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17. März 2013, Vanrhynsdorp > Namaqua NP, Koringkorrel Baai

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Ein neuer Morgen dämmert herauf und wir sind froh, dass er sich etwas sonniger präsentiert als der gestrige: heute haben wir zwar nur einen gemäßigten Fahrtag vor uns, der aber führt uns ans Meer, in den Namaqua NP. Unser dortiges Camp liegt direkt an der Küste und, da das Wetter in Ozeannähe recht wankelmütig ist, bedeutet es durchaus einen großen Pluspunkt, wenigstens mit trockenen Zelten dort anzureisen – klamm und schwer werden sie, wenn wir Pech haben, ganz schnell von selbst. Doch jetzt warten wir mal ab. Nach einem ausgiebigen Frühstück verstauen wir unser Equipment unter den traurigen Blicken der Hunde im Auto und machen uns vom Acker. Zuvor jedoch sollten wir noch unseren Wassertank auffüllen. Auf dem Caravan Park war das, mangels Wasserschlauch, leider nicht möglich, doch auf dem Weg hinaus zur N7 kommen wir an einer großen Tankstelle vorbei, wo wir unser Vorhaben sicher problemlos in die Tat umsetzen können. Jochen hingegen steuert zielstrebig an der Tanke vorbei und brummt, er habe keine Lust, schon wieder anzuhalten, es wäre ja noch genug Zeit, das anderswo nachzuholen. Nun, das bezweifle ich, wenn ich einen Blick auf die Karte werfe: der einzig nennenswerte Ort, den wir auf unserer Strecke passieren werden, ist Bitterfontein und das klingt wahrlich nicht nach süß sprudelndem Wasser. Wenn Jochen aber im Ich-will-fahren-Modus ist und sein Lassen-wir-es-drauf-ankommen-Gen aktiviert hat, will er derlei Einwände nicht hören und so verlassen wir Vanrhynsdorp eben ohne abermaliges Auftanken. Gut achzig Kilometer später erreichen wir besagtes Bitterfontein, ein winziges Kaff, das außer einer Tankstelle kaum etwas zu bieten hat. Diese steuert Jochen nun mit triumphierendem Glitzern in den Augen an, das jedoch bald erlischt: es gibt Diesel, es gibt Benzin, es gibt Snacks, nur eines gibt es nicht – Wasser. Tja…

Abschied von der Knersvlakte
Orbea im Beet
Malephora crocea











Fast trockenen Wassertanks also ziehen wir unverrichteter Dinge weiter Richtung Norden, bevor wir einige Kilometer vor Garies schließlich nach Westen abbiegen. Die staubige Pad führt nun über noch staubigeres Farmland, das sich, bis auf die zweimalige Überquerung des Tals des Groen Riviers, recht eintönig präsentiert. Es ist wenig verlockend, hier anzuhalten. Einmal aber tun wir es doch, denn es ist Zeit für eine Pinkelpause. Heinz seilt sich sogleich in den Straßengraben ab, aus dem er kurz darauf aufgeregt wieder auftaucht. Eine Schlange, eine Schlange! Sie war nicht groß, bleistiftdünn, flitzeschnell und in dem Busch sei sie verschwunden; er deutet auf ein sparrig-trockenes Etwas, dessen dürre Zweige einen hervorragenden Sichtschutz für das Reptil darstellen. Gespannt umzingeln wir das Gestrüpp und lauern. Bald darauf zeigt sich tatsächlich für den Bruchteil einer Sekunde ein schmaler, graubrauner Natternkopf, der jedoch sofort wieder verschwindet und trotz großer Geduld unsererseits auch nicht mehr auftauchen will. Na, was soll’s, fahren wir eben wieder. Nach einer weiteren Stunde des öden Geschaukels ändert sich plötzlich die Kulisse: das Meer taucht vor uns auf und sein würzig-salziger Duft umweht unsere Nasen. Jetzt kann es nicht mehr weit sein!

Kaum im Park...
...geht es wieder auf die Knie
Küstenvegetation











In der Tat sind es nur noch wenige Kilometer und wir stehen am südlichen Gate des Namaqua Nationalparks, wo wir von einer freundlichen Rangerin in Empfang genommen werden. Während wir nun die üblichen Formalitäten erledigen, erfreut uns die Dame mit Nachrichten und Geschichten aus dem Alltag einer Parkangestellten – in Wort und Bild. Ganz besonders angetan sind wir hierbei von den Fotos eines kleinen, flauschigen Kapfuchses, den sie mit der Hand aufgezogen hat und der sie heute, da er schon fast erwachsen ist, immer noch täglich besucht. Leider käme er gewöhnlich erst in den Abendstunden, teilt sie uns bedauernd mit. Der Genuss, einen zahmen Kapfuchs zu treffen, wird uns also versagt bleiben, dafür aber, so tröstet sie uns, als sie unsere langen Gesichter sieht, hätten wir sagenhaftes Glück mit dem Wetter. Die ganze letzte Woche hätte es gestürmt und geregnet und viele Camper seien deshalb vorzeitig abgereist. Na, wenn das mal keine Entschädigung für das entgangene Kapfüchslein ist: Sonnenschein, wolkenloser Himmel, eine positive Wetterprognose und ein fast leerer Park!

Hoch erfreut verabschieden wir uns von der netten Rangerin und wollen gerade losfahren, als uns unser leerer Wassertank wieder einfällt. Klar könnten wir hier auftanken, erlaubt uns die Parklady, kein Problem – das Wasser allerdings schmecke nicht besonders gut, es sei recht salzig und nicht zum Kaffeekochen geeignet. Eine Tatsache, die Jochen stillschweigend überhört und die auch wir tunlichst nicht kommentieren. Während nun das alkalische Nass in den Tank gluckert, nutzen Heinz und ich die Verzögerung, die „Blumenrabatte“ vor dem Office in Augenschein zu nehmen. Dieser liebevoll bepflanzte Quadratmeter hat wenig gemein mit Zierbeeten, wie man sie bei uns kennt. Statt schnöder Tulpen oder Tagetes nämlich gedeihen hier mal wieder die wundervollsten Sukkulenten und neben zierlichen Crassulas und Mittagsblumen blüht sogar eine Orbea, eine Aasblume, die durch besonders große Blüten hervorsticht. Die Rangerin freut sich über unser Interesse, zeigt sich aber etwas verwundert, als wir ihr erzählen, genau wegen solcher Pflanzen hierher gekommen zu sein. Ach so? Jaja, so Zeug wachse schon überall, aber die meisten Leute kämen eher zum Angeln, wegen der Seebären oder einfach so, und sie selbst kenne sich mit Pflanzen überhaupt nicht aus. Das ist ein Phänomen, dem wir schon öfter begegnet sind – und es wird nicht das letzte Mal gewesen sein: Menschen, die im Dienste der Natur tätig sind, sich aber mit den pfanzlichen Schätzen ihrer unmittelbaren Umgebung nicht befassen und auch kein großes Interesse daran zeigen. Bei normalen Touristen ist das verständlich, kommen die meisten doch wegen der spektakulären Wildsichtungen, die eine klassische Safari verspricht; da bewegt sich was, da ist Abwechslung und im Idealfall auch Action. Klar, dass Pflanzen, vor allen Dingen die kleinen, die nicht blühenden, die unscheinbaren, nicht so groß rauskommen und ein Schattendasein im touristischen Fokus führen. Dass aber viele professionelle Hüter der Natur, die ja auch alle Pflanzen mit einschließt, derart uninformiert sind, schockiert uns immer wieder. Nicht, weil wir so verbohrt sind zu glauben, alle Welt müsse sich, im gleichen Maße wie wir, für unser Steckenpferd interessieren, sondern weil es auf fehlende Wertschätzung, verursacht durch Nicht-Wissen, hinweist. Denn nur wer das große Ganze, die Zusammenhänge begreift, wird sich zum Schutze aller beteiligen Faktoren, sprich Lebensformen, bereit sehen und in der Lage sein, das fragile Gleichgewicht sachkundig zu erhalten. Vielleicht aber ist unsere Erwartung auch etwas übertrieben, schließlich ist die Lady zwar Parkangestellte, tut ihren Dienst jedoch im Büro und nicht im Felde.

Die Killerflechte

Pteronia sp.











Egal. Wir für unseren Teil jedenfalls können es kaum noch erwarten, uns in die hiesige Vegetation zu stürzen und zu sehen, welch „Zeug“ entlang der etwa 180 Kilometer langen Caracal Eco Route wohl wächst. Als der Wassertank endlich bis zum Rande gefüllt ist, verabschieden wir uns also abermals und tuckern langsam los. Langsam, weil wir heute nur noch einen kleinen Teil der Eco Route fahren werden und langsam, weil es schon wieder so viel zu sehen gibt. Die Fahrspur führt mehr oder weniger in Sichtweite des Atlantiks über diverse Dünenkämme und präsentiert uns, neben spektakulären Ausblicken auf den tiefblauen Ozean, auch eine ganz eigene Vegetation. Es ist eine Mischung aus aridophilem Fynbos und maritimer Sukkulenz; eine Kombination, die sehr spezielle, recht ungewohnte Pflanzenlandschaften entstehen lässt. Besonders auffallend, auf den ersten Blick, sind ausgedehnte Flechten-„Plantagen“, die das Gesträuch der küstenferneren Sandhügel beinahe zu ersticken scheinen. In grellem Orange wuchern diese symbiotischen Gemeinschaften aus Pilz und Alge, die für eher sparsames Wachstum bekannt sind, wie signalfarbene Todesboten über alles hinweg, was auch nur einen Ansatz von Halt für das Mycel bietet.

Es ist wirklich eine farbenfrohe Angelegenheit; dieses Orange, das Türkis des Meeres, das Blau des Himmels, schön fürs Auge – weniger schön aber für die befallenen Pflanzen. Denn, als wir so ein Flechtenfeld näher inspizieren, stellen wir fest, dass der erste Eindruck nicht getrogen hat und die orangefarbenen Schönheiten alles Leben unter sich ersticken: sobald die Flechten mehr als zirka siebzig Prozent der Wirtspflanze bedecken, gibt diese den Geist auf. Leider ist in einschlägiger Fachliteratur nur sehr wenig über den farbenfrohen Killer zu finden, lediglich den Namen können wir eruieren – Xanthoria flammea aus der Familie der Teloschistoidae. Ist nicht gerade viel der Information, aber besser als nix… Doch aufgrund des einnehmenden Wesens der guten Xanthoria ist hier auch nichts anderes zu bestaunen, weswegen wir rasch weiterfahren und auf noch lebende Pflanzen hoffen. Bald werden wir tatsächlich belohnt: wie von Zauberhand abgeschnitten, endet plötzlich das Hoheitsgebiet der Killerflechte und die Vegetation zeigt ihr wahres, lebendiges Gesicht. Ein Unterschied wie Tag und Nacht! Kaum sind wir wieder aus dem Auto geklettert, hört man uns nur noch entzückt quieken. Hach, was hier schon wieder alles gedeiht!

Pteronia sp.
Crassula barklyi
Pelargonium sp.












Am augenfälligsten sind kugelförmige, strauchige Kissen, die ihre Blütezeit schon deutlich hinter sich haben, dafür aber unglaublich flauschige Samenstände tragen – beinahe wie Pusteblumen, nur viel dichter und wesentlich beständiger. Ich stehe ja total auf derart Plüschiges und umarme im Überschwang meiner Kuschelgelüste einen dieser einladenden Büsche, werde aber herb enttäuscht, denn die Puschel sehen weicher aus, als sie tatsächlich sind. Während ich nun gerade, dem Gepiekse zum Trotz, noch meinen Tuchfühlungsbedürfnissen nachgehe, widmet sich Heinz bereits den wirklich wichtigen Dingen; und die wachsen mal wieder, winzig klein und gut getarnt, direkt in äußerster Bodennähe. Das kennen wir ja bereits aus der Knersvlakte, aber das Gewächs, das Heinz entdeckt hat, kennen wir von dort noch nicht. Es ist eine Crassula, rötlich, mit kleinen Tüpfchen, die Blätter eng aneinander gedrängt, winzige Knöpfchen formend; die etwas älteren Pflanzen recken sich wie kleine, dicke Kinderfinger aus dem Sand. Crassula barklyi ist der wissenschaftliche Name dieser Sukkulente, ihr afrikaanser jedoch ist viel anschaulicher. Der nämlich greift die Fingerform auf, die aufgrund der engstehenden Blätter wie bandagiert wirkt – Verbandvinger – mit Verband umwickelter Finger. Generell bin ich durchaus Fan wissenschaftlicher Namen, denn sie sind eindeutig und schließen jede Verwechslung aus, wenn aber Trivialnamen so treffend sind wie dieser, dann finde ich das toll. Doch Trivialnamen bergen oft auch so viel Historisches in sich, sodass ihr Gebrauch mit Vorsicht zu genießen ist – zumindest, wenn man politisch korrekt sein möchte.

Antimima sp.
Psilocaulon sp.
Adromischus marianiae










Erst vor einem halben Jahr wurde ich gebeten, eine Liste aller Vögel des südlichen Afrika, mit ihren wissenschaftlichen, englischen und deutschen Namen auf Vollständigkeit und Korrektheit zu überprüfen. Tja, was tut man dann mit Bezeichnungen wie „Mohrenmeise“, „Reichsvogel“ oder gar „Kaffernadler“? Auch sie geben nur das wieder, was der Betrachter sieht: eine Meise mit maximalpigmentiertem Gefieder, ein Vogel mit einem Federkleid in den Farben einer politischen Ära, deren man sich in Deutschland heutzutage schämt, ein schwarzer, stolzer Adler, der mit einem Schimpfwort bedacht wird, um seine Farbe zu beschreiben. Was ist falsch, was ist richtig? Zugegeben – wir Deutschen sind aufgrund unserer Vergangenheit schon besonders sensibel, doch auch in anderen Ländern reagiert man auf politisch unkorrekte Namen. Beispiel hierfür ist die Ceraria namaquensis, die jahrzehntelang als Hotnootsriem (Hottentottenriemen) bezeichnet wurde; heute ist, ersatzweise für die diskriminierende Bezeichnung, der Trivialname „Wolftoon“ (Wolfszehe) in Gebrauch. Mei, mir ist das weitestgehend egal, ich sehe das nicht so eng, komme damit aber auch nicht in Kalamitäten, denn ich bevorzuge aus mehreren Gründen wissenschaftliche Bezeichnungen. Allerdings, so musste ich interessanterweise erfahren, sollte ich wohl auch in Privatunterhaltungen auf das Lateinisch-Griechische umsteigen oder zumindest auf meinen bayrischen Dialekt verzichten: vor vielen, vielen Jahren waren mein damaliger Freund und ich im De-Klerkschen, gerade von der Apartheid befreiten Südafrika unterwegs, eilten in einem Geschäft an einem Regal vorbei, das Waren enthielt, die wir ebenfalls auf unserem Einkaufszettel hatten, zuerst aber andere dringender benötigten. Ich platzierte deshalb ein geistiges Post-it bei meinem Freund, indem ich sagte: „Des miassma nacha a no kaffa!“, dann sausten wir weiter. Als wir schließlich an der Kasse standen, um alles zu bezahlen – auch das „Miassma-kaffa“ – wies mich der indische Ladenbesitzer flüsternd auf meinen vermeintlichen Fauxpas hin: „Madam, it’s not allowed to say „kaffa“ any longer. You might be punished if somebody hears you say this word!“ Tja, er hatte „Kaffer“ verstanden. Genau so aber entstehen eben Missverständnisse in den Ohren und Köpfen anderer; dabei sagte ich nur „Das müssen wir später auch noch kaufen!“. Natürlich versuchte ich, den Irrtum zu klären, zu erklären, wurde auch, leicht ungläubig, wahrscheinlich eher höflichkeitshalber, verstanden, dennoch wäre ein sattes „Debemus emere“ (oder so ähnlich) bestimmt weniger zweideutig gewesen.

Auf dem Weg zum Camp
Koringkorrel Baai
Erkunden der Umgebung











Nach diesem kleinen, gedanklichen Ausflug in die missverständliche Welt der Trivialnamen und des Dialekts wenden wir uns wieder der Wirklichkeit zu, die uns hier in aller Pracht zu Füßen liegt. Allerdings, so sehe ich, gedeiht in dieser Dünenlandschaft auch so einiges, was mir mal wieder gänzlich unbekannt ist und den Berg an kommender Recherchearbeit erneut deutlich anwachsen lässt – aber auch die Vorfreude darauf; denn einen vergangenen Urlaub nach der Rückkehr nochmal intensiv aufzuarbeiten, ist fast wie ein abermaliger Urlaub… Was ich allerdings ebenfalls sehe, ist eine gewisse Ungeduld in Annettes und Jochens Gesichtern. Sie möchten zu gerne endlich unsere Campsite erreichen und somit auch die unmittelbare Küste. Na gut, packen wir’s; ein bisschen was wird dort wohl hoffentlich auch gedeihen und unser Botanik-Auge erfreuen können. Ohne weitere Stopps sind wir tatsächlich eine Stunde später an unserem heutigen Zielort angekommen – der Koringkorrel Baai Campsite. Und sie liegt wirklich nur wenige Schritte vom Ozean entfernt und bietet, von der kleinen Anhöhe herab, auf der sie platziert ist, eine phantastische Aussicht auf die dunkelblauen Weiten des Meeres, die beruhigenden Geräusche von Wellenschlag und Möwengeschrei inklusive. Wunderschön! Doch nun können wir uns lebhaft vorstellen, warum so viele Camper in der vergangenen Schlechtwetter-Woche vorzeitig abgereist sind. Wenn hier Wind, Wellen und Regen toben, dann ist dieser Ort wohl nur noch als extrem ungemütlich zu bezeichnen, trotz der kleinen Steinmauern, die überall als Windschutz errichtet wurden.

Milde Brandung
Unser Camp-Kino
Blick Richtung Süden











Uns jedoch ist Petrus sehr gewogen, lässt er doch die Sonne mit voller Kraft von einem blauen, fast wolkenlosen Himmel scheinen, den Wind nur als erfrischend-würzige Brise unsere Nasen umschmeicheln und die Wellen beinahe gischtfrei an die Felsen der Campsite klatschen. Unter solchen Weichspül-Bedingungen ist dieser Platz ein echter Traum, den wir, dank der vorherigen Regenperiode, nun auch noch ganz für uns alleine haben. Rasch errichten wir unser Lager und inspizieren dann, voller Ungeduld und Freude, unsere neue Umgebung. Annette und Jochen zieht es sogleich auf die Felsen direkt am Wasser, wo sie sich die Sonne aufs Gesicht scheinen lassen und den Wellenschlag beobachten. Auch Heinz und mich führen unsere Schritte in die Felsen, allerdings in entgegengesetzte Richtung, denn hier leuchtet allenthalben etwas Pinkfarbenes aus diversen Ritzen: es sind Conophyten, winzige, sukkulente Knöpfchen, die sich kissenförmig aneinander drängen und gerade in Blüte stehen. Ein unglaublicher Anblick! Manche dieser Kissen sind über und über mit Blüten bedeckt, so dicht, dass man die darunterliegenden Blattpaar-Gnubbel nicht mehr sehen kann. Manche jedoch tragen nur vereinzelte Blüten, was das Größenverhältnis zwischen Pflanzenkörper und Blüte auf anrührende Weise deutlich werden lässt: es ist, als hätte ein kleiner, graugrüner Seeigel eine große magentafarbene Seeanemone geboren… Begeistert krabbeln wir über die sonnenwarmen Steine und entdecken in jeder Ritze neue Conophyten – aber auch andere Gewächse, die uns durch ihre Winzigkeit entzücken. Wir fühlen uns wie Gulliver in Lilliput, wie Riesen in einem Bonsai-Garten. Doch kein Wunder, dass hier alles nur im Miniaturformat gedeiht: das Klima ist sehr harsch, die Luft salzig und die Winde heftig – da würden auch wir jede schützende Nische nutzen und unsere Köpfe nicht so weit herausrecken!

Crassula elegans mit Conophytum
Conophytum minutum
Zygophyllum sp.











Nachdem wir nun alle, auf unsere Weise, die ersten Eindrücke genossen haben, finden wir uns hinter unserem Windschutz auf ein Teepäuschen zusammen, um bald darauf wieder loszuziehen, diesmal Richtung Strand, der sich zu unserer Rechten wie ein endloses weißes Band an den Rand des tiefblauen Atlantiks schmiegt. Annette und Jochen entledigen sich sogleich ihrer Schuhe, planschen mit den Füßen im eiskalten Wasser und verbringen dann den Nachmittag wie veritable Strandurlauber – mit Handtuch, Buch, viel Faullenzen und ein wenig Muschelsammeln. Heinz und mich aber zieht es wieder fort; wir wandern einige Kilometer den Strand entlang, mäandern zwischen Wasserkante und Uferböschung hin und her und entdecken auch hier ständig etwas Neues. Die Brandung hat zum Beispiel lange Kelpstängel angespült, Stängel, die zur größten Braunalge der Welt gehören – der Macrocystis pyrifera. Diese riesigen Algen werden auch Unterwasser-Bambus genannt, da sie in einer Saison bis zu 45 Meter wachsen können. Sie bevorzugen kaltes und nicht zu tiefes Wasser, weshalb man ihre Blätter bei Ebbe oft wie überdimensionale, gammelige Spinat-Tagliatelle an der Oberfläche wogen sieht. Um den heftigen Strömungen und dem rauen Wellengang standhalten zu können, klammern sie sich mit vergleichsweise kleinen, aber sehr starken Wurzeln am Meeresboden fest. Diesen Wurzeln wiederum entspringt ein handgelenksdicker Stängel, dessen styroporartiges Inneres von einem zähen, ledrigen Mantel umgeben ist. Aus dem Stängel sprießen, einem Farnwedel ähnlich, die ebenfalls lederartigen Blätter, an deren unterem Ende jeweils seine gasgefüllte Beule sitzt, um der Bandnudel-Alge den nötigen Auftrieb zu verleihen. Hin und wieder jedoch fallen auch die stärksten Algen dem Gezerre der Strömungen zum Opfer und werden dann, mit all ihren Untermietern, an Land gespült – kiloweise hängen Miesmuscheln und Seepocken an den Blättern. Uns tun die Muscheln von Herzen leid, aber es sind viel zu viele, um sie abzumachen und wieder ins Wasser zu werfen. Tja, mitgehangen, mitgefangen…

Strandgut-Begutachtung
Biene auf Mesembryanthemum
Mesembryanthemum sp.











Nach einer gründlichen Inspektion der Kelp-Überreste in allen Trocknungs- und Geruchsstadien wenden wir uns dann landeinwärts, denn auch an der Uferböschung gedeiht allerlei Interessantes: wir beobachten eine Biene, die die weißen Blütensterne zahlreicher Mesembryanthemum-Pflanzen besucht und sich redlich abmüht, an deren Nektar zu kommen, wir entdecken sedumartige Hebenstrethias, die uns mit völlig symmetrischen Blattwirbeln und winzigen orchideenähnlichen Blütchen entzücken und erspähen, weit oberhalb der Böschung, weitere Gewächse, die verdächtig nach Euphorbien aussehen. Zu unserem größten Bedauern aber werden wir die nähere Begutachtung dieser stacheligen Gesellen auf morgen verschieben müssen, denn die sandige Böschung ist definitiv zu steil, um sie von hier aus zu erklimmen. Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben, denken wir uns mit einem letzten sehnsüchtigen Blick hoch zu den Euphorbien, und machen uns auf den Rückweg, für den es allmählich ohnehin Zeit wird. Annette und Jochen nämlich sind nur noch als kleine Punkte am Ende des Strandes zu erkennen und die Sonne neigt sich in deutlichem Bogen bereits wieder gen Horizont.

Noch 'ne Leiche
Gegenlicht mit Reiz
Muscheleintopf











Nach gut einer Stunde des Marsches schließlich sind wir wieder bei unseren Freunden angelangt und genießen gemeinsam die letzten wärmenden Sonnenstrahlen im warmen Sand des Strandes, bevor wir zum Camp hochstapfen. Dort öffnen wir uns jeder ein kühles Bier und nehmen in unserer Steinloge Platz, um standesgemäß und windgeschützt der letzten Phase des Tages beizuwohnen. Allein Jochen hat keine Augen für den rotglühenden Ball der untergehenden Sonne. Immer wieder springt er auf und rührt eifrig in unserem Potjie, das auf dem Gaskocher leise vor sich hinsimmert – eine Überraschung als Hors d’Œuvre, wie Jochen geheimnisvoll verkündet. Was das wohl sein mag? Im letzten Dämmerlicht dann serviert er schließlich stolz seine Vorspeisen-Surprise. Es sind jene Miesmuscheln, die auch uns schon aufgefallen sind, die Jochen jedoch nicht bedauert, sondern kurzerhand von den frisch angespülten Kelpstängeln gepflückt und mit Salz, Pfeffer und Chili zubereitet hat. Und sie schmecken wirklich unglaublich gut. Noch nie habe ich derart leckere Muscheln gegessen, noch nicht mal anno dunnemals in einem hoch gelobten Seafood-Tempel in Hout Bay. Allerdings auch noch nie so sandige… In seiner Jäger-und-Sammler-Euphorie nämlich hatte Jochen naturburschengemäß auf eine ausreichende Wässerung der Meeresfrüchte verzichtet und nun schmälert das Knirschen im Munde den Gaumenschmaus leider ein wenig. Doch wollen wir weder den Koch brüskieren noch als Weicheier dastehen, und spülen deshalb das körnige Beiwerk tapfer mit kühlem Castle hinunter. Danach machen wir uns an die Zubereitung des Hauptgangs und lassen den Abend bei Wellenrauschen gemütlich am Lagerfeuer ausklingen, bevor wir in unsere leise im Wind flatternden Zelte kriechen.



Weitere Impressionen des Tages:

Das Zelt steht!
Annette und Jochen warten
Weg durch die Dünen











Ausblick von der Campsite
Mesembryanthemum sp.
Conophytum minutum











Mesembryanthemum sp.
Rhynchopsidium pumilum
Crassula sp.











Es gibt Mitbewohner!
Cordylus sp.
Käfer auf Amphibolia











Blüte einer Crassula
Mesembryanthemum sp.
Pelargonium sp. (links)











Campsite
Schön ist es hier!
Conophytum minutum











Crassula elegans m. Conophytum
Amphibolia sp.
Noch ein Mitbewohner











Heinz und ich "verewigt"
Warten auf den Sonnenuntergang
Da ist er!











Crassula capitella
Pteronia sp.
Crassula barklyi
Pelargonium sp.
















Crassula deceptor (?)
Crassula deceptor (?)
Tapinanthus oleifolius
Hebenstrethia cordata
















Hebenstrethia cordata
KALT!!!!
Ja, stimmt!!!!
Kelp-Schwänzchen

18. März 2013, Koringkorrel Baai > Skilpad

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Eine angenehme Nacht liegt hinter uns: es war erfrischend kühl, aber nicht kalt, der Wind wehte leise und das Brandungsrauschen in seiner Regelmäßigkeit war sehr schlaffördernd. Trotzdem sind wir schon früh aufgestanden, denn wir wollen nichts verpassen. Nein, nicht dass hier die Mega-Action wäre, das nun nicht, aber es ist einfach schön, dem erwachenden Morgen am Meer zuzusehen. Heinz macht noch vor dem Frühstück einen Ausflug in die Felsen, um zu sehen, ob die Conophyten die Nacht gut überstanden haben… Dabei klettert er immer höher, bis er schließlich auf einem rundlichen Felsbrocken steht, von dem aus er Rundumsicht hat und ihm der Wind würzig um die Nase weht. Das löst in ihm anscheinend ein besonderes Gefühl von Wohlsein und Freiheit aus, denn, als ich ein undefinierbares, aber glücklich klingendes „Uuuuaaaaiiihhhaaa!“ vernehme und zu ihm hochblicke, steht er mit weit ausgebreiteten Armen dort oben und dreht sich mehrmals um die eigene Achse. So muss Urlaub sein! Während Heinz seine ganz persönlichen, luftigen Glücksmomente genießt, stöbert Jochen am Strand umher und wir beiden Frauen bereiten das Frühstück vor. Wenig später ist Heinz wieder von dem Felsen herabgeklettert, gerade rechtzeitig zum Essen, und nimmt mit uns am Tisch Platz, Jochen hingegen lässt etwas auf sich warten. Dann aber kommt auch er – mit einer Plastiktüte, prall gefüllt mit frischen Muscheln. Die gibt es heute Abend als Vorspeise! Ich freue mich, denn sie haben wirklich einmalig gut geschmeckt, noch mehr aber freue ich mich, dass sie heute den ganzen Tag Zeit zum Wässern haben.

Luftige Freiheit!
Conophytum minutum
Conophytum minutum











Doch als ich nach dem Frühstück mit einem Behältnis frischen Wassers vom Meer zurückkomme, hat Jochen die Schalentiere bereits wieder im Potjie versenkt und schmeckt soeben mit verzücktem Blick den Sud ab. Meine Verzückung hingegen hält sich in Grenzen – zu deutlich noch spüre ich den Sand von gestern Abend zwischen meinen Zähnen. Auch Annette wirft ein vorsichtiges „Wässern hätte aber nicht geschadet“ in die Runde, aber Jochen hält eine Entsandung für unnötig – wofür es jetzt ohnehin zu spät ist. Da wird sich vor allem Heinz sehr freuen, denn er hatte besonders schwer am Sand geschluckt! Momentan jedoch er kann kein Statement dazu abgeben, denn er ist schon wieder in den Felsen verschwunden und sucht nach Pflanzen. Seufzend mache ich mich derweil an den Abbau unseres Zeltes und verstaue anschließend mit Annette unseren Kram in den Kisten, während unsere Männer fröhlich ihren Leidenschaften frönen. Zum Aufladen jedoch sind alle wieder versammelt, rasch sind auch die letzten Dinge in den Wagen gepackt und wir fahren los.

Euphorbia caput-medusae
Euphorbia caput-medusae
Othonna sedifolia











Weit kommen wir aber nicht, denn wir müssen ja das Euphorbienfeld, das wir gestern während des Strandspaziergangs entdeckt hatten, unter die Lupe nehmen – und das war nicht weiter als drei Kilometer vom Camp entfernt. Und ja, da ist es! Ein großes Areal, flach, sandig, mit Gesträuch bewachsen – und dazwischen schmiegen sich die Wolfsmilchgewächse auf den Boden. Es sind Medusenhäupter! Ihre Wuchsform – ein zentraler „Stamm“, dem zahlreiche Triebe kreisförmig, wie kleine Schlangen, entspringen – brachte ihnen diesen Namen ein: nach Medusa, einer der Gorgonen, einem Ungeheuer der griechischen Sagenwelt, deren Haupt von Dutzenden von Schlangen umstanden war. Die Namensgebung ist tatsächlich äußerst nachvollziehbar, ungeheuerlich jedoch ist allenfalls, wie viele Medusenhäupter es hier gibt. Heinz und ich laufen in unserer Begeisterung von einer Pflanze zur anderen und entdecken dabei natürlich auch noch weitere interessante Gewächse. Stammsukkulente Pelargonien, deren dicke Gnubbelstöcke zwar blattlose Zweige, dafür aber weiße Blütchen tragen, dicke Kissen von hochsukkulenten Aizoaceen, strauchige Crassulaceen und eine nahe Verwandte der gestrigen Killerflechte. Auch sie ist von grell orangener Farbe, wächst aber auf dem Boden und tut niemandem etwas zu Leide. Und schön ist sie noch dazu: einem zarten Gespinst orangefarbener Zweiglein entspringen kleine, rote Schüsselchen, die von langen Stielen getragen werden – fast wie im Zirkus, wo Jongleure Teller auf Stangen hoch über dem Kopf balancieren.

Teloschistes capenis
Toktokkie
Euphorbia caput-medusae











Bestimmt eine halbe Stunde streifen wir durch die Dünenlandschaft und delektieren uns an der äußerst vielfältigen Flora. Doch wir sollten bald mal weiter fahren, denn es liegt eine recht lange Strecke vor uns, bis hinauf in den Nordosten, nach Skilpad. Und die verspricht interessant zu werden; am Gate hatten wir ein kleines Heftchen erhalten, in dem die sehenswertesten Stationen vermerkt sind und alleine, wenn wir ein paar von denen abklappern, sind wir schon gut beschäftigt. Ganz zu schweigen von den Dingen, die wir selbst noch zu entdecken hoffen. Also, nix wie rein ins Auto und weiter!

Tylecodon wallichii
Antimima sp.
Haemanthus coccineus











So die Theorie, die Praxis hingegen stellt sich, wie befürchtet und gleichzeitig ersehnt, deutlich anders dar. Ich sehe nicht auf den Meilenzähler, könnte aber meine Hand dafür ins Feuer legen, dass wir keine fünf Kilometer am Stück durchfahren, ohne wieder etwas Anhaltenswertes zu erspähen. Hier lockt ein Feld von Tylecodons, dort eine besonders schöne Aussicht, wenig später leuchtet uns der Blütenball eines Haemanthus, einer Blutblume, an, danach folgt eine Kolonie von roten Aloen mit hübschen weißen Tupfen, schließlich noch eine Ansammlung von Webernestern im strandnahen Schilf. Meine Güte! Es ist bereits Mittag, als wir endlich eine Station erreichen, die zwar ebenfalls nicht im Heftchen vermerkt ist, uns aber von der Rangerin ans Herz gelegt wurde: eine Seebärenkolonie.

Arctocephalus pusillus
Tiefschlaf
An Mamas Bauch











Wir sind zuerst nicht ganz sicher, ob wir die richtige Abzweigung genommen haben, bald aber sagt uns ein recht intensiver Geruch, dass wir durchaus nicht falsch liegen. Ein paar Kurven noch und unsere Augen erhalten ebenfalls die Bestätigung: in einer kleinen Bucht tummeln sich Hunderte der pelzigen Tiere, Alte, Junge, Badende und sich Sonnende. Und der Wind meint es gut mit uns, zumindest, was unsere eigene Witterung anbelangt: bis auf wenige Meter können wir uns den Tieren nähern, ohne dass sie uns bemerken. Das ist der Preis für das wenig gefällige Odeur, das uns vom auflandigen Wind nun förmlich in die Nasen gepresst wird, doch der Gestank ist rasch verdrängt, denn es ist ein unvergessliches Erlebnis, hier mitten unter den Tieren zu sitzen. Ein paar Meter vor uns zum Beispiel liegt eine wohlig dösende Mutter, deren Junges so gerne einen Schluck Milch hätte. Doch Mama fühlt sich durch die fordernd stoßende Schnauze des Nachwuchses empfindlich in ihrem Sonnenbad gestört und verweigert standhaft den Zugang zu ihren Zitzen. Der Sprössling aber gibt keine Ruhe, drängelt, quengelt, zwickt, stupst, quäkt. Schließlich gibt Mutti nach, dreht sich ein wenig zur Seite und gibt die Milchbar frei. Und so liegen kurz darauf beide Tiere in inniger Umarmung in der Sonne: Mama hat ihre Flosse schützend über das Kleine gebreitet und schlummert weiter, das Junge saugt schmatzend, mit wonniglich zum Rechteck gebogener Schnauze an den Zitzen und schließt dabei ebenfalls die Augen. Und weiter unten, in den zu flachen Pools geformten Felsen, vergnügt sich fröhlich planschend ein ganzer Kindergarten, unter scharfer, aber wohlwollender Beobachtung zahlreicher Erwachsener.

Hallo, Milchbar, aufmachen!
Körperpflege nach dem Bad
Mama und Kind











Ein bisschen fühlen wir uns hier wie illegale Eindringlinge, da wir aber offenbar für die Tiere nicht existent sind und sie somit auch nicht stören, verdrängen wir dieses Gefühl erfolgreich. Bis zu dem Zeitpunkt, als einen halben Meter neben mir, aus einer schwer einsehbaren Mulde, ein klagendes Grunzen ertönt: erschrocken beuge ich mich vorsichtig über den überhängenden Felsen, auf dem ich sitze, und blicke direkt in die verklebten Augen eines noch sehr jungen Seebären, der hier mutterseelenalleine in der glühenden Sonne liegt und sich schnaufend und stöhnend in seiner Kuhle windet. Der Kleine sieht nicht wirklich gesund aus und die Tatsache, dass er ganz alleine ist, weckt die Befürchtung in mir, dass er am Sterben, zumindest aber sehr krank ist. Jetzt fühle ich mich wirklich wie ein Voyeur! Rasch ziehe ich meinen Kopf zurück; wohl zu rasch, denn der Miniseebär erschrickt, grunzt unwillig und macht sich anschließend erstaunlich hurtig aus dem Staub – hinab zur Mama, die ihn liebevoll in Empfang nimmt. Mhm, hab ich jetzt ein krankes Tier aufgescheucht oder ein gesundes aus seinen Träumen gerissen? Wie dem auch sei; es tut mir von Herzen leid.

Erschöpfter Kindertrupp
Stille Beobachter
Laute Beobachterin











Durch dieses Erlebnis sensibilisiert, klettern wir eine halbe Stunde später, leise und äußerst aufmerksam, wieder hinauf zum Auto, wobei wir große Bögen um mehrere Jungtiere schlagen, die alleine in der Hitze liegen. Einige davon scheinen tatsächlich tot zu sein – auch das Fernglas offenbart keinerlei Brustkorbbewegungen – andere wiederum atmen offensichtlich, sind aber ansonsten wenig agil. Schwer zu sagen, welches Tier hier in welchem Zustand ist, doch zahlreiche Kadaver in unterschiedlichen Zersetzungsstadien, gerade in den oberen Regionen der Bucht, sprechen Bände. Im Prinzip ist ja der Tod nichts Schlimmes, er ist Bestandteil des Lebens, er ereilt jeden, den einen früher, den anderen später. Dennoch empfinde ich das Sterben als etwas ganz Intimes, bei Mensch und Tier gleichermaßen – und möchte deshalb nicht uneingeladenerweise als Zuschauer fungieren. In Gedanken entschuldige ich mich deshalb bei den kleinen Seebären, besonders bei dem einen, dem ersten, und bin ganz froh, diesen Ort wieder verlassen zu können. Doch trotz dieser Empfindungen war es ein magischer Platz: wir, ganz alleine mit den Tieren, weitestgehend unbemerkt. Wir durften sie beim Planschen, beim Säugen, beim Sonnenbaden beobachten und auch, wie sie miteinander umgehen. Und aufgrund der amphitheater-artigen Architektur dieser kleinen Bucht, der Überschaubarkeit der Kolonie und ihrer relativen Abgelegenheit war das sicher ein wesentlich intensiveres Erlebnis, als zum Beispiel ein Besuch von Cape Cross, der bekanntesten und größten Ansammlung dieser Tiere. Und auch der Gestank war vergleichsweise gering…

Weiter nach Norden!
Spoeg River Mouth
Sarcocornia natalensis











Als dankbare Gäste verabschieden wir uns und nehmen nun die nächste, die erste „offizielle“ Station ins Visier: „das malerische Spoeg-River-Estuary ist ein hervorragender Platz zur Vogelbeobachtung, insbesondere von Watvögeln. Die Höhle selbst stellt zudem einen historisch und kulturell bedeutenden Ort dar, an dem man über zweitausend Jahre alte Zeugnisse der frühen Schafhaltung sicherstellen konnte.“ Sagt das Heftchen. Naja, schaun wir halt mal. Über sandige Pfade kurven wir hinab zu dieser Flussmündung. Halt, halt, stopp! Was? Da steckte eine aufgespießte Maus in einem Busch! Echt?!? Ok, die Stelle merken wir uns für den Rückweg, es fährt sich so schlecht rückwärts auf diesem tiefsandigen Weg. Heinz und ich versuchen verzweifelt, uns die herausragenden Marker dieser bestimmten Stelle einzuprägen. 72, oder waren es 76 Kurven später – die Maus ist kurzfristig fast vergessen – nehmen wir erneut, nach einem größeren Bogen über Land, Kurs auf die Küste. Und die präsentiert sich hier so ganz anders als gewohnt. Es ist keine felsige Bucht mit Brandung, es ist kein Sandstrand, es ist keine Steilküste – nein, es ist das Delta des kleinen Flusses Spoeg. Der Spoeg River bildet ein flaches Schwemmtal, mehrarmig, natürlich nicht vergleichbar mit dem Delta einer Donau oder Wolga. Dennoch ist der Anblick einzigartig: ein Flusskegel, wasserführend und von tiefem Blau, ergießt sich in einen türkisfarbenen Streifen am Rande des Atlantischen Ozeans und seine Gestade sind gesäumt von tiefroten, fahlroten, braunen und grünen Streifen farbenfroher Vegetation. Wie das Werk eines phantasiereichen Malers liegt diese Flussmündung vor uns. Es ist unglaublich! Je näher wir der Mündung allerdings kommen, desto mehr verschmelzen die einzelnen Farben, desto diffuser wird das Landschaftsgemälde. Dafür aber kann man endlich auch erkennen, welche Pflanzen für diese tiefe, intensive Rotzeichnung verantwortlich sind: Sarcocornias. So etwas hatten wir bereits in der Knersvlakte gesehen, winzig – hier jedoch sind die außergewöhnlichen Pflanzen mächtig, strotzend, groß, zahlreich und wahnsinnig dominant.

Die Höhle von aussen
Heinz schaut rein
Ja, Gusti, bist auch schön!











Ein Grund, sich näher damit zu beschäftigen, nehme ich mir vor, doch meine Recherchen fallen nicht sonderlich fruchtreich aus: Amaranthgewächse, weltweit verbreitet, halophytisch (also salztolerant), Taxonomie unklar. Schade, da hätte ich mir mehr erhofft und kann es gar nicht fassen, dass über diese farbenfrohen, auffälligen Pflanzen so wenig bekannt ist. Andererseits würde ich wohl eine neue Baustelle eröffnen müssen, um auch noch zur Sarcocornia-Kundigen zu werden, wären diese besser erforscht. Deshalb bin ich recht dankbar und genieße lediglich Form und Farben, ohne gleich wieder tiefer einzusteigen. Einsteigen tun wir jetzt aber trotzdem, und zwar in die angekündigte Höhle, die von außen aussieht, als blicke man in die Nasenlöcher einen schlafenden Riesen. Von innen hingegen ist sie wenig spektakulär – eine recht große, zweigeteilte Kammer, gut ausgeleuchtet durch das durch die Nasenlöcher dringende Tageslicht – und beherbergt nur zahlreiche alte Schwalbennester, ein paar Touristenschmiereien an den Wänden, ein bisschen Müll. Das war's. Na ja, immerhin haben wir, die wir ja recht einseitig interessiert sind, heute unseren kulturellen Teil abgeleistet; das kommt selten genug vor und kann ja mal nicht schaden…

Nur schließen, nicht klauen!
Drosanthemum sp.
Malephora crocea











Allerdings reicht das für diesen Tag, schließlich wartet noch die aufgespießte Maus auf uns, die Quarzflächen bei Riethuis und sicher noch einiges mehr. Also machen wir uns auf den Rückweg, zählen Kurven, renken uns die Hälse aus, können die Maus jedoch nicht mehr ausfindig machen. Annette und Jochen bedauern das sehr, denn sie hätten unsere Sichtung gerne mit eigenen Augen gesehen. „Da habt ihr euch sicher verkuckt! Wer oder was soll denn eine Maus aufspießen – und warum?“„Das ist typisch für Würger. Die größeren unter diesen Vögeln fressen nicht nur Insekten, sondern vergreifen sich auch an kleineren Singvögeln und Wirbeltieren. Was von der Mahlzeit dann übrig bleibt, wird aufgespießt oder eingeklemmt. Solche Depots kann man sogar bei uns zuhause hin uns wieder entdecken – dafür ist der sogenannte Neuntöter verantwortlich.“, doziert Heinz. Unsere Freunde lauschen ungläubig, können es kaum glauben – und wir können fast nicht glauben, dass die beiden noch nie davon gehört haben. Deshalb ist es besonders schade, dass wir die arme Maus nicht mehr finden, wäre sie doch ein ideales Anschauungsobjekt gewesen. Was wir noch nicht ahnen: in ein paar Tagen werden wir nicht nur ein Würger-Opfer finden, sondern sogar live dabei sein, während ein Fiskalwürger Beute macht. Ein ganz besonderes Erlebnis!

Riethuis-Gebiet
Die alte Farm
Raubfliege











Doch auch der Namaqua Nationalpark hält noch das ein oder andere für uns bereit. Auf unserem Weg nach Riethuis zum Beispiel treffen wir völlig unvermittelt auf einen Zaun nebst dazugehörigem Gatter, das wir höflich nach Durchfahrt zu schließen gebeten werden, statt es zu stehlen. Die schriftliche Bitte, handgepinselt auf einem Blechschild, ist ja schon kurios genug, noch verwunderlicher aber ist die Existenz eines Zauns und eines Gatters – mitten im Nationalpark! Doch unser Heftchen gibt Auskunft: im Jahre 1998 wurde der Park gegründet und umfasste damals 900 Hektar im Gebiet von Skilpad. Heute ist das Schutzgebiet bereits auf 150.000 Hektar angewachsen, und schließt nun auch Küstenregionen, Wetlands, Flüsse und Dünen mit ein. Doch das Ziel sind 620.000 Hektar bis 2014. Nun, das scheint etwas utopisch. Nichtdestotrotz mussten auch für das jetzige Nationalparkgebiet bereits diverse Farmer weichen, deren Kaufverträge jedoch einigen eine Übergangsphase bis zur endgültigen Aufgabe der landwirtschaftlichen Betriebe einräumten. Das Gate, durch das wir gerade gefahren sind (ohne es zu entwenden), gehört also zu einer der noch bewirtschafteten Farmen auf Nationalparkgebiet.

Sarcocaulon ciliatum
Malephora crocea












Das ist eine Thematik, über die man sich in der Regel wenig Gedanken macht – ein Nationalpark war vor seiner Gründung nicht zwingend unbewohnt, im Gegenteil. Natürlich weiß der geneigte Tourist von einigen Umsiedlungsmaßnahmen, von Restriktionen, die den ehemaligen Bewohnern solcher Gebiete aufoktruiert wurden. Man nehme die Massai, oder, wesentlich tragischer, die San, die dem CKGR zum Opfer gefallen sind. Das sind bekannte Fälle. Doch hier und heute durch privates Farmland zu kurven, das bald keines mehr sein wird, bringt mich in sehr unmittelbarer Weise zum Nachdenken. Wie fühlt sich solch ein Betroffener? Wieviel Entschädigung steht ihm zu, was kann er sich davon kaufen, findet er adäquates Ersatzland, sattelt er beruflich um, nimmt er wehmütig Abschied vom Familienbesitz oder begrüßt er die Zwangs-Chance? Klar, bei einem Besitz wie diesem, den wir gerade durchfahren, können wir von einem weißen Farmer ausgehen, der sicher nicht in the Middle of Nowhere rechtelos weiterleben wird – dennoch. Auch weiße Großgrundbesitzer haben Gefühle…

Crassula elegans
Crassula muscosa
Salsola sp.











Während ich derartigen Gedanken nachhänge, erreichen wir bereits ein weiteres Farmhaus, das allerdings schon vor längerer Zeit aufgegeben wurde. Unter ähnlichen Umständen? Ich weiß es nicht. Was ich aber weiß, weil das Heftchen es kurz beschreibt: hier müssen wir uns links halten, um „das Kernland des sogenannten Riethuis Quarz“ zu erreichen, das eine einmalige, seltene Flora sukkulenter, quarzaffiner Pflanzen beherbergt. Musik in unseren Ohren!

Unser Quarzparadies
Crassula alstonii
Aloe krapohliana











Im Prinzip reicht schon alleine der Begriff „Quarzfläche“ völlig aus, um unseren Puls zu beschleunigen und ein leichtes Rot der Vorfreude auf unsere Wangen zu zaubern. Diese Gebiete nämlich sind ganz besondere Standorte für ganz besondere Sukkulenten. Während das Umfeld solcher Flächen eher von strauchigen, aufrecht wachsenden Sukkulenten, Gräsern oder nichtsukkulenten Sträuchern bevorzugt wird, dominieren auf Quarzflächen die kompakten, bodennahen Blattsukkulenten. Studien haben ergeben, dass das unter anderem an ganz speziellen klimatischen Gegebenheiten liegt, deren Ursache in der Farbe der Quarzsteine begründet liegt. Die weißlichen Grusstücke nämlich beeinflussen die Temperaturentwicklung der bodennahen Luft und der Bodenoberflächen - somit also auch die Temperatur der Pflanzen selbst. Die reflektierenden Eigenschaften des Quarzes halten die bodennahe Luft um bis zu fünf Grad kühler als die angrenzender, nicht von Grus bedeckter Flächen. Die unmittelbare Bodentemperatur hingegen weicht im Vergleich dazu nur an heißen Sommertagen um ein paar Grad nach unten ab - im Winter jedoch ist sie um bis zu sechs Grad höher als auf quarzfreien Flächen. Zudem wirkt sich der Quarzbelag durch Herabsetzung der Evaporation und die Vergrößerung der Kondensationsfläche positiv auf den Wasserhaushalt des Oberbodens aus, sodass besonders Zwergpflanzen mit oberflächennahen Wurzeln von diesen Gegebenheiten profitieren. Eine Mini-Klimaanlage also, die ideale Wachstumsvoraussetzungen für die von uns so geliebten, gedrungen wachsenden Winzlinge - viele Endemiten inklusive - schafft.

Conophytum bilobum
Crassula columnaris
Crassula elegans











Das Gebiet, das wir jetzt besuchen werden, ist, selbst unter Pflanzenliebhabern, zwar noch weniger bekannt als die Knersvlakte, stellt aber eines der lediglich sechs Phytochorien (Pflanzenreiche) der Quarzflächenflora des südlichen Afrika dar. Diese umfassen die Knersvlakte, die Kleine Karoo, das nördliche und südliche Richtersveld-Gebiet, das Buschmannland-Warmbad-Areal und eben das Riethuis-Wallekraal-Gebiet, in dessen Herzen wir gerade unseren Wagen abstellen und freudigen Schrittes losstürmen. Und wieder mal werden wir nicht enttäuscht! Langsam schrauben wir uns einen steilen Hügel nach oben, verlieren uns immer wieder aus den Augen, können uns jedoch jederzeit problemlos akustisch orten: im Minutentakt erklingen entzückte Quietscher, erfreute Schreie und begeisterte Rufe hinter den Felsen hervor, im Minutentakt entdecken wir Neues, Altbekanntes und Unbekanntes gleichermaßen. Hier eine besonders kompakte, blühende Crassula, dort ein Conophytum, da eine kleine Zwiebelpflanze, dort drüben eine Aloe und, und, und... Sagenhaft! Heinz und ich vergessen Zeit, Raum – und irgendwie auch unsere Freunde. Vor lauter Entzücken haben wir nicht mitbekommen, dass diese, nach einer guten Stunde unseres Umherkrabbelns, anscheinend bereits den Rückweg angetreten haben und schon eine ganze Weile beim Auto auf uns warten. Als ich mich aber, zum Zwecke der Blasenentleerung, kurz um einen Felsen herumschwinge, entdecke ich drunten im Tal zwei sich bewegende Punkte, die verdächtig nach Annette und Jochen aussehen. Mhm, vielleicht sollten auch wir beide uns allmählich mal wieder nach unten bewegen, ehe die Geduld unserer Reisegenossen am Ende ist, bevor unsere botanischen Leidenschaften so richtig ausbrechen... Schließlich liegt da noch das Richtersveld vor uns - und das ist florale Extrem-Hardcore-Area!

Kleine Schatten-Pause
Einsame Oryx
Weiter geht’s!











Das Riethuis-Gebiet steht zwar dem Richtersveld, wie wir sehen konnten, eigentlich in nichts nach, leidet aber etwas unter unserem Zeitdruck. Der schränkt unseren Bewegungsradius bedauerlicherweise so ein, dass wir eben nur diesen einen Hügel erkunden konnten. Wer weiß, was da noch alles auf und hinter den anderen Erhebungen verborgen liegt... Doch nächstes Jahr werden wir wohl wieder hier sein und dann planen wir es so, dass wir hier etwas mehr Zeit zum Rumstromern haben. Jetzt streichen wir halt zwangsweise die Segel, ein wenig wehmütig zwar, jedoch durchaus einsichtig. Unsere Freunde danken es uns, begrüßen uns freudig und verfrachten uns ins Auto, das zur Weiterfahrt bereit steht. Tja, welchen Weg nehmen wir jetzt? Den langen über den nördlichen Teil des Parks oder die östliche Abkürzung über Soebatsfontein, außerhalb der Parkgrenzen? Ein Blick auf die Uhr enthebt uns jeglicher Entscheidung: es ist schon relativ spät und gerne möchten wir vor Einbruch der Dunkelheit in unserem heutigen Quartier ankommen. So also nehmen wir an der nächsten Gabelung die östliche Tangente, verlassen den Park und kurven zügig über privates Farmland. Landschaftlich verändert sich hierbei wenig, dennoch ist es unglaublich, wie sehr die Flora ganz offensichtlich unter der Bewirtschaftung leidet: wir sehen keine Rinder, keine Ziegen oder sonstiges Getier, das dem Farmer Geld einbrächte, trotzdem aber ist die Vegetation „platt“. Gut, wir steigen nicht aus und haben keine Gelegenheit, das zu verifizieren, doch alleine der Blick aus den Autofenstern ist recht aufschlussreich: Felsen, Sand, Sträucher. Da blitzt nichts Verlockendes auf, nichts, gar nichts.

Wir nähern uns...
...Skilpad
Aussicht vom Chalet











Der Ort Soebatsfontein selbst setzt dem Ganzen dann die Krone auf. Hier möchte ich nicht mal tot über dem Zaun hängen! Gut, es ist ein entlegenes Kaff, zudem umarmt von einem Nationalpark, das Klima ist harsch bis unfruchtbar - es ist also ein extrem strukturschwaches Gebiet. Trotzdem! Eine Strafe Gottes, hier wohnen zu müssen. Wir müssen das Gott sei Dank nicht - nein - wir dürfen heute wieder rein in den Nationalpark und unsere beiden gebuchten Bungalows in Skilpad, dem Hauptcamp, beziehen. Zwar wissen wir noch nicht, was uns da erwartet, doch es wird wohl besser sein, als das elende Kaff, das wir gerade hinter uns bringen! Ja, und so ist es. Kaum haben wir den Park erneut geentert, werden wir von einer Schar Erdmännchen begrüßt, die uns aus der Ferne, dennoch deutlich sichtbar, willkommen heissen. Hallo, ihr wuseligen Gesellen, schön, euch zu sehen! Rasch flitzt der Trupp weiter - wie auch wir. Kurz vor 17.00 Uhr treffen wir, nach einer kleinen Pass-Straße, dann endlich in Skilpad ein, erledigen die nötigen Formalitäten und nehmen anschließend sofort Kurs auf unsere gebuchten Chalets. Und diese rauben uns beinahe den Atem: da liegen vier dieser Häuschen auf einer Anhöhe, die einen weiten Blick in die bergige Landschaft dieses Parkteils ermöglicht. Die Sonne schickt sich soeben zu ihrem allabendlichen Untergang an und wir sind wie gefesselt: Hügelkette um Hügelkette staffelt sich hintereinander, schichtet sich in unglaublichen Farbabstufungen schwarzer, blauer und rötlicher Töne gen Horizont, sanft wogen lanzettblättrige Büsche wie Scherenschnitte vor dieser phantastischen Kulisse, eine Wolke formiert sich zu ständig wechselnder, immer unglaublicherer Gestalt. Irre!














Wir verteilen uns rasch auf zwei der Chalets, haben jedoch kaum einen Blick für deren Interieur - was wir aber sehen, ist Luxus pur - und treffen uns anschließend erneut, bei Annette und Jochen, um diesen Moment bei einem gemeinsamen Abendessen zu zelebrieren. Das allerdings müssen wir selbst kochen – trotz des uns umgebenden Luxus’. Zwar gibt es hier auch ein Restaurant - das jedoch hat, wie wir schon bei unserer Ankunft feststellen durften, wegen Renovierung geschlossen. Doch als geübte Selbstversorger haben wir natürlich genügend Verpflegung dabei – sogar so (angeblich) urdeutsches Gemüse wie Weißkohl. Ein ganzer Kopf davon schaukelt seit einigen Tagen in unserem Laderaum herum und möchte allmählich seiner Bestimmung zugeführt werden. Was aber machen wir daraus? Heinz steckt seinen Kopf prüfend in den Kühlschrank im Auto und zieht triumphierend ein Päckchen Schinkenspeck hervor. Wir kreieren lauwarmen Krautsalat! Eifrig machen Heinz und ich uns ans Schnibbeln und Zubereiten, während Jochen schon mal den Indoor-Grill anheizt: ein mehrrostiger Feuerplatz, mitten im Wohnzimmer, eingelassen im Kamin - Beleuchtung inklusive! Diese Chalets sind wirklich vom Feinsten: die Küche hervorragend ausgestattet, die Möblierung geschmackvoll-gemütlich, der Sanitärbereich gepflegt und großzügig, ihre Lage ideal; das Beste aber ist definitiv eine dem Sonnenuntergang zugewandte, voll verglaste Terrasse, deren Fenster und Türen sich komplett zur Seite schieben lassen. Auf diesem Panorama-Freisitz decken wir nun liebevoll den Tisch und genießen in aller Ruhe das Farbenspiel des verglühenden Tages; der lecker duftende Krautsalat kühlt indessen gemächlich ab, das Feuer im Kamin brennt zur Bilderbuch-Grillglut herunter und wir knipsen uns derweil die Finger wund... Als der letzte Schein des Sonnenballs schließlich am Horizont verloschen ist, hält die Kühle der Nacht Einzug, die wir aber kurzerhand durch das Verschließen der Terrassenverglasung aussperren und so ein königliches Dinner in kuschelig-warmem Ambiente zu uns nehmen können. Ein perfekter Ausklang für einen ereignisreichen, nicht weniger perfekten Tag!


Weitere Impressionen des Tages:


Cephalophyllum sp. (?)
Crassula barklyi
Käfer, bleib stehen!











Conophytum minutum
Othonna sedifolia
Haemanthus coccineus











Euphorbia caput-medusae

Cephalophyllum sp.







































Crassula elegans
Crassula elegans












Tylecodon reticulatus
Aloe melanacantha
Erdmännchen-Horde












C. brevifolia (links)
C. grisea vs. C. brevifolia

























Skilpad Küche
Skilpad Kamin
Skilpad Schlafzimmer

























H. coccineus
O. sedifolia
A. arenicola
A. arenicola

















T. wallichii
C. elegans
S. natalensis
C. alstonii

















Bulbine sp.
C. muscosa
C. bilobum

19. März 2013, Skilpad > Richtersveld Nationalpark, Potjiespram

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Ein letztes Sahnehäubchen hatten wir dem gestrigen Tag noch aufgesetzt: Heinz und ich haben uns sehr bald nach dem Abendessen in unser eigenes Chalet zurückgezogen, um in aller Ausgiebigkeit den Luxus einer en-suite-Dusche und eines flauschig-weichen Bettes zu genießen, das wir nicht selbst aufbauen mussten. Die kleinen Freuden eines ansonsten fast ausschließlichen Zelturlaubs, die sogar wir, als eingefleischte Camper durchaus zu schätzen wissen! Und derartige Zuckerl entschädigen uns quasi vorab – für heute: diesen 19. März nämlich haben wir in unserem Urlaubsplan rot markiert - als zähen, langen, aber leider unvermeidlichen Fahrtag. Nach dem Frühstück stellen wir uns ergeben unserem bevorstehenden Schicksal und klettern ins Auto, nicht ohne noch einen letzten, sehnsuchtsvollen Blick auf die hinter der Kurve schwindenden Chalets geworfen zu haben.

Noch auf Nationalparkgebiet
Farmland
Die N7 hat uns wieder











Dann geht sie los, die Tor-Tour; rund 400 Kilometer liegen nun vor uns, lange, öde, gleichförmige vierhundert Kilometer, die dankbarerweise größtenteils über Teer führen. Allerdings sind solche Teerstrecken ein recht zweischneidiges Schwert, denn einerseits geht es auf glattem, kurvenarmem Untergrund logischerweise rasch voran, andererseits aber sind solche Pads einfach nur schnarchlangweilig und erfordern höchste Konzentration vom Fahrer. Doch auch wir Mitfahrer können uns nur mühevoll wachhalten: die Landschaft fliegt an uns vorbei, an und für sich schöne Farben und Formen verschmelzen zu einem uninteressanten Sichtbrei, während uns uns nach wie vor die Zeit im Nacken sitzt. Wir möchten, wir wollen, wir müssen heute noch den Richtersveld Nationalpark erreichen, wo wir einen Platz am De Hoop-Camp gebucht haben: da aber müssen wir erst mal hinkommen...

Zur Abwechslung: Ortschaft
Steinkopf City
Fußballplatz in Steinkopf











Kaum haben wir also den Namaqua Nationalpark verlassen und einige wenige Staubkurven hinter uns gebracht, erreichen wir die N7, das Teerband, das Kapstadt mit Namibia verbindet. Mann, wie oft war ich hier schon unterwegs – jedoch immer nur auf der Durchreise. Mal um Mal hatte ich mir aufs Neue geschworen, auf dieser Strecke demnächst innezuhalten, mich umzuschauen, denn es ist, botanisch gesehen, eine höchst interessante Gegend. Doch wie der Teufel eben will, heizen wir auch heute durch, stoppen erstmals in Springbok, einem vergleichsweise kleinen Kaff - für deutsche Verhältnisse. Im nördlichen Namaqualand jedoch rangiert Springbok unter den Großstädten, ist einer der wenigen Dreh- und Angelpunkte der Zivilisation. Hier gibt es Tankstellen (diverse), Supermärkte (mehrere), viel Verkehr, noch mehr Menschen und all das vereint sich zu einem betriebsamen Gewusel, das ich ganz schrecklich finde - besonders jetzt, nach den Tagen der Menschenleere und Abschiedenheit. Aber es geht nicht anders: wir müssen hier unsere Vorräte aufstocken, schließlich sind wir die nächsten Tage fernab jeglicher Versorgungsmöglichkeiten und da muss an alles gedacht werden. Annette zückt unsere Liste, ein ständig wachsendes Dokument, das wir nun abermals durchgehen und hier und da ergänzen, bevor wir unser Auto auf dem brechend vollen Parkplatz eines Spar-Marktes abstellen. Meine Güte, in den Laden müssen wir nun rein, mit unserer Liste, die mir ellenlang erscheint: vier Tage Richtersveld erfordern einiges an unabdingbarer Grundversorgung wie Fleisch, Käse, Brot, Gemüse und Wasser. Allein von Letzterem benötigen wir drei Liter pro Person und Tag – was in der Summe schon mal 48 Liter ausmacht, Minimum. Dann kommen noch Leckerlis wie Wurst, Bier, Saft, Wein, Obst und Kekse dazu. Und all das muss nun eingemarktet und anschließend ins Auto gestapelt werden - rüttelsicher, verbrauchslogistisch klug und teilweise auch kühl. Schon zuhause, in meinem gewohnten Stadtumfeld, ist so ein Großeinkauf fürchterlich ätzend für mich: bah, wie ich es hasse, dieses Gestaple in den Einkaufswagen, das Aufs-Band-Räumen, das erneute Geschlichte in ein passendes Beförderungs-Behältnis, den anschließenden Transport ins traute Heim, dem sich ein gnadenloses, abermaliges Geräume anschließt. Hier aber, ohne geräumige Wohnung und spatiösen Kühlschrank, ist Einkaufen in solchen Dimensionen der wahre Horror - zumindest für mich.

Frustriert trotte ich mit meinen Freunden in den Supermarkt und bereite mich innerlich auf die kommende Seelenqual vor. Wir schnappen uns einen Einkaufswagen (reicht der?) und beginnen unseren Weg der Listenabarbeitung. Gemüse hier, Nudeln da, Brot dort. Mitten im laufenden Besorgungsvorgang bleibe ich an einem Regal mit Haushaltswaren kleben, das seltsamerweise eine magische Anziehungskraft und zugleich eine beruhigende Wirkung auf mich ausübt. Langsam schlendere an den bunten Plastikbehältern, den Stahlschüsseln, den Küchengeräten und schließlich den Putzmitteln vorüber und male mir im Geiste aus, wozu wir mindestens die Hälfte dieser Gegenstände gar trefflich auf unserer weiteren Reise gebrauchen könnten. Einen Edelstahlbräter als Vogeltränke, einen Fensterwischer zum Autoscheibenputzen, den Hightech-Dosenöffner als Ersatz für unseren altgedienten, der schon deutlich Sand im Getriebe hat, für jeden eine eigene kleine Salatschüssel und auch noch ein Windlicht, eine Kerze, ein Kartoffelstampfer…

Ha, da würden meine Freunde aber Augen machen! Allerdings nicht vor Begeisterung, sondern eher vor Besorgnis über meinen geistigen Zustand, fürchte ich. Denn unser Stauraum im Wagen ist ohnehin schon sehr knapp bemessen - würde ich jetzt auch noch mit dem ganzen Krempel anrücken, hätten wir ein echtes Problem. Das ist mir natürlich völlig klar, dennoch verspüre ich gerade eine Art von unwiderstehlichem Kaufzwang, der befriedigt werden will. Es wird sich doch, Herrschaft nochmal, irgendetwas finden; etwas Kleines, Nützliches, Hübsches, Buntes... Vor meinem inneren Auge lasse ich einen unserer üblichen Tagesabläufe vorbeiziehen: aufstehen, frühstücken, abspülen, packen, eincremen, losfahren. Weiter muss ich nun gar nicht mehr denken, denn auf Anhieb fallen mir zwei Dinge ein, auf die ich in Zukunft unter keinen Umständen mehr verzichten werde können: seit Jahren schon nervt mich zum Beispiel, dass ich meinen morgendlichen Tee oder Kaffee vor dem Spülen getrunken haben sollte. Dabei wäre es so gemütlich, nach dem Packen noch eine weitere Tasse zu genießen. Geht aber nicht, denn dann vergisst man früher oder später, die Tasse einzupacken oder sie geht unterwegs verschütt. Zudem schwappt beim anschließenden Fahren auf holperiger Piste das heiße Gebräu unkontrolliert über Hände, Oberschenkel und Autositze. Ein geräumiger, eigener, selbst bezahlter Thermobecher mit Schraubdeckel und Trinköffnung muss also her. Gesucht, gefunden! Dass es ein deutsches Fabrikat ist, das ich locker von zuhause hätte mitbringen können - und sicher auch wesentlich preiswerter - stört mich nicht im Geringsten. Der zweite Gegenstand, ein Microfasertuch zum Reinigen meiner Brillengläser, ist ebenfalls rasch ausfindig gemacht. Das Tuch ist zwar so groß, dass es zum Putzen eines ganzen Badezimmers ausreichen würde, aber auch das trübt mein Shopping-Glück in keinster Weise. Strahlend mäandere ich mit meiner Beute nun durch die Regalfluchten, um wieder zu meinen Freunden aufzuschließen und wenigstens bei den weiteren Besorgungen behilflich zu sein.

Vom Anenous Pass...
... über Land ...
... Richtung Ozean











Allerdings, so stelle ich mit schlechtem Gewissen fest, stehen Annette und Jochen bereits an der Kasse und packen die Einkäufe aufs Band. Hinter ihnen warten auch schon andere, gut beladene Kunden, sodass ich gerne darauf verzichte, mich hier durchzudrängeln und alibimäßig Beistand zu leisten. Stattdessen steuere ich lieber eine „Wenig-items-Kasse“ an, zahle rasch meine persönlichen Errungenschaften und helfe anschließend beim logistisch klugen Verstauen unserer neuen Vorräte in vom Supermarkt bereitgestellte Plastiktüten. Puh, Teamgesicht gewahrt... Also, hier die zu kühlenden Sachen, dort die sperrigen, da die haltbaren und zu guter Letzt die Wasserflaschen. Diese werden mir dann plötzlich von Heinz aus den Händen genommen und in den Einkaufswagen zurückgestapelt. Ach ja, Heinz! Wo war der eigentlich die ganze Zeit? Eine Stange Zigaretten und zwei Zeitschriften unter seinem Arm sprechen Bände: er hatte sich ebenfalls ausgeklinkt... Jetzt aber sind wir alle wieder vereint und rollen den schwer beladenen Wagen zum Auto, wo wir, Heinz und ich, schon mal mit dem Verräumen beginnen, während Annette zum Bottle Store eilt, um auch noch die benötigten Sundowner-Alkoholika zu besorgen. Jochen hingegen gönnt sich derweil eine Zigarette und lässt uns in aller Seelenruhe schuften - ausgleichende Gerechtigkeit! Dann kehrt Annette mit den alkoholischen Getränken zurück, die allerdings nur noch mit viel Mühe und Gestopfe untergebracht werden können. Schließlich ist alles im Auto - mehr schlecht als recht, mehr streitend als friedlich, aber immerhin - nix wackelt, nix trudelt, nix wandert. Kann es auch nicht, denn wir sind voll bis unters Dach. Und obwohl wir all das Zeug brauchen, wir uns wie blöd aufs Richtersveld freuen, so stellen wir dennoch mal wieder fest, wie widerwillig wir solche Einkäufe tätigen, wie sehr uns das stresst, wie latent aggressiv uns derartige Vorbereitungs-Aktionen machen. Unumgänglich, aber eben trotzdem tierisch ätzend. Also nichts wie weg von hier, der erneuten Einsamkeit entgegen!

Einfahrt Port Nolloth
Uferpromenade
Rustikales Restaurant











Minuten später sind wir, erleichtert durchatmend, erneut auf Piste, raus aus Springbok, unterwegs nach Steinkopf, das wir rund vierzig Kilometer danach erreichen. Hier geht es nun links, Richtung Westen, über den Anenous Pass, dessen gut ausgebaute Kurven und spektakuläre Aussichten mich, wie auf der letzten Tour bereits, abermals begeistern. Allerdings ist es diesmal erheblich trockener und somit auch karger als vor zwei Jahren um die selbe Zeit. Das hat, neben Heinz' und meiner persönlichen Enttäuschung, die wir bedauernd zur Kenntnis nehmen, dennoch auch einen wirklichen Vorteil: wir preschen durch, ohne anzuhalten, ohne auch nur einmal das Gefühl zu haben, etwas zu verpassen. Stattdessen blättert Heinz interessiert in seinen neu erworbenen Magazinen und vertreibt uns die Zeit auf den nächsten neunzig Kilometern bis Port Nolloth, indem er uns diverse Artikel, den Fahrlärm übertönend, vorliest. Gut informiert über Glanzstare des südlichen Afrika, die umfassende Gattung der Sperlingsvögel und mehr oder weniger effektvolle Schutzmaßnahmen für seltene Federträger der südlichen Hemisphäre, laufen wir schließlich in Port Nolloth ein - und haben Hunger.

Museum in Port Nolloth
"Zwergenschule"
Straßenszene











Es ist bereits früher Nachmittag - ein Zeitpunkt also, der unsere knurrenden Mägen durchaus legitimiert. So suchen wir nach einem Etablissement, das schmackhaftes Essen anbietet. Fastfood allerdings sollte es schon sein, denn eilig haben wir es immer noch. In Blickweite des Meeres werden wir schließlich fündig: eine Fisch-Fritten-Schnell-Ess-Bude, die hauptsächlich Pommes, begleitet von frittierten Tagesfang-Fisch-Filets, anbietet; Fresh fish (catch of the day) and fries to go, so sagt das Schild. Ein Widerspruch in sich, sagt der gesunde Menschenverstand. Egal, wir bestellen das jetzt. Der Menschenverstand, beziehungsweise dessen Vorahnung aber obsiegt. Doch es werden nicht nur unsere leisen Vorahnungen erfüllt, nein, man beglückt uns auch sonst auf ganzer Linie: der Fisch ist geschmacksarme Tiefkühlware aus fernen Gewässern, die Fritten sind weich und fetttriefend. Mit derartigen Kulinaria hatten wir ja teilweise gerechnet, nicht jedoch damit, auf die Fertigstellung der Fast-Food-Bestellung eine geschlagene halbe Stunde warten zu müssen. Als wir diese dann doch endlich in Händen halten und am Strand zum Essen auspacken, müssen wir zu allem Übel auch noch entdecken, dass die Tüte lediglich drei Portionen enthält, obwohl die Rechnung vier davon ausweist und wir diese auch bezahlt haben. Jetzt ist unsere Laune aber wirklich am Tiefpunkt angelangt.

Schulkinder
An der Tanke
Biltong-Laden











Mann, ist das ärgerlich! Aber nochmal zur Frittenbude fahren, eine Portion nachbestellen und wieder ewig warten, ist auch Blödsinn. Also bleibt nur teilen. Annette und Jochen schlagen vor, eine Portion mit Anteilen der ihrigen zwei aufzustocken und die könnten Heinz und ich uns dann teilen; doch genau diese gut gemeinte Offerte stößt Heinz, der gerne seine eigene Tüte hätte, es aber nicht sagt, sauer auf - und er lehnt dankend ab. Ich wundere mich und bin ebenfalls leicht angesäuert, denn ich werde hierbei nicht gefragt. Aber egal, wenn er meint. Also teilen wir beide eine Einzel-Portion, die ich samt Beutel in einer kleinen Felsspalte abstelle, die sich genau zwischen unseren Sitzplätzen befindet. Kaum haben wir uns jedoch gemütlich eingerichtet, tauchen diverse Möwen auf. Die Vögel umrunden uns fordernd und ich erliege sofort ihrem gefräßigen Charme. Immer wieder greife ich in unseren Essensbeutel, schiebe mir ein Stückchen Fisch in den Mund, werfe nebenbei den bettelnden Federtieren eine Fritte hin und freue mich daran, wie geschickt die Tiere die Häppchen auffangen. Dabei entgeht mir jedoch völlig, dass Heinz, immer noch gefangen in seinem unausgesprochen Groll, so gut wie nichts isst. Ich hingegen futtere und füttere fröhlich vor mich hin, total abgelenkt, als Heinz urplötzlich beschließt, auch ein paar Bissen essen zu wollen.

Chroicocephalus hartlaubii
Larus dominicanus
Chroicocephalus cirrocephalus











Doch bis auf wenige labberige Fritten und ein kleines Stückchen Fisch ist nichts mehr im Beutel. „Ja, danke, Hauptsach’ die Möwen hatten genug!“, zischt Heinz mich an. Uih, jetzt ist mein Schneck aber richtig sauer! Ich bin mir zwar irgendwie keiner, gleichzeitig jedoch jeder Schuld bewusst: ich habe alles weggefressen, die Vögel nebenbei noch generös versorgt - aber leider nicht auf Heinz geachtet. Tja, so war es. Verantwortlich für diese angespannte Stimmung aber ist, meiner Meinung nach, der lange Fahrtag, unter dem wir alle leiden. Man wird unaufmerksam, reizbar, störrisch, ist genervt, reagiert empfindlich. Und fallen unter solchen Umständen Begebenheiten zusammen, wie eben jene seit unserer Ankunft in Port Nolloth, dann gibt es Opfer. In diesem Falle bin ich schuld, obwohl auch ich nur ein Opfer der Umstände bin. Das lässt sich jedoch vorerst nicht mehr geradebiegen. Schneck schmollt, ich fühle mich missverstanden, Annette und Jochen sehen sich gänzlich unbeteiligt, spüren die Missstimmung aber dennoch und jeder gibt jemand anderem die Schuld. Mann, wie kompliziert! Lasst uns doch bitte einfach weiterfahren und diesen Tag rumbringen. Bald hat uns der Busch wieder und da ist die Welt hoffentlich in alter, harmonischer Ordnung!

Strand von Port Nolloth
Sieht nur idyllisch aus...
Carpobrotus edulis











Zügig bringen wir also schlechter Laune die Teerstrecke Richtung Alexander Bay hinter uns, biegen dort gen Nordosten ab und erreichen schließlich, leidlich besserer Stimmung, das erste Tor zum Richtersveld Nationalpark - Helskloof Gate. Dort, an diesem vor zwei Jahren noch recht unscheinbaren Ort, hatten wir auf der letzten Tour eingecheckt. Heute präsentiert sich das Gate jedoch ganz anders: Parkplätze, gekennzeichnet durch weiße Steine, rechteckig ausgelegt im roten Sand, dazwischen Beete, die gerade von Heerscharen buddelnder Gärtner mit Richtersveld-typischen Sukkulenten bestückt werden und jede Menge sonstiger Angestellter, die geschäftig umher wuseln. Hier wird richtig aufgerüstet! Allerdings sind wir mitten in der Bauphase angekommen und keiner hat Zeit für uns und unsere Eincheck-Wünsche. Das sei nur in Sendelingsdrif möglich, bekommen wir kurz angebunden zu hören.

Abraumhalden
Oranjeschleife
Helskloof Gate











Okay, okay, wir fahren ja schon wieder. Gegen sechzehn Uhr sind wir dann endlich am Hauptgate angekommen und dürfen dort unsere Formalitäten erledigen. Während Annette die Formulare ausfüllt und bezahlt, werfe ich immer wieder sorgenvolle Blicke auf die Uhr: wir haben De Hoop gebucht und es ist schon verdammt spät. Die Rangerin bestätigt meine Befürchtungen, indem sie uns dringend anrät, nach Potjiespram auszuweichen; De Hoop wäre, mit dreieinhalb Stunden Fahrzeit, nicht mehr bei Tageslicht zu schaffen. Nein, nein, bitte nicht nach Potjiespram! Ich kann dieses verbuschte Wochenend-Ausflügler-Camp am Oranje einfach nicht leiden - Flussnähe hin oder her. Leider aber hat die Rangerin recht: es wäre ziemlich unverantwortlich, heute noch nach De Hoop zu düsen - der Akkedis-Pass bei Dunkelheit ist zu gefährlich. Schweren Herzens, aber halbwegs einsichtig, fügen wir uns unserem Schicksal - warum sollte ein Scheiß-Tag nicht auch einen Scheiß-Abend haben...

Endlich da!
Der Tisch wird gedeckt
Opophytum hypertrophicum











Nun, so schlimm, wie befürchtet, wird es dann doch nicht: zumindest gibt es keine anderen (menschlichen) Gäste und wir können uns somit ungehindert auf den einzigen Platz mit angedeutetem Flussblick stellen. Der ist zwar auch nicht gerade wild-romantisch, aber immerhin recht weitläufig und man kann nach wenigen Schritten den Oranje hinter den Büschen erkennen. Auch Heinz, dessen Stimmung immer noch spürbar gereizt ist, entspannt sich sofort deutlich, als plötzlich eine Schar von Kap-Frankolinen über den sandigen Boden unseres heutigen Nachtquartiers marschiert. Die Hühnervögel mit der kleinen Kinderschar glucksen leise, sind recht zutraulich und egalisieren damit auf der Stelle Schnecks Fahrtag-Grant. Als wir schließlich das Lager fertig aufgebaut haben, das Sundowner-Bier in Händen halten, das Essen auf dem Lagerfeuer fröhlich brutzelt und der Oranje im Hintergrund versöhnlich plätschert, sind wir alle wieder im Lot. Der Busch hat uns wieder! Nach einem Dinner in bester Harmonie kuscheln wir uns todmüde in unsere Schlafsäcke und schlafen einem neuen Tag ohne Zivilisation und stressige Einkäufe zufrieden entgegen. Auch ein Scheiß-Tag kann ein halbwegs gutes Ende finden…


Weitere Impressionen des Tages:

Straßenszene Port Nolloth
Carpobrotus edulis
An der Uferpromenade












Der Weg nach Alexander Bay
... zieht sich ...
... und zieht sich!












Geister-Mine
Der Oranje hat wenig Wasser
Öde Gegend












Noch ödere Gegend
Echte "Traum-Farm"
Auf und ab über Dünen und Halden












Richtersveld in Sicht!!!
Tapinanthus oleifolius
Tapinanthus oleifolius

20. März 2013, Potjiespram Campsite > Kokerboomkloof Campsite

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Gut gelaunt und ausgeschlafen erwachen wir am frühen Morgen, krabbeln freudig aus unseren Zelten und finden uns zum Frühstück zusammen. Doch nicht nur wir freuen uns auf ein gemütliches Beisammensein, begleitet von kulinarischen Leckerbissen: während wir bereits genüsslich Kaffee trinken, bräunen diverse Toastscheiben auf der wieder entfachten Glut des gestrigen Abends appetitlich vor sich hin – und zwar unter den scharfen Blicken einiger Meerkatzen. Die kleinen Äffchen hatten sich leise angeschlichen und im umliegenden Gebüsch postiert, offenbar in der unsinnigen Hoffnung, wir würden sie nicht bemerken. Doch weit gefehlt; wir kennen unsere Pappenheimer sehr gut! Dennoch müssen wir alles an Wachsamkeit aufbieten, um die kleinen Diebe von ihren Beutezügen auf unseren Toast, unser Equipment und den Abfall abzuhalten. Sie sind so schnell, so geschickt, dass man sie nicht aus den Augen lassen darf. Die Meerkatzen begreifen jedoch bald, dass sie keine Chance gegen uns haben und ziehen frustriert schimpfend ab. Aber sicher nicht, ohne sich zu fragen, was sie falsch gemacht haben: mit erstaunt blinzelnden Augen nämlich haben sie durchaus wahrgenommen, dass wir die erneut aufgetauchte Frankolin-Familie großzügig mit Brosamen versorgen. Tja, ihr pelzigen Kleptomanen, dann denkt mal gründlich drüber nach!

Heinz und die Hühnchen
Francolinus capensis
Haariges Diebsvolk











Begleitet vom freundlichen Glucksen der rundlichen Hühnchen beenden wir schließlich, bar jeglicher unfreiwilliger Verluste, unser Frühstück und machen uns ans Aufräumen. In gewohnter Reihenfolge wird alles abgebaut und verstaut – Schlafequipment, Zelte, Stühle, Tisch. Übrig bleibt, wie immer, das Geschirr. Es muss noch gespült werden - und heute bin ich dran. Vorfreudig rühre ich mir einen Vorrats-Kaffee in meiner neu erworbenen Tasse an, stelle diese ins Auto und mache mich gleich darauf mit unserem Spülgut, gesammelt im faltbaren Camping-Becken, auf den Weg zum Waschhaus. Dieser führt durch eine schmale, freigeschlagene Gasse inmitten dichten Gebüschs, in dem nicht nur zahlreiche Vögel zuhause sind, sondern das durchaus auch noch andere Bewohner beherbergen könnte. Natürlich achte ich bei derartigen Gängen ganz besonders auf meine Umgebung, nehme Bewegungen besonders bewusst wahr und schaue genau, was da los ist. Alles okay, alles harmlos! Plötzlich aber tut sich etwas Ungewöhnliches: aufgeregtes, hektisches Flattern, angsterfülltes Fiepsen, grau-weiße Flitze-Blitze, zu Boden sinkende Federn. Ich brauche eine ganze Weile, bis ich voll erfasse, was genau hier geschieht, kann kaum mit den Augen folgen - aber schließlich offenbart sich das seltene Schauspiel! Es ist ein Fiskalwürger, der gerade hinter einem jugendlichen Nektarvogel her ist! Wie erstarrt bleibe ich stehen und rufe meine Reisegenossen herbei: „Schnell, kommt, seht euch das an! Jagd! Shrike gegen Sunbird!!!“ „Was?“, schallt es von hinten. „Kommt schnell!“, flüster-schreie ich.


 

Dokumentation eines unangekündigten Todes



Meine Freunde horchen auf, denn so atemlos quieke ich normalerweise nur, wenn mich ein größeres Insekt mit seinen menschenfressenden Kiefern bedroht. Heinz ist als erster zur Stelle, zunächst sehr besorgt, dann aber genauso fasziniert. Darauf folgen auch Annette und Jochen und sind ebenfalls gefesselt von diesem Anblick - ein Anblick, der einem vielleicht einmal im Leben vergönnt ist: ein juveniler Nektarvogel, braun-grau, mit bereits sichtbar blau-metallischer Federbrust, kämpft um sein Leben. Der Aggressor ist ein weiß-schwarzer Fiskalwürger, kaum größer als das Opfer. Aber der Würger weiß, was er will und lässt sich nicht davon abbringen. Mit unglaublich flinken Flugmanövern jagt er dem flüchtenden Jungvogel hinterher, powert ihn aus und versetzt ihm immer wieder schwächende Hiebe. Kaum lässt sich der Sunbird keuchend und benommen irgendwo nieder, ist der Würger schon zur Stelle, pickt erneut zu, hetzt sein Opfer weiter. Wir fiebern fasziniert mit: ach, der arme Nektarvogel; uih, ist der Würger schnell - wir sind hin und her gerissen. Doch bevor wir in der Lage sind, Partei zu ergreifen, ist es schon passiert: der Jäger war erfolgreich, direkt vor unseren Augen! Atemlos pumpend umfasst er das dünne, zerbrechliche Genick seines Opfers, dessen Kopf bereits schlaff nach unten hängt. Ein kurzes Durschschnaufen, ein schnelles Nachgreifen später, und fort ist der Würger. Mitsamt seiner Beute, die ihn beim Starten sichtlich Kraft kostet. Kaum aber ist er in der Luft, merkt man ihm das Gewicht fast nicht mehr an.

Der Würger war erfolgreich
Schwemmebene
Karge Berge am Oranje











Bitte zwicke uns jemand! War das gerade echt, ist es tatsächlich geschehen? Ja, so belegen unsere Aufnahmen, die jedoch nur einen Bruchteil dessen dokumentieren können, was wir soeben in voller Bandbreite erleben durften. Unfassbar! Aber nach dieser Beobachtung ist nun endlich auch für Annette und Jochen die aufgespießte Maus bei Spoeg River vom Hirngespinst zur glaubhaften Tatsache geworden.

Wie gebannt starren wir noch eine ganze Weile auf den Tatort, in der sinnlosen Erwartung, es könne sich dort Weiteres ereignen. Mit irgendeiner Übersprungsreaktion aber müssen wir das Geschehene, das Gesehene ja erst mal ein bisschen verarbeiten, oder? Schließlich lösen wir uns doch - ich gehe spülen, die anderen packen das Auto voll - aber jeder von uns hat dabei stets die flimmernden Bilder dieses Beutezugs vor Augen. Meine Güte, ein solches Erlebnis in dem von mir so ungeliebten Potjiespram - damit hätte ich nicht gerechnet! Dennoch bin ich froh, als wir, das Geschirr ordentlich gespült und getrocknet, dieses verbuschte Camp verlassen und nun die botanisch spannenden Regionen des Richtersveld Nationalparks ansteuern...

Botanische Öde
Landschaftliche Fülle
Hungrige Nama-Ziegen











Ein paar Kilometer geht es zunächst noch am Oranje entlang, bevor wir die Schwemmebene erreichen, die uns auf der letzten Tour so reichlich mit blühenden Hoodias beschenkt hatte. Heuer jedoch ist es viel trockener und, wie schon befürchtet, sieht man das auch deutlich: bis auf zahlreiche, sehr staubige Stachelwürste tut sich hier nichts. Halt, dass ich nicht lüge! Eine Ziegenherde durchquert gerade gemächlichen Trabs die Ebene und macht sich über alles her, was auch nur ansatzweise grün ist. In diesem Falle sind das zwar lediglich ein paar wenige Bäumchen, die recht niedrig gewachsen sind, ihr dürftiges Laub aber dennoch in einer Höhe tragen, die für die Ziegen fast unerreichbar ist. Fast. Denn man glaubt kaum, zu welchen Verrenkungen ein hungriger Hufträger fähig ist! Auf den Hinterbeinen balancierend, den Hals auf Giraffenlänge streckend, rupfen sie mit gespitzten Lippen das letzte bisschen Grün von den unteren Ästen. Ein besonders gieriges Zicklein versucht gar, den Rücken einer Artgenossin zu Erklimmen, scheitert jedoch an deren Gegenwehr und den eigenen, fehlenden Akrobatikfähigkeiten. Wir amüsieren uns köstlich. Gleichzeitig wird uns aber auch etwas mulmig, denn die Trockenheit ist so offensichtlich, dass wir fürchten, heuer vergeblich ins Richtersveld gekommen zu sein – zumindest, was unsere Pflanzenausbeute betrifft. Doch dieser einzigartige Nationalpark belehrt uns bald eines Besseren: hier gibt es immer etwas zu entdecken – und wenn es nur Gefühle sind...

Ceraria namaquensis
Blütenlose Hoodia
Schneckerl mit Steckerl ;-)











Natürlich hatte uns die letzte Tour mit strotzendem Leben verwöhnt - kurz zuvor fiel ausreichend Regen - und natürlich sind wir gerade ein wenig enttäuscht, da wir logischerweise Vergleiche ziehen: hier hatten die Hoodias geblüht, dort standen die Cerarien in vollem Blattkleid, da drüben die Euphorbien in Blüte. Heute hingegen sieht man nur stachelige Triebe, nackte Zweige und blütenlose, mattgrüne Steckerl. Aber die Pflanzen sind ja nicht weg, sie sehen nur anders aus. Und das ist für uns botanisch Interessierte erst Mal das Wichtigste. Der Aspekt, der mich hierbei jedoch am meisten fasziniert, ist ein schwer beschreibbarer, ein recht persönlicher: es ist wie in einer wachsenden Beziehung, in der sich mit zunehmender Dauer Facetten in der Wahrnehmung der geliebten Person hinzugesellen und ihr Bild somit Schritt für Schritt komplettieren. Die Bindung festigt sich hierbei und irgendwann kennt man den anderen in vielen, durchaus nicht nur schokoladenseitigen Lebenslagen. Liebt man ihn deshalb weniger? Nein! Nicht, wenn es wahre Liebe ist. Und die scheint es bei mir und den sukkulenten Gewächsen zu sein, die hier und heute vor meinen Augen vor sich hin darben. Mir ist, als würde jemand, auf den ich schon vor Jahren ein begehrliches Auge geworfen, den ich jedoch stets in hippen Klamotten und mit seinem Sonntagsgesicht gesehen habe, gerade zum ersten Mal neben mir aufwachen - verstrubbelt, verschlafen und - zu allem Überfluss - auch noch in Socken und einem knitterigen Pyjama. Und ich werde nicht aus dem Bett und der Wohnung geworfen, sondern bekomme einen äußerst liebevollen Kuss, ein tolles Frühstück und ein sehnsüchtiges „Sehen-wir-uns-bald-wieder“ ins Ohr gehaucht! Im übertragenen Sinn haben die Sukkulenten genau das gemacht: ich fühle mich, als hätten die Pflanzen mich soeben vollen Herzens in ihr Leben gelassen. Das klingt sicher höchst befremdlich, doch besser kann ich die Gefühle, die mich angesichts der schrumpeligen Sukkulenten gerade übermannen, nicht erklären.

Crassula deceptor
Brownanthus pseudoschlichtianus
Cheiridopsis robusta











Dass das Richtersveld etwas in mir wachruft, was mein Innerstes nach außen kehrt, kenne ich ja bereits. Das liegt ganz sicher, neben den Pflanzen, auch an der Landschaft, die so einzigartig ist, dass es mir die Schuhe auszieht - salopp gesagt. Wenn man allerdings auf eine Kombination aus landschaftlicher Schönheit und pflanzlicher Vielfalt trifft, dann müssen auch die Socken dran glauben - und aus diesen haut es mich jedes Mal, wenn wir im Richtersveld über Pässe fahren. Enge, felsige, steile Fahrwege schlängeln sich kurvenreich durch hoch aufragende, schroffe, abweisend wirkende Felsen, die, je nach Tageszeit und Sonneneinfall, reizvolle Strukturen und Farbspiele präsentieren. Grau, Blau, Rot und Schwarz in allen Abstufungen und Intensitäten schmiegen sich aneinander, zeichnen unwirkliche Bilder, abgefahrene Gemälde, abstrakte Kunstwerke. Das allein ist schon überwältigend genug. Wagt man sich dann aber, bei fast unerträglichen Temperaturen, hinauf auf diese glühenden Felsen, wird man zusätzlich mit einer Pflanzenvielfalt belohnt, die ihresgleichen sucht. Auch wenn sie sich heute nicht von ihrer Schokoladenseite zeigt...

Trachylepis sp.
Brownanthus nucifer
Euphorbia hamata











Aber sie ist da, man muss eben nur genau hinsehen. Unser erster Pass, der Swartpoort, ist kaum als solcher erkennbar, da wir aber nun schon etwas mit der Gegend vertraut sind, wissen wir genau, worauf wir achten müssen: es sind die Cerarien, die heute ihrem afrikaansen Namen alle Ehre machen und sich als blattlose, peitschenförmige Hotnotsrieme (Hottentottenriemen) zeigen - geduckte Büsche mit biegsamen Zweigen, absolut unspektakulär, nicht besonders hübsch, aber eben absolut faszinierend als hoch endemische Überlebenskünstler. Ein paar Kilometer weiter, wir gewinnen stetig an Höhe, erreichen wir den Halfmens Pass, benannt nach den ebenfalls endemischen Namaquanum-Pachypodien, die trotz der Trockenheit tapfer ihre kleinen Blattkränzchen in den blauen Himmel recken. Wir erweisen den markigen Gewächsen unsere Ehre und klettern zu ihnen in die heißen Felsen, begrüßen sie wie alte Freunde und freuen uns, dass sie immer noch da sind - die Sagengestalten aus der uralten Nama-Legende: sehnsüchtige, heimatvertriebene Menschen, die es der Gnade der Götter zu verdanken haben, für den Rest ihres Lebens in ihr angestammtes Land schauen zu dürfen - als in Pflanzen verwandelte, gen Norden gerichtete Stachelgestalten mit erhobenen Armen und einem Blattkrönchen. Kein Wunder, dass solch bizarre Silhouetten die Phantasie der Betrachter schon immer anregten und auch heute noch deren Vorstellungskraft beflügeln!

Pachypodium namaquanum
Euphorbia dregeana
Namensgeberin "Akkedis"-Pass











Schwitzend und mit roten Gesichtern treibt es uns nach diesem Wiedersehen erneut ins Auto, dem Akkedis Pass entgegen; er war auf unserer letzten Tour der mit Abstand Interessanteste: fahrtechnisch nicht zu unterschätzen und extrem pflanzenreich. Trotzdem oder gerade deswegen hatten wir gestern Abend gut daran getan, ihn nicht mehr zu fahren, denn der „Eidechsen-Pass“ ist in der Tat so steil und engkurvig, dass man Tageslicht braucht, um ihn sicher zu bewältigen und nebenbei auch noch all seine Schätze zu entdecken. Bei unsäglichen Temperaturen nahe der 50-Grad-Marke schrauben wir uns unter damit einhergehender, optimaler Ausleuchtung nun den Akkedis nach oben, der uns, am höchsten Punkt angelangt, mit kaum kühleren Temperaturen empfängt. Oh je, wir haben gerade mal frühen Vormittag, aber die Hitze glüht bereits, als befänden wir uns inmitten eines Backofens. Es ist heisser als auf der letzten Tour, auf der wir hier mit über 40 Grad ins Schwitzen gerieten. Allerdings ist die Luft heute, im Gegensatz zu damals, wesentlich trockener und deshalb sind die paar Grad mehr auch besser zu ertragen. Der Schweiß, der nichtsdestotrotz in Strömen fließt, verdunstet, kaum dass er die Poren verlassen hat, im Nu sammeln sich Salzkrusten auf der Stirn, die Augen brennen und die Nase fühlt sich an wie ausbetoniert. Aber egal. Unverdrossen klettern wir die steilen, den Akkedis Pass überragenden Bergflanken nach oben und treffen all die alten Bekannten, die uns vor zwei Jahren schon so begeistert hatten. Heute wirken sie natürlich nicht ganz so taufrisch, dafür aber präsentieren sie sich in einer Form, die dem interessierten Botaniker eine neue Welt eröffnet: wie sieht eine Pflanze in ihrer angestammten Heimat aus, wenn sie in der Ruhephase ist, wenn sie ihren Stoffwechsel auf ein Minimum herunterfährt? Jeder, der zuhause solch exotische Pflanzen kultiviert, wird wissen, was ich meine. Daheim erfreut man sich am Wachstum und der Blüte solcher Gewächse, versucht, die natürlichen Bedingungen so gut wie eben möglich nachzustellen, wird dabei jedoch nie den typischen Wuchs einer „In-Habitat-Pflanze“ herbeiführen können. Und das, was einem in einschlägigen Bestimmungsbüchern präsentiert wird, ist ebenfalls in den seltensten Fällen das Standortfoto eines Gewächses in der Ruhephase.

Eberlanzia schneideriana
Cheiridopsis sp.
Crassula deceptor











So also ist es schon schwierig genug, eine Pflanze am Naturstandort zu identifizieren, indem man sie mit Fotos von strotzenden (Kultivar)-Exemplaren abgleicht. Befindet man sich allerdings „in situ“ - so wie wir heute - und hat vermeintlich ein wenig Gefühl für die unter natürlichen Bedingungen wachsenden Sukkulenten erworben, wird man erneut beginnen, zu lernen. Und genau das tun wir gerade. Eine schrumpelige Schwantesia bildet Blattzipfelchen aus, die beinahe denen eines Mitrophyllums würdig wären; eine Crassula deceptor, in Stresssituationen normalerweise orangefarben, ist vor lauter Wassermangel erblasst; eine Kissenia capensis präsentiert pergamentene Kronblätter, die man ansonsten, verdeckt durch weiße Blütenblätter, nie zu Gesicht bekommt. Eine selten lehrreiche Situation ist das, in der wir uns hier befinden! Doch Lehrjahre sind bekanntermaßen keine Herrenjahre - und mir wird gerade klar, dass ich mich immer noch ganz am Anfang meiner (Selbst-)Ausbildung befinde. In den vergangenen 24 Monaten hatte ich mich intensiv in das für mich neue Fachgebiet „Sukkulenten“ eingearbeitet, große Fortschritte gemacht und fühlte mich zu Beginn dieser neuen Tour schon relativ sattelfest. Doch weit gefehlt! Denn jetzt, da mir die Sukkulenten ein völlig neues Gesicht zeigen, merke ich deutlich, dass ich noch immer ganz am Beginn meiner Lehrzeit stehe. Obwohl: ein paar Mosaiksteine des Wissens sind trotzdem kleben geblieben, die sich in der jetzigen Situation als äußerst hilfreich erweisen. Heinz entdeckt zum Beispiel eine Brownanthus-Pflanze am Fuße eines Felsens. „Was für einer ist das genau, Schneck?“, fragt er mich. Hui, allein diese Frage geht schon runter wie Öl - ER, der Sukkulentenkenner, fragt MICH! Ich bücke mich, werfe einen fachmännischen Blick auf das Gewächs und meine mit gewichtiger Kennermiene: „Pseudoschlichtianus.“ „Bist sicher?“ „Ja, ganz eindeutig. Pseudoschlichtianus hat ganz charakteristische, rechteckige Epidermis-Zellen.“ Heinz starrt mich mit hochgezogenen Augenbrauen an: „Schön langsam wirst mir unheimlich, Schneck!“. Dieses Kompliment geht erst recht runter wie Öl. Insgeheim jedoch bin ich froh, dass nicht noch weitere Fragen folgen, denn da könnte es eng werden...

Brownanthus
nucifer
Brownanthus
pseudoschlichtianus
Cucumis rigidus
Pergularia daemia
ssp. gariepensis
















Ums Herz aber wird mir weit und immer weiter. Mein Gott, was für ein Ort ist dieses Richtersveld! Magisch, zauberhaft, atemberaubend. Atemberaubend, ja, sogar in zweierlei Hinsicht: einerseits, wie ja bereits ausführlich beschrieben und thematisiert, sind es die einzigartige Pflanzenwelt und die malerische Landschaft, andererseits ist da das Klima. Es ist unglaublich harsch, feindselig, unwirtlich: von Schneefall und Frost, was ich hier persönlich noch nie erlebt habe, über Backofentemperaturen, die einen feucht wie ein Dampfbad (letzte Tour) oder aber trocken wie knisterndes Pergament umwabern (heute), kann einem hier alles passieren. Unser kleines Thermometer im Auto zeigt im Moment 48 Grad Celsius an, die Luftfeuchtigkeit liegt bei gefühlten minus 10 Prozent: die trockene Hitze, die im Moment das dominante Klimaelement ist, brennt in den Bronchien, jeder Schritt, besonders bergauf, ist ein Kraftakt, die Hitze dampft einem fast das Hirn weg und jeder Atemzug verstärkt das Gefühl, man sei eine Dörrpflaume. Atemberaubend, egal, wie auch immer man es nimmt! Heinz und ich klettern lange in den Anhöhen des Akkedis-Passes umher, ringen um Luft - vor Begeisterung, vor Hitze, vor Trockenheit, vor Ehrfurcht. Annette und Jochen allerdings geben sich unter diesen Bedingungen etwas weniger leidenschaftlich und harren lieber im dürftigen Schatten des Autos aus, sodass auch wir nach einer Stunde bereits wieder aus den Hängen krabbeln. Na ja, wir haben viel gesehen und mit Sicherheit auch genügend Sonne getankt. Das lauwarme Wasser, das wir uns durstig aus unseren Trinkflaschen in die Kehlen rinnen lassen, schmeckt auf jeden Fall köstlich wie nie zuvor...

Blick nach unten
Kissenia capensis
Cleome foliosa











Nach einem kleinen Mittagssnack, den wir noch an Ort und Stelle zu uns nehmen, geht es dann weiter. Wir halten uns in südlicher Richtung und erreichen, nach einer Fahrt durch das breite, sandige Bett des Kook River den letzten Pass des heutigen Tages: den Domorogh. Hier waren wir noch nie, sind aber gleich sehr angetan von dem, was wir sehen. Der Domorogh Pass ist, im Vergleich zum Akkedis, relativ klein, die Aussicht allerdings, die man von hier auf eine gegenüberliegende Bergkette hat, ist einzigartig - und Sukkulenten gedeihen auch hier in Hülle und Fülle. Die Flora des Domorogh gleicht der aller Richtersveldpässe, die wir bis jetzt gesehen haben, trotzdem hat jeder Pass, jeder einzelne Hügel seine ganz besonderen Schätze und typischen Gewächse. So auch der Domorogh; er wird von Steckerl-Pflanzen aller Couleur dominiert: Kleinia longiflora, Sarcostemma viminale und Euphorbia dregeana recken ihre grünen Zweige in die Luft und sind sich auf den ersten Blick recht ähnlich. Dabei gehören sie völlig unterschiedlichen Familien, ja, sogar Ordnungen an: Kleinia ist ein Korbblütler aus der Ordnung der Asterales, Sarcostemma ein Seidenpflanzengewächs (Gentianales) und Euphorbia ein Wolfsmilchgewächs (Malpighiales). Betrachtet man nun Angehörige dieser Pflanzenordnungen, die in unseren Breiten beheimatet sind, und vergleicht sie mit den hier wachsenden Exemplaren, wird einem diese unglaubliche optische Annäherung unterschiedlichster Pflanzen erst in seinem ganzen Ausmaß bewusst. Sind sich Margerite (Asterales/Asteraceae), Immergrün (Gentianales/Apocynaceae) und Sonnwend-Wolfsmilch (Malpighiales/Euphorbiaceae) in irgendeiner Weise ähnlich? Ich würde deutlich sagen: Nein! Dennoch stehen wir jetzt vor Angehörigen genau dieser drei Ordnungen/Familien und sehen, auf den ersten Blick, drei zumindest optisch nahe Verwandte. Handelt es sich hier etwa um eine Konvergenz?

Sarcostemma viminale
Kleinia longiflora
Euphorbia dregeana (re.)











Nein, in unserem Falle kann davon, streng wissenschaftlich gesehen, nicht die Rede sein, da ein entscheidendes Merkmal fehlt. Um diesen Tatbestand zu erfüllen, müssten nämlich Organe der Pflanzen, die in ihrer Anlage verschieden sind, durch Anpassung an äußere Umstände vergleichbare Formen ausbilden. Bekanntestes Beispiel hierfür ist das Diptychon aus neuweltlichem Kugelkaktus und altweltlicher Kugeleuphorbie: sowohl das mexikanische Astrophytum asterias als auch die südafrikanische Euphorbia obesa haben auf vergleichbare klimaökologische Verhältnisse mit der Ausbildung einer fast zwillingshaften Wuchsform reagiert. Mit einem eklatanten Unterschied – der Kaktus evolutionierte die Form seines Stängels zur optimalen Daseinsform mit maximalem Speichervolumen bei gleichzeitig minimaler Oberfläche; bei der Euphorbie hingegen mussten die Blätter diese Rolle übernehmen. Genau dieses entscheidende Merkmal liegt bei unseren Gesellen nicht vor, trotzdem aber finde ich es höchst faszinierend, wie Angehörige dreier verschiedener Ordnungen sich so weit vom „eigentlich üblichen“ Erscheinungsbild entfernen und einander optisch annähern können, um sich die besten Überlebenschancen in diesem Klima zu sichern.

Domorough Pass
Strukturen durchs Fernglas
Ehrfürchtiges Staunen











Wir genießen die kleine Exkursion in die Flora des Domorogh Passes, bevor wir uns wieder ins Auto schlichten und endlich unserem heutigen Übernachtungsziel zustreben, dem Kokerboomkloof. Auf diesen Ort sind wir schon extrem gespannt, denn er ist als heißestes Camp des Richtersvelds bekannt und soll aufgrund seiner flussfernen Lage am wenigsten frequentiert sein. Unsere Neugier allerdings wird etwas länger auf die Folter gespannt, denn wir müssen zuerst noch um die fünfzig Kilometer zurücklegen, fünfzig lange, trockene, heiße Kilometer - über Berg und Tal, durch die Flussbetten des Gannakouriep und einen seiner Seitenarme. Diese Flusstäler, in denen sich die Hitze besonders staut, sind, was die Vegetation anbelangt, relativ uninteressant. Das kommt einem raschen Vorankommen durchaus entgegen - wir schaffen die weite Strecke tatsächlich in zweieinhalb Stunden, lediglich unterbrochen durch einen einzigen Pinkelstopp. Gegen 13 Uhr sichten wir schließlich die Silhouette des Tatasbergs, wenig später zeichnet sich das felsige Wahrzeichen des Kokerboomkloofs gegen den wolkenlosen Himmel ab: die Toon, die Zehe, ein riesiger Felsbrocken, dessen Umrisse gewisse Ähnlichkeit mit einer molligen Großzehe aufweisen. Und dann ist es so weit! Wir biegen um die letzte Kurve und haben eine erste Aussicht auf die Campsite, auf die ich mich so sehr gefreut hatte.

Die Toon - Die Zehe
Kokerboomkloof
Springbokvlakte











Das, was ich da sehe, enttäuscht mich allerdings ein wenig: es gibt hier zwar einige Köcherbäume, diese jedoch sehen allesamt nicht sehr gesund aus. Klar, es ist schon lange recht trocken – was nicht gerade zum Strotzen der Baumaloen beiträgt; vielen der sukkulenten Bäume aber würden auch üppige Regenfälle nichts mehr nutzen, denn sie sind schlicht und einfach tot und recken ihre dürren Zweige anklagend in die Luft. Das ist in der Tat ein bisschen schade, wäre aber noch zu verschmerzen, verleiht es dem Ort doch einen leicht morbiden Charme, der durchaus anziehend auf mich wirkt. Weniger anziehend und weitaus schwerer zu verschmerzen hingegen ist eine Ansammlung mehrerer Zelte, Fahrzeuge - und Menschen, die offensichtlich soeben ihre Siesta beendet haben und wie wuselnde Ameisen über das Gelände mäandern. Mhm, insgeheim hatte ich gehofft, wir wären alleine hier, das aber war wohl ein Schuss in den Ofen. Okay, ein paar wenige Camper hätte ich wohl noch klaglos hingenommen, doch das hier ist eine ganze Reisegruppe und Gruppen sind in der Regel Garanten für einen erhöhten Lärmpegel. In der Regel. Doch keine Regel ohne Ausnahme!

Leicht ernüchtert kurven wir über das Camp-Areal, nehmen unsere Mitbewohner unauffällig in Augenschein und lassen uns schließlich auf dem letzten von vier freien Stellplätzen nieder. Immerhin - eine schön gelegene Site nur für uns, mehrere hundert Meter entfernt von den Zelten der Gruppe. Bei glühenden Nachmittagstemperaturen errichten wir unser Lager, räumen unsere Kisten in das kleine, zur Campsite gehörende Küchen-Waschhäuschen, das übrigens recht ungepflegt und noch dazu partiell funktionsuntüchtig daherkommt. Dann lassen wir uns schwitzend und ermattet in unsere Faltstühle fallen, die vom Gazebo gnädig beschattet werden. Puh, jetzt erst mal was trinken und ein wenig ausruhen! Während wir nun gemütlich unseren Tee schlürfen und die Umgebung auf uns wirken lassen, zieht eine lange Karawane menschlicher Wesen von den unteren Campsites zu uns nach oben. Es handelt sich durch die Bank um Herrschaften gesetzteren Alters, sie alle tragen Stative und Kameras, grüßen höflich und wandern gemessenen Schrittes an uns vorüber. Eine Dame bleibt gar stehen, heißt uns willkommen und entschuldigt sich prophylaktisch für den Lärm, den die Gruppe morgen, zu früher Stunde, wohl machen wird: die fünfzehn Teilnehmer dieser Foto-Gruppenreise müssten leider bereits vor Sonnenaufgang an unseren Zelten vorbei, hinauf zu den Köcherbäumen, um beim besten Fotolicht bereit zu sein, tut sie uns kund. Wir sind angenehm überrascht von der ausgesuchten Höflichkeit und Rücksichtnahme, die hier praktiziert wird und versichern der Dame, kein Problem mit derart angenehmen Nachbarn zu haben - selbst wenn sie mitten in der Nacht zu einem Moonlight-Shooting aufbrechen wollten. Und das meinen wir auch wirklich so! Die Gesellschaft anderer Menschen ist in der Abgelegenheit der Wildnis nicht immer eine Bereicherung, geschweige denn ein Vergnügen, in diesem Falle aber schon. Was so ein bisschen Rücksichtnahme, ein wenig Einfühlungsvermögen, ein Quäntchen Kommunikation und eine Prise gleicher Interessen alles ausmachen kann!

Gemächlich verdödeln wir nun, eins mit uns selbst und unseren ruheliebenden Nachbarn, den heißen Nachmittag. Doch nicht nur uns ist warm, nicht nur wir haben Durst. Es gibt eine Menge Vögel, die ebenso empfinden und zu ihrem eigenen Vorteil gelernt haben: menschliche Zweibeiner, die einen derart unwirtlichen Ort freiwillig besuchen und sich dort auch noch niederlassen, haben meist ein offenes Herz nebst einer freigiebigen Hand für gefiederte Zweibeiner. Im Zuge dieser Erkenntnis werden wir also von zahlreichen, sehr neugierigen und recht zutraulichen Vögeln belagert, die nur darauf zu warten scheinen, dass etwas für sie abfällt. Ach, hätte ich in Springbok doch nur den Edelstahlbräter gekauft! Annette deutet meine Blicke sofort richtig und kramt aus den Tiefen unserer Kisten eine Pizzabackform hervor. Mit Wasser gefüllt und etwas im Sand versenkt wird die flache Schüssel auch sofort zur Attraktion des Tages. Die lauernden Bokmakieries und Schmätzer verlieren auf der Stelle jegliche Restscheu und bevölkern badend und trinkend das Gefäß. Und wir sitzen unter unserem Schattendach, trinken Tee und genießen das Sein – wenige Meter neben planschenden, trinkenden und leise tschilpenden Vögeln in unserer Pizzaform. Was kann es Schöneres geben?

Plötzlich jedoch wird die Idylle vom hämmernden Rattern eines Dieselmotors durchschnitten. Ein Wartungsfahrzeug des Nationalparks, beladen mit einem riesigen Wassertank, biegt um die Ecke. Zwei Herren steigen aus, machen sich grußlos an der solarbetriebenen Pumpstation unseres Waschhäuschens zu schaffen und würdigen uns dabei keines Blickes. Höflich grüßen wir, machen darauf aufmerksam, dass die Klospülung nicht funktioniert und fragen, ob wir etwas helfen könnten. Mit einer unwirschen Geste wird uns kundgetan: „Hey, ihr Touris, nervt uns nicht, haltet euch da raus, wir tun unsere Arbeit und möchten nicht behelligt werden.“ Sorry, wir wollten doch nur... Offenbar aber sind weder unsere Kommentare noch unsere Mithilfe erwünscht. Okay!?! So bleibt uns folglich nicht anderes, als die halbherzigen Bemühungen der beiden Parkangestellten aus dem Off zu beobachten. Die Zwei brabbeln, schrauben, betanken, testen, zucken die Schulter und ziehen schließlich ebenso grußlos wieder ab. Tschüß und danke! Als die beiden unfreundlichen Parkangestellten hinter den Felsen verschwunden sind, überprüfen wir sofort das Ergebnis ihres Tuns - wir alle müssen dringend strullern. Hui, die stinkende Kackwurst, die bei unserer Ankunft noch in der Schüssel dümpelte, ist tatsächlich weg! Das stimmt zuversichtlich. Wassersparend pinkeln wir alle, einer nach dem anderen, in die Schüssel mit der vermeintlich reparierten Spülung – erst der letzte spült. Besser gesagt: versucht zu spülen. Doch der Spülkasten ist leer und es läuft nach wie vor kein Wasser. Toll! Wir verstehen ohnehin nicht, warum man ausgerechnet an einem trockenen Ort wie diesem vier Toiletten mit Wasserspülung installiert hat, haben wir doch die fantastischen Öko-Plums-Klos im Namaqua NP kennengelernt, aber wenn schon WC, dann sollte es auch funktionieren. Was also tun, wenn einer von uns „groß“ muss? Wohin? Der Boden ist nicht wirklich grabefreundlich, überall lauern Hobbyfotografen auf den Felsen, nirgendwo ist man unbeobachtet. Na ja, es wird sich eine Lösung finden, wenn es so weit ist.

Bis hierher und nicht weiter
Tal von Aussenkehr
Blick nach Namibia











Noch aber drückt uns nichts Derartiges; lediglich die Lust, die Umgebung weiter zu erkunden rührt sich in uns. Der geben wir schließlich gegen sechzehn Uhr vorfreudig nach, füllen vorher natürlich noch die Pizzaform mit frischem Wasser und schieben unsere Kisten ins Küchenhäuschen. Dann kann es losgehen. Unser Weg führt uns zunächst Richtung Springbokvlakte, an der nächsten Wegkreuzung (die auch die einzige ist), biegen wir gen Osten ab und fahren so lange, bis wir auf eine gesperrte Straße stoßen. Diesen Ort kennen wir bereits von unserer letzten Tour - und genau hier wollten wir hin. Man erreicht, umrahmt von Bergen, einen fantastischen Aussichtspunkt und hat eine weite, wundervolle Sicht - hinüber nach Namibia. Auf südafrikanischer Seite, da, wo wir uns befinden, umgibt einen trockene, felsige, ungezähmte Natur. Das Auge schweift hinab zum Oranje, dessen blaues Band die Grenze zwischen den beiden Ländern bildet und dann fängt sich der Blick in den flachen, satt grünen Ebenen des Weinanbaugebiets um Aussenkehr. Es ist ein sehr reizvolles Panorama, ein sehr kontrastreiches - genau so hatten wir es in Erinnerung. Damals allerdings war es recht bedeckt und allein der Kontrast zwischen den kantigen, rötlichen Felsen des Richtersvelds und den samtig grünen Kulturebenen wirkte auf unsere Sinne. Heute hingegen neigt sich ein klarer, sonniger Tag seinem Ende zu und das immer intensiver werdende Licht bringt die Bergketten auf unserer Seite zum Glühen. Minütlich ändern sich die Farben, die unglaublich viele Schattierungen zum Besten geben. Rostrot, Sienabraun, Ocker, Rotviolett, Dunkelblau, Blaugrau, Tiefschwarz - und alle nur vorstellbaren Farbabstufungen, die in unzähligen Facetten dazwischen liegen. Und minütlich werden die Bergkämme plastischer, man hat das Gefühl, sie anfassen zu müssen. Es sind zwei wahrhaft magische Stunden, die wir hier verbringen. Je weiter die Sonne jedoch sinkt, desto mehr tauchen die Hügelflanken hinter uns im Schatten ab - der Startschuss für Heinz und mich, die dortige Vegetation in angenehmer Kühle zu erkunden. Wie erwartet, gedeiht auch auf diesen Hügeln wieder einiges; Pflanzen, die wir bereits kennen, aber auch einige Gewächse, die wir noch nie gesehen haben. Heinz ist eifrig am Klettern, Knipsen und Erforschen, ich hingegen kann kaum meinen Blick von den Bergen wenden. Diese Landschaft, diese Szenerie - es ist wie im Märchen, wie in einem überzeichneten Alpenglühen-Kitschfilm, wie in einem Fantasy-Kinoepos. Ich bin richtig ergriffen - mit Gänsehaut, wohligem Schaudern und einem leichten Schwindelgefühl - das volle Programm. Und ich, die ungläubige Ex-Christin, die an alles mögliche glaubt, nicht jedoch an ein Leben nach dem Tod, verspüre plötzlich ein Gefühl in mir, das sich selten richtig anfühlt: hier könnte ich die ewige Ruhe finden - als Ascheregen, der den Pflanzen als Nahrung dient. Vielleicht ist es mir ja dann, wie den Halbmensch-Pachypodien aus der Nama-Legende, auch vergönnt, weiter auf diese Landschaft zu blicken. Der Gedanke ist wunderschön...














Aber sterben will ich trotz allem nicht, nicht jetzt, nicht heute - zumindest nicht, bevor wir diese Tour bis zum letzten Kilometer gefahren sind und alles in vollen Zügen genossen haben. Dann können wir nochmal drüber reden... Nein, nicht wirklich, denn die Welt ist so groß und es gibt noch so viel zu sehen! Annette und Jochen aber haben erst mal genug vom Sehen, wie ich von meiner erhöhten Position aus erkennen kann: sie liegen faul neben dem Auto, genießen ihren Sundowner und richten sich erst wieder in die Senkrechte, als auch Heinz und ich freudig strahlend erneut von den Hügeln herabgestiegen sind. Verschlafenen Blickes bekommen wir von Annette je ein Bier in die Hand gedrückt. „Schön hier, gell!“, murmelt sie verzaubert-entrückt. Jochen rekelt sich wohlig, wir nicken ergriffen und zusammen schlucken wir andächtig das kühle Bier, während die letzten Sonnenstrahlen ihre Finger zärtlich über die zunehmend schattigen Berge gleiten lassen.

Tylecodon wallichii

Crassula sericea var. sericea











Bevor es nun richtig dunkel wird, lösen wir uns schweren Herzens von diesem zauberhaften Ort und düsen zurück zum Camp. Unsere Scheinwerfer tasten sich schon eine ganze Weile suchend durchs Gelände, als wir müde und erlebnissatt bei unseren Zelten ankommen. Ein Moment, der mit nichts anderem zu vergleichen ist. Dennoch gäbe es noch eine Steigerung: ein Restaurant, in dem man einfach ordert und nach Wunsch bedient wird, während man selbst passiv in den Seilen hängt und den Tag ungestört revue passieren lassen kann, nicht selbst kochen muss. Das jedoch bleibt uns nicht erspart. Aber wir machen es kurz und schmeissen Folienkartoffeln ins Feuer, hauen Steaks auf den Grill und bereiten rasch einen Tomatensalat zu. Nach dem Essen wandert das gebrauchte Geschirr in den Laderaum - morgen ist auch noch ein Tag - und wir genießen den strahlend-funkelnden Sternenhimmel, bevor wir todmüde in unsere Federn sinken und der Stille dieses entlegenen Fleckchens Erde lauschen, bevor uns der Schlaf endgültig übermannt. Unsere Nachbarn sind wohl auch schon im Reich der Träume angekommen, denn wir hören nichts, absolut nichts...


Weitere Impressionen des Tages:

Euphorbia hamata
Eberlanzia schneideriana
Brownanthus pseudoschlichtianus











Euphorbia dregeana
Euphorbia decussata ()
Kleinia longiflora












Nymania capensis
Boscia foetida











Domorogh Pass
Tylecodon sp.
Tylecodon paniculatus











Ozoroa dispar
Ozoroa dispar
Aloe ramosissima



























Euphorbia gariepensis












Crassula sericea
Sundowner

























Ozoroa dispar
T. paniculatus
Halfmens
Ganzer Mensch
















Ozoroa dispar
Cheiridopsis sp.
B. pseudoschlichtianus
T. paniculatus
















Ozoroa dispar
Kissenia capensis
P. daemia
Kleinia longiflora
















Schwantesia sp.
Acanthopsis disperma
Crassula sericea
Phyllobolus
melanospermus

21. März 2013, Erkundungstag im Richtersveld

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Stockfinster ist es noch, als plötzlich ein leises, rhythmisch knirschendes Geräusch in unsere Gehörgänge dringt. Krchrrt, krchrrt – sonst nichts. Das Krchrrt wird immer lauter, scheint ein Echo zu entwickeln, das Echo verschwindet wieder, das Einzelgeräusch wird ebenfalls leiser, dann schwillt es wieder an, bekommt erneut ein Echo und verebbt abermals. Schlaftrunken reiben wir uns die Augen. Was ist das? Ach ja, klar! Es ist die angekündigte Ruhestörung in Form von paarweise an unseren Zelten vorbeimarschierenden Hobbyfotografen. Beruhigt kuschle ich mich wohlig in meinen Schlafsack und dämmere nochmal in meine Traumwelt der Nacht zurück. Doch nicht lange. Denn Annette und Jochen bekommen kein Auge mehr zu und beginnen klappernd und klirrend, den Tag einzuläuten. Heinz und ich rekeln uns grunzend, wollen die gemütlichen Federn nur ungern verlassen, schälen uns aber schließlich doch aus den Betten und dem Zelt und recken uns genüsslich in der Kühle des Morgens.

Warten auf die Sonne
Unser Camp am Kokerboomkloof
Sonne küsst Berge











Wir sitzen bereits gemeinsam beim „Vorab-Kaffee“ in unseren Stühlen, doch immer noch defilieren Mitglieder der Fotografengruppe an uns vorbei. Sie alle grüßen höflich, fast entschuldigend, und versuchen, unsere Campsite so geräuschlos wie möglich zu passieren. Diese Leute sind so unglaublich rücksichtsvoll, dass es uns schon fast peinlich ist. Mensch, Jungs und Mädls, guten Morgen, viel Erfolg bei eurer Fotosafari – und entspannt euch!



Bokmakierie wartet aufs Bad











Langsam überwindet die steigende Morgensonne alle ihr im Weg stehenden Hindernisse und intensiv glühende Strahlen gleiten über die Bergkuppen oberhalb unserer Campsite. Und mit jedem zusätzlichen Zentimeter, den die Sonnenfinger dabei abtasten, wird es wärmer, heisser und noch heisser. Kurz vor sieben Uhr, wir nehmen gerade unser Frühstück ein, besuchen uns bereits wieder die ersten Vögel, die sich auch sogleich durstig und badelustig auf die frisch gefüllte Pizzaform stürzen. Gemeinsam mit dem Federvieh, quasi stereo, laben wir uns und erledigen unsere Morgentoilette. Mit dem nicht ganz unerheblichen Unterschied der Wasserbereitstellung. Wir melken unseren mitgeführten Vorratstank, um eine Katzenwäsche nebst der morgendlichen Zahnpflege durchführen zu können, die Vögel hingegen schwelgen fröhlich planschend im Vollbad. Doch wir gönnen es ihnen aus vollen Herzen; nicht nur, weil es ein absolutes Vergnügen ist, die Vögelchen so nahe, so zutraulich bei uns zu sehen, sondern auch, weil jegliche Hygienemaßnahme unsererseits, angesichts der sich entwickelnden Tagestemperaturen, ohnehin vergebliche Liebesmüh ist. Den Vögeln tun wir trotzdem noch etwas Gutes und füllen ein letztes Mal die Pizzaform mit frischem Wasser randvoll auf, dann machen wir uns erneut auf Erkundungstour ins Richtersveld.

Kleine stellen sich hinten an!
Erst sind die Größeren dran!
Trocknen nach dem Bade











Heute jedoch liegt unser Fokus nicht ausschließlich auf den Pflanzen – der Tag ist hauptsächlich den Interessen Annettes und Jochens gewidmet und die würden gerne eine weitere Campsite am Oranje in Augenschein nehmen – Richtersberg. Es gäbe einen relativ kurzen Weg dorthin, den allerdings umfahren wir großräumig, denn wenn schon, denn schon: wir wollen möglichst viel dieses wundervollen Nationalparks auf der heutigen Erkundungstour kennenlernen. Und es fängt gut an. Bereits beim Verlassen des Kokerboomkloofs, kurz bevor wir in die Springbokvlakte einbiegen, steht ein Klippspringer vor uns in den Felsen. Unruhig zappelt er mit seinen „Langneseohren“, riesigen stranitzenförmigen Horchtüten, die mit ihrem flauschig bepelzten Inneren an ein leckeres Vanilleeis mit Karamellstreifen erinnern. Bald hat diese pseudo-kulinarische Fata Morgana allerdings das Weite gesucht – vielleicht ist das Böckchen ja geschmolzen… Doch kurz darauf erblicken wir bereits Nachschub: eine kleine Herde schokoladenfarbener Kudus, die nahezu atemlos im Schatten eines eierförmigen Felsens verharren. Auch unsere Anwesenheit löst sie nicht aus ihrer deutlich sichtbaren Starre. Grund hierfür muss wohl diese irrsinnige Hitze sein, die auch an uns nicht spurlos vorüber geht. Es ist, wie bereits erwähnt, immer noch recht früh am Morgen, dennoch wabert etwas über uns, um uns herum, was bereits um diese Tageszeit unsere körpereigenen Klimaanlagen zu Höchstleistungen herausfordert. Das kann ja heiter werden…

Klippspringer
Kudufamilie
Hinaus in die Sprinbokvlakte











Wird es auch, denn wir durchfahren, auf unserer langen Route nach Richtersberg, einige mikroklimatische Zonen des Nationalparks, die man in dieser Deutlichkeit nur erspüren kann, wenn man mit einem Fahrzeug ohne Klimaanlage unterwegs ist – oder aber zu Fuß geht. Bei Letzterem vermisst man dann auch noch den leisen Fahrtwind, der immerhin für leichte Kühlung sorgt. Ganz leichte Kühlung – zumindest hat man ein andeutungsweise erfrischendes Gefühl auf der Haut – mehr aber auch nicht. Erschwerend auf unserer heutigen Route kommt noch hinzu, dass wir uns fast ausschließlich in Flusstälern bewegen, in denen sich die Hitze besonders intensiv staut.

Unser erster Streckenabschnitt folgt beispielsweise einem Seitenarm des Gannakouriep – dort hatten wir gestern eine kurze Pause eingelegt – dann geht es durch die Berge, quer über den Hauptlauf des Gannakouriep, Richtung Nordwesten, wo wir schließlich in das Tal des Abiekwa einbiegen. Es ist ein sehr breites, tiefsandiges Bett, das botanisch so gut wie nichts zu bieten hat. Kein Wunder also, dass ich mich, bei einem schnellen Erkundungsstopp, schon freue, überhaupt eine Pflanze zu entdecken: es ist ein Amaranthgewächs, das den wenig poetischen Namen „Grauer Wüstenbusch“ trägt. Reine Poesie hingegen sind die unscheinbaren Blüten des Busches, die ihre Schönheit aber nur offenbaren, wenn man ganz genau hinsieht. Magentafarbene Kunstwerke mit weißflaumigen Püschelchen, die in der Sonne glänzen. Auf diese Weise gewinne ich sogar dem drögen, staubigen Flusstal noch einen gewissen Reiz ab. Heinz hingegen ist sichtlich gelangweilt – und unsere beiden Freunde wollen nur so schnell wie möglich runter zum Fluss. Also gut. Dabei wären wir einem weiteren Pass so nahe – dem Maerpoort. Dort sind wir auf unserer letzten Tour auf wahre Euphorbien-Wälder gestossen; Gariepinas, Hamatas, Gummiferas und die kaktusähnlichen Virosas, die Heinz so gerne wieder besuchen würde. Der Schlenker über den Maerpoort würde uns jedoch direkt nach De Hoop führen, das zwar nur gute 12 Kilometer nördlich von Richtersberg liegt, leider aber ist die Verbindungsstraße nach Richtersberg, direkt entlang des Oranje, seit dem letzten Hochwasser unpassierbar. Somit fällt diese Streckenvariante also leider flach, denn sie würde einen ziemlichen Umweg bedeuten. Und natürlich wollen wir Annette und Jochen mit unseren botanischen Spinnereien nicht von ihrem Vorhaben abhalten, die Richtersberg Campsite in Augenschein zu nehmen. So fügen wir uns also notgedrungen aber willig unserem Flusstal-Schicksal.

Calicorema capitata
Pterocles bicinctus
Camp Richtersberg











Gen Mittag endlich erreichen wir Camp Richtersberg. Unsere Freunde sind sofort angetan von der schönen Lage direkt am Oranje, Heinz und ich hingegen finden es hier vergleichsweise langweilig. Gut, ja, der Oranje gluckert heimelig und hebt sich wie ein blauer Streifen von den sattgrünen Ufern und der dahinterliegenden, trockenen Landschaft ab, große Bäume spenden wohltuenden Schatten, es gibt jede Menge Vögel, die jedoch äußerst scheu sind – ansonsten jedoch tut sich hier wenig. Heinz macht in seiner Verzweiflung Jagd auf einen großen Starentrupp, den man zwar gut hören, aber nicht sehen kann. Nähert man sich dem lauten Gezwitscher und erhofft sich einen Blick auf den Vogelschwarm, so wird man schnell enttäuscht, denn die Lautquelle zieht einfach ein paar Meter weiter – ohne sich zu zeigen. Frustrierend. Wir versuchen die Vögel von zwei Seiten einzukreisen, was aber leider ebenfalls nicht von Erfolg gekrönt ist.

Nama-Lager...
...mit Flussblick
Viscum capense











Immerhin stossen wir bei dieser Wanderung, die uns flussaufwärts führt, auf das Lager eines Nama-Hirten und inspizieren es respektvoll aus der Ferne. Schade, es ist niemand zuhause. Gerne nämlich würde ich mal sehen, wie man hier lebt, überlebt. Ohne die dazugehörigen Bewohner aber müssen wir auf Abstand bleiben und können die für uns unvorstellbaren Lebensbedingungen nur aus gebührlicher Entfernung in Augenschein nehmen. Ein igluförmiges Hüttchen, dessen Grundgerüst aus gebogenen Ästen besteht, gedeckt mit Blechstücken, Ziegenfellen und Kartons, ein paar aufgeschnittene Kanister zum Wasserschöpfen, einige wenige Werkzeuge – das ist alles. Wir versuchen uns in die Lebenslage der hier wohnenden Menschen zu versetzen. Eine Aufgabe, die nur ansatzweise gelingt. Nichtsdestotrotz erscheint dieser Wohnort vergleichsweise angenehm, denn wir haben im Richtersveld auch schon andere gesehen – und die lagen fernab vom Wasser, weit weg von jeglichem Schatten, in der glühenden Hitze der öden, trockenen Flusstäler. Ein Leben, das man sich, so oder so – als im Wohlstand geborener Europäer – nicht wirklich vorstellen kann. Da aber niemand zuhause ist, bleibt es bei dieser unerklärten Vorstellung und Heinz und ich kehren zum Touristencamp zurück.

Nama-Lager
Oenanthe monticola
Heinz muss schwitzen











Dort sitzen unsere Freunde auf dem Betonsockel des Sanitärgebäudes und beobachten wie gebannt diverse Vögel, die sich am überlaufenden Wasser des dortigen Wasserturms gütlich tun. Schmätzer, juvenile und erwachsene Sunbirds baden, trinken und vergnügen sich in den kleinen Kaskaden, die den maroden, lecken Turm herabplätschern. Ein schöner Anblick! Doch leider steht die Sonne gerade so hoch am Himmel, dass wir das metallisch glänzende Federkleid nur erahnen können. Wir schwitzen stattdessen klebrig vor uns hin und sehnen uns nach der trockenen Hitze der Pässe – Heinz und ich. Annette und Jochen hingegen haben echt Sitzfleisch und „quälen“ uns ganze zwei Stunden, bis auch sie bereit sind, den Rückweg anzutreten. Dann endlich fahren wir los. Das ganze Abiekwa-Tal wellblechen wir wieder zurück, vorbei am Gannakouriep, hinauf in das nächste Flusstal. Dort, wie aus dem Nichts, kommt uns plötzlich ein anderes Auto entgegen. Und selbstverständlich hält man in einer derartigen Situation an, spricht miteinander. Es ist ein deutsches Ehepaar, das schon lange in Südafrika wohnt und mal wieder einen Ausflug ins Richtersveld gemacht hat. Wir smalltalken eine Weile mit den beiden, tauschen News und Allgemeinplätze aus, erzählen und bekommen erzählt. Dann verabschieden wir uns wieder und fahren unserer Wege. Eine kurze Begegnung, die nett war. Nicht mehr und nicht weniger. Zwei Informationen jedoch nehmen wir mit: im Gegensatz zu unserem leicht lädierten Analogthermometer hatte das Ehepaar ein funktionierendes Digitales an Bord und bestätigte unsere Temperaturempfindung: knapp über fünfzig Grad Celsius! „Apropos heiß,“, fragen die beiden, „seid ihr auch schon dem bescheuerten Typen aus Alaska begegnet? Der ist nur hier, um seinen Temperaturrekord zu brechen: minus fünfzig versus fünfzig plus. Den hat er heute wohl geschafft.“ Nein, der Typ hat sich uns noch nicht vorgestellt, Gott sei Dank. Wie bekloppt ist das denn! Noch ahnen wir jedoch nicht, dass auch wir diesem Mann noch heute begegnen werden – und zwar unter äusserst unliebsamen Umständen…

Flusstal...
... um Flusstal...
... um Flusstal...











Jetzt aber verabschieden wir uns erst mal von dem Ehepaar, das nach Richtersberg will und düsen weiter zurück, Richtung Kokerboomkloof. An der Abzweigung zum Maerpoort Pass bekommen Heinz und ich doch noch unsere Virosa-Euphorbien: wir machen einen kurzen Schlenker nach Norden und stoppen, sobald wir der ersten Exemplare ansichtig werden. Sofort stürzen Schneck und ich aus dem Auto und klettern rauf in die glühend heißen, steilen Felsen, in denen die markanten Wolfsmilchgewächse ihre stacheligen Arme gen Himmel recken. Heinz ist im Glück und trotzt strahlend den herrschenden Temperaturen, ich hingegen trete bald den Rückzug an und unsere Freunde wagen sich gar nicht erst aus dem schmalen Schatten der Felsen heraus. Ich weiß nicht, wie Heinz das macht, aber seine Begeisterung lässt ihn diesen Höllenofen klaglos aushalten, während wir anderen selbst im Schatten ein gewisses Schwummergefühl empfinden. Dann aber kommt auch Heinz wieder von seinen Felsen herab und wir alle klettern dankbar ins Auto, um uns vom milden Fahrtwind ein wenig kühlen zu lassen. So fahren wir weiter, weiter Richtung Kokerboomkloof, wo wir gen Nachmittag um die „Zehe“ kurven und bald darauf Sicht auf unser Lager haben.

Euphorbia virosa
Euphorbia virosa
Euphorbia virosa











Steht da ein Auto auf unserer Campsite? Aus dieser Entfernung lässt sich die ungute Vermutung noch nicht sicher bestätigen, zehn Minuten später jedoch wird die Ahnung zur Tatsache. Weitere zehn Minuten später werden mit einer Situation konfrontiert, die noch heute meinen Kragen fast zum Platzen bringt: Da sitzen drei Schwarze auf Campingstühlen im Schatten unseres Hausfelsens und grienen uns dümmlich an, während ein weißer Wichtigmacher geschäftig herumräumt und uns kampfeslustig entgegenblickt. Den Vogel aber schießt ab, was die vier Herren in unserer Abwesenheit getan haben: sie bauten einfach unser Gazebo ab, räumten unser Hab und Gut aus dem Waschhäuschen, schoben Jochens und Annettes Zelt beiseite und häuften all die Sachen im Sand neben der Campsite auf. Wir sind sprachlos! Doch selbst, wenn wir Worte hätten, wir würden sie nicht anbringen können. Sobald unser Wagen steht und wir aussteigen, überfällt uns nämlich der Weiße mit einer höchst aggressiven Verbalattacke, die sich gewaschen hat. Ah, da wären wir ja, wir Scheiß-Campsitebesetzer. Und wir sollten nicht so blöd schauen, er hätte nur unser Zeug beiseite geräumt, was ja wohl sein gutes Recht wäre. Schließlich habe er für das Camp bezahlt – im Gegensatz zu uns. Solch Asoziale wie uns kenne er schon von seinen zahlreichen anderen Reisen und mit solchen Leuten müsse man kurzen Prozess machen! Während der hagere Super-Recke uns wüst beschimpft, sitzen seine drei schwarzen Begleiter weiterhin unbeteiligt im Schatten und fressen Steaks in sich rein.

Die Toon
So sah es heute Morgen aus
Das Lager der Fototruppe











Wir sind regelrecht geplättet, finden dann aber trotzdem rasch unsere Sprache wieder. Hallo, einen Moment mal und bitte ein bisschen höflicher, ja! Wir weisen den grauhaarigen, ungepflegt wirkenden Pferdeschwanzträger, der sich derart unsympathisch präsentiert, betont ruhig darauf hin, dass auch wir eine gültige Buchung hätten. Und wenn er schon ein so erfahrener Reisender sei, müsse er auch wissen, dass es nicht der Etikette entspräche, sich an fremden Sachen zu vergreifen; schon gar nicht vor einem klärenden Gespräch mit den Eigentümern. Besserwisserisch winkt der großkotzige Typ ab und fordert uns mit herablassend-herrischen Gesten dazu auf, unsere Berechtigung vorzuweisen. Annette kramt ohnehin gerade danach, das aber geht dem Typen offensichtlich zu langsam. „Da sieht man es wieder! Nicht mal zu Ordnung in den Papieren seid ihr fähig. Aber lasst mal stecken, es ändert ohnehin nichts an der Sachlage. Das ist meine Campsite und damit basta!“ Wir fordern ihn natürlich im Gegenzug auf, seine Bestätigung vorzuzeigen. Das aber hat er nicht nötig, denn, wie erwähnt, sei die Sachlage für ihn klar, und wir hätten jetzt gefälligst unseren Schrott zu packen und Leine zu ziehen. Er sei nicht den weiten Weg aus Alaska hierher gekommen, um sich von dummen Touristen unqualifiziert anreden zu lassen.

Ach, das ist also der Typ, von dem uns das Ehepaar vorhin berichtet hatte! Dem haben wohl die hundert Grad Temperaturunterschied das Hirn verbrannt! Doch selbst das ist keine Entschuldigung für sein absolut inakzeptables Verhalten. Uns schwillt der Kamm. Dennoch versuchen wir nach wie vor, eine für beide Seiten verträgliche Lösung zu finden. Jochen bietet ihm an, sein Lager weiter hinten bei den Felsen aufzuschlagen, aber der widerliche Alaskaner fällt ihm sofort ins Wort: er habe seinen Standpunkt bereits klar gemacht, und damit Punkt. Ich mische mich ein. Da schaut mich der Wurm kalt und mit hochgezogenen Augenbrauen an und meint: „Hey, Frau, jetzt spreche ich. Ich sag dir schon, wenn du dran bist!“ In mir wallen unbeschreibliche Aggressionen hoch. So behandelt mich niemand und schon gar nicht ein dahergelaufener, verlauster Alaska-Ziesel, der glaubt, das Rad und das Reisen erfunden zu haben! Ich koche, ich würde ihn am liebsten mit geballter Faust in seine blöde Fresse schlagen, beherrsche mich aber dennoch und mache meiner unsäglichen Wut auf sarkastisch-verbalem Weg Luft: „Entschuldigung, hoher Herr, dass ich unwürdiges Weib gesprochen habe! Ein unverzeihlicher Fehler! Ich werde fortan natürlich schweigen, bis ihr mir das Wort erteilt!“ Der Alaskaner scheint nicht im Geringsten irritiert, seine schwarzen Begleiter hingegen zeigen zum ersten Mal eine Reaktion: sie feixen hinter dem Rücken ihres arroganten Reisekompagnons. Meine Fassungslosigkeit wächst ins beinahe Unermessliche, erst recht, als der unsägliche Typ tatsächlich zunächst Jochen generös das Wort erteilt, dessen Argumente aber mit einer verächtlichen Handbewegung beiseite wischt und danach den Mann Heinz fragend ansieht. Als der nur den Kopf schüttelt, tut Mr. Alaska-Ziesel kund, dass ich, die Frau, jetzt sprechen dürfe. Annette, das zweite Weib, das keine Ordnung in den Unterlagen hat, ist offenbar schon lange aus dem Rennen.

Aber immerhin darf nun ich – danke auch! „Du erzählst uns hier was von vier Campsites und dass wir jetzt zu gehen haben, nur, weil du da bist. Schon mal was gehört von „wer zuerst da ist, mahlt zuerst“? Schau mal auf meine Finger und rechne mit, sofern du überhaupt zählen kannst: vier Campsites, drei besetzt von einer Gruppe, die vierte von uns. Dann kommst du (ich recke meinen kleinen Finger nach oben) als Fünfter. Schafft das dein Kopf? Du bist dieser kleine Finger, du bist als Letzer gekommen und hast hier gar nix zu melden. Und deshalb verpisst du dich jetzt! Kapiert? Wir könnten diese Campsite auch friedlich alle zusammen nutzen, aber so, wie du dich benimmst, bin ich nicht dazu bereit. Ich möchte nämlich nicht einen der schönsten Orte dieser Welt mit einem rücksichtslosen Typen wie dir teilen. Du schämst dich wirklich für gar nichts – nicht mal deinen Begleitern ersparst du dein peinliches Benehmen. Und jetzt geh endlich!“ Er kuckt mich an, wiehert los und meint: „Ah, ein Blondie, das sprechen kann! Bravo! Hat noch jemand was zu sagen? Nein?! Dann packt jetzt!“ Jochen ergreift erneut das Wort, aber ich habe mein Pulver nun verschossen – mein verbales. Ein Gefühl der Ohnmacht ergreift mich, gepaart mit einer Aggression, wie ich sie noch nie im Leben gefühlt habe. Ich würde diesem arroganten Vollidioten jetzt am liebsten die Fresse polieren, würde ihm so gerne einen Knüppel in die Visage dreschen oder ihn an den Haaren aus dem Camp schleifen. Diese heftigen Gefühlsregungen verunsichern mich derart, dass ich nur noch eine einzige Möglichkeit sehe, einem tätlichen Ausflippen meinerseits entgegenzuwirken: ich muss hier weg! Schwer atmend und zornesbebend verziehe ich mich hinter unser Auto. Hier muss ich dem Elend wenigstens nicht mehr zusehen, hier kann ich auch die weitere Diskussion nicht mehr hören, hier kann ich mich meinen durchaus verlockenden Gewaltphantasien stellen, die auszuleben ich mich kaum noch zurückhalten kann.

Tja, da stehe ich nun hinter einer Blechkarosse und hadere mit meiner Wut, obwohl ich doch eigentlich nur hier sein möchte, friedlich und genussvoll. Der Alaskaner in seiner unsäglich verächtlichen und herablassenden Art aber hat etwas in mir wachgerufen, was ich bis dato noch nicht kannte: das Verlangen nach körperlicher Gewalt! Ich kenne mich als defensiven, harmoniebedürftigen Menschen, der im schlimmsten Falle mit einer Tür knallt oder sich, mit der weitaus besseren Waffe  der Worte, verbal Luft macht. Aber so? Meine Verwunderung über mich selbst, das Verhalten des arschlochigen Alaskaners und meine betrogenen Hoffnungen hinsichtlich der entlegenen Traumcampsite lassen nur eine einzige, kompensierende Reaktion zu: ich heule los, um Druck abzubauen: und tatsächlich – mit jeder einzelnen Träne verflüchtigt sich ein Faustschlag, den ich vor ein paar Minuten noch allzu gerne angebracht hätte. So also stehe ich heulend im Schatten des Autos und weine mir die Wut aus Kopf und Faust, als sich mir plötzlich knirschende Schritte von der unteren Campsite nähern. Da kommt jemand! Ich versuche, meine Fassung wiederzuerlangen, doch die Dame, die uns gestern so freundlich über die bevorstehende Ruhestörung aufgeklärt hatte, ist nicht zu täuschen. „Alles okay? Mensch, warum weinst du?“ Und da bricht alles aus mir raus. Ich kotze der armen Frau alles vor die Füße, was mich gerade so sehr beschäftigt. Und erhalte eine Antwort, die mich für alles entschädigt. Der Alaskaner war, bevor wir zurückkamen, schon bei der Fototruppe und hatte denen die Hölle heiß gemacht. Dann aber hatte ihn, angesichts der zahlentechnischen Übermacht der Reisegruppe der Mut verlassen. Und nun ging er auf uns los. Die Dame entschuldigt sich wortreich, dass ihre Gruppe diesen Menschen ungebremst auf uns gelenkt hätte. Und sie versteht genau, was mich so in Rage bringt. Sie bittet mich um eine klärende Minute, läuft wieder runter zu ihrer Truppe. Bald darauf kommt der „Silberrücken“ der Reisegruppe anmarschiert und knöpft sich unseren herzigen Alaskaner vor. Ich weiß nicht, was er ihm sagt, ich weiß nicht, womit er ihm droht, ich weiß nicht, wie er er schafft, aber zehn Minuten später räumt der arrogante Spacken das Feld. Wortlos und wutentbrannt rafft er seinen Schlafköcher zusammen und zieht von dannen.

Vorher aber blafft er noch seine Begleiter an und die dürfen nun den Rest alleine zusammenpacken, bevor sie ihrem Bwana folgen – wohin auch immer. Wir räumen unsere Habseligkeiten inzwischen wieder da hin, wo sie vor der Attacke aus Nordamerika auch schon standen. Dann machen wir uns Wasser heiß und genießen unseren Nachmittagstee im Schatten unseres wiedererrichteten Gazebos. Die drei Schwarzen, die noch nicht ein Wort von sich gegeben haben, packen hingegen noch immer. Als einer der Drei sich besonders ungeschickt bemüht, einen Campingstuhl in seine Transporthülle zu stopfen, kann ich einfach nicht länger untätig zusehen und biete ihm meine Hilfe an. Der Mann sieht mich mit großen Augen ungläubig an. „Du willst mir helfen? Echt? Und das, nach allem, was passiert ist? Vielen, vielen Dank!“ Gemeinsam bugsieren wir den sperrigen Stuhl in den Stoffbeutel und ich meine lächelnd: „Naja, ihr könnt ja nichts für das Benehmen eures Kunden. Der ist halt ein Arschloch, und wird für ewig eines bleiben. Ich frage mich nur, wie ihr das ertragt. Zahlt er wenigstens gut?“ Der Mann schüttelt den Kopf, lacht freudlos und erzählt mir dann eine schier unglaubliche Geschichte. Der nordamerikanische Volldepp ist kein Tourist, kein Kunde. Er ist Physikprofessor und im Rahmen eines Austauschprogrammes zu Gast an der Kapstädter Uni, genau da, wo auch die drei schwarzen Herren tätig sind. Nein, nicht als Hausmeister, Lakaien, Servanten oder gar bezahlte Guides. Nein, die drei schwarzen Herren sind ebenfalls Physikprofessoren und wurden dazu auserwählt, dem Austauschfuzzi an ein paar freien Tagen etwas vom Land zu zeigen! Gastfreundschaft ist ein hohes Gut in Südafrika, der Gast ist König und wird auch als solcher behandelt – und sei er noch so ungehobelt. Ich lausche ungläubig, bin fassungslos. „Hey, der Typ behandelt euch wie Knechte, euch, die ihr beruflich auf einer Stufe steht, und ihr lasst euch das gefallen?!“ Hilflos wedelt mein Gegenüber mit den Armen und versucht zu erklären. „Wir haben ihm gesagt, dass er eure Sachen nicht wegräumen darf. Aber er, er, immer nur er. Das ist alles, was für ihn zählt. Deshalb haben wir ihn machen lassen. Aber glaub mir – es tut uns unendlich leid. Doch gegen den kommst du nicht an. Er hat immer recht, weiß immer alles besser und setzt das auch durch. Was sollen wir dagegen tun?“ „Weist ihn in seine Schranken! Der hat euch gar nix zu sagen, Gast hin oder her!“ „Nein, ja, du hast ja recht. Wir schämen uns auch für diesen Kollegen, aber er ist Gast und wir müssen uns dem fügen. Wir sind ja nur für vier Tage unterwegs und er wollte unbedingt einen Temperaturrekord brechen. Den hat er jetzt geknackt und morgen geht es zurück nach Kapstadt. Dann sind wir wieder an der Uni und sind ihn los.“ „Das kann doch nicht nur mit Gastfreundschaft zu tun haben“, bohre ich nach, „da gibt es andere Gründe, sei ehrlich!? Hat der Alaskaner was zu sagen oder ist da immer noch die Hautfarbe im Spiel?“ Der schwarze Professor windet sich, ringt nach Worten, verknotet seine Finger. Plötzlich entdeckt er eine Eidechse im Felsen hinter uns, deutet sichtlich erleichtert auf das ablenkende Reptil und fragt mich, ob ich wisse was das sei. Na ja, ’ne Eidechse halt. „Yes, good, Madam, Akkedis, Akkedis! Akkedis is afrikaans word for lizard!“ Manchmal höre ich ja das Gras wachsen, aber diese Antwort ist – in meinen Ohren – mehr als deutlich! Es wird von einer Frage, die sichtliches Unbehagen bereitet, händeringend abgelenkt und gleichzeitig in schwer akzentbehaftetes Rudimentär-Englisch verfallen. Und das von einem Menschen, der noch Sekunden vorher glasklares Kap-Angelsächsisch gesprochen hatte. Ich denke mir meinen Teil, unterlasse aber fortan jegliche Fragereien meinerseits.

In fast trauter Zweisamkeit packen wir den Rest der Sachen und verabschieden uns dann herzlich. Ich wünsche den Dreien viel Glück für die Rückfahrt und eine baldige Entledigung von dem alaskanischen Übel, was mit einem seufzend-bitteren Lächeln quittiert wird. Ups, jetzt fällt mir doch noch eine Frage ein: „Wo übernachtet ihr denn heute eigentlich?“ „Da unten.“, bekomme ich zur Antwort, „Die Fotogruppe hat umgeparkt und eine Site freigemacht!“ „Mann, das ist aber nett von denen!“ „Ne, ne, das passt schon und ist gut so. Macht euch bloß keine Gedanken!“, verabschiedet sich der Professor von uns und klettert in den voll bepackten Wagen, in dem seine zwei Kollegen schon darauf warten, zu ihrem sicher recht wohlgelaunten Gast aufschließen zu dürfen. „Wir gehen besser gleich ins Bett… Euch eine gute Nacht und ein dickes Sorry nochmal!“ Mit diesen Worten verschwinden die Drei in der mittlerweile einsetzenden Dämmerung. Puh, das Kapitel „Alaska“ wäre hiermit, zufriedenstellend für uns, abgeschlossen, dennoch aber beschäftigen mich weiterhin einige Dinge. Vor allem: warum hat die Fototruppe so selbstlos Platz gemacht? Und wie können wir uns dafür gebührlich bedanken?

Jochen fällt in meine Gedanken, indem er den Verdacht äußert, jede Campsite sei für zwei Gruppen konzipiert. „Habt ihr die Feuerstelle da hinten gesehen?“ Ja, haben wir, aber die kann ja auch von einer größeren Gruppe oder einem romantikbesessen Liebespaar mit Absentierungstendenzen stammen. Wir hypothesen vor uns hin, konsultieren unsere Buchungsbestätigung, erhalten aber keine definitive Antwort – bis mir der Prospekt über die ariden Nationalparks des südlichen Afrika wieder einfällt, den ich im Tanqua mitgenommen hatte und der irgendwo in den Tiefen meiner Sitztasche seiner Bestimmung harrt. Und, ja, dort steht es geschrieben: Kokerboomkloof hat vier Campsites – für je zwei Parteien à sechs Personen! Somit sind wir also tatsächlich im Unrecht, hätten den Alaskaner und seine Kollegen tolerieren müssen. Na ja, unter normalen Umständen. Nicht aber bei dem Benehmen, das sicher jenseits jeglicher Toleranzgrenze lag. Jetzt jedoch wissen wir wenigstens, warum die Fototruppe derart bereitwillig ein Plätzchen für die vier Professoren geräumt hatte: die Herrschaften belegen Stellplätze für insgesamt 36 Personen, obwohl sie nur zu sechzehnt sind. Und im Gegensatz zu uns waren sie sich dessen von Anfang an in vollem Umfang bewusst! Irgendwie ist es also nur recht und billig, dass sie ein paar Autos umgestellt haben, um dem unfreundlichen Amerikaner nebst seiner Kollegen Platz für die Nacht zur Verfügung zu stellen. Nichtsdestotrotz sind wir froh und dankbar für die Kompromissbereitschaft unserer Nachbarn, die uns auf diese Weise einen ungestörten Abend verschafft haben. Und den genießen wir nun in vollen Zügen, versuchen, den unliebsamen Zwischenfall zu vergessen.

Einmal aber lodert mein Zorn doch noch auf: die Kühle der Nacht bringt mich zum Frösteln und ich stapfe zu unserem Zelt, um mir eine Jacke zu holen. Ich öffne das Überzelt und starre ungläubig auf unseren Eingang, dessen Reissverschluss sperrangelweit offen steht. „Schneck, hast du das Zelt heute Früh zugemacht?“, frage ich sicherheitshalber, als ich zu meinen Freunden zurückkehre. „Ja klar, ganz sicher, was denkst du denn?“ Fragende Blicke ruhen auf mir. Tja, da hat der angeblich so reiseerfahrene Dreckskerl doch tatsächlich unser Zelt geöffnet, das voll eingerichtete Gemach für zu schwer befunden, um es einfach so wegzuzerren und hat es deshalb in Ruhe gelassen. Aber da wir ja ohnehin nur asoziale Platzbesetzer sind und es wohl nicht anders verdient haben, blieb unser Innenzelt offen – im Gegensatz zum sorgfältig-unauffällig verschlossenen Überzelt. Eine absolute Todsünde! Der Scheißkerl hat eine Grundregel gebrochen, deren Nichteinhaltung uns, im schlimmsten Falle, das Leben hätte kosten können. Was, wenn sich eine Schlange in unser Zelt verirrt hätte? Was heißt „hätte“?! Kann ja immer noch sein, denn ich habe gerade nur vorsichtig und mit spitzen Fingern meine Jacke aus dem Zelt gefischt, ohne genauer nachzusehen. Eine gründliche Inspektion steht uns also noch bevor.

Mann, der Typ ist nicht nur ein herablassenendes Arschloch, sondern gleichzeitig auch noch ein gemeingefährlicher Menschenverächter! Meine Freunde sind ebenso fassungslos wie ich. Als wir gerade kopfschüttelnd über diesen unsäglichen Mann und seine Selbstwahrnehmung rätseln, besucht uns erneut die nette Dame von der Fototruppe, um sich nach unserem Wohlergehen zu erkundigen. Und sie möchte sich gerne für ihre Landsleute entschuldigen: „Dass die drei Guides das Verhalten ihres Gastes euch gegenüber geduldet haben, ist unverzeihlich. Es tut uns von Herzen leid und wir bitten um Entschuldigung im Namen aller Südafrikaner!“ „Warum glaubst du, dass die drei schwarzen Begleiter des Amerikaners seine Guides sind?“, frage ich. „Sind sie nicht?“ Ich kläre die erstaunte Lady auf und jetzt ist sie es, die um Fassung ringt. „Uni Kapstadt, Physikprofessoren? Alle drei? Und der Alaskaner auch? Das wird ein Nachspiel haben! Auch ich habe einen Lehrstuhl an der Capetown University inne und zudem ein gewichtiges Wort mitzureden. Was hier passiert ist, ist unmöglich, unverzeihlich, unfassbar, nicht tolerierbar. Eine Schande für den ganzen Campus! Das hat Konsequenzen, seid euch sicher!“ Wutentbrannt stapft die Dame, uns eine gute Nacht wünschend, wieder zu ihrer Truppe hinunter. Wir bleiben mit deutlichem Unbehagen zurück – denn wenn die Lady ihre Drohung wahrmacht, trifft es sicher die Falschen.

Was für ein beschissener Abend! Uns ist die Laune jetzt endgültig verdorben, weshalb wir uns bald in unsere Zelte zurückziehen. Natürlich nicht ohne uns vorher zu vergewissern, das auch gefahrlos tun zu können…


Weitere Impressionen des Tages:

Wir sind wieder unter uns!
Ausblick von Campsite 1
Libelle am Flusscamp











Das Virosa-Tal
Sarcocaulon sp. (Monsonia)
Aptosimum sp.











Typische RV-Landschaft
Euphorbia virosa
Nama-Lager ohne Flussblick













Euphorbia virosa











Kokerboomkloof
Unser Camp
Es wird Abend













Boscia foetida











Telophorus zeylonus
ssp. thermophilus
Telophorus zeylonus
ssp. thermophilus
Juveniler Nektarvogel











C. capitata
Heinz und Virosa
E. virosa
E. virosa
















Er hat zu gemacht!!!
Camp-Bulldogge



22. März 2013, Richtersveld NP (RSA) > Namuskluft (NAM)

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Der gestrige Abend ist weit weg, als ich die Augen aufschlage, wird aber zunehmend realer, je wacher ich werde. Das kann doch alles nicht wirklich so passiert sein! Ist es aber leider doch. Tja, gerne würde ich nun noch mal den Alaskaner zur Rede stellen, weil er unser Zelt offen stehen ließ, noch wichtiger aber wäre mir eine weitere Klärung hinsichtlich der vermeintlichen Guides. Doch die Gelegenheit ist verstrichen, es ist zu spät: Mr. Alaska hat seine persönlichen Servanten bereits packen lassen und wird soeben vom Platze chauffiert; justament in dem Augenblick, da ich aus dem Zelt krabble. Und auch unsere Fotografen sind im Aufbruch begriffen, räumen gerade ihre letzten Ausrüstungsteile in die bereitstehenden Vans. Es soll also wohl nicht sein, dass ich mir und meinen Gefühlen nochmal Luft mache. Das ist zwar eine ziemlich unbefriedigende Situation für mich, die ich gerne alles ausspreche, alles kläre und nichts mehr hasse als Ungerechtigkeit (und Steuererklärungen), aber es ist in diesem Falle leider nicht zu ändern. Mein einziger Trost ist meine ganz persönliche Überzeugung: alles, was man im Leben tut, wird quittiert, hat Folgen. Alles. Man erhält eine Rechnung für jede einzelne Tat und die ist, irgendwann und in irgendeiner Form, immer gerecht. Ob der Betroffene die Quittung in Beziehung zu seinem eigenen Verhalten und der besagten Tat setzen kann, sei dahingestellt. Erhalten wird er sie dennoch. Und der Alaskaner kann sich dahingehend schon mal warm anziehen…

Trotz dieser tröstenden Gedanken fühle ich erneut den Zorn in mir hochwallen. Nein, Frau Schneider, nein, jetzt ist Schluss! Heute ist unser letzter Tag im Richtersveld und den möchte ich genießen, ohne mich über Vergangenes, was ich ohnehin nicht mehr ändern kann, aufzuregen. Also atme ich tief durch und vertiefe mich ins Frühstück, freue mich über meine tolle Tasse, die badenden Vögel und den bevorstehenden Trip über den Helskloof Pass, den wir heute zum ersten Mal besuchen werden. Und es gelingt – nach dem Frühstück bin ich wieder völlig entspannt und wir gehen unserem allmorgendlichen Tagwerk nach: packen, aufräumen, abspülen, weiterziehen. Bevor wir jedoch ins Auto klettern, vollbringen wir bedauernd eine letzte Tat – wir entführen den Vögeln unsere Pizzaform. Es fällt uns echt schwer, aber wir werden sicher würdige Nachfolger haben, vielleicht schon bald. Winkend verabschieden wir uns nun von unseren gefiederten Freunden und starten los zu unserer heutigen Tagesetappe. Nach wenigen Kilometern aber ist bereits der erste Stopp angesagt: Heinz möchte sich gerne die wenigen, noch lebenden Köcherbäume genauer ansehen, über deren exakte Klassifizierung wir seit unserer Ankunft im Kokerboomkloof rätseln.

Das könnte eine Pillansii sein!
Es gibt drei Spezies von Baum-Aloen hier im Richtersveld: die weitverbreitete „Dichotoma“, die reich verzweigte „Ramosissima“ und die vergleichsweise seltene „Pilansii“. Gerne würden wir natürlich einmal eine echte „Pilansii“ zu Gesicht bekommen, doch auch nach gründlicher Inspektion der Kloof-Aloen sind wir nicht sicher, was wir hier tatsächlich vor uns haben. Die Wuchsform könnte passen. Könnte. Es könnte sich aber auch um sehr schlanke „Dichotomas“ handeln oder aber um Hybriden. Das macht die Bestimmung echt schwer – die drei Aloe-Arten sind nämlich in der Lage, sich gegenseitig fruchtbar zu bestäuben. Die daraus resultierenden Natur-Hybriden zeigen dann Merkmale beider Eltern; mal dominiert die Mama, mal der Papa. Und bei Hybriden aus „Dichotoma“ und „Pilansii“ ist das Resultat gerne mal extrem uneindeutig, weshalb wir auch jetzt zu keinem sicheren Ergebnis kommen. Na ja, egal, fahren wir weiter! Über die Springbokvlakte kurven wir zunächst gen Westen, überqueren dann erneut das trockene Bett des Gannakouriep und durchfahren danach viele uns noch unbekannte Gegenden meines Lieblings-Nationalparks. Und sie alle sind sehr viel reizvoller als die Strecken hinab zum Oranje, so stellen Heinz und ich unisono fest! Das Warum ist ganz einfach zu erklären: auf der Fahrt Richtung Westen dominieren Berge, die breiten, sandigen Flusstäler hingegen verengen sich und verschwinden schließlich ganz. Und das, was sich einem hier darbietet, ist sowohl in botanischer als auch landschaftlicher Hinsicht ein Kleinod – eines nach dem anderen, eines deutlich anders als das vorhergehende.

Köcherbaumrinde
Aloe (dichotoma?)
Detailbetrachtungen
Heinz ist happy














So überqueren wir Bergrücken, die uns sagenhafte Blicke auf die wiederum nächsten Bergketten ermöglichen, wellblechen durch kleine, felsige Täler, die zahlreiche Pflanzenspezies beherbergen und gleichzeitig die Sicht auf unglaublich strukturreiche und farbenfrohe Hügelketten freigeben. Immer wieder müssen wir deshalb stoppen, staunen und auf Erkundungstor gehen. Hier leuchtet uns ein Bergrücken entgegen, der im oberen Drittel völlig vegetationsfrei ist, unterhalb eines querlaufenden Doleritbandes aber zahlreiche Köcherbäume präsentiert. Dort entzückt uns ein breiter, talartiger Absatz, von dem aus man weit gen Osten sehen kann. Ein paar Kilometer weiter landen wir dann erneut in einer völlig anderen Welt: ein kleines, tiefsandiges Halbtal, hoch oben in den Bergen, beschenkt uns mit einem Mikrokosmos pflanzlicher Art. Hier gedeihen Aizoaceen, Zygophyllaceen und anderes sukukkulentes bzw. semisukkulentes Kraut in trauter Eintracht nebeneinander. Klebrige Jamesbrittenias recken uns aus rotverstaubten Blätterkissen ihre winzigen, zweifarbigen Blüten entgegen, farbenfrohe, stressverfärbte Prenias erfreuen uns mit ihren pastellig-bunten Blattrosetten und uns völlig unbekannte Jochblattgewächse in hochgeschossener Strauchform stellen uns vor neue Bestimmungsrätsel. Wenig später landen wir schließlich bei den felsigen Vorboten des Helskloof Passes, der für seine einzigartigen Vorkommen der hochendemischen Aloe pearsonii bekannt ist. Bevor wir diese jedoch zu sehen bekommen, passieren wir zahlreiche Hügel rechts und links der Pad, die Heinz und mich in ihren Bann ziehen. Am liebsten würden wir uns hier für den Rest unseres Urlaubs aussetzen lassen! Es ist atemberaubend, unglaublich, nicht zu fassen. Annette und Jochen hingegen werden mit jedem von uns gewünschten Stopp ungeduldiger, unruhiger. Wir müssen heute noch rüber nach Namibia, mahnen sie uns. Ja, ja, ist ja gut, wissen wir! Trotzdem haben wir doch Zeit!

Jamesbrittenia sp.
Jamesbrittenia maxii
Prenia sladeniana
Monechma mollissimum
Crassula brevifolia
Sarcostemma viminale




















Heinz und ich aber sind unerbittlich, erforschen eine Kuppe nach der anderen: erst den Ramosissima-Hügel, darauf folgt die Crassula-dominierte Anhöhe, kurz danach ein Mikrokosmos aus Crassulas, Asclepien und Asteraceen. Annette stapft anfänglich tapfer mit, begeistert sich wie wir auch, Jochen hingegen bleibt immer öfter gelangweilt beim Wagen und harrt unserer Rückkehr. „Jochen, was ist los mit dir? Warum siehst du dir das nicht auch an. Es ist so wunderschön! Kein Interesse?“, fragt Heinz besorgt.„Ihr klettert ja immer nur rum und erklärt nix!“, brummelt Jochen.„Na, was sollen wir denn erklären? Du musst schon mitkommen und dir die Pflanzen selbst ansehen; dann können wir auch was dazu sagen!“, erwidert Heinz verwundert. Jochen winkt ab. Mhm, wie sollen wir das verstehen? Auf jeden Fall so: Heinz hat unbenommen recht, aber vielleicht sollten wir davon absehen, bei jedem halbwegs grünen Stängel, bei jedem steinigen Hügel auf einen Halt zu drängen. Tja, das wäre wohl ratsam, aber noch sind wir nicht mal direkt am Helskloof Pass angekommen… Heinz und ich beherrschen uns dennoch mit äußerster Kraftanstrengung, was uns für wenige Kilometer tatsächlich so einigermaßen gelingt. Dann aber zeigen sich die ersten Exemplare der hochendemischen Aloe pearsonii. An einer Stelle, an der eine Gruppe der schlanken Aloen besonders gut zugänglich erscheint, brechen wir unseren Vorsatz und erbitten einen erneuten Stopp.

Stapelia similis
Opophytum hypertrophicum
 Aloe ramosissima
Tylecodon wallichii
Drosanthemum sp.
Zygophyllum prismatocarpum




















Unserem Wunsch wird seufzend stattgegeben und Heinz und ich stürzen sofort gespannt zu den Pflanzen, um sie genauer zu inspizieren. Und es ist ein erhebender Moment, persönlich und höchstselbst vor diesen Aloen zu stehen, deren Sichtung der Traum zahlreicher Sukkulenten-Begeisterter ist. Sie kommen nur in einem sehr begrenzten Gebiet entlang des Oranje-Tals vor, was natürlich einen großen Teil des Reizes ausmacht und sind damit, auf die gesamte Vegetation der Erde hin gesehen, so etwas wie ein Diamant. Ein roter noch dazu, ein ziemlich roter sogar! Die Farbe der Aloen ist der zweite Punkt, der sie so spektakulär macht: unter der Belastung der täglichen Sonneneinstrahlung verfärben sich die ursprünglich grünen Blätter der Sukkulenten in ein sattes Rot. Ein Rot, dessen Nuancen zwischen sonnenreifen Tomaten, vollmundigem Burgunder und dem Fruchtfleisch erfrischender Wassermelonen variieren. Die Exemplare, die wir gerade bewundern, schwanken farblich zwischen Melone und Tomate, und sind, als Einzelpflanzen betrachtet, nur bedingt als Schönheiten zu bezeichnen. Lange Stängel, in der unteren Hälfte mit trockenem, unansehnlich braunem Gekröse bestanden – erst darüber zeigen allmählich die saftig-dicken Blätter, die in einer kreuzständigen Rosette, gesäumt von zart elfenbeinfarbenen Zähnchen, ihre Krönung finden. Und ich gebe zu: man muss schon ein ausgesprochenes Faible für derartige Gewächse haben, um ihren Zauber aus dieser Nähe in vollen Zügen empfinden zu können. Aber gerade so kann man auch Details entdecken, die nicht nur den botanisch Interessierten begeistern.

Aloe pearsonii
Schönheit...
...ist relativ
Pearsonii-Blüte














Heinz und ich beenden die Inspektion der roten Aloen mit einem genussvollen Lächeln auf den Lippen, klettern wieder ins Auto und freuen uns, den Sukkulenten so nahe gekommen zu sein. Auf den nächsten Kilometern entfalten die Aloen dann aber ihren wahren Zauber, der auch unsere beiden Freunde voll in ihren Bann zieht. Die kargen, schroffen, bräunlichen Bergketten des unter der Dürre stöhnenden Helskloof Passes liegen nach ein paar weiteren Kurven plötzlich vor uns – und erglühen in allen nur erdenklichen Rottönen. Es sind ganze„Wälder“ der seltenen Pearsonii-Aloen, die dieses solitäre Farbspiel erzeugen; ein Leuchten, das nahezu magisch erscheint. Rote Raritäten unter blauem Himmel – ein einmaliger Anblick! Annette ist so hingerissen, dass sie es ist, die den nächsten Stopp erbittet. Dann stehen wir alle da und saugen dieses Gemälde in uns auf. Und es gibt sogar noch einige blühende Exemplare, deren gelbe Blütendolden einen weiteren Akzent in diesem unfassbaren, betörend schönen Farbenmeer setzen. Annette und Jochen sind begeistert. Heinz und ich nicht minder – spätestens jetzt wissen wir ganz sicher, dass das zwar unser erster, nicht aber unser letzter Besuch hier gewesen sein wird. Und der nächste wird ausführlicher, länger, ohne Zeitdruck – koste es, was es wolle! Helskloof, die Höllenschlucht, sollte besser in„Paradyskloof“ umbenannt werden; und das nicht nur wegen der roten Groß-Endemiten…

Aloe pearsonii
Helskloof Pass
Pearsonii-"Plantagen"











Heinz und ich haben uns im Angeischt der Aloen gerade still in die Hand versprochen, bald wiederzukehren, weswegen uns der Abschied nun nicht mehr ganz so schwer fällt. Dennoch seufzen wir vernehmlich, als unsere Fahrt hinab ins Tal, hinab Richtung Sendelingsdrif, weitergeht. Wir nehmen Abschied von einer Zauberwelt, die weit über die der Aloen hinausführt. Leider hatten wir, mal wieder, zu wenig Zeit, sie in vollem Umfang zu erkunden… Doch das botanische Potential, das hier schlummert, ist enorm. Fesselnder als alles andere, was wir bisher jemals erlebt haben. Trotzdem: bye bye, ihr Richtersveldias, ihr Stapelias, ihr Crassulas und ihr anderer Schönheiten. Bye bye, bis bald! Bye bye, Paradyskloof! Auf Wiedersehen!

Stapelia similis
Gasteria pillansii var. ernesti-ruschii
Richtersveldia columnaris











Während wir nun die steile Pass-Straße nach unten holpern und dabei stets neue, interessante Pflanzen erspähen, genießen wir trotz aller Wehmut auch den fantastischen Ausblick auf die Niederungen des Oranje-Tals, dem wir nordwärts, unvermeidlich, wieder entgegenstreben. Malerische Bergketten begleiten uns hinab auf den Streckenabschnitt, auf dem wir bereits vor vier Tagen, an der Parkgrenze entlang, gen Sendelingsdrif gefahren sind. Damals hatten wir es eilig, waren stimmungsmäßig leicht angeschlagen, heute hingegen sind Heinz und ich völlig entspannt, immer noch im Banne des Helskloof Passes. Für Jochen und Annette aber zählen nach wie vor die Kilometer, der Grenzübertritt nach Namibia - und das, obwohl es noch nicht mal zwölf Uhr mittags ist. Nein, wir verstehen schon: jeder hat so seine Prioritäten und alle wollen gleichgewichtig erfüllt werden. So also treffen wir gegen ein Uhr mittags am Hauptcamp des Richtersveld Nationalparks ein, das gleichzeitig - zu An- und Abmeldung aus dem Park - auch alle Stationen für den Grenzübertritt ins Nachbarland Namibia bereithält.

Auf südafrikanischer Seite
Überfahrt über den Oranje
Und in Namibia wieder runter











Wie es sich gehört, erledigen wir zunächst die erforderlichen Formalitäten, um uns rechtmäßig aus dem grenzübergreifenden Nationalpark abzumelden. Und natürlich fragen wir dabei nach unserem Alaskaner, der uns gedroht hatte, uns so derart anzuschwärzen, dass wir auf ewig Parkverbot erhalten würden. Heute war hier noch niemand, der sich beschwert hätte, sagt die Rangerin. Ach, hat der Typ etwa gekniffen? Wir beschreiben kurz den gestrigen Konflikt und bitten die Parklady, eine eindeutige Kennzeichnung der Campsites vorzumerken, um solche Konflikte in Zukunft zu vermeiden. Ach, seufzt die Dame, das Problem sei bekannt, es gäbe deswegen auch immer wieder Zwistigkeiten, aber sie könne da nichts ändern. Der Zulauf in den Park sei in der letzten Zeit so heftig, dass man mit den administrativen Pflichten nicht nachkäme. Na, Leute, so eine kleine Ergänzung in Form eines winzigen, aber umso deutlicher unterteilenden „As“ und „Bs“ zum toll geschnitzten Site-Schildchen kann doch nicht die Welt kosten, oder? Das stünde nicht in ihrer Macht, sagt die Lady, gibt uns aber recht. „Schließlich krieg ich die ganzen Beschwerden immer ab.“, klagt sie. Aber, gute Frau, alle Touristen müssen hier, in Sendelingsdrif, einchecken - da wäre es doch alternativ eventuell sinnvoll, jeden gebuchten Kokerboomkloofer, zumindest mündlich, genau auf diesen Umstand hinzuweisen, oder??? „Ja, aber dazu bin ich nicht befugt.“ Puh - und da träumt der paragraphengeplagte Europäer immer von Afrika - einem Afrika, in dem alles frei und offen und möglich ist…

Oder aber auch nicht. Der letzte Rest dieses (übrigens völlig unberechtigten) Traumes nämlich vergeht uns, als wir endlich unseren Wagen durch die Zollformalitäten gebürokratet haben: wir wollen nun die Grenze zwischen Südafrika und Namibia hinter uns bringen, steigen gerade wohlgemut ins Auto und wollen losfahren, als uns ein südafrikanischer Grenzer mit herrischem Ton zum Innehalten befehligt - zuerst müsse noch alles durchsucht werden. Seufzend steigen wir wieder aus und lassen den finstergesichtigen Beamten sein Werk beginnen - wir haben ja nichts zu verbergen. Denken wir. Der gute Mann jedoch ist da anderer Meinung. Mit Adleraugen und zwei willigen Gehilfen inspiziert er unser Gefährt, lugt unter die Fußmatten, in die offene Keksschachtel, das apfelbestückte Gepäcknetz, in sämtliche Sonnenbrillenetuis, die Cubbybox und die Sitztaschen. Er findet nichts Verbotenes. Doch je erfolgloser er ist, umso grimmiger und verbissener wird er. Schließlich entspannen sich seine Gesichtszüge doch noch: er hat ein kalkiges Muschel-Stein-Gebilde entdeckt, das Heinz vom Strand im Namaqua Nationalpark mitgenommen hatte und klärt uns nun mit starrer Miene über unser Vergehen auf: „You are not allowed to remove any object from Richtersveld National Park, Ladies and Gents! This is a serious offence to the park rules!“ Mit drohend zusammengekniffenen Augen nimmt er das Corpus delicti in die Hand und präsentiert es seinen Gehilfen mit oberlehrerhaftem Gesichtsausdruck. Die nicken ebenfalls entrüstet – während wir von jedweder Belehrung hinsichtlich des eindeutig maritimen Ursprungs des anstoßerregenden Gegenstandes absehen, auch wenn sie uns ganz vorne auf der Zunge liegt. Stattdessen signalisieren wir deutliche Zerknirschung und sind froh, diesem Zerberus schließlich doch noch ungeschoren entrinnen zu können.

Während wir nun erleichtert das Weite suchen, steckt der gestrenge Beamte den Stein in die Hosentasche seiner Uniform und knöpft sich die nächsten Sünder vor: es sind zwei Damen, die, so entnehmen wir deren lautstarkem Lamento, wohl mehrmals wöchentlich zwischen beiden Ländern pendeln und, nach eigener Aussage, noch nie kontrolliert wurden. „Wir sind Mrs. XY und Mrs. Z., hallo!?! Wir sind geschäftlich unterwegs und man kennt uns hier! Lassen Sie uns gefälligst passieren!“ Das letzte, was wir in unseren staubverhangenen Rückspiegeln sehen, ist die empörte Kapitulation der beiden Ladies, deren Auto nun von unserem kompromisslosen Grenzerfreund auseinandergenommen wird.

Rasch geben wir Gummi, kurven hinunter zur grenzüberschreitenden Fähre und müssen eine ganze Weile warten, bis das kleine Transportboot endlich von der namibischen Seite ablegt und zu uns herüber tuckert. Schließlich legt die Fähre an, wirft ihre Überbrückungsbleche in die betonierten Platten der Uferbank, Jochen steuert den Landy sicher an Bord, die Bleche werden wieder eingeholt, wir alle mit Rettungswesten bestückt, und fahren ein paar Minuten später auf namibischer Seite erneut vom Boot - die Lamento-Damen hingegen sind noch nicht mal ansatzweise in Sicht... Puh, da hatten wir wohl echt Glück! Denn nun sind wir sicher außer Reichweite dieses martialischen Grenzbeamten und haben nur einen minimalen Verlust zu beklagen - alles andere hingegen blieb unentdeckt: eine Raubvogelfeder aus dem Tanqua, diverse hübsche Kiesel von hier und da und noch ein paar andere Dinge, die dem Herrn sicher große Genugtuung bereitet hätten, wäre er fündig geworden. Ist er aber nicht! Diebisch erfreut setzen wir so unseren Weg fort, stauben am westlichen Oranje-Ufer dahin, Richtung Rosh Pinah. Bald haben wir das Kaff erreicht und erblicken, nachdem wir einige starkstromgesicherte Wohnsiedlungen und umtriebige Minengelände passiert haben, die Abzweigung zur Gästefarm Namuskluft, die unser heutiger Übernachtungsort sein wird.

Namuskluft von oben
Uns hält nichts im Lager!
Ein weiteres Paradies











Relativ erwartungsfrei biegen wir auf das Farmgelände ab, durchqueren die ersten Kilometer - und werden immer gespannter: wir sind hier offensichtlich nicht irgendwo auf einem popeligen Gästefarmgelände gelandet, sondern scheinen gerade ein Richtersveld im Miniaturformat zu durchqueren! Mit dem einen Unterschied: wir befinden uns in einer Art von sandigem Tal – Täler, die im Richtersveld beinahe vegetationslos daher kamen. Hier aber protzt die Natur mit unzähligen Sukkulenten - Hoodias, Ruschias, Stoeberias und andere Etceteras wachsen dicht an dicht! Heinz und ich sehen uns vielsagend an und werden, mit Blick auf die uns umgebenden Berge, ganz zappelig. Ungeduldig erwarten wir unsere Ankunft im Restcamp, errichten dort rasch das Lager, gönnen uns noch ein kühles Getränk, dann aber hält uns nichts mehr. Während Annette und Jochen ermattet in ihre Camping-Stühle sinken, sausen wir beide los: hinter dem Camp ist ein kleiner Wanderweg ausgeschildert, der auf einen felsigen Hügel hochführt. Dieser Hügel sieht von unten recht harmlos aus, je höher wir allerdings klimmen, desto schweißtreibender wird die ganze Angelegenheit. Aber wir nehmen die Anstrengung beinahe nicht wahr, denn der Hügel enttäuscht unsere Erwartungen nicht und präsentiert uns einen Mikrokosmos zahlreicher Sukkulenten. Was hier nicht alles wächst! Hoodias, Namaquanum-Pachypodien, Pearsonii-Aloen, Sisyndites, Tylecodons, Crassulaceen - und sogar einige Pflanzen, die wir nicht mal im Richtersveld gesehen hatten! Heinz und ich sind im Glück. Stundenlang klettern wir in diesem steinigen Paradies umher - der ausgeschilderte Wanderweg hat sich schon lange im Meer der sukkulenten Blätter verloren - und genießen unser kleines, üppiges, nachträgliches Mini-Richtersveld in vollen Zügen.

Tylecodon wallichii
Crassula subacaulis
Wie? Schon Abend?!?











Wir merken kaum, dass die trockene Hitze allmählich einer angenehmen Kühle weicht. Erst, als wir immer genauer schauen müssen, wohin wir unsere Füße setzen, fällt uns auf, dass die Sonne schon fast hinter den umliegenden Bergen verschwunden ist. Zeit, ins Lager zurückzukehren! Vorsichtig bahnen wir uns einen Weg durch das steile Gelände nach unten und erreichen im letzten Tageslicht den Fuß unseres Paradieshügels, von wo aus es nur noch knapp zwei Kilometer bis zum Lager sind. Annette und Jochen, die den Nachmittag faul im Schatten eines Baumes verdöst hatten, sind bereits mit den Vorbereitungen zum Abendessen beschäftigt, als wir endlich wiederkehren und kredenzen uns sogleich ein kühles Bier zum Empfang. Genüsslich lassen wir das himmlische Gebräu durch unsere Kehlen rinnen und erzählen nebenbei von unserem spannenden Ausflug. Dann packen wir mit an und bald steht ein herzhaftes Abendessen auf dem Tisch, das wir uns mit großem Appetit schmecken lassen. Danach sitzen wir alle glücklich und zufrieden in unseren Stühlen, lassen den Tag revue passieren und freuen uns auf das noch Kommende. Zwei Tage im Gebiet der Sukkulenten-Karoo liegen ja noch vor uns, auf die wir uns sehr freuen, dann jedoch wird unser Urlaub einen deutlich anderen Charakter annehmen - und auch darauf freuen wir uns schon tierisch...



Weitere Impressionen des Tages:


























































Crassula grisea
Crassula brevifolia
Crassula sp.











Aloe ramosissima
Aloe ramosissima
Aloe ramosissima











Zygophyllum sp.
Monechma mollissimum












Prenia sladeniana
Zygophyllum retrofractum
Blepharis furcata











Euphorbia hamata
Euphorbia dregeana
Euphorbia gummifera











Euphorbia sp.
Zygophyllum retrofractum
Zygophyllum sp.











Opophytum hypertrophicum
Crassula brevifolia
Sarcostemma viminale











Crassula muscosa
Crassula sericea
Cotyledon orbiculatus











Sukkulentes Stilleben
Helskloof Pass
Helskloof Pass











Runter zum Oranje

Warten auf die Fähre











Aloe pearsonii
Namuskluft Camp
Ceraria namaquensis











J. maxii
J. bicolor
Augea capensis
Z. prismatocarpum
















C. robusta
R. columnaris
Cotyledon sp.
T. oleifolius
















S. similis
C. grisea
P. namaquanum
Namuskluft

23. März 2013, Namuskluft Restcamp > Tiras Conservancy, Tiras Gästefarm

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Die vergangenen zwei Wochen waren so spannend, so abwechslungs- und ereignisreich, dass wir heute Morgen ohne große Erwartungen in unseren Tag starten: unser Weg wird uns, nach einem ausgiebigen Frühstück, hinauf nach Norden führen, Richtung Aus und Helmeringhausen, wo wir auf der Farm Tiras unser nächstes Quartier aufschlagen werden. Zwischen hier und dort liegen allerdings einige Kilometer und ein weiterer Einkauf droht ebenfalls. Doch wir sind so erholt, dass ein supermarktbestückter Fahrtag sicher gut zu verkraften sein wird...

Waschhaus mit Dachterrasse
Bungalow
Angekommen!











Und so ist es auch: ganz gemütlich brechen wir unser Lager ab, zockeln los, tuckern ohne Stress und Hektik rauf bis Aus, wo wir dann einen örtlichen Supermarkt heimsuchen. Auch da ist alles ganz entspannt, nicht zu vergleichen mit dem Gewimmel in Springbok. In aller Ruhe schlichten wir die benötigten Lebensmittel in unseren Einkaufswagen, entdecken sogar noch ein Afrikaans-Englisch-Wörterbuch im Sonderangebot, und fahren gut ausgerüstet weiter. Am frühen Mittag bereits trudeln wir auf der Tiras Gästefarm ein und melden unsere Ankunft im Farmhaus der Familie Koch. Auf unser letzten Tour logierten wir übrigens auf Koiimasis, einer Farm, die ebenfalls zur Tiras Conservancy gehört, sich aber viel weiter westlich befindet. Dort war es wunderschön, entlegen und ruhig. Kein Wunder, man fuhr ja erst mal zwanzig Kilometer querfeldein, bevor man das Farmhaus erreichte. Das ist auf Tiras ein bisschen anders: die einzige Hauptstraße der Gegend durchschneidet das Farmgelände; rechterhand und in Sichtweite derer liegt das Farmhaus, linkerhand und noch viel besser sichtbar, der Campingplatz am Fuße eines Hügels. Auf halber Höhe des durchaus pittoresken Steinhaufens thronen die beiden Bungalows - und die haben wir für die kommenden zwei Nächte angemietet. Auf den ersten Blick enttäuscht uns die Lage etwas, gerade im Vergleich zu Koiimasis. Aber jetzt sehen wir uns die Sache einfach mal an.

Blick vom Camphügel
Klippspringer...
...auf Zehenspitzen











Wohlgemut biegen wir den Weg Richtung Farmhaus ab und werden dort zunächst von zwei freundlichen Dackeln begrüßt, die uns schwanzwedelnd umspringen. Die Hunde streichelnd und lobend passieren wir ein Hoftor, die zwei Tiere stets im Schlepptau. Dann, als wir bereits vorsichtig eine sehr privat aussehende Veranda betreten, kommt eine ältere Dame aus dem Haus. Frau Koch. Wir stellen uns vor, werden herzlich-zweckmäßig begrüßt, erhalten die Schlüssel zu unseren Unterkünften und machen eine Uhrzeit aus, zu der uns Frau Koch für die vorgebuchte Sukkulententour heute Nachmittag abholen wird. Quadratisch, praktisch, gut. Ganz anders als auf Koiimasis, wo alles ein wenig „hotelfachschuliger“, begleitet von professionellem Lächeln, ablief. Aber wir mögen Leute, die ihre Ecken und Kanten von Anfang an nicht verbergen. Ohne großes Gelaber nehmen wir die Schlüssel nebst aller zweckdienlichen Instruktionen mit uns und streben unseren Quartieren zu, die auf der anderen Seite der C13 in der Mittagssonne liegen. Auch die Bungalows sind, genau wie deren Betreiberin, ehrlich und zweckmäßig. Kein überflüssiger Luxus, kein Schnickschnack. Rechteckig, funktionell, ordentlich, klein, aber gepflegt und sauber. Wir fühlen uns willkommen, dort oben auf unserem Hügelheim, erst recht, als wir auf unseren Zimmern ausführliche und liebevoll aktuell gehaltene Informationsmappen über die örtliche Vegetation entdecken. Nachdem wir uns häuslich eingerichtet haben, studieren wir das Material und besonders Heinz und ich sind begeistert: hier war nicht nur jemand am Werk, der Liebe zum pflanzlichen Detail zeigt, sondern offenbar auch jemand, der schon viele Gäste hatte, die diese Leidenschaft teilten und ihre Sichtungen der Gastgeberin in Form von Botaniklisten und Fotos zukommen ließen. Eifrig schmökernd lesen wir uns in die hiesige Flora ein und freuen uns immer mehr auf die bevorstehende Sukkulententour, zu der uns Frau Koch in zwei Stunden abholen wird.

Hoffentlich hält das Wetter!
Die Sukkulententour beginnt
Unser Transportmittel











Als ihr historischer, roter Pick-Up dann auf die Minute pünktlich herbeituckert, wagen wir uns aber fast nicht von unserer Festung herab, denn ein Klippspringer turnt gerade auf spitzen Hufen auf unserer Terrassenmauer entlang - direkt vor unseren Augen. Frau Koch winkt von unten rauf, wir winken von oben runter und deuten auf das Böckchen. Alles klar. Das zierliche Tier entschwindet jedoch bald aus unserem Blickfeld und wir setzen uns daraufhin vorfreudig in Bewegung. Als wir endlich alle im Wagen und auf dessen Ladefläche Platz bezogen haben, tuckern wir los. Frau Koch geht die Tour professionell an, indem sie einige Details zur Farm, dem Gelände und deren Pflanzenwelt nennt – freundlich, informativ, leicht distanziert. Dann steigen wir erstmals aus und Frau Koch taut sichtlich auf, als sie unser echtes, ernsthaftes Interesse erkennt. „Sukkulentenmenschen sind immer die ehrlichsten und zuverlässigsten von allen Gästen!“, teilt sie uns zutraulich mit, während sie uns gerade die erste Larrylechia präsentiert. Diese Bemerkung hinterfragen wir natürlich und erfahren im Laufe der nächsten Stunden so manch Interessantes - nicht nur über Pflanzen, sondern auch über das Leben als Farmer in solch einer trockenen Gegend. Unsereiner hat davon ja immer recht romantische Vorstellungen, doch in Wahrheit ist es ein täglicher Existenzkampf. Man benötigt riesige Flächen, um lohnende Weidewirtschaft zu betreiben, ist aber gleichzeitig stets und jedes Jahr aufs Neue von den aktuellen Marktpreisen und dem Wetter abhängig. Und beide Faktoren neigen zum Schlagen wilder Kapriolen.

Hoodia sp.
Larryleachia marlothii
Sansevieria aethiopica











Als dieses Auf und Ab immer heftiger wurde, entschlossen sich fünf Farmer, das Potential ihrer Farmgründe nicht mehr ausschließlich landwirtschaftlich, sondern auch touristisch zu nutzen und gründeten die Tiras Conservancy. Jeder der beteiligten Landwirte schränkte seine beweidete Fläche erheblich ein und verschrieb sich fortan dem Schutz und Gedeihen der übrigen Flächen - im Sinne des Tourismus und der Ursprünglichkeit der Natur. Um eben diese Schönheit der Natur auch den Touristen zugänglich machen zu können, erhielt jeder der fünf Farmer eine Spezialaufgabe zugeteilt. Und Frau Koch kam so, wie sie uns gesteht, wie die Jungfrau zum Kinde: sie war fortan die Flora-Beauftragte und arbeitete sich im Laufe der Jahre in eine Materie ein, die ihr vorher so fremd wie nur irgendwie erschien. Aber sie macht das echt toll und mit einer mittlerweile wahren Leidenschaft und Begeisterung. Deshalb freut sie sich über unser tiefes und ebenso leidenschaftliches Interesse ganz besonders. Sukkulentenmenschen sind die ehrlichsten und zuverlässigsten, sagte sie vorhin. Nach ihren jetzigen Ausführungen ist diese Bemerkung nun sehr verständlich: viele Touristen besuchen die Farmen der Tiras Conservancy, weil es ein landschaftlich einzigartig schönes Gebiet darstellt. Die meisten kommen der Gegend wegen und sind deshalb, genau wie auch wir, zunächst etwas enttäuscht, gerade von der Lage der Tiras Farm. So passiert es also auch hin und wieder, dass gebuchte Gäste über die C13 einschweben, sich in ihren Hoffnungen betrogen sehen und daraufhin sang- und klanglos das Weite suchen, um anderswo ihr Namibia-Landschaftsglück zu suchen. „Nur die Pflanzeninteressierten, die wollen Pflanzen sehen - deshalb buchen sie und kommen und bleiben in der Regel auch.“ sagt Frau Koch mit bitterem Unterton.

Hereroa puttkameriana
Microloma incanum
Cotyledon orbiculata











Diese Reaktion ist zwar – und dessen ist sie sich durchaus bewusst – irgendwie nachvollziehbar, aber - so sehen wir das - dennoch völlig unberechtigt. Denn diese Gästefarm, deren Lage auf den ersten Blick vielleicht nicht ganz den Traumvorstellungen eines Durchschnittstouristen entspricht, hat, wenn man sich darauf einlässt, so unendlich viel zu bieten. Eine wunderschöne Landschaft mit phantastischen Gesteinsformationen, die markante Bergkette des Rooirand, die im Sonnenlicht in allen nur erdenklichen Rottönen leuchtet, eine Betreuung durch eine Gastgeberin, die unglaublich viel zu erzählen und auch zu zeigen hat. Und sie kennt ihr Land wie keine andere! Wie auf Schienen mäandert Frau Koch durch das Gelände ihrer Farm und führt uns zu einer sehenswerten Pflanze nach der anderen. Larryleachia, Microloma, Euphorbia, Lithops, Avonia, Crassula und viele andere mehr. Wir staunen nicht schlecht: gerade Lithopse, Lebende Steine, sind extrem gut getarnt und wachsen gerne gut verborgen in Felsspalten oder unter unscheinbarem Gestrüpp - aber sie findet jeden einzelnen. Vollends begeistert aber sind wir, als die Dame sich plötzlich niederkniet, zielsicher eine Sandschicht von einer völlig unauffälligen Stelle pustet und uns etwas präsentiert, was extrem selten und noch schwerer zu finden ist: eine Crassula mesembrianthemopsis.

Adromischus schuldtianus
Anacampseros karasmontana
Crassula mesembrianthemopsis











Hierbei handelt es sich um ein recht unscheinbares Dickblattgewächs, das aufgrund seiner Seltenheit aber trotzdem zu den Traumsichtungen eines jeden Sukkulentenliebhabers zählt. Wir sind natürlich schwer begeistert. Was diese Sichtung jedoch wirklich bedeutet, wird mir in vollem Ausmaß erst klar, als ich Fotos der Crassula bei ispot hochlade. Auf dieser Internetplattform treffen sich zum Teil hochkarätige Sukkulentenexperten (zu Beispiel Priscilla Burgoyne, Autorin zahlreicher Fachbücher und Herbariums-Kuratorin bei SANBI; Derek Tribble, nach dem sogar ein Tylecodon benannt ist - um nur einige zu nennen), die allesamt in höchste Erregung geraten, als ich diesen Fund präsentiere. Jetzt, da wir vor dieser Pflanze stehen, ahne ich von diesem Begeisterungssturm natürlich noch nichts, tierisch beeindruckt bin ich aber dennoch - vor allen Dingen aber von Frau Kochs Zielsicherheit und Sachkenntnis.

Lithops schwantesii
Crassula muscosa
Crassula sericea











Und ihre Geschichte, die Tatsache, dass sie sich in eine für sie unbekannte Materie derart umfassend einarbeiten konnte, macht mir ebenfalls Mut. Das kann ich also auch schaffen! Während ich still lächelnd davon träume, eines Tages eine Doktorarbeit über den Mechanismus von Aizoaceen-Kapseln zu schreiben oder gar selbst mal eine noch unbekannte Sukkulente zu entdecken und zu beschreiben, führt uns Frau Koch weiter durch ihr kleines Paradies, wo es immer noch mehr Neues zu sehen gibt. Mittlerweile aber senkt sich langsam die Abendsonne über Tiras herab und beleuchtet die sagenhaften Gesteinsformationen des Farmgeländes aufs Schönste. Eierförmige Felsen, die wagemutig aufeinander gestapelt sind und wie von Geisterhand gehalten wirken, die Abbruchkante des Rooirand, die in unglaublichen Farbtönen erglüht, dazwischen weite Ebenen flachsfarbenen Grases und die Silhouetten reich verzweigter, kaktusähnlicher Avasmontana-Euphorbien, die ihre Arme markant in den Himmel recken. Der wiederum ist von dunkelblau dräuenden Gewitterwolken überzogen, die einen phantastischen Kontrast zu den Farben der Gegend bilden, gekrönt von einem Regenbogen, unter dessen Spektralfarben die Felsen in den letzten Sonnenstrahlen warm und intensiv leuchten. Eine unglaubliche Szenerie! Nur langsam und widerwillig reissen wir uns davon los, um den längst überfälligen Heimweg anzutreten. Während wir nun in der einsetzenden Dämmerung zu unserem Lager zurück kurven, gesteht uns Frau Koch, das dies eine der längsten Sukkulententouren gewesen wäre, die sie jemals gemacht hätte - weil sie es so genossen hätte, mit uns unterwegs zu sein. Ein Kompliment, das wir nur zurückgeben können!

Aloe hereroensis
Barleria rigida
Aptosimum sp.











Beglückt und erlebnisschwer treffen wir schließlich am Fuße unseres Camphügels ein, verabschieden uns herzlich von unserer Gastgeberin und stapfen den Weg zu unserer Unterkunft hinauf. Oben angelangt, erliegen wir dem Zauber unserer erhöhten Rundumsicht: überall am Horizont wabern schwarze Gewitterwolken, im Gegenlicht des heftigen Wetterleuchtens sieht man Regenschauer herniedergehen und dumpfes Donnergrollen lullt uns heimelig ein. Wir hingegen bekommen nicht einen Tropfen ab, befeuchten uns nur von innen, und genießen den Abend eines erlebnisreichen Tages bei einem fulminanten Abendessen, umrahmt von einer einzigartigen Kulisse. Allmählich ebbt die Gewitterfront dann ab und macht einem sternenklaren Himmel Platz, der warme Wind, der die Gewitter begleitet hatte, legt sich und Stille kehrt ein über Tiras. Eine Stille, die nur von unserem feucht-fröhlichen, schallenden Gelächter immer wieder durchbrochen wird: wir haben unsere neu erworbenen Wörterbücher nachschlagebereit in der Mitte des Tisches liegen und unterhalten uns ausschließlich auf Afrikaans... Eine Heidengaudi! Während wir uns königlich amüsieren, gesellt sich jedoch ein weiteres Geräusch hinzu. Ein lautes Rascheln, Knacken, Trappeln. Aufgeregt leuchten wir den Hügel hinter unserer Terrasse ab und blicken erstaunt in die schwarzen Knopfaugen einer nicht weniger erstaunten Maus, die auf der eifrigen Suche nach Essbarem ist. Wie erstarrt blinzelt sie in das Licht unserer Taschenlampen, bevor sie doch lieber das Weite sucht und im Gestrüpp verschwindet.

Blick auf den Rooirand
Regenbogen über dem Land
Abendliche Schauer











Hah, eine Maus! Aufgrund unserer bislang recht tierarmen Zeit wirkt sogar dieses kleine Nagetier wie ein Magnet auf uns. Leider aber hat sich das erregende Miniwild verdammt schnell, viel zu schnell, auf Nimmerwiedersehen im Bewuchs des Hügels verdünnisiert. Nun ist sie weg, die Maus, was wir sehr bedauern - allerdings bewirkte sie auch eine Art von Cut: wir beschließen vorerst unseren Abend der afrikaansen Albereien und widmen uns stattdessen pflichtbewusst dem Haushalt. Annette trägt das gebrauchte Abendgeschirr zur Spüle, die sich im Schatten der beiden Wasch-Häuschen, auf der anderen Seite unserer Terrasse befindet. Sie steckt den Stöpsel in das Spülbecken, lässt warmes Wasser einlaufen, wirft die Teller in das Becken und beginnt zu spülen. Der erste Teller ist kaum gereinigt, als wir sie schon entsetzt quieken hören. Sekunden später ist Annette wieder bei uns und berichtet atemlos: „Wiiiieh, da war was ganz Großes, ich hab’s nicht sehen können, aber es war riesig und kam den Hang runter, direkt auf mich zu! Ich trau mich da nicht mehr hin!“ Hui, was war das wohl? Mit Taschenlampen bewaffnet schleichen wir gemeinsam um die Bungalows herum, nähern uns vorsichtig der Spüle - und entdecken die Maus, die, wie auf einer Insel, frech mampfend in einem Tellerstapel inmitten des Spülbeckens sitzt. Das soll das lautstarke Monster sein? Annette kann es kaum glauben. Doch wir leuchten den ganzen Hügel so gut wie eben möglich ab und können nichts Bedrohlicheres als besagte Maus entdecken. Der jedoch wird schließlich das Gefunzle zu viel und sie sucht laut raschelnd das Weite. Die Hügelwand hinter unseren Bungalows allerdings potenziert das Abmarschgeräusch des kleinen Nagers akustisch auf das eines drei Tonnen wiegenden Säbelzahntigers, sodass auch wir erstaunt lauschen und Annettes Schrecken jetzt durchaus nachvollziehen können. Lachend und ein wenig verwundert bringen wir nun den Abwasch rasch gemeinsam hinter uns, verstauen das saubere Geschirr in unseren Kisten, packen unsere Wörterbücher ein und gehen zu Bett. In ein echtes Bett - eines mit Gestell, Matratze, Kissen, Zudecke und festem Dach über dem Kopf. Eines, in dem wir allerdings auch nicht besser oder schlechter schlafen als im Zelt. Nur die Geräusche der Nacht, die so einzigartig und beruhigend sind, die hört man im Bungalow halt leider nicht so wirklich...



Weitere Impressionen des Tages:

Auf der Mauer, auf der Lauer
Blick vom Camphügel
Hungriger Besuch

























Microloma incanum
Verholzte Gallen
Euphorbia avasmontana












Euphorbia avasmontana
Hydnora africana











Es hält!
Aber wie?
Größenrelation











Psammodes sp.
Stenocara gracilipes
Stenocara gracilipes











Gut getarnter Hüpfer
Eurychora sp.












Hereroa puttkameriana
Lithops schwantesii
Cotyledon-"Plantage"




























Ameisenjungfer
Die Besuchs-Maus





































Hoodia sp.
C. orbiculata
Larryleachia marlothii
Avonia albissima
(auch Taubenfüßchen
oder Bird-Shit-Plant
genannt)















Larryleachia marlothii
Hoodia sp.
Webervogelnest mit
Zwergfalken
als Untermieter

24. März 2013, Ruhetag auf Tiras Farm

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Lustig war es gestern Abend, sehr lustig - und auch ein wenig bierselig. Trotzdem hüpfen wir heute mit leichten Köpfen aus unseren Betten und genießen ein entspanntes Frühstück auf der Rundumsicht-Terrasse, bevor wir, gut gestärkt, in einen neuen Tag starten. Große Pläne haben wir nicht, nur ein bisschen rumfahren und schauen; das ist alles. So machen wir uns am frühen Vormittag in aller Ruhe auf, verlassen unseren trauten Hügel, überqueren die C13 und erforschen die Gestade am Fuße des Rooirand. Huh, falsche Seite: außer diverser Kuhfladen und zahlreicher Fliegen ist hier nichts besonders Sehenswertes zu finden. Trotzdem klettern wir ein wenig auf den Felsen der unteren Rooirand-Region umher; vielleicht gibt es ja doch in irgendeiner Felsenritze etwas Interessantes. Nein, leider nicht – der erste Eindruck hatte also nicht getrogen. Naja, ist auch kein Beinbruch! Gemächlich klettern wieder in unser Auto und zockeln Richtung Farm, wo wir gleich nochmal Frau Koch besuchen und unsere Rechnung begleichen wollen. Und die Dame des Hauses freut sich aufrichtig, uns zu sehen. Sogleich werden wir ins Wohnzimmer gebeten und in ein Fachgespräch über Sukkulenten verwickelt. Es ist ein reger Dialog, in dessen Verlauf Frau Koch einen Ordner nach dem anderen, ein Buch nach dem anderen aus dem Regal holt. Einen tollen Fundus an gekaufter und selbst zusammengetragener Literatur hat sie da! Wir staunen nicht schlecht, was für Schätze sich im Laufe vieler Jahre bei der Farmerin angehäuft haben. Neben handsignierten Kleinstausgaben wertvoller Sondereditionen fallen mir besonders die zahlreichen Aktenordner auf, in denen alles gesammelt wurde, was interessierte und hilfsbereite Gäste nach ihrem Besuch auf Tiras bestimmt, zusammengestellt und Frau Koch in Form von Computerausdrucken zukommen ließen. Mein Gott, ein unglaublicher Pool von Informationen über die Flora von Tiras liegt hier vor uns! Trotzdem blutet mir das Herz, mein Grafiker-Herz: hätte ich Zeit und Geld und die Erlaubnis von Frau Koch, so würde ich mich glatt für ein Jahr hier einquartieren und diese riesige Loseblatt-Sammlung, die zwar liebevoll, aber wenig ansprechend und kunterbunt ist, in strukturierte, schön gestaltete Buchform bringen! Das wäre ein wundervolles und echt lohnendes Projekt. Tja, aber da ist er wieder, der alles verhindernde Konjunktiv - hätte, würde, könnte, täte...

Blick auf den Rooirand
Blick vom Fuße des Rooirand
Farm Tiras











Nichtsdestotrotz genießen wir das Gespräch mit der Farmerin, genießen ihre zu Papier gebrachten Juwelen, die sie uns voller Stolz präsentiert und nehmen dabei auch einige neue Informationen mit, besonders die Kleinstausgaben und Sondereditionen betreffend: da gibt es wieder einiges zu tun und zu recherchieren, um selbst in den Besitz solcher Juwelen zu gelangen. Vielleicht gelingt uns ja nach dem Urlaub der ein oder andere Treffer.

Cleome sp.
Hibiscus elliottii
Dyerophytum africanum











Fachsimpelnd, quatschend und uns gegenseitig bereichernd, verbringen wir so zwei unterhaltsame Stunden mit Frau Koch und erfahren nebenbei natürlich auch noch weitere Details über die Schwierigkeiten und Probleme beim Betreiben einer solchen Farm, wobei Frau Koch nun wirklich aus dem Nähkästchen plaudert. Als sie und ihr Mann den Betrieb in den sechziger Jahren vom Vorbesitzer übernahmen, hatten sie erst mal Unmengen von Müll zu entsorgen. Von Autoreifen über verrostete Gerätschaften größeren Ausmaßes bis hin zu ausgemusterten Einrichtungsgegenständen und stillgelegten Fahrzeugen lag hier alles umher - oder war teilweise sogar halbherzig vergraben. Woche um Woche, Monat um Monat trat etwas Neues zutage und trieb die Kochs zur Verzweiflung. Irgendwann war diese Baustelle dann zwar doch endlich abgehakt, aber es dräute bereits neues Ungemach am Horizont. Sinkende Fleischpreise, vermehrte Trockenheit, versiegende Brunnen, Viehkrankheiten; alles, was eben so passieren kann. Doch all das meisterten die beiden, hielten ihren Betrieb aufrecht – wenn auch unter großen Anstrengungen. Nach Jahrzehnten des ungewissen Aufs und Abs musste deswegen ein zweites Standbein geschaffen werden: fünf in der Region ansässige Farmer schlossen sich zusammen und setzten auf die Schönheit ihrer Landschaft, die unberührte Natur und den hoffentlich damit einhergehenden Tourismus. Dieses Unterfangen war allerdings nicht ganz ohne Risiko - Grund hierfür waren unter anderem die namibischen Dimensionen, die in keinster Form mit deutschen Größenordnungen zu vergleichen sind. Zur Verdeutlichung: in Bayern, auf den saftig grünen Weiden des Alpenvorlands, benötigt ein Rind zirka einen Hektar, um das ganze Jahr über satt zu werden. In Namibia hingegen muss hierfür die 40- bis 50-fache Fläche zur Verfügung stehen. Zwackt man nun von einem namibischen Farmgelände die Hälfte ab, um dieses Gebiet der Natur zu überlassen, reduziert sich der mögliche Großviehbesatz natürlich ebenfalls um die Hälfte, die Risiken allerdings verdoppeln sich, denn der geringe Flächenertrag lässt ab einer bestimmten Weidegröße keinen Spielraum mehr zu. Zum zweiten muss diese neue Brachfläche baldmöglichst „touristenattraktiv“ werden. Das jedoch geht extrem langsam vonstatten, anders als bei uns, wo wir wesentlich regenreichere, üppigere Wachstumsperioden gewohnt sind. Und dann ist da noch der dritte Punkt: stellt ein Bauernhof in Bayern auf Tourismus um, so ist bereits eine gewisse gästefreundliche Infrastruktur vorhanden: eine schöne Aussicht auf die Alpen, ein nettes Gewässer in der Nähe, ein paar bereits existierende Wanderwege und zahlreiche kulturelle Attraktionen im Umkreis von höchstens 50 Kilometern. Der bayerische Bauer verkauft seine Rinder, während die des Nachbarn weiterhin gar pittoresk das Panorama schmücken und gleichzeitig den Gast in rustikal-ländliche Stimmung versetzen. Den Erlös steckt er direkt in den Umbau der Stallungen, in denen künftig die Gäste wohnen werden; Wohlfühlambiente pur - Essen, Heizung, fließend Wasser und eventuell auch noch das, was man heute Spa-Bereich nennt, inklusive.

Pilze auf Termitenhügel
Asclepia im Gartenbeet
Asclepia (Cristate-Form)











Der namibische Farmer hingegen muss sich die gesamte Infrastruktur selbst basteln. Die schöne Aussicht ist zwar bereits da, aber mit vorhandenen Attraktionen wie Gewässern, Wanderwegen und naheliegenden Sehenswürdigkeiten sieht es eher schlecht aus, umbaubare Stallungen gibt es in der Regel nicht und fließend Wasser ist ebenfalls ein rares Gut. So muss also etwas geschaffen werden, mit dem man punkten kann. Und sind sind Ruhe, Stille, Abgelegenheit, schöne Unterkünfte, üppige Verpflegung (wenn gewünscht), unberührte, malerische Landschaft, geführte Touren zu Fuß, zu Pferde oder mit dem kommoden Geländewagen, interessante Wildtiere oder, wie in diesem Fall, faszinierende Pflanzen. Das meiste davon muss aber, wie gesagt, erst ins Leben gerufen, gebaut, angesiedelt oder zugekauft werden oder es muss eben von alleine gedeihen - doch das braucht Engagement, viel Geld und noch mehr Zeit. Plus der Zeit, bis sich so etwas bei Touristen herumspricht und es zu florieren beginnt; oder eben auch nicht. Ich will hier nicht den bayrischen, auf Tourismus umsteigenden Landwirt als denjenigen darstellen, dem alles in den Schoß fällt, beileibe nicht, aber im Vergleich zum namibischen Farmer sind dessen Voraussetzungen ungleich günstiger...

Aus Frau Kochs Steinesammlung
Beweideter Farmteil
Blepharis mitrata











Lange Rede, kurzer Sinn: Familie Koch hatte es nicht einfach und Tiras ist, auch nach den langen Jahren der Umstellung, noch immer keine selbstlaufende Goldgrube, zumal immer wieder eine neue Herausforderung hinzukommt. Neulich erst musste zum Beispiel ein neuer Brunnen erschlossen werden, um die Wasserversorgung sicherzustellen: da die Geologen nicht zuverlässig weiterhelfen konnten, zog man altes Wissen heran und engagierte einen kundigen Wünschelroutengänger, der eine lohnende Bohrstelle ausfindig machte. Eine Bohrung erfolgte und man stieß in einer Tiefe von über 140 Metern tatsächlich auf das ersehnte Nass, eine verheissungsvolle Quelle. Ein unvorstellbarer technischer und finanzieller Aufwand für etwas, was in unseren Breiten halt einfach „aus der Leitung“ kommt.

Sieht stechfreudig aus!
Ist sprungfreudig...
Sieht uns mit’m A... nicht an...











Apropos aus der Leitung: in Deutschland flackert ja so manche Auswanderer-Soap über den Fernseh-Bildschirm und ich wundere mich stets über die Unbedarftheit (und das ist gelinde ausgedrückt) einiger Umsiedler. Ohne Sprachkenntnisse, ohne finanzielles Polster begeben sich diese Dünnbrettbohrer in Länder, die sie maximal aus dem Urlaub kennen und wundern sich dann, wenn sie scheitern. Solche Leute sind echt zu dumm für diese Welt! Nun habe ich persönlich zwar noch nie mit dem Gedanken gespielt, mein Heimatland dauerhaft zu verlassen, würde es aber im Falle eines Falles sicherlich anders anpacken. Nach dem heutigen Gespräch erst recht – denn meine zugegebenermaßen durchaus existenten, immer noch leicht romantisierten Vorstellungen vom Leben in der Stille und Abgelegenheit namibischer Farmen wurden hiermit in ein deutlich realistischeres Licht gerückt. Deshalb kann ich jedem potenziellen Auswanderer nur dringend raten, sich gut über sein Traumland zu informieren und, wie wir heute, vorab ein bisschen hinter die Kulissen zu spähen.

Euphorbia namibensis
Euphorbia namibensis - Blüten
E. namibensis - Samenstände











Und auch, wenn diese Hintergrundinformationen meinen weiteren Lebensplan nicht nachhaltig beeinflussen werden, so finde ich die Schilderungen doch mehr als interessant. Stundenlang könnte ich noch zuhören, aber es ist bereits Mittag und wir möchten Familie Koch nun wirklich nicht weiter von ihrem Tagwerk abhalten. Herzlich verabschieden wir uns deshalb nach zwei erquicklichen und informativen Stunden der Plauderei, verlassen das gastfreundliche Ehepaar und schicken uns bereits an, wieder ins Auto zu steigen, als Frau Koch uns nochmal hinterhereilt. „Stopp, stopp, jetzt hätte ich beinahe vergessen, euch etwas zu zeigen.“ Geheimnisvoll zwinkernd schleust sie uns auf eine trockene Wiese hinter dem Haus, bückt sich, hält das Gras beiseite und präsentiert uns eine Euphorbia namibensis - und noch eine und noch eine! Na, das sind aber schöne Abschiedsgeschenke, diese kleinwüchsigen, caudiciformen Wolfsmilchgewächse, die nur in Namibia vorkommen! Und blühen tun sie auch noch. Wir freuen uns unheimlich, sie gezeigt bekommen zu haben und versprechen Frau Koch, die offenbar gar nicht so dringend zu ihren täglichen Aufgaben zurückkehren möchte, morgen nochmal wiederzukommen, bevor wir endgültig weiterziehen. „Ja, das hoffe ich, ihr habt nämlich noch nicht bezahlt!“ Ups, das haben wir vor lauter Unterhaltung jetzt wirklich völlig vergessen! Aber ein guter Grund, den Abschied noch einen halben Tag hinauszuzögern!















Mit dieser Gewissheit ziehen wir nun frohen Herzens von dannen, überqueren erneut die C13 und lassen uns zu einem ausgedehnten Mittagspäuschen auf unserem Camphügel gemütlich nieder. Erst, als die Sonne ein wenig tiefer steht und die Temperaturen etwas angenehmer werden, machen wir uns wieder auf den Weg, um auf eigene Faust den unbewirtschafteten Westteil der Tiras-Farm zu erkunden. Und diesmal hat Jochen das Sagen: er will Schildkröten sehen! Gesagt, getan. Lange kurven wir zwischen malerischen Felsformationen umher, bis wir schließlich eine Gegend vorfinden, die uns vielversprechend erscheint: ein etwa fußballfeldgroßes Areal, eingebettet in wogende Wiesen trockenen, goldgelben Grases, ist übersät mit kleineren Gesteinsbrocken, mal locker gestreut, mal dichter gestapelt. Ideales Gelände für Schildkröten! Erwartungsvoll schwärmen wir aus. Jochen aber ist der einzige, der seinen Plan strikt weiterverfolgt; wir anderen hingegen verlieren uns bereits nach wenigen Minuten im Zauber der Landschaft, der Vielfalt der die Steine bevölkernden Eidechsen und der Aloen, die hier in großer Anzahl üppig gedeihen. Meine Güte, ist das ein paradiesischer Ort! Wir schwelgen und genießen, die Nase mal gen Himmel, mal gen Boden, meist aber in die zauberhafte Weite gerichtet. So lange, bis Jochen tatsächlich eine Schildkröte gefunden hat und dies laut kundtut. Aufgeregt eilen wir herbei und beugen unsere Köpfe unter einen niedrigen Felsvorsprung, unter dem wirklich eine kleine Zeltschildkröte sitzt und vor Schreck über ihr Entdecktwerden den Kopf eingezogen hat. Nur ein dünner Grashalm ragt noch unter dem Panzer hervor und bewegt sich hin und wieder ganz sachte.

Psammobates tentorius
ssp. verroxii
Lucky Luke...
...traut sich heraus!











Jetzt heißt es geduldig sein! Nach langen Minuten des Stillhaltens in bandscheibenquälender Beugehaltung schließlich zahlt sich unsere Bewegungslosigkeit aus - die Schildkröte reckt Millimeter für Millimeter ihren Kopf aus ihrem mobilen Häuschen und blickt sich unsicher um. In ihren Augen - und die können sehr gut sehen - scheint die Luft rein zu sein, denn sie reckt nun mutig alle Extremitäten aus dem Panzer und kaut weiter an ihrem Grashalm. „Die sieht ja aus wie Lucky Luke!“, quiekst Annette, was sich als Fehler erweist, zumindest aus akustischer Sicht, denn, schwupp, schon hat sich der gepanzerte Cowboy wieder in den Schutz seiner Schildpatt-Höhle zurückgezogen. Ja, man traut diesen Reptilien so manches nicht zu, denn sprichwörtlich stehen sie für Langsamkeit und Unbeholfenheit. Doch die kleinen Scheißer sind schneller als man denkt und haben zudem auch noch sehr ausgeprägte Sinne: sehen, hören, riechen - kein Problem; teilweise übertreffen sie sogar uns Menschen, die wir ja die selbst ernannte Krone der Schöpfung sind. Wir vier Schöpfungskronen zollen nun der Schildkröte unseren Respekt, indem wir sie wieder in Frieden lassen und uns weiter auf dem Farmgelände umsehen, wo noch weitere, höchst attraktive Aus- und Einblicke auf uns warten. Goldgelb wogende Wiesen, niedrige, grün belaubte Bäumchen, markante Euphorbien, formschöne Baumaloen, deren Rinde samtig im Sonnenlicht glänzt, kleine Pflanzenpölsterchen, deren stachelige Triebe von hübschen Blüten geschmückt werden und immer wieder - Felsformationen, Felsformationen, Felsformationen. Diese aufeinander getürmten Riesensteine in den aberwitzigsten Formen sind hier wirklich fast überall zu finden. Und man kann sie rational betrachten und über deren Statik, Entstehungsgeschichte oder Zerfallsrate rätseln, man kann sie aber auch einfach genießen, wie sie sind: wunderschön, ungewöhnlich, bizarr, farbenfroh, warm leuchtend - und manche von ihnen haben sogar Gesichter.

Mussolini himself
Mussolini-Gruppe
Euphorbia avasmontana











So auch die fast wahrzeichenhafte „Mussolini“-Gruppe, eine Ansammlung runder, antlitztragender Köpfe, die beinahe körperhaften Steinleibern aufsitzen, einem pittoresken Haufen von Felsen, der einer Gruppe tuschelnder Menschen mit hoch erhobenen Häuptern gleicht. Und sogar die Mimik funktioniert! Die rasch sinkende Abendsonne zaubert Licht- und Schattenreflexe, die so lebendig wirken, dass man fast glaubt, die Gruppe wirklich reden hören zu können. Ach Leute, hier muss man doch bekloppt werden! Doch bevor uns dieses Schicksal ereilt, kommt uns die untergehende Sonne zuhilfe: sie lässt Mussolini und seine Freunde in harten Schattenwürfen mimisch erstarren, mahnt uns gleichzeitig zur Heimkehr und lässt uns, der abendlichen Kühle sei Dank, gepflegt erschaudern. Rasch kehren wir im letzten Sonnenlicht zu unserem Übernachtungshügelchen zurück, lassen uns dort zufrieden und glücklich nieder und genießen unseren letzten Abend auf Tiras, unseren letzten Abend im Herzen der Sukkulentenkaroo. Morgen geht es dann in den Namib-Naukluft Nationalpark und unsere Umgebung, unser Fokus wird sich ändern. Zumindest ein bisschen. Wir freuen uns sehr darauf und beenden, uns und unseren Köpfen zuliebe, den Abend heute etwas früher als gestern, denn schließlich haben wir bald wieder richtig Pad vor uns...




Weitere Impressionen des Tages:

Eidechse mit verheilter Verletzung
Rote Füße, roter Schwanz
Baum mit Webervogelnest












Aloe hereroensis
var. hereroensis
Aloe hereroensis
var. hereroensis
Aloe hereroensis
var. hereroensis
















Aloe hereroensis
var. hereroensis














Aptosimum sp.
Barleria rigida
Argemone ochroleuca












Schildkrötenwatching
















Euphorbia avasmontana




























Aloe dichotoma
Aloe dichotoma











Aloe dichotoma
Aloe dichotoma
Der Mond geht schon auf!












Heinz auf Ansitz
Aloe hereroensis
Argemone ochroleuca
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Aloe dichotoma
Aloe dichotoma
Aloe dichotoma
Aloe dichotoma
















P. tentorius
E. avasmontana

25. März 2013; Tiras Farm > Namib-Naukluft NP

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Im ersten Sonnenlicht bereits krabbeln wir aus unseren Betten und finden uns zum Frühstück zusammen, das wir heute etwas kürzer halten. Trotzdem genießen wir ein letztes Mal die herrliche Rundsicht, bevor wir uns ans Packen machen. Wir sind ja routinierte Camping-Lagerräumer und wundern uns deshalb mal wieder, wie viel Zeug man in einer kleinen, festen Unterkunft so verteilen kann, auch wenn man nur zwei Tage und Nächte dort verweilt. Ist noch was unter den Betten? Ach, der Waschbeutel hängt noch an der Tür! Schneck, hast du dein Kissen eingepackt? Schließlich aber sind wir sicher, nichts vergessen zu haben, tragen unsere Habseligkeiten nach draußen und machen uns an den Abbau der „Küche“ und des mobilen Wohnzimmers. Dann wird alles auf und ins Auto gestapelt, und, nach einem letzten Kontrollblick, sind wir endlich abreisebereit. Schwer beladen rumpeln wir unseren trauten Hügel nach unten und besuchen ein letztes Mal Frau Koch, um die Rechnung zu begleichen. Die finanzielle Transaktion erfolgt schnell und schmerzlos, der Abschied hingegen dauert ein wenig: auf unserer Sukkulententour hatten wir ein paar Pflanzen gesehen und über deren Namen gerätselt; Frau Koch ist deshalb nochmal durch ihre unzähligen Ordner gegangen, ist fündig geworden und hat alles für uns notiert. Dann zeigt sie uns noch ein paar besondere Stücke ihrer Steinesammlung, bittet uns um Fotos der ein oder anderen Pflanze. Fast enttäuscht stellt sie schließlich fest, dass nun alles gesagt, ausgetauscht und besprochen ist - sogar die Namibensis-Euphorbien haben wir gestern schon gesehen. Ja, und nicht nur ihr fällt der Abschied schwer...

Doch so gerne wir auch noch geblieben wären, langsam wird es trotzdem echt Zeit, unsere heutige Fahrstrecke in Angriff zu nehmen, die uns weiter hinauf nach Norden führen wird. Es ist beileibe keine monströse Etappe, im Gegenteil, aber wir würden gerne zeitig in dem malerisch gelegenen Camp am Naukluft-Fluss eintreffen, um den Nachmittag dort gebührlich genießen zu können. Und nach einer herzlichen Umarmung mit Frau Koch ist es so weit: wir tuckern los.

Nach einer halben Stunde allerdings ist bereits der erste Stopp angesagt, da wir, wie sollte es auch anders sein, mal wieder ein paar Besorgungen machen müssen. Nun sind auf unserer heutigen Route Ortschaften nicht gerade reichlich gesät, weswegen wir nicht wählerisch sein dürfen - wir versuchen unser Glück darob zunächst in Helmeringhausen. Dort jedoch suchen wir nicht nur das Glück vergebens, auch ein vernünftiger Laden ist nicht zu finden. Der einzige Gemischtwaren-Shop vor Ort, in dem wir eigentlich Brot erstehen möchten, hat Selbiges zwar in Form von labberigem Toast im Angebot, aber Annette verschmäht die inhaltslosen Weißmehlscheiben, da sie gerne etwas Vollkorniges hätte und zudem das Zahnlosen-Brot für hoffnungslos überteuert befindet. Wo sie recht hat, hat sie recht! So kehren wir dem Kaff Helmeringhausen unverrichteter Dinge den Rücken und hoffen, nach Konsultation der Karte, auf eine größere Ortschaft namens Maltahöhe, die mit einem vertrauenerweckenden mittelgroßen Punkt im Plan eingezeichnet ist. Hier werden wir unsere Einkaufsliste sicher schnell und zufriedenstellend abarbeiten können, so sagt uns unser Gefühl. Tja, so etwas kann man nur fühlen, wenn man noch nie in Maltahöhe gewesen ist. Dazu aber später...

Hoffnungsfroh fahren wir also weiter, durchqueren ein großes, landwirtschaftlich genutztes Gebiet, das kaum Highlights zu bieten hat. Eines jedoch gibt es schon - Schloss Duwisib. Dieses seltsame Kolonialbauwerk, eingebettet in sanfte Hügelketten, nötigt uns zwar einen kleinen Umweg ab, aber wenn wir schon mal in der Nähe sind, wollen wir uns das burgartige Kuriosum eben auch nicht entgehen lassen. Wir verlassen die Hauptstraße Richtung Norden, schwenken gen Westen und stehen, zwanzig Minuten später, tatsächlich vor dem Schloss, das seine Türme trotzig gen Himmel reckt. Einerseits wirkt es irgendwie wie ein Fremdkörper, fügt sich aber andererseits dennoch erstaunlich homogen in seine Umgebung ein. Erstaunlich ist aber nicht nur das Bauwerk selbst, ein im Stile des Historismus gestaltetes Fort aus dunkelroten Backsteinen mit Zinnen, Wehrtürmen und schießschartenartigen Fenstern auf zwei Gebäudeseiten. Seine Entstehungsgeschichte ist noch viel bemerkenswerter: ein sächsischer Artillerieoffizier namens Hansheinrich von Wolf verlor sein Herz an das Land, in dem er während des Hereroaufstandes als Offizier der deutschen Schutztruppen stationiert war und träumte davon, sich nach Beendigung seines Einsatzes hier dauerhaft niederzulassen. Während eines Heimaturlaubs ehelichte er praktischerweise eine vermögende Amerikanerin, deren finanzieller Background diesen Traum in greifbare Nähe rückte: der gute Herr von Wolf erwarb mit dem Geld seiner ihm angetrauten Ehefrau Jayta zunächst lediglich diverse Farmen, unter anderem auch die Farm Duwisib. Dann legte er richtig los: er beauftragte einen damals sehr renommierten Architekten, der sich bereits mit dem Bau der Schwerins-, der Heinitz- und der Sanderburg in Windhoek einen Namen geschaffen hatte, mit dem Bau seines eigenen Traumhauses.

Duwisib Castle
Eine Gedenktafel muss sein!
Waben-Bauherren











Um das Ganze stilgetreu errichten und auch einrichten zu können, ließ er im Folgenden Berge von Baumaterialen und Möbel aus der deutschen Heimat herbeischaffen. Man stelle sich diesen Aufwand mal bildlich vor! Da werden Tonnen von Backsteinen, Holz, Schränken, Betten, Tischen, Stühlen, Bildern, Kronleuchtern und anderem Kram per Schiff von Deutschland nach Namibia transportiert, um anschließend mit Ochsenkarren querfeldein, durch unwegsamstes Gelände, an den Ort des Geschehens verfrachtet zu werden. Ein unvorstellbarer Aufwand, eine unvorstellbare Schinderei! Aber Herr von Wolf verfolgte sein Ziel mit aller Konsequenz und stand schließlich, im Jahre 1908, vor den Früchten seiner Hartnäckigkeit - Schloss Duwisib. Leider ist nicht überliefert, ob wirklich alles seinen Vorstellungen entsprach, ob er die Zeit auf seiner Ritterburg gebührlich genoss und erst recht nicht, was die holde Gattin zu der ganzen Sache sagte. Man weiß nur, dass der Burgherr eine erfolgreiche Pferdezucht auf Duwisib etablierte und sich nicht nur Freunde machte, als er zu deren Ausbau immer noch mehr Land erwerben wollte. Sechs Jahre später allerdings war der Traum vom Leben in Deutsch-Südwest zu Ende: der erste Weltkrieg brach aus, von Wolf wurde während einer Schiffsreise in Südamerika interniert, floh nach Deutschland, meldete sich zum Kriegsdienst und fiel zwei Jahre darauf an der Front in Frankreich. Die amerikanische Witwe, die ihrem Gatten nach Deutschland gefolgt war, kehrte nie nach Duwisib zurück; vielmehr verkaufte sie das gesamte Anwesen, aus welchen Gründen auch immer, und kehrte der alten Welt für alle Zeiten den Rücken. Eine spannende, eine traurige, eine seltsame Geschichte, die ein wenig greifbarer wirkt, wenn man, wie wir jetzt, direkt vor der Burg steht.

Heliotropium sp.
Gomphocarpus fruticosus
Gomphocarpus fruticosus











Heute ist Duwisib in Staatsbesitz, stilgetreu renoviert fungiert es als Museum und kann von jedermann besichtigt werden. Also auch von uns. Trotzdem begnügen wir uns mit der Begutachtung von außen. Unsere Beweggründe allerdings könnten unterschiedlicher nicht sein: Jochen und Annette ist der Eintritt zu teuer – 60 Nam-Dollar für eine tote Immobilie samt antikem Interieur, das muss für die beiden nicht sein. Heinz würde die Gebühr zwar berappen, ist aber ebenfalls nicht sonderlich interessiert. Und ich will nicht rein, weil ich ernsthafte Befürchtungen hege, anschließend hier einziehen zu wollen. Alte Gemäuer und antike Möbel sind ein extrem gefährliches Pflaster für mich - was ich nicht sehe, kann ich also auch nicht begehren... Folglich verzichten wir allesamt auf einen kostenpflichtigen Zutritt zu den heiligen Hallen und lassen stattdessen die historische Stätte von außen auf uns wirken. Und auch da gibt es Interessantes zu sehen. Zum Beispiel die riesigen rotbraunen Wespen, die sich in den Fensterstürzen der Westfenster von Duwisib ihre eigenen Festungen bauen und dabei bedrohlich summen.

Heinz und ich bewundern gerade die filigranen Waben, die die großen Insekten mit höchster Präzision errichten, als auch vom Parkplatz ein bedrohliches Summen, oder sollte ich besser sagen, Geschnatter, erklingt. Oh je, ein Reisebus! Als dieser seinen Inhalt in Form von recht betagten Herrschaften auf das Schlossgelände entleert, ergreifen wir die Flucht. Genug gesehen! Rasch düsen wir zurück auf die Hauptstraße und erreichen eine knappe Stunde später das verheißungsvolle Örtchen Maltahöhe, wo uns bereits am Ortseingang ein fulminanter Empfang bereitet wird: eine Horde maximalpigmentierter Knirpse beiderlei Geschlechts wirft Steine auf unser Auto! Erschrocken drücken wir auf die Tube und entfliehen unbeschadet dem Steinhagel, um gleich darauf auf Maltahöhes Hauptverkehrsader zu stoßen. Diese ist vom Erscheinungsbild eines Prachtboulevards allerdings so weit entfernt, wie der Nord- vom Südpol! Staubig, dreckig, voller Abfall und auf beiden Seiten von herumlungernden Menschen gesäumt, die uns nicht gerade freundlich entgegenblicken. Heiligs Blechle, wo sind wir denn hier gelandet? Aber da müssen wir jetzt wohl durch... Vorsichtig fahren wir, in gebührlichem Abstand zu den Lungerern, immer der Nase nach und scannen dabei beide Straßenseiten nach Geschäften ab. Hah, einen Getränkehändler hätten wir schon mal gefunden, fehlt also nur noch ein Supermarkt! Wir kucken uns die Augen aus dem Kopf, haben aber immer noch nichts Brauchbares gesichtet - auch nicht, als wir bereits das andere Ende von Maltahöhe erreicht haben. Umdrehen, ab zum Drankwinkel, fragen.

Gesagt, getan. Annette jedoch kommt verzweifelter Miene wieder aus dem Bölkstoff-Shop zurück. „Die sprechen da nur Afrikaans, ich hab kein Wort verstanden, nur, dass es einen Supermarkt gibt, aber der hat heute nicht offen.“ Ich kann das fast nicht glauben. So ein großer Ort und kein offener Supermarkt? Ist heute Sonntag? Nein, nicht wirklich... Seufzend bringe ich meinen afrikaansen Wortschatz geistig auf Vordermann und entere beherzt den Getränkeladen, beziehungsweise die angegliederte Fastfood-Bude, in der Annette vorher gescheitert war. Bevor ich nun meinen vorformulierten afrikaansen Fragesatz vom Stapel lasse, grüße ich erst mal auf englisch. „Good afternoon, Lady! What can I do for you?“, schallt es mir auf angelsächsisch entgegen. Verdutzt erkläre ich mein Anliegen, ebenfalls auf englisch, und erhalte eine sehr detaillierte Auskunft bezüglich der Situation vor Ort; nebst des verwunderten Statements, dass er gerade eben genau das einer anderen Dame erklärt hätte! Annette? Egal! Ich habe jetzt die Informationen, die wir brauchen und verlasse, mich herzlich bedankend, die Frittenstube. Also: es gibt einen Supermarkt, der allerdings hat momentan noch geschlossen, öffnet seine Pforten aber in einer halben Stunde und führt, darauf legte der Frittenmensch besondere Betonung, lediglich Waren zur Grundversorgung der nahezu autarken Landwirte aus der näheren und ferneren Umgebung. Vor meinem geistigen Auge sehe ich Zentnersäcke voller Reis, riesige Zuckertüten, schwergewichtige Salzbeutel und kiloschwere Nudelpakete... Annette hingegen ist zuversichtlich bis schwer begeistert und nutzt die Wartezeit, einige Paletten Bier im Getränkemarkt zu kaufen, vor dem wir ja ohnehin schon rumstehen. Dann fällt ihr ein, dass sie ja auch noch Zigaretten braucht. Und was nun folgt, ist eine Geschichte für sich. Man stelle sich ein Tabakwarenregal der selbstgezimmerten, besonders bedienungsfreundlichen Art vor: die Kippenschachteln sind liegend übereinander in vergitterten Schächten angeordnet - man sieht rein, kann aber nur jeweils eine Schachtel von ganz unten entnehmen, worauf der gesamte Stapel nachrutscht. Wird diese Schachtel jedoch nicht gekauft, muss der Chef informiert werden, der dann mit seinem Masterschlüssel das Gitter öffnet, um das Päckchen oben wieder in den Stapel einfügen zu können. Annette will nun ein paar Schachteln Lights erwerben, und tut das kund. Der schwarze Verkäufer versteht nicht. „Light, light, blue box!“, verdeutlicht Annette und deutet auf ihre eigene, fast leergerauchte Schachtel. Der Typ hinter dem ebenfalls vergitterten Tresen stürmt erleichtert zum gitterbewehrten Regal, entnimmt wahllos eine blaue Schachtel und präsentiert sie seiner Kundin. Ja, die Verpackung ist blau, der Inhalt aber alles andere als leicht. Annette läßt die Kippen zurückgehen. „Not light, I need light! Blue box!“, insistiert Annette. Der Verkäufer schleppt erneut eine blaue Schachtel herbei, diesmal aus einem anderen Stapel. Wieder der falsche Griff. So geht nun das Spiel, bis alle blauen Verpackungen, einzeln herbeigetragen, als ungeeignet zurückgewiesen wurden. Der Verkaufsknabe ist verzweifelt, genervt, verunsichert, alles gleichzeitig.

Annette ebenso. Deshalb entscheidet sie sich für eine Sorte, deren Werte sie gerade noch für rauchbar hält und ordert fünf Packungen, die der Verkäufer aufatmend herbeischafft. Als er sie auf den Tresen legt, inspiziert Annette aus der Ferne aber gerade das Regal und entdeckt etwas ihr Bekanntes. „No, I take five of the red ones on the left side, please!“, sagt sie entschlossen. Der arme Verkäufer versteht die Welt nicht mehr. Ungläubig hakt er nach, aber es bleibt bei den roten. Und jetzt verliert er die Contenance: schimpfend und vor sich hinbrabbelnd bringt er die gewünschten Zigaretten und knallt sie auf den Tresen. Annette hingegen ist sich keiner Schuld bewusst, bezahlt, steckt die Kippen ein und geht. Jetzt muss der Verkäufer jedoch seinen Chef bitten, das Regal aufzusperren, damit er das Chaos wieder verräumen kann und davor scheint er ein wenig Angst zu haben. Kein Wunder, denn die Geschichte klingt in Jemandes Ohren, der nicht live dabei gewesen ist, doch ein bisschen unglaubwürdig...

Wir aber lassen den bedauernswerten Knaben mit seinen Sorgen und dem Schachtelchaos mitleidslos zurück, schlichten uns ins Auto und rücken zum einzigen Supermarkt des Ortes vor, der sich rund 500 Meter vom Kippenladen entfernt, auf der anderen Seite der Straße befinden soll. Das Gebäude, das uns beschrieben wurde, steht tatsächlich dort, hat auch gerade seine Pforten geöffnet, sieht jedoch nicht wie ein Supermarkt aus. Hinter dieser grünen Fassade mit verklebten Fenstern würde ich eher eine Niederlassung der BayWa, einen landwirtschaftlichen Bedarfshandel oder einen Landmaschinenhändler vermuten, nicht aber ein Geschäft, in dem man Lebensmittel erwerben kann. Na ja, wir werden sehen. Annette und Jochen stürzen sich in das zu erwartende Abenteuer, während Heinz und ich als Aufpasser beim Auto bleiben - eine Vorsichtsmaßnahme, die in dieser wenig vertrauenerweckenden Ortschaft nicht schaden kann. Nach einer halben Stunde des aufmerksamen Beobachtens unseres Gefährts und der Umgebung, kehren unsere beiden Freunde schließlich mit fast leeren Händen wieder. Ihrer Beschreibung nach entsprachen nämlich meine anfänglichen Visionen von den zentnerschweren Reissäcken tatsächlich der Realität. Wie der Frittenmensch schon angekündigt hatte: ein Markt zur Versorgung der Landwirte, die fast alles selbst herstellen, den Rest aber dann alle zwei Monate im Großpack zukaufen. Tja, Pech gehabt. Nicht mal Brot gab es zu kaufen. Hätten wir doch mal die überteuerten Labberschnitten aus Helmeringhausen mitgenommen! Aber jetzt muss eben Plan B in Kraft treten, der vorsieht, dass wir selbst backen müssen. Das wollten wir zwar vermeiden, weil das Camp am Naukluftfluss zum konsequenten Nichtstun verführt, aber es nützt nichts - wir haben absoluten Brot-Notstand. Um diesen baldmöglichst zu beheben, klettern wir wieder ins Auto und verlassen dieses ungastliche Kaff, um rasch das Camp zu erreichen, Brot zu backen und den Rest des Nachmittags gebührlich und untätig zu genießen.





























Gen 14 Uhr erreichen wir schließlich das Gate zum Naukluft Nationalpark, erledigen rasch alle Formalitäten und freuen uns nun riesig, fast angekommen zu sein. Nur noch wenige Hügel und Kurven trennen uns vom gluckernden Naukluft und dem ersehnten Camp, dessen terrassenartiger Aufbau nebst der Großzügigkeit der Plätze fast immer ein Garant für von etwaigen Nachbarn ungestörten Camperfreuden ist. Fast immer. Diesmal jedoch empfängt uns eine größere Gruppe von Südafrikanern, die sich rund ums Waschgebäude niedergelassen hat und mit gefühlten zehn, sehr lautstarken Kompressoren und Generatoren alles mit Luft befüllt und betreibt, was der campende Südafrikaner eben so an Komfortutensilien benötigt. Ach, nööö! Zitronig grüßend kurven wir durch das ausufernde Lager der lärmenden Ausrüstungswahnsinnigen und begeben uns hinunter ans Flussufer. Dort sind die Sites zwar etwas kleiner und man muss sage und schreibe zehn Höhenmeter über Treppen nach oben steigen, um die Sanitärgebäude zu erreichen, dafür aber ist es, so direkt am Wasser, umso lauschiger. Und lärmende Nachbarsgruppen muss man dort auch kaum befürchten, denn weder die Platzgrößen noch der unvermeidliche Notdurfts-Aufstieg entsprechen den bequemen Vorstellungen solcher Zeitgenossen. Und unsere Rechnung geht auf. Hier unten ist weit und breit niemand zu sehen. Wir lassen uns sicherheitshalber zusätzlich in größtmöglicher Luftlinienentfernung von unseren Mitcampern nieder und sitzen erst mal eine Stunde gemütlich und untätig am Flussufer herum, bevor wir unser Lager errichten und das Feuer zum Brotbacken anheizen. Bis die Glut so weit ist, dauert es ja noch...

Zwiesprache
Onychgnathus nabouroup
Onychgnathus nabouroup











Und wir genießen weiter. Der Naukluft gluckert heimelig, ausladende Bäume beschatten unsere Häupter und, während wir unsere Seelen in dieser Idylle baumeln lassen, werden wir zudem noch von zahlreichen Vögeln besucht. Neugierig beäugen sie uns aus dem Geäst der Uferböschung, zutraulich umhüpfen sie unser Auto, unsere Ausrüstungsgegenstände und unsere Füße, immer auf der Suche nach etwas Fressbarem. Dahingehend haben wir zwar noch nicht viel zu bieten, weil das Brot ja erst gebacken werden muss, nichtsdestotrotz scheinen wir, beziehungsweise unser Equipment, ungeheuer interessant zu sein. Als besonders neugierig fällt uns hierbei eine Starendame auf, die ohne jegliche Scheu wirklich alles genauestens in Augenschein nimmt und uns dabei immer wieder fordernde Blicke zuwirft. Ihr Gatte hingegen, der etwas schüchtern in einem Busch neben der Campsite sitzt, beobachtet das Tun seines Weibchens recht sorgenvoll und zwitschert dabei verzagt vor sich hin. Aber sie lässt sich davon nicht beeindrucken und landet schließlich sogar beherzt neben meiner Hand, die herrlich untätig auf der Armlehne meines Stuhles liegt. Als ich sie vorsichtig bewege, legt das Starenweibchen ohne Erschrecken seinen Kopf schief, pickt einmal probehalber in meinen Zeigefinger und flattert anschließend enttäuscht davon. Der Starengatte ist zutiefst erleichtert - und wir freuen uns über die Inbrunst, mit der er seine vorwitzige Frau begrüßt. So läßt es sich hier aushalten: einfach dasitzen, die Idylle genießen und sich von solch kleinen Szenen im Bush-TV erheitern lassen!

Naukluft-Berge
Boophane disticha:
trockener Blütenball
Der grüne Saum des Naukluft











Langsam aber kommen auch wir wieder in die Gänge, denn die Glut macht gute Fortschritte und ist bald bereit fürs Brot. So also bereiten wir den Teig zu, decken ihn für die erforderliche Ruhephase vogelsicher ab und und verbringen die restliche Wartezeit mit der Inspektion des dicht bewachsenen Flussufers auf unserer Seite. Üppig gedeiht hier raschelndes Schilf und blühende Wasser-Minze, Libellen gleiten lautlos zwischen den Pflanzen umher, Bienen summen, Käfer brummen und in kleinen, seichten Wasserbecken glitzern winzige Fischlein. Das gegenüberliegende Ufer hingegen ragt steil auf und ist relativ kahl - nur über die obere Kante hängen lange Sarcostemma-Triebe, die in der leichten Brise wie grüne Spaghetti an den roten Felsen baumeln. Und Heinz' scharfe Augen haben noch etwas entdeckt: eine Boophane! Dieses hochgiftige Amaryllis-Gewächs besteht aus einer Bulbe, der außerhalb der Ruhephase ein Schüppel grüner, leicht kräuseliger Blätter in Fächerform entwächst. Natürlich kann die bizarre Pflanze auch blühen - sehr eindrucksvoll sogar - doch dieses Glück ist uns leider nicht beschieden. Heinz aber will die Boophane trotzdem besuchen und überquert deshalb zielstrebig den seichten Naukluft, um anschließend noch zielstrebiger den steilen Flusshang wieder nach oben zu klettern. Etwas besorgt beobachte ich die Aktion: im unteren Hangbereich liegt loses Geröll herum, das bei jedem Schritt nach unten poltert, das Gelände ist sehr steil und die Boophane viel weiter oben, als es von hier aus zunächst ausgesehen hatte. Auch Heinz, der mit luftigen, von der Flussquerung nassen Sandalen unterwegs ist, bewegt sich zunehmend vorsichtiger. Schließlich erreicht er sicher die Pflanze und winkt erleichtert zu mir herüber.

Heinz am Objekt
Boophane disticha
Sorgenvoller Blick zu Heinz











Ich winke nicht weniger erleichtert zurück und beobachte dennoch weiter sorgenvoll seine tastenden Versuche, die beste Foto-Position zu finden. Ohne Unfall kriegt Heinz die Bilder in den Kasten, dann aber steht der Rückweg an. Und der ist, wie meist, deutlich schwieriger zu bewältigen, als der Aufstieg. Wie gebannt verfolge ich jeden seiner Schritte, das davonrutschende Geröll, höre die polternden Steine und wünsche mir schließlich nur noch, dass er endlich heil unten ankommen möge. Was er auch tut - verschwitzt, verstaubt und am Stück - Gott sei Dank. Doch darüber bin nicht nur ich froh, auch Heinz gibt zu, dass dies eine doch etwas gewagte Aktion gewesen war, die er ziemlich unterschätzt hatte. Na, welch Einsicht! Hoffentlich ist die auch nachhaltig, denn Heinz tendiert immer wieder gerne zu derart riskanten Ausflügen, die mir die Haare zu Berge stehen lassen...

Ploceus velatus
Bulbe der Boophane
Blattschopf der Boophane











Aber jetzt ist er ja wieder da und putzt sich den Staub vom nach wie vor unversehrten Körper. Also Schwamm drüber, Brot in die Glut, Abendessen zubereiten und einen idyllischen Abend am Naukluft verbringen – und sonst nichts anderes!

26. März 2013, Naukluft NP, Wanderung

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Ah, war das eine angenehme Nacht: der Naukluft gluckerte leise, die Bäume rauschten leicht im Wind und erfrischend kühle Luft drang in unsere Zelte. Dementsprechend sind wir heute besonders früh munter und erholt auf den Beinen. Und natürlich lockt uns zudem das gestern Abend gebackene Brot, das im Auto zum Auskühlen zwischengelagert wurde und nun knusprig und duftend vor uns liegt. Als wir den Laib gestern aus der Glut holten, waren die neugierigen und hungrigen Vögelchen leider schon zur Ruhe gegangen, dafür aber umlagern sie uns jetzt um so gieriger und es ist fast nicht festzustellen, wer sich mehr auf das appetitliche Backwerk freut - wir Menschen oder unsere gefiederten Freunde. Eines jedoch ist ganz sicher: die vorwitzige Starendame vom Vortag, die natürlich auch heute wieder zur Stelle ist, hat unzähmbare Gelüste und vergisst darüber jegliche Restvorsicht, die sie gestern noch an den Tag legte. Heute setzt sie sich gleich auf die Tischkante oder flitzt aufgeregt am Boden umher und pickt mich fordernd in die nackten Zehen. Na gut, du Süße, da hast du was. Ich will ihr gerade ein paar Krumen hinwerfen, entferne aber vorher noch sorgfältig die Streichwurstreste; sie soll ja schließlich keine Magenbeschwerden bekommen. Doch das dauerte ihr wohl zu lange, denn bevor meine Hand zu einem leichten Wurfschwung ausgeholt hat, bin ich die Krumen auch schon los: Madame hat sie höchstpersönlich meinen Fingern entrissen... Hui, die Lady ist aber echt mutig! Mit dieser charmant-gierigen Art jedoch hat sie mich nun vollends geknackt und so teilen wir uns im Folgenden sehr schwesterlich Stulle für Stulle - ein Bröcklein für sie, ein Bissen für mich. Der Starengatte ist ob dieses zutraulichen Verhaltens erneut in höchster Besorgnis und zwietscht aus einem nahegelegenen Ast seine atemlos-verzagt klingenden Ermahnungensmelodien hervor. Vielleicht aber, und das wäre allmählich naheliegend, ist er auch nur besorgt, dass seine ihm Angetraute bald nicht mehr vom Boden hochkommt, so, wie sie sich das Bäuchlein vollschlägt. Bei aller Gier jedoch, so muss ich erstaunt feststellen, ist sie gleichzeitig sehr schleckig: jegliche Restanhaftungen von Käse, Streichwurst und Margarine sind jederzeit willkommen, Aufschnitt, Honig und Beerenmarmelade hingegen werden konsequent durch sorgfältiges Wenden des Brotbrockens im Sande abgestreift. Madame weiß eben, was sie will…

Von allen Seiten belauert...
Streptopelia senegalensis
Ploceus velatus, w.











Irgendwann aber ist auch das leckerste, das gemütlichste, das reichhaltigste Morgenmahl im wahrsten Sinne des Wortes abgefrühstückt. Unter den enttäuschten Blicken der Stärin beenden wir unser Gelage, räumen die begehrten nebst der verschmähten Lebensmittel in den Kühlschrank, streuen die Krümel vom Schneidbrett generös in die Nähe der anderen Vögel und packen das gebrauchte Geschirr ins Auto. Lady Star beobachtet unser Tun so lange, bis sie wirklich glauben kann, dass der Segen nun ernsthaft ein Ende hat und erhebt sich anschließend - laut schimpfend, aber extrem leichtflügelig - in die Lüfte. Der erleichterte Gatte hechtet ihr hinterher und wir sind, zumindest bis zum Abendessen, vergessen. Gut so, denn schließlich haben wir heute noch etwas anderes vor:



Der Beginn des Trails
Die Feige steht noch immer
Der Fluss lebt











Wir möchten den Waterkloof Trail erwandern, besser gesagt, den am Fluss entlang führenden Teil davon. Das ist nun echt keine streckentechnische Herausforderung, aber wir werden wohl trotzdem den ganzen Tag unterwegs sein, denn am und rund um den Fluss gibt es erfahrungsgemäß immer viel zu entdecken. Bevor wir jedoch losmarschieren können, müssen wir noch unsere Zelte ausräumen und offen zurücklassen. Als wir letztes Mal hier waren, hatte man uns der Paviane wegen dazu geraten. Damals hatten wir zwar keinen einzigen gesehen und hielten das lästige Geräume für weitgehend überflüssig - getan haben wir es trotzdem. Heute hingegen haben wir schon Fußspuren der langfingerigen Affen rund um unsere Zelte entdeckt und hören konnten wir sie auch schon. Also gehen wir abermals auf Nummer sicher und entleeren unsere Stoffhäuschen, bevor wir uns endlich auf den Weg machen. Dieser führt uns zunächst über die Komfortterrasse, auf der die Südafrikaner schon wieder heftig und äußerst geräuschvoll räumen. Die Luft, die sie gestern lärmend in ihre Matratzen gepumpt hatten, saugen sie heute nicht weniger laut wieder ab, die Generatoren laufen volle Pulle und verpesten Luft und Stille und, von all dem Packstress in höchster Anspannung, fallen viele laute, scharfe und keifende Worte... Wir sind richtig erleichtert, dass wir diesem Trubel rasch entfliehen können und die unangenehme Geräuschkulisse nach ein paar hundert Metern dem Plätschern des Flusses anheim fällt. Jetzt umfangen uns wieder die beruhigenden Geräusche des Naukluftufers, die uns letztes Mal schon ungemein wohl getan hatten. Raschelndes Schilf, Insektensummen, leises Wassergluckern, im Wind flüsternde Blätter, das Zirpen der Grillen - und lautes Paviangeschrei! Das ist neu, das hatten wir auf der vorigen Tour nicht zu hören gekriegt. Heuer ist überhaupt einiges neu und anders, wie wir schon auf den ersten Metern feststellen: die Ufervegetation präsentiert sich vergleichsweise spärlich, man sieht kaum Schmetterlinge und der Naukluft führt wenig Wasser. Wo wir auf der letzten Tour noch nasse Füsse bekommen hatten, springen wir heute mühelos von Stein zu Stein und queren so mehrmals trockener Schuhe das Flussbett.

Corythaixoides concolor
Sansevieria aethiopica
Sarcostemma viminale











Aber nicht alles hat sich derart verändert. Die Lebewesen, die direkt am und im Wasser leben, sind in gewohnter Üppigkeit vorhanden - Süßwasserkrabben, Frösche, Kaulquappen, Kreiselkäfer und auch die bunten Libellen fehlen nicht. Langsam schlendern wir am Fluss entlang und saugen alles in uns auf, was wir hier geboten bekommen. Wir lassen uns viel Zeit zum Fotografieren, Staunen, Entdecken und Durchatmen, dennoch erreichen wir viel zu schnell, zumindest für meinen Geschmack, die Stelle, an der sich der Weg für längere Zeit vom Wasser entfernt. Ausladende Bäume beschatten hier tiefe, mit glasklarem Wasser gefüllte Becken, der Naukluft ergießt sich in kleinen Kaskaden über bemooste Steine, steile Felsen ragen rundherum auf, feuchte Stellen am Ufer locken Schmetterlinge an und zahlreiche Libellen bevölkern das Binsengras am Rande der Gumpen. Schon auf unserer letzten Tour hatte mich dieser Ort völlig in seinen Bann gezogen, aber natürlich wollte ich damals auch noch weiter nach oben und sehen, wie es weitergeht. Dieser Gang hatte sich damals durchaus gelohnt, ohne Frage, heuer aber sieht die Situation ob der herrschenden Trockenheit deutlich anders aus, weshalb ich beschließe, hier zu bleiben, während es meine Freunde abermals weiter hinauf zieht. Heinz ist nicht ganz wohl bei der Vorstellung, mich hier alleine zurückzulassen, ich habe damit jedoch kein Problem - im Gegenteil.


Frauenhaarfarn (Adiantum)











Vorfreudig lausche ich also den sich entfernenden Schritten meiner Freunde, lege mich genüsslich am Rande eines der Becken ab und lasse erst mal meine Füße im Wasser und meine Seele in meinem Alleinsein baumeln, was richtig wohltuend und entspannend ist. So entspannend, dass ich in einen halb wachen, halb schlafenden Dämmerzustand falle, in dem sich die Umgebungsgeräusche allmählich zu einem einlullenden Akustikbrei verbinden. Bevor ich nun ganz wegpenne, ziehe ich sicherheitshalber meine Füße aus dem Wasser, lächle beglückt über die Libellen, die sich kitzelnd auf meiner feuchten Haut niederlassen - und nicke erneut weg. Dann aber reisst mich lautes Poltern aus meiner Döserei! Ach nö, ich will jetzt allein sein und niemand soll diese Idylle stören - auch keine fremden Wanderer. Genervt setze ich mich auf und spähe in die Runde. Mhm, niemand zu sehen. Hab ich das etwa geträumt? Nein, denn eine Minute später lugt ein Gesicht, etwa fünf Meter über mir, um einen Felsen, und zwei Augen unter gerunzelten Brauenwülsten starren mich ärgerlich an. Ein großes Pavianmännchen fühlt sich durch meine Anwesenheit gestört, ich hingegen bin froh, dass es keine menschlichen Wanderer sind und warte gespannt ab.

Der Pavian-Boss sichert...
...die Gruppe wartet.
Jungfer (Coenagrionoidea)










Der Affenmann verschwindet wieder, großes Gezeter und Geschrei erklingt, eine Weile ist wieder Ruhe, dann aber kommt die ganze Pavianfamilie um die Felsen gebogen und schlängelt sich oberhalb meines Sitzplatzes auf die andere Seite des kleinen Tals. Dabei werde ich von den meisten Clanmitgliedern misstrauisch im Auge behalten und von einigen auch laut beschimpft. Mensch, ich tu euch schon nix - aber nur, wenn ihr mir auch nichts Böses wollt! Über Letzteres bin ich mir nicht ganz so sicher, denn dieser Trupp ist sicher an Menschen gewöhnt; darauf schließe ich aus der Nähe des Camps. Wenn sich die Tiere da rumtreiben, Zelte auseinandernehmen, Lebensmittel entwenden und alles verschleppen, was nicht niet- und nagelfest ist, dann haben sie dabei bestimmt auch schon negative Erfahrungen gemacht. Negative Erfahrungen mit uns Menschen. Und die vergessen sie nicht. Jetzt treffen sie auf mich, die ich auf ihrer Wanderroute in die Berge herumlungere - und ich bin nicht nur ein Mensch, sondern auch noch eine Frau. Und vor Frauen, auch vor Menschenfrauen, haben Primaten wenig Respekt; das ist wissenschaftlich nachgewiesen – zudem durfte ich diese Erfahrung auch schon selbst machen. Ob dieser Tatsache ist mir nun natürlich etwas mulmig.

Papier-Wespe (Belonogaster sp.)
Töpfer-Wespe (Anterhynchium)
Acraea sp.










Doch alle Mitglieder der großen Paviantruppe passieren mich menschlichen Störfaktor, ohne mir in aggressiver Weise zu nahe zu kommen. Ich werde zwar im Auge behalten, ein wenig angekeift, -geknurrt und -gefletscht, aber sonst ist alles gut. Und so geht unsere Begegnung physisch folgenlos vorüber. Die Affen entschwinden bergan, ich bin wieder alleine an meinem Pool und alles könnte weitergehen wie gehabt, wäre ich durch diese Begegnung nicht wieder aus meiner Traumstarre erwacht. Zwinkernd wische ich mir die wabernde Trägheit aus den Augen, packe mein Zeug, ziehe Schuhe und Socken wieder an und beginne, die Umgebung nun wirklich aktiv zu erforschen. Hierzu klettere ich ein Stückchen weiter nach unten, ins Flussbett hinab, und halte Ausschau nach etwas Interessantem. In einer kleinen Uferausbuchtung mit ruhigem Gewässer werde ich fündig: hier ist eine große Menge von Kreiselkäfern hektisch schwimmend auf der Wasseroberfläche unterwegs. Diese bemerkenswerten Insekten waren uns schon auf der letzten Tour aufgefallen, allerdings hatten wir damals zu wenig Zeit, sie eingehender zu beobachten. Heute jedoch nehme ich mir die Zeit und robbe auf allen Vieren an die wuselnden Wasserkäfer heran, um mich fototechnisch in Position zu bringen und mich ab jetzt möglichst nicht mehr zu bewegen.

Meine dürftige Ausbeute...
...von Bildern...
..der Kreiselkäfer (Dineutus)!










Die Tiere sind nämlich mit zwei Paar extrem scharfen Augen gesegnet; ein Paar scannt die Situation unter Wasser, das andere ist für alles oberhalb des Wasserspiegels zuständig und sobald sich etwas bewegt, egal wo, flitzen die kleinen Insekten noch hektischer umher, als sie es ohnehin schon tun. Eine echte Herausforderung für jeden Fotografen. Und eine Herausforderung für mich, der ich nicht ganz gewachsen bin: spitze Steine bohren sich in mein Fleisch, meine Arme werden vom angestrengten Halten der Kamera allmählich taub - und kaum habe ich ein paar der Wasserderwische im Fokus, bewegt sich mein Zoom. Diese Minibewegung aber genügt: schon wieder stieben die kleinen Hektiker auseinander. Leicht frustriert lege ich den Fotoapparat beiseite, entspanne meine Arme, ignoriere die schmerzenden Bohrsteine und beobachte das Geflitze einfach so. Beruhigend ist das allerdings nicht. Trotzdem harre ich aus, denn ich würde so gerne ein System in dem Gewusel erkennen. Doch auch das gelingt mir nicht wirklich und so gebe ich schließlich auf. Meine kribbelnden Arme reibend und die schmerzenden Glieder streckend, wandere ich weiter im Flussbett umher, mache Jagd auf Libellen, Frösche und Schmetterlinge und luge in jede Aushöhlung am Ufer. Uih, da, ganz hinten, da liegt ein Krallenfrosch am Grund.














Wieder gehe ich zu Boden und bringe mich in Position, doch bevor ich die richtige Lage gefunden habe, poltert es erneut. Hinter mir. Direkt hinter mir! Vorsichtig drehe ich den Kopf und erblicke ein junges Pärchen, das fröhlich stapfend des Weges kommt. Ich sehe die beiden auf mich zusteuern, sie aber sehen mich nicht. Behutsam mache ich mich deshalb bemerkbar, indem ich laut und vernehmlich grüße und mich gleichzeitig hochrapple. Trotz meiner Vorsicht erschrecken die beiden jedoch gehörig, erholen sich aber recht schnell von meinem unerwarteten Auftauchen und wir kommen ins Gepräch. Weiter oben hätten sie einen Mann getroffen, der hätte ihnen erzählt, letztes Jahr hier im Flussbett beinahe mit einer schwarzen Mamba kollidiert zu sein. Ja, das war Heinz! Aufgrund dieser Geschichte hätten sie nun echt Bedenken, den Flusspfad weiter zu gehen, sagen sie. Mei, Schlangen können überall sein, sage ich. Aber macht euch mal keine Sorgen, solche Begegnungen sind echt selten. Die beiden aber sind ziemlich verunsichert. „Dich haben wir ja auch nicht gesehen. Weißt du, das ist unsere erste Afrikareise und alle haben uns gewarnt, wie gefährlich das ist. Wir waren da eher sorglos, aber so ganz ohne ist es wohl doch nicht. Und auch die Entfernungen haben wir unterschätzt. Heute Morgen kamen wir hier an, wollten unbedingt diese Wanderung machen, müssen aber abends in der Sossusvlei Lodge sein, weil das vorgebucht ist. Allmählich stellen wir fest, dass das Programm doch etwas zu straff ist. Wir schaffen das schon, aber eben eher im Vorbeieilen, was schade ist. Übrigens, gehst du jetzt eigentlich auch runter und könntest uns begleiten? Wir müssen nämlich spätestens um 15 Uhr unten sein...!“ Das muss ich, die ich auf Heinz warte, leider verneinen, habe aber größtes Verständnis für die Zeitnöte der beiden - trotz vieler Afrikareisen, trotz vieler Reisen auch in andere Länder, neigen auch wir immer noch dazu, uns etwas zu übernehmen. Man will viel sehen, plant, rechnet, bucht Unterkünfte und stellt dennoch immer wieder fest, dass man zu wenig Zeit eingeplant hat. Während ich nun die beiden dahingehend beruhige und versuche, ihnen die Schlangenbegegnungsangst zu nehmen, stößt Heinz zu uns.



Spinnenjäger-Wespe
(Hemipepsis sp.)
Cyperus sp.










Sogleich befragen ihn die beiden erneut wegen der Mamba-Geschichte, die Heinz natürlich gerne nochmal erzählt - was jedoch nicht zur Beruhigung der beiden beiträgt... Umso erleichterter sind sie aber, als wir ihnen nun unsere Abstiegsabsichten kundtun. Nur zu gerne schließen sie sich an, haben aber wohl schon gemerkt, dass wir nicht die geringste Absicht haben, sie als Schlangendetektoren zu begleiten oder gar um 15 Uhr im Camp zu sein. Wir wollen einfach nur runter, unser Tempo gehen, uns viel Zeit nehmen und den Tag genießen - und die beiden können mit uns gehen, solange ihre Zeit und Geduld das zulassen. Wir setzen uns also in Bewegung und die Zwei folgen unauffällig. Ein paar Stopps und Erkundungsschlenker später allerdings geben sie auf, suchen sich ihren Weg durch das „schlangenverseuchte“ Nauklufttal auf eigene Faust und wir sind wieder alleine. Und sofern keine oberschenkeldicke Python erschienen ist und die zwei jungen Leute einfach so, auf Nimmerwiedersehen, verschlungen hat, scheinen sie wohl auch ohne Problem im Camp angekommen zu sein. Jedenfalls sind auf dem weiteren Weg nach unten keine Sterbenden, keine Leichen, aber auch keine Schlangen zu finden, obwohl wir sehr, sehr, sehr genau auf unsere Umgebung achten. So genau, dass wir nicht mal davor Halt machen, die frisch gekackten Pavianhäufchen unter die Lupe zu nehmen, auf denen sich unzählige, wunderschön bunte Fliegen tummeln…

Schmeissfliege (Calliphoridae)













Ach, ist das herrlich, einen derart entspannten, von der Zeit losgelösten Tag zu verbringen! Herumalbernd, unseren Füßen zwischendrin ein Bad gönnend und die Natur genießend, schrauben wir uns so immer weiter nach unten, bis wir plötzlich vor einem schier unüberwindlichen Gewirr aus Pfahlrohr stehen, das wir auf der letzten Tour auch schon bemerkt hatten - allerdings von der anderen Fluss-Seite aus. Mhm, wie kommen wir da jetzt durch? Müssen wir wieder ein ganzes Stück rauf und anderswo queren? Nein, müssen wir nicht! Bei näherer Inspektion der Pflanzenwand nämlich entdecken wir einen kleinen, aber deutlich vorhandenen Tunnel, gewoben aus den Wurzeln des Pfahlrohrs, der auf die andere Uferseite hinüberführt. Den kannten wir noch nicht, wahrscheinlich, weil er letztes Jahr unter Wasser stand und somit unpassierbar war. Umso erfreuter quetschen wir uns jetzt durch das Wurzelgewirr, ganz wohl ist uns aber trotzdem nicht dabei: man muss leicht gebückt gehen, zahlreiche Spinnennetze durchziehen den Tunnel, diverse lästige Insekten erwachen durch unsere Bewegungen zum Leben - das alles kann man sehen. Und was wir nicht sehen können (und das dürfte einiges sein), wollen wir weder wissen noch aus den Verstecken locken… Nach wenigen Metern jedoch spuckt uns der Tunnel unbeschadet wieder aus und leitet uns sicher auf den Weg auf der anderen Uferseite. Geschafft!

Der Pfahlrohrtunnel
Pytilia melba, m.
Pytilia melba, w.











Fröhlich wandern wir das letzte Stück bis zum Camp unter sonnendurchfluteten Bäumen dahin, als Heinz plötzlich abrupt stehenbleibt und ich, die ich hinter ihm hertrotte, beinahe auflaufe. „Ein Buntastrild, da!“, flüstert er. Uih, ja, da ist er; ein etwa zaunköniggroßer Vogel mit schwarzer, weißgerippelter Brust, roter Gesichtsmaske und olivfarbenen Flügeldecken. Und seine Frau, die wesentlich unscheinbarer ist, hat er auch dabei! Lange beobachten wir die beiden Piepmätze. Man sieht sie häufig in Camps, an aufgestellten Vogeltränken, in der Nähe von Open-air-Bädern, an leckenden Wasserhähnen oder in den Käfigen deutscher Vogelliebhaber - deshalb sind sie also eigentlich nichts Besonderes. In freier Wildbahn jedoch schon, denn hier verhalten sich die Prachtfinken unbeeinflusst von jeglicher menschlichen Präsenz und haben auch ihre natürliche Scheu noch nicht verloren, was die Beobachtung umso spannender macht. Während wir nun total von den beiden Prachtfinken gefesselt sind, nähern sich auch ein paar schwarz-weiß-graue Drosselwürger, die uns wohl gar nicht bemerken. Wir hingegen wissen schön langsam nicht mehr, wohin wir uns zuerst drehen sollen, um nur ja nichts zu verpassen. Tja, man kann auch echten Stress im Busch haben...

Lanitturdus torquatus
Webernester
Das Zeitliche gesegnet...











Dieser „Stress“ löst sich jedoch recht bald in Wohlgefallen auf, als die beiden Buntastrilde pickend ins Gebüsch entschwinden und die Würger die Flucht ergreifen, als sie unserer doch endlich gewahr werden. Beglückt steigen wir die letzten Meter gen Tal, überqueren den seichten Naukluft, bewundern ein formvollendetes Maskenwebernest am Ufer, dessen „Balkon“ eine gelbe Akazienblüte entsprießt und erreichen schließlich unseren Lagerplatz – die Zelte stehen wie eine Eins, kein Pavian ist darauf rumgesprungen und wir sind auch darüber sehr beglückt. Allerdings war der Tag so erlebnisreich, so schön, dass wir das lästige Eingeräume der jungfräulich-leeren Zelte kurzerhand auf später verschieben. Stattdessen holen wir uns jeder, deutliche Prioritäten setzend, ein kühles Bier aus dem Autokühlschrank, schälen unsere Füße aus Socken und Schuhen und genießen vorzeitig sundownernd und fläzend die lichtdurchflutete Einsamkeit unserer Campsite. Danach schaffen wir sogar noch den Zehn-Meter-Aufstieg zu den verwaisten Sanitärgebäuden und waschen uns den Schweiß vom Körper, bevor wir duftend und clean wieder nach unten tappern, wo inzwischen auch Annette und Jochen eingetroffen sind und uns ebenfalls mit einem Bierchen in der Hand empfangen.

Webernest mit Schmuck
Köcherbaum
mit Haftkraft
Cyphostemma sp.

















Gemütlich setzen wir uns zusammen und berichten von unseren großen und kleinen Erlebnissen, die zwar allesamt recht unaufregend waren, dafür aber umso eindringlicher. Und natürlich gesellen sich zu dieser Runde auch all unsere gefiederten Freunde, die wir, in beseelter Geberlaune, erneut mit allerlei Brosamen versorgen, bevor wir uns ans Einräumen der Zelte und die Zubereitung des Abendessens machen. Schnell wird es dunkel, wir dinieren fürstlich, die bettelnden Vögel sind schon lange satt und zufrieden auf ihren Schlafästen, und wir, nicht minder satt und zufrieden, verbringen diesen Abend wohlig schweigend am Lagerfeuer. Alles ist friedlich und still, nur die fernen Geräusche der Nacht, das leise Plätschern des Flusses und das Knistern des Feuers lullen uns samtig ein. Plötzlich aber, zu bereits vorgerückter Stunde, nimmt Heinz aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr: eine Ginsterkatze schleicht in fast greifbarer Nähe um unser Lager! Als sie allerdings bemerkt, dass auch wir sie gesehen haben, verschwindet sie schnell und völlig lautlos in der Dunkelheit. Annette und Jochen, die gerade zu Bett gehen wollten, drehen daraufhin noch eine Runde auf der Uferterrasse, weil sie hoffen, die gefleckte Katze nochmal zu sehen. Die jedoch scheint sich auf Nimmerwiedersehen davon gemacht zu haben. Enttäuscht ziehen sich unsere Freunde in ihr Zelt zurück. Heinz und ich hingegen bleiben noch sitzen - es ist einfach so schön und friedvoll hier, dass wir jeden Moment auskosten wollen, zumindest so lange, bis auch wir müde werden. Noch aber ist es nicht so weit.

Über den Tellerrand sehen...
Ploceus velatus, m.
Kann man DEN Augen
widerstehen?











Entspannt lehnen wir uns also in unseren komfortablen Campingstühlen zurück, schließen die Augen und genießen. Zwischendrin riskieren wir natürlich immer wieder einen Blick, denn nicht alle Geräusche sind sind so eindeutig zuordenbar wie das stetige Wassergluckern, das leise Bäumerauschen, das vielstimmige Froschgequake und das Zirpen der Grillen. Hier knackt ein Ast, dort raschelt das Laub und im Fluss platscht es hin und wieder vernehmlich. All diese Laute haben natürlich einen dazugehörigen Verursacher, den jeweils Betreffenden können wir in der Dunkelheit allerdings meist leider nicht ausmachen. Was wir aber, bei einem unserer gelegentlichen Kontrollblinzler, sehr deutlich sehen können, ist die Ginsterkatze, die sich erneut unbemerkt auf Streichelnähe an uns herangeschlichen hat. Aus einer Entfernung von zirka eineinhalb Metern glänzt uns eine feuchte schwarze Nase an und im Lampenschein leuchtende Augen betrachten uns aufmerksam. So aufmerksam, dass der Katze nicht entgeht, dass wir blinzeln und uns ihrer Gegenwart bewusst sind. Und offenbar fühlt sie sich davon so bedroht, dass sie abermals davonrennt. Diesmal jedoch wählt sie einen Weg nahe des Flussufers, weshalb wir sie noch eine ganze Weile gut sehen können. Immer wieder dreht sie sich um, setzt sich hin und blickt in unsere Richtung.














Und nun erwacht mein Jagdinstinkt: für Menschenverhältnisse leisen Schrittes folge ich der gefleckten Schönheit und bin beinahe stolz, ein paar Meter gutgemacht zu haben, als ich, besser gesagt mein großer Zeh, plötzlich schmerzhafte Bekanntschaft mit einem äußerst harten, feucht-kühlen Gegenstand schließt. Aua! Mir entfährt ein leiser Schmerzensschrei - und die Ginsterkatze ist weg. Dafür tut mein Zeh höllisch weh. Na toll! Fluchend schalte ich meine Stirnlampe ein, um das widerspenstige Hindernis, das wohl schwerlich flüchten wird, in Augenschein zu nehmen. Und nochmal: na toll! Im Zuge meiner Katzenjagd bin ich Menschentrampel tatsächlich über eine gerade mal hühnereigroße Hydnora gestolpert, die sich wohl in den nächsten Tagen zu voller Pracht entfaltet hätte und habe sie dabei ernsthaft beschädigt. Mann! So lange schon wollte eines dieser seltsamen Gewächse sehen, die einem Pilz ähneln, tatsächlich aber zu den Piperales, den pfefferartigen Pflanzen gehören. Und nun habe ich sie kaputt gemacht, ich Trottel! Schimpfend über meine eigene Dummheit und fluchend vor Schmerz humple ich zu Heinz zurück, der gerade seine Selbstschusskamera montiert. Die bringen wir übrigens fast jeden Abend an irgend einem lagernahen Ort an, der uns vielversprechend erscheint, aber noch nie, ich betone NIE, war was drauf! Heute Nacht jedoch sollte es mit dem Teufel zugehen, wenn sie wieder nichts einfängt, oder? Heinz und ich jedenfalls sind uns ganz sicher, diesmal die neugierige Ginsterkatze, die bestimmt zurückkommen wird, in den Kasten zu kriegen. Hoffnungsfroh machen wir also die Kamera scharf, löschen unsere Tischleuchte und gehen müde und zufrieden ins Bett; nun, ich humple eher und bin nicht ganz zufrieden, wohl aber ebenso müde...


Weitere Impressionen des Tages:


Pytilia melba, m.
Traum-Pool
Cyphostemma-Beeren











Junonia hierta, leicht demoliert
Springspinne (Salticidae)
Springspinne (Salticidae)











Trithemis sp.


Trithemis sp.


















Moringa ovalifolia
Hermbstaedtia sp.

27. März 2013, Naukluft Camp > Windhoek, Urban Camp

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Nein, ich will nicht viele Worte über das verlieren, was unsere Wildkamera vergangene Nacht aufgenommen hat, denn einziges reicht völlig aus: NIX! Heinz hakt sowohl das Thema als auch die Kamera achselzuckend vom Baum ab und wir widmen uns erfreulicheren Themen - frühstücken und liebe, gefiederte Gäste bewirten. Wenigstens das klappt reibungslos! Eine genussvolle Stunde später, in deren Verlauf auch mein malträtierter Zeh wie durch Zauberhand seine Schmerzfreiheit und volle Beweglichkeit wiedererlangt, beginnen wir gesättigt mit den Abbauarbeiten an unserem Lager. Die verfressene Starendame ahnt Schreckliches, was tatsächlichzur bitteren Wahrheit für sie wird, als der letzte Teller abgespülterweise in der Geschirrkiste landet. Als dann das satte, endgültig klingende Plöpp der Verriegelungsflügel ertönt, da ist auch sie, die bis zuletzt ausgeharrt hatte, weg. Tja, und wir sind abreisebereit. Nein, halt! Ich muss mir doch noch die zerstörte Hydnora bei Tageslicht ansehen und mich mit einem Schlückchen Wasser bei ihr entschuldigen! Eilig haste ich an der Uferbank entlang und finde das beschädigte Gewächs sofort wieder. Und jetzt, bei vollem Licht, ist der Schaden gut zu sehen: mein Zeh hat in einem Rutsch die harte Außenschicht, die sich bereits zu teilen begann, von der faserigen Innenschicht der Pflanze rasiert. Vorsichtig und entschuldigend setze ich das abgefallene Käppchen wieder auf den verbliebenen Strunk, gieße dem bizarren Wurzelparasiten zur Versöhnung ein paar Schlückchen Wasser hin und hoffe, die Konsistenz der Pflanze möge auf ihre Überlebensfähigkeit schließen lassen. Wer so hart ist, sollte die Attacke eines weichen, deutschen Großzehs doch überstehen können...

Von dieser Hoffnung beseelt, klettere nun auch ich in unser Auto, das bereits mit laufendem Motor neben mir wartet und wir verlassen wehmütig diesen wundervollen Ort. Wehmütig auch deswegen, weil uns heute eine Fahrt in Namibias Hauptstadt Windhoek bevorsteht. Diese Fahrt ist zwar relativ kurz, aber eben auch relativ uninteressant; doch das, was uns am wenigsten kickt, ist die Tatsache, dass wir hier auch die kommende Nacht verbringen müssen, bevor wir nach zwei weiteren, harten Fahrtagen die Zentralkalahari erreichen werden. Lange Fahrtage und Stadtbesuche sind einfach nicht unser Ding, aber beides ist leider nötig, um in drei Tagen erneut wohl ausgestattet in die Einsamkeit der Kalahari eintauchen zu können. Darauf freuen wir uns schon sehr und nehmen deshalb zähneknirschend sogar den Windhoek-Tag in Kauf. Apropos Kauf: genau das ist Heinz’ und mein Plan, um uns den unvermeidlichen Tag in Namibias Hauptstadt so weit wie möglich zu versüßen: Souvenirs kaufen und einschlägige Fachliteratur erwerben. Windhoeks Buchläden sind ja durchaus nicht zu verachten und sie alle haben eine mehr oder weniger große Ecke, wo eine Auswahl landesspezifischer Flora- und Faunawerke angeboten wird. Mit dieser Hoffnung fahren wir in Windhoek ein, lassen uns von Annette und Jochen, die komplett andere Pläne haben, auf der Mandume Ndemufayo absetzen und schreiten los – Richtung Independance Ave. Der erste Weg führt uns dort zur Touristen-Info, wo wir einen Stadtplan organisieren, um zielgerichtet all die Läden abklappern zu können, die wir uns vorgemerkt haben.

Gut, den Stadtplan haben wir! Doch allein die Tatsache, dass wir dieses Ding in der Hand halten, kennzeichnet uns als Touristen - dabei haben wir nicht mal größere Taschen, Rucksäcke oder Kameras dabei. Das alles haben wir aus Sicherheitsgründen in der Obhut unserer Freunde zurückgelassen... Wir verlassen also den Touri-Info-Point, der momentan in einem Baucontainer untergebracht ist, traben ein paar Schritte und sind sofort von einer Heerschar der obligatorischen Nüsschenschnitzer umgeben. Hello, how are you, where are you from, whats your name? So schallt es uns aus allen Richtungen entgegen. Heinz gibt konsequent keinerlei Antworten, nachdem er auf unserer letzen Tour praktisch ahnungslos beinahe in solche eine Falle getappt wäre. Ich hingegen bin heute auf Krawall gebürstet und begrüße deshalb den erstbesten Schnitzfuzzi mit diabolischem Grinsen. „Hello, I'm fine, I'm from Germany and my name, ähm, yes, is a bit long: my name is Barbara-Katharina-Leutheusser-Schnarrenberger. And yours?“ Ungläubiges Schweigen folgt, die zu beschnitzende Makalani-Nuss wird ratlos angestarrt, dann gibt der Schnitzer wortlos auf. Mein Name ringelt sich in seiner Vorstellung wohl mehrfach um die kleine Samenkapsel, scheint aber, auch bei bestem Willen, nicht unterzubringen zu sein. Während der arme Nüsschenmann noch immer mit großen Augen auf den Palmsamen glotzt, ergreifen wir zügig die Flucht. Die anderen Makalanimänner, die stets in Hab-acht-Stellung auf Kunden lauern und diese auch ansprechen, obwohl schon zehn Vorgänger bei den potenziellen Käufern abgeblitzt sind, verhalten sich äußerst zurückhaltend: die Verwirrung unseres ersten Schnitzers signalisiert wohl deutlich genug, dass mit uns was faul ist...

Wir nutzen die Gunst dieser Stunde und machen uns angenehm unbehelligt auf die Suche nach den erwähnten Buchhandlungen. Unser Reiseführer, den wir vorab studiert hatten, nannte drei namhafte Geschäfte, die wir nun besuchen wollen. Bei unserem endlosen Zickzacklauf durch Windhoeks Straßen jedoch zeigt sich, dass leider nur noch eines davon existiert - und an dem sind wir schon vor eineinhalb Stunden vorbeigelatscht, weil wir ja erst die anderen, weniger zentral gelegenen zuerst aufsuchen wollten. Mann, das hätten wir uns echt sparen können! Und unser Nüsschenschnitzer-Verwirrungsbonus ist mittlerweile leider auch schon abgelaufen, sodass der Rückweg zur Windhoeker Buchhandlung auf der Independence beinahe zum Spießroutenlauf ausartet. Aber endlich sind wir da, schlüpfen in den Laden und atmen durch, als wir die von uns ersehnte Bücherecke entdecken. In gekühlter Umgebungsluft durchstöbern wir das Angebot, das zwar reichhaltig, lange aber nicht so üppig ist, wie wir es uns gewünscht hätten. Naja, das mag auch daran liegen, dass die Literatur für unsere bevorzugten Fachgebiete halt nicht wie Belletristik aus dem Boden schießt. Dennoch werden wir fündig - natürlich: Heinz erwirbt einen Vierhundert-Seiten-Schinken über die Mittagsblumen dieser Welt, die zu 99,9% im südlichen Afrika beheimatet sind, und ich erstarre vor Glück, als ich tatsächlich den beinahe druckfrischen zweiten Band von Coleen Mannheimer über die Flora Zentral-Namibias entdecke, an den ich schon gar nicht mehr glauben wollte: vor einigen Jahren bekam ich ihr Pflanzenbestimmungsbuch über die südliche Namib geschenkt und war begeistert, denn es ist einer der besten Pflanzenführer über diese Gegend, die man bekommen kann. Auf dem Buchrücken war, neben Autoren und Titel, eine „1“ vermerkt, was ja durchaus einen zweiten Band nahelegt. Der jedoch war nirgendwo zu finden: keine Andeutung darauf im Vor- oder Nachwort, kein Resultat im Internet, kein sonstiger Hinweis. Doch jetzt liegt die so lange erhoffte Fortsetzung tatsächlich vor mir! „Der ist letzte Woche erst reingekommen,“, sagt der deutschsprachige Buchhändler zu mir, „und wurde von Frau Mannheimer persönlich signiert!“ Naja, die Unterschrift der sehr wertgeschätzten Botanikerin ist mir im Moment relativ wurst, wichtig ist nur, endlich dieses zweite Buch der Reihe, das das zentrale Hochland Namibias botanisch abdeckt, endlich in Händen zu halten! Beglückt bezahlen Heinz und ich unsere Schätze und machen uns entspannt an die weitere Erforschung der Windhoeker Innenstadt, der wir ja auch noch ein paar Souvenirs aus den Rippen leiern möchten - von Makalaninüssen abgesehen...

Zu diesem Behufe marschieren wir jetzt erst mal durch die Post Mall Street, in der wir auf unserer letzten Tour auf ein äußerst verheissungsvolles Geschäft gestossen waren; der kleine, kioskähnliche Laden inmitten dieser touristisch belebten Fussgängerzone stellte sehr ansprechende Souvenirs in seinen knapp bemessenen Schaufenstern aus. Leider waren sie allesamt nicht ausgepreist und das Geschäft hatte damals zudem schon geschlossen. Heute hingegen ist noch geöffnet und alles mit Preisschildern bestückt - nur bei den Gegenständen, die uns wirklich gefallen, müssen wir nachfragen. Und wie sollte es auch anders sein: schier astronomische Preise werden uns daraufhin genannt; Preise, die uns die Kauflust durch ihre Unverschämtheit von Grund auf austreiben. Doch was hatten wir erwartet, hier, in der zentralen Shopping-Meile Windhoeks?! Unverschämte Preise, ja! Nichtsdestotrotz fühlen wir uns ein wenig verarscht und kehren deshalb dem Laden demonstrativ den Rücken, um uns auf die Suche nach attraktiveren Waren zu machen. Zielgerichtet steuern wir hierbei auf ein Geschäft zu, in dem wir letztes Jahr noch wundervolle, antiquarische Bücher erstanden hatten. Den Laden gibt es auch heute noch - physikalisch - doch das Angebot hat deutlich gewechselt: ein Handyshop, was sonst... Tja, das entspricht dem typischen Gang der Ding heutzutage; weg mit dem analogen Kack, her mit den crossmedialen Gesamtvernetzungtools, die uns das Denken und die Phantasie immer mehr abgewöhnen. Heinz und ich sind etwas frustriert, stürzen uns aber dennoch todesmutig in die Höhle des Löwen, sprich in die Smartphonehölle, um nach dem Verbleib des Vormieters zu fragen. Bücherladen? BÜ-CHER-LA-DEN? Es ist, als erkundigten wir uns auf Mandarin nach einem völlig unbekannten, ja fast bedrohlichen Phänomen, von dem nur Eingeweihte jemals etwas gehört haben. BÜ-CHER-LA-DEN??? HIER? Niemals, und wenn, dann muss das schon ewig her sein. Ja, so ziemlich genau zwei Jahre. Der Handyman kuckt uns an, als sprächen wir von zwei Lichtjahren. Nein, da könne er uns nicht weiterhelfen. Na, unter diesen Umständen völlig klar.

Höflich verabschieden wir uns und denken kurz über verlässlichere Auskunftsquellen nach, wovon uns tatsächlich eine recht schnell einfällt: im Innenhof dieses Gebäudes, das auch die ehemalige Kaiserkrone, heute The Gourmet, beherbergt, gibt es schon seit mindestens 25 (Licht-)Jahren ein Juweliergeschäft, in dem man wissen sollte, wo der antiquarische Laden abgeblieben ist. Also steuern wir auf den Juwelenshop zu, den zu betreten uns ein wenig Sorgen bereitet - schließlich sehen wir nicht gerade standesgemäß aus, nicht gerade finanzstark. Doch der Zufall kommt uns zu Hilfe. Ein älterer, sehr distinguiert wirkender Herr schließt soeben das Geschäft von außen ab und gibt uns freundlich und bereitwillig Auskunft: ja, das Antiquariat sei verzogen in die alte Brauerei, drüben bei der Mandume Ndemufayo und es sei so schade, dass sich stattdessen immer mehr nichtssagende, schnelllebige Shops in dieser Mall die Klinke in die Hand gäben. Dem können wir nur vollen Herzens zustimmen, ändern aber können wir es leider nicht. Herzlich danken wir dem hilfsbereiten Juwelier und begeben uns wieder hinaus auf die Mall.

Tja, was nun? Dem Kunstgewerbe-Areal der Alten Brauerei hatten wir schon einen kurzen Besuch abgestattet, als Annette und Jochen uns in der Stadt abgesetzt hatten und es als zu kommerziell befunden. Außerdem müssten wir jetzt den ganzen Weg in die Mandume Ndemufayo zurücklatschen - und dazu haben wir definitiv keine Lust. Also vertagen wir die Sache mit dem Antiquariat auf unseren nächsten Windhoek-Besuch und überqueren stattdessen die Independence, um den Open-air-Souvenirmarkt in Augenschein zu nehmen. Oh, ja, das ist schon mehr nach unserem Geschmack! Natürlich gibt es auch hier den üblichen „Kram“, doch zwischen der touristischen Massenware schlummert durchaus das ein oder andere Stück, das ein wenig aus der Reihe fällt - und sei es nur, weil es in der Proportion etwas missglückt erscheint. Aber genau so was suchen wir. Heinz ist zum Beispiel schon lange auf der Suche nach einem ansprechenden Perlhuhn und erblickt auf diesem Markt so einiges, was ihm gefällt. Allerdings möchte er erst das gesamte Angebot sichten, bevor er zuschlägt. Das aber ist recht zeitaufwändig, denn an jedem der Stände wird man angesprochen, in ein Gespräch verwickelt und aufs Aufdringlichste zum Kauf animiert. Wir sind, wie immer beim Souvenirshopping, ein bisschen genervt, wollen jedoch nicht unhöflich erscheinen und finden deshalb für jeden Verkäufer ein paar verbindliche Worte, bevor wir zum nächsten Stand weiterziehen.

Nach einer dreiviertel Stunde schließlich haben wir alles gesehen und treten den Rückweg an, wobei wir zielgerichtet die Stände besuchen, in denen wir etwas Interessantes erspäht hatten. Hatten. Denn leider haben wir mal wieder die Zeit aus den Augen verloren und dabei auch noch völlig verdrängt, dass wir ja in Windhoek sind - der Stadt, in der die Gehsteige zu dörflichen Zeiten nach oben geklappt werden... Und so müssen wir leider feststellen, dass fast alles, was wir auch nur ansatzweise begehrenswert fanden, mittlerweile in irgendwelchen Kartons verschwunden ist und zum Abtransport bereitsteht. Ein hübsches geschnitztes Hühnchen aber entdecken wir doch noch und Heinz greift kurz entschlossen, nach langen Preisverhandlungen, zu. So, nun ist unserer Einkaufslust, zumindest im Ansatz, Genüge getan und wir könnten uns gemächlich auf den Weg zu unserem Camp machen, wäre da nicht eine besonders sympathische Verkäuferin, die unbedingt eine ihrer Straußeneier-Ketten an meinem Hals sehen möchte. Mit Charme und unglaublichen Schmeicheleien schafft sie es tatsächlich, mir ein derartiges Geschmeide aufzuschwatzen. Als ich bezahlen will und Heinz darauf besteht, mir die Kette zu schenken, bricht sie vor (gespielter) Rührung fast in Tränen aus: so eine große Liebe, so ein schönes Paar, so eine wundervolle Kette! Die Kette ist wirklich schön; aber gut, dass sie kein Sinnbild unserer Liebe ist, denn die kleinen Plättchen aus Straußeneierschale sind so eng auf den Trägerfaden gefädelt, dass sie bei jeder Bewegung meines Halses winzige Hautpartien wie mit einer Beisszange erfassen und mir ein schmerzhaftes Tragegefühl vermitteln. Also packe ich das Geschmeide in meine Tasche und nehme mir vor, zuhause ein paar Plättchen herauszubrechen, um das gute Stück tragbar zu machen. Heinz ist ein wenig enttäuscht, dass sein Geschenk so gemein zu meinem Hals ist, aber als wir beschließen, jetzt sofort noch was essen zu gehen, erleuchtet ein vorfreudiges Grinsen sein Gesicht und die Enttäuschung ist vergessen. Das ist auch verständlich: seit wir nämlich vorhin am The Gourmet vorbei gekommen sind, schwebt uns beiden ein saftiges Straußencarpaccio mit pikant-krümeligen Parmesanspänen und dem erfrischenden Hauch einer Zitronenmarinade vor dem geistigen Auge. Während wir nun hurtigen Schrittes die Independence erneut überqueren, läuft uns schon das Wasser im Munde zusammen – wie dem Esel, dem man eine Karotte vor die Nase gebunden hat...

Und juhu, es ist sogar noch ein hübsches Plätzchen auf der überdachten Terrasse frei, auf dem wir uns ungeduldig und schon fast sabbernd niederlassen und sofort schwelgend in der Speisekarte versinken. Aaaah, Carpaccio, uuuuh, Grillteller, ooooh, Steak, mhhhhm, Pizza! Sollen wir nur eine Vorspeise nehmen oder doch gleich noch „was G’scheids“ dazu? Nicht, dass Annette was gekocht hat und wir keinen Hunger mehr haben. Ach was, egal! Die Auswahl ist so verführerisch, dass wir uns ein volles Menü bestellen und dies, vor Genuss schweigend, über unsere lechzenden Zungen gleiten lassen, verzückt mit den Zähnen zerkleinern, um anschließend jeden Bissen mit Andacht zu schlucken und sorgsam im Magen zu verstauen. Was für eine Gaumenfreude! Satt und mehr als zufrieden lassen wir den letzten Schluck Bier durch unsere Kehlen rinnen, dann bezahlen wir und machen uns endlich auf den Weg zu unserem Camp, das in der Schanzenstraße liegt. Annette hatte heute Morgen noch gesagt, es wäre nicht weit: das Camp hat Hausnummer zwei und das müsse ja dann ziemlich am Anfang der Schanzenstraße liegen. Tja, damit hatte sie durchaus recht; das Camp liegt tatsächlich am Anfang besagter Straße, nur leider steigen die Hausnummern nicht von der Innenstadt weg, wie in Deutschland, sondern zählen von draußen nach drinnen hoch. Somit haben wir nun echt eine richtige Meile vor uns, die wir mit unseren vollen Bäuchen und vom Shoppen geplagten Füßen nur stöhnend und schnaufend bewältigen. Zwischendurch vergewissern wir uns sicherheitshalber nochmal bei einer einheimischen Dame, die wir auf der Straße ansprechen, ob wir auch wirklich auf dem richtigen Weg sind. Ja, sagt sie, und deutet weit, weit in die Ferne... Ohje! Schließlich aber kommen wir doch noch an - gerade rechtzeitig. Denn es wird allmählich ziemlich finster, was jedoch nicht nur an der hereinbrechenden Nacht liegt, sondern auch an einem dräuenden Gewitter, das, kaum haben wir das Camp betreten und unsere Freunde lokalisiert, wie aus Kübeln losplöddert. Mit einem beherzten Hopser retten wir uns unter unser Gazebo, das Annette und Jochen strategisch günstig vor dem überdachten Bereich unserer Campsite aufgebaut haben und lassen uns ermattet in unsere bereitstehenden Campingstühle niedersinken. Puh, für heute reicht’s uns!

Unsere Freunde, die schon vor etlichen Stunden im Urban Camp angekommen sind, haben dankenswerterweise bereits alles aufs Trefflichste eingerichtet, sogar unser Zelt steht schon – und nun empfangen sie uns mit einem Willkommensbier, einem kleinen Sparmenü, vielen Fragen über unseren Tag und ebenso vielen Erzählungen über den ihren. Mich lullen das Gerede und der prasselnde Regen allerdings so tierisch ein, dass jetzt erst richtig merke, wie sehr mich dieser Shoppingtag ausgelaugt hat - stehenden Fußes verabschiede ich mich deshalb und falle in unser Zelt, richte es rasch behaglich her und kuschle mich dann sofort in meinen Schlafsack. Innerhalb von Sekunden bin ich weg. Heinz, der sonst immer derjenige ist, der, z. B. während der längeren Autofahrten, sofort wegdämmert, harrt diesmal wacker aus und isst sogar noch was... Ich hingegen bin jenseits von Eden und schlafe einen kurzen, aber sehr gerechten und noch erholsameren Schlaf der Erschöpften, bevor ich mich wieder hochrapple und doch noch versuche, am abendlichen Campleben teilzunehmen. Verstrubbelt krabble ich aus dem Zelt und geselle mich zu Annette und Jochen, die entspannt am Tisch sitzen. Heinz ist gerade telefonieren, er nutzt den großstädtischen Megaempfang, um daheim anzurufen, sagen mir die beiden. Tja, das könnt ich auch mal tun, denke ich gerade, als Heinz, ebenfalls völlig verstrubbelt, aus dem Gestrüpp hinter unserer Campsite wieder auftaucht. „Huh!“, sagt er, „jetzt hab ich telefoniert und mich dabei eben mal gegen den Zaun gelehnt. Und der hat so was von Strom drauf! Mei, hat mir das eine geschnalzt. Gut, dass ich ned a no meinen Bedürfnissen nachgegeben und dagegengestrullert hab...“

Bei dieser Vorstellung müssen wir laut auflachen; aber wir sind froh, dass der Zaun tatsächlich ordentlich unter Strom steht, denn das verspricht Sicherheit und eine ungestörte Nachtruhe inmitten der Großstadt. Mit diesem Wissen beschließen wir bald den Abend und begeben uns in unsere gut befriedeten Zelte, um möglichst viel Kraft für den morgigen Fahrtag zu tanken.

Afrika 2014

28. März 2013, Windhoek, Urban Camp > Ghanzi, Thakadu Camp, Botswana

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Nur widerwillig krabbeln wir nach einer zwischenfallsfreien Nacht frühmorgens aus unseren Zelten, frühstücken leidenschaftslos, packen zusammen und machen uns anschließend auf den langen Weg nach Ghanzi. Sobald wir aus Windhoek raus sind, fräst sich die Straße beinahe schnurgerade durch eine relativ eintönige Landschaft, die Kilometer ziehen sich und Heinz und ich hängen unseren Gedanken nach. Schwelgende Gedanken über bereits Gesehenes, wehmütige Gedanken über das Verlassen unserer Lieblings-Vegetationszone, aber auch vorfreudige Gedanken an das Kommende. Wenn es denn dann mal kommt... Bis dahin aber müssen wir noch ein bisschen warten, diverse Kaugummi-Kilometer ertragen, einen Einkauf erledigen und einen Grenzübergang meistern. Doch eines nach dem anderen...

Schönheiten...
...am Parkplatz
Commicarpus pentandrus










Die Landschaft also zieht vorüber, doch jeder von uns nimmt sie anders wahr (oder eben auch nicht): Jochen fährt konzentriert, Annette grübelt über der Einkaufsliste, Heinz schläft und ich bohre meinen Blick bedauernd in die zunehmend verbuschte Landschaft, die, bis auf ein paar bunte Blüten-Farbtupfer, recht uninteressant erscheint. Aber nur so lange, bis wir kurz vor Gobabis zu einer Pinkelpause anhalten. Der Parkplatz bietet das gewohnte Bild einer Mini-Müllhalde, auf der wir uns deshalb auch nur kurz die Füße vertreten; Jochen streckt seinen vom Fahren verkrampften Körper, Annette legt zufrieden die Einkaufsliste beiseite, Heinz schüttelt sich den Schlaf aus den Gliedern und ich - ich verschwinde in der Botanik, denn bei näherem Hinsehen zeigen sich auch hier wunderschöne Pflanzen. Es grenzt fast an ein Wunder, was da alles seine Triebe und Blüten aus Glasscherben und Chipstüten reckt! Lange ist mir das Vergnügen einer botanischen Kleinexkursion allerdings nicht gegönnt, denn meine Reisegenossen, frisch gereckt, gestreckt und blasenentleert, drängen auf Weiterfahrt. Und ja, sie haben recht, schließlich haben wir noch einiges zu erledigen. Also klettere ich wieder ins Auto und wir kurven auf das bereits sichtbare Gobabis zu, wo wir, mal wieder, einkaufen müssen. Nach wenigen Minuten erreichen wir das Zentrum der zirka neunzehntausend Einwohner zählenden Stadt und stürzen uns in den dort herrschenden Trubel. Ein Trubel, der angesichts der Größe dieses Städtchens wirklich erstaunlich ist: rushhourartiger Verkehr, wimmelnde Passanten, Gedränge vor vielen Geschäften, Karawanen von schwer schleppenden Frauen, Gehupe, Geschrei, Abgaswolken. Sieht man aber auf die Landkarte, verwundert das rege Treiben nicht; Gobabis ist hier, diesseits der namibisch-botswanischen Grenze, der einzig größere Ort im (halben) Umkreis von 200 Kilometern und somit auch die kommerzielle Drehscheibe der Region Omaheke. Und durch diesen Ameisenhaufen bahnen wir uns nun unseren Weg, um uns schließlich in eine schmale Parklücke in einiger Entfernung des örtlichen Supermarkts zu quetschen – die einzig freie übrigens.

Streetlife Gobabis
Beliebter Personentransporter
Man kennt sich!










Unsere beiden Freunde begeben sich sofort mit der aktualisierten Liste in das gut besuchte Geschäft, während Heinz und ich mal wieder auf unser Auto nebst seiner kostbaren Fracht aufpassen. Diesmal ist der Wachhundjob allerdings ein wahres Vergnügen, denn der Ort verwöhnt uns mit ständig wechselnden Bildern und kleinen Alltagsgeschichten. Eine junge Frau mit Lockenwicklern im Kraushaar überquert die Fahrbahn, ein kleines Mädchen quengelt seine Mutter an, die offenbar etwas Begehrenswertes in der Einkaufstüte mit sich führt, bekommt aber nichts und verfällt daraufhin in trotziges Kreischen. Hererofrauen in bunten, viellagigen Kleidern und steifen Kopftüchern schreiten gemessenen Schrittes die Straße herab und bilden wundervolle Farbkontraste zu den bunt gestrichenen Hausfassaden, ein Pickup transportiert eine Schar fröhlicher Passagiere, die offenbar jeden zweiten Einwohner Gobabis’ kennen und folglich auch grüßen, zwei Frauen geraten sich schreiend in die Haare, weil die eine der anderen mit dem Einkaufswagen in die Hacken gefahren ist. In vollen Zügen genießen Heinz und ich dieses quirlige Streetlife der kleinen afrikanischen Stadt und fühlen uns blendend unterhalten.



















So gut, dass die Zeit wie im Fluge vergeht und wir fast erstaunt sind, als Annette und Jochen mit den Einkäufen wiederkehren - nach über einer Stunde, die sich wie zwanzig Minuten anfühlte. Rasch schlichten wir die neu erworbenen Fressalien und Getränke ins Auto, steigen ein und verlassen Gobabis, um eineinhalb Stunden später den Grenzübergang nach Botswana zu erreichen. Die Grenzformalitäten sind auf beiden Seiten schnell erledigt und wir können den restlichen Streckenabschnitt nach Ghanzi in Angriff nehmen, ein Streckenabschnitt, der uns bald wieder mit seiner Ereignislosigkeit einlullt. Die Kilometer ziehen sich; nicht mal ein kleiner Regenschauer, der mit heftigem Prasseln auf unser Autodach herabpladdert, ist in der Lage, uns aus dieser drögen Fahrlethargie zu reissen. Meine Güte, ist das öde! Dabei haben wir dieses Jahr wirklich gut und großzügig geplant, in möglichst kurze Etappen unterteilt und lange Fahrtage so weit wie irgend möglich vermieden. Doch hin und wieder blieb uns dabei eine größere Strecke eben nicht erspart - Afrika ist halt nicht das Saarland... Doch schließlich haben wir auch diese Monsteretappe endlich hinter uns gebracht und passieren das Thakadu Camp, das etwas außerhalb der Ghanzis liegt. Bedauernd werfen wir im Vorbeifahren einen Blick auf die Einfahrt des Camps, in dem wir heute übernachten werden, raffen uns aber dennoch tapfer zum letzten Akt des Tages auf: rein nach Ghanzi, etwas Bargeld am Automaten ziehen und anschließend noch tanken.

Die Grenze ist nah
und noch näher
Regen zieht auf










Es ist schon früher Abend und Ghanzis Straßen sind dicht gesäumt von Trauben herumsitzender und -stehender Menschen, die offenbar ihr Tagwerk in der Stadt hinter sich gebracht haben und nun auf eine Mitfahrgelegenheit hinaus aufs Land warten. Mit afrikanischer Ruhe harren sie der kleinen Minibusse, die irgendwann des Weges kommen und Passagiere aufnehmen, so lange, bis keiner mehr rein geht. Fahrpläne gibt es natürlich nicht, die Busse sind auch nicht mit Fahrzielen beschriftet und mir ist es nach wie vor ein Rätsel, wie man hier zielgerichtet von A nach B kommt - und das auch noch mit entspannter Geduld und einem Lächeln auf den Lippen. Wenn ich da an München und sein hervorragendes öffentliches Verkehrssystem denke: alles flutscht, alles klappt meist wie am Schnürchen und trotzdem sieht man nur verkniffene Gesichter. Da könnten wir uns mal ein Scheibchen von der Gelassenheit der Afrikaner abschneiden! Vor allen Dingen dann, wenn mal wieder eine Bahn drei oder vier Minuten Verspätung hat...

Ghanzi Streetlife
Warten auf den Bus
Auch hier wird gewartet










Ebenfalls drei oder vier Minuten später erreichen wir dann auch schon den Parkplatz der örtlichen Shopping-Mall, auf deren Gelände es unter anderem einen Bargeld-Automaten gibt, den wir nun dringend melken müssen. Auf dem großen Parkplatz vor der Mall herrscht reges Treiben, aber von Gelassenheit ist hier nichts mehr zu spüren. Es wimmelt, es wuselt, es rangieren die Autos, die Fahrer hupen und schimpfen und man sieht mit einem Male viele verkniffene Gesichter. Umso beherzter steuert Jochen unseren Wagen in das Getümmel und versucht, einen Parkplatz zu ergattern, so nahe am Geldautomaten wie irgend möglich. Ein weises Vorhaben, wie sich sogleich zeigt: denn kaum haben wir angehalten, sind wir auch schon von bettelnden Kindern und Männern umringt, die äußerst aufdringlich sind und nicht mal davor zurückscheuen, unsere Autotüren von außen zu öffnen, um uns ihre Hände fordernd unter die Nasen halten zu können. Normalerweise versuche ich, auf so etwas gelassen und verständnisvoll zu reagieren, indem ich mir meinen relativen Wohlstand vor Augen führe, einen Wohlstand, den ich persönlich im gemäßigten Mittelstand sehe, der für andere aber durchaus als steinreich rüberkommen mag. Natürlich bin alles andere als steinreich, gebe jedoch durchaus gerne mal was ab. Nicht aber, wenn man mich derart bedrängt; Not hin oder her. Es gibt gewisse Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen - und dazu zählt für mich eben auch ein ungefragtes Eindringen in meinen persönlichen Schutzraum. In diesem Falle ist es das Auto, dessen geschlossene Tür von einer mir völlig fremden Person einfach so aufgemacht wird, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. Hallo!? Ich knalle die Türe wieder zu, drücke den Absperrknopf und drehe mich demonstrativ weg. Wie bei einem Carambolage-Spiel beobachte ich nun über eine Spiegelung im Fenster, die sich im rechten Außenspiegel wie ein Film abspult, die rein gestische Verständigung der Bettelnden, die uns nach wie vor umringen: „Hier geht nix, geh du rüber auf die andere Seite, da ist noch offen. Schnell, mach schon! Pah, zu langsam!“ Heinz nämlich hat die Tür mittlerweile auch verriegelt... Und nun folgt etwas, was mir, trotz meines sonstigen Verständnisses, recht gibt: der Typ, der meine Tür geöffnet hatte, dabei gescheitert war und nun seinen Kollegen, trotz deutlicher Aufforderung seinerseits, ebenfalls scheitern sieht, hechtet um das Heck unseres Wagens herum und schlägt den Loser mit der flachen Hand demonstrativ ins Gesicht – uns stets im Auge behaltend - und schreit ihn zusammen. Ah, man setzt also auf unser Mitleid und Schuldgefühl, indem man denjenigen misshandelt, dem wir nichts gegeben haben! Interessant und höchst aufschlussreich! Der Gedemütigte seinerseits jedoch, ein paar Jahre jünger als sein Aggressor und noch nicht ganz spielsicher, steckt die Watsche hinnehmend ein, schüttelt sich und verweist mit einer leichten Kopfdrehung und mit deutlich richtungsweisend hochgezogener Augenbraue auf ein neu hinzugekommenes Auto, in dem offenbar vielversprechendere Opfer sitzen, als wir das sind. Effektiv und durchaus eindrucksvoll, aber darauf falle ich nicht herein!

Denn ähnliche, fast theaterreife Spielfreude kenne ich bereits aus meiner Heimatstadt, die von südlichen Ex-Ostblock-Fordernden überflutet wird - um das mal politisch einigermaßen korrekt auszudrücken. Auch dort konnte ich Vergleichbares beobachten: ein augenscheinlich bemitleidenswerter junger Mann saß Tag für Tag auf dem Kontaktblech der Rolltreppe, die ich fast jeden Morgen zur selben Zeit aus der U-Bahn nach oben komme. Er jammerte mich an, reckte mir seine Beine angelegentlich, aber penetrant fordernd in den Weg, legte es auf eine Konfrontation Aug’ in Aug’ an. Er zwang mich mit seinem Gebrabbel, Gejammer und Gestöhne, ihm direkt in die Augen zu sehen, wich meinem Blick jedoch in demütiger Manier aus, wenn ich den seinen fixierte. Nun dachte ich bis dato immer, der Typ sei halt einfach eine arme Sau, die gehbehindert, mit Krücken einherhumpelt, und keine andere Möglichkeit hat, als andere, Wohlhabendere anzuflehen.

Doch weit gefehlt: eines Tages, ich stand gerade am Zeitungskasten und überflog die Schlagzeilen, kam eine junge, sommerlich-adrett gekleidete Frau des Weges und steuerte winkend auf den Bettler zu. Der starrte sie an, sprang auf und stürzte erbost auf sie zu. Dann schrie er sie an, zwang sie, ihre Flipflops auszuziehen und zerrte sie barfüßig mehrmals durch den Rinnstein. Anschließend riss er ihr T-Shirt aus dem Rockbund, verstrubbelte ihre wohlfrisierten Haare, ging ein paar Schritte zurück und betrachtete zufrieden sein Werk. Die Frau sah ihn fragend an, er nickte, sie reckte den Daumen nach oben und verschwand pfeifend in der nächsten Querstraße, um ihr Tagwerk frisch gestylt andernorts zu beginnen. Der maskenbildnerische Bettler hingegen strebte erneut seinem Kontaktblech zu, bemerkte dabei aber, dass ich die ganze Aktion beobachtet hatte. Nun versuchte er zu retten, was zu retten war, fing augenblicklich wieder an zu hinken und erklärte jammernd: „Tochter! Nix gutt, immer Ärgär!“. Als ich dazu nur den Kopf schüttelte, drohte er mir mit der Faust und beschimpfte mich lautstark…

Und so ähnlich mutet das Gebaren der Bettler hier in Ghanzi auch an: sie schleichen hoffnungslosen Blicks über den Parkplatz, werden aber, sobald sie sich unbeobachtet fühlen, zu agilen Individuen, die ihre Aktionen zielgerichtet abgleichen und nicht davor zurückschrecken, sich gegenseitig zu misshandeln, nur um die Wohlhabenderen erfolgreich abzuzocken. Apropos wohlhabend: mein Münchner Bettler klapperte abends regelmäßig die umliegenden Lokale ab, um sich seinen Tagesverdienst von durchschnittlich hundert Euro (steuerfrei) in Scheine wechseln zu lassen. Danach, so wurde mir aus glaubwürdiger Quelle berichtet, humpelte er mit seinen Krücken außer Sichtweite seines Arbeitsplatzes, klemmte sich die Gehhilfen unter den Arm und eilte lockeren Schrittes zu seinem Auto, das er in unauffälliger Entfernung geparkt hatte. Und ich könnte wetten, dass auf diesem Mall-Parkplatz ein vergleichbar unehrliches Spiel gespielt wird. Wenn nicht gar ein kriminelles. Denn als Annette aus dem Auto steigt und auf den Geldautomaten zugeht, löst sich sofort einer der jungen Männer aus der Gruppe und folgt ihr unauffällig. Doch Jochen signalisiert ihm deutlich, dass diese Aktion nicht unbemerkt blieb und stellt sich abschirmend hinter Annette. Daraufhin dreht der Typ schlendernd ab, wendet sich orientierungssuchend an seine Kumpanen und verfällt, sobald ihm das nächste Opfer zugewiesen wird, wieder in seine Rolle: hängende Schultern, hoffnungsloser, demütiger Blick und schleppender Gang.

Natürlich darf man die Situation im reichen München nicht mit der im afrikanischen Ghanzi vergleichen oder gar gleichsetzen, aber beides hinterlässt einen ähnlich schalen Nachgeschmack. Hier wie da wird einem etwas vorgespielt, gewollt unaufällig, aber dennoch für jeden aufmerksamen Beobachter offensichtlich. Ein Schauspiel, das von organisierten, professionell agierenden Bettlern aufgeführt wird und letztendlich rücksichtslos auf Kosten der wirklich Bedürftigen geht. Vielleicht sehe ich das Ganze zu undifferenziert, trotzdem aber bin ich froh, als wir endlich diesen Parkplatz wieder verlassen und aus Ghanzi City rausfahren können.

Am Stadtrand tanken wir rasch noch, bezahlen mit unseren frisch gezogenen Scheinen und begeben uns dann voller Vorfreude ins Thakadu Camp, wo wir eine Campsite vorgebucht haben. Wir passieren das Eingangsgate, kurven ein paar Kilometer durch dichten Busch und erreichen schließlich das Zentralgebäude der Guest Farm, das die Rezeption, ein Restaurant und einen Shop beherbergt. Schnell haben wir unsere Ankunft kundgetan und dürfen daraufhin auf das Campinggelände fahren, wo wir uns einen Platz nahe eines der Waschgebäude suchen und flugs unser Lager errichten. Erschöpft lassen wir uns dann in unsere Campingstühle sinken und lauschen den Geräuschen der anbrechenden Nacht. Große schwarze Käfer und dicke, haarige Spinnen umwuseln unsere Füße, schlaftrunkene Vögel zwitschern ihr letztes Lied des Tages, Grillen zirpen, wir entspannen uns - und haben Hunger. Annette beginnt im Auto herumzukramen und stellt schließlich die Frage, was wir denn kochen könnten. Kochen? Heute? Hier, wo es ein hervorragendes Restaurant gibt? Für Heinz und mich kommt das überhaupt nicht in Frage, schließlich freuen wir uns schon seit Monaten auf das Aardvark Restaurant auf Thakadu, das exzellente Küche bietet. Selbst kochen? Heute sicher nicht! Annette und Jochen sind zwar generell etwas sparsamer veranlagt als wir, lassen sich aber schnell von unserer Restaurant-Vision überzeugen und so stapfen wir mit unseren Stirnlampen bewaffnet voller Vorfreude durch die Dunkelheit des Camps. Bald leuchtet uns die illuminierte Veranda des Restaurants einladend entgegen, wir tappern die letzten Meter durch die Nacht und lassen uns schließlich an einem der letzten freien Tische des gut besuchten Gastbetriebs nieder. Erstaunlich, was in einem Restaurant mitten im Busch los sein kann! Doch hier ist es so gemütlich und es wird so hervorragend gekocht, dass es so erstaunlich dann doch nicht ist...

Anthia circumscripta
Toilettenbesucher Schrecke
Toilettenbesucher Spinne










Heinz und ich müssen übrigens erst gar nicht in die Karte sehen; wir wissen seit Monaten genau, was wir wollen - Straußencarpaccio als Vorspeise und danach ein medium-rare gebratenes Eland-Steak mit Beilage nach Wahl. Unsere Freunde hingegen brauchen etwas länger - die Auswahl ist einfach zu groß. Schließlich aber haben auch sie sich entschieden, wir bestellen und schwelgen bald darauf in unseren servierten Köstlichkeiten. Baaah, waaaah, mhhhhm, ist das lecker! Zartes Wildfleisch, köstlich zubereitet, freundlich serviert und höchst appetitlich angerichtet, schmackhaft, deliziös, einfach unwiderstehlich! Und was on top noch dazukommt: beim Speisen hat man Blick auf das campeigene, hell erleuchtete Wasserloch, an dem sich, sofern man Glück hat, allerlei Großgetier zum Trinken sammelt. Und wir haben Glück: eine Herde Eland-Antilopen senkt die Köpfe über der Quelle und wir thronen wie die Könige auf unserem Aussichtsbalkon, visuellen und geschmacklichen Höhepunkten erliegend. Oh Mann, geht's uns gut!

Nach diesem wundervollen Mahl - wir fühlen uns ungemein wohl und zugleich zutiefst ermattet - machen wir uns auf den Rückweg zu unserer Campsite. Dabei gehen wir hinter dem Restaurant vorbei und erspähen die kleine Auslage des angegliederten Shops. Natürlich hat dieser um die späte Uhrzeit schon geschlossen, aber das vom Lokal herüberscheinende Dämmerlicht enthüllt einige Kostbarkeiten, die wir uns morgen früh unbedingt nochmal genauer ansehen müssen! Doch jetzt ist erst mal Schlafenszeit, schließlich ist morgen wieder ordentlich Strecke angesagt - und auch, wenn dem nicht so wäre: wir sind soooo müde...


Weitere Impressionen des Tages:

Der müllige Parkplatz
Gobabis
Gobabis










Toilettenbesucher Gottesanbeterin
Perfekte Tarnung
Perfekter Sonnenuntergang










Hermbstaedtia sp.
Wassertrrm
Buntes Gedrängel
Lockenwicklerfrau

29. März 2013, Thakadu Camp, Ghanzi > Motopi Pan, CKGR

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Frühmorgens wecken uns die mittlerweile gewohnten Geräusche des Buschs - obwohl wir ja noch gar nicht wirklich in der Wildnis sind. Ganz unbuschmäßig tragen wir also unser gestriges Geschlemme gepflegt zum naheliegenden Sanitärgebäude, machen uns ein letztes Mal für längere Zeit dental und auch anderweitig frisch und finden uns dann am Frühstückstisch zusammen. Als letzter stößt hierbei Heinz zu uns und er hat von unterwegs etwas mitgebracht: eine riesige, giftgrüne Gottesanbeterin! Nun bin ja ich DIE Insektenschisserin vor dem Herrn, soll aber schrittweise meiner Phobien enthoben werden, indem ich zunehmend größere Krabbeltiere auf meine Hand gesetzt bekomme, die Heinz höchstpersönlich zu diesem Behufe anschleppt. „Schneck, ich hab da was für dich!“, flötet er, als er mit der Monstermantis vom Waschhaus kommt. Huuuh, oh Schreck, ist die groß - und grün! Nun, die Therapie zeigt zwar mittlerweile durchaus Wirkung, aber dieses Insekt ist so riesig, dass ich mich nicht überwinden kann, es auf meine Finger krabbeln zu lassen. Zumal Heinz es auf seinem ebenfalls giftgrünen Reisegeldbeutel herbeigetragen hat - und sich standhaft weigert, selbst in Hautkontakt mit dem Beter-Teil zu treten... Schließlich haben wir beide schon Filmberichte gesehen, in denen Gottesanbeterinnen dieser Größenordnung selbst wohlgenährte, rundliche Großmäuse einfach so dahinmeuchelten. Respektvoll setzt Heinz die grüne Schönheit in unser aller Sinne also auf einen Baumstamm und wir genießen unser Frühstück - unter den wachsamen Facettenblicken des räuberischen Gigainsekts. Unbeschadet überstehen wir – und die Gottesanbeterin - das frühe Mahl und machen uns anschließend alle vom Acker: die Mantis entfleucht unbemerkt in die unendlichen Jagdgründe der dichten Buschumgebung, wir hingegen streben, nach dem Abbau unseres Lagers, der Rezeption zu. Während Annette dort die Bezahlung regelt, büxen Heinz und ich in den benachbarten Andenkenshop aus, der genau die Versprechen hält, die er gestern Abend in diffusem Heimgehlicht verhieß; Souvenirs über Souvenirs - und noch dazu von der Sorte, die unsereiner wirklich gerne erwirbt.

Frühstück auf Thakadu
Mantis vor der Linse
Mantis auf Geldbörse










Annette zahlt also für vergangenes Schlafen, als wir bereits für die stilvolle Zukunft unserer Wohnatmosphäre Erinnerungsdeko einmarkten: ein geschnitztes Erdmännchen, sehr nett, aber eher durchschnittlich. Ein Brautgeschenk aus Mosambik in Form einer in zwei Hälften geteilten Kokosschale - mit Kopf und Armen, mit bunten Glasperlenketten geschmückt, einem gemusterten Kopftüchlein auf dem Haupt. Sehr speziell, sehr zerbrechlich und recht schwierig zu transportieren - aber so schön und geradezu unwiderstehlich. Und dann noch zwei erdferkelförmige Perlenskulpturen, ebenso ungewöhnlich und unwiderstehlich. Heinz und ich haben den Laden soeben von allen wirklich interessanten Souvenirs befreit, als Annette herbeieilt und gerne auch noch was abhätte. Speziell auf eines der beiden Erdferkel hatte sie es abgesehen. Das wußte ich aber nicht und habe ihr nun Minuten zuvor beide vorhandenen Exemplare quasi vor der Nase weggekauft. Jetzt kann sie leider nur noch bedauernd zusehen, wie die Shoplady beide Aardvarks in Zeitungspapier wickelt und mir strahlend überreicht. Ich strahle nicht weniger, auch wenn mir Annette fast ein wenig leid tut. Aber eben nur fast und nur ein klein bisschen - zu sehr bin ich in die beiden Perlentiere verliebt. Und nichts in der Welt könnte mich dazu bewegen, eines davon an Annette abzutreten. Ferkel Eins ist nämlich schon fest gebucht, als Deko in meiner Wohnung zu arbeiten, Ferkel Zwei werde ich in die liebevollen Hände meiner Mutter übergeben, deren Entzücken ich bereits förmlich vor mir sehe - und so bleibt wenigstens alles in der Familie… Jochen hingegen sieht meinen Wegschnappkauf mit gewisser Erleichterung, denn die holde Gattin schleppt, zumindest für seinen Geschmack, ohnehin immer zu viel Tand und Nippes mit nach Hause. Aber so sind wir eben, wir Hüterinnen der behaglichen Wohnlichkeit!

Mein Kokos-Weiblein
Thakadu: Aarvark-Restaurant
Plocepasser mahali










So, nun ist aber genug geshoppt, es wird Zeit, dass wir uns auf den Weg machen, der heute wieder mal ein langer sein wird. Zärtlich bette ich meine Neuerwerbungen ins Auto, wir boarden und fahren los. Nach vielen schnurgeraden und ereignislosen Kilometern erregt plötzlich ein Gegenstand in der Mitte der Fahrbahn unsere Aufmerksamkeit. Das einzig Gute an diesen brettebenen Endlosstraßen ist, dass man Hindernisse der erhabenen Art, und seien sie auch noch so klein, bereits von Weitem sehen und sich folglich langsam nähern kann. Auch wir bremsen nun etwas runter und tasten uns auf das komische Häufchen zu, das beim Näherkommen allmählich ein schwarz-weißes Streifenmuster offenbart. Mhm, das ist wohl kein zerfleddertes Reifenstück und wohl auch kein Schal, denn es flattert nicht, als auf der anderen Straßenseite ein Personenwagen mit hohem Tempo vorbeibrettert. Als wir gerade abseits des Teerbelags unser Auto zum Stehen bringen, quietschen auch die Bremsen des gerade Entgegengekommenen, er wendet und hält schließlich ebenfalls, genau wie wir, auf Höhe des gestreiften Teils, das sich in der Folge als Zebrakobra entpuppt. Vorsichtig nähern wir uns der Schlange. Man kann ja nicht sicher sein, ob sie wirklich tot ist oder sich nur auf dem Teerbelag sonnt. Vor einer Schlange dieser Größe und Giftigkeit sollte man sich auf jeden Fall in Acht nehmen, auch wenn sie benommen oder verletzt ist.

Kein Borussia-Schal...
Road kill: Naja anchietae
Abzweigung zum Tsau Gate










Doch nein, so sehen wir recht schnell, das arme Tier nimmt kein Sonnenbad (mehr) - eine tiefe Verletzung direkt hinter dem Kopf legt den Verdacht nahe, dass es das Leben unter den Reifen eines vorbeikommenden Autos ausgehaucht hat. Überprüfen jedoch können wir das nicht mehr, denn auf der Gegenspur rast soeben ein silberner Mercedes heran, macht auf der Höhe der Schlange einen absichtlichen Schlenker, lässt dabei den gestreiften Roadkill meterhoch durch die Luft wirbeln und uns alle ziemlich erschrocken und fassungslos aus der Wäsche schauen. Was war denn das für ein Idiot? Jedenfalls einer, der offensichtlich tierische Freude daran hatte, uns einen gehörigen Schreck zu versetzen und gleichzeitig den aufregenden Fund zu vermiesen. Auch das Pärchen, das für die Schlange gewendet hatte, hat nur ein ungläubiges Kopfschütteln für den mutwilligen Raser übrig. Doch der ist weg, wie auch die Schlange, fortgeschleudert in das unübersichtliche Gebüsch und hohe Gras am Straßenrand. Und da müssen wir sicher nicht hinterher! Bedauernd und hoffend, dass das Reptil wirklich tot ist, klettern wir also schulterzuckend wieder ins Auto und setzen unsere Fahrt fort.

Auf diesen weiterhin schnurgeraden Kilometern erinnere ich mich plötzlich an einen Namibier namens Richard, den ich auf einer meiner ersten Afrikareisen in Windhoek kennengelernt hatte und der mir eine Geschichte erzählt hatte. Er war Party-Gast auf einer Farm, weit außerhalb der Stadt. Nach feuchtfröhlichen Stunden des Feierns bezog er, zusammen mit anderen Gästen, seinen Schlafplatz in einer gemütlichen Scheune auf dem Farmgelände. Lange lag er wach und versuchte, sein Alkoholkarussell in den Griff zu bekommen, erlag diesem aber schließlich und wankte vor das Scheunentor, um sich dort gründlich auszukotzen. Danach fühlte er sich deutlich besser und kroch wieder in seinen immer noch lauwarmen Schlafsack. Beim Reinkriechen jedoch durchfuhr ihn plötzlich ein heftiger Schmerz an der Hand, er schrie auf, tastete nach dem Schalter seiner Stirnlampe, die er aufbehalten hatte und sah in deren Schein eine schwarz-weiß gestreifte Schlange verschwinden… Eine Zebrakobra hatte ihn soeben in die Hand gebissen! Umgehend wurde er von Freunden ins weit entfernte Krankenhaus gebracht, dort behandelt und er überlebte. Acht Monate war dieser Zwischenfall damals her, als ich Richard kennenlernte, doch er litt noch immer unter den Folgen der Schlangenbegegnung: das injizierte Gift tat, auch Monate danach, noch immer seine Wirkung. Zwar wurde ihm recht bald nach dem Biss  Serum gespritzt, sein Kreislauf erfolgreich stabilisiert und alles schien gut, doch die Ärzte warnten ihn vor den zu erwartenden Folgen des starken Gifts der Schlange. Und diese ließen auch nicht lange auf sich warten. Zum Beweis reckte mir Richard die betroffene Hand entgegen, von der mittlerweile bereits Ring- und Mittelfinger entfernt wurden, wie auch ein großzügiger Gewebekeil aus dem Unterarm, bis zum Ellbogen hinauf. „Und demnächst geht's weiter mit Rausschneiden und Amputieren!“, sagte Richard, als er mir eine pralle blaurote Wurst unter die Nase hielt, die mal sein Zeigefinger war. Die neurotoxische Wirkung des Schlangenbisses also hatte er durch die Erstbehandlung gut überstanden, die gewebezerstörende hingegen war immer noch aktiv – und das auf unabsehbare Zeit. Schauderhaft, grauenvoll und eine deutliche Warnung an alle, die einen Schlangenbiss auf die leichte Schulter nehmen - Serum gespritzt, alles gut; das ist in vielen Fällen ein Trugschluss, eine Augenwischerei. Denn der Begriff „Überleben“ bedient lediglich die Statistik, nicht aber das eventuell leidensvolle Fortbestehen des betroffenen Individuums.

Die Gedanken an Richard und wie es ihm wohl heute gehen mag, beschäftigen mich lange und lassen die langweilige Strecke an mir vorüberziehen. Zumindest so lange, bis uns mitten im Nirgendwo die Abzweigung Richtung Central Kalahari Game Reserve, Richtung Tsau Gate, scharf nach rechts lenkt. Doch die linealförmige Wegführung setzt sich auch nach dem Abbiegen unverändert fort. Einziger Unterschied: wir haben jetzt Sand unter den Reifen und einen Veterinärzaun zu unserer Rechten, in dem wir leider immer wieder Tierleichen entdecken müssen. Springböcke, Oryxantilopen, das sind die am häufigsten zu findenden Kadaver, aber wir sehen auch ein totes Steinböckchen und mehrere kleine, nicht mehr identifizierbare, weil bereits skelettierte Überbleibsel tierischen Lebens, das Selbiges qualvoll im Zaun aushauchen musste. Zäune, die erbaut wurden, um das Weidevieh vor den Erkrankungen der Wildtiere zu schützen. Gerne wird auch mal, je nach Gesprächspartner, das Umgekehrte behauptet - doch jeder, der hier öfter und interessiert unterwegs ist, weiß, dass diese Argumentations-Variante jeglicher praktischen Grundlage entbehrt. Es ist der selbe Quatsch, der beim Aufflackern der Vogelgrippe gerne verbreitet wurde: man hatte dankbarerweise irgendeine arme Wildente ausfindig gemacht, die das Virus nachweislich in sich trug und schon wurde sie zum Epizentrum des Seuchenausbruchs hochstilisiert. Dass sie jedoch, eher naheliegend, auf einem verschissenen Mastgeflügelhof Station gemacht und sich dabei auf dem Misthaufen infiziert hatte, verschweigt man lieber. Der Verbraucher ist ja extrem sensibel. Trotzdem präferiert der geneigte Konsument eher das günstige Fleisch, das er stets „für gut“ verzehrt und macht sich vor, es wäre lückenlos und akribisch kontrolliert. Und der Produzent manipuliert diesen hochkommerziellen Zug, auf den der Fleischkunde so gutgläubig und gerne aufspringt, zu aller Beteiligten Vorteil - angeblich. Im Endeffekt aber sieht es so aus: das Wildtier wird zum Verursacher und Überträger des Übels deklariert, wird getötet, geopfert, der Verbraucher zahlt und wird seinerseits gründlich verarscht, der Tierproduzent hingegen heimst seinen Gewinn auf Kosten der beiden anderen Parteien ein. So ist es auch hier. Riesige Rinderfarmen rund um die Zentralkalahari entlutschen dem kargen, aber geschmackgebenden Boden ein Maximum an Fleischvieh. Um diese Herden und deren Nahrungsgrundlagen zusammenzuhalten, werden Zäune gebaut, kilometerlange, hunderte von Kilometern lange Zäune. Ja, die verhindern die Verbreitung von Seuchen, hin wie her, aber das Wild ist definitiv der haushohe Verlierer dabei. Seiner natürlichen Wanderrouten beraubt, muss es sich mit geringeren Nahrungsressourcen zufrieden geben und die Bestandszahlen passen sich zwangsweise daran an, indem sie sich deutlich verkleinern. Schlimm genug, aber dennoch eine Art der in der heutigen Welt einzig möglichen Anpassung. Richtig schlimm wird es jedoch, wenn Panik bei einem Wildtier aufkommt, wenn es fliehen muss oder wirklich Todesnot leidet - dann stirbt es aufgrund dieses meist unüberwindlichen Hindernisses: es verdurstet, verhungert oder verfängt sich in den gnadenlosen Maschen des angeblich so nutzbringenden Zauns...

Immer an dem Zaun lang
Unbekannt
Dactyloctenium aegyptium










Tja, und diese Opfer des Vet-Zauns müssen nun leider herhalten, uns eine gewisse, wenn auch nicht sehr schöne Abwechslung zu kredenzen. Unser Mitleiden und unsere Empörung aber schaffen es tatsächlich, den langen Weg bis zum Eingangs-Gate in die offizielle Zentralkalahari gefühlsmäßig etwas abzukürzen. Kein Trost, keine Entschädigung für die verendeten Tiere, das ist klar, dennoch verleiht es dem Tod zumindest einen mikroskopisch kleinen, menschentröstlichen Sinn. Man muss es sich halt schönreden, wenn man Zeuge solchen Elends wird und, zu allem Überfluss, auch noch selbst daran beteiligt ist - unsere Schuld als Mensch kann uns halt niemand abnehmen.

Ankunft am Gate
Schrecken am Zaun
Erlangea misera (?)










So also streben wir schuldigen Menschen, die wir nur die Weite unberührter Natur erleben wollen, dem Gate entgegen, erreichen es schließlich auch und reisen ein in unsere ersehnte heile Wunderwelt der zentralen Kalahari. Rasch sind die üblichen Formalitäten erledigt und wir sind drin, im CKGR. Nun könnte man meinen, mit dem Passieren des Gates umfänge einen plötzlich und übergangslos der gewünschte Naturtraum - doch ganz so ist es natürlich nicht. Denn lange Zeit noch begleitet uns der vermaledeite Zaun, diesmal zu unserer Linken. Viel Unterschied macht das zunächst auch faktisch nicht, trotzdem aber empfinden wir eine Art von Hochgefühl, weil wir endlich einen weiteren Ort erreicht haben, der auf unserer Reiseziel-Traumliste stets ganz oben steht. Und so sehen wir uns endlich auch wieder in der Lage, die Schönheiten und Schmankerl dieser Landschaft zu genießen. Eine Vielzahl kalaharitypischer, bunter Blühpflanzen am Wegesrand erfreut unsere Sinne, genau so wie eine schiere Invasion dickbäuchiger Sattelschrecken, die zu Hunderten und Aberhunderten die dünnen Oberdrähte des Zauns bevölkern. Wir fühlen uns wieder angekommen! Und mit einem Male nehmen wir uns deswegen auch wieder Zeit. Zeit, die erforderlich ist, die Einzigartigkeit dieses Landstrichs wirklich entdecken zu können. Obwohl mich dieses rasche Umschalten unsererseits durchaus befremdet, erfreut mich das zu Sehende umso mehr, erst recht, als wir endlich scharf rechts abbiegen müssen und den Zaun hinter uns lassen können. Hier können unsere Augen nun ungehindert schweifen! Wenn sie denn könnten. Denn je weiter wir in den Park vordringen, desto verbuschter präsentiert sich uns die Landschaft - was das Schweifen des Blicks erheblich erschwert. Darauf hatte ich mich zwar seelisch vorbereitet, zumal diese Landschaftsform typisch für weite Gebiete der nördlichen Zentralkalahari ist, dennoch bin ich jetzt etwas enttäuscht. Aber es besteht ja durchaus noch Hoffnung für den ersehnten Abschluss des heutigen Tages, denn unser eigentliches Ziel ist die Motopi Pan. Eine Pan, eine Salzpfanne, zählt zu den weiteren typischen Erscheinungsbildern der Kalahari und verheisst Weite, denn auf den salzhaltigen Böden der Pfannen gedeihen keinerlei Pflanzen. Dafür aber sammelt sich auf diesen vegetationslosen Flächen gerne das Wild und darauf hoffe ich jetzt. Allerdings muss ich mich überraschen lassen, denn wir besuchen Motopi zum ersten Mal und haben keine Ahnung, wie es dort wirklich aussieht, beziehungsweise wo genau unsere gebuchte Campsite liegt.



















Gespannt ötteln wir durch den Busch, aktivieren unser GPS-Gerät, um auch den richtigen Platz zu finden, doch das verbuschte Gelände will nicht weichen. Auch nicht, als unsere aktuellen Koordinaten schon fast mit denen des Ziels übereinstimmen. Zwar staubt es seit geraumer Zeit gipsfein unter unseren Reifen - ein deutliches Indiz, dass wir uns auf Pfannenboden bewegen, doch es buscht und buscht und buscht. Dann endlich, das GPS steht auf Ziel, finden wir die Einfahrt zur heutigen Campsite, die auf normalem Wege kaum zu finden ist, denn sie ist, ohjeh, von dichtem Buschwerk umgeben! Ein paar Meter noch kurven wir die schmale Zufahrt entlang, sind einfach nur noch froh, in wenigen Sekunden den langen Fahrtag beenden zu können, als uns die nächste „freudige“ Überraschung empfängt. Da stehen zwei Autos, zwei Zelte und vier Personen auf unserem gebuchten Platz und blicken uns ohne Begeisterung entgegen. Ach nö! Nicht das auch noch! Höchst genervt steigen wir aus und grüßen die Platzbesetzer, die sich dankbarerweise ihrer Untat bewußt sind. Es ist eine südafrikanische Familie; Eltern mit einer fast erwachsenen Tochter, begleitet vom Freund des Mädls, die sich hier auf gut Glück niedergelassen und nicht damit gerechnet hatten, in dieser entlegenen Gegend doch noch auf rechtmäßige Buchungsgäste zu treffen. Wir sind froh, dass die vier ohne Streitereien das Feld, oder besser gesagt den Busch räumen wollen, doch erst mal müssen wir dazu unser Auto aus der schlauchartigen Zufahrt zurückrangieren, um dann abzuwarten, bis die vier ihren weit ausgebreiteten Ausrüstungswahnsinn in qualvoller Langsamkeit gepackt haben. Endlos werden Wäscheleinen aus den Ästen gepflückt und sorgfältig aufgerollt, Bettzeug wird liebevoll geschüttelt und anschließend in Tragetaschen verpackt, die ausklappbare Trailerküche erst mal grundgepflegt, bevor sie im Anhänger verschwindet, zwei Zelte werden akribisch abgebaut und gerollt, dann folgen weitere Accessoires, die alle ihren Platz finden wollen. Wir hätten unseren Platz ja bereits gefunden, allein er wird nicht frei...

Kudubock
Raphicerus campestris
Da ist ’ne Agame im Busch!










Nach einer Stunde ist es dann doch geschafft, die Südafrikaner räumen zitronigen Gesichts das Feld und wir können uns, wenn auch nur für eine Nacht, endlich häuslich einrichten. Eine Nacht, die übrigens schon am Hereindämmern ist... Gerade noch so schaffen wir unseren Lageraufbau, dann machen wir uns im beginnenden Sonnenuntergang auf die Suche nach der eigentlichen Pfanne. Wir finden sie tatsächlich, doch das weiße Auge liegt wie ausgestorben vor uns. Oh mann, das hatten wir uns anders vorgestellt! Nichtsdestotrotz streckt der stille Zauber der Kalahari seine Finger nach uns aus. Wir werden Zeugen eines zart-pastelligen Sonnenuntergangs, der so unspektakulär ist, dass er uns mit seiner vorsichtigen Kreidigkeit wohlig umfängt, wir sehen müde Vögel in ihre Schlafbäume fliegen, wir hören die Geräusche der beginnenden Nacht und wir werden, zurück auf unserer Campsite, von einem perfekten Vollmond empfangen. Während wir unser Abendessen zubereiten, zieht die blass leuchtende Scheibe des Mondes über uns hinweg und taucht die eigentlich reizlose, verbuschte Umgebung in spannendes Licht. Hier und da raschelt es im Gebüsch, ein Ast knackt, es ist irgendwie heimelig - so heimelig, dass auch wir bald knacken, eingehüllt in unsere kuscheligen Schlafsäcke...


Weitere Impressionen des Tages:

Alien? Buntschrecke!
Zonocerus elegans
Flinke Spinne










Rhinoptilus africanus
Kududame
Mitreisender Käfer










Schöne Landschaft
Tolle Stimmung
Aber nix los...










Quietschgrüne Schrecke
Grünmarmorierte Wanze










Thakadu-Restaurant
Nicht zu nahe ran...
Die Monstermantis
Kurze Pause

30. März 2013, Motopi Pan > Sunday Pan

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Die Schlafsäcke geben uns wieder frei, der Vollmond hat sein magisches Licht im Schein der aufgehenden Sonne bereits ausgehaucht und wir stehen von Neuem inmitten unserer Buschlandschaft. Beim gemeinsamen Frühstück lassen wir unseren kurzen Aufenthalt in der Motopi Pan revue passieren und stellen fest, dass wir diesen Platz von der Liste unserer Traumcamps leider streichen müssen. Nix gegen Motopi, vielleicht waren wir nur zur falschen Zeit am falschen Ort - doch nein, hierher wird uns unser Weg trotzdem nicht nochmal führen. In diesem Bewusstsein nehmen wir das Frühstück ein und freuen uns dabei auf den Umzug zur Sunday Pan, die viel weiter südlich liegt und damit eventuell andere Landschaft verspricht.

Nach diesem resümierenden Morgenmahl folgt dann, wie fast jeden Tag, das Zusammenpacken unserer Habseligkeiten. Wir befinden uns dabei schon in der Schlussphase - die Zelte nebst Inneneinrichtung sind bereits verstaut, die Stühle zusammengefaltet, lediglich der Tisch und die Kisten stehen noch; wir müssen nun nur noch abspülen, um dann auch den Rest verräumen zu können. Und den Spüldienst verrichten heute Heinz und ich. Nun befinden wir uns hier in einem der trockensten Teile der Kalahari, was zur Folge hat, dass jegliche Präsenz von Wasser - und sei es nur Abspülwasser - mindestens ein Lebewesen dürstend, lechzend und gierig aus seiner Deckung lockt. So auch heute Morgen: eine riesige Wegwespe umsurrt, wie aus dem Nichts kommend, unser nasses Geschirr, unseren Schwamm, das feuchte Trockentuch - und unsere nassen Hände. Auch meine - und das mit besonderer Vorliebe! Das gefährlich aussehende Insekt, das eine beeindruckende Körperlänge von sicher sechseinhalb Zentimetern aufweist, beim Fliegen bedrohlich surrt und in wespentypischer Manier seinen Hinterleib beim Fliegen schräg nach unten richtet, hat es, wie offenbar die meisten Insekten, akkurat und fast ausschließlich auf mich abgesehen. Vernehmlich quiekend fliehe ich immer wieder aus der Landezone der Wespe, werfe Schwamm und Geschirr auf den Tisch, doch sie will mich trotzdem nicht in Ruhe lassen. Heinz, ganz begeistert von dem schwarz-blauen Monster, versucht mich zu überzeugen: „Die ist doch ganz lieb und außerdem total schön!“ Ja, sie ist schön, wunderschön sogar - mit ihrem schwarz-blauen Körper, ihren transparenten, ölig schillernden Flügeln, der hübschen Taille und den glänzenden Kieferwerkzeugen, die in der Morgensonne funkeln. Ja, ja, ja, sie ist schön. Aber nur, solange sie mich nicht gezielt anfliegt, sondern stattdessen das von mir extra verkleckerte Spülwasser vom Tisch trinkt. Tut sie aber nicht! Schließlich erbarmt sich Heinz meiner phobischen Anfälle, macht seine eigenen Hände ordentlich nass und lenkt das Vieh von mir ab. So können wir unseren Abwasch zu aller Zufriedenheit abschließen: die Wespe trinkt von Heinz’ Händen, ich beende das Geplätscher, verräume alles Feuchte und beobachte anschließend entspannt, wie mein Liebster von dem Monster ausgiebig benuckelt wird. Die Wespe ist wirklich lieb: sie sticht nicht, sie beisst nicht und sie bleibt mir fern!

Schön ist sie ja,
die Wegwespe!
Aber lieb???










Annette und Jochen amüsieren sich übrigens die ganze Zeit schon über meinen zaghaften Umgang mit dem Surrteil, vor allen Dingen Annette. Als Heinz und ich allerdings alles Feuchte in die Kisten gepackt, unsere Hände getrocknet und uns unauffällig aus der Wespenzone entfernt haben, übernimmt Annette das nasse Geschirrtuch - und ist nun ihrerseits am Quieken und Flüchten. Siehste! Tapferkeit demonstrieren kann man immer - sofern man selbst nicht betroffen ist...

Heinz ist und war ja schon immer der wahre, unerschrockene Insektenheld, Annette hingegen spielt ihre Rolle als Beflogenene gerade nicht besser als ich. Egal. Die Wespe hinter uns lassend - wir haben sie mit dem in den Sand geschütteten Spülwasser erfolgreich abgelenkt - machen wir uns vom Acker, verlassen Motopi. Den Platz inmitten der Zentralkalahari, den wir für die paar Übernachtungs-Stunden hart umkämpfen mussten. Hat es sich gelohnt? Ja, nein, nein, ja? Ja, weil der Platz ruhig und abgelegen ist, weil einen absolute Wildnis umgibt - und der Mond so schön durch das Gesträuch schien. Nein, weil die Gegend total verbuscht ist und ich die Weite der Kalahari hier nicht mal ansatzweise spüren konnte. Also ein klares Nein.

Landschaftsimpressionen:
Die ersehnte Weite
der Kalahari










Doch wir haben noch eine weitere, lange Durststrecke vor uns, bevor uns endlich die Kalahari umgibt, die wir so lieben. Stundenlang ötteln wir durch dichtes Buschland, sehen nichts außer Gestrüpp und können dem Ganzen auch beim besten Willen nicht viel Positives abgewinnen. Aber das dröge Gezockle lohnt sich schließlich doch. Gen Mittag weitet sich die Landschaft, unsere Augen können wieder schweifen und entdecken sogleich auch riesige Ansammlungen von Springböcken, die sich im Schatten weniger Bäume schutzsuchend zusammendrängen. Eine Giraffe stakst über eine goldgrasige Ebene und all das versöhnt uns sofort mit mit unserem „erlittenen“ Schicksal. Unsere Fahrapathie legt sich beinahe augenblicklich und wir sehnen uns nach einer Rast, die uns aus dem Auto heraus, hinein in die Welt der Kalahari bringt. So halten wir an einer besonders schönen Stelle, nehmen uns über eine Stunde Zeit, die Eindrücke in uns aufzusaugen.

Gedränge im Schatten
Springböcke
Giraffe flimmert in der Hitze










Und die sind mannigfaltig: auf den niedrigen Bäumen, die unseren Rastplatz beschatten, tummeln sich viele Vögel, vorwiegend Mahaliweber. Sie ziehen gerade ihre Jungen auf und fliegen dabei emsig umher, um Fressbares für ihren Nachwuchs zu sammeln. Im Zuge dessen müssen natürlich auch wir und unsere Brotzeit auf's Genaueste inspiziert werden. Hingerissen von der unverbildeten Neugier der Vögelchen, vergessen wir beinahe, unseren Mittagssnack zu uns zu nehmen. Außerdem bewundern wir einige strotzende, früchtetragende Misteln, deren Verbreitungsstrategie sich hier überdeutlich demonstriert: die Samen des pflanzlichen Parasiten sind von einem Fruchtfleisch umhüllt, das in appetitlichem Rot leuchtet und somit fast alle Fresswilligen anspricht (uns nicht ausgeschlossen). Sobald aber die rote Beerenhülle durchstoßen wird, gibt sie ein Fruchtfleisch frei, das extrem klebrig ist und auf allem haften bleibt, was da des Weges kommt. Der Vogelschnabel zum Beispiel trägt die Frucht fort, sie fällt herunter, bleibt, mit viel Glück, am nächstbesten Ast kleben und beginnt, mit noch mehr Glück, auszutreiben. Faszinierend! Doch das sind nicht die einzigen Pflanzen, die hier unter extremen Bedingungen erfolgreich gedeihen. Wir, die wir ja frisch aus der Sukkulenten-Karoo kommen, müssen uns erst wieder an diese völlig andere botanische Welt gewöhnen, die nicht minder interessant ist - wenngleich wohl auch nur ich das so empfinde...

Plocepasser mahali:
Spähen und die Lage checken
Nö, hier ist nix zu holen!










Heinz ist halt einfach eher an Sukkulenten interessiert und Annette und Jochen haben ihren Fokus mehr auf Tieren, als auf Pflanzen der weniger spektakulären Art. Doch unspektakulär ist hier gar nichts, zumindest nicht, wenn man sich ein wenig näher damit beschäftigt und die geeignete Fachliteratur zur Hand hat. Die habe ich und bestimme mit Begeisterung, lese nach, woher der wissenschaftliche Name kommt, unter welchen Bedingungen die jeweilige Pflanze gedeiht und, besonders interessant, welch medizinischen Nutzen sie hat. Und wieder mal stelle ich fest, dass die Kalahari jeder gut sortierten Apotheke Konkurrenz machen könnte, wenn man deren Schätze denn nachhaltig nutzen würde. Das Wissen wäre da, allein die verdammte Pharmaindustrie lobbyiert halt mal wieder allzu erfolgreich... Aber das ist ein endloses Thema, von dem ich mich im Moment nicht ärgern lassen möchte. Viel zu schön ist es hier für derart unerfreuliche Gedanken - und lieber genieße ich die Zeit, die mir mein alljährlicher Urlaub beschert, als gedanklich gegen Windmühlen zu kämpfen, gegen deren Flügel ich ohnehin wenig bis keine Chancen habe.

Schlechte Landung
Gute Landung
Landung mit Hoffnung










Ja, wir sind hier; das Leben meint es so gut mit uns, dass wir uns fast jedes Jahr einen derartigen Urlaub leisten können, dass wir Gegenden bereisen dürfen, die andere allenfalls im Fernsehen auf Distanz erfühlen und bewundern können - uns wird dieses Privileg immer wieder zuteil und wir fühlen uns deshalb auch wirklich vom Leben bevorzugt. Zugegeben, das besagte, erhebende Gefühl erleidet so hin und wieder eine kleine Baisse - wie zum Beispiel an der Motopi Pan - doch alles in allem wissen wir das Geschenk unserer Urlaube sehr zu schätzen! Und aus dem kurzfristigen Motopi-Tief sind wir ja auch schon wieder seit einer ganzen Weile aufgetaucht, hier im Passarge Valley, das wir bald nach unserer Pause verlassen, um nach Südosten, Richtung Sunday Pan abzubiegen.

Springbock
Jeder Baum wird genutzt
Wolkenstimmung










Die Landschaft präsentiert sich nach wie vor vielversprechend, als wir dreizehn Kilometer nach dem Abzweig auf das weitere Umfeld der Campsite treffen, die uns für die nächsten zwei Tage beherbergen wird - die Sunday Pan. Bei unserer Buchung hatten wir als Wunschsites die Plätze CKS02 und 03 angegeben, da diese der Pfanne am nächsten liegen. Zufrieden nahmen wir eine Bestätigung für die 02 entgegen, nicht ahnend, dass sich durch die Privatisierung der Siteverwaltung auch eine Umnummerierung vollzogen hatte: eins ist jetzt zwei, zwei ist vier, drei blieb drei und die neue eins ist nun der Einzelplatz an der Leopard Pan. Und das Vorkürzel hat sich ebenfalls geändert. Aus dem ehemaligen CKS wurde CKSUN, was für zusätzliche Verwirrung sorgt, denn demnach haben wir die alte Site 01, ganz im Süden der Sunday Pan und somit nicht den Platz, den wir eigentlich wollten. In der Buchung aber stand noch das alte Kürzel, kombiniert mit der neuen Nummer, also CKS02, doch das Schild „CKSUN02“ besagt dennoch relativ eindeutig, dass wir hier richtig sind, zumal der Platz auch unbesetzt ist. Oder sind wir doch falsch? Bei diesem Chaos kennt sich kein Mensch mehr aus! Entsprechend unsicher und sparsam in der Equipmentverteilung lassen wir uns nun erst mal nieder, immer noch rätselnd, was es mit der ominösen, undurchschaubaren Umnummerierung auf sich haben könnte. Der Platz ist, naja, nicht ganz das, was wir uns vorgestellt hatten, aber schlecht ist er dennoch nicht: leicht erhöht und von dichtem Buschwerk umgeben, liegt er fernab der anderen Campsites - Stille und Ruhe garantiert. Zur Sunday Pan muss man zwar ein paar Kilometer fahren, doch eine unmittelbare Nähe zur Pan ist ja auch lediglich ein Wild-Versprechen, keine Garantie.

Wir haben uns also gerade semi-bequem eingerichtet, als sich bereits eine vermeintliche Bestätigung unserer Zweifel nähert: ein Drei-Auto-Konvoi vollbesetzter südafrikanischer Wagen, bestückt mit Off-road-Trailern, kurvt in unser Idyll! Ein wackerer Bure steigt aus, steuert auf uns zu, die ganze Begleit-Familie folgt hinterher, bis schließlich zirka 20 Menschen um uns herum Stellung bezogen haben. In Gedanken sehen wir bereits einen Umzug vor uns - doch weit gefehlt! Stattdessen werden wir um Hilfe gebeten: „Wir haben die 03 gebucht, da können wir aber nicht hin, weil dort ein Löwenrudel den Platz besetzt. Das Männchen liegt im Sterben, weshalb wir sie auch nicht vertreiben können. Könnten wir im Notfall bei euch unterkommen? Nur im Notfall. Wir schauen jetzt noch weiter, ob hier eine andere Campsite frei ist, dann gehen wir da hin. Ist ja alles recht chaotisch mit der Umbenennung der Plätze...“ Ach, die haben also auch Probleme mit der Nummernänderung?! Auf der einen Seite fühlen wir uns natürlich endlich unseres Platzes bestätigt, andererseits sind die Südafrikaner genau so verwirrt wie wir. Aber Verwirrung hin oder her: man hilft sich gegenseitig, sobald Not am Mann ist. Also sichern wir der südafrikanischen Großmannschaft unsere Unterstützung zu, wenngleich uns dieses Versprechen in die nächsten, sehr eigennützigen Sorgen stürzt. Wer will schon mit rund zwanzig Mannen, Frauen und Kindern einen Platz in der menschenleeren Wildnis teilen, wer will dem Geräusch von Kompressoren lauschen, wenn er Stille erwartet hatte, wer will enger zusammenrücken, nur weil eine Heerschar lärmenverheissender Personen auftaucht, die viel Platz brauchen?! Wir gehorchen trotzdem freundlich und verständnisvoll diesem unausgesprochenen Gesetz der allübergreifenden Hilfeleistung und sagen selbstverständlich unseren Beistand zu. Immer in der letztendlichen Hoffnung, das Problem möge sich von selbst erledigen.

Annette und Jochen jedoch haben gar kein richtiges Ohr für die Bitte der Südafrikaner, verdrängen die auf uns zukommenden Konsequenzen - denn die beiden haben Wort vernommen, das alle anderen Sorgen auszulöschen scheint: LÖWEN! Fünf Buchstaben, die offenbar magische, nahezu unwiderstehliche Anziehungskraft ausüben. L-Ö-W-E-N! „Da müssen wir hin!“ Sagt Annette - und auch Jochen hat leuchtende Augen. Heinz und ich hingegen haben hauptsächlich das Wort „sterbend“ im Hinterkopf und möchten deshalb dieser Veranstaltung nur zu gerne fernbleiben. Doch wir haben leider nur ein Auto, was Heinz und mir gewisse sicherheitsbedingte Daumenschrauben ansetzt; uns ist nämlich noch nicht klar, wie weit die einzelnen Campsites tatsächlich voneinander entfernt sind. Also fahren wir aus einem gewissen Sicherheitsbedürfnis heraus, aber dennoch schweren und zweifelnden Herzens mit. Und, oh Gott - die schlimmsten unserer Befürchtungen übertreffen sich selbst, dort auf der feliden-okkupierten Site 3.

Löwin Eins
Der sterbende Löwe
Löwin Zwei










Wir trudeln also auf dem Platz ein, der uns von den schockierten Südafrikanern als löwenrudel-besetzt gemeldet wurde, und erblicken tatsächlich zwei der Großkatzen. Ein Weibchen liegt ziemlich in der Mitte der Site und hebt ihren Kopf, als wir in ihr Blickfeld kommen. Nur kurz sieht sie uns an, dann sinkt ihr Schädel wieder zu Boden und sie schließt desinteressiert und irgendwie erschöpft die Augen. Auf der rechten Seite, ganz am Rande des Platzes, entdecken wir dann das zweite Mitglied des Rudels - ein Männchen. Bis auf die Knochen abgemagert, kaum noch sichtbar atmend, schwer krank, dem Tode nahe. Sein struppiges Fell liegt wie hingeworfen auf dem Skelett, das man überdeutlich erkennen kann, seine Augen sind verklebt, seine Nase verkrustet und er reagiert auf unser Kommen, indem er mühsam ein Augenlid hebt. Ein Bild des Elends - aber irgendwie ein friedliches. Nur wir stören dabei. So empfinden jedenfalls Heinz und ich, und bitten deshalb unsere Freunde, sofort wieder zu fahren. Die beiden folgen etwas zögerlich, zu zögerlich, unserem Wunsch, aber Jochen wendet tatsächlich gerade das Auto, als eine weitere Löwin auftaucht. Sie hatte im Schatten der Klospirale geruht und will nun wohl nach dem Rechten sehen. Langsam kommt sie aus dem kleinen Holzgebäude heraus, sieht sich um, schüttelt sich und schreitet gemächlichen Schrittes auf ihre liegende Rudelgenossin zu. An deren Seite lässt sie sich dann niederplumsen und schließt ihre Augen. Ihr Brustkorb hebt und senkt sich dabei, als hätte sie soeben eine große Anstrengung hinter sich gebracht. „Bitte, lasst uns endlich fahren!“, flehen Heinz und ich. Denn Leiden und Sterben sind so private, so intime Vorgänge, dass wir da nicht als Zeugen anwesend sein müssen. Das gehört sich einfach nicht!

Heinz und ich fühlen uns im Moment wie Voyeure der übelsten Sorte, denn es ist offensichtlich, dass keines der Mitglieder des sogenannten Rudels wirklich gesund ist. Weg hier, bitte! Lassen wir doch den kranken beziehungsweise sterbenden Tieren ihre Würde. Unsere Freunde bekämpfen erfolgreich ihren Löwensichtungsdrang und geben unseren Bitten schließlich nach. Doch leider zu spät. Denn in dem Moment, als unser Wagen vollständig gewendet und zur Ausfahrt bereit wäre, kommt eine Karawane von sage und schreibe sechs Autos ums Eck gebogen. Zielstrebig drängen sie sensationslüstern auf den Platz, verstopfen die Zufahrt und wir kommen nicht mehr raus. Dafür kurven die anderen, vor lauter Gedrängel und Geschiebe, dem bedauernswerten, sterbenden Katzenmann beinahe über die weggereckten Pfoten, hupen und schimpfen dabei lautstark. Wir sind fassungslos! Schließlich hat sich der Konvoi endlich strategisch günstig auf Platz 3 festgezeckt - strategisch günstig für sie selbst, nicht aber für uns und schon gar nicht für die drei Löwen. In dieser Situation, wo wir alle praktisch Autotür an Autotür hoffnungslos verkeilt sind, bekommen wir natürlich auch hautnahe mit, was da vor sich geht: unsere südafrikanischen Bittsteller sind offenbar, beim Abklappern weiterer Campsites in der Nähe, auf Landsleute gestoßen. Man hat sich nun patriotisch zusammengerottet, um den tierischen Feind, der nicht vom bezahlten Platz weichen will, gemeinsam zur Flucht zu bewegen. Was ja nur rechtens sein dürfte, oder? Oder auch nicht. Denn es hat, so vermuten wir, einfach keiner der anderen Südafrikaner wirklich Bock, Botswanas Wildnis mit den zwanzig Hilfesuchenden zu teilen, die ihrerseits wiederum froh waren, wenigstens Landsleute vorgefunden zu haben, statt den Deutschen (also uns) auf die Pelle rücken zu müssen. Das reimen wir uns allerdings nur zusammen. Was wir jedoch definitiv bezeugen können, ist die Unterhaltung der helfenden Südafrikaner, die, obwohl nur wenige Dezimeter voneinander und von uns entfernt, natürlich ihren On-board-Sprechfunk nutzen. Und das mit einer Aufgeregtheit, als hätten sie akut den dritten Weltkrieg zu verhindern, einmarschierende Taliban und marodierende IS inkludiert. Und es ist, wäre es nicht so pervers und bitter, tatsächlich amüsant - D-max, das echte Männerprogramm, lässt grüßen: „Zwei an eins: wir müssen was tun!“, schreit der eine Fahrer in sein Funkgerät. Der Adressat, direkt neben dem Absender, beide Vorderfenster offen, brüllt zurück: „Verstanden, Zwei! Ja, wir müssen die Löwen verjagen!“ Zwei beugt daraufhin seinen Oberkörper nebst Haupt aus dem Fahrerfenster und verständigt Drei, ebenfalls über Funk, dann Vier, Fünf und Sechs, die offenbar nicht mit Sprechfunk ausgerüstet sind: „Wir jagen die Löwen hier weg, der Platz muss frei werden!“ „Roger, Zwei! Wie wollen wir es anpacken?“ „Ihr packt hier gar nix an!“, mischen wir uns ein. „Ihr könnt doch nicht allen Ernstes auch nur einen Gedanken dran verschwenden, diese Löwen von hier zu vertreiben! Das Männchen ist nur noch Haut und Knochen, liegt im Sterben und wird wohl kaum in der Lage sein, ein paar Meter zu gehen. Außerdem ist das Tierquälerei. Also untersteht euch gefälligst!“ Feindselig starren uns zahlreiche Augenpaare an. Die Bittsteller jedoch machen einen fast erleichterten Eindruck und nicken heftig. Die Einheiten Eins bis Drei sind darob und auch aufgrund unserer Intervention sichtlich irritiert, geraten jedoch tatsächlich ins Nachdenken und beratschlagen nun lautstark. „Das Männchen sieht echt schlecht aus. Vielleicht kann es wirklich nicht mehr gehen. Aber irgendwie muss es ja auch hierhergekommen sein... Moment, ich versuche mal was.“ Fahrer Eins, der dem sterbenden Tier am nächsten steht, beugt sich aus dem Fenster und beginnt, wir fallen fast vom Glauben ab, zu bellen! „Wauwauwuffwau, knurr, wuff!“ Sind wir hier im falschen Film? Offenbar; denn auch Einheit Zwei und Drei schauen peinlich berührt und stoppen den Hilfswauwau. „Lass das, das bringt doch nix! Wir rufen die Ranger, sollen doch die sich drum kümmern. Rangerstation, hallo, hallo! Halloooo?“, brüllt Zwei in sein Funkgerät. Keine Antwort. Er schraubt an der Frequenz. „Hallo, Ranger bitte kommen, Sunday Pan, Platz drei ruft. Hallo, hallo?“ Keine Antwort. Schließlich geben unsere Hobby-Löwenentferner auf, blasen zum Aufbruch und ziehen im Konvoi wieder ab, genau so, wie sie auch gekommen waren.

Wir sitzen mit offenen Mündern in unserem Auto und können immer noch nicht glauben, welcher lächerlichen Posse wir da gerade beiwohnen mussten. Wie bekloppt können Menschen sein!?! Kopfschüttelnd starten wir unseren Wagen und verlassen den Ort des Geschehens, werfen dabei einen letzten Blick auf die Tiere, die die Invasion anscheinend ohne gravierendere Schäden überstanden haben. Bei solchen Idioten kann man ja leider nicht sicher sein, ob nicht doch einer dem Löwen über die Pfoten gekurvt ist. Aber alles ist okay, soweit man in dieser Situation eben von okay sprechen kann. Die Reifenspuren führen zwar im Abstand von wenigen Zentimetern an den abgemagerten Tatzen des Männchens vorbei und der Arme hat sich sicher extrem hilflos und bedroht dabei gefühlt, doch immerhin hat ihm niemand noch mehr Leid zugefügt, als er ohnehin schon auszustehen hat. Und die Nummer mit der Vertreibung dürfte auch gegessen sein. Zur Sicherheit aber habe ich vorhin alle Autokennzeichen (demonstrativ) fotografiert und halte nun auch noch die Reifenspuren fest. Morgen werden wir nochmal kommen und die Lage kontrollieren. Sollten wir dabei auf beweisbare Anzeichen eines weiteren Eingreifens durch die Vertreiber-Einheiten Eins bis Drei stoßen, werden wir das Ganze der zuständigen Behörde melden. Das ist Fakt! Doch trotz dieses kämpferischen Vorsatzes und des relativ glimpflichen Ausgang des lachhaften Possenspiels verlassen wir diesen Platz mit schlechtem Gefühl und einem extrem schalen Nachgeschmack. Gute Nacht, ihr Löwinnen, bewacht euren sterbenden Mann gut und begleitet ihn in einen hoffentlich baldigen Tod.

Abenstimmung
Wundervolles Licht
Malerische Wolken










Mit diesen Wünschen kurven wir vom Platz, umrunden anschließend noch die Sunday Pan, sind aber nicht wirklich bei der Sache und deshalb mehr als froh, endlich wieder auf unserer Site anzukommen. Die südafrikanische Großmannschaft, die wir nach dieser unrühmlichen Aktion nun fast sicher zu sehen erwarten, ist augenscheinlich doch anderswo untergekommen. Wir sind, offen gestanden, alles andere als traurig darüber, traurig macht uns nur das unsägliche Verhalten der Menschen, dem wir vorhin live beiwohnen „durften“. Das lässt uns auch den ganzen weiteren Abend nicht mehr los. Nicht mal die vielen interessanten Insekten, die sich vom hellen Schein unserer Lampe angezogen fühlen, können uns wirklich ablenken, sodass wir bald schlafen gehen, den sterbenden Löwen mit in unsere Träume nehmend.


Weitere Impressionen des Tages:

Noch sitzen sie, die Reiher
Mist, aufgescheucht!
Sie schrauben sich höher...










...und höher...
...und höher.
Numida meleagris










Sieht mich denn keiner?
Mahaliweber-Nester
Mistelbeeren










Ipomoea sp.
Barleria senensis
Zauberhafte Lichtung










Aerva leucura
Leucosphera bainesii
Eriocephalus luederitzianus










Aufmerksame Löwendame
Bewacherinnen des Sterbenden
Die Reifenspuren...










Besuch hinter der Autoreling
Braune Gottesanbeterin
Grüne Gottesanbeterin










Bunte Ameisenjungfer
Ameisenjungfer
Nachtaktive Spinne

31. März 2013, Sunday Pan, Ruhetag

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Unser erster Gedanke beim Aufwachen gilt den Großkatzen, die nicht weit von uns eine hoffentlich friedvolle Nacht hinter sich bringen konnten. Konnten sie? Noch vor dem Frühstück wollen wir das jetzt überprüfen und machen uns deshalb sofort auf den Weg zu Platz Drei. Dort angekommen, fahren wir langsam die kurze Einfahrt hinein, tastend, um sofort umzukehren, sobald wir die Tiere sehen. Doch wir sehen nichts. Keine Löwinnen, kein sterbendes Männchen. Verlassen liegt die Site vor uns, die Sterbekuhle ist deutlich zu erkennen, allein der Todkranke ist nicht mehr da! Was ist hier passiert? Waren die Südafrikaner doch noch mal da? Erzürnt inspizieren wir die aktuellen Reifenspuren. Gerade zücke ich meine Kamera, um vergleichen zu können, als uns deutliche Pfotenabdrücke ins Auge fallen, die die nach wie vor unveränderten Reifenspuren überlagern und eine lebhafte Geschichte erzählen: im Laufe der Nacht hat ein Leopard den Platz besucht und die drei Löwen überrascht. Die beiden Weibchen waren sofort zur Stelle, brachten ihren sterbenden Clanherrn irgendwie auf die Beine und dirigierten ihn auf den Weg zum Nachbarplatz. Dort, zwischen den beiden Sites, verschwinden die schleifenden Spuren des Löwenmannes und seiner Damen in der Nachhut plötzlich im Busch, die Tatzenabdrücke des Leoparden folgen. Was ab da geschehen sein mag, entzieht sich unserer Kenntnis. Alles, was wir noch zu Gesicht bekommen, sind die Pfotenspuren des Leoparden, die zweihundert Meter später erneut kurz die Pad kreuzen, wieder im Dickicht verschwinden - auf Nimmerwiedersehen. Der Ausgang dieses nächtlichen Geschehens wird also auf ewig ein ungelöstes Rätsel für uns bleiben, wir können nur mutmaßen. Was wir nun aber definitiv wissen - und das beruhigt uns ungemein: Menschen waren hier nicht mehr im Spiel, dem Himmel sei Dank! Stattdessen hat es der Leopard geschafft, Bewegung in den sterbenden Löwen zu bringen – auch wenn das kaum vorstellbar ist. Dennoch - die Spuren lügen nicht - ist es geschehen, und wir hoffen nun, dass das Tier nach dieser schier unglaublichen Anstrengung endlich in Frieden sterben darf oder gar schon tot ist. Ein tröstlicher Gedanke!

Hoodia sp.
Und wieder machen wir uns nun, wie gestern Abend auch, auf den Weg rund um die Sunday Pan. Heute sind wir zwar bei der Sache, nicht so abgelenkt und voll konzentriert. Trotzdem ist das Ergebnis unserer morgendlichen Pirschfahrt nahezu das selbe - nämlich NIX. Einziger Unterschied: eine Hoodia am Eingang zur Pfanne. Die hatten wir gestern tatsächlich übersehen... Nö, Leute, lasst uns lieber erst mal frühstücken und dann können wir weiter sehen. Alle sind einverstanden. So kehren wir auf unseren Platz zurück und lassen uns zum Morgenmahl nieder. Offenbar nicht unbemerkt. Plötzlich umringen uns nämlich über dreißig Perlhühner. Ohne jegliche Scheu nähern sich die Hühnervögel, sie betteln aber nicht und sind auch nicht aufdringlich; sie sind einfach nur da und beobachten uns aufmerksam - sechs Erwachsene und dreißig Jungtiere. Heinz und ich sind entzückt über den Besuch der putzigen Vögel mit den getupften Federn und den blau-roten Köpfen. Besonders angetan haben es uns aber die Youngsters, die bereits das Federkleid der Erwachsenen tragen, auf dem bräunlichen Kopf jedoch allesamt noch einen schmalen, sehr kecken Streifen ihrer Kükenfedern haben - wie ein kleiner Irokesen-Kamm. Sind die süß! Jochen hingegen gibt sich völlig unbeeindruckt von den Hühnern, die für ihn, aufgrund ihrer Häufigkeit, wohl zum ornithologischen Standardprogramm zählen. Ungerührt verzehrt er ein Brot und schlürft nebenbei genüsslich seinen Kaffee, ohne die Perlhühner auch nur eines Blickes zu würdigen. Annette jedoch lässt das Federvieh keinen Augenblick aus den Augen, Interesse oder gar Zuneigung spielen dabei allerdings keine Rolle. Im Gegenteil. Annette fühlt sich sichtlich unwohl und versucht immer wieder, die Vögel am Näherkommen zu hindern. „Kusch! Weg! Geht bloß weg!“, ruft sie ein ums andere Mal, wedelt dabei abwehrend mit den Händen. Heinz und ich sehen uns erstaunt an. Unsere Freundin scheint tatsächlich Angst vor den harmlosen Tieren zu haben! So kennen wir sie ja noch gar nicht!

Die Hühnerschar rückt an
Ich bin begeistert!
Heinz nicht weniger










Etwas amüsiert beobachten wir ihre hilflosen Fernhalteversuche, wobei ich fast schon ein schlechtes Gewissen habe. Denn aus eigener Erfahrung weiß ich nur zu gut, wie es ist, eine unerklärliche Furcht vor bestimmten Tieren zu empfinden, die viele andere Menschen so gar nicht nachvollziehen können. Und man selbst kann es auch nicht erklären, wenigstens nicht so richtig plausibel. Nun habe ich aber den Vorteil, dass meine Schreckobjekte, nämlich bestimmte Krabbeltiere, bei vielen Leuten Ängste auslösen, und befinde mich deshalb in verständnisvoller Gesellschaft. Doch Angst vor Federvieh? Da dürfte die Gruppe mitleidender Personen wesentlich kleiner sein. Das ist wohl auch Annette bewusst, denn sie beherrscht sich wacker. Als jedoch eines der Junghühner (ein besonders mutiges mit einer schrägstehenden Feder auf der Brust) zum flatternden Sprung auf unsere Tischplatte ansetzt, ist es um ihre Beherrschung geschehen. Entsetzt springt sie auf, schlägt wild um sich und beschimpft die unschuldige Hühnerschar: „Geht weg! Ihr habt hier nix zu suchen! Ich jag’ euch alle fort, wenn ihr uns nicht endlich in Ruhe lasst. Jochen, mach doch was!“ Jochen zuckt die Schultern, verweigert aber den Heldendienst. Heinz und ich können uns nun leider auch nicht mehr beherrschen. Die Vorstellung, dass Annette schimpfend hinter den Hühnchen her rennt, erheitert uns derart, dass wir vor Lachen fast in Tränen ausbrechen. Annette findet das verständlicherweise weniger erheiternd und verteidigt sich: „Lacht ihr nur! Aber die gehören nicht auf den Tisch! Die verwüsten doch alles. Und habt ihr die Krallen gesehen? Die sind richtig gefährlich!“ Heinz und ich brechen aufgrund dieser Erklärung nun vollends zusammen und auch Jochens Mundwinkel zucken mittlerweile verdächtig. „Ach, ihr versteht das einfach nicht!“, schimpft Annette und räumt beleidigt den Frühstückstisch ab - um unser unkaputtbares Plastikgeschirr aus der Gefahrenzone zu bringen.

Nur langsam beruhigen wir uns alle und beraten dann über den weiteren Tagesplan, umringt von 36 sehr braven Perlhühnern. Die Sonne glüht schon wieder vom Himmel, unsere gefiederten Besucher legen sich im Schatten unseres Autos, des Tisches und der Zelte ab und selbst Annette sieht nun kaum noch Grund zur Flucht. Wir einigen uns deshalb einstimmig auf eine ausgedehnte Ruhephase, die wir gemeinsam im hühnerverseuchten Camp bei Tee, Lektüre und Entspannung verbringen wollen. Am frühen Nachmittag dann, so besprechen wir, könnten wir zu einem ausgedehnten Gamedrive aufbrechen und erkunden, ob es anderswo mehr Wild zu sehen gibt. So machen wir das! Zufrieden und relaxed verteilen wir uns im Schatten und genießen die nun folgenden Musestunden. Annette und Jochen lesen, Heinz und ich hingegen, den wenigen Schatten mit den schlafenden Perlhühnern teilend, erfreuen uns einfach so, ohne Hilfsmittel, beobachten die Vögel, unterhalten uns leise, um nur ja die pennenden Tiere nicht zu stören und fühlen uns dabei so angekommen, so entspannt, wie selten zuvor in diesem Urlaub. „Schneck, ich mag heut’ nimmer auf Gamedrive gehen. Ich finde das so schön hier, mit all den Huhnis!“, flüstere ich. „Ja, genau das find’ ich auch“!, wispert Heinz zurück. „Also bleiben wir!?“„Jaaah!“ Gebongt.

Inmitten der Hühnchen
Schattensuche
Schatten gefunden!










Stunden später, die Hitze hat ihren Höhepunkt erreicht, machen sich unsere Freunde bereit für den geplanten Gamedrive. Heinz und ich müssen uns nun zu unserem Entschluss bekennen. Wir haben ja kein Problem damit, hier zu bleiben, im Gegenteil, befürchten aber, dass uns uns unsere Freunde nicht alleine lassen wollen - schließlich sind noch immer irgendwo Löwen in der Nähe. „Euch ist schon klar, dass ihr dann ohne Auto seid? Und ihr habt die Löwen nicht vergessen, oder?“, folgt prompt der erwartete Einwand. „Klar! Aber die Perlis sind ja da, die passen schon auf uns auf. Und für den Ernstfall gibt es auch noch zwei Zelte.“ „Wie ihr wollt.“ Uih, das ging unerwartet diskussionslos, super!

Also machen sich unsere Freunde alleine zu ihrem Gamedrive auf, entführen uns das Auto, und wir beide bleiben inmitten unserer Hühnerschar zurück, die immer noch entspannt schläft. Der sich entfernende Wagen und der damit flötengegangene Schatten bringt zwar etwas Unruhe unter die Vögel, doch schnell kehrt der stille Friede wieder zurück. „Meinst wirklich, die Hühner warnen uns, wenn Gefahr im Verzug ist?“ „Ne. Die machen eher den Eindruck, sie würden sich, was das betrifft, auf uns verlassen...“ Tja, nun wäre das auch geklärt. Egal! Egal, denn wir sind im Glück - allein auf weiter Flur, umgeben von zutraulichen Perlhühnern, die im Schlaf leise vor sich hin glucksen und ihre Entspanntheit voll und ganz auf uns übertragen.

Ach, bin ich müde!
Sooooo müde...
Seufz...










Die Zeit schreitet voran, die Sonne neigt sich Schritt für Schritt und die Temperatur wird allmählich erträglicher. Das spüren auch die Perlhühner - sie werden langsam etwas munterer – zumindest ein paar von ihnen. Heinz ebenfalls: er schreitet zur Tat, greift sich unsere Axt und beginnt, eine umgestürzte Akazie am Rande des Platzes zu Feuerholz zu verarbeiten. Ich bleibe sitzen und lausche stattdessen der anschwellenden Unterhaltung der Hühner. Bis dato kannte ich die Vögel nur als laut kreischende, blechern trompetende Individuen, deren „Gesang“ echt keine Freude aufkommen lässt. Doch heute findet wirkliche, total entspannte Kommunikation unter den Perlis statt: Didöh, dieeehdööh, diiehhiedö. Da gibt es fragende, feststellende, antwortende, zögerliche, wie aus der Pistole geschossene Didöhs, leise, lautere, bestimmte und unsichere.

Der kleine Frechdachs
Vorbereitung zu Attacke
Ist der nicht süß?!?










Ach Mensch, Heinz ist nicht da, er kann es nicht hören. Und so bekommt er meine persönlichen Highlights auch nicht mit: das neugierige Junghuhn mit der quergestellten Brustfeder ist aus seinem Schlafkoma erwacht und sofort wieder auf Forscherkurs. Ich stehe gerade am Gaskocher und mache neues Teewasser heiss, als das erkundungsfreudige Tier zum Anflug auf meinem Kopf ansetzt. Oh Gott, diese gefährlichen Krallen... Ganz sanft landet das Gichala auf meinem Schädel, krallt sich haltsuchend, aber schmerzfrei in meine Kopfhaut und stellt fest, dass es ihm hier oben zu wackelig ist. „Schneck!“, kiekse ich, „Kuck doch mal!“ Heinz reagiert nicht. Und schon ist das Huhn wieder auf dem Boden. Schade. So gerne hätte ich ein Foto davon gehabt... Na ja, was nicht ist, ist nicht. Zur Entschädigung brühe ich mir einen Tee auf und lasse mich in einen der Campingstühle sinken. Kaum niedergelassen, bin ich erneut im Fokus des vorwitzigen Junghuhns: es baut sich neben mir auf, denkt kurz nach und landet schließlich mit einem gezielten Flatterer auf meinem Schoß. Ah, warm, weich und gemütlich - scheint das Tier zu denken. Es lässt sich nieder, zieht die Nickhaut vor seine Augen und in ermännchenartigem Tempo sinkt sein Schnabel auf meinen rechten Oberschenkel. „Schneck! Schneck? Heheinzzzz!“ Doch wieder bin ich alleine mit meinem einzigartigen Erlebnis, Heinz hört mich nicht. Das Hühnchen aber ist da, auf meinem Schoß und es pennt weg. Sachte streichle ich über sein Gefieder und strahle bis über beide Ohren. Dann fühle ich plötzlich ein Zucken - wie bei Heinz, wenn er am Einschlafen ist - es durchfährt den gesamten Körper meines Gastschläfers – das Gickel erwacht, erschrickt vor seinem eigenen Mut, flüchtet daraufhin laut zeternd von meinem Schoß, landet auf sicherem Boden und sieht mich von dort erstaunt an.

Vom Munde abgespart:
die Füllung der Tränke
Der Chef passt auf










„Na, du kleiner Frechdachs! Jetzt bist erschrocken, gell?“, flöte ich den vorwitzigen Perlhuhn-Youngster an. „Dieeedöh!“, flötet dieser verständiger Miene zurück, pickt sich in einer Übersprungshandlung unter dem Flügel und wackelt leise glucksend zu seinen Altersgenossen. Meine Güte, war das jetzt anrührend! Begeistert eile ich zu Heinz und erzähle ihm von meinen Erlebnissen. „Ach, Mensch, und ich hab’s nicht gesehen!“, bedauert Schneck und wischt sich den Schweiß von der Stirn. „Aber weißt was? Ich mag jetzt nimmer, hab genug Holz gehackt. Jetzt komm ich zu euch und trink erst mal einen Tee. Vielleicht kommt das Huhni ja wieder.“ Gemeinsam ziehen wir unseren Tisch in den Schatten und lassen uns gespannt nieder. Doch der Frechdachs hat wohl alles erforscht, was ihm erforschenswert schien. Er liegt schon wieder im Schatten unseres Zeltes und schläft sich in die nächste Komaphase. Die pennenden Hühner sind übrigens wirklich ein Anblick für Götter! Würde jetzt ein Fremder auf den Platz kommen, würde er sicher denken, wir hätten die meisten der Hühner getötet, so, wie sie hier rumfläzen. So etwas habe ich ehrlich noch nie gesehen; in meiner Vorstellung und bisherigen Erfahrung setzen sich Hühnervögel zum Schlafen auf einen Ast oder scharren sich eine Kuhle, in der sie sich dann niederlassen. Aufrecht sitzend. Unsere Federtiere hingegen lassen sich einfach umfallen, strecken Beine und Flügel von sich, versenken teilweise den Schnabel bis zur Wurzel im Sand und sehen dabei aus wie hingemeuchelt, wie gestorben. Heinz und ich amüsieren uns sehr über die Schar dieser „Hühnerleichen“. Doch plötzlich, einer der Erwachsenen hat offenbar ein Aufbruchs-Didöh geflötet, recken und strecken sich die ehemals schlaffen Körper, die Federn werden kurz in Form geschüttelt und, so schnell können wir fast nicht schauen, sind die Tiere aufgeregt gacksend im Gebüsch verschwunden. Ach meia, schade, es war so nett mit den Perlhühnern! Aber die haben jetzt wohl Wichtigeres zu tun, als uns zu beglücken...

Andere wollen auch trinken,
trauen sich aber nicht.
Nicht mal die Größeren!










Seufzend bleiben wir beide zurück, schleppen das gehackte Holz zur Feuerstelle und vergraben uns anschließend in Lektüre und Kartenmaterial. Noch einen Tee? Ach nee, wir müssen ja mit unserem Wasser etwas haushalten, meinte Annette noch beim Wegfahren. Es ist schon ziemlich knapp, muss aber noch für den ganzen morgigen Tag reichen. Also kein Tee. Aber eine Vogeltränke wird der Tank schon noch hergeben, oder? Klar! Flugs füllen wir die Pizzaform und lassen uns wieder nieder, um die herbeieilenden Klein-Vögel beim Baden und Trinken zu beobachten. Mit Begeisterung wird die Schale genutzt und wir erfreuen uns an dem regen Treiben, als sich plötzlich das hohe Gras hinter dem Vogelbad auffällig bewegt. Scheiße, die Löwen! Doch nein, es ist lediglich der Chefhahn unserer Hühnertruppe, der da gerade durch die Halme späht. Sobald er uns erblickt hat, wackelt er begeistert mit dem Kopf, gackst vernehmlich und bricht mitsamt seiner Großfamilie durchs Gras. Sekunden später sind sie allesamt wieder zu unseren Füßen versammelt, didöhen sich und uns vertraulich an und es ist, als wären sie nie fort gewesen. „Hast du das grade gesehen? Der Hahn hat geschaut, ob wir noch da sind! Und der hat sich richtig gefreut!“ Das ist doch die ein oder andere Wasserspende wert! Flugs füllen wir die Pizzaform. 36 Hühner stürzen sich drauf und innerhalb von Sekunden ist das Wasser weg. Viermal noch wiederholen wir das Spiel, viermal flippen die Perlhühner völlig aus; dann beenden wir den Segen, denn wir müssen ja haushalten... Als der Wassernachschub nun ausbleibt, legen sich die Perlhühner, nach kurzer Wartephase, kurzerhand wieder schlafen. Und eines lässt sich gleich in der Pizzaform umfallen! Heinz und ich brechen völlig ab vor Freude über die Anhänglichkeit der bezaubernden Vögel. Didöh! Sie lassen sich durch nichts aus der Fassung bringen, durch wirklich gar nichts: eine Weile später nämlich, es ist schon gegen halb sechs und wir erwarten die baldige Ankunft unserer Freunde, beschließt Heinz, seinen perfekt errichteten Scheiterhaufen zu entzünden. Es britzelt und knistert vernehmlich, als er ein Streichholz an das Gras und die Rindenreste an dessen Basis hält, Sekunden später züngeln Flammen an den dünneren Ästen nach oben und nach einem plötzlichen „Fump“ brennt kurz darauf der ganze Riesenhaufen. Meterhoch schlagen die Flammen in den Himmel und wir sind ob der Heftigkeit es Feuers zunächst etwas erschrocken. Die Hühner hingegen kümmert das Kleininferno nicht im geringsten. Unglaublich! Unglaublich ist allerdings auch, dass unser zierliches Lagerfeuer sogleich einige Rotschnabeltokos anlockt, die wohl an einen Buschbrand glaubten und hofften, ein paar fliehende Insekten zu erhaschen... Doch sooo schlimm ist es nun auch wieder nicht.

Jetzt ist die Chance da!
Auch für die Kleinen
Heinz macht Brennholz










So kommt es, dass wir, als Jochen und Annette von ihrem Gamedrive zurückkehren, noch immer inmitten unserer Hühnerschar sitzen, ergänzt durch ein paar enttäuschte Tokos. Unsere Freunde sind zwar sichtlich erleichtert, dass wir nicht den Löwen anheim gefallen sind, das lodernde Feuer wird von Jochen allerdings mit einem recht tadelnden Stirnrunzeln zu Kenntnis genommen und Annettes Erleichterung ein wenig von der andauernden Präsenz der Perlhühner überschattet. „Die sind ja immer noch da! Habt ihr die etwa angefüttert?“ Mitnichten! „Die lieben uns einfach nur und fühlen sich sauwohl.“ Aufgeregt erzählen wir von unseren Erlebnissen mit den vertrauensseligen Tieren, merken jedoch deutlich, dass unsere Begeisterung auf wenig Verständnis stößt. Jochen freut sich immerhin über unser Glücksgefühl, aber Annette versteht die Welt nicht mehr, als ich ihr von den Landeanflügen des frechen Vogeljünglings berichte. „Wie konntest du das zulassen? Und dir ist wirklich nichts passiert?“, fragt sie ungläubig. Nein, ich bin völlig unversehrt, doch mir, uns ist dennoch etwas passiert, etwas Einzigartiges widerfahren: Heinz und ich haben heute einen unglaublich zauberhaften Tag verbracht, so zauberhaft, dass wir uns noch in vielen Jahren, mit einem Lächeln auf den Lippen, daran zurück erinnern werden!

Wenn Glück aus den Augen leuchtet
Jochen wird schon nervös
Huhn auf dem Schlafbaum










Der ausgedehnte Gamedrive unserer Freunde hingegen war weniger beglückend: eine ferne Giraffe, ein paar Springböcke, das war's. Ansonsten nur gähnende Leere und bohrende Hitze. Nun senken sich allerdings allmählich wohltuendere Temperaturen auf uns herab, die Dämmerung setzt ein und wir genießen unseren Feierabend bei einem kühlen Bier. Die Perlhühner verschwinden mit einem Male in der untergehenden Sonne - zu Heinz' und meinem Bedauern - und wir nehmen unsere Essenszubereitung in Angriff. Heinz' Scheiterhaufen brennt langsam zur Bilderbuchglut herunter und Jochen pariert deshalb schon mal das Fleisch. Wir anderen putzen und schnibbeln gerade Gemüse und bereiten Salat zu, als es erneut verdächtig im Gras raschelt. Und wieder zucken wir kurz zusammen - es könnten ja die Löwendamen sein. Doch es beehren uns, ein drittes Mal an diesem Tag, die Perlhühner! Schnurstracks steuern sie auf den Baum zu, unter dem wir unseren Tisch platziert haben, nehmen Anlauf, und flattern allesamt zum Schlafen, mit viel Winderzeugung und Lärm, in die Äste des Baums hoch, um sich zur Ruhe zu betten. Heinz und ich grinsen wie Honigkuchenpferde, Annette hingegen zieht den Kopf ein wenig ein und meint nur: „Was habt ihr nur mit denen angestellt? Die lieben ja euch wirklich...“ Scheint so. Denn der erwählte Schlafbaum ist, aufgrund unseres Scheinwerfers und des brutzelnden Feuers, eigentlich wenig einladend. Und es scheint auch nicht das angestammte Übernachtungs-Gehölz zu sein. Die Perlhühner, diesen Eindruck macht es, haben uns also tatsächlich erwählt. Tja, schön für Heinz und mich (sehr schön sogar!), weniger erbauend für Annette. Doch auch Jochen beginnt nun zu rebellieren: ebenfalls unter dem Baum steht nämlich unser nigelnagelneues Gazebo aus feinstem, vollimprägniertem Canvas. Und die Hühner haben auch im Schlafe eine rege Darmtätigkeit zu vermelden, deren Ergebnisse jeweils ein lautes, sattes Pfllltsch erzeugen, sobald sie auf dem straff gespannten Gazebo-Dach landen... „Die blöden Hühner scheißen das ganze Gazebo voll!“, zetert Jochen. „Mei, lass sie doch. Das fällt bei der Trockenheit morgen Früh spurenlos wieder ab!“ Jochen grummelt eine Weile, dann aber kann er es nicht mehr ertragen. Zornig zerrt er das Canvas-Zelt aus der Gefahrenzone, plumpst danach wieder in seinen Stuhl und sieht uns strafend an – quasi, als wären Heinz und ich persönlich für die Anwesenheit der kackenden Hühner verantwortlich.

Ameisenjungfer
Hübsche Mantis
Spinnenbesuch im Baum











Na ja, irgendwie sind wir das wohl auch. Aber selbst, wenn unsere Mittäterschaft uns offensichtlich etwas negativ ausgelegt wird, so ist uns beiden das kackegal - im wahrsten Sinne des Wortes. Denn, das stellen Heinz und ich nach einem gemütlichen Grillabend mit baldigem Zu-Bett-Gehens-Ende unisono fest: DAS war heute der mit Abstand schönste, denkwürdigste und innigste Tag unseres diesjährigen Urlaubs. Fast müsste man sagen: der „einzigartigste“ Tag, sofern Herr Duden diese doppelt gemoppelte Steigerung zulassen würde. Tut er aber nicht - er hat eben noch nie einen entspannten Tag mit zutraulichen Perlhühnern verbracht!


Weitere Impressionen des Tages:

Jugendliches Huhn
Am Trinkschüsselchen
Tot?










Verstorben im Schatten...
Das Warten zerrt an den Federn
Käferbesuch










Schlafendes Huhn
Ameisenjungfer
Ameisenjungfer

Reiseroute September/Oktober 2014

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27.09.2014– Ankunft in Kapstadt; Kairos, Hout Bay; World of Birds
28.09.2014– Kapstadt: Besuch des Kirstenbosch National Botancial Garden
29.09.2014– Kapstadt > Tankwa Karoo NP; Perdekloof
30.09.2014– Kapstadt > Tankwa Karoo NP; Perdekloof
01.10.2014– Tankwa Karoo NP > Vanrhynsdorp, Vanrhynsdorp Caravan Park
02.10.2014 – Vanrynsdorp > Knersvlakte > Namaqua NP, Koringkorrel
03.10.2014– Namaqua NP, Rundfahrt im Park; Koringkorrel
04.10.2014– Namaqua NP, Koringkorrel > Skilpad Rest Camp
05.10.2014– Namaqua NP, Wanderung in der Umgebung; Skilpad Rest Camp
06.10.2014– Namaqua NP > Richtersveld NP, Potjiespram
07.10.2014– Richtersveld NP, Potjiespram > De Hoop
08.10.2014– Richtersveld NP, Ausflug Helskloof Pass; De Hoop
09.10.2014– Richtersveld NP, De Hoop > Kokerboomkloof
10.10.2014– Richtersveld NP, Wanderung in der Umgebung; Kokerboomkloof
11.10.2014– Richtersveld NP, Ausflug in die Umgebung; Kokerboomkloof
12.10.2014– Richtersveld NP, Kokerboomkloof > Springbok, Goegap NR
13.10.2014– Springbok, Goegap NR, Wanderung im Nature Reserve
14.10.2014– Springbok, Goegap NR > Augrabies Falls NP
15.10.2014– Augrabies Falls NP; Rundfahrt im Park
16.10.2014– Augrabies Falls NP; Erholungs- und Packtag
17.10.2014– Augrabies Falls NP > Upington, Heimflug


26./27. September 2014; Anreise München > Kapstadt, Kairos Lodge, World of Birds

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„Du weißt, dass die eigentlichen Entdeckungsreisen nicht im Kennenlernen neuer Landstriche bestehen, sondern darin, etwas mit anderen Augen zu sehen, oder?“, fragt Marcel Proust mit hintergründigem Blick. „Natürlich, mein Lieber!“, entgegnet John Steinbeck lächelnd. „Jede Reise ist wie ein eigenständiges Wesen; keine gleicht der anderen.“ „Genau! Und nur törichte Menschen suchen im Urlaub das große Erlebnis; ein geglückter Urlaub hingegen besteht aus lauter netten Kleinigkeiten!“, gibt nun auch Jennifer Ward ihren Senf dazu. Da kräht es aus dem Off: „Ihr und euer salbungsvolles Gelaber! Ich sag da ja nur: Jeder Mensch braucht dann und wann ein bisschen Wüste! Und jetzt lasst die beiden endlich losfahren, sonst wird das nie was mit dem Reisebericht.“ „Sven Hedin, warum musst du immer so profan sein - und die Sache trotzdem genau auf den Punkt bringen?“ Kopfschüttelnd sehen die Drei den Schweden an. Der freut sich wie ein Schnitzel und dreht sich zu uns um. „Jetzt packt euer Zeug und haut ab. Ihr tut so oder so das Richtige, auch, wenn das nicht jeder versteht. Genießt es und kommt mit vielen neuen Erlebnissen zurück; ich bin gespannt, sie zu hören! Denn wie sagte unser alter Kumpel Matthias Claudius schon anno dunnemals? Wenn jemand eine Reise tut, dann kann er was erzählen. Los, los und nehmt mir den Claudius beim Wort!“

Heinz und ich sehen uns voller Vorfreude an und starten, begleitet von diesem fiktiven Gespräch vierer kluger Köpfe, zu unserer neuen Tour, die uns genau dorthin führen wird, wo wir im letzten südafrikanischen Herbst auch schon waren - in die Sukkulenten-Karoo. Heuer jedoch besuchen wir diese Region zu einer ganz anderen Jahreszeit - im Frühling der südlichen Hemisphäre - und das macht diese Reise besonders spannend. Wie immer werden wir dabei natürlich mit unseren Freunden Annette und Jochen losziehen. Die Zwei sind ebenso afrikaverrückt wie wir, stehen zwar mehr auf Großwild, lieben aber auch Pflanzen. Und die Liebe zur Natur, zum schwarzen Kontinent und den „netten Kleinigkeiten“, die man Tag für Tag entdecken kann, teilen wir gleichermaßen. Da weiß man, was man hat - das perfekte Reiseteam! „Na, na, na!? Es gibt kein sichereres Mittel festzustellen, ob man einen Menschen mag oder nicht, als mit ihm auf Reisen zu gehen!“, so piesackt uns Mark Twain, das kleine Flüsterteufelchen, jedoch seit Wochen. „Annette und Jochen kennt ihr schon lange, gut, geschenkt. Aber vergesst mir die Ute nicht!“ Ja, Mark hat leider recht, denn besagte Ute, die sich in letzter Minute in unsere Tour eingeklinkt hatte, ist tatsächlich unsere einzige und größte Sorge. Wir kennen sie nicht, sie kennt uns nicht. Das allein würde uns eigentlich wenig bekümmern, schließlich sind wir durchaus gesellschaftskompatibel. Viel mehr ist es jedoch der Zweck, das recht spezielle Wesen unserer Reise, die sich so sehr auf unser Steckenpferd, die Sukkulenten konzentriert. Für uns sind diese Bodenschätzchen wunderschön, hoch interessant und zutiefst aufregend. Klassische Safaritouristen hingegen fühlen sich in der Regel sehr schnell gelangweilt, wollen Wildlife, große Tiere, Jagdszenen, Action. Etwas, was auf unserer Tour in dieser Form nicht zu erwarten ist. Und davor haben Heinz und ich Angst: ein uns unbekannter Mensch mit an Bord, ein Mensch, der nach ein paar Stunden oder Tagen gelangweilt oder enttäuscht ist, ein Mensch, der uns mit seiner Erwartungshaltung unter Druck setzt und uns so die Reise verleidet. Annette hat zwar vorgesorgt und Ute deutlich auf den ungewöhnlichen Charakter unserer Tour hingewiesen. Doch Ute akzepierte das und blieb dabei: sie kommt mit. So also fliegen Heinz und ich am 26. September, einem kühlen Freitag, aus München los, voller Vorfreude und zuversichtlich, haben aber auch ein gutes Quäntchen an Bedenken und Zweifeln mit im Gepäck. Diese Sorgen jedoch haben wir ganz zu unterst in die Taschen geschlichtet und warten nun gespannt und, soweit möglich, vorurteilsfrei auf ein Kennenlernen mit Ute, das nun nicht mehr fern ist. Nach einem völlig unspektakulären Flug mit der BA kommen wir schließlich am nächsten Tag in Kapstadt an, wo uns Annette freudestrahlend vom Flughafen abholt. Schnell ist all unser Gepäck im Auto verstaut und wir machen uns auf den Weg nach Hout Bay, wo wir die nächsten zwei Nächte in einem kleinen privaten Bungalow der Kairos Lodge verbringen werden - das Oatlands wollten wir uns nach den Erfahrungen der letzten Tour nicht mehr antun... Bevor wir allerdings unser Quartier in Augenschein nehmen können, müssen wir es erst mal finden. Jochen, der noch anderweitig unterwegs ist, hat Annette genau aufgeschrieben, wie sie vom Flughafen dort hin kommt - männergenau. In diesen Notizen aber fehlen leider ein paar wichtige Turns, sodass wir, ganz auf Jochens Beschreibung vertrauend, schließlich doch völlig falsch abbiegen und, um wieder rauszufinden, eine unfreiwillige Sightseeingtour absolvieren. Heinz und ich haben kein Problem damit, ein wenig durch Kapstadt zu kurven, doch Annette, die das Auto steuert, flucht und schimpft. Wir beschließen deshalb, Jochens Wegbeschreibung einfach ad acta zu legen und uns auf diverse Wegweiser und unsere bescheidenen Ortskenntnisse zu verlassen. Und siehste, schon sind wir auf dem richtigen Weg. Trotz dieser kleinen Irrfahrt durch Kapstadt - die wir Jochen natürlich verschweigen - kommen wir am frühen Nachmittag zielsicher an, fast so, als wären wir Einheimische.

Kairos Lodge Innenhof
Ausblick von der Veranda
Der Pool










Hui, ist das schön hier! Ein kleines, recht privat wirkendes Anwesen, ein paar Hunde, Sonnenschein, üppig blühende Leucospermum-Büsche, zahlreiche Nektarvögel, ein urgemütlicher Bungalow - und Jochen heißen uns willkommen. Voller Freude begrüßen, umarmen wir uns, richten uns ein und lassen dann den Urlaub beginnen; in dieser sehr heimeligen Unterkunft, bei einem Empfangsgetränk auf der hölzernen Terrasse, von der aus man einen wunderschönen Blick auf die Berge des Kaplands und den gepflegten Garten des Anwesens hat. Schneck, wir sind da, wir haben Urlaub!

Leucospermum
Der üppig-grüne Garten
Nektarvogel










Gerade prosten wir uns alle zu, als Ute über die Holztreppe zu uns heraufgespurtet kommt - und ich finde sie sofort sympathisch. Natürlich sind die ersten Minuten unserer Bekanntschaft noch etwas verhalten, abtastend, aber nach einer Weile lockert sich die Stimmung sichtlich. Ganz besonders, als Ute, vom Klo kommend und ich, zum Klo gehend, uns begegnen und sie mich anspricht - auf ihre Bedenken hinsichtlich dieser Tour. Frei von der Leber weg schildert sie ihre Sorgen, die sich eher im persönlichen, denn im routentechnischen Bereich bewegen: zwei alte Freunde von Annette und Jochen (also Heinz und ich), zwei pflanzenverrückte Platzhirschen, wir Vier als soziale Einheit, sie als quasi „Fremde“, als Fremdkörper, als fünftes Rad am Wagen. Im Gegenzug schütte nun ich ihr, begeistert von ihrer Offenheit, mein Herz aus und alles ist im Lot. Wir müssen uns keine Sorgen machen, wir verstehen uns und, das Wichtigste, wir sind beide Freunde klarer und klärender Worte - eine hervorragende Basis für unsere gemeinsame Zeit in Südafrika!














Und um das in der Praxis auszutesten, haben wir nun gleich eine erste Gelegenheit: nicht weit von unserer Unterkunft entfernt liegt nämlich die „World of Birds“, ein riesiger Vogelpark, der zu den größeren Sehenswürdigkeiten Hout Bays, ja, sogar Kapstadts zählen soll. Heinz und ich wollten da gerne hin, allerdings, und das macht mich etwas sauer, haben wir uns mal wieder total vertrödelt: um 17 Uhr macht der Park zu und, als wir losmarschieren, ist es bereits halb vier. Deshalb nehmen wir den kürzesten Weg, der in nördlicher Richtung über den Disa River führt. Dort gibt es keine Brücke, aber die Einheimischen - so sagt zumindest unser Gastgeber vom Kairos - gehen immer an dieser Furt über die Felsen. Nach zehn Minuten Fußmarsch stehen wir tatsächlich an besagter Furt, die so seicht gar nicht ist. Ein paar algenschleimige Unterwassersteine und diverse Trockenfelsen, die, um von einem zum anderen zu kommen, spagatartige Hüpfer erfordern, bilden den Weg über den munter gluckernden Fluss. Ute nimmt die Hürde, ohne mit der Wimper zu zucken, unsere Männer hechten hinterher - Heinz hilft mir dabei gentlemanlike über die Felsen - und alle sind drüben, allein Annette panikt ein wenig. Heinz und Jochen reden ihr gut zu, leisten jede erdenkliche Hilfestellung und schließlich hat auch Annette die Flussüberquerung trockenen Fußes und heilen Leibes hinter sich gebracht. Wir robben die Böschung nach oben und erreichen, eine Stunde vor Schließung des Vogelparks, dessen Eingang. Na, das lohnt sich ja richtig! Im Eiltempo zahlen wir Eintritt und sausen los, um wenigstens ein bisschen was zu sehen.



























Doch bereits nach der Besichtigung der ersten Volieren bin ich über unser knappes Zeitfenster gar nicht mehr so traurig, denn die World of Birds hält nicht, was sie versprochen hatte - zumindest in meinen Augen. Im Internet hatte alles so gut geklungen: über 3.000 Vögel und andere Kleintiere, einzigartig präsentiert in mehr als hundert naturnah gestalteten, teilweise begehbaren Volieren, die sich auf einer Fläche von über vier Hektar verteilen. Die reinen Zahlen möchte ich nicht anzweifeln, doch die „Präsentation“ der Tiere lässt durchaus zu wünschen übrig. Naturnah ist hier gar nix! Die Volieren sind zusammengenagelte Hasengitter-Verschläge, dekoriert mit abgenagten, entlaubten Ästen, zerschlissenen Kletterseilen und anscheinend unvermeidlichen Zierelementen wie pseudoantiken Amphoren und lieblos gepflegten Pflanzgefäßen; die Vögel, gerade die größeren, haben viel zu wenig Platz zum Fliegen, und alles in allem wirkt die Anlage doch recht traurig. Ich will niemandem Unrecht tun: man erkennt schon, dass sich hier „gekümmert“ wird, dass ein Möglichstes getan wird, um den Tieren ein gutes Umfeld zu bieten, doch ich hatte mir das Ganze dennoch deutlich schöner und großzügiger vorgestellt. Gerade, weil sich die World of Birds als größter Vogelpark Afrikas anpreist, dessen Motto besser nicht klingen könnte: „Indem wir Wildtiere in die Stadt gebracht haben und damit Menschen und Tiere einander näherbringen, fördern wir den Respekt und das Verständnis für die Natur. So kann die Wertschätzung für Gottes wunderbare Schöpfungen in ihrer Vielfältigkeit von allen geteilt werden.“ Hehre Ziele, mangelhafte Umsetzung, würde ich da mal sagen. Vielleicht aber doch nicht so mangelhaft, wenn man die zunehmende Entfremdung des Menschen von der Natur in Betracht zieht - da kann es nicht schaden, einen Vogel mal „in echt“ zu sehen und ihn später, „in echt-echt“, wiederzuerkennen... Mein Ding war es, so oder so gesehen, aber trotzdem nicht - trotz der unleugbar hübschen Vogelfotos, die wir innerhalb der knappen Besuchsstunde geschossen haben - unseren, die Gitter wegsoftenden Zooms sei Dank!



























Nun aber werden wir aus dem Park hinauskomplimentiert, Besuchsende ist eben Besuchsende, und, weil in der vergangenen Stunde jeder da unterwegs war, wo es ihm eben interessant erschien, treffen wir am Ausgang erstmals wieder zusammen. Dort stellen wir fest, dass sich unser aller Begeisterung für die „World of Birds“ in Grenzen hält und somit keiner über die Kürze des Besuchs traurig ist. Darüber sind wir uns einig - nicht aber über den Rückweg zum Kairos. Annette fand die Flussquerung so schrecklich, dass sie gerne über die reguläre Brücke gehen möchte - was wir anderen so gar nicht einsehen, schließlich bedeutet das einen Umweg von mehreren Kilometern, einen Umweg entlang stark befahrener, todlangweiliger Teerstraßen. Ne, nicht mit uns, wir streiken! Notgedrungen und nur sehr ungern fügt sich Annette der Mehrheit. Doch mit der Hilfe von Heinz und Jochen schafft auch sie es abermals heil über den Disa River und eine viertel Stunde später sind wir zurück im Kairos, wo wir einen gemütlichen Abend einläuten. Ein bisschen Sundowner trinken, Zeitung lesen, im Internet surfen, von der Terrasse starren und ratschen.














Zwischendurch verschwinde ich allerdings kurz im Schlafzimmer, um mich endlich mal umzuziehen und mein Gepäck zu inspizieren. Selbiges war mir am Flughafen, als es vom Rollband kam, irgendwie „anders“ vorgekommen: es sah zwar völlig intakt und auch unberührt aus, aber dennoch war da etwas, etwas Unbenennbares, was meine Alarmglocken schrillen ließ. Als ich es jetzt öffne, d. h. die mehrfache Klebeband-Umwicklung entferne, das TSA-Schloss aufsperre und den Reißverschluss aufziehe, manifestieren sich meine diffusen Ahnungen - da war jemand dran! Ganz obenauf nämlich liegt ein Zettel vom deutschen Zoll in München, auf dem mir kundgetan wird, dass meine Reisetasche aus amtlichen Gründen geöffnet und Gefahrengut in Form von zehn Feuerzeugen konfisziert wurde. Spinnen die? Acht Feuerzeuge steckten in der offen zugänglichen Seitentasche und nur zwei davon in meiner im Gepäck befindlichen Waschtasche. Und jedes Jahr packe ich eine größere Anzahl von Feuerzeugen ein, denn wir machen ja Campingurlaub und brauchen die Teile, die leider alle naslang Beine kriegen, permanent. Noch nie hat das den Zoll gestört! Diesmal aber schon. Bei der Durchsuchung wurde das Oberste äußerst uncharmant zuunterst gekehrt, das „Gefahrengut“ entnommen, der Zettel beigelegt und die Tasche danach gewissenhaft wieder verschlossen - und zwar so, dass alles nahezu unverändert erschien. Auf der einen Seite ja löblich, aber trotzdem: warum? Robbe ich etwa während des Fluges in den Frachtraum und sprenge anschließend die Maschine mit Hilfe von zehn popeligen Feuerzeugen noch höher in die Luft oder setze sie in Brand, fünf der gefährlichen Flammenwerfer in jeder Hand? Hände hoch, ich brenn euch alle nieder!?

Ach, egal! Kopfschüttelnd nehme ich den Verlust zur Kenntnis, lege ihn ad acta, werfe mich in frische Klamotten und begebe mich wieder auf die Terrasse, um mit meiner „Crew“ dem Sonnenuntergang beizuwohnen. Der ist, weil er auf der anderen Seite des Hauses stattfindet, natürlich wenig spektakulär, dafür aber wird es schnell zapfig kalt und wir ziehen uns ins Innere unserer Behausung zurück, wo wir uns der Zubereitung des Abendessens und der Besprechung der Pläne für morgen widmen. Wobei es nicht viel zu besprechen gibt: Ute hat eine Township-Tour gebucht und wird sich in aller Frühe auf eigene Faust mit dem öffentlichen Bus auf den Weg zum Sammelpunkt machen, während wir Vier dem Botanischen Garten von Kirstenbosch einen Besuch abstatten wollen. Alles klar, oder? Entspannt und voller Vorfreude also genießen wir unser Abendessen, schwatzen noch ein wenig und begeben uns dann in unsere Schlafgemächer. Heinz und ich, rechtschaffen müde von der Anreise, kuscheln uns wohlig in unser luxuriöses Doppelbett, lassen die vergangenen Stunden revue passieren, plaudern kurz über unsere positiven Eindrücke bezüglich der „Gruppendynamik“ und schlafen schließlich zufrieden und erschöpft ein - einem neuen Tag, drei kommenden Wochen entgegen, die gut zu werden versprechen.

28. September 2014, Hout Bay: Ausflug in den Botanischen Garten von Kirstenbosch

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Sanft dringt das Licht des beginnenden Tages durch unser Panorama-Giebelfenster, laut zwitschern die Vögel und wir erwachen allmählich. Etwas weniger sanftes Geschirrklappern - Annette räumt die Spülmaschine aus - setzt unserer Döserei dann ein Ende. Voller Tatendrang robben wir deshalb aus dem ach so schnuffeligen Himmelbett und nehmen gemeinsam unser Frühstück ein. Allerdings ohne Ute, denn die sitzt schon im Bus und fährt ihrer Township-Tour entgegen. Und auch wir, zumindest Heinz und ich, haben es eilig: Kirstenbosch wartet! Dennoch lassen wir uns Zeit für das erste Mahl des Tages, räumen danach das Geschirr in die Maschine, packen alles Nötige, machen uns dann aber um so eiliger auf den kurzen Weg nach Kirstenbosch. Der Parkplatz - es ist Sonntag - ist bereits gut gefüllt, doch wir ergattern trotzdem eine Lücke nahe des Gates und streben nach dem Einparken erwartungsvoll dem größten und angeblich schönsten botanischen Garten Afrikas entgegen. Einmal, vor über zwanzig Jahren, war ich ja schon mal hier, auf meiner allerersten Afrika-Tour. Damals allerdings waren alle Eindrücke dieser Premieren-Reise auf dem schwarzen Kontinent so überwältigend, so neu, so unglaublich, dass meine Erinnerungen an Kirstenbosch recht lückenhaft und auch ziemlich verwaschen sind - nur eines weiß ich noch genau: es war durchaus beeindruckend, sehr hügelig und voller exotischer Pflanzen, die mir damals namentlich noch gar nichts sagten. Heute stellt sich das ein wenig anders dar, wenngleich Fynbos noch immer ein Buch mit sieben Siegeln für mich ist. Aber heute gehe ich ganz bewusst und mit bestimmten Erwartungen hierher - und das macht den Unterschied.

Die erste der Erwartungen: Heinz und ich, die wir ja immer auf der Suche nach besonderer Literatur zur Pflanzenwelt des südlichen Afrika sind, kehren zu allererst in den Laden am Main Gate ein, der, neben allerlei Nippes und Andenkentand, auch einen riesigen Bücherfundus verheißt, einen Fundus, der käuflich erwerbbar ist. Bestimmte Fachliteratur aus dem sehr spezifischen Themenkreis der Sukkulenten ist einfach schwer zu bekommen, vor allen Dingen im deutschsprachigen Raum. Wird man dann doch fündig, brechen einem die Versandkosten oftmals das finanzielle Genick. Letztes Jahr reisten wir, unter anderem deshalb, mit großer Hoffnung nach London und klapperten mehrere bekannte Buchhandlungen ab, leider jedoch ohne Erfolg. Umso größer sind nun unsere Erwartungen - und sie werden nicht enttäuscht! Ein wahres Bücherparadies tut sich da vor uns auf; sogar limitierte Schätze, wie wir sie letztes Jahr bei Frau Koch auf Tiras gesehen hatten, sind dabei! Entzückt huschen wir von Regal zu Regal und erstellen eine geistige Einkaufsliste, bevor wir uns an der Kasse nach den Schließzeiten der Bücherecke erkundigen: nichts wäre frustrierender, als heute Abend, nach der Besichtigung des Gartens, vor verschlossenen Türen zu stehen... Ah, bis 18 Uhr haben wir Zeit - das sollte reichen!

Kampferbaum-Allee
Mesemb-Garten
Verblühende Daisies










Erleichtert und voller Vorfreude wenden wir uns nun der Erfüllung unserer zweiten Erwartung zu - der ausgiebigen Erkundung eines Teils der 36 Hektar großen Anlage, die als einer der schönsten botanischen Gärten der Welt gilt. Und bereits der erste Blick auf die Themenbereiche, die sich gut sichtbar an die Osthänge des Tafelbergs und seiner montanen Freunde schmiegen, ist umwerfend! Wir queren eine lauschige Allee ausladender Kampferbäume und tauchen ein in ein Meer farbenfroher Korbblütler, der sogenannten Namaqua Daisies, zu deren kurzen Haupt-Blütezeit Heerscharen Schaulustiger ins ansonsten karge Namaqualand reisen. Und obwohl die Asterngewächse allesamt schon am Verblühen sind, wogt es in den schönsten Weiß-, Gelb- und Orangeabstufungen um uns herum. Annette ist begeistert: sie hatte unsere Tour unter das Motto „Blütenmeere“ gestellt; mehr oder weniger überzeugt, denn auch sie wußte, dass wir hierfür eigentlich ein bisschen zu spät dran sind. Nun aber fühlt sie sich voll bestätigt und hofft das Beste für die folgenden Wochen. Heinz und ich sehen das allerdings etwas anders, ohne Schmerzen dabei zu empfinden - schließlich sind wir auf was anderes gepolt. Und das kommt gleich anschließend an das Daisy-Areal: die Mittagsblumen.

Pelargonium sp.
Pelargonium sp.
Geranium sp.










Protea cynaroides
Leucospermum sp.
Leucospermum sp.










Ach, und danach die Pelargonien, die Proteen, der Fynbos, die Erikas, die Rautengewächse, die Palmfarne... Irre! Staunend, seufzend und fasziniert schrauben wir uns immer weiter nach oben, entdecken ständig etwas Neues, noch Begeisternderes, und kriegen uns fast nicht mehr ein. Doch es fesseln uns nicht nur die Pflanzen, die wunderbare Anlage und der zunehmend atemberaubendere Blick auf Kapstadt, nein, es sind auch die Tiere, die wir hier zu Gesicht bekommen: Schmetterlinge, Hummeln, Käfer und vor allen Dingen - Vögel! Frankoline, Perlhühner, Brillenvögel, Honigsauger, Nektarvögel aller couleur, Jungvögel, Erwachsene, Unscheinbare, bunt Schillernde, Nektartrinkende, Sandbadende... Heinz und ich verlieren uns in der Flut der Eindrücke, verharren hier, bleiben da stehen, genießen dort. Annette und Jochen hingegen, die anfangs auch noch voll bei der Sache waren, werden allmählich zappelig und so beschließen wir, uns zu trennen – bis abends, am Shop! Während unsere Freunde nun einem Restaurant zustreben, um sich leiblichen Freuden hinzugeben, mäandern Heinz und ich weiter durch die Wunderwelt der Kirstenbosch Gardens, die uns mehr und mehr gefangen nimmt. Was hier wächst, blüht, gedeiht und lebt, sucht seinesgleichen! Es lässt sich nur sehr schwer in Worte fassen - deshalb verzichte ich an dieser Stelle auch darauf: es ist angebrachter, nichts zu sagen, als das Gesehene in unzureichende Worte zu packen - besser, ich lasse einfach unsere Bilder sprechen!

Perlhuhn beim Sandbaden
Nilgans...
...und ihre Kleinen










Nectarinia famosa
Cinnyris chalybeus
Anthobaphes violacea










Stundenlang strolchen Heinz und ich wie verzaubert durch das hügelige Gelände des botanischen Gartens, der sein Prädikat, einer der schönsten der Welt zu sein, voll und ganz verdient. Dabei begegnen wir kaum einem anderen Menschen - und das, obwohl Wochenende ist und viele Besucher unterwegs sind. Aber es ist halt wie immer und überall: der Mensch ist faul und meidet jegliche Anstrengung. Gut für uns, die wir in den höheren Regionen Kirstenboschs unterwegs sind. Wie viel hier allerdings wirklich los ist, merken wir erst wieder, als wir weiter nach unten wandern, dem (angeblich) absoluten Highlight entgegen - dem Tree Canopy Walkway. Hui, hier wimmelt das Besuchervolk! Mit Kind, Kegel und Kinderwagen sind die Leute unterwegs, bevölkern den Walkway und sehen gar nicht wirklich hin, was dem Auge da geboten wird, zwölf Meter über dem Boden. Aber auch das ist typisch: heutzutage steht alles unter dem Motto „Erlebnis“, wobei Selbiges nicht im schieren Genuss einer Sache besteht, sondern im fun-erzeugenden Drumrum.

Tree Canopy Walkway
Onychognathus morio
Blick auf Kapstadt










In diesem Falle ist es ein 130 Meter langer Plankenweg, der sich über die Gipfel der dicht belaubten Bäume erhebt. Diese sehr ästhetische Konstruktion, auch „Die Boomslang“ genannt, bewegt sich unter den Schritten der Besucher - sie bebt, sie wogt, sie schaukelt - und dieser Funfaktor zieht die Menschen so in seinen Bann, dass sie alles andere vergessen. Ein Specht, ein Greifvogel, ein Affe. Egal! Hihihi, wie der Walkway ach so toll bebt! Auch ich, die ich mich schon fast verweigern wollte, diesen Bespaßungspfad zu betreten, stehe jetzt hier oben und erwische mich dabei, ebenfalls abgelenkt zu werden. Von den anderen Besuchern nämlich, deren Reaktionen auf die schaukelnden Planken nicht unterschiedlicher sein könnten: verkniffene Abhaker, die das unheimliche Schwanken unter ihren Füßen, militärisch ausschreitend, geflissentlich ignorieren; Angsthasen, die sich im Schneckentempo an der hölzernen Reling entlanghangeln; ausgelassen Kreischende, die den Walkway durch heftige Sprünge, zum Entsetzen der Angsthasen, in schlangengleiche Schwingungen versetzen; ein kleiner Junge, der, sobald er das beginnende Gewanke unter sich verspürt, in fassungslose Panik ausbricht und durch nichts und niemanden zum Weitergehen bewegt werden kann - fehlen nur noch diese Smartphonefuzzies, die jeden QR-Code der Schautafeln mit ihrem Handy scannen. All diese Menschen sind so mit sich selbst und dem Schwanken der Canopy-Boomslang beschäftigt, dass sie alles andere tatsächlich ausblenden. Na ja, ein Vogel, der fliegt halt vorbei, ein Spinnennetz hängt dumm rum, ein Affe hangelt sich eben von Baumkrone zu Baumkrone - da ist kein Funfaktor weit und breit... Heinz und ich, die wir durchaus ebenfalls große Freude an dieser schlangenhaften, sich windenden Konstruktion haben, sind allerdings auch etwas enttäuscht von diesem sogenannten Highlight.

Mathews Rockery
Euphorbien in Mathews Rockery
Aloe plicatilis










Denn, ganz ehrlich und unter uns gesagt: ein ausgesprochener Höhepunkt ist der Treetop Walkway tatsächlich nicht, zumindest nicht, was die Sicht auf die Natur um einen herum anbelangt; es ist lediglich eine interessante Konstruktion, die einem die Gardens aus einem anderen Blickwinkel präsentiert, mehr aber auch nicht. Unten auf dem Boden, wo man alles von Nahem betrachten kann, ist es, zumindest für uns, viel interessanter. Deshalb kehren wir der Boomslang nach zwanzig Minuten ohne Bedauern den Rücken, lassen die Funfanatiker allein mit ihrer Erlebnis-Schlange und tauchen in Mathews Rockery ein, die direkt am Fuße des Arboretums und der Boomslang liegt. Dieser Felsengarten, eine der ältesten Anlagen Kirstenboschs, ist wieder ganz nach unserem Geschmack; wiederum fast menschenleer, beherbergt er eine Vielzahl xerophytischer Pflanzen, die einen Querschnitt der Flora besonders arider Gegenden Südafrikas repräsentieren. Zwischen kleineren und größeren Gesteinsbrocken führen kunstvoll gepflasterte Weglein durch einen „Wald“ aus Euphorbien, Aloen und Crassulaceen und wir fühlen uns wie in eine andere Welt versetzt - in die Pflanzenwelt nämlich, die uns die nächsten drei Wochen begleiten wird! Wir können uns kaum sattsehen an den strotzenden Sukkulenten, die in Größe und Gestalt so unterschiedlich und dennoch nur auf eines spezialisiert sind - in extremer Trockenheit zu überleben.

Doch apropos Trockenheit: auch wir fühlen uns mittlerweile etwas dehydriert und streben so, nach einem Abschiedsgruß an unsere Lieblingspflanzen in der Rockery, durstig dem Restaurant an Gate 2 zu, wo wir unsere Freunde vermuten. Doch weit gefehlt, keiner da! Egal. Durstig lassen wir uns an einem der beschatteten Tische nieder, von wo aus man einen wunderschönen Blick auf die Hänge der Kirstenbosch Gardens hat. Ah, ein kühles Getränk mit Geschmack und Blubber, das tut gut! Besonders dann, wenn man den ganzen Tag nur lauwarmes Wasser der Sorte „natural“ - ein anderes Wort für eingeschlafene Füße - zur Verfügung hatte...

Conservatory
Conservatory
Conservatory










Mit wahrem Genuss pflegen wir also unsere trockenen Kehlen, bevor wir uns wieder auf den Weg machen, hinüber zu Gate 1, wo die trockenste Ecke von ganz Kirstenbosch auf uns wartet - das Conservatory. Der Glasbau beherbergt diverse Wüstenpflanzen, die nur derart wohl bedacht die nassen Winter Kapstadts überleben können. Hier finden sich Baobabs und Welwitschias gleichermaßen, Mesembs und Ascleps, Farne und Zwiebelpflanzen. Ein Eldorado für uns Zwei! Ganz besonders, weil die Bestückung des Haupthauses mit seinen vier Eckbauten im Kleinen raffinierterweise genau den geografisch-floralen Gegebenheiten der großen Biome Südafrikas und seines Nachbarstaats Namibia entspricht. Natürlich sehen Heinz und ich uns das alles besonders genau an, unsere spezielle Aufmerksamkeit aber gilt selbstverständlich den westlichen Regionen - vom Süden bis ganz hinauf in den Norden. Das ist wirklich toll gemacht, denn es ermöglich somit jedem Besucher, sich ein gutes Bild von den verschiedenen ariden Regionen Südafrikas zu verschaffen, ohne sie selbst bereisen zu müssen.

Wir hingegen wollen ja genau dort hin und sehen deshalb lediglich unsere Vorfreude heftig geschürt - angesichts der blühenden (und sehr streng duftenden) Hoodias, der unterschiedlichen Aloen und der Endemiten der Knersvlakte. Während wir mit leuchtenden Augen durch das Conservatory wandern, komme ich allerdings zwischenzeitlich mehr und mehr ins Grübeln. Kirstenbosch ist einer der wenigen botanischen Gärten dieser Welt, der ausschließlich heimische Gewächse zur Schau stellt. Woher aber stammen dann meine Fotos von Kakteen und anderen Pflanzen, die alles andere als Südafrikaner sind, die ich jedoch bei meinem ersten Besuch in Südafrika geschossen und Kirstenbosch zugeordnet hatte? Mhm, es muss wohl eine Sonderausstellung gewesen sein, anders kann ich mir das nicht erklären...
Doch das ist ja jetzt auch egal! Im sinkenden Sonnenlicht - der leuchtende Planet verabschiedet sich allmählich hinter die Berge - genießen wir diese Mini-Exkursion in vollen Zügen. Sie zeigt uns einen Ausschnitt dessen, was uns die nächsten Wochen erwarten wird; einen kleinen Ausschnitt, wohl gemerkt!

Wohl gemerkt aber sei auch die Uhr, die wir stets im Auge haben, denn wir müssen ja unbedingt zeitig im Buchladen erscheinen! Eine halbe Stunde vor Geschäftsschluss schließlich laufen wir dort ein und sichten nochmals die sirenenhaft verlockenden Bestände. Ach, wie gut, dass unsere Einkaufsliste heute Morgen schon weitestgehend stand; denn jetzt, beseelt von unserem trunkenmachenden Besuch der Kirstenbosch Gardens, sind wir so in Fahrt, dass wir nahezu jedes Pflanzenbuch interessant und kaufenswert finden - sofern wir es nicht ohnehin schon besitzen. Mit unserer Morgenliste im Kopf weiten wir die Einkäufe jedoch nur noch minimal aus: ich begnüge mich mit einem Medizinalpflanzenbuch, einem Field Guide für Fynbos-Gewächse (zu Beendigung meiner Sieben-Siegel-Ära) und einer detaillierten Richtersveldkarte - allein die ergänzt mein morgendliches Kaufvorhaben. Heinz hingegen, der den ganzen Tag mit seinen Wünschen schwanger ging und ob des hohen Preises zweifelte, kennt jetzt kein Halten mehr! John Lavranos' limitierte Ausgabe „Bushman Candles“ wandert ohne weiteres Zögern ins Körbchen, gefolgt von van Jaarsvelds „Cotyledon and Tylecodon“, getoppt von zwei weiteren, unbuchmäßigen Extras in Form eines T-Shirts und einer Fleece-Weste mit dezenter Stickerei im Brustbereich. Botanical Society of South Africa steht da zu lesen. Na, passender könnte es wohl nicht sein... Kurz vor Geschäftsschluss wandern wir nun, derart bestückt, strahlend zur Kasse, mehrere tausend Rand wechseln den Besitzer und schwer bepackt, aber glücklich verlassen wir den Laden, wo unsere Freunde schon auf uns warten.

Ja, wo wart ihr denn die ganze Zeit, was habt ihr noch gemacht, was habt ihr denn gekauft? Die Fragen prasseln zuhauf auf uns ein. Brav stehen wir Rede und Antwort und zeigen unsere Beute. Nach Sichtung unserer Neuerwerbungen fühlt sich Annette durch Heinz' T-Shirt so animiert, dass sie selbst auch nochmal losspurtet und ein paar textile Kleinigkeiten einmarktet. Dann aber sind all unsere Wünsche und Begehrlichkeiten endlich befriedigt und wir verlassen Kirstenbosch, über dessen Bergflanken sich bereits die Schatten der Dämmerung legen. Der Parkplatz ist wie leergefegt und wir stellen fest, dass wir wohl mit zu den letzten Besuchern des Tages gehören. Die Zeit verging wie im Fluge; kein Wunder - bei dieser wundervollen Anlage, die wirklich jederzeit einen Besuch lohnt! Voller neuer Eindrücke packen wir uns in unser einsam dastehendes Auto und fahren zurück nach Hout Bay, wo Ute auf der gemütlichen Holzveranda schon auf uns wartet. Auch sie hatte einen sehr erlebnisreichen Tag; bei einem schnell gezauberten Abendessen berichten wir uns gegenseitig von unseren kleinen und großen Abenteuern, sichten gegenseitig unsere Neuerwerbungen und fallen schließlich bald hundemüde und erlebnisschwer ins Bett.


Weitere Impressionen des Tages:

Mesemb-Garten
Mesemb-Garten
Buschige Riesen










Protea cynaroides
Protea cynaroides
Proteaceae










Mesembblüte
Mesembblüte
Mesembblüte mit Jungfer










Mesembblüte
Mesembblüte
Mesembblüte










Dimorphotheca sp.
Calla mit Schmetterling
Helichrysum sp.










Proteaceae
Serruria sp.
Leucospermum sp.










Oxalis sp.
Oxalis sp.












Berzelia sp.
Acanthaceae
Dimorphotheca sp.
Dimorphotheca sp.
Asteraceae










Strelizia sp.
Strelizia sp.
Aseroe rubra (Pilz)










Mesembblüte
Orchidaceae
Ansiella africana










Zosterops pallidus
Junger Nektarvogel
Promerops cafer











Cinnyris chalybeus
Buschwürger











Die Kacke am Rollen...
Rhabdomys pumilio










Hummel
Trichostetha fascicularis
Anthobaphes violacea










Blick auf Kapstadt
Blick auf Kapstadt
Mesemb-Garten mit Aloen










Gardenia thunbergii
Trocken-Garten
Mesemb-Garten










Beet im Conservatory
Conservatory
Conservatory










Mesemb-Garten
Elegia sp.
Proteaceae
Protea sp.
















Protea cynaroides
Protea cynaroides
Leucospermum sp.
Proteaceae

















Oxalis sp.
Erika sp.
Erika sp.
















Hoodia parviflora


29. September 2014; Hout Bay > Tankwa Karoo Nationalpark, Perdekloof Campsite

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Mit wesentlich weniger Begeisterung als gestern und einem kleinen Mangel an Tatendrang wälzen wir uns heute Morgen aus den Betten. Es ist Montag - ein Tag, der auch zuhause auf der Beliebtheitsskala der Wochentage ganz unten rangiert, wenn auch aus anderen Gründen. Wesentlich angenehmer sind unsere Gründe hier und heute allerdings auch nicht: wir müssen unseren verstreuten Kram packen, das Kairos verlassen und dann die ewige Meile zum Tankwa Karoo raufpesen. Na ja, immer noch ein wenig besser, als in die Arbeit zu müssen! Seufzend also machen wir uns nach einem ausgiebigen Frühstück an die Arbeit, nutzen nochmal die Annehmlichkeiten der Zivilisation, verstauen unser Gepäck in den Autos und rollen dann los. Okay, bis zum nächsten Supermarkt. Es wäre schließlich kein perfekter Montag, würde er nicht auch noch durch einen unvermeidlichen Einkauf gekrönt... Als wir endlich auch das hinter uns gebracht haben, beginnt der wahre Ernst des Lebens - raus aus Kapstadt, rauf auf die N1 und ab geht die Fahrt. Endlos erscheinen uns die Kilometer bis zu unserem ersten Stopp, dort, wo wir auch letztes Jahr schon Halt machten: De Doorns, Die Veldskoen Padstal. Doch bereits auf dem Parkplatz hebt sich unsere Laune, denn dort sprießen jede Menge Blumen, die uns Hoffnungen auf mehr machen. Nach einer gründlichen Inspektion der bunten Blüten, die allesamt noch verheißungsvoll frisch aussehen, nehmen wir dann Kurs auf das Ladeninnere, das uns in allerbester Erinnerung ist. Annette freut sich so darauf, dass sie schnurstracks in medias res geht und dabei blindlings an einem kleinen Tischchen vor der Ladentür vorbeisteuert. Heinz, Ute und mir jedoch entgeht die dort angebotene Ware in keinster Weise und, quasi im Vorbeigehen, greifen wir uns jeder eines von insgesamt drei unwiderstehlichen Stachelschweinen, kunstvoll gefertigt aus schwarzen und weißen Perlen. Mit unserer Beute unter dem Arm betreten schließlich auch wir den Padstall und komplettieren dort unseren höchst befriedigenden Fang mit diversen Fruchtrollen, Trockenfrüchten, Nussmischungen und Erfrischungsgetränken für unterwegs.

Die Veldskoen Padstal
Bunte Blumenwiese
Gazania sp.










An der Kasse dann wird Annette unserer Stachelschweine gewahr und möchte wissen, wo wir die herhaben. „Von draußen, vor der Ladentür, aber...“. Den zweiten Teil des Satzes, nämlich, dass es nur diese drei gab, können wir nicht mehr vollenden, so schnell flitzt Annette raus. Enttäuscht kommt sie nach einer Minute wieder zurück und wirft begehrliche Blicke auf unsere putzigen Ystervarkies (wie sie auf Afrikaans heißen). Doch es gibt Dinge, die teilt man nicht, die tritt man nicht an jemand anderen ab! Essen, ja, Getränke, ja, im Notfall eigentlich fast alles, aber keine Perlentiere, die man bereits voll und ganz ins Herz geschlossen hat - da ist auch Ute unerbittlich. So geht Annette leider leer aus und der Gruppenfrieden droht kurzfristig ins Wanken zu geraten, insbesondere, weil Ute sich anfangs als wenig andenkenanfällig geoutet hatte. Aber ein ins Herz geschlossenes Perlen-Ystervarkie ist eben eine mehr als verständliche Ausnahme, das sieht auch Annette bei aller Begehrlichkeit ein, und alles ist wieder in Ordnung. So nehmen wir in trauter Harmonie unsere Erfrischungsdrinks draußen auf dem Parkplatz zu uns und schwelgen in der dortigen Blumenwelt, als mein Blick auf die Gipfel der uns umgebenden Hex River Mountains wandert. Eine Silhouette mehr oder weniger markanter Zweitausender reckt sich da gen Himmel und auf den Gipfeln der höchsten, ich muss gleich mehrfach hinsehen, erstrecken sich seltsame weiße Flecken. „Schaut's mal, das ist doch Schnee da oben, oder?!“ Tatsächlich! Puh, Schnee im Afrika-Urlaub, das hatten wir nicht erwartet. Obwohl es absolut nichts Ungewöhnliches ist - Minusgrade und Schneefall sind regional bzw. saisonal keine Ausnahmen und, ja, sogar Gletscher gibt es auf diesem Kontinent. Doch wenn Schnee zu dieser Jahreszeit so direkt über einem thront, in einer Gegend, in der man nicht damit rechnet, dann ist es eben doch etwas Bemerkenswertes. Aber gut, dass der Schnee nur in der obersten Gipfelregion liegt und wir nicht vorhaben, während unseres Urlaubs in höhere Areale vorzudringen; wir sind auf Sonne und Wärme eingerichtet!

Hex River Valley
Weiße Flecken auf den Bergen?
Schnee!!!!










Diese beiden Faktoren begleiten uns auch gar freundlich auf unserer Weiterfahrt - und noch etwas, was uns sehr erfreut: immer wieder erblicken wir rosarote und weiße Polster blühender Mittagsblumen. Unsere Hoffnungen wachsen. Allerdings nicht lange. Je länger wir Richtung Nordosten kurven, desto trockener, grauer und karger wird die Landschaft - nicht mal in feuchtigkeitsbegünstigenden Senken ist noch was zu sehen. Und der Parkplatz, auf dem wir letztes Jahr Rast gemacht hatten, ist staubiger denn je! Trotzdem halten wir an, alleine schon, weil wir Hunger haben und unsere Blasen nach Erleichterung schreien. Und im Zuge dessen suchen Heinz und ich natürlich nach interessanten Sukkulenten nebst ein paar Blütchen. Wenigstens ein paar. Aber nichts! Die Pflanzen sind selbstverständlich da, doch keine von ihnen zeigt sich blühwillig. Nicht die Malephora, nicht der robuste Psilocaulon. Schade, wirklich schade! Dennoch hält mich nichts davon ab, Ute ein paar Psilocaulon-Samenstände in die Hand zu drücken, um sie an dem Wunder der Mesemb-Kapselöffnung teilhaben zu lassen - akkurat an dem Ort, an dem ich vor etwa 18 Monaten selbst diese einmalige Erfahrung erstmals machen durfte. Ute nässt die winzige Kapsel auf meine Erklärung hin mit Spucke ein und erfreut sich erwartungsgemäß an deren prompter Öffnung. Nicht mehr und nicht weniger. Na ja, einen Versuch war es wert. Heinz und ich wissen ja, dass wir ein bisschen sehr speziell interessiert sind und sind niemandem böse, wenn er angesichts derartiger Naturwunder vor Begeisterung nicht gleich tot umfällt. Andererseits passiert Selbiges natürlich in den wenigsten Fällen... Doch wie dem auch sei; wir wollen nichts unversucht lassen, Ute so weit wie irgend möglich in unsere Interessen einzubeziehen, damit sie sich nicht ausgeschlossen fühlt. Inwieweit ihre Interessen allerdings mit den unseren konform gehen oder wo genau sie sonst liegen, werden wir in den folgenden Wochen sicher noch herausfinden.

Unser „Stammparkplatz“
Bunte Bergschichtungen
Wir nähern uns dem Tankwa










In diesem Sinne fahren wir nun weiter und nähern uns Kilometer für Kilometer dem Tankwa Karoo NP. Die Strecke ist gut zu fahren, besticht aber landschaftlich nicht gerade durch besondere Schönheit. Um das wenig Abwechslung bietende Geöttel etwas zu strukturieren, suche ich immer wieder nach bestimmten Wegmarkern, die mir noch in Erinnerung sind. Hier ein quarzig-kiesiger Hügel zu unserer Rechten, dort eine quer über die Pad führende Abflusssenke, da ein markantes Farmtor. Uih, gleich muss der Streckenabschnitt beginnen, der letztes Jahr geteert wurde, als wir ihn befuhren! Und dann ist es nicht mehr weit. Ich warte, ich harre, allein die Teerstrecke will und will nicht kommen. Aber ich habe das doch nicht geträumt! Mhm, es ist ein echtes Rätsel - und bleibt auch eines. Denn bevor ich mich versehe, sind wir am Eingangstor zum Park (ohne einen einzigen Kilometer Teerbelag gesehen zu haben) und ab da ist wieder alles wie in meiner Erinnerung: zuerst Landschaft, die wie frisch umgegraben wirkt, dann der Hoodia-Hügel, der allerdings noch karger ist als letztes Jahr, und zuletzt das Office mit den Schaubeeten und dem freundlichen Personal. Alles wie gehabt. Auch meine leisen Zweifel, ob das wirklich der richtige Park für uns ist, werden beinahe wieder wach, denn der Tankwa präsentiert sich wirklich nicht von seiner besten Seite, wenn man, von Süden kommend, hineinfährt. Die Landschaft ist ziemlich öde, die Vegetation extrem spärlich und dem Auge werden wenig Reize geboten, zumal wenn die Sonne relativ hoch steht und das Licht harte Schatten wirft. Wären wir letztes Jahr nicht eines Besseren belehrt worden und hätten den ganz speziellen Zauber des Parks kennenlernen dürfen, wären wir wohl kaum wieder gekommen. So aber stehen wir nun voller Vorfreude im Office, melden uns an und informieren uns über die momentane Wettersituation. Die Nachrichten jedoch sind keine guten: es hat seit Ewigkeiten nicht mehr geregnet, die Blütezeit dürfte weitestgehend ausfallen und, zu allem Überfluss, ist es in den Nächten zur Zeit eiskalt. Na Prost Mahlzeit!

Unsere Campsite im Tankwa
Schöne Aussichten
Noch ist es warm











Mit nunmehr leicht reduzierter Vorfreude nehmen wir deshalb unseren Schlüssel für die Campsite entgegen und fahren dann rund acht Kilometer Richtung Osten, hinein in das Tal des Hoenderhoek, einem kleinen Bächlein, das weiter südlich in den Renoster River fließt. Am Ende dieser Stichstraße befindet sich Perdekloof, ein noch recht neues Campingareal mit sechs Stelllplätzen, die allesamt mit fließend Wasser, Dusche, Klo, Küchenzeile, Gastherme und Solarbeleuchtung ausgestattet sind. Diesen Luxus wollten wir uns heuer gönnen - im Gegensatz zu letztem Jahr, wo wir in Skaapwachterspos residierten, bar jeglicher Facilities – aber auch völlig ohne menschliche Nachbarn. Gespannt kurven wir in das kleine grüne Tal, checken im Vorbeifahren die Mitcampersituation und entdecken schließlich, ziemlich am Ende der Pad, unsere gebuchte Campsite. Das sieht doch gut aus: wir sind, bis auf eine belegte Campsite am Anfang des Tals, allein auf weiter Flur, der Platz ist geräumig und das Facility-Häuschen sieht funktionell und sehr gepflegt aus.

Wir beneiden Mais ...
... und Steaks, ...
... weil die es WARM haben!










Zufrieden parken wir die Autos, laden ab und inspizieren dann den Platz. Eine kleine Küchenzeile mit Spülbecken und großzügiger Arbeitsfläche, ein affensicheres Müllhäuschen, eine heimelig von Buschwerk umschlossene Campfläche und ein Klo-Dusch-Raum. Wie es im Inneren des Sanitärgemachs jedoch aussieht, können wir allenfalls ahnen, denn der uns überreichte Schlüssel will partout nicht sperren. Wir versuchen alles, drehen den Schlüssel, so herum und andersrum, drücken und ziehen an der Klinke, aber die Tür bleibt verschlossen. Jochen sieht schließlich nur noch eine mögliche Lösung des Problems und macht sich deshalb auf den Rückweg zum Office – das auf unsere Funkanfrage nicht antwortet – um den nötigen Schlüssel einzufordern. Kurz darauf kehrt er zurück. Per Funk, man hatte uns, etwas verspätet, doch gehört, wurde er in das Geheimnis des vermeintlich fehlenden Schlüssels eingewiesen: Selbiger liegt, gut verborgen, in der Küche bereit, man hätte wohl leider versäumt, uns das mitzuteilen. Was, wie? Die Erklärung folgt: Der Dusch-Klo-Raum wird natürlich ebenfalls von der Gastherme mit Warmwasser versorgt. Bedauerlicherweise jedoch wurde von abreisenden Campgästen des Öfteren vergessen, das gesamte Facility-Gebäude abzuschließen, weswegen sich die kostenlosen Duschgelegenheiten herumsprachen und so auch von Nichtbuchern extensiv genutzt wurden. Deshalb war man dazu übergegangen, dieses Sicherheitsverfahren einzuführen, dessen Sinn sich mir allerdings nicht erschließen will. Wenn ich nicht absperre, dann ist offen, egal, ob der Schlüssel vorher separat in der Küche versteckt war oder nicht... Na ja, ist ja auch egal, Hauptsache, das Klo ist jetzt nutzbar!

In mehrerlei Hinsicht erleichtert, widmen wir uns nun dem Lageraufbau und statten unsere Zelte vorsichtshalber gleich mal mit zusätzlichen Decken aus. Eine Maßnahme, wie sie vorausschauender nicht sein könnte! Denn kaum ist die Sonne hinter den Renosterbergen verschwunden, sinkt die Temperatur rapide und wir, die wir gerade unser Abendessen zubereiten, machen den Maiskolben auf dem Grill fast den Platz streitig. Holla, ist das zapfig! Minütlich werden es ein paar Grad weniger. Wir dinieren schließlich, angetan mit Mützen, Jacken und Anoraks. Als wir bald danach ins Bett gehen - für einen gemütlichen Abendplausch ist es definitiv zu kalt - zeigt das Thermometer knapp unter null Grad an und wir kuscheln uns dankbar in die wärmenden Schlafsäcke und Decken. Brrrr, gute Nacht!


Weitere Impressionen des (Fahr-)Tages:

Weinanbau im Hex River Valley
Weinanbau im Hex River Valley
Weinanbau im Hex River Valley










Arbeiter-Siedlung

Weinanbau im Hex River Valley























Die Landschaft ...
... verändert sich ...










... zusehends
Frankolin-Besuch auf der Campsite
Vorgeschmack auf den Zauber des Parks
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