick auf das Gelände
So heißt die private Farm
Einfahrt zu Herrn Wieses Anwesen










Sogleich packen wir alles Nötige zusammen, stecken etwas Proviant und genügend Wasser in unsere Rucksäcke und begeben uns hinaus auf die N1, an deren Rand, nur etwa 20 Kilometer von hier, sich die Knersvlakte erstreckt. Eine halbe Stunde später sind wir auch schon da, bei einem Haus, in dem, laut Aussage der Gärtnerin, Herr Wiese lebt. Und der soll uns nun einlassen in sein Sukkulenten-Paradies. Wir parken unser Auto im Hof der „Knersvlakte Spens“ und machen uns auf die Suche nach dem Mann. Hallo, Herr Wiese, hallo? Alles verschlossen, keiner antwortet. Aber wir hören doch Musik! Entschlossen umrunde ich das Haus, wenn auch mit leicht schlechtem Gewissen, denn hier sieht es schon sehr nach Privatgrund aus. Herr Wiese?! Nix. Die Musik dudelt, aber Herr Wiese scheint nicht da zu sein. Irgendwie komisch. Oder wir sind einfach zu penetrant. Gedanken machen wir uns trotzdem. Nicht, dass wir den guten Mann am heiligen Sonntag bei irgendwelchen unheiligen Tätigkeiten des Wohlbefindens stören… Wir hätten doch besser schon gestern anrufen sollen! Das holen wir jetzt, in der letztmöglichen Penetranzstufe, mit unwohlem Gefühl, nach. Gut, immerhin bimmelt im Haus kein Telefon! Also ist der Wächter der Knersvlakte tatsächlich nicht zuhause – Glück gehabt. Als aber nach kurzem Anläuten auch noch jemand abhebt und sich mit „Hello, Wiese!“ meldet, ist unser Glück gut aufgestellt. Richtig perfekt wird es allerdings erst, als Herr Wiese uns kundtut, er sei nur gerade in der Stadt gewesen und bereits auf dem Rückweg. „Ten minutes, and I’ll be at home!“ Das klingt doch gut!

Zu Boden, Schatz...
Ich stehe noch, aber nicht mehr lange
Crassula columnaris










Und tatsächlich: kurz darauf kurvt ein verbeulter Pick-Up von der Straße in den Hof, ein zerzauselter Mann samt struppigem Hund klettert aus dem Gefährt und begrüßt uns herzlich. Wir entschuldigen uns für die Störung, erzählen ihm, wir hätten das Radio gehört, seien ums Haus gegangen und hätten gerufen, wollten aber nicht am Sonntag… Typisch deutsch halt. Herr Wiese hingegen tut das alles als selbstverständlich ab und bittet uns erst mal rein. Er freue sich immer über Besuch, besonders aber in der Nebensaison – so wie jetzt. Und gleich entschuldigt er sich: Nebensaison, da ist nichts los, da sei er ab und zu nicht erreichbar, ach ja, und Broschüren hätte er auch keine mehr, Kaffee müsse er erst kochen – aber die kleine Sukkulenten-Gärtnerei könnten wir derweil gerne ansehen. Typisch südafrikanisch eben. Wir, die wir ja schon ausgiebig gefrühstückt haben, verzichten dankend auf Kaffee und strapazieren die Freundlichkeit Herrn Wieses lieber, indem wir uns bei den Pflanzen umsehen und uns darauf freuen, ein paar Informationen vom Experten zu erhalten. Doch weit gefehlt; er muss immer auf die Schildchen in den Pflanztöpfen sehen, bevor er das bestätigt, was wir schon lange identifiziert haben. Als ich ihn dann frage, wie das eigentlich mit den Deckelchen der Kapseln sei – hat eine zehnkammerige nun auch genau zehn oder aber elf oder gar nur neun Tortenstücke – steigt er aus und outet sich. Sein Vater sei der Experte gewesen, von ihm hätte er alles geerbt, er erhalte es bereitwillig und leidenschaftlich – aber Ahnung „von dem Zeug“ hätte er nicht wirklich. Interessant!

Dimelaena sp. (?)
Psora sp.
Caloplaca sp. (?)










Ich kapiere das alles hier ohnehin nicht so richtig; bis heute nicht. Ein Erklärungsversuch, was ich nicht so recht verstehe: Die Knersvlakte ist ein einzigartiger Biodiversitäts-Hotspot im Zentrum der Sukkulenten-Karoo. Das knapp 50.000 Hektar große Gebiet beherbergt rund 1.300 Pflanzenspezies, von denen beinahe dreihundert in dieser Vegetationszone endemisch sind, darunter um die hundertdreißig bedrohte Arten. Und darin enthalten sind auch ganze drei Gattungen, die nur hier, in der Knersvlakte, unter bestimmten Ortskonditionen vorkommen. Super-Endemiker also. Zwar wurde der Titel Naturschutzgebiet der Knersvlakte offenbar bereits zugeteilt, die Einteilung als Biosphärenreservat durch den WWF angestoßen. Trotzdem - ich will ja niemandem Unrecht tun, aber WARUM ist ein derartiges Stück Natur in Privatbesitz? Es soll ja nicht heißen, ein Privatmann könne sich nicht leidenschaftlich und hervorragend um ein so sensibles Gebiet kümmern, aber die Sache mit den finanziellen Mitteln dürfte recht eingeschränkt sein. Ich kapiere die Zusammenhänge und Modalitäten einfach nicht. Aber nächstes Jahr planen wir ja wieder einen Besuch der Knersvlakte, da muss ich Herrn Wiese unbedingt fragen und meine Ungereimtheiten ins Klärungslot bringen!

Phyllobolus sp.
Crassula muscosa
Man muss genau hinsehen!










Jetzt aber müssen wir nur eines: hier weg und rein in die Knersvlakte. Das dürfen wir sogar, ohne Eintritt zu bezahlen, denn es ist ja Nebensaison und, laut Herrn Wiese, ist da nicht viel zu sehen… Das überprüfen wir jetzt aber sofort! Wir überqueren die N7, fahren gegenüber der Spens über einen Sandweg Richtung Osten und kommen nach zwei Kilometern an ein Tor, wo wir das Auto abstellen. Sukkulente Schätzchen, wir kommen! Rasch setzen wir unsere Hüte auf, cremen uns ein und ich schnalle mir meine Knieschützer um. Die Teile, die ich mir extra angeschafft hatte, um beim Fotografieren von Kleinstsukkulenten bequem knien zu können, sorgen seit ihrem Kauf, ach was sage ich, seit ihrer Erwähnung immer wieder für Lacher. Auch jetzt grinsen meine Reisegenossen recht süffisant. Das jedoch vergeht ihnen bald und sie beneiden mich regelrecht um meine Komfortpolster. Denn die Pflanzen, die wir schon auf den ersten Metern zwischen den weißen Quarzkieseln vorfinden, sind wirklich extrem klein und man muss ganz tief runter, um sie in voller Pracht zu sehen: Heinz erspäht ein winziges Knöpfchen, kugelförmig, farblich hervorragend getarnt, mit mikroskopisch kleinen Zähnchen an den Blatträndern – das ganze Ding in etwa so groß wie ein Daumennagel. Eine Crassula, wie sie symmetrischer, perfekter, schöner, winziger nicht sein könnte. Ich bin hin und weg und falle erstmals in der Knersvlakte auf die Knie. Die anderen tun es mir gleich, doch für sie ist es um einiges schmerzhafter, zumal es nicht der letzte Kniefall bleiben wird.

Crassula columnaris
Argyroderma delaetii
Brownanthus sp.










Mensch, Mensch, Mensch, ist das ein abgefahrener Ort! Praktisch im Minutentakt entdecken wir Neues, Bizarres, Wunderschönes, Phantastisches. Da sind zum Beispiel Argyrodermas, die zu den absoluten Knersvlakte-Endemiten zählen. Der Name Argyroderma kommt aus dem Griechischen, bedeutet „silbernhäutig“, aber silbern ist hier nix. Die ersten Argyrodermas, die wir zu Gesicht bekommen, befinden sich in der Ruhephase, schließen mit dem Boden ab und sind von hellem Apricot. Mit ihrem hochsukkulenten Blätterpaar, das nur durch einen schmalen Schlitz voneinander getrennt ist, und der hautähnlichen Farbe, gleichen sie kleinen Popöchen, die ihre Backen aus den Quarzkieseln recken. Meine Assoziation; die unserer Männer hingegen weicht ein wenig davon ab, bewegt sich aber ebenfalls im körperlichen Bereich… Aber es darf jeder darin sehen, was er will, Hauptsache er genießt den Anblick der kleinen Kunstwerke so wie ich!

Oophytum nanum mit Argyrod.
Drosanthemum diversifolium
Conophytum subfenestratum










Und ich genieße an mehreren Fronten: erstens bin ich ein sehr grafisch sehender Mensch und diese Symmetrie, diese scheinbare Simplizität des Aufbaus der Pflanzen, ihre Farbspiele, die subtilen Verläufe und winzigen Schmuck-Details entzücken mich zutiefst. Zweitens bin ich ein Ergründer, ein hobby-wissenschaftlicher Wadlbeißer, der erst Ruhe gibt, wenn er die Zusammenhänge erkennt, Überlebensstrategien begreift und die bezaubernde Optik, losgelöst von ihrer Schönheit, einer bestimmten Funktionalität zuordnen kann. Das ist bisweilen etwas anstrengend – nicht nur für meine Begleiter – aber dennoch entspannt es mich zutiefst. Als relativer Neueinsteiger in das Sukkulenten-Thema lese ich natürlich, meiner Art entsprechend, immer wieder diverse Fachartikel. Dabei bin ich, vor längerer Zeit schon, auf das Thema CAM gestoßen. Crassulacean Acid Metabolism, zu deutsch Crassulaceen-Säurestoffwechsel. Klingt vielleicht uninteressant und pupstrocken, ist es aber nicht. Es ist die faszinierende, wissenschaftliche Erklärung einer einzigartigen Überlebensstrategie von Pflanzen, die unter solch harschen Konditionen ihr Dasein erfolgreich meistern, indem sie sich genau diesen Bedingungen angepasst haben und das Beste rausholen. Und es hat nichts mit Sukkulenz zu tun, zumindest nicht ausschließlich. Natürlich betreiben viele sukkulente Pflanzen CAM, weil sie in klimatischen Regionen wachsen, in denen es sehr trocken und heiß ist. Aber Sukkulenz ist lediglich die Bevorratung eines Mangelguts, nämlich Wasser, CAM hingegen ist das temporäre Separieren der lebensnotwendigen Energieaufnahme und -verwertung, sodass jeder dieser beiden Prozesse getrennt zur jeweils geeigneten Zeit stattfindet, obwohl er bei den meisten anderen Gewächsen gleichzeitig abläuft. Jetzt wird es kryptisch, oder? Keine Angst, es ist ganz einfach! „Normale“ Pflanzen, das haben wir bereits im Biologie-Unterricht gelernt, betreiben Photosynthese. Die Sonne scheint, UV-Strahlung wird aufgefangen und zusammen mit CO2 und Wasser vom Blattgrün in Energie umgewandelt. Was aber machen, wenn die Sonnenglut der Pflanze ihre ganze gespeicherte Feuchtigkeit nimmt, während sie mit geöffneten Stomata die lebensnotwendige Photosynthese betreibt. Dann ist der ganze Aufwand vergebens. Jetzt aber kommt CAM ins Spiel – vom Grundprinzip her ein bisschen wie ein Nachtspeichergerät. Ist Energie zu einer bestimmten Tageszeit zu teuer, wird sie eben dann gespeichert, wenn sie zu einem günstigeren Tarif verfügbar ist. Für die Pflanze heißt das übersetzt: das für die Photosynthese benötigte CO2 wird einfach nachts, wenn es kühler ist, aufgenommen, in Apfelsäure umgewandelt und in den Vakuolen der Zellen gebunkert. Wenn dann die Sonne erneut vom Himmel brennt, schließen sich die Spaltöffnungen, die Apfelsäure gibt das CO2 wieder frei und die Photosynthese kann beginnen – sozusagen bei geschlossenen Jalousien. Genial, oder?!

Monilaria pisiformis
Argyroderma fissum
Drosanthemum schoenlandianum










Na ja, eigentlich ist es „nur“ Natur, die aber bringt so viele Mechanismen und Dinge hervor, über die man sich normalerweise keine Gedanken macht. Auch der Mensch ist, rein funktions- und konstruktionstechnisch gesehen, ein absolutes Wunderwerk, nur leider ist er auf einer Entwicklungsstufe stehengeblieben, die ihn im Vergleich zu allen anderen Lebewesen nicht wirklich gut dastehen lässt. Die sogenannte Intelligenz ist diesbezüglich nämlich ein wenig zu egozentrisch geraten: die humanoide Hirnkapazität, die vielgerühmte und -gelobte, hat dann doch diverse, sehr deutliche Synapsenbruchstellen, sobald es um Gemeinwohl und Selbstlosigkeit geht. Klar, auch Pflanzen und Tiere sind rücksichtslos, was ihr ureigenstes Wesen anbelangt - wie wir eben auch. Aber nur wir alleine gestehen uns zu, das auch zu erkennen und als unser Recht zu beanspruchen, was die Nummer gleich ganz anders dastehen lässt...

Geschützte Knie - Glück wie nie!
Tylecodon reticulatus
Tylecodon pearsonii











Ich nehme mich da natürlich beileibe nicht aus - bin ja auch nur ein Mennsch - doch um so mehr genieße ich diese egozonenfreien Überlebensstrategien, die sich allüberall gar trefflich beobachten lassen - besonders hier, in der wundersamen Welt der Knersvlakte. Hier ist der Lebensraum vergleichsweise riesig, die Ressourcen jedoch sind knapp und jede Pflanze muss ihre Nische erobern und effektiv nutzen. Offensichtliche Konkurrenzkämpfe, wie im wuchernden Dschungel, sind in diesen Quarzebenen völlig ausgeschlossen; die Lebensbedingungen sind viel zu harsch, um wuchern zu können. Dennoch tut jede Pflanze, was sie kann - und das ist viel! Staunend knirschen wir durch die sanfte Hügellandschaft, mal vorsichtig, auf Zehenspitzen, um nichts zu zerstören, mal weit ausschreitend, um möglichst viel zu sehen. Meist jedoch sind wir dabei ohnehin auf allen Vieren unterwegs, weil die Pflanzen in der Knersvlakte dazu tendieren, recht niedrig zu wachsen. Und wir kriegen so viele von ihnen zu Gesicht, dass wir es gar nicht fassen können. Ja, es ist Ruhezeit, kaum eine Sukkulente strotzt oder blüht, aber wir überrobben keinen einzigen Quadratmeter, auf dem wir nicht etwas Neues entdecken würden, auch wenn es sich zumeist bescheiden präsentiert.

Mesembryanthemum crystallinum
M. crystallinum - Kapseln
Sarcocornia xerophila










Einige auffällige Ausreißer aber gibt es immer, so auch hier: Da sind Argyrodermas, die tatsächlich grüne Blätter haben und fast wie eine Cheiridopsis aussehen, niedrig-krauchende Salsolas, die wir dieserorts so gar nicht erwartet hätten, Oophytums, die sich in tiefem Schlafe befinden, strotzende Sarcocornias, winzige Tylecodons, holzige Monilarias und immer wieder Crassulas, meine absoluten Lieblinge. Eigentlich. Denn mittlerweile bin ich von den anderen Sukkulenten mindestens ebenso fasziniert. Hier ist jede Pflanze so bizarr in Wuchs und Form, so eigen in ihrer Farbe, so hinreissend in ihrer Winzigkeit, so fesselnd in ihrer ureigenen Schönheit, dass ich sie alle am liebsten küssen möchte. Es ist wirklich fast unmöglich, meine Gefühle angesichts dieser kleinen Juwelen in Worte zu fassen, aber versuchen werde ich es trotzdem. Es ist eine Kombination aus Bewunderung für die Zähigkeit der Pflanzen, die eine fast mütterliche Zuneigung in mir hervorruft und das ehrfürchtige Staunen, das die Perfektion der Formen und Farben provoziert, das hat etwas beinahe Erotisches - im weitesten Sinne.

Oophytum nanum
Zygophyllum teretifolium
Conophytum minutum










In diesem Zusammenhang fällt mir eine Anekdote aus meiner frühen Berufszeit ein: ich habe Grafik-Design studiert, zuvor jedoch eine Lehre als Schriftsetzer durchlaufen, die ich sehr erfüllend fand. Besonders die Schönheit mancher Schriften hatte es mir angetan, der gelungene Schwung, die Kurven einiger Buchstaben, das gesamte Schriftbild, das bereits, ohne den textlichen Inhalt zu lesen, einen sehr aussagekräftigen Charakter präsentiert. Wer kann schon dem kleinen „e“ einer Tiepolo widerstehen, wer dem großen „Q“ einer Garamond? Ich jedenfalls nicht - Erotik der Formen in Reinkultur! Nun hatten wir damals einen Auszubildenen, dessen Begeisterung sich in Grenzen hielt, ebenso sein Lernwille und sein Engagement. Mein damaliger Chef setzte mich deshalb auf den unwilligen Lehrling an, um dem widerspenstigen Knaben typografisches Gefühl einzuhauchen. Ein schwieriges Unterfangen, das erst Erfolg zeigte, als ich den pubertierenden Jüngling auf die Erotik der Schrift hinwies. Von da an hielt er mich für völlig bekloppt, für leicht pervers - aber er hörte endlich zu und begann, ein bisschen zu begreifen und Gespür zu entwickeln. Das mit der Erotik jedoch musste er seinem Vater erzählt haben, der eines Tages besorgt bei meinem Chef anrief und sich erkundigte, ob die Ausbildung seines Sohnes nicht doch etwas aus den gewünschten Bahnen gerate. Der Vater wurde sofort beruhigt, als auch mein über jeden Zweifel erhabene Chef die von mir gewählten Worte beinahe uneingeschränkt und mit Begeisterung bestätigte. Nun ja, Erotik hätte sie in diesem Zusammenhang vielleicht nicht erwähnen müssen, aber sie hat trotzdem völlig recht, beruhigte er den Vater. Mir gegenüber sagte er nur: "Machen Sie so weiter - plastisch muss es sein, hinfassen muss er wollen!" Tja, und genau so geht es mir jetzt mit den Pflanzen. Ich will sie anfassen, weil sie mich dazu verleiten, ich will sie spüren, weil sie sich so angenehm samtig und vergleichsweise kühl anfühlen, ich will sie unentwegt betrachten, weil sie einfach wunderschön sind. Wenn das mal nicht Erotik ist!

Das Schattendach in Sicht
Argyroderma delaetii
Salsola sp.










So also robbe ich auf allen Vieren weiter über die kantigen Quarzkiesel, wohl geschützt durch meine Kniepolster. Nächstes Mal allerdings, so merke ich im Urlaubslappen meines Kleinhirns vor, brauche ich auch noch Ellbogenschützer... Heute jedoch muss es ohne diese Bequemlichkeit gehen - was es auch tut, denn die Flut der Eindrücke lenkt von allem anderen Ungemach ab. Auch die Hitze spüren wir nicht wirklich. Wir sind zwar nun schon über vier Stunden bei erbarmungslosem Sonnenschein und Temperaturen um die 35 Grad unterwegs, dennoch fühlen wir uns frisch und aufs Trefflichste unterhalten. Nur die Viskosität der Spucke leidet ein wenig unter unserer Dehydrierung - das bemerke ich schließlich recht deutlich beim Befeuchten der diversen Samenkapseln... Doch da hinten, vielleicht in einem halben Kilometer Entfernung, kann man eine Art Schattendach erkennen, und das steuere ich nun an, um dort Wasser nachzutanken und ein wenig Schatten zu finden. Langsam nämlich spüre ich die Wirkung der Sonne ordentlich auf meiner blassen, europäischen Winterhaut. Mein Gesicht brennt, wenn ich mir den Schweiß von der Stirne wische und meine Fußriste leuchten in ungesundem Rot. Eine kurze Schattenpause später aber, frisch gecremt und mit einem halben Liter Wasser intus, geht es munter weiter. Und, als ich den kleinen Rastplatz verlasse, kriege ich endlich auch meine Freunde wieder zu Gesicht. Wir hatten uns weit verstreut, jetzt aber, da wir wieder Sichtkontakt haben, verständigen wir uns auf eine allmähliche Rückkehr zum parkenden Wagen. Wird auch Zeit, denn wir sind recht weit gegangen - zwar im Zickzack, die Luftlinie ist wesentlich kürzer - aber weiter als nur ein Steinwurf war es trotzdem.

Zwei Blattformen...
...an einer Pflanze
Psilocaulon dinteri










Und es gibt immer noch so viel zu sehen. Heinz und ich entdecken zum Beispiel ein strauchiges Mittagsblumengewächs, das, neben den normalen, charakteristischen Blättern auch seltsam symmetrische, rosa überhauchte Blattrosetten an den Zweigspitzen trägt. Was ist das denn? Die Blattform, die Struktur der Rosetten passt in keinster Weise zur Trägerpflanze, dennoch sind sie eindeutig vorhanden. Zur Sicherheit überzeugen wir uns nochmals, dass hier nicht zwei Pflanzen ineinander gewachsen sind. Nein, es ist ein und das selbe Gewächs, auf dem hier normale Blätter und eben diese atypischen Rosetten gedeihen. Eine weitere Rechercheaufgabe erwartet mich... Und ich finde es tatsächlich heraus, allerdings erst eine ganze Weile später, als unser Urlaub schon lange vorüber ist: es handelt sich hierbei um eine Blattwucherung, die durch Gallwespen verursacht wurde. Doch auch die mir im Internet zur Seite stehenden Experten vermuten das nur und fragen mich, ob ich eine Sektion der Rosette vorgenommen hätte. Dann erst könne man ganz sicher sein. Nachurlaublich im zuständigen Kleinhirnlappen vermerkt: Skalpell mitführen und alles aufschneiden, was befremdlich aussieht! Für die nächste Tour reduzieren sich die Wechselklamotten auf ein bedrohliches Minimum, fürchte ich. Pipettenflasche, Ellbogenschützer, Skalpell. Was kommt da noch alles an unabdingbarem Equipment dazu??? Es gibt sicherlich noch einiges, was uns Freude machen und unseren Forscherdrang erleichtern würde... Zwei Selbstschusskameras haben wir ja schon, die wir immer mitschleppen, aber da sind auch noch Nachtsichtgeräte, Infrarot-Wärmesuchgeräte, USB-Mikroskope und derlei Schnickschnack mehr, mit dem wir immer wieder liebäugeln. Irgendwann jedoch wäre dann die Kapazität unseres Urlaubsgepäcks doch erschöpft und vor lauter technischem Gerät, das permanent in Bedienung ist, käme sicher auch das reine Sehen und Genießen ins Hintertreffen. Lieber also machen wir die Augen auf und freuen uns an dem, was wir zu sehen bekommen, ohne es sofort zu sezieren, zu mikroskopieren oder anderweitig zu traktieren. Und viele Schätze am Wegesrand würden es uns zudem sicher verübeln, rückten wir ihnen mit derlei Equipment auf die Pelle.

Tarnung in Perfektion
Je nach Untergrund!
Centipede auf der Flucht










Wie zum Beispiel die kleinen Schrecken, die sich farblich perfekt an den rot-weiß-braunen Untergrund angepasst haben. Solange sie still dasitzen, sind sie praktisch unsichtbar, aber auch, nachdem sie sich durch einen beherzten Satz vor unseren Füßen zu retten versuchten, finden wir sie nur äußerst schwer wieder. Umso größer also unsere Freude, wenn wir einen der kleinen Hüpfer tatsächlich ausfindig machen und ihn von nahem betrachten können. Wunderschön sind sie und jeder sieht ein wenig anders aus: da gibt es bräunliche Exemplare mit rötlich-weißer Maserung, braungrundige mit weißem Muster, aber auch fast weiße, die aussehen, als wären sie aus semitransparentem Milchglas. Desweiteren wuseln zahlreiche Ameisen mit weiß bepelzten Hinterleibern über die Kiesel und Heinz erspäht sogar einen Skolopender mit rotem Körper und schwarzen Enden, der seine hundert Füßchen unter die Arme nimmt, um uns zu entfliehen. Mit solchen Beobachtungen versüßen wir uns den Rückweg, der doch wieder länger als geplant dauert, weil wir erneut im Zickzack über die Knersvlakte mäandern. Schließlich aber kommen auch Heinz und ich beim Wagen an, wo unsere Freunde schon auf uns warten. Mensch, sechs Stunden waren wir hier unterwegs, die Zeit allerdings verging wie im Fluge! Doch für heute reicht es - zumindest unser Sonnenkontingent ist voll ausgeschöpft, wie die genervte Haut mancher Körperstellen vermeldet. Also setzen wir uns wehmütig, aber einsichtig ins Auto und machen uns auf, zurück Richtung Camp.

Mesembryanthemum crystallinum
Malephora crocea-purpurea
Sutherlandia frutescens










Halt, stopp! Wir sind noch keine dreihundert Meter gefahren, als wir schon wieder was entdecken, was uns beim Reinkommen gar nicht aufgefallen ist: zu unserer Linken blüht üppig eine Mittagsblume, die uns förmlich anleuchtet. Es ist eine Malephora, wie wir sie schon auf dem Parkplatz vor dem Tankwa Karoo gesehen hatten; diesmal jedoch keine gelbblütige „crassa“, sondern eine orangefarbene „crocea“ und eine rötliche „crocea-purpurea“ mit violetten Blütenunterseite. Und zur Rechten lockt ein Busch mit roten Blüten in filigraner Schmetterlingsoptik - eine Sutherlandia. Uih, und da hinten funkelt ein besonders schönes Mesembryanthemum-crystallinum-Exemplar, dessen Blasenzellen wie winzige Glas-Kügelchen in der Abensonne glitzern - eingebildeter Himbeer-Waldmeister-Geschmack auf der Zunge inklusive... Heinz und ich können uns einfach nicht losreißen, ein Blick auf die Uhr und die ungeduldigen Gesichter unserer Freunde jedoch verpasst uns den nötigen Ruck. Seufzend, aber bis zu den Ohren strahlend, klettern wir ein weiteres, ein letztes Mal für heute, ins Auto und kurven zurück auf unsere Campsite. Dort werden wir schon sehnsüchtig von Hund und Katz erwartet, die sich auf einen gemütlichen Abend nebst diverser Streicheleinheiten freuen. Das bekommen sie auch, und noch mehr: natürlich fällt wieder das eine oder andere Stückchen Fleisch für sie ab und heute dürfen sie ihre Köpfe sogar auf frisch gewaschenen Menschen-Schenkeln ablegen, nachdem wir uns überwinden konnten, die assligen Duschen zu benutzen. Für diese unsere Dienstleistungen erhalten wir erneut ihre beruhigende Wachsamkeit und ihren Schutz für unsere letzte Nacht im Vanrhynsdorp Caravan Park.



Weitere Impressionen des Tages:

Conophytum congregatum
Conophytum minutum
Conophytum calculus











Crassula muscosa
Drosanthemum pulverulentum
Argyroderma sp.











Euphorbia muricata
Argyroderma delaetii
Argyroderma delaetii











Augea capensis
Phyllobolus sp. (?)
Antimima solida











Crassula columnaris
Gazania lichtensteinii
Mesembryanthemum crystallinum











Flinke Echse
Psilocaulon dinteri
Lygaeidae (Seed bug)










Tylecodon pearsonii
Camponotus sp.


























Blick zurück in die Knersvlakte
Zurück nach Vanrhynsdorp











Didelta carnosa
Tylecodon reticulatus
Mensch im Glück
Sarcocornia xerophila
















Crassula muscosa
Argyrod. fissum
Conoph. subfenestratum
Tylecodon pygmaeus
















Sarcocaulon crassicaule
Tylecodon pearsonii
Dipcadi sp.
Hoplophyllum spinosum
















Euphorbia muricata
Crassula capitella
Salsola sp.



































Cephalophyllum: das Wunder einer Kapselöffnung
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